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Die Welt des Films - Herbst 1927 - aus Sicht eines Engländers:

In diesem Buch aus London wird die internationale Entwicklung des Kino-Films bis zu den Anfängen des Ton-Films - diesmal nicht (nur) aus deutscher Sicht - vorgetragen. In einem weiteren Buch vom April 1927 von Denes von Mihaly (aus Berlin) wird eine ganz andere Sicht auf den Ton-Film verbreitet, die aber so nicht mehr stimmt. Nach dem März 1933 wurde dann die Geschichte des Ton-Films ebenfalls heftigst "verbogen", also nationalsozialistisch eingedeutscht. Darum sind die Ausführungen dieses Engländers Fawcett sehr hlfreich. Zwei deutsche Übersetzer hatten aber einiges "hinzugefügt". Die Einleitung beginnt hier.

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Frauen und Kinder im Kino

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Wie sich die Welt verändert - was Frauen heute "dürfen"

Die Mehrzahl sämtlicher Kinobesucher der Welt bilden Frauen und die Verantwortung für den vom Publikum bekundeten Geschmack trifft in erster Linie sie. Die Entwicklung der Filmindustrie fällt zeitlich ungefähr mit der sogenannten Frauenemanzipation zusammen. Noch vor 30 Jahren war der Besuch von Varietetheatern für Frauen verpönt und auch der Theaterbesuch nur in Begleitung männlicher Beschützer ratsam; heute hat sich die Situation gewaltig geändert.

Frauen gehen allein ins Theater, außer sie finden einen Mann, der ihnen den Sitz bezahlt. Sie gehen aber noch viel häufiger und das ganz Jahr hindurch ins Kino; hauptsächlich deshalb, weil es billiger ist.

Die Frauen stellen auch die große Armee der Filmfanatiker und huldigen Woche für Woche vor den Filmaltären ihren Zelluloidhelden. Die meisten der anwesenden Männer kommen nur ins Kino, weil sie die Sitze für ihre holde Begleitung bezahlen durften ; und dann ist es hier anheimelnd dunkel, warm oder kühl, und es findet sich fast immer eine weiche zärtliche Hand, die sich gerne drücken läßt.
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Der Durchschnittsfilm zielt auf den Beifall der Weiblichkeit

Der Durchschnittsfilm wird also hergestellt, um den Beifall der Weiblichkeit zu erringen und befaßt sich daher mit den primitivsten Triebäußerungen: Liebe, Haß, Neid, Rache - Gefühle, die in Frauenherzen stets auf lebhaften Widerhall rechnen können.

In der Regel spielt das Filmstück auch in einer Atmosphäre von Luxus und Eleganz, gleichsam in der Domäne der Frau, die man ebenso für alle auf der Leinwand erscheinenden vornehmen Parks und Hallen, für die Tanzpaläste und Bars wie für die meist platzgreifende Verschwendung verantwortlich machen muß; denn alles dies entspricht der weiblichen Natur.

Männliche Kritiker verurteilen oft die luxuriöse Aufmachung und die wahnsinnige Verschwendung bei der Erzeugung der amerikanischen Filme; sie haben sich aber nicht so gründlich mit der Psychologie der Kinobesucher befaßt wie die Produktionschefs der großen Film firmen.
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Frauen verlangen rührende Liebesgeschichten

Frauen verlangen in erster Linie eine rührende Liebesgeschichte in eleganter Umgebung mit einem „happy end", weil sie sich gerne selbst als die Heldin aller dieser Aufregungen sehen.

Der sehnlichste Wunsch einer jeden Frau ist immer, kostbare Kleider zu tragen, verführerisch auszusehen und bewundert zu werden; deshalb muß auch die Filmdiva stets wunderschön sein, die prächtigsten Toiletten und eine berückende Frisur tragen.

Aller Frauen Sehnsucht ist zu heiraten; deshalb fällt die Heroine in den letzten 30 Metern, in Voraussetzung legitimer Erledigung, dem Liebhaber regelmäßig um den Hals. Mitgefühl, Edelmut und Selbstaufopferung sind in den Augen jeder Frau - und sei sie selbst die größte Egoistin - weibliche Tugenden; deshalb trägt jede Filmdiva solche vortrefflichen Eigenschaften zur Schau und erntet in achtzig von hundert Fällen dafür reichen Lohn.

