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Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)

Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.

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Kapitel 13
Nach dem "Unwetter"

Der Krieg ist aus, nun fängt der Kampf ums Überleben an. - Unsere Städte und Dörfer sind nicht verwüstet wie die der andern, nur etwas verkommen, weil überall die Fäuste der Männer gefehlt haben. Die werden nun wieder feste zupacken.
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Die Männer?

Wo sind sie geblieben? Wo?
Fast zwei Millionen liegen draußen auf den Schlachtfeldern. Geschlachtet für Deutschlands Ruhm.

»Siegreich wolln wir Frankreich schlagen!« Und wie sie Frankreich zerschlagen haben für Kaiser und Reich!

Die Franzosen

Die Franzosen sitzen auf ihren Trümmerhaufen. Und ihr alter Neidhaß gegen den >Erbfeind< brennt sich jetzt noch tiefer ein: Ihr Erbfeind, beneidet wegen seiner Tüchtigkeit. Und sie von uns beneidet wegen ihres >Laissez faire<.

Selbst heute noch - heute in 1990, da ich diese Zeilen schreibe - fühle ich unterschwellig diesen feinen Unterschied. Immer noch, trotz der Aussöhnung. Und trotz der für beide so lebenswichtigen, so behutsam gewachsenen und gepflegten Freundschaft.

Wo bleibt Papa?

Die Frauen hüben und drüben fragen: Wo sind unsere Männer?
Die Kinder: Wo bleibt Papa?

Es kamen viele Männer zu uns an den Rhein

O ja, es kamen viele Männer zu uns an den Rhein. Sie kamen in Strömen über die Bonner Rheinbrücke, gezeichnet vom Krieg ... aber in fremden Uniformen.
Sie tragen keine Siegermienen. Frontschweine, verlaust und verdreckt vom verzweifelten Ringen für wen, für was?

Amerikaner. Ich habe sie kommen sehen, habe gesehen, wie sie hier und da einem verhungerten Kind eine Tafel Schokolade schenkten ...

Und unsere eigenen Männer?

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  • 1.800.000 Deutsche sind in diesem Krieg gefallen,
  • 1.200.000 Österreicher,
  • 1.700.000 Russen,
  • 1.385.000 Franzosen,
  • 947.000 Engländer,
  • 650.000 Italiener,
  • 350.000 Rumänen.
  • 350.000 Türken,
  • 115.000 Amerikaner.

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Ströme von Blut düngen den Boden.
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Die ersten (Sieger) waren die Amerikaner

Die ersten, die über unsere Brücke fluten - in Reih und Glied, wie sich das für eine sieghafte Truppe gehört, aber lässig in ihren Bewegungen, fast souverän -, das sind die Amis. Nur so herübergekommen für einen kurzen Trip - wie man ihnen gesagt hat. Und was sie alles mit sich herumschleppen an eigener Ausrüstung und an kindlichen >Souvenirs<.

Während sie in Beuel rasteten, warfen sie heimlich wertvolles Heeresgut als lästigen Ballast unter einen Brückenbogen. Der Krieg ist doch aus! Was soll da der Plunder!

Eine echte Harley-Davidson

Ich starre mit großen Augen auf ein traumhaft schönes Motorrad, eine Harley-Davidson, die achtlos am Straßenrand liegt. Einer der Soldiers sieht es und lächelt jungenhaft: »Nimm sie dir doch, wenn du sie willst!«
Meine Bewunderung hat etwas in ihm angerührt. Denkt er in diesem Augenblick an die Stunde, in der er selber sein erstes Motorrad erhalten hat?

Ich sage: »Mein Bruder ist Amerikaner.« Da will er mehr wissen. Er nimmt Rudis Adresse entgegen, schreibt mir seine eigene Heimatadresse auf und schiebt die schwere Maschine zu den andern Sachen unter dem Brückenbogen.

Da liegt schon eine rote Indian. Und neben ihr - achtlos hingeschmissen - feldgraue Kästen mit Tragegurten. Deutsches Heeresgut, von den Amis erbeutet und wieder weggeworfen. Lästiger Ballast...

Die "Harley" retten

»Ich werde deinem Bruder schreiben!« verspricht mir der Ami. Die Motorräder und die vier feldgrauen Kästen packe ich auf ein gemietetes Pferdefuhrwerk und bringe sie nach Königswinter. Noch geht das, denn noch gibt es keine Zonen und keine Zonengrenzen.

