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Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)

Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.

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Kapitel 85
1949 - Mein Füllschriftverfahren verfahren . . . .

Schon kurz nach unserem Einzug in die Johnsallee benutzte ich jede freie Minute zum Auf- und Ausbau meines Füllschriftverfahrens. Es geisterte in meinem Kopf rum und beschäftigte mich andauernd.
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Im Geiste war es schon fertig - aber nur theoretisch.

Dazu brauchte ich vor allem zwei Dinge - große Dinge, die es in 1949 nirgends zu kaufen gab: eine zwei Zentner schwere Maschine zum Schneiden von Wachsplatten und ein Magnetophon. Ohne sie anzufangen war sinnlos, denn theoretisch waren alle Probleme schon gelöst ... wie ich glaubte.

Zuerst war es ein trostloses Laboratorium

Ich entfaltete die geretteten riesigen Schaltpläne und tapezierte damit die Wände, ich schaffte zwei der eingehandelten Tische in den großen, kahlen Raum, legte vier elektrische Universalmeßgeräte und ein paar Meßstrippen darauf, stellte die Wehrmachtskisten so übereinander, daß sie wie Schränke geöffnet werden konnten, sortierte ihren reichlichen Inhalt und bildete mir ein, nun hätte ich wieder ein Laboratorium.

Es war mehr als trostlos.
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Woher eine Wachsschneidemaschine . . . .

Woher sollte ich eine Wachsschneidemaschine bekommen? Ob der Rundfunk noch eine der früher benutzten Maschinen hatte? Er war schon während des Krieges dazu übergegangen, alles auf Band zu nehmen.

Ich besuchte Dr. Nestel, erzählte ihm von meiner bisher ängstlich geheimgehaltenen Erfindung und fragte ihn, ob nicht in dem großen Haus noch eine Wachsmaschine nutzlos herumstände, die er mir leihen könnte.

Dr. Nestel hatte eine dieser Wachsschneidemaschinen

Nestel war ganz Ohr und von der Durchführbarkeit meiner Idee gleich so überzeugt, daß er mir spontan seine Hilfe anbot.

»Mal hören, ob hier noch eines von den Ungetümen herumsteht, oder ob sie inzwischen verschrottet worden sind.« Es standen noch drei herum, und dabei lagen noch zwanzig neue Wachse, in weichgepolsterten Spezialkartons.

»Eine von den Maschinen kann ich Ihnen leihen - ich werde sie vorher von unseren Technikern untersuchen und nötigenfalls in Ordnung bringen lassen - und die Wachse, die nehmen Sie gleich alle, denn die gehen ja mit der Zeit bei Ihren Versuchen ohnehin drauf.«

Ich war überglücklich, denn wenn ich erst die Wachsmaschine hatte, konnte ich ein paar grundlegende Versuche auch ohne Magnetophone - zur Not sogar mit einem gewöhnlichen Plattenspieler machen.

Es wurde sogar frei Haus angeliefert

Die Wachsmaschine und die schweren Wachse wurden vom Rundfunk schon zwei Tage später frei Haus geliefert und von den Rundfunktechnikern gleich sachkundig aufgestellt.

»Wenn Sie damit Anfangsschwierigkeiten haben, rufen Sie nur an«, sagte einer der Männer. »Ich komme dann und weise Sie oder Ihre Leute ein.«
Großartig! Ich war ganz weg vor Freude.

Und wegen eines Magnetophons . . . . .

»Und wegen eines Magnetophons«, hatte Nestel zum Schluß gesagt, »da wenden Sie sich am besten mit einem schönen Gruß von mir an Gladenbeck. Der hat Dutzende von transportablen Wehrmachtsmaschinen irgendwo draußen in einem Lager stehen. Die Post braucht sie bestimmt nicht, und er wird Ihnen sicher gern eine Maschine leihen.«
»Gladenbeck - ist das nicht der Professor vom Berliner Postministerium? Den kenn ich doch!«
»Ja, der ist jetzt Postminister in Hamburg. Rufen Sie ihn an, und sagen Sie ihm, daß ich Ihnen schon eine Wachsmaschine geliehen habe, das wird ihm die Bedeutung Ihres Planes klarmachen.«

Professor Dr. Dr. h. c. Gladenbeck

Professor Dr. Dr. h. c. Gladenbeck war ein hochgeschätzter Fachmann der Post. Kein Beamtentyp und sehr sympathisch. Ich rief ihn an, und als ich anfing, von meiner Erfindung zu erzählen, war er gleich interessiert.