Die Frau ist auch die Hüterin der Moral ; denn ihre Stellung in der menschlichen Gesellschaft erhält sie sich durch peinliches Einhalten der moralischen Grundgesetze und der 10 Gebote Gottes; deshalb werden im Film auch immer Tugend und Standhaftigkeit belohnt und das Laster bestraft.

Die Filmzensur - meißt in Männerhand

Die in den meisten Ländern eingeführte Filmzensur gibt sich die undenklichste Mühe, alles von der Leinwand fernzuhalten, das auch nur im geringsten Anstand und Moral verletzen könnte. Man geht hierbei von dem an sich lobenswerten Grundsatze aus, daß besonders Kinder und die heranwachsende Jugend vor schädlichen Einflüssen bewahrt bleiben sollen.

Es muß festgestellt werden, daß die einzelnen Zensoren hierbei oft übers Ziel schießen und Tatsache ist, daß dem Theater, zumal den Revuebühnen, weit größere Freiheiten eingeräumt werden als den Lichtspielhäusern - von den gedruckten Erzeugnissen der Literatur gar nicht zu reden.

Hervorragende Bühnenwerke, deren Aufführung anstandslos freigegeben wurde, interessante Romane, die in Tausenden von Exemplaren gedruckt und verlegt werden durften, können nicht verfilmt werden, weil die Zensur es verhindert.

Man verweigert also Erwachsenen den Genuß eines Kunstwerkes unter dem Vorwand, daß es sich für Kinder nicht zieme, obschon in den meisten Ländern ohnedies die normalen Kinovorstellungen für Kinder gesperrt sind; und da diese Vorschriften sehr strenge gehandhabt werden, so ist nicht einzusehen, warum ein Erwachsener „Die Büchse der Pandora" im Theater sehen darf und im Kino nicht, oder warum „Jud Süß" in jeder Leihbibliothek - auch von Jugendlichen - entliehen und gelesen werden kann, aber nicht verfilmt werden darf.
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Die Anziehungskraft schlüpfriger Filmprodukte auf die Massen

Der sittenverderbende Einfluß des Films sowie die Anziehungskraft schlüpfriger Filmprodukte auf die Massen, besonders auf die Jugendlichen und Kinder, scheint doch einigermaßen übertrieben zu werden.

Denn die zugkräftigsten Filme, die das Kino überhaupt je gebracht hat, sind die von Harald Lloyd, Tom Mix und Charlie Chaplin, und gerade diese drei Filmkünstler sind gewiß die harmlosesten der ganzen Gilde.

Ein einziges Mal spielte Chaplin in einem gewagten Sujet „Frau von Paris" und sofort gingen die Kasseneinnahmen zurück, beinahe wäre ein finanzieller Mißerfolg daraus geworden. Jung und alt ergötzt sich an den herzerquickenden Darbietungen der genannten drei Künstler - die Kinder, weil jene ihrer Empfindungswelt nahestehen, die Erwachsenen, weil es ihnen vergönnt ist, auf ein paar Stunden wieder Kinder zu werden.
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Kapitel VIII - Regisseure und Stars

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Die Hauptlast der Veranwortung liegt bei den Regisseuren

Während auf der Theaterbühne vor allem der Schauspieler als belebendes Element die Darstellung beherrscht, ruht beim Film die Hauptlast der Veranwortung auf den Schultern des Regisseurs, der sich hier, zumal auf künstlerischem Gebiete, zum unumschränkten Machthaber entwickelt hat.

Es kann also nur eine ausgesprochene Persönlichkeit Anspruch darauf erheben, als vollendeter Filmregisseur gewertet zu werden. Nur eine wirkliche Führernatur wird die beim Film vereinigten heterogenen Kräfte mit den verschiedenartigsten technischen Hilfsmitteln zu einer geschlossenen Einheit schweißen können.

