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Heft 11 - Coverseite
Plakat zur Uraufführung, 1933

Thema Nummer 1 : HITLERJUNGE QUEX

Die Ufa widmete der »Bewegung«, weil sie Regime geworden war, einen Film. Vielleicht mit dem Hintergedanken, den Konzern zu schützen, sicher ohne Skrupel gegenüber den Gegnern der Nazis. Und die Ufa schenkte der Hitlerjugend eine Hymne: »Unsre Fahne flattert uns voran«.

Die Gabe zehrt von Techniken, die die Opfer des neuen Regimes entwickelt hatten. Die Nazi-Propaganda, hergestellt in Ufa-Studios, mit deutschnationalem Kalkül geplant, von den »Pgs« Steinhoff (Regie) und Ritter (Produktionsleitung) realisiert, plündert die raren sozialkritischen Filme der Weimarer Zeit und versucht, deren Effekte umzudrehen. Einstellungen wie aus den russischen Revolutionsfilmen und ihrem deutschen Nachschein finden sich, Motive, die ihre Vorbilder in MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK oder KUHLE WAMPE haben.
(Sie haben richtig gelesen, das ist wirklich ein einziger Satz.)

Hier sind die Kommunisten nur auf Chaos und Mord aus, grapschen jungen Mädchen an den Busen und setzen sie wie Dirnen ein - nicht für Geld, sondern als Waffe gegen den politischen Feind. Die Hitlerjugend zeichnet sich durch Disziplin und Kameradschaft aus. Hier gibt's Burschen und Mädchen und Fahnen.
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Am Ende heißt die Botschaft: »Die Fahne ist mehr als der Tod«. Pervers mutet an, daß die Ufa zum ersten Mal einen Film macht, der die Arbeiter zur Zielgruppe hat. »Richtiges Proletariermilieu« wird gebaut und Heinrich George »umgedreht«. Er, im Film Kommunist, eher aus Verzweiflung als Überzeugung, lernt die Lektion, die dem Publikum zugedacht war.

HITLERJUNGE QUEX: Patente Jungs, saubere Mädels

Das einzige, das den Ufa-Vorstand an dem Film störte, waren die Gagennachforderungen des Hauptdarstellers.

Rainer Rother

HITLERJUNGE QUEX. Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend - Deutschland 1933 - Regie: Hans Steinhoff - Buch: K.A. Schenzinger, Bobby E. Lüthge - Kamera: Konstantin Irmen-Tschet - Darsteller: Heinrich George, Berta Drews, Claus Clausen, Hermann Speelmans - Uraufführung: 11. September 1933

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Daß der HITLERJUNGE QUEX künstlerischer werden wird .....

HITLERJUNGE QUEX: In Reih' und Glied

Dieser Überzeugung gibt Correll Ausdruck, als man ihn im Vorstand auf gewisse Ähnlichkeiten des Stoffes mit dem Film SA-MANN BRAND aufmerksam macht. Allerdings schöpft er diese Überzeugung nicht aus einem hohen Etat - die Ufa kalkulierte den Film mit 224.900 Reichsmark, einer vergleichsweise bescheidenen Summe - sondern aus dem Team, das er mit der Realisierung betraute.

Neben Schenzinger, der die Vorlage geschrieben hatte, soll der Routinier Lüthge das Drehbuch verfassen (und er erhält mit 5.000 Reichsmark eine um 1.800 RM höhere SUmme als der Romancier, der keine richtige Filmerfahrung vorweisen konnte). Und mit dem Regisseur Steinhoff sowie dem Produktionsleiter Ritter setzt Correll zwei Parteimitglieder auf den Film an.
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HITLERJUNGE QUEX: Das Ende der Weimarer Republik

Das Resultat dürfte seiner Hoffnung entsprochen haben. Nicht nur war das neue Regime angetan - im Gegensatz zu den anderen Versuchen, die Filme nach dem neuen »Geist« zu richten, wo die Reaktion ablehnend war.

