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Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)

Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.

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Kapitel 108
Die >idealen< Mitarbeiter und Christian Kracht

An der ungewöhnlich hohen Intelligenz Springers habe ich nie gezweifelt. Er war ein Charmeur, ein Blender - und wußte es. Er war körperlich anfällig - und wußte es. Und er hat sich in diesem Punkte nichts vorgemacht. Jeder seiner späteren Berater war ihm an Fachkönnen und Selbstsicherheit überlegen. Deshalb brauchte er sie und - fürchtete er sie zugleich.

Wer zu stark war, mußte gehen.

Eine seiner charakteristischsten Redensarten war: »Ich möchte meinen ... Ich möchte mal so sagen ...«

Wurde einer an seiner Seite zu >mächtig<, sah er in ihm eine Gefahr. Wer zu stark war, mußte gehen. Es gibt dafür Dutzende von Beispielen. Seine Tragödie war, daß er sich seiner Halbbildung bewußt war und der Tatsache, daß er sich damit bei all den anderen, mit profunderem Wissen ausgestatteten durchsetzen mußte. Durchsetzen - nicht durchschlagen; dazu war er zu schwach.

Chefredakteur Otto Siemer starb zu früh

Sein Idealtyp war der sehr tüchtige erste Chefredakteur des HAMBURGER ABENDBLATTES, Otto Siemer, ein sehr ruhiger Mann, der ihm zwar nie widersprach, vor allem nicht in Gegenwart anderer, aber doch nur das tat, was für seine Zeitung gut und richtig war. Er starb ihm leider viel zu früh weg.

Christian Kracht

Und dann Christian Kracht. Klein, still und bescheiden auftretend, fast schüchtern wirkend, aber ein Mann, der genau wußte, was er konnte, der Springers Unsicherheit natürlich schnell erkannt hatte und in seiner ruhigen Art, fast schwächlich wirkend, als sein Generalbevollmächtigter Entscheidungen von größter Tragweite mit einer erstaunlichen Sicherheit und Gelassenheit traf. Ihn schickte Springer immer vor, und jeder Verhandlungspartner mußte schon bald erkennen, daß nicht brutale Überlegenheit, sondern hohe Intelligenz die Stärke dieses Mannes war.

Kracht war also im Grunde genau der Mann . . .

Kracht war kein >Kerl<. Kracht schlug nie mit der Faust auf den Tisch, aber er lächelte zuweilen - und das konnte gefährlich werden. Kracht war also im Grunde genau der Mann, den Springer an der Spitze seines Unternehmens brauchte ... aber auch Kracht wurde ihm mit der Zeit zu selbständig, ja - wie es ihm in seiner Unsicherheit scheinen mußte - nachgerade gefährlich.

Als einmal ein Verhandlungspartner eine Entgegenhaltung mit der Bemerkung einleitete: »Aber Herr Kracht meinte doch ...« spürte er Unbehagen.
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Kartoffeln aus dem Feuer holen sollten andere

Springer ließ heiße Kartoffeln ausnahmslos andere aus dem Feuer holen. Er war ängstlich. Selbst in seinen allerprivatesten, ja intimsten Angelegenheiten >traute< er sich nicht, ein hartes, entscheidendes Wort zu sprechen. Dazu benutzte er andere.

Kapitel 109
Beunruhigende Entwicklungen

Eines Tages setzte eine Entwicklung ein, die mit einer lautlosen, aber dennoch bestürzenden Explosion begann, aber noch nicht ahnen ließ, daß Dinge sich bewegten oder bewegt wurden, die immer weitere Kreise ziehn und schließlich auch mich treffen sollten.

Eines Abends überraschender Besuch von Christian Kracht

Ich halte nichts von Vorahnungen, Spökenkiekerei oder überirdischen Kräften, nahm aber das, was geschah, mit Verständnislosigkeit, ja Ratlosigkeit zur Kenntnis, denn eingreifen, etwas ändern, konnte ich nicht, und es stand mir auch nicht zu, denn von manchem verstand ich nichts.

Es begann eines Abends mit dem überraschenden Besuch Christian Krachts. Er war blaß und ließ sich nach einem kurzen Gruß wortlos in einen Sessel fallen. »Ist Ihnen nicht wohl? Kann ich etwas für Sie tun?« Abwehrendes Kopfschütteln. Dann nach einer langen Pause: »Darf ich hier sitzen... nichts weiter, nur sitzen!« Ich war besorgt. Das war nicht seine Art. Aber ich kannte ihn viel zu gut, um zu wissen, daß ich mit jeder besorgten Frage nur stören würde. Irgend etwas ganz Ungewöhnliches mußte passiert sein. Irgend etwas, was diesen immer ruhigen, ausgeglichenen Mann völlig aus der Fassung gebracht hatte ... Zwei Stunden später ging er.

