Sie sind hier : Startseite →  Literatur, Bücher + Prospekte→  1990 - Ein Jahrhundertmann→  Ein Jahrhundertmann-33/35

Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)

Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.

.

Kapitel 33
Evchen Künneke

Meine Verehrung für Künneke hatte mit der Zeit zu einer echten Freundschaft geführt, zumal auch seine Frau - stets in schwarze, wehende Schleier gehüllt - mich immer wieder einlud. Und schließlich bat auch Tochter Evchen mich ab und zu, mit ihr schwofen zu gehen. Evelyn war damals etwa 16, aber erstaunlich früh erstaunlich gut >entwickelt< und auch mit dem Mundwerk immer in vorderster Linie: ein ungemein reizvolles Kurfürstendamm-Produkt, dem es mächtig in den Beinen kribbelte.

Sie fing an zu steppen

Um dem abzuhelfen und weil es groß in Mode war, fing sie an zu steppen. Sie machte dabei so rasche Schritte - Fortschritte -, daß die Leute in der darunterliegenden Wohnung das Schlimmste befürchteten. Evchen wurde deshalb in ein kleines Hinterzimmer verlagert.

Dort stellte es sich heraus, daß Evchen wenn nicht zur Tänzerin, so doch zur Stepperin geboren war, und das sprach sie und sich rum.

Evchen wollte bei der Electrola vorsprechen

Steppen ist Musik ohne Musik, ich meine ohne Melodie oder so was Ähnliches. Steppen klingt ähnlich wie Kastagnetten: Man kann es solo allein und solo zu zweit betreiben - es ist jedenfalls ebenso an- wie aufregend. Die Spanierinnen üben es im wortwörtlichen Sinne als Hand-Werk, während ihre Partner mit den hoch-stöckeligen Schuhen dazu wie die geilen Hengste stampfen.

Kein Wunder, daß Evchen schon bald auf die ruhm- und goldträchtige Idee kam, bei der Electrola vorzusprechen, um vorzutanzen. Eine Künneke erreicht das leicht.

Evchen wollte singen

Am Vorabend dieses tanz- und kunstgeschichtlich historischen Ereignisses erschien ich wie verabredet gegen elf Uhr abends, um mit Meister Künneke - sofern er in Lust und Laune war - an unserm >Traumland< zu bauen.

An der Wohnungstür empfing mich Evchen. Ohne viel Drumherum zog sie mich ins rotsamtene Wohnzimmer und plazierte mich vor dem Telefon.

»Bitte nimm ab, sobald es klingelt.«
»Und wie soll ich mich melden?«
»Du sagst am besten gar nichts. Ich verschwinde jetzt ein paar Minuten, und wenn ich dann wiederkomme - na, wir werden ja sehen.«
Sie verschwand, und dann klingelte das Telefon. Ich nahm ab und lauschte in die Muschel. Da war was zu hören. Eine auf kindlichnaiv getrimmte Jungmädchenstimme sang irgendwas in Englisch.

Pause
.

Ich legte auf, und Evchen erschien.

»Na - jetzt bitte ganz ehrlich: Habe ich eine Mikrofonstimme?«
»Das weiß ich nicht, aber ganz sicher einen Vogel. Nach dem Gekrächze zu schließen einen Raben. So was kann man doch nicht an einem simplen Telefon feststellen.«

Ja, sie war's von einem Nebenapparat aus gewesen, und da sie am nächsten Vormittag bei der Electrola probesteppen sollte, konnte sie doch gleich - gewissermaßen in einem Aufwasch - auch probesingen.

Papa Künneke fiel zunächst aus allen Wolken

Man war von ihr begeistert, man machte Probeaufnahmen der singenden Stepperin, die erste Probepressung kam ein paar Tage später ins Haus, und Papa Künneke fiel zunächst aus allen Wolken.

Ich weiß nicht, ob er Evchen jemals für sein bestes Opus gehalten hat - gesagt hat er es nie, aber wie Väter nun mal sind...

Unter dem berühmten Namen des armen Wandergesellen durfte so was natürlich nicht in die Öffentlichkeit dringen. Man suchte einen Künstlernamen und fand auch bald ein stilvolles, englisch klingendes Pseudonym: King. Und der hausbackene Vorname Eva? Eine King kann natürlich nur Evelyne heißen, zumal damals gerade der Schlager im Schwung war:

»Wenn Evelyne nur die Achsel zuckt, wie da der Maxel guckt!«

Evelyne King - ein Künstlername

Mit diesem Künstlernamen trat unsere große Künstlerin - man vernehme es mit Staunen! - im Programm der weltberühmten Berliner SKALA auf. Daß das Pseudonym schon bei ihrem ersten Auftreten >diskret< gelüftet wurde, dafür hatte sie der Presse rechtzeitig einen Wink gegeben: Sie wolle sich eben nicht mit dem großen Namen als Reklame in Szene setzen.

Aus Evchen war ein Star geworden, und sie war wild entschlossen, sich diesen Star nicht stechen zu lassen ...