Tatsächlich war HITLERJUNGE QUEX nicht nur ideologisch akzeptiert, er war auch »künstlerisch«. Bestimmte Szenen können nicht verbergen, daß diese Qualität aus massiven Anleihen beim sowjetischen Film und den raren Beispielen des sozial engagierten Films der Weimarer Republik entsprang. Es ist auch unwahrscheinlich, daß dies hätte verborgen werden sollen, denn die Botschaft richtet sich an die Arbeiter, ein sonst von der Ufa nicht unbedingt geschätztes Publikum.

Zwei Kommunisten. Hermann Speelmans als Kommunist Stoppel und
Heinrich George als Kommunistenvater Völker (Ufa-Bildunterschrift, 1933)

Heinrich George und Berta Drews spielen Hauptrollen

Insbesondere die Darstellungen von Heinrich George und Berta Drews trugen zu einer gewissen »Glaubwürdigkeit« des Filmes bei, während der Darsteller des Hitlerjungen immer dann, wenn er etwas sagen muß, garzu unbeholfen wirkt. Vermutlich erschien das nicht unbedingt als Manko, wurde doch für den Film unter anderem damit geworben, daß in ihm »richtige Hitlerjungen« mitspielten. Da machte ein wenig Mangel an schauspielerischer Begabung kaum etwas aus.

Die Kennzeichnung der »Kommunisten« ist plumpes Klischee. Bezeichnenderweise ist es nicht deren Organisiertheit, die hier als bedrohlich erscheint. Sie werden, analog den »Anarchisten«-Figuren, die in späteren Jahren als Feindbild benutzt werden, nicht als disziplinierte Organisation, die deswegen mächtig und gefahrvoll sei, geschildert, sondern als eigentlich undisziplinierter Haufen, der nicht aus Überzeugung zusammen bleibt, sondern weil schnelle Bedürfnisbefriedigung winkt und, im Falle der »Abweichung«, Terror droht.
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Der erste Kontakt von Quex mit den Nationalsozialisten - und zugleich sein erster Ausflug mit einer kommunistischen Gruppe - stellt diese Extreme gegeneinander und gibt ein gutes Beispiel für die Mittel, die HITLERJUNGE QUEX anwendet, um sein Publikum zu agitieren.

Buntes, aber zügelloses Treiben hier, die Formation in Reih und Glied dort. Als die Provokationen der Kommunisten einen der Hitlerjungen so weit gereizt haben, daß er die Reihen verlassen will, ruft ihn ein scharfes Kommando wieder ins Glied zurück. Ganz anders die »Kommunisten«. Sie erscheinen Quex schon beim ersten Kontakt als abstoßend, und genüßlich inszeniert Steinhoff die Ausschweifungen, denen sich dort scheint's jeder und jede hingibt.
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Rotraud Richter spielt die Ausschweifungen

»Jede« ist allerdings nur eine, Rotraud Richter spielt sie. Sie läßt sich von dem Anführer an den Busen greifen, sich später immer wieder losschicken, um mit ihren Reizen junge Hitlerjungen vom rechten Pfad abzubringen - ist aber im Grunde gut, eben nur verführt.

Verführen läßt sich Quex nicht, weder zum Trinken noch zum zweideutigen Spiel mit den Mädchen. Er streift lieber allein durch den Wald, in einer langen Fahrt folgt ihm die Kamera, wie er fast magisch angezogen, wenn auch ohne bewußtes Ziel, weiter geht bis zum Lager der HJ.

Die Ordnung, Jungen und Mädchen in geraden Reihen

»Ein Film vom Opfergeist deutscher Jugend«
Hitlerjunge Heini (rechts), Ersatzfamilie

Dort fasziniert ihn wieder die Ordnung, Jungen und Mädchen in geraden Reihen, beim Fahnenappell. Der wird schon mit der später perfektionierten Bildsprache dargeboten, mit dem Führer, der im Bildausschnitt neben einem Lagerfeuerzu sehen ist, von unten aufgenommen und von hinten mit Gloriole versehen. Die HJ entdeckt Quex und glaubt ihm die lauteren Absichten nicht.

Aus dem Lager verbannt, schläft er in Sichtweite ein, er ist schon für die Bewegung gewonnen, kann am nächsten Morgen noch das erwachende Lager beobachten, bevor er von den Seinen, die das nicht mehr sind, gesucht wird - vermißt, suggeriert der Film, hatten sie ihn die ganze Nacht nicht.