»Das ist ja verblüffend, das müssen Sie mir mal genauer erklären.«
»Ich wollte Sie nämlich bitten, mir für meine Entwicklungsarbeiten eines Ihrer Magnetophone zu leihen.«
»Darüber läßt sich reden. Besuchen Sie mich doch mal im Amt!«

Das wars : Besuchen Sie mich doch mal im Amt!

Ich besuchte ihn schon am nächsten Vormittag und trug ihm meine Idee vor. Gladenbeck wußte, daß ich im Krieg ein Funkmeßgerät für die Wehrmacht entwickelt und gebaut hatte, traute mir also schon einiges zu und stellte ein paar Detailfragen, die erkennen ließen, daß er meinen Überlegungen gefolgt war.

Er versprach mir sogar zwei Maschinen und bat mich, ihn gelegentlich über den Fortgang der Arbeiten zu unterrichten. Ich bekam also meine zwei Magnetophone mit den nötigen Bändern. Sie waren damals noch schwarz. Man kriegte beim Arbeiten mit ihnen schwarze Hände, aber beide Maschinen waren prima in Ordnung.

Durch die großzügige Hilfe dieser beiden Freunde konnte ich sofort ernsthaft an die Arbeit gehen. Was hätte ich wohl ohne sie gemacht!

Und ein Ingenieur und ein Elektromechaniker mußten her . . .

Jetzt brauchte ich nur noch einen tüchtigen Ingenieur und einen Elektromechaniker. Den geeigneten Ingenieur zu finden, war schwierig. Der Mann mußte die nötigen Grundkenntnisse der Schallplattentechnik mitbringen und sich für die Sonderaufgabe interessieren.

Schließlich fand ich einen Dr. Ing., einen ehemaligen Telefunken-Entwickler, der wie so viele stellungslos im Rheinland saß, und bat um seinen Besuch.

Er kam, ich zeigte ihm meine Patentanmeldungen, erklärte ihm die Technik, und er fand die Idee verblüffend. Alles schien in bester Ordnung; er reiste zurück und wollte mir mitteilen, wann er die Stelle antreten und nach Hamburg umziehen könne.

Und gleich darauf die Absage

Statt dessen kam nach vier Wochen ein sehr liebenswürdiger Brief, in dem er mir schrieb, er habe bei einem sorgfältigen Durchdenken aller Probleme erkennen müssen, daß die so verlockende Idee auf einem Trugschluß beruhe, also niemals funktionieren könne. Er bedauere deshalb aufrichtig, daß er eine so hoffnungslose Sache nicht mit gutem Gewissen übernehmen könne, und riet mir von weiteren Investitionen ab.

Wieder die alten Einwände. Und das diesmal von einem Fachmann, der besonders hohes Ansehen genoß und eine so schöne Tätigkeit sehr gern übernommen hätte ... Sollte ich mich wirklich in eine abwegige Idee verrannt, mich so vergaloppiert haben? Verflucht! Ist denn zweimal zwei nicht mehr vier? In Berlin hatte die Geschichte doch schon auf Anhieb funktioniert. Saugrob zwar und mit vielen Fehlern - aber sie hatte funktioniert.

Große Zweifel kamen auf

Ich studierte meinen Übersichtsplan, dann jedes der großen Schaltbilder, rechnete hin und her ... und fand keine Fehler.

Aber irgend etwas mußte doch nicht stimmen; die Männer, die nach einem sorgfältigen Studium meiner Idee immer wieder von einem Trugschluß sprachen, waren doch keine Idioten. Mit ihrer Meinung hätten sie sich - wenn ich rechtbehalten sollte - nur blamiert. Und das wußten sie. Zum erstenmal in meinem Leben begann ich, an meinem Verstand zu zweifeln. Sollte ich nicht den ganzen elektrischen Plunder in eine Ecke schmeißen? Ich muß in diesem Wirrwarr der Gedanken und Zweifel ungenießbar gewesen sein ... Aber so große Fachleute wie Nestel und Gladenbeck hatten meine Überlegungen doch akzeptiert!

