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Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)

Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.

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Kapitel 12
Von Zepp zu Zepp

Es hat mir an dem nötigen Selbstvertrauen nie gefehlt, aber ich habe auch meine Grenzen gekannt und mich stets gehütet, sie zu überschreiten.

Als ich vor der Notwendigkeit stand, mein Abitur zu machen, wußte ich, daß ich trotz allen Wohlwollens der Lehrer unweigerlich durchrasseln würde.

In meiner Examensangst kam mir zu Hilfe, daß man kurz vor der Einberufung zum Militär ein >Notexamen< machen konnte und daß dabei beide Augen zugedrückt wurden, wenn man sonst einen einigermaßen intelligenten Eindruck machte. Den konnte ich machen - wenn's drauf ankam.

Den richtigen "Komiß" aussuchen

Ich war ein verwöhnter Typ und wurde überall mit Glacehandschuhen angefaßt. Unser Sportlehrer meinte, ich sei ein halber Sybarit (Anmerkung: Schlemmer oder Genußsüchtiger).

Beim Kommiß würde ich eingehen. - Aber Kommiß ist doch nicht gleich Kommiß! Da gab es doch eine Menge verschiedener Einheiten, und da müßte ich doch was Passendes finden können!

Also nachdenken! - Aha, Zeppeline . . .

Also nachdenken! Denken lohnt sich immer. Vielleicht, wenn ich bei den Zeppelinen unterkomme ...? Das war wenigstens interessant, und da brauchte man bestimmt nicht zu marschieren mit >Hinlegen! - Aufaufmarschmarsch! - Hinlegen!<
Aufaufmarschmarsch - zum Zepp! - Das mußte ich schaffen!

Ich rannte um Literatur über Luftschiffe wie Gross, Parseval und Zeppelin, sogar über Frei- und Fesselballone. Und meine Augen wurden immer größer. Teufel, Teufel, das konnte ja nicht bloß meine Rettung sein, das war ja eine himmelsnahe himmlische Welt!

Auf gehts zur Musterung

»Was liest du denn da? Du liest dir ja die Augen aus dem Kopf!« sagte meine Mutter besorgt, aber ich hatte nicht einmal Zeit zu einer sachlichen Antwort, wohl aber, als ich vorschriftsmäßig in frischgewaschenem Zustande zur Musterung ging, den Kopf voller Himmelskörper. Ich wußte darüber bestimmt mehr als irgendeiner der uniformierten Götter, die über mein Wohl (und Wehe) zu entscheiden hatten.

splitternackt und peinliche Fragen

Es begann mit der ärztlichen Untersuchung. Augenblickssache. Befund Kv. 1. Das hieß kriegsdienstverwendungsfähig, erste Wahl.

Als ich dann splitternackt vor dem hohen Stab stand, fragte man mich, ob ich zu einem bestimmten Truppenteil wolle. Diese Frage war üblich, wenn man sich, wie ich - (der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe) -, freiwillig gemeldet hatte. Man mußte den Wunsch aber sachlich begründen. - Nichts leichter als das!

»Ich möchte zum Zeppelin.« - Peinliche Stille. Da hatten sie wohl einen Irren erwischt.
»Aha!« sagte ein Uniformierter mit schlecht gespieltem Wohlwollen. »Und weshalb?« - »Weil ich die Technik der Luftschiffe genau kenne!«
Die hohen Herren sahen sich an. So was von Frechheit war ihnen noch nicht vorgekommen.
»Soso! Und was verstehen Sie darunter?« - »Ich habe die gesamte Literatur über die unstarren, halbstarren und starren Luftschiffe studiert und kenne alle Typen.«
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Ein von August von Parseval konstruiertes unstarres Luftschiff

War das zu glauben? Aber andererseits - soviel dreister Schwindel war dem nackten Jüngling wiederum auch nicht zuzutrauen. Ich sah die Ratlosigkeit in ihren Augen und wußte: Jetzt fällt die Entscheidung, denn wenn das stimmte, konnte man gar nicht anders, als ich wollte.
»So? Das sollte mich ja wundern! Wodurch unterscheidet sich denn der Parsifal vom Zeppelin?«

Ich hätte nun sagen können, das eine sei der Name eines Wagnerschen Opernhelden, und das andere wäre ein Luftschiff. Ich verkniff es mir aber und antwortete:

»Der Parseval ist ein von August von Parseval konstruiertes unstarres Luftschiff und erhält seine Form durch zusätzliche luftgefüllte Zellen, die automatisch unter Druck gehalten werden. Der Motor hängt an einem Kiel.«

Es hatte funktioniert - ich kam zu(r) LEA

Ach herrje, was hatte ich da in meiner Aufregung für einen Unsinn verzapft. Der Kiel war doch ein Teil des halbstarren Gross! Zu korrigieren gab's nichts mehr. Aus der Zeppelintraum!