Zuhause kann Quex ein neues Lied: »Die Fahne flattert uns voran«. Das hört sein Vater, den Heinrich George spielt. Er, ein Proletarier, der Kommunist eher deswegen ist, weil er keine Alternative sieht, denn aus Überzeugung, will dieses Lied nicht hören. Die Szene, in der er mittels Ohrfeigen den Sohn dazu bringt, statt des verhaßten Liedes die »Internationale« zu singen, ist nicht nur agitatorisch wichtig.

In ihr zeigt sich auch die Differenz in der Familie: ein cholerischer, am Leben verzweifelter Vater, eine treusorgende, den Sohn liebende Mutter und die neue, »fixe« Generation (auf die die Nationalsozialisten ohnehin mehr Wert legten als auf den Versuch, die Gegner ins eigene Lager zu ziehen, weil der Erfolg bei letzterem doch zweifelhaft schien).

Rainer Rother

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DER AUTOR DES »HITLERJUNGEN QUEX«

Ufa-Kino Astoria, Hitlerjungen

Dr. Karl Aloys Schenzinger, geboren am 28. Mai 1886 in Neu-Ulm, Augsburger Straße 10 (heute das Gebäude einer Bank), gestorben am 4. Juli 1962 in Prien am Chiemsee an einem Herzschlag. Arzt, Schriftsteller, Weltenbummler, Kameramann und Filmproduzent.

Anfang Juli 1987, fünfundzwanzig Jahre nach Schenzingers Tod, enthüllte der Metallfabrikant August Weite, Vorsitzender der Metall-Innung von Neu-Ulm, eine Gedenktafel am Geburtshaus. Die >lllertisser Zeitung< schrieb ein paar Tage später, am 9. Juli, über den posthum Geehrten: »Viele seiner Bücher sind längst in fast alle Sprachen der Welt übersetzt. Doch der QUEX von damals, den der NS-Eliteregisseur Hans Steinhoff verfilmt hatte, saß ihm noch wie ein Stachel im Fleisch und kratzte das Selbstempfinden an.«

Und die Ulmer )Südwest-Presse<, am 6. Juli 1987: »Unruhig wie sein Stil war auch sein Leben. Der vor den Toren Ulms Geborene ging nach Ravensburg in eine Apothekerlehre und dissertierte nach dem Studium der Medizin an den Universitäten in Freiburg, München und Kiel zu dem Thema >Zusammenhang der Gehirnvorgänge mit der Reaktion der Hormone.
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Die deutschen Apotheker, mit der deutschen Unruhe im Leibe...

1951, in seiner Nummer 21, brachte >Der Spiegel< eine Geschichte über Schenzinger. Darin ist zu lesen, daß die Grundlage seiner Dissertation Experimente über das Verhältnis von »abnormen Hormonen und Schizophrenie« gewesen seien. Forschungen, die im Juli 1914 zunächst einmal abgebrochen wurden. »Zum Dissertationsthema kam Schenzinger erst vier Jahre später, als Militärpsychiater. Es war die Zeit, als die Hormonverjüngungskuren angepriesen und durch Witzblätter populär gemacht wurden. Schenzingers Arbeit über >Die Chemie des Gedankens<, die den Zusammenhang der Gehirnvorgänge mit den Reaktionen der Hormone untereinander behauptete, wirkte revolutionär.«

Nach dem Ersten Weltkrieg wirkt Schenzinger als Nervenarzt in Hannover und in den Heilanstalten von Ilten und Lüneburg. »Es war«, so zitiert ihn >Der Spiegel<, »eine wunderbare Zeit. Wir haben dort, in der damals konservativsten Stadt Deutschlands, einen literarischen Stoßtrupp gebildet und die Vier-Millionen- Erbschaft eines Freundes in Gastspielen des Deutschen Theaters mit Moissi, Kortner, Mady Christians, Ernst Deutsch, mit dem >Scheiterhaufen< von Strindberg und >Kain< von Kafka angelegt.«