Kapitulation kam diesmal nicht in Frage

Eine Kapitulation? Nie und nimmer, obwohl vorauszusehen war, daß diese Entwicklung ein Vermögen kosten würde und mit einer Hilfe der Industrie nicht zu rechnen war.

Ich biß die Zähne zusammen und suchte einen neuen Ingenieur. Natürlich bewarben sich gleich Dutzende, aber nur einer machte den Eindruck, daß er einer solchen Aufgabe auch als Konstrukteur gewachsen wäre, denn von der Berliner Apparatur war ja nichts mehr vorhanden.

Ich stellte ihn auf Probe ein. Er erwies sich als handfester, gediegener Fachmann, baute alle Baugruppen sorgfältig und fachgerecht auf und speiste sie - der Einfachheit halber - aus einem stabilen Netzteil.
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Es funktionierte nicht mehr

Die fertige Apparatur machte einen guten Eindruck - versagte aber leider völlig: Die Linien schnitten sich wie von Kinderhand gekritzelt ineinander.

Wir standen vor einem Rätsel. Die Ursache suchten wir überall, aber jedes Einzelgerät tat genau das, was es sollte. Der Entwickler wurde von Tag zu Tag nervöser und kam schließlich zu der Überzeugung, daß die Geschichte grundsätzlich nicht funktionieren könne, weil sie - da hatte ich's wieder - offensichtlich auf einem Trugschluß beruhe. Mutlos warf er das Handtuch. Ich war mit meinem inzwischen angestellten geschickten Elektromechaniker allein.

Dabei war der Fehler so trivial wie durchsichtig

Arbeitsthema: Fehlersuche. Ein Stück Detektivarbeit. Ich hängte etwa zwanzig hochempfindliche Meßinstrumente an die Apparatur, und die Messerei begann. Sechs Wochen später hatten wir den Fehler: Dadurch, daß der Konstrukteur alle Verstärker aus einem einzigen Netzteil gespeist hatte, beeinflußten sich die Verstärker mit ihrem zum Teil erheblich schwankenden Strombedarf gegenseitig; sie störten einander. Das aber bedeutete, daß alle so mustergültig gebauten Einzelverstärker in neue, zum Teil größere Gehäuse gesetzt werden und jedem sein eigenes Netzteil gegeben werden mußte.

Ich stellte einen neuen Ingenieur ein.

Der Neubau der Apparatur dauerte fast zwei Monate. Dann war es geschafft. Der elektrische Teil arbeitete nun mit mustergültiger Präzision - aber dort, wo die elektrischen Steuerströme in mechanische Bewegung zum schnellen, haargenauen Hin- und Hersteuern des Schneidkopfes umgesetzt werden sollten, hakte es noch erbärmlich.

Das Differentialgetriebe, das wir eingebaut hatten, war viel zu plump und zu träge. Ich ließ mir von Schweizer Präzisionsmechanikern ein Spezialgetriebe herstellen. Bauzeit drei Monate. Es wurde eine technische Meisterleistung: Preis: 40.000 Mark.

Mit ihm ging es schon viel besser, aber noch immer schnitten die Rillen ineinander, weil der Motor, der das Getriebe steuern sollte, zu träge war. Sein Rotor, der sich drehende Teil, hatte eine viel zu große >träge< Masse.

Ein Ferrarismotor mußte her

»Die Sache wird nie«, sagte der Ingenieur und gab auf. Mir war klar, daß hier nur noch ein ganz anderer Motorentyp helfen konnte: ein Ferrarismotor, dessen Innenteil nur aus einer äußerst dünnen Aluminiumtrommel bestand.

Doch diesen Motor gab es nirgendwo auf der Welt. Den mußten wir schon selber entwickeln und von einem Feinmechaniker aus einem Aluminiumblock drehen lassen.

  • Anmerkung : Der Ferrarismotor auf Galileo Ferraris Idee basierend hat einen sehr leichten innenliegenden Rotor aus Aluminium mit sehr geringem Trägheitsmoment.

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Wieder vier verlorene Wochen.

Wieder ein neuer Konstrukteur. Diesmal hatte sich ein ganz junger Diplomingenieur beworben, der so gut wie keine Erfahrung mitbrachte, aber einen sehr klaren Kopf. Erste Versuche mit dem neuen Motor. Wieder bemerkenswerte Fortschritte, immer wieder abgewandelte Versuche mit der mechanischen Steuerung des Schneidkopfes.