Die Eltern sind entsetzt: »Willst du uns alle wegen Diebstahl von Heeresgut ins Gefängnis bringen? Melde das sofort der Polizei!«
»Aber die Harley hat mir doch ein Freund von Rudi geschenkt! Hier ist seine Adresse.« - »Auch amerikanische Soldaten dürfen Heeresgut nicht verschenken!«
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Und da waren richtige Funkgeräte

Ich gehe einen schweren Gang. Doch die Polizei hat zum Glück andere und sehr viel größere Sorgen. Ich soll mich im Lauf der kommenden Wochen wegen dem Kram noch einmal melden, sagt man unwillig. Damit habe ich mein Gewissen zunächst einmal erleichtert. Ich stelle die Indian bei einem Freund unter und die Harley kühn auf unsern Hof. Papa und Mama sind beruhigt. Die geheimnisvollen grauen Kästen bringe ich auf mein Zimmer. Funkgeräte! Die muß ich mir in aller Ruhe ansehen, wenn die erste Aufregung vorbei ist. Ich verstaue sie im Kleiderschrank.

Die Inflation kommt

Die Lebensmittelrationierungen werden eines Tages aufgehoben, damit aber auch die Preise. Ein neuer Begriff taucht auf: Inflation. Die Preise für alles steigen. Das Geld, das Papa auf der Bank hat, und das große Vermögen, das der Großvater uns Kindern vermacht hat - wohlbehütet durch einen klugen und verantwortungsbewußten Testamentsvollstrecker -, droht langsam dahin-zuschmelzen. Eine Situation, die noch keiner erlebt hat und der alle ratlos gegenüberstehen. Man beobachtet naiv, wie man >reich< wird - und in Wirklichkeit verarmt.

Preise für Butter, Brot, Fleisch, Zucker zu nennen ist sinnlos, wenn man sie nicht jedesmal in Vergleich zu anderem setzt. Beispielsweise zu dem Stundenlohn eines Metallarbeiters. Und selbst ein solcher Vergleich scheint sinnlos, denn die Preise und die Löhne haben sich inzwischen gewaltig gegeneinander verschoben.

Papa war dieser Situation nicht gewachsen

Papa, ein in Geldsachen völlig hilfloser Mann, ist dieser Situation nicht gewachsen. Als ihm ein Freund für ein wertvolles Grundstück einen >guten Preis< bietet, verkauft er es ihm für Papiergeld, das zum Schluß verfällt.

Eines Tages erscheint bei uns ein Amerikaner und bietet Papa auf Anregung Rudis, der sich aus Amerika gemeldet hat, 2000 seefest verpackte amerikanische Schreibmaschinen an. Eine Kapitalanlage, wie man sie sich nicht besser hätte träumen können. Papa lehnt strikt ab.

Papa macht Fehler über Fehler

»Rudi ist wohl verrückt; ich bin doch kein Schreibmaschinenhändler.«
Aber Rudi ist clever, läßt sich sein Erbteil sofort auszahlen und kauft dafür mit Hilfe eines Notars eine repräsentative Villa in Königswinter.

»Du wirst für deine Tausender eines Tages nicht einmal mehr ein Brot bekommen!« predigte Mama ihrem Mann. Vergebens. Sie hatte Mühe genug, weitere törichte Grundstücksverkäufe zu verhindern ... Es gab darüber oft erhebliche Auseinandersetzungen, in die ich sogar einzugreifen versuchte.
Nur was wir an Grundbesitz hatten, überstand die Inflation.

Statt mit 21 jetzt schon mit 18 volljährig

Wer weiß, ob das Geld für mein Studium noch übriggeblieben wäre, wenn der Testamentsvollstrecker nicht dafür gesorgt hätte, daß ich statt mit einundzwanzig schon mit achtzehn für großjährig erklärt wurde.

Kapitel 14
Wie wird man was? - Kann man Dichter erlernen?

Zunächst saß ich hilflos und unschlüssig herum und erkundigte mich an der Bonner Universität, ob ich dort nicht Schriftsteller studieren könnte.
Die Antwort war klar.
Was ich werden wollte, wußte ich. Doch wie, darüber bekam ich nirgends eine Antwort. Eine alte Frau sagte nur: »Das kann man nicht studieren, das ist man eines Tages ganz einfach.«
Ich könnte also nur ungelernter Arbeiter bleiben und dann anfangen zu schreiben? Verrückt.