Wenn die Erbschaft danach aufgezehrt war, muß der Kulturhunger des gelernten Apothekers und praktizierenden Nervenarztes unersättlich gewesen sein. Möglicherweise hat aber auch die Inflation den Geldbatzen auf Null gebracht.
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1923 bricht Schenzinger nach Amerika auf

Am 13. Oktober 1923 bricht Schenzinger aus und schifft sich, mit 300 Dollar, einigen Perserteppichen und ohne ein Wort Englisch zu sprechen, nach Amerika ein. »Dort bin ich Mensch geworden. Vorher war ich ein Trottel.«

In New York arbeitet er als Hausmeister und Heizer, dann als Nacht-Ambulanzarzt einer Versicherungsgesellschaft im Hafen. Er schreibt zwei Dramen über die Beziehung von Syphilis und Politik und gründet eine EinMann-Filmgesellschaft: die »West Star Film Company«.

Schenzinger hat eine Kamera und erprobt sich als Dokumentarfilmer: »Vom negergesteuerten Schifferboot aus inmitten von Korallenriffen und wild bewegter Brandung photographierte er beispielsweise die Ankunft des Zeppelins >Los Angeles* in Bermuda«. (>Der Spiegelt<

Deutsche Unrast: »Ich bin immer wieder ausgerückt. Man muß den Mut haben, wegzulaufen und neu anzufangen, wenn man Fliegenleim unter den Füßen spürt. Sonst wird man ein unzufriedener Stammtischbruder.«

Die >Südwest-Presse< behauptet, seine Dokumentarfilme seien bei den Fliegerangriffen auf Berlin »in den Archiven einer Berliner Filmgesellschaft« vollständig verbrannt. Eine andere Version berichtet >Der Spiegel<:

»1925 fuhr Schenzinger nach Berlin, um seinen Film zu verkaufen. Mit dem Schneideraum der Terra verbrannten sämtliche Rollen. Trotz dieser Enttäuschung ließ Heimkehrer Schenzinger nach zweimaliger Verlängerung sein Reentering Permit verfallen. Er wurde Besuchsarzt der Berliner Ortskrankenkasse.«

Nun sitzt er also im Zentrum des Geschehens, ein deutscher Kassenarzt mit dichterischen Ambitionen, der wie seine Kollegen Gottfried Benn und Alfred Dublin einfach aufschreibt, was ihm als Kassenarzt so passiert.

Schenzinger, der Militärpsychiater schreibt den Roman >Hitlerjunge Quex<

»Verführen läßt sich Quex nicht, weder zum Trinken noch zum zweideutigen Spiel mit dem Mädchen. Er streift lieber allein durch den Wald, in einer langen Fahrt verfolgt die Kamera, wie er fast magisch angezogen, wenn auch ohne bewußtes Ziel, weitergeht bis zum Lager der HJ. Dort fasziniert ihn wieder die Ordnung, Jungen und Mädchen in geraden Reihen, beim Fahnenappell.«

Seine in New York geschriebenen Dramen über Syphilis und Politik erscheinen bei Kiepenheuer. Eins wird 1928 auf Max Reinhardts Experimentierbühne aufgeführt und fällt mit Pauken und Trompeten durch; Alfred Kerr hat darüber geschrieben und Schenzinger geraten, nach Brasilien zurückzukehren (wo er allerdings nie gewesen ist).

Schenzinger ist ein Ausreißer, im geographischen Sinne und auch künstlerisch; möglicherweise zwei Voraussetzungen, die ihn dafür prädestinieren, auch politisch durchzubrennen.

Er verlegt sich auf Trivialromane, wird wieder Weltenbummler und schreibt für die >Frankfurter Illustrierte< Reportagen über Kanada, die USA und die Südsee. »Dann hatte ich die Nase voll und wollte etwas Seriöses machen.«

Der Drang des »Asphaltliteraten« zum Höheren? Es ist eher der Drang des rasenden Reporters zu den brennenden Themen, die auf der Straße liegen: soziale Not und Arbeitslosigkeit in Deutschland, Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre. Es erscheint sein Roman >Man will uns kündigen«, und 1932 ist es dann soweit: Dr. Karl Aloys Schenzinger schreibt den Roman >Hitlerjunge Quex<; der Münchner Verleger Wilhelm Andermann bringt ihn heraus.

