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Die Welt des Films - Herbst 1927 - aus Sicht eines Engländers:

In diesem Buch aus London wird die internationale Entwicklung des Kino-Films bis zu den Anfängen des Ton-Films - diesmal nicht (nur) aus deutscher Sicht - vorgetragen. In einem weiteren Buch vom April 1927 von Denes von Mihaly (aus Berlin) wird eine ganz andere Sicht auf den Ton-Film verbreitet, die aber so nicht mehr stimmt. Nach dem März 1933 wurde dann die Geschichte des Ton-Films ebenfalls heftigst "verbogen", also nationalsozialistisch eingedeutscht. Darum sind die Ausführungen dieses Engländers Fawcett sehr hlfreich. Zwei deutsche Übersetzer hatten aber einiges "hinzugefügt". Die Einleitung beginnt hier.

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Kapitel IV - Reklame

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Das amerikanische Geschäftssystem - die Reklame

Die Reklame bildet einen integrierenden Bestandteil des amerikanischen Geschäftssystems. Der Amerikaner benutzt nicht nur jede Art von Reklame für alle möglichen Zwecke, sondern er ist auch selbst dafür im höchsten Maße empfänglich und reagiert prompt darauf.

Es genügt z. B., daß die Telegraphengesellschaft durch eine Anzahl von Plakaten und mit sonstigen Reklamemitteln das Schlagwort aufwirft: „Schreiben Sie weniger, telegraphieren Sie mehr!" und sofort werden am nächsten Tage zahllose ellenlange Telegramme aufgegeben, die sich ohne weiteres durch einen viel billigeren Brief hätten ersetzen lassen.

Plakatwände und Litfaßsäulen sind in Amerika höchst beachtenswerte Gegenstände; sie sind nett gebaut, mit hübschen Gesimsen versehen, gemalt und bei Nacht natürlich voll beleuchtet. Steht irgendwo ein Baugrund leer, weil der Besitzer auf ein Anziehen der Grundpreise wartet, so vermietet er ihn an ein Annoncenunternehmen und dieses errichtet darauf ein nettes kleines Gebäude mit einspringenden Winkeln und Erkern, schmückt es mit Emblemen und bringt im Vordergrunde hübsche Rasenflächen mit Blumenarrangements an.

DiePlakatwand ist also in Amerika zu einer ästhetischen Angelegenheit geworden und es ist ja ganz klar, daß jedes Auge durch einen gefälligen Anblick rascher und andauernder gefesselt wird als durch den Greuel einer europäischen Reklamewand.

Ebenso muß bei Nacht die Lichtreklame möglichst auffallend und beweglich sein. Hat etwa am Broadway ein Kino keine rotierende Lichtreklame, so geht überhaupt niemand hinein - das Haus ist tot.
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Die Werbung geht zunächst an den Kinobesitzer

Auch der Film hat sich natürlich der Reklame oder vielleicht die Reklame des Filmes bemächtigt; nur wird das Ankündigungswesen
auf diesem Gebiete in Amerika in bedeutend größerem Maße und mit viel raffinierteren Mitteln betrieben. Die Werbung ist zunächst eine zweifache.

Es gilt vor allem den Kinobesitzer zu bearbeiten, daß er den erzeugten Film "kauft" und zur Aufführung bringt; die weitaus umfangreichere Werbearbeit obliegt aber dem Theaterbesitzer selbst, der ja die große Masse des Publikums zur Bezahlung der Eintrittspreise veranlassen muß.

Der Wunsch des Publikums, einen Film zu sehen, ist natürlich für den Theaterleiter ein Antrieb, den Film zu kaufen, kommt also indirekt auch dem Produzenten zugute.

Die großen Filmgesellschaften beschäftigen ausgedehnte Reklamebureaus mit den verschiedensten Abteilungen für Pressedienst, Premierendienst, Auslandspropaganda, Bildermaterial, Plakate, Drucksachen, Starpropaganda u. a. m.
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Die Tagespresse spielt in USA ebenfalls eine große Rolle

Der Kontakt mit dem Publikum wird jedoch seitens der Filminteressenten hauptsächlich durch die Tagespresse hergestellt. Nach einer vom Amerikaner Stuart Chase verfaßten Studie wird die für Inserate, Plakate und sonstige Werbezwecke seitens der Filmindustrie in Amerika jährlich verausgabte Gesamtsumme mit rund 5 Milliarden Mark veranschlagt. Davon entfallen auf Inserate in den Zeitungen 50% der gesamten aufgewendeten Reklamekosten, also jährlich 2 1/2 Milliarden Mark, was die Machtstellung der amerikanischen Presse mit einem Schlage voll beleuchtet.