Kracht hatte einen brutalen Auftrag auszuführen

Er sagte: »Ich habe noch nie eine Frau so herzzerreißend weinen sehn, so fassungslos, so verzweifelt. Es war mir unbeschreiblich peinlich. Aber ich hatte einen brutalen Auftrag auszuführen.« Er übergab mir einen großen verschlossenen Umschlag: »Das ist ein Dokument von enormer Wichtigkeit. Ich fühle mich nicht wohl und möchte diese Nacht nicht nach Hause gehn. Würden Sie es zur Sicherheit bis morgen Vormittag in Ihrem Tresor einschließen? Ich hole es dann persönlich ab.«

Wenn man einem Freund nicht helfen kann

Ein langer Händedruck, eine Umarmung und das ohnmächtige Gefühl, einem Freund nicht raten oder helfen zu können. Ich zergrübelte mir ergebnislos den Kopf. Später wußte ich, er sollte Springers dritter Frau Rosemarie die Trennung verkünden.
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Viele Gerüchte machen auf einmal die Runde

Unglaubliche Gerüchte um Peter Tamm. Er ist Hamburger. Einer der ersten, die sich Springer geholt hat: jung, groß, kräftig, gut aussehend, ein handfester bodenverwachsener Bursche.

Einer, dem die Vertrauenswürdigkeit aus den Augen leuchtet. Beruf Redakteur für Schiffahrtsfragen. Typ: >Meine Heimat ist das Meer<. Als Springer und ich damals die Einladung nach den USA erhielten, habe ich Will geschickt und Springer Peter Tamm.

Tamm hatte das besondere Vertrauen Springers. Auch in Geldfragen. Manche meinten: der hat den Marschallstab im Tornister. Da geht eines Tages das Gerücht: Tamm fliegt raus. Geldgeschichten. Will fährt jedem übers Maul. Tamm kocht vor Wut. Peinliche Untersuchungen. Und das noch peinlichere Ergebnis: Tamm glänzend rehabilitiert.

Axel Springer trennt sich von Frau Rosemarie

Eines Tages sagt Kracht trocken: »Axel hat sich vor ein paar Tagen ganz plötzlich von Rosemarie getrennt.« - »Was? Von der reizenden, immer gutmütigen Rosemarie? Wie ist das möglich? Wieso denn das?« - »Kein Kommentar, bitte keine Fragen!«
Ein Blitz aus wolkenlosem Himmel. Ich habe Rosemarie immer besonders verehrt.

Später erfahre ich: Sie darf auf Lebenszeit das Gut Hailoh besitzen. Dort kann sie ihre geliebten Pferde züchten. Wenn sie heiratet oder stirbt, fällt das Gut an Friede. Aber es gab doch keinen Heiratsvertrag. Hatte die Überrumpelte demnach nicht enorme Ansprüche . . . verschenkt?

Ganz oben ist mehrfach mein Name gefallen

Fräulein Schröder, die Chefsekretärin von Voß, begegnet mir eines abends im Paternoster. Sie ist blaß. Verweinte Augen.

Ich sehe sie besorgt an, eine unausgesprochene Frage. Doch sie lächelt nur wehmütig. Sie ist nicht ansprechbar. Im Hause munkelt man, es sei zwischen Springer und Voß zu einer sehr heftigen Auseinandersetzung gekommen, und dabei sei mehrmals mein Name gefallen. So was hat es noch nicht gegeben. Und mein Name? Wieso? Voß erscheint mehrere Tage nicht im Verlag. Es riecht nach dicker Luft.

Auch in Ungnade gefallen - Peter Boenisch

Peter Boenisch - geboren in Berlin, Vater ehemaliger UFA-Direktor mit reizender russischer Mamuschka, erfahrener geschickter Journalist, Rußlandkenner, der - im Gegensatz zu mir - was von Politik versteht, ist bei Springer Hahn im Korb. Ein Sonnyboy, überall beliebt, Schwärm aller Mädchenherzen, kluger Berater in politischen Fragen.

Boenisch ist von heute auf morgen aus Springers Nähe verbannt und sitzt irgendwo anders im Haus. Weshalb, weiß er nicht.