Auf der Bühne vermögen starke schauspielerische Talente die Unpersönlichkeit des Regisseurs oft noch zu verschleiern; anders beim Film, der wohl eine Kollektivkunst darstellt, aber dennoch einer kräftigen führenden Hand bedarf, in der sich alle Fäden des Atelierbetriebes vereinen müssen, soll nicht ein undurchdringliches Gewirre der widersprechendsten Meinungen jede brauchbare Arbeit lahmlegen.
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Der Filmregisseur braucht eine ausgesprochene Künstlerseele

Dem Filmregisseur müssen aber die Götter auch eine ausgesprochene Künstlerseele verliehen haben: alle Register der Schauspielkunst, der Mimik, der Bewegungskultur müssen ihm ebenso geläufig sein wie die Finessen des Ausstattungskünstlers.

Darüber hinaus muß er noch das Malerische der Landschaft, des Meeres, der Architektur, die Grazie des Tieres, die Wucht der Massen, die Geheimnisse der toten Materie mit künstlerischem Auge zu erfassen wissen. Lebhafte Phantasie, Ideenfülle, rhythmisches Gefühl, Humor, umfassende Bildung sind für ihn ebenso unerläßlich wie die Fähigkeit, sich in eine Dichtung einzuleben, das Filmische darin zu erkennen, seine Gedanken auf alle seine Mitarbeiter verständlich zu übertragen und sich gleichzeitig in die Psyche des Publikums zu versetzen.

Eiserne Nerven, unendliche Geduld, rücksichtslose Selbstdisziplin, rastloser Arbeitswille und unermüdliche Ausdauer vervollständigen die von einem brauchbaren Filmregisseur verlangten Qualitäten.

Daß sich diese nicht allzu häufig in einem einzelnen Menschen vereinen, ist begreiflich und erklärt nicht allein die geringe Anzahl solcher Männer, sondern auch deren märchenhafte Gagen.

Der Regisseur erhält meist für einen Film ein pauschaliertes Fixum, das in Hollywood je nach der Dauer der Aufnahmen oft eine Höhe von 300.000 Dollar erreicht, ja diese Summe sogar noch übersteigt.
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Die Schönen und die Reichen

An Schönheit und Anmut herrscht in Hollywood kein Mangel, wie ein Magnet zieht dieser Ort hübsche Männer und schöne junge Mädchen aus jedem Winkel des Erdballes an, erfahrene Bühnenleute und ungeschulte Rekruten; in allen europäischen Ländern wird die jugendliche Schönheit für Hollywood durchgesiebt

Hunderte von Filmanwärterinnen gondeln in ihren prächtigen Autos die breiten Boulevards entlang, tragen ihre jugendlichen Reize in den zahlreichen kalifornischen Seebädern zur Schau, tanzen in den Hotels, immer gewärtig, von einem der allmächtigen Regisseure entdeckt zu werden, oder warten in endlosen Reihen bei den Aufnahmebureaus.

Wovon und wie sie alle leben, ist ein Rätsel, denn das Leben in Los Angeles ist nach europäischen Begriffen unerhört kostspielig und ein Automobil bei den riesigen Distanzen einfach unentbehrlich; Tatsache ist, daß die Schönen da sind und daß ein beständiger Zuzug stattfindet.

Beim Zentralbureau (Central Casting Association), in welchem alle Statisten aufgenommen werden, ist jede gewünschte Type innerhalb weniger Stunden erhältlich - schwarz, weiß, braun, gelb, lang, kurz, dick, dünn, schön, häßlich - alles ist vorrätig.

Auf der Filmbühne hören alle diese Leute auf, menschliche Wesen zu sein. Sie sind nur mehr Puppen, die man dorthin schiebt oder stellt, wo sie der Regisseur braucht, und die die sonderbarsten Bewegungen ausführen, ohne auch nur zu ahnen, was das alles zu bedeuten hat.
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Hollywoods Statistenagentur seit 1925

Die oben erwähnte Statistenagentur ist erst vor zwei Jahren eröffnet worden und heute sind etwa 14.000 Personen (darunter 2.000 Kinder) bei ihr vorgemerkt. Die Filmfirmen zahlen 5% vom Honorar, während die Arbeitsuchenden für die Vermittlung keine Gebühr zu entrichten brauchen.