Bockig wie ein Esel auf dem Drachenfels

Meine Mutter meinte: »Schriftstellerei ist eine Kunst und kann wie jede Kunst eine brotlose Kunst sein. Reite deinen Pegasus nur, wenn du nicht nötig hast, damit dein Brot zu verdienen. Du mußt etwas lernen - egal was. Und dann - aber erst dann - fang an zu schreiben.«
Nein, nein, das wollte nicht in meinen Schädel. Ich blieb bockig wie ein Esel auf dem Drachenfels.
»Also gut«, fuhr Mama fort. »Es gibt hier doch einen Chefredakteur, und der ist der beste Freund deines Vaters.«
»Herr Schoop?«
»Ja. Sprich mit ihm und frage ihn, was er davon hält, daß du Schriftsteller werden möchtest. Von ihm bekommst du eine Antwort, an der es nichts zu deuteln gibt.«
Das war ein vernünftiger Vorschlag. Ich bat Herrn Schoop um eine streng vertrauliche Unterredung.

Streng vertraulich, was ist passiert?

»Streng vertraulich? Um Himmels willen, was ist denn passiert?« - Herr Schoop war ein ruhiger, kluger Mann mit einem Vollbart. Also rein äußerlich so ziemlich das Gegenteil von dem, was man sich so gemeinhin unter einem Chefredakteur vorstellt. Er hatte schon am selben Nachmittag Zeit für mich und bestellte mich in die Redaktion. Sie bestand aus einem Stehpult, das in einer Ecke der Druckerei neben den Kästen der Setzer und den Druckmaschinen stand.

Das war viel weniger und doch sehr viel mehr

Michel Schoop war nicht nur ein sehr kluger Mann, der mich wie einen Sohn behandelte, er war viel mehr, doch das merkte ich erst mit der Zeit. »Also, wat jitt et?«

Ich redete mir bei ihm unter seinen gütigen Augen all meinen Kummer von der Seele. Er hörte gespannt und geduldig zu und unterbrach mich nicht.
Dann schwieg er eine qualvoll lange Zeit. Ich zitterte vor Spannung.
»Hast du deine Aufsatzhefte aus den beiden letzten Jahren noch?« fragte er schließlich zu meiner Überraschung. - Ich nickte stumm.

»Dann geh und hol sie. Ich werde sie lesen - und dann reden wir morgen weiter.«
Das war viel weniger, als ich erwartet hatte - und doch sehr viel mehr. Da ging endlich jemand sachlich auf meine Zukunftsträume ein. Ich rannte heim. Zehn Minuten später lagen die großen, sauber geschriebenen Aufsatzhefte vor ihm.

Stil, Sprache, Rechtschreibung - mustergültig

»Ich habe alle deine Aufsätze sorgfältig gelesen«, begann Michel Schoop am nächsten Tag.

»Stil, Sprache, Rechtschreibung - mustergültig. Aber das haben dir die Lehrer ja auch mit ihren Noten bestätigt. In einer Redaktion würdest du heute schon ein brauchbarer Korrektor sein. Sagen wir: Die Grundlagen für das Handwerk beherrschst du - das ist sehr viel. Aber ist das genug? Wirst du genügend originelle Einfälle haben, um dich mit deinem technischen Können künstlerisch erfolgreich durchzusetzen? Nehmen wir einmal an, ich könnte und würde dich heute in aller Form zum Schriftsteller oder - Dichter ernennen, was würdest du schreiben?«

Also - was würdest du schreiben?

Diese Frage traf mich wie ein Keulenschlag. Ich fing an zu stammeln, dummes Zeug zu reden, immer wieder zu sagen: »Ich möchte ...« aber nicht ein einziges Mal: »Ich werde.« So dumm habe ich in meinem ganzen Leben nie wieder dreingeschaut. Der Alte hatte mich an der Angel.

»Was, über was, in welcher Form würdest du schreiben? Gedichte, Reimgeklingel. Landschafts- oder Menschenschilderungen, Liebesgeschichten, Romane oder gar ein Drama für die Bühne?« Mir schwindelte.