Kapitel 34
Ärger um das Wunder Karajan

»Bei all Ihrer Verehrung für Künneke - finden Sie ihn nicht reichlich naiv?« fragte Edwin von der Null. »Wie kann ein so feiner Komponist immer wieder diesen Operettenkram vertonen. Der Mann müßte eine Oper wie >Zar und Zimmermann komponieren!«

»Ganz meine Meinung«, antwortete ich. »Was fehlt, ist nur ein passendes Libretto, ein Verleger mit Opernehrgeiz, Opernverständnis, Opernbeziehungen und... dem noch nötigeren Mut. Schwer zu finden!«

»Ich müßte mal mit Göring sprechen; der tut doch hier und da was für Künstler«, entgegnete Null nach einer Weile. Aber damit war das Thema - wie mir schien - vom Tisch.

Edwin v. d. Null war auch ein Redakteur

Edwin v. d. Null besuchte mich ab und zu in der Redaktion, denn wir ritten beide dasselbe Steckenpferd - er meist im Konzertsaal, ich meist in meinem Labor mit Schallplatten, Verstärkern und Lautsprechern -, die Musik.

Altehrwürdige und moderne. Er sogar überkandidelte... wie ich meinte. Doch das tat unserer gegenseitigen Zuneigung oder Wertschätzung keinen Abbruch.

Mich schleppte er manchmal mit zu einem besonders interessanten "Neutöner" - er konnte dabei in Verzückung geraten, während mir der Verstand stehenblieb. Nachher beschimpfte ich ihn dann mitunter über die vertrödelte Zeit, während er seine begeisterte Kritik schrieb.

Trotzdem war es fast ausschließlich die Musik, die uns verband.

offensichtlich oder offenhörlich

Er besaß einen riesigen Schatz an Schallplatten, kaufte sich ständig neue und beklagte sich dann über die >saumiserable< Wiedergabe, während ich die aus heutiger Sicht gewiß recht bejammernswerte >Klangtreue< mit reinem Gewissen verteidigte, denn ich wußte nur zu gut um die vielen Schwierigkeiten, die sich einer idealen, originalgetreuen Wiedergabe noch entgegenstellten.

Ich sprach von der >Kunst des Möglichen<, er von dem mangelhaften Hörvermögen der Techniker, denn er war fest davon überzeugt, daß der offensichtliche (müßte es nicht heißen >offenhörliche< ?) Mangel an Glanztönen der Musik nur dazu diente, allen Unmusikalischen eine möglichst schmalzige Wiedergabe um die Ohren zu schmieren.

Doch eines Nachts kam etwas Angst auf

Wir saßen dann oft abends noch in meinem Labor und probierten einen Lautsprecher und einen Klangregler nach dem andern aus. Einig in der Beurteilung wurden wir dabei aber nie...

Seine Kritiken brachten ihm oft Ärger, denn er war ebenso draufgängerisch wie ich auf meinem Sektor.

Doch eines Nachts muß er wohl etwas Angst vor der eigenen Courage bekommen haben, denn er rief mich spät nach Mitternacht an und sagte:
»Morgen platzt eine Bombe. Wenn die BZ die Überschrift tatsächlich bringt, krieg ich von gewisser Seite einen Mordskrach zu hören. Ich war nämlich heute bei dem ersten Konzert dieses von Karajan.«
»Der wird Sie auch nicht erschießen!«
»Der nicht, aber einer seiner Kollegen. Die Überschrift lautet nämlich: >Das Wunder Karajan ...<.«

Ich wünschte ihm viel Spaß und schloß mit dem rheinischen Sprichwort: »Et jitt fürwohr kei jrößer Leid, als wat der Minsch sich silles angedeiht. - Good night!«

Zum Glück - der Ullstein Verlag sah das sehr souverän

Daß das Wort vom Wunder Karajan den Dirigenten ein ganzes Leben lang verfolgen sollte, ahnten damals weder von der Null noch ich.

Aber den Ärger, den er vorausgeahnt hatte, bekam er knüppeldick. Furtwängler tobte und beschimpfte ihn und beschwerte sich über seine >maßlose< Kritik beim Verlag.

Aber glauben Sie nicht, daß man ihm im Verlag deswegen auch nur die geringsten Vorhaltungen oder gar Vorwürfe gemacht hätte. In dieser Hinsicht war der Verlag souverän. Das zu wissen hat auch mir oft den Rücken gestärkt.
.

Kapitel 35
Das Mädchen und der Eroto-Dichter

Durch Zufall lernte ich eines Tages im >Medwjet<, einer Nachtbar nahe dem Wittenbergplatz, die Mann-Wedekind-Clique kennen, mit Gründgens als Freund von Klaus Mann. Die Dichterkinder taten alle, als hätte jeder von ihnen den Nobelpreis für die Buddenbrooks erhalten oder >Frühlings-Erwachen< geschrieben, gaben schrecklich an und waren entsprechend unbeliebt.

Ein kleines Erlebnis mit Hanns-Heinz Ewers

Aber das nur am Rande - wie auch das folgende kleine Erlebnis mit dem Schriftsteller Hanns-Heinz Ewers.