Täglich werden etwa 800 - 1.500 Statisten untergebracht; die Bestellung erfolgt telephonisch. Eine derartige Bestellungsliste mag z.B. enthalten: 12 kräftige deutsche Soldaten (Uniformen vorhanden), 2 starke Neger (einer davon mit besonders großen Händen), 10 hübsche Mädchen im Badetrikot (tüchtige Taucherinnen), 3 Männer mit langem angewachsenen Bart, 1 Mutter mit Säugling, 1 krankes Kind, 1 zehnjähriger Knabe mit rotem Haar und Sommersprossen, 1 besonders schöne Dame in schickem Abendmantel, 3 kleine Japaner mit Brillen, 1 Äbtissin, 1 englischer Admiral, 4 Feuerwehrmänner, 1 alter Lahmer, 2 besonders dicke Weiber usw.

Jeder Angemeldete ist in einer Kartothek genau verzeichnet; diese enthält: Name, Adresse, Photographie, Gewicht, Größe, verfügbare Garderobe, besondere Fertigkeiten. Die Angestellten der Agentur wissen genau Bescheid, denn die Zuweisungen müssen meist mit der größten Schnelligkeit durchgeführt werden. Fast immer sind die verlangten Typen innerhalb einer Stunde an Ort und Stelle.
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Ungefähr 95% aller im Film verwendeten Personen sind Statisten.

Sie erhalten, wenn sie auftreten, einen Mindestlohn von 12 Mark täglich; der allerhöchste Tagesverdienst für einen durch die Agentur besorgten Statisten beträgt 60 Mark, ein Betrag, der etwa für eine besonders schöne Garderobe bewilligt wird.

Auch außergewöhnliche Typen - Dicke, Dünne, Häßliche - werden besser bezahlt. Es gibt Leute, die von ihrem Bart oder von ihrer Ähnlichkeit mit einer berühmten Persönlichkeit recht einträglich leben können. So entdeckte Erich von Stroheim vor einiger Zeit die frappante Ähnlichkeit eines alten Statisten namens Veverka mit Kaiser Franz Joseph. Der Mann, der in kümmerlichen Verhältnissen lebte, ist heute in Hollywood ein wohlsituierter Herr.
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Die Schauspieler bzw. die Stars

Außer den wenig beneidenswerten Angehörigen der Komparserie leben in Hollywood etwa 700 Personen, die auf den Filmstreifen in größeren Rollen bewundert werden können und deren jährlicher Gagenetat mit 28 Millionen Dollar beziffert wird.

Hiervon beziehen wieder etwa 100 Stars Wocheneinkünfte von 2000 bis 20.000 Dollar. Als höchste Wochengage wurden allerdings bisher „nur" 10.000 Dollar bewilligt, doch erhalten einige ganz Große überdies noch Tantiemen, wie etwa Tom Mix und Chaplin, die ihre eigenen Gesellschaften haben.

Von den bekannteren Stars beziehen: Emil Jannings, John Barrymore, Mary Pickford und Douglas Fairbanks 10.000 Dollars *1), Lilian Gish 7.500, Gloria Swanson, Colleen Moore, Norma Talmadge je 7.000, Adolphe Menjou 5.000.

*1) Da Douglas Fairbanks und Mary Pickford verheiratet sind, beträgt das Jahreseinkommen dieses wohlsituierten Ehepaars rund 1 Million Dollar.

Die Gage Greta Garbos, des schwedischen Wunderkindes, wurde nach ihren sensationellen Erfolgen der letzten Zeit sofort bedeutend erhöht. Sie ist (in 1927) noch nicht 21 Jahre alt und dürfte eine der bestverdienenden Frauen der Welt sein.
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Die von den Stars geforderten Eigenschaften .....

Welche Eigenschaften muß nun jemand aufweisen, um zu diesen Riesenverdiensten zu gelangen ? Ein zynischer Filmexperte hat die Durchschnittsfilmdarstellerin als „schön und dumm" bezeichnet; sie muß nämlich gut aussehen, darf aber nicht über allzuviel Geist verfügen, um die Wünsche des Regisseurs um so kritikloser erfüllen zu können.

Unter „schön" ist natürlich ein anmutiges Photographiegesicht zu verstehen. Die Kamera ist ein launischer Tyrann: sie registriert das eine Gesicht als schön, das andere als häßlich und auch der geübteste Regisseur vermag sogar mit Hilfe einer blauen Brille niemals mit Sicherheit anzugeben, ob ein neues Gesicht sich für den Film eignet.