Axel Springer heiratet zum vierten Mal

»Herr Springer hat wieder geheiratet. Zum viertenmal. Die Trauung hat heimlich in einem Schweizer Hotel stattgefunden.«
»Die Trauung? Sie meinen die Hochzeit.«
»Nein, die Trauung. Eine kostspielige Ausnahme. Natürlich auch die Hochzeitsfeier. Aber im allerkleinsten Kreis.
»Und wer ist die Glückliche?«
»Mausi. Wieder eine ehemalige Frau seines Freundes Alsen.«
»Machen Sie keine Witze!«
»Sie heißt eigentlich Helga und bringt zwei nette Kinder mit in die neue Ehe.«
Ich habe Mausi später zum erstenmal beim Kauf meines Hauses gesehn. Eine sehr schöne, elegante Erscheinung. Sowohl Springer wie Alsen haben bei der Wahl ihrer Frauen Geschmack bewiesen. Mausi ist nun schon Springers vierte Frau.

Seltsames Auf und Ab

Kracht sitzt als Generalbevollmächtigter fest im Sattel und berät und vertritt Springer bei allen wichtigen Entscheidungen. Springer läßt ihn alle - auch die größten und wichtigsten Verträge unterzeichnen. Eine seltsame, kaum glaubhafte . . . Marotte. Oder etwa eine Art Aberglaube?

Peter Boenisch ist im Paternoster wieder ganz nach oben geholt worden. Jetzt wird er unterschwellig sogar als zukünftiger Chefredakteur der welt gehandelt. . .

Das Verhältnis Springer/Voß hat sich mit der Zeit zweifellos stark abgekühlt. Springer sagt, daß er alle großen verlegerischen Pläne entworfen hätte, Voß sei mit seiner >bürokratischen Bedachtsamkeit< immer mehr Bremser als Mitzieher gewesen. Ist leicht übertrieben, stimmt aber. Andererseits hat der oft zu allzu fantastisehen Ufern strebende Springer immer einen Mahner gebraucht. Auch ich habe zuweilen zur Vorsicht gemahnt.

Boenisch ist eines Tages tatsächlich Chefredakteur der WELT. Ich habe als Gast an einer Redaktions-Konferenz in Bonn teilgenommen und dabei seine souveräne Art im Stillen bewundert.

Springer bekommt noch einen Sohn

Mordsüberraschung. Freunde atmen auf: Springer wird ein zweiter Sohn geboren. Beruhigend im Blick auf sein Alter und das Imperium. Ich ahne, wie ihm ist und gratuliere aus vollem Herzen. Da hat die Ehe mit Mausi doch ihr Gutes!

Peter Boenisch wird gefeuert

Boenisch ist Chefredakteur der WELT - gewesen. Die Richtung gefiel Springer nicht. Er war ihm zu liberal, aber die Redakteure der WELT haben ihn schwärmerisch verehrt. Also wieder ein neuer WELT-Chef. Der Zwölfte... Das schadet dem Blatt gewaltig. Macht Springer jetzt in Politik?

Springer läßt sich wieder scheiden

Neue Sensation: Ehescheidung von Mausi, der Mutter des zweiten Sohnes. Das kann zu Konflikten mit dem zweiten Sohn führen! Mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken...

Geschehe, was da will, die Karawane HÖR ZU zieht weiter: mit 4 1/4 Millionen der fünften Million entgegen.

Axel Springer heiratet zum fünften Mal

Springer heiratet seine fünfte Frau. Taufname Elfriede, Rufname Friede. Eine stille besonnene Holsteinerin. Sie ist als Kindermädchen seines zweiten Sohnes Raimund Nicolaus im Hause tätig gewesen. Offensichtlich die Frau, die der nun rasch alternde, ständig kränkelnde Mann braucht.

Offene Frage: Was wird nun mit dem gut gewachsenen, gut aussehenden Sohn aus der zerbrochenen vierten Ehe? Wird Springer ihm ein echter Vater, - wird der Sohn ihm ein echter Sohn sein können und... mögen? Gibt es überhaupt einen Thronfolger? Klar! Aggeli! Skepsis überall.
Ich denke an die Szene mit Aggeli vor vielen Jahren am Falkenstein: »... mein Sohn, der einmal ein großes Erbe antreten und mehren soll...«

Und noch mehr Gerüchte

Und ich sehe - gegen meinen angeborenen Optimismus - auf einmal rabenschwarz, denn was ich in letzter Zeit über Aggeli höre stimmt mich traurig ...

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