Kennengelernt hatte ich ihn kurz vor dem Ersten Weltkrieg; damals erregte ein Bonner Fotograf besonderes Aufsehen, weil er als erster alle Porträts bei elektrischem Licht machte. Papa und Mama waren wieder einmal in Bonn gewesen, um sich den neuesten Asta-Nielsen-Film anzusehen und hatten sich bei diesem Fotografen - er hieß Hogrefe - aufnehmen lassen. Die Bilder waren Meisterwerke, und deshalb durfte ich eines Tages auch zu ihm gehen, um mich zusammen mit meiner jüngsten Schwester fotografieren zu lassen.

Der berühmte Verfasser des noch viel berühmteren Romans >Alraune<

Wir kamen pünktlich wie bestellt - und mußten warten, denn Herr Hogrefe hatte überraschend hohen Besuch erhalten: Hanns-Heinz Ewers, den berühmten Verfasser des noch viel berühmteren Romans >Alraune<.

Er hatte damals schon >Die Teufelsjäger< und viele Novellenbände wie >Das Grauen<, >Mein Begräbnis<, >Die Besessenem< und die Reisebeschreibungen >Indien und ich< und >Mit meinen Augen< veröffentlicht.

Der >Dichter< - wie er sich gern nannte - war gekommen, um eine ganze Serie von Porträts machen zu lassen. Alle natürlich mit Monokel und deutlich sichtbaren Schmissen aus seiner Bonner Studienzeit.

Wir saßen in dem großen Atelier und sahen zu.

Sechs Abzüge von Ewers gratis

Ewers erfuhr dabei zu seiner Überraschung, daß ich alle seine Bücher gelesen hatte, und nicht nur seine, sondern auch die der anderen Phantasten wie Edgar Allan Poe, Villiers de lTsle-Adam und Gustav Meyrink. Ich bat um die Erlaubnis, mir bei Hogrefe eines seiner Porträts bestellen zu dürfen.

Als ich unsere eigenen Aufnahmen eine Woche später abholte, gab Hogrefe mir sogar sechs Abzüge von Ewers umsonst.

viele Jahre später

Diese Fotobekanntschaft führte viele Jahre später zu einem seltsamen Erlebnis:

Auf dem jährlich stattfindenden Silvesterball am Zoo traf ich Ewers zufällig wieder. Wir standen oben an der Brüstung und beobachteten das Erscheinen der Gäste. Ein reizendes Mädchen - die mir bekannte Tochter eines AEG-Direktors - drängte sich zwischen uns. Plötzlich stieß sie einen diskreten Schrei aus: »Ooch - da unten, die mit den roten Haaren, das ist die lesbische Freundin von der Dietrich, die jeden Abend im Kurfürstendamm-Theater - Arm in Arm mit der langen, dürren Margo Lion - das Lied singt:

  • >Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin
  • durch die Straßen latschen, um sich auszutratschen.. .<

.

Die Dietrich damals . . . .

Marlene Dietrich war damals noch kein knabenschlanker blauer Engel, sondern ein bißchen pummelig. Drei waagerechte Stirnfalten und ihre Nase schrien nach einem Chirurgen.

»Wie bitte?« fragte Ewers erstaunt. Und ließ sich dann scheinbar staunend von dem achtzehnjährigen Berliner Mädchen genau erklären, was lesbisch bedeute und was denn da so zwischen den zwei Frauen lief. Das sei doch wider die Natur.

Das arglose Kind redete sich in Eifer und konnte kaum fassen, daß ein erwachsener Herr über >so was< noch nicht aufgeklärt war. Ich mußte mir auf die Zunge beißen, um nicht vor Lachen zu platzen.

Als Ewers alles ganz genau erfahren hatte, verabschiedete er sich höflich und suchte nach seinem Verleger Lange.

Dann habe ich das aufgeklärte Mädchen aufgeklärt

»Haben Sie eigentlich schon den Roman >Alraune< gelesen?« fragte ich das aufgeklärte Mädchen. - Ihre Augen wurden ganz weit.

»Alraune, ach! Das kenne ich fast auswendig: >Nicht dir, liebes Schwesterlein, schrieb ich dies Buch. Deine Augen sind blau und gut und wissen nichts von den Sünden .. .<«

»Aber wenn Sie Ewers so verehren, warum haben Sie sich dann nicht ein Autogramm von ihm geben lassen?«

Und nun mußte ich das brave Töchterlein aus gutem Hause darüber aufklären, daß sie soeben keinen andern als den Eroto-Dichter Hanns-Heinz Ewers - aufgeklärt hatte.

- Werbung Dezent -
Zur Startseite - © 2006 / 2024 - Deutsches Fernsehmuseum Filzbaden - Copyright by Dipl. Ing. Gert Redlich - DSGVO - Privatsphäre - Redaktions-Telefon - zum Flohmarkt
Bitte einfach nur lächeln: Diese Seiten sind garantiert RDE / IPW zertifiziert und für Leser von 5 bis 108 Jahren freigegeben - kostenlos natürlich.