Das ist auch der Grund, warum die zahlreichen Schönheitskonkurrenzen zur Entdeckung neuer Filmstars keinen Sinn haben, denn selbst die berühmtesten Stars sind gezwungen, vor jeder größeren Darstellung eine Probeaufnahme vornehmen zu lassen, um zu sehen, ob sie für den gewünschten Zweck richtig geschminkt sind und ob sich nicht etwa ein paar Fältchen eingestellt haben, die man rasch wegschminken muß.

Das Filmgesicht muß ausdrucksvoll und anpassungsfähig sein, wirkliche Schönheit ist erst in zweiter Linie entscheidend.
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Kein schauspielerisches Talent kann Augen ersetzen

Mehrere außerordentlich hübsche Geschöpfe haben sich zu Stars entwickelt, die Mehrzahl hat jedoch dies höchste Ziel durch geschmeidige Züge erreicht, mit denen sie die gewünschten Empfindungen auf den Zuruf des Regisseurs prompt auszuführen vermochte.

Viele der vorzüglichsten Bühnenkünstler haben vor der Kamera völlig versagt; denn zwischen wirklichem Aussehen und dem, was die Kamera aufnimmt und was schließlich auf der Leinwand gezeigt wird, klafft ein Abgrund.

Der beneidete Filmstar mit 5.000 Dollar Wocheneinkommen mag ebensoleicht auf der Operettenbühne, in einer Schankstube oder in der Küche entdeckt worden sein. Kein schauspielerisches Talent, keine Bühnenkarriere kann Augen ersetzen, die etwas zu tief eingesunken sind oder deren Farbe in der Kamera zu licht erscheint.

Es wird auch ewig ein Rätsel bleiben, wodurch die Filmschauspielerin eigentlich ihre Popularität gewinnt. Manche behaupten, es sei nur der Reklame zu verdanken, was kaum der Wahrheit entsprechen dürfte. Unter den prominentesten Stars gibt es mehrere, deren Profil geradezu abscheulich ist, allein sie entschädigen dafür durch besondere Lebendigkeit des Ausdruckes.

Lebhaftigkeit der Züge läßt manchen Schönheitsfehler vergessen, der Filmdarsteller nimmt sein Publikum gefangen und ein sympathisches Band knüpft sich zwischen ihm und dem Zuseher. Der regelmäßige Kinobesucher gewöhnt sich an die Schönheitsfehler seiner Lieblinge, und Physiognomien, die an eine schöne Kuh oder an eine Wachspuppe gemahnen, stoßen leicht durch allzugroße Regelmäßigkeit ab.

Dieser Umstand verleiht dem Filmgeschäft ein weiteres Moment der Unsicherheit, denn wie man sieht, ist nicht einmal die Filmprobe ein zuverlässig anwendbarer Wertmesser für den Publikumserfolg.
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Wie steht es mit der Dummheit ?

Das ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, aber Tatsache ist, daß hochentwickelte Individualitäten mit wenigen Ausnahmen für den Film zumeist nicht taugen. Leute mit gefälligem Aussehen, die sich vom Regisseur leicht bearbeiten lassen ohne viel zu fragen, warum dies oder jenes zu geschehen hat, eignen sich am besten.

Schon die geschäftsmäßige Aufmachung des ganzen Filmbetriebes macht die Konzentrierung der Regie in eine Hand unerläßlich und die Charakterisierung der Szene muß, um Zeit zu sparen, dem Regisseur allein überlassen bleiben.

Schauspieler, die ihre Individualität allzukräftig betonen wollen, sind zumeist nur hinderlich und bleiben nicht lange beim Film. Der Darsteller trägt zum Erfolg durch seine Züge und durch seine Gestalt bei - seine Meinung über Regiekunststücke und den auf das Publikum auszuübenden Eindruck ist unerwünscht und er muß sie bei sich behalten.