»Ein Motor? Was Sie nicht sagen! Seit wann gibt's denn im Parseval einen Motor?« fragte ein jüngerer Offizier, der mich offenbar hereinlegen wollte.

Ach, du armes Würstchen, jetzt hätte ich ihn hereinlegen können, indem ich gesagt hätte: vom ersten Tage an. Ich schonte ihn aber und antwortete: »Seit 1906.« - Das war nämlich der Tag, an dem der erste Parseval seine Probefahrt gemacht hatte, aber das wußte hier bestimmt keiner.

Der Hauptmann mit den dicken Tressen sagte barsch: »LEA vier!« - »Abtreten!« ein anderer. - Und »Vortreten!« ein dritter. Das letzte Kommando galt aber schon dem langen Nackedei hinter mir. Ich ging ein paar Tische weiter - total erschlagen. Dort saß ein Schreiber.

»Ich wollte doch zum Zeppelin!« sagte ich kleinlaut. »Zu wollen haben Sie hier gar nichts - aber was wollen Sie denn noch für eine Extrawurst? Sie sind doch bei der LEA vier.« - »Darf ich denn wenigstens fragen, was das heißt?« - »Mann! Luftschiffer-Ersatz-Abteilung vier!«

Studieren und Nachdenken lohnt sich immer!

Luftschiffer? Ich war Luftschiffer? Ein zweiter Graf Zeppelin. Und ich stellte wieder einmal fest: Studieren und Nachdenken lohnt sich immer! Jedenfalls mehr, als hinter einem Ball herzurennen.

  • Anmerkung : Der Vater des Autors Redlich hatte 1940 während der Ausbildung gehört, daß Funker für Norwegen und Finnland gebraucht würden. Und die besten 3 würden genommen - und das spekulative Gerücht sagte, der Rest "darf" nach Russland. Mein Vater übte wie besessen Morsen und war der Beste und kam nach Finnland. Die anderen 30 sind fast alle in Russland gefallen oder sehr schwer verwundet worden.


Während ich mich anzog, kam mein langer Hintermann, sah mich freundlich lächelnd an und sagte: »Dat war jeschaff!« Er war rothaarig und sommersprossig und in jeder Hinsicht Apollos Gegenstück. Ich nickte nur und zog mir die Hose an. - »Un dat verdank ich dir.« Ich dachte, meinetwegen, und stopfte mir das Hemd in die Hose. »Dann sehn mer uns ja bald widder!«
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Übrigens, ich heiß Jupp - und du?

Wenn der bloß mit seinem Gesabbere aufhören wollte! Statt dessen musterte er mich wie ein Pony, das man kaufen soll.

»Haste ja janz schlau anjefange, Kompliment!« Und nach einer kurzen Verlegenheitspause: »Übrigens, ich heiß Jupp - und du?«

Darauf konnte ich die Antwort nicht schuldig bleiben. Ich zog meine schicke Jacke an und sagte kurz angebunden, schon im Hinausgehen: »Eduard.«

»Aha, Edewad - also 'n janz feiner Pinkel. Dann kömmste wohl aus Jodesberch?«

Er ging schon neben mir her, während er sich noch seinen schrecklich gemusterten Pulli überstreifte. »Nein, aus Königswinter.«

»Aha, von der ander Sick! - Mäht nix. Ävver Eduard!« Er spreizte den Namen wie ein unaussprechliches Fremdwort. »Bei mir heeßte Edi.« Er wechselte den Schritt und ging nun im Gleichschritt neben mir her. Ich fand darauf keine Antwort. Sollte er doch! Schon an der Ecke würde jeder seiner Wege gehen.
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Jupp ließ sich nicht abschütteln

Ich sagte »tschüß?!« und bog links ab, um ihn loszuwerden. Aber er ließ sich nicht abschütteln. »Beim Zeppelin wäre me ja nu zusamme ...«
»Beim Zepp? Wie kommst du denn zum Zeppelin?« - »Ich habe den Idioten denselben Quatsch vorjeschwindelt wie du. Also!« Er streckte mir seine große Arbeiterhand entgegen: »Dann auf Wiedersehn!«
»Wiedersehn! - Aua!« - »tschuldije!« - Wiedersehn? Den langen Labbes würde ich wohl nie mehr sehen. Ich legte auch keinen Wert darauf.
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Ein Männerwitz nur für Papa