Die Pressepropaganda trägt zum größten Teil der Kinobesitzer, der Produzent bedient sich zu Reklamezwecken mehr der Fachpresse. Kein Wunder, daß es kaum eine Zeitung in den Vereinigten Staaten gibt, die nicht täglich eine ganze Seite dem Kino widmen würde.

Abbildungen von Schauspielern und Regisseuren sowie große Annoncen bedecken die ganzen Blätter. „Die New York Times" bringt jeden Sonntag zwei bis drei Filmseiten im Vergnügungsanzeiger. Daß die in Los Angeles erscheinenden imposanten Blätter mit Filmnachrichten überfüllt sind, versteht sich von selbst.
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Außer den Kino-Nachrichten - die gekauften Spezialartikel über den Film und die Inhalte

Außer den gewöhnlichen Kinonachrichten erscheinen meist auch noch Spezialartikel über den Film, und oft kommt es vor, daß über das gleiche Thema zwei gleichlautende Aufsätze gebracht werden, damit der Leser, wenn er in den 200 Seiten der Zeitung den einen Artikel übersehen haben sollte, ihn sicher noch einmal zu Gesicht bekommt.

Allein es wird zuviel Geschwätz veröffentlicht und zu wenig Kritik geübt; der amerikanischen Journalistik handelt es sich auch gar nicht so sehr um die qualitative Verbesserung dieses Volks-Vergnügungsmittels, als vielmehr darum, schmutzige Wäsche zu waschen, Skandälchen aufzudecken oder dem Lesepublikum die gewünschten Details mit aller jener aufdringlichen Technik ins Ohr zu hämmern, deren Geheimnis nur sie allein besitzt.

Die Öffentlichkeit muß in fortwährender Spannung erhalten werden, so daß beim Erscheinen eines neuen Films ein romantischer Zauber über jeden einzelnen Darsteller gebreitet ist. Das Publikum geht dann ins Kino, nicht so sehr, um einen neuen Film zu sehen, nicht, weil es sich um ein wertvolles Stück Filmkunst handelt, sondern weil Miß Soundso sich zum fünftenmal verheiratet hat oder weil Herr Jemand sich wöchentlich einen Opiumrausch leistet. Man nennt diesen Vorgang in Amerika die „persönliche Note" der Reklame.
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Die skrupellose Geschäftstüchtigkeit des Reklamesystems

Die skrupellose Geschäftstüchtigkeit des amerikanischen Reklamesystems zeigt sich aber auch auf anderen Gebieten. Wird mit der Erzeugung eines Filmes, an dessen Verbreitung der Gesellschaft besonders gelegen ist, begonnen, so weiß man es so einzurichten, daß der angebliche Autor eines ähnlichen Textbuches die Gesellschaft zum Scheine wegen Plagiates verklagt.

Die Zeitungen werfen sich auf diesen interessanten literarischen Streitfall, beleuchten ihn von allen Seiten, bringen Bilder der Beteiligten und der Prozeß endet in der Regel mit einem Vergleich nach den ersten Verhandlungen. Wahrlich ein kostspieliger, aber genialer Reklametrick - doch wird drüben so etwas nicht einmal als unanständig angesehen - man nennt es geschäftstüchtig.
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Die Prioritäten bei der Popularität der amerikanischen Stars

Die Popularität einzelner Stars ist durch solche Machenschaften so sehr in die Höhe getrieben worden, daß Filmereignisse oft auch vor politischen Begebenheiten von größter Bedeutung rangieren. In Los Angeles wird mit den Stars ein lächerlicher Kult getrieben, was besonders bei den Uraufführungen zutage tritt, wenn die Hauptdarsteller Reden an das Publikum halten oder an einem gespielten Prolog teilnehmen.

Die Stars und Hauptdarsteller werden in ihrer freien Zeit seitens der Gesellschaften auch außerhalb des Ateliers unausgesetzt in Atem gehalten; sie müssen sich überall zeigen, bei allen Premieren anwesend sein und sogar an den Schönheitskonkurrenzen in den großen Strandbädern der Pazifischen Küste regelmäßig teilnehmen.