»Ja, jetzt machst du große Augen. - Sag mir doch mal, was du weißt und so interessant findest, daß du darüber etwas schreiben könntest, was die Menschen mit Freude lesen würden...«

Und jetzt die bittere Wahrheit - gnadenlos

Der alte, erfahrene Redakteur nahm meine beiden Hände und hielt sie fest. »Wer etwas schreiben will, muß etwas zu sagen, zu erzählen, zu schildern haben. Hast du das - du Kiekindiewelt ? (ein Kiek in die Welt) Geh und sieh dich um. Lerne irgendwas. Sogar ein Handwerk, wenn dich das reizt. Und dann schreib darüber... Anders ausgedrückt: Lern erst was, studiere was. Oder möchtest du ein Gelegenheitsdichter werden? Dann geh und kauf dir für zwei Groschen das bei Reclam erschienene Reimlexikon. Es enthält alle Reime unserer Sprache. Liebe - Triebe, Sonne - Wonne, Wahl - Qual. Nur einen Reim wirst du darin nicht finden: den Reim auf Mensch. Den muß sich jeder selber suchen. Und das ist gut so.«
Aus der Traum. Ich war den Tränen nahe.

Rein zufällig und im Vorübergehen erschien Herr Schoop

Wenige Tage später erschien Herr Schoop überraschend bei meinen Eltern. Nur so im Vorübergehen, wie er sagte. Natürlich kam das Gespräch schon nach wenigen Minuten auf mich - und was ich denn nun so vorhätte.
»Zu spinnen«, sagte Papa verstimmt, und Mama versuchte zu glätten. So ein Entschluß sei schließlich ein Entschluß fürs Leben, und ob ein junger Mann von achtzehn Jahren unter den obwaltenden Umständen das überhaupt entscheiden könne ...

Das war ein Lichtblick

Nun rückte Papa Schoop mit einer interessanten Neuigkeit heraus. Er sei vor ein paar Tagen in Bonn gewesen und hätte ein bißchen bei meinen früheren Lehrern herumgehorcht. Schlechtes oder Abwertendes hätte er dabei über mich nicht zu hören bekommen, eigentlich sogar nur Gutes, und ein ganz dickes Lob von dem alten Physiklehrer; der nähme mich sofort zu seinem Assistenten, wenn das möglich wäre, denn so blitzblank wie zu meiner Zeit hätte sein physikalischer Klempnerladen von der Firma Leybold nie zuvor ausgesehen und funktioniert. Aus mir würde bestimmt mal ein Physiker oder so was Ähnliches.

Physik ? Das war doch nur eine rein platonische Liebe

Oho! Ich horchte auf. Gewiß, in Physik hatte ich immer besonders gut abgeschnitten, weil mich die schönen Demonstrationsgeräte besonders interessiert hatten, aber im Grunde war das doch nur eine rein platonische Liebe gewesen.

»Mit elektrischen Drähten, Batterien und Klingeln und sogar mit zwei Telefonapparaten hat er doch schon als Knirps herumgespielt«, seufzte meine Mutter. »Hättest du denn nicht Lust, Elektrotechnik oder etwas Ähnliches zu studieren?« Ich zuckte die Schultern und schwieg bockig.
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Volontäre seien die undankbarsten >Stifte<. Läuse im Pelz.

Herr Schoop meinte: »Der Inhaber der großen Kölner Elektrofirma Arthur Leser & Co. hat seit einem Vierteljahr an der Rheinallee eine Villa und ist jedes Wochenende mit der Familie hier. Man sollte ihn vielleicht in der Sache um Rat fragen.«

Die Gelegenheit dazu ergab sich schon wenige Tage später. Herr Leser, ein geborener Kölner, war das, was man eine stattliche Erscheinung nennt. Seine Firma lag am Marienplatz, also im Zentrum der Stadt, und genoß hohes Ansehen. Papa Schoop hatte ihn offenbar schon vorbereitet. Er kam deshalb gleich zur Sache.

Volontäre, sagte er zunächst einmal, seien die undankbarsten >Stifte<. Läuse im Pelz. Feine Pinkels, die sich zu allem zu schade seien und das notwendige Pflichtjahr so angenehm wie möglich hinter sich bringen wollten. Herumsteher, die die ordentlichen Lehrlinge nur vergrätzten.

Das war hart.
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Also - willst Du ein Jahr hart arbeiten und lernen ?

Doch dann lehnte er sich zurück und fuhr in freundschaftlichem Ton fort: »Ja, mein Junge, so sieht man das als Firmeninhaber. Aber wir sind ja gewissermaßen Nachbarn. Ich weiß, aus welchem Haus du kommst, und das ist eine gewisse Garantie. Wenn du wirklich Elektrotechniker oder Physiker werden willst, kannst du bei mir mehr als bei jeder andern Firma lernen - vorausgesetzt, daß du die Augen aufmachst. Aber stell dir ein solches Jahr nicht so einfach vor! Das heißt ein Jahr lang Strippen ziehen, Löcher in Betonwände stemmen, Isolierrohre verlegen, in der Werkstatt arbeiten, bohren, löten und in der Projektabteilung über Kostenvoranschlägen brüten.