Als ich heimkam, fragte mich Papa: »Na? Bist du beim Fußvolk gelandet?« - Ich antwortete mit einer Gegenfrage: »Weißt du, weshalb die Mädchen keine Luftschiffer werden können?«
Es war der Witz des Tages. Papa sah mich fragend an.
»Weil sie nicht lenkbar schiffen können!« flüsterte ich ihm zu. - Papa lachte. »Wo hast du denn den Witz her?« - »Vom Grafen Zeppelin persönlich.« - »Soll das heißen, daß du ...?« »Genau das!« - »Was hat der Junge denn da gesagt?« fragte meine Mutter. »Ach, das war nur was für Männer!«

Oho! Für Männer? - Ich war noch nicht beim Militär, und schon avanciert.
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Eine kurze Grundausbildung

Eine Woche später meldete ich mich an der Sammelstelle, wurde registriert und verfrachtet - wohin, weiß ich auch heute noch nicht -, wie jeder >gemeine< Soldat eingekleidet und der Masse Mensch einverleibt. In dieser Masse begrüßte mich mit großem Hallo der lange Labbes.

Er nahm mich gleich in Beschlag und kümmerte sich um mich wie eine Glucke um ihr letztes Küken. Unsere Betten standen nebeneinander. Das hatte er schon im voraus organisiert.

Dann kam der Drill. Er fand ihn >mächtig<, ich fand ihn tödlich. Hier war ich bestimmt in eine falsche Schachtel gerutscht. Ich gab mich auf ...
Mir war wie damals, kurz vor dem Ertrinken.

Es dauerte 4 Wochen

Noch einmal? - Nein! Das mußte geklärt werden. Woher ich die Frechheit nahm, unserm Oberleutnant das Befremdliche meiner Lage klarzumachen, wissen die Götter. Doch ich hatte das Glück, an einen gebildeten Menschen zu geraten, der sogar in Bonn studiert und bei Bellinghausen in Königswinter seinen >Doktor< gesoffen hatte.

Er sagte zwar nicht viel, aber eines ganz klar: daß ich nach der hiesigen Grundausbildung sofort zum Zeppelin nach Düsseldorf-Unterrath in Marsch gesetzt würde. So stände es in meinen Papieren. Es sei also alles in Ordnung.

Ersparen Sie mir die Schilderung all der Mißhandlungen, Gemeinheiten, Beleidigungen, Schindereien, die wir jungen Leute neben der unerläßlichen militärischen Ausbildung wehrlos ertragen mußten. Es war die Hölle.

Pünktlich nach vier Wochen wurde ich in die Schreibstube beordert. Und wer stand schon da und grinste mir augenzwinkernd zu? Jupp! Wir erhielten den ersehnten Marschbefehl, mit dem wir uns unverzüglich nach Düsseldorf-Unterrath zu bewegen hatten.
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Ein richtiger Zeppelin ganz aus der Nähe

Dort sah ich zum erstenmal einen Zeppelin ganz aus der Nähe - seine Dimensionen wirkten fast beängstigend. Im übrigen fühlte ich mich gleich sauwohl, zumal Jupp es selbstverständlich übernommen hatte, in der Mannschaftsbaracke zwei gute Betten nebeneinander zu organisieren.

Wir wurden dem Bodenpersonal zugeteilt. Auch dort ging es nicht ohne eine spezielle Ausbildung ab, doch was war das für ein Unterschied! Was wir jetzt erhielten, war eine technische Ausbildung, bei der jedem sein Platz zugewiesen wurde, jeder seine Spezialaufgabe hatte. Es gab viel zu lernen, und ich war mit Feuereifer dabei. Jupp - wie sich zeigte, ein kreuzbraver Bauernsohn aus der nächsten Umgebung Bonns, war mehr für die >handgreiflichen< Belehrungen.

250 Meter lang, Durchmesser 40 Meter!

Unser Zepp war der neueste Typ, 250 Meter lang, Durchmesser 40 Meter! - Mein Gott, so riesig hatte ich mir ein Luftschiff gar nicht vorgestellt.
Und erst die Halle! Sie war trotz ihrer Länge von etwa 300 Metern auf Eisenbahnschienen um ihre Mittelachse drehbar, damit das Luftschiff bei jeder Windrichtung von den Soldaten ohne besondere Schwierigkeiten hinaus- und hereingebracht werden konnte.