Dort erscheinen einmal im Monat hunderte halbnackter Damen, lassen sich Arme, Beine, Hüften und Busen abmessen, und jene, die solche Torturen am besten besteht, wird als „Miß California" deklariert und darf über ihr dürftiges Badetrikot ein farbiges Band anlegen.

Alle diese Kindereien werden seitens der amerikanischen Presse in spaltenlangen Artikeln mit reichlichem Bildermaterial breitgetreten.
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Der Blick nach Europa

Im Vergleich hierzu steht die europäische Presse der Welt des Films noch ziemlich apathisch gegenüber. In England widmen nur „Daily Express" und „Sunday Express" den Filmereignissen einen größeren Raum, wohl deshalb, weil ihr Eigentümer, Lord Beaverbrook, auch an der englischen Filmindustrie gewaltig interessiert ist.

In Europa wurde der Film eben seit jeher als ein Geschäft minderer Güte behandelt; einzelne haben dabei Geld verdient, die meisten daran verloren, und wenn man heute einem europäischen Kapitalisten mit einem Filmprojekt kommt, so ist er von vornherein mißtrauisch.

Die Amerikaner jedoch haben von allem Anfang an den Film als „big business", als Großgeschäft, aufgefaßt, das ebenso gründlich verfolgt und gemanaged werden muß wie jedes andere Geschäft in Wall Street.

Daher auch die Ausbeutung aller Möglichkeiten, die Vereinigung von Produktion und Vertrieb in einer Hand, die ungeheure Zunahme des Kinobetriebes.
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Der Kinobetrieb in New York

In New York sind die acht oder neun Kinos eines einzigen Straßenzuges
schon bei der ersten Vorstellung um halb drei Uhr nachmittags bis auf das letzte Plätzchen gefüllt, und einzelne Häuser veranstalten sogar Vormittagsaufführungen, um der Viertelmillion Nachtarbeiter gleichfalls den unentbehrlichen Kinobesuch zu ermöglichen.

Ehemalige Staatsminister werden vom "Filmwesen" angeheuert

Der große Zug im amerikanischen Filmwesen zeigt sich u. a. auch in der Anstellung eines gewesenen Staatsministers, Mr. Will Hays, als Repräsentanten der Vereinigung von Filmerzeugern und sonstigen Interessenten.

Seine Aufgabe ist es, die Interessen der Branche bei der Regierung in Washington zu vertreten, Angriffe zurückzuweisen, Skandalen vorzubeugen, unsittliche Filme zu verhindern, kurz das Sprachrohr für den verkörperten Willen der Filmindustrie abzugeben.

Mr. Hays, der ein fürstliches Gehalt bezieht, erläßt von seinem Bureau in der Fifth Avenue Edikte, deren Ton den Botschaften des Präsidenten an den Kongreß gleichkommt.

Seinem Einfluß ist beispielsweise die Herabsetzung der Lustbarkeitssteuer zu verdanken: alle Eintrittspreise unter ein Dollar wurden abgabenfrei erklärt *1).

*1) Neuesten Nachrichten (Ende 1927) zufolge sogar für alle Eintrittskarten unter 3 Dollar. Niemand anders zieht daraus Vorteil als die Kinobesitzer und ihr Publikum, indirekt also auch die ganze Filmbranche.
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In den europäischen Ländern funktioniert das nicht

In den europäischen Ländern ist bisher jeder Versuch zur genossenschaftlichen Vereinigung aller Filminteressenten fehlgeschlagen. Sooft Erzeuger, Verleiher und Kinobesitzer zusammenkommen, gibt es immer nur Streit und Zank. Niemals ist die Rede von einer geschlossenen Aktion zur Erreichung gemeinsamer Ziele, stets vernimmt man nur persönliche Wünsche und Beschwerden.

Die Folge davon ist, daß der Film hierzulande zum Spielball jeder selbstherrlichen Kritik, zum Prügelknaben für den Machtdünkel einer verwöhnten Beamtenschaft wird. Sogar die verkommene Straßenjugend benützt ihn als Ausrede, um ihre Untaten zu bemänteln: „Das haben wir im Film gesehen", versichert sie mit scheinheiliger Miene.

Und die Richter (in 1927) schütteln die Köpfe und murmeln etwas von dem verderblichen Einfluß moderner Erfindungen und von der Notwendigkeit strengerer behördlicher Beaufsichtigung. Amtlicherseits kümmert sich aber niemand um die Bedürfnisse des Gewerbes, das infolgedessen zu immer geringerer Bedeutung herabsinkt.