Land in Sicht

Wo du dann studieren willst, ist eine Frage für sich; darüber nachzudenken, hast du ja auch noch etwas Zeit. Und wenn du einmal Fachschriftsteller werden möchtest - solche Leute brauchen wir jetzt und in den kommenden Jahren wie das tägliche Brot. Allein in meiner Firma sind vier der besten Ingenieure gefallen.«
Fachschriftsteller - das war ein neues Wort in meinem Verstandeskasten. Immerhin Schriftsteller... Da war Land in Sicht.

Aber wo "studieren" ?

Herr Leser riet zu Mittweida, einer Stadt in Sachsen. Die dortige Lehranstalt !! sei weltberühmt.
(Anmerkung : Das war mit Sicherheit damals schon etwas sehr übertrieben.)

Mittweida? Nie gehört. Im Atlas erst nach stundenlangem Suchen mit der Lupe zu finden. Ein besserer Flecken und zweifellos stinklangweilig. Das war bestimmt nichts für Papas Zweitgeborenen. Aber in unmittelbarer Nähe lag Chemnitz, eine Großstadt! Vielleicht, daß ich dort studieren oder wenigstens wohnen könnte...

  • Anmerkung : Bei der Recherche über die Ausbildung des verklärten Fernsehpioniers Walter Bruch kam es heraus. Mittweida war bis 1938/39 eine ganz normale Techniker-Schule. Also das mit dem "Studieren" wurde später hinein interpretiert. Angeblich hatte ja auch Walter Bruch "studiert". Doch das hatte so nicht gestimmt. Und Eduard Rhein (geb. 1900) war ja noch ein paar Jahre älter als Bruch (geb 1908).

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Gemacht - ein Jahr täglich nach Köln fahren

»Also?« fragte Herr Leser und streckte mir die Hand entgegen.

Ich schlug ein. Was blieb mir wohl in dieser Situation anderes übrig?
Zwei Wochen später saß ich morgens um sieben mit meiner Monatskarte und einem Paket gut belegter Butterbrote zum erstenmal im Personenzug nach Köln.

Solch ein Bummelzug hatte vier Klassen.

Man sagte geringschätzig Bummelzug, denn er hielt an jeder noch so kleinen Station. Die Fahrt nach Köln dauerte infolgedessen eineinhalb Stunden. Das hieß: täglich drei Stunden Bahnfahrt.
So ein Zug hatte vier Klassen.

  1. Die erste Klasse, mit rotem Samt gepolstert und mit nur fünf sehr breiten Sitzen sowie Kopfstützen und bequemen, hochklappbaren Armlehnen war die Luxusklasse.
  2. Die zweite Klasse in graugrünem Samt, mit etwas einfacheren, schmaleren Polstersitzen ohne Armlehnen für sieben Personen je Abteil.
  3. Die meistbenutzte dritte Klasse hatte Holzbänke aus schmalen Latten, die den Körperformen angepaßt waren, und neun Sitzplätze.
  4. Die vierte Klasse, >Für Reisende mit Traglasten <, benutzten Bauern mit ihren Kiepen oder Ziegen und Handwerker mit Möbelstücken. Sie hatte einfache Holzbänke mit niedrigen Lehnen und große Gepäckablagen. Platz für etwa sechzig Personen.

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(Dieses Vierklassensystem wurde erst am 3. Juni 1956 - international - vom Zweiklassensystem abgelöst.)
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Die Zeitangaben damals - wie heute noch in den USA

Da ich täglich neben acht Stunden harter Arbeit drei Stunden auf der Bahn verbringen mußte und die wenigen Abteile der zweiten Klasse oft besetzt waren, genehmigte mir Papa - großzügig wie eh und je - eine Monatskarte erster Klasse.
Der Tag hatte damals noch keine vierundzwanzig Stunden, sondern nur zwölf. Der Rest war Nacht. Die zweite Tageshälfte war auf den Fahrplänen und Schildern durch unterstrichene Minuten gekennzeichnet. (Erst ab 15. Mai 1927 durften die Uhren auf den deutschen Bahnhöfen dreizehn schlagen.)

  • Anmerkung : In USA gibt es 8 Uhr "am" und 8 Uhr "pm"  wobei am = after midnight bedeutet und pm = past midday (nach dem Mittag), also ab 12 Uhr Mittags = und das ist "hign noon".

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