Wir waren eine >Mannschaft<, gewiß, aber wir waren noch viel mehr: Wir waren ein Verein, in dem jeder etwas anderes zu tun, jeder seinen genau vorgeschriebenen Platz hatte und alle Hand in Hand arbeiten mußten.
Unsere Vorgesetzten waren durchweg respekteinflößende, hervorragende Männer; ich glaube, es waren ausnahmslos Ingenieure.

Positiv aufgefallen - ab in die Schreibstube

Beim Fachunterricht fiel ich natürlich sofort durch meine im Höllentempo angelesenen Fachkenntnisse auf, obwohl sie gewiß nicht allzutief wurzelten.

Das hatte Folgen: Ich wurde in die - Schreibstube versetzt. Wer Soldat gewesen ist, weiß sicher, was das heißt: von allem übrigen Dienst bis auf wenige Ausnahmen befreit zu sein.

Ich sollte aber nicht helfen, den üblichen Papierkrieg zu bewältigen, sondern eine besondere Aufgabe übernehmen.

Nur noch dreizehn einsatzbereite Zeppeline

Wir hatten, wie ich bei meiner Arbeit erfuhr, in diesem letzten Kriegsjahr noch dreizehn einsatzbereite Zeppeline; sie waren unter anderem in Nordholz, Wittmundshaven, Ahlhorn, Löwenthal, Seddin, Seerappen, Düsseldorf-Unterrath und Mannheim-Sandhofen stationiert. Zwei weitere waren damals noch oder schon außer Dienst.

Fünfzehn Zeppeline - und fünfzehn unterschiedliche >Gebrauchsanweisungen<, sprich Dienstvorschriften<, sprich die notwendigen >Kommandos<. Das war ein Zustand, der schwerlich in den Rahmen einer preußischen Wehrmacht paßte, denn es klappte zwar überall wie am Schnürchen. Nur, es klappte in jedem Horst nach einem anderen >Schnürchen<. Jede Truppe hatte ihre eigenen bodenständigen Ballonkommandos, und die wichen teilweise erheblich voneinander ab.

Jetzt also Schreiber für Dienstvorschriften

Kurz und gut: Die in all den Jahren organisch gewachsenen, aber unterschiedlichen Kommandos mußten vereinheitlicht werden. Und dabei sollte ich - als Schreiber - helfen.

Wenn man (Anmerkung : im Rückblick) bedenkt, daß damals das Kriegsende schon recht nahe rückte, wird man sich fragen, weshalb eine solche Maßnahme noch durchgeführt wurde. Aber wer so denkt, kennt das Militär nicht. Die Nähe des Kriegsendes realisierte keiner. Nicht einmal Wilhelm II, obwohl es hier und da gefährlich gärte.

Herrliche Zeiten als freischaffender Schriftsteller

Was ich zu tun hatte, war im Grunde lächerlich einfach: Ich mußte die bei uns üblichen Kommandos auflisten, dann sollte ich von Horst zu Horst reisen und die dort üblichen Befehle vergleichend gegenüberstellen.
Anhand der Liste würde man sich dann rasch auf einheitliche Normalkommandos einigen.

Weshalb man gerade mich für diese Aufgabe ausersehen hatte, weiß ich nicht. Vielleicht, weil man mich beim Dienst am leichtesten entbehren konnte und für intelligent genug hielt, diese primitive Aufgabe orthographisch korrekt zu bewältigen.

Herrliche Zeiten! Ich war an keine Dienstvorschrift gebunden, sondern - wie man heute sagen würde - freischaffender Schriftsteller, der sich mit gezückter Feder wie ein wildgewordener Pressefotograf überall eindrängen und Fragen stellen durfte.

1918 - Versetzt zum Fliegerhorst Mannheim

Ich zog Linien auf weiße Bogen, malte Tabellen, setzte mit der Schreibmaschine die Kommandos ein und gab mir Mühe, alles so übersichtlich wie möglich zu machen.

Das gelang mir im eigenen Horst so gut, daß mich unser Hauptmann, der mir ab und zu über die Schulter sah, nach einem kurzen, schneidigen »Weitermachen!« - ungestört weitermachen ließ.

Eines Tages wurde meine Arbeit, soweit sie den eigenen Horst betraf, in einer großen Besprechung wie bei einem Generalstab vorgelesen, kurz diskutiert, hier und da geändert - und für gut befunden. Ein Grund, mich nun mit meinem Machwerk zu einem andern Horst zu kommandieren. Er lag dicht bei Mannheim und hieß Mannheim-Sandhofen.