Die amerikanischen Methoden sind gewiß nicht immer einwandfrei und reizen im allgemeinen nicht zur Nachahmung. Aber man sollte sich in Europa endlich darüber klar werden, daß Film und Kino die freie Zeit der Massen mehr in Anspruch nehmen als jedes andere Vergnügungsgewerbe, und daß es noch an der Zeit ist, das Ansehen der ganzen Branche zu heben.

Die Bedeutungslosigkeit der Filmleute in unseren Ländern wirkt geradezu tragisch. Sie vertreten weder eine nationale noch eine soziale Richtung, sie wissen sich keine Geltung zu verschaffen und müssen es dulden, daß ein jeder an ihnen sein Mütchen kühlt. Das Filmgeschäft hat bei uns das Geheimnis richtiger Reklame und Popularität sowie die Vorteile geschlossener Körperschaften noch lange nicht erfaßt.
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Kapitel V - Das Filmparadies

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"Die Küste" = Kalifornien, die Gestade des Stillen Ozeans

„The coast" ist der vom Filmvolk gebrauchte Sammelname für Kalifornien, die Gestade des Stillen Ozeans, Los Angeles, Hollywood und die führenden Filmateliers. Daß diese Küste von New York ebensoweit entfernt liegt wie London und daß eine viertägige Reise bei 40°C im rasenden Pullmannwagen erforderlich ist, um sie zu erreichen, verwirrt zunächst die Begriffe des an bescheidenere Maßstäbe gewohnten Europäers.

„Hollywood" die Riesenstadt

Der in der ganzen Welt geläufige Begriff „Hollywood" wirkt drüben beinahe schon veraltet; die Riesenstadt dehnt sich nach allen Richtungen aus. Im nahen Culver City haben sich Cecil de Mille und die Metro niedergelassen, für die Universal hat Carl Lämmle Universal City gebaut und die First National hat soeben ihre gigantischen Ateliers in Burbank fertiggestellt.

Schon hört man übrigens von neuen Gründungen in Florida, und an der französischen Riviera werden ständig für amerikanische Rechnung Filme gedreht. Immerhin befinden sich gegenwärtig in Los Angeles nicht weniger als 247 Filmunternehmungen und 58 große Ateliers für Filmaufnahmen.
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Auf dem Weg nach „Hollywood"

Der Zug (mit den berühmten Pullmann Waggons) hat sich durch die rauhen Felsenmassen der Rocky Mountains hindurchgebohrt und eilt nun über die sonnverbrannten Wüsteneien Arizonas, um endlich auf schwindelnd hoher Brücke den Coloradofluß und mit ihm die Grenze Kaliforniens zu überschreiten.

Hohes Gebirge türmt sich im Westen, und mitten in diesem Felslande hält der Zug bei mehreren freundlichen Ortschaften, deren wohlklingende Namen, wie San Bernardino, Altadena, Pomona den spanischen Ursprung verraten, der ja dem Lande seinen Charakter verleiht.

Bungalows in den mannigfaltigsten Formen liegen versteckt zwischen Eukalyptus-, Zitronen- und Orangenbäumen, Palmen und wilden Reben - endlich ist man am Ziele, in der Stadt "Unserer lieben Frau", der Engelskönigin, wie die spanischen Mönche ihre Missionsstation Reina de Los Angeles vor 150 Jahren getauft haben.

Auf der Fahrt vom Bahnhof ins Hotel erhält man sofort einen Begriff von der ungeheuren Ausdehnung dieser Stadt, die mit ihren 420 Quadratmeilen mehr Bodenfläche einnimmt als jede andere Siedlung der Welt mit Ausnahme Chikagos.
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Wir sind in Los Angeles angekommen

Sein Aufblühen verdankte Los Angeles, dessen Einwohnerzahl innerhalb 50 Jahren von 10.000 auf nahezu 2 Millionen gestiegen ist, zunächst dem Goldfieber der vierziger Jahre, dann dem Handel mit Bodenprodukten, Holz, Südfrüchten und vielen anderen Erwerbszweigen, vor allem aber dem Erdöl, denn die Stadt befindet sich über einem unterirdischen Petroleumsee - in den Vorstädten sieht man noch allenthalben die Bohrtürme.