Es funktioniert

Da, eines Tages, hatten wir's geschafft. Ich konnte es kaum glauben: Die Apparatur tat, was sie sollte. Präzise und mit größter Zuverlässigkeit. Das Verfahren stand. Jahre waren darüber vergangen. Über 250.000 Mark (teilweise auch Reichsmark) hatte ich nach und nach in diese Sache gesteckt...

Eine erste Vorführung vor hohem Haus - vor Telefunken - und die Frage nach neuen Vinyl-Platten aus Amerika

Ich lud Direktor Nestel und Profesor Gladenbeck zur Vorführung ein. Große Anerkennung. Dann rief ich den Generaldirektor Heine von Telefunken an. Er kannte mich sehr gut, und als ich ihm über die Vorführung vor Nestel und Gladenbeck berichtete, versprach er, schon in den nächsten Tagen zu kommen.

Er kam zusammen mit Gladenbeck. Die Vorführung klappte. Daß Telefunken die Sache übernehmen würde, war eigentlich schon klar, da sagte Heine: »Jetzt sind gerade die neuen Nylonplatten mit Mikrorillen auf den Markt gekommen - funktioniert die Apparatur bei denen auch? Und spart sie da auch so an Raum?«
Ich erschrak: »Das haben wir bisher noch nicht probiert, es müßte aber klappen.«
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Bislang mit 78er Schellackplatten probiert

Ich bat meinen Konstrukteur, die Maschine auf die kleineren Rillen und Rillenabstände umzustellen. Inzwischen gingen wir essen.

Als wir wieder zurückkamen, sah ich strahlende Gesichter: Das Verfahren funktionierte auch bei Mikrorillen einwandfrei.

>Füllschriftverfahren< ? Großartig! Gleich schützen lassen !

Heine drückte mir die Hand: »Gratuliere - wir machen das! Handeln Sie alles weitere mit meinen Leuten aus.«
»Und was halten Sie von dem Wort >Füllschriftverfahren<?«
»Großartig! Gleich schützen lassen!«
»Ist schon geschehen.«

Die wirtschaftlichen Vorteile des Verfahrens waren sofort zu überblicken: Die kleineren und deshalb auch wesentlich dünneren Platten würden die Hälfte des Preßmaterials einsparen und die Herstellungskosten - bezogen auf ein Musikwerk - halbieren. Die Plattentaschen würden viel kleiner und billiger, die Archivierung vereinfacht und platzsparender, die Verpackungs- und Transportkosten beträchtlich vermindert.
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Der "wesentlichste" Fortschritt in der Schallplattentechnik

Heute, nach vierzig Jahren, (Anmerkung : damals schrieben wir 1990) schrieb mir Horst Redlich, einer der führenden Schallplatteningenieure Europas und Amerikas und selber Inhaber vieler Schutzrechte:

"Die Füllschriftplatte ist der wesentlichste Fortschritt in der Schallplattentechnik. Durch sie ist es möglich geworden, über 90% der Werke der klassischen Musikliteratur auf einer einzigen Schallplatte zu speichern ..."

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Und jetzt wird es phatetisch falsch - und es ist übertrieben

Mit bis zu achtzig Minuten Spielzeit je Füllschrift-LP übertrifft die schwarze Scheibe noch heute den modernsten Tonträger, die >CD<. Die Spielzeit einer Füllschrift-Langspielplatte, ihr Fassungsvermögen ist heute Maßstab für das kreative Schaffen in der Pop-Musik geworden. Das Streben eines jeden Künstlers ist es, seine LP zu produzieren ...«

  • Anmerkung : Das stimmt so leider gar nicht. Auf eine normale 33er Stereo-LP (30cm) gehen bei 33 1/3 U/min zwischen 22 und 25 Minuten Stereomusik in höchster Vinyl-Qualität drauf. Das mit den 40 Minuten pro Seite ist zu weit hergeholt. Das mag vielleicht für Sprechplatten ohne Bässe oder sogannte Billig-Sampler Platten von K-Tel oder Europa mit 22 Titeln pro Seite gelten, nicht jedoch für hochqualitative Hifi-Musik.

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