In Brand geschossen und keine Überlebenden

Als Jupp das hörte, wurde er bleich. Daß ich nicht versetzt werden, sondern zu unserm Horst zurückkehren sollte, glaubte er nicht. Er war fest davon überzeugt, daß ich nun von einem Horst zum andern weitergereicht würde. Am liebsten hätte er mich als Schutzmann begleitet.

In Mannheim-Sandhofen herrschte bei meiner Ankunft gedrückte Stimmung: Ein Luftschiff war beim Feindflug in Brand geschossen worden. Keine Überlebenden.

Die Leute murrten über die schlechte Verpflegung

Offensichtlich als Reaktion auf diese Unglücksmeldung waren vier Mann Bodenpersonal vom Sonntagsurlaub nicht zurückgekehrt, man vermutete Fahnenflucht.

Die Leute murrten über die von Woche zu Woche schlechter werdende Verpflegung und meldeten sich viel öfter als gewöhnlich krank. Mich, den überall herumfragenden Vogel aus einem fremden Nest, behandelte man mit kühlem Mißtrauen. Ich kam deshalb nur langsam weiter. Man fürchtete wohl, künftig statt der eingefahrenen Kommandos >irgendwelchen papierenen Blödsinn< von den >Düsseldorfer Radschlägern< übernehmen zu müssen. Als ich nach zwölf Tagen endlich abreisen konnte, atmete ich auf.

Und dann hatten wir keine Zeppeline mehr

Aber auch im eigenen Horst sah ich nur mißmutige Gesichter. Selbst der unverwüstliche Jupp starrte von Zeit zu Zeit finster vor sich hin. Wenn das Wetter es erlaubte, war unser Zepp jede Nacht eingesetzt worden. In diesen Tagen hatte die Zahl der während des Krieges durchgeführten Englandflüge schließlich die Fünfzig erreicht. Kein Wunder, daß die Leute übermüdet waren und die Köpfe hängen ließen.

Eines Tages kam auch unser Zepp von einer Feindfahrt nicht zurück. Es hieß, wir würden ein neues, sehr viel größeres Luftschiff mit gewaltiger Steighöhe erhalten, das schon nach seinen ersten Probeeinsätzen zu einem Bombenflug nach New York starten sollte. Doch ehe wir das Wunderwerk zu Gesicht bekamen, war es in Frankreich bei einer Bombenfahrt vernichtet worden.

5 Tage später war der Krieg zuende

Mir stand eine neue Dienstreise bevor. Diesmal nach Seddin. Dort war man aufgeschlossener. Vier Tage später war ich schon wieder im Horst.

Dort erzählte mir Jupp, daß ein paar Leute einfach weggelaufen wären. Der Krieg, hätten sie gesagt, sei sowieso verloren, und sie planten nicht, sich noch in letzter Stunde verheizen zu lassen.

Am nächsten Tag schon hieß es, wir hätten kapituliert, der Kaiser sei geflohen.

Doch ehe unser Haufen das so richtig begriffen hatte, erschienen eines Tages sechs rüde Burschen in Räuberzivil und fragten uns, ob wir wie Dornröschen erst noch wach geküßt werden wollten.

Sie waren vom sogenannten >Arbeiter- und Soldatenrat< in (Köln-)Wahn, gaben uns Entlassungsscheine und forderten uns auf, schleunigst zu verduften.

Die Offiziere standen eine Weile ratlos da, mußten dann aber nach einigen vergeblichen Versuchen, mit höheren Stellen Kontakt aufzunehmen, aufgeben.

Entlassen und Nachhause

Mit meinem Entlassungsschein, dem ich - genau wie alle andern - nicht so recht traute, kam ich trotz etlicher Kontrollen unangefochten nach Hause. Auch für die Eltern ein Beweis dafür, daß der Krieg nach schrecklichen vier Jahren tatsächlich zu Ende war.

Daß Jupp den kleinen Umweg nicht scheute, mich bis nach Königswinter zu begleiten und mich meinen Eltern wie ein Treuhänder zu übergeben, gehörte ebenso in das Bild dieses handfesten, treuherzigen Burschen wie der Stolz, mit denen er Papa und Mama das Foto seiner >Braut< und ihrer vorehelich frischgebackenen Zwillinge zeigte.

Ein langer, kräftiger Händedruck, der mich fast in die Knie gehen ließ, dann die Versicherung: »Nächste Woch wied jehierot« - und aus.
Ich habe leider nie wieder von ihm gehört. Aber vergessen konnte ich ihn nie. Zuweilen fehlte er mir sogar. Er war, was Rudi mir nie gewesen ist - fast wie ein Bruder.

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