Doch das ist heute mehr oder weniger alles in Vergessenheit geraten, es verschwindet neben jener Ansammlung von Jugend und Schönheit, Schminke und Puder, unscheinbaren Zelluloidstreifen und märchenhaften technischen Erfindungen, ewig rinnenden Goldströmen, Erregung, Abenteuern, Intrigen, Enttäuschungen und Gelächter, die in ihrer Verschmelzung das Filmwesen ausmachen.
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Das Klima von Los Angeles

Diesen neuen Goldzufluß hat die Stadt ihrem ganz wundervollen Klima zu verdanken, das sich für die Filmproduktion wie kein anderes eignet. Klare, trockene, nahezu unbewegte Luft; neun Monate des Jahres spannt sich ein ewig blauer Himmel über diesen gesegneten Gefilden, mit ungeheurer Kraft strahlt von morgens bis abends die Sonne, der Winterbegriff nach unserer Auffassung ist hier unbekannt, die Sommerhitze erträglich - eine verregnete Freilichtaufnahme ist undenkbar.

Das Auto rast durch das Chinesenviertel, dem ein mexikanischer Stadtteil folgt, und plötzlich, fast ohne Übergang, befindet man sich auf einem modernen Broadway, wie es ganz gleiche fast in jeder amerikanischen Stadt gibt; riesenhafte Gebäudefronten ohne jede persönliche Note, in rechtem Winkel von Straßen mit Nummernbezeichnung gekreuzt, führen in endlose Fernen.

Nur sucht man dort vergebens nach Wolkenkratzern, denn wir befinden uns auf unruhigem Boden, und kleinere Erdbeben sind an der Tagesordnung.
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Es riecht bereits nach „Hollywood"

Schon hier macht sich die Atmosphäre des Films geltend, obwohl Hollywood noch 10 Kilometer nach Osten entfernt liegt. Eine Kavalkade von Cowboys zieht vorbei, um im mexikanischen Vorort eine Szene zu spielen, vierspännige Reklamekarossen, ä la Daumont bespannt, verkünden ein neues Filmwunder, an einer Straßenecke wird gar eine Szene gedreht und der Verkehr ist für einige Minuten unterbrochen.

Von Los Angeles nach Westen über Hollywood bis an die Pazifische Küste herrscht die wildeste Terrainspekulation. Auf jedem noch nicht verbauten Fleckchen Erde erheben sich Plakatwände, um den Käufer anzulocken; alle Welt kauft, verkauft, baut, nimmt Hypotheken auf.

Bis in nebelhafte Fernen, wo sich die blauen Höhen des Cahuenga-Gebirges erheben, sind prächtige mit Bäumen und Lichtmasten versehene Avenuen gebaut, unter deren Makadamdecken die Wasserrohre und elektrischen Kabel bereits gelegt wurden. Viele Baugründe stehen noch leer, aber die Besitzer der Grundstücke und die Agenten lauern dort unter bunten Sonnenschirmen, mit Bestellbuch und Füllfeder ausgerüstet, auf die Kundschaft.

Die bewohnten Teile von Los Angeles machen im Sommer den Eindruck von Oasen inmitten einer Wüste. Unausgesetzte Bewässerung erhält den Rasen grün und die Gartenanlagen frisch, aber überall ringsherum hat die sengende Sonne alles verdorrt.

Die Hauptstraßenzüge sind von ungeheurer Länge, die Numerierung der Häuser geht in die Tausende; so befindet sich das Atelier Douglas Fairbanks am Santa Monica Boulevard Nr. 7.200, das Haus Chaplins am Sunsetboulevard trägt eine Nummer über 6.000.
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Der enorme Autoverkehr in „Hollywood" im Jahr 1927

Bei diesen riesenhaften Entfernungen ist denn auch der Autoverkehr enorm; in Los Angeles und Hollywood sollen sich über 600.000 Wagen befinden; 40 Prozent aller dort lebenden Menschen sind Autobesitzer. In Kalifornien allein zählt man mehr Autos als in ganz Frankreich. Die Straßenbahnen sind unzulänglich und werden zumeist nur von Farbigen und Eingeborenen benutzt.

Die 10 Kilometer lange Straße nach Hollywood ist beiderseits von den seltsamsten Bauten eingefaßt. Gegenwärtig schreibt die Mode für Bungalows und Privatbauten den spanischen „Missionsstil" vor: sehr viel weiße Stuckornamente, rotes Ziegeldach und rund um das Haus laufende Balkone.