Sogar der Regisseur hat nicht immer freie Hand und muß dem Regiekollegium zuliebe oft auf seine Lieblingsideen verzichten. Bei längerer Zusammenarbeit gewinnen Darsteller sowohl wie Regisseur erst das richtige „Filmgefühl", welches darin besteht, zu erkennen, wie die zugkräftigsten Filme erzeugt werden müssen. Beide werden auch danach eingeschätzt, wie sich ihre Erzeugnisse in den Kassenrapporten auswirken.
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Die ersten selbstproduzierenden Stars wie Charly Chaplin

In Amerika haben sich wohl einige selbstproduzierende Stars heranentwickelt: Chaplin, Fairbanks, Stroheim, Harald Lloyd, die in ihren eigenen Ateliers drehen können, was ihnen beliebt, solange sie die Film-Verkäufer zufriedenstellen; sogar ein oder zwei begabte Frauen, Gloria Swanson z. B., stehen ganz auf eigenen Füßen, ja sie besorgen selbst die finanzielle Führung ihrer Unternehmungen.

Im allgemeinen kann man jedoch die Mitglieder eines Ensembles in zwei Kategorien einteilen: „Stars" und „Prominente" (Featured Players). Aber auch sie sind nichts als Statisten in einer Armee gedankenloser Arbeiter, und je weniger Individualität sie entwickeln, je bequemer sie zu behandeln sind, desto erfolgreicher werden sie wirken. Der bekannte Adolphe Menjou, über den bei seiner Lebensbeschreibung noch manches zu sagen sein wird, ist dafür das beste Beispiel.

Auch Lilian Gish und John Gilbert bilden wegen ihrer Fügsamkeit das Entzücken jedes Regisseurs. Valentino brachte neben seinen äußeren Vorzügen auch den enormen Vorteil völliger Unterordnung unter die Wünsche des Spielleiters. Er war sonst ein mittelmäßiger Schauspieler.

Andererseits versagen oft die besten Bühnenkünstler vollständig, weil sie sich dem Einfluß des Regisseurs widersetzen. Emil Jannings, Elisabeth Bergner, John Barrymore, Werner Krauß sind Ausnahmen, die ihre Individualität gerne fremdem Einfluß anpassen - vielleicht geschieht dies auch deshalb, weil es überaus einträglich ist.
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gefragt : der leicht beeinflußbare, temperamentlose Darsteller

Wie wir sehen, ist also der leicht beeinflußbare, temperamentlose Darsteller am besten verwendbar, und zwar zunächst, weil die populären Filmstücke keine große Gemütsbewegung erfordern und dann weil der heutige Stand der Aufnahmetechnik den ruhigen großen Stil der Darstellung bevorzugt.

Wütende Gefühlsausbrüche und übertriebene Gesten wirken in der photographischen Wiedergabe fast immer lächerlich. Die Kamera verzeichnet eben jede Bewegung mit größerer Genauigkeit als das Auge selbst; überdies vergrößert der Projektor das Bild des Filmpositivs in ungeheurem Maße auf der Leinwand.

Der Filmdarsteller muß sich immer mehr zu beherrschen lernen und mit seinen Bewegungen sparen - wildes Gestikulieren und wütendes Augenrollen erzeugt beim Publikum anstatt Tränen sehr oft Gelächter.

Gerade diese gebotene Zurückhaltung des Schauspielers spielt aber die Herrschaft über die Filmszene immer mehr in die Hand des Regisseurs und beseitigt die Initiative des Darstellers. Dieser hat keine andere Aufgabe, als auf sein persönliches Aussehen zu achten und das zu tun, was man ihm sagt. Sonst hat er überhaupt nichts mitzureden.

Das einzige Privilegium, das einzelnen weiblichen Stars noch kontraktlich eingeräumt wird, ist, daß Filme und Photographien das Atelier ohne ihre Begutachtung nicht verlassen dürfen. Ansonsten genießt die weibliche Diva nicht viel mehr Rechte wie der gewöhnliche Statist, höchstens daß bei gefährlichen Darstellungen ein anderer für sie einspringt, damit die von der Gesellschaft für sie bezahlte Versicherungsprämie nicht verfällt, und daß sie während der Pausen einen kleinen Klappstuhl mit Namensaufschrift benutzen darf.