Leider wird der gefällige Baustil dieser Häuser durch den oft nicht ganz gefestigten Geschmack des Filmvolkes überladen. Öfters beeinflußt auch ein beliebter Film den Stil der eben im Bau befindlichen Gebäude.

Neben den Privatvillen befinden sich zahllose Kaufläden und Restaurants, Bankhäuser und Realitätenbureaus; an jeder freien Straßenecke elegant aufgemachte Benzinstationen, die mit ihren sandbestreuten Höfen und Arkadengängen den vornehmen Pavillons großer Kurorte gleichen, dann auch Tempel in großer Zahl, wahrhaftige massivgebaute Tempel aller möglichen Sekten: Freimaurer, Baptisten, Christianer, Presbyterianer, Quäker - denn Kalifornien scheint für das Sektenwesen einen nahrhaften Boden abzugeben.

Endlich gelangt man nach Hollywood.

Auf weiten Flächen stehen fabrikartige Anlagen mit riesigen Hallen, Schloten und Wasserreservoirs. Ab und zu fesseln die seltsamsten Konstruktionen das Auge: Triumphbögen, Säulenhallen, chinesische Pagoden, Barockschlößchen und ähnliche Bauten für Freilichtaufnahmen.

Man biegt um eine Ecke und eine Gasse aus dem New Yorker Ghetto liegt vor einem; dort gewahrt man ein deutsches Dorf aus der Rheingegend mit seinen künstlichen Rebenhügeln, unweit davon eine halbzerschossene Kathedrale; am Flußufer stehen die Hütten von Südseeinsulanern, etwas weiter stromaufwärts die Wigwams der Rothäute, und nach ein paar Schritten befindet man sich gar mitten im Wiener Wurstelprater mit Ringelspiel und Schießbuden, Tanagratheater und Watschenmann.
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Irgendetwas stimmt nicht - es sieht alles zu künstlich aus

Die Atmosphäre der überall zwischen Gärten und Villen zerstreuten Studios, wie dort die Aufnahmeateliers samt den dazugehörigen Anlagen genannt werden, scheint durch die Fugen ihrer Wände zu dringen.

Nichts will mehr seinen natürlichen Eindruck machen: weder die Vegetation, denn die Blätter der Kakteen und Aloen sehen wie gestrichenes Zinkblech aus; noch der Himmel, dessen ewig tiefes Blau an einen gestellten Prospekt gemahnt; und die wundervollen tiefroten Tinten der schwindenden Sonne hält man für einen geschickten Beleuchtungseffekt.

Auch die Gebäude erinnern stets an Theaterdekorationen: schwache Holzgefüge mit Gips und Papiermache verkleidet, die den Eindruck des Unwirklichen machen; hinter den Fassaden sucht das Auge unwillkürlich nach den eisernen Stützen.

Die Menschen wirken bühnenmäßig, die Frauen übermäßig geschminkt, die Männer oft im Kostüm, zahllose Neger, Mongolen und Indianer verstärken den Eindruck des Märchenartigen, fast Gespensterhaften.

Man blickt auf das flache Dach eines Kinotheaters und gewahrt einen Araber mit Turban und Burnus, das Gewehr über der Schulter, gravitätisch auf und ab schreiten. Überall und in den verschiedensten Sprachen, worunter das Deutsche vorherrscht, hört man nur vom Film reden.

Man bewegt sich in einer Welt von Staffage, Theaterdekoration, Projektoren, Schminke und Zelluloid, man ist davon förmlich getränkt, übersättigt, und das Leben des Alltags erscheint schließlich nur noch als ein Abklatsch des Lichtbildes.

Alles wirkt gefällig, alles scheint bereit, in der nächsten Minute photographiert zu werden, alles ist nett, hübsch und süß, aber offen gestanden - seelenlos.
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Das ist Hollywood, die Hauptstadt der Welt des Films ......

......, die große Werkstatt der Kinematographie, in der nahezu 90 Prozent aller auf der Welt gezeigten Filme gedreht werden. Kein anderer Ort der Erde übt heute eine größere Anziehungskraft aus. Es ist das Land der Sehnsucht für alle Nationen der Welt geworden und besitzt die sicherste Reklame; denn in 50.000 über die ganze Welt verstreuten Kinotheatern wird es alltäglich 10 bis 20 Millionen Menschen ins Gedächtnis gerufen, verlockt sie mit der schimmernden Verheißung von Glück und Gold, zieht sie in den Abgrund oder erhebt sie zu den Sternen.
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