Wird sie dann auf die Bühne gerufen, dann verläßt sie ihren Ehrenplatz, nimmt sorgfältig ihr meist wundervolles Kleid auf und schneidet auf den Zuruf des Regisseurs Grimassen, von denen die Kamera einige verzeichnet. Braucht man sie nicht mehr, dann sinkt sie wieder gebrochen und schweißgebadet in ihren Sorgenstuhl zusammen.
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Nach endlosem Warten wird der Schauspieler aufgerufen .....

Die an sich einfache Prozedur des Ablegens eines Kleidungsstückes, etwa das Ausziehen eines Strumpfes, muß ein dutzendmal wiederholt werden, bevor der Regisseur damit zufrieden ist. Es ist ja ein Wunder, daß der Darsteller bei dem im Atelier herrschenden Durcheinander überhaupt ernste Arbeit leisten kann.

Es gibt keine festgesetzten Stunden, nach endlosem Warten wird der Schauspieler aufgerufen und muß versuchen, eine Empfindung darzustellen, die, aus dem Zusammenhang gerissen, gar keinen Sinn hat.

Er gibt sein Bestes her, während der Lärm unverändert fortdauert, kein Applaus belohnt ihn, das Megaphon ertönt und er muß die gleiche Szene wieder und immer wieder spielen, bis man ihm sagt, daß er wieder gehen kann.

Keinerlei sympathische Anerkennung, auf die doch jeder Schauspieler so erpicht ist, entschädigt ihn für seine künstlerische Leistung. Wochenlang hört er nichts mehr von seiner Arbeit und weiß nicht, ob sie als Erfolg zu werten ist.

Wenn der Film dann endlich erscheint, so entdeckt er oft, daß jene Szenen, die ihm am wertvollsten schienen, weggelassen wurden oder daß man die Handlung geändert hat und er überhaupt nicht erscheint ....... Ja, es ist ein entmutigender Beruf!
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Die Filmschauspielerin - Trost in den Briefen ihrer Bewunderer

Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, daß zumal die Filmschauspielerin in den Briefen ihrer Bewunderer Trost sucht. Der Starfanatismus hat in Amerika einen unglaublichen Grad erreicht. Die Fanatiker (Fans) überschütten den Star mit Briefen und fast jeder ist gezwungen, sich zur Beantwortung seiner „Fan-Post" einen Sekretär zu halten.

Dieser Kontakt mit dem Publikum trägt gewiß dazu bei, den Star bei guter Laune zu erhalten und ihn zu Höchstleistungen anzuspornen, obwohl ja die große Masse des Publikums sich über die Darsteller gar keine Gedanken macht. Allein das Fan-Unwesen birgt die Gefahr, daß der Darsteller den Wünschen seiner Bewunderer gar zu leicht nachgibt und die Anordnungen des Regisseurs außer acht läßt.
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Hier einige Zahlen zur Illustrierung

Zur Illustrierung des Vorhergesagten mögen einige Zahlen dienen. Miß Colleen Moore erhält monatlich etwa 15.000 Briefe und versendet 12.000 Photographien. Die Kosten für den Versand jeder einzelnen Photographie belaufen sich auf 50 Pf. (85g). Die Paramount hat ein eigenes „Fan"-Departement eingerichtet, in dem alle bewundernden Briefe an die Stars dieser Gesellschaft erledigt werden. Weniger berühmte Stars beantworten ihre Fan-Briefe selbst. Die Kosten für die Versorgung der Filmenthusiasten mit Dankesbriefen und unterfertigten Photographien schwanken zwischen 100 und 1.000 Mark im Monat. Es ist ein sonderbarer Beruf.

Um den beliebten Star bildet sich eine Gloriole von Wahrheit und Dichtung. Die Zentralvereinigung der Produzenten und Verleiher, deren Vorsitz, wie erwähnt, der ehemalige (amerikanische) Staatsminister Will Hay inne hat, ist deshalb bestrebt, mit allen Mitteln die Skandale in Hollywood zu vermeiden.

Denn es ist bedenklich, wenn über eine Dame, die allabendlich als Inbegriff der Tugend und Sittsamkeit bewundert werden soll, die schmutzigsten Geschichten im Umlauf sind. Ein kleines, vorübergehendes Skandälchen läßt sich ja manchmal zu Reklamezwecken ganz gut verwenden; aber ewiger Schmutz stumpft das Publikum ab und verleidet ihm schließlich den Kinobesuch.
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