1933 - Wenige Monate nach der »Machtergreifung«

Ein Jahr später, wenige Monate nach der »Machtergreifung«, wird der Roman von Hans Steinhoff für die Ufa verfilmt; die Uraufführung findet im Münchner Ufa-Palast in Anwesenheit Hitlers und der versammelten NS-Elite statt. Baidur von Schirach, Chef der Hitlerjugend, hält die Eröffnungsansprache.

Ist Schenzinger ein Nazi geworden? Er behauptet: »Ich habe nur erzählt, was ich als Berliner Kassenarzt gesehen habe.« Und: »Ich bin kein Dichter. Ich will nur berichten, was los ist.«

Es folgen NS-Aufträge - ein Fliegerroman, ein Roman über den Deutschen Ritterorden -, die »wegen unsachlicher Wünsche höchster Stellen« (>Der Spiegel<) nicht realisiert werden. Ist Schenzinger plötzlich ein regimefeindlicher »Meckerer« geworden?

Wohl nicht ganz. Aber er sitzt einfach lieber mit seinem Verleger Andermann zusammen und säuft sich die Hucke voll. Auf den Einfall zu seinen späteren Erfolgsbüchern kommt er, laut >Der Spiegel<, folgendermaßen:

Geburtstag 1935 saßen Schenz und Andermann beim Sekt. »Warum verlegen Sie solchen Dreck?« meinte Schenz. Nach der dritten Flasche stand Schenz auf, ging nach Hause und säuberte seinen Schreibtisch von allen Aufzeichnungen und Nachschlagewerken zum Buch über den Ritterorden. Er war entschlossen, den Roman des deutschen Farbstoffs Anilin zu schreiben.«

Schenzinger: »Ich hatte davon genau so wenig Ahnung wie die Leser, für die ich schreiben wollte.«
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Beide Bücher erreichen Millionenauflagen

Auf »Anilin« folgt »Metall«; beide Bücher erreichen Millionenauflagen, werden in mehrere Sprachen übersetzt. Schenzinger hat - mit einigen anderen Autoren - das Medium des »Sachbuchs« kreiert und setzt Mitte der dreißiger Jahren das Programm der Neuen Sachlichkeit literarisch um, konditioniert das Massenpublikum für die zweite Industrielle Revolution, für die Botschaft der IG Farben und die Hardware der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie.

Aber immer schön aus der Distanz: »>Anilin< habe ich geschrieben, ohne ein Chemiker, >Metall< ohne Techniker, >Atom< ohne Physiker - >Quex< ohne Nazi zu sein.«

Aber: »Ich habe vieles am Nationalsozialismus bewundert. Ich bewundere auch Schmeling. Trotzdem kann ich das Boxen nicht ausstehen.«

Was hat Schenzinger am Nationalsozialismus bewundert? Seine Ästhetik? Sein metallisches Gebaren? Seine Modernität? Schenzinger ist ein Kind der stählernen Zeit. Der Sport und die Technik faszinieren ihn. Die Industrie und der Faschismus. MaxSchmeling und AlbertSpeer. Die dröhnende Theatralik der dreißiger Jahre. Das größte Problem beim Schreiben populärer Wissenschaftsgeschichte ist für ihn, »daß alle die großartigen Erfinder im Privatleben biedere Spießer waren, Arbeitstiere - keine Romanfiguren!«

Nach dem Krieg wird Schenzinger von den Amerikanern in Tirol interniert, gerät dann in die Entnazifizierungs-Maschinerie. »Der Spiegel«, 1951: »Erst seit 1949 darf Schenzinger wieder publizieren, seit ihn die Landauer Spruchkammer - nach einem Wiedersehen mit dem HITLERJUNGEN-QUEX-Film und zweieinhalbstündigem, von keiner Frage unterbrochenem Lebensbericht - als Mitläufer einstufte und zu einer Anstandsgeldstrafe von 130 DM verurteilte.« Parteimitglied war er nie. Die Anklage lautet: Er habe den Nationalsozialismus unterstützt und »die Jugend verdorben«.

Um 1950 lebt Schenzinger mit seiner Frau in Bayern

Um 1950 läßt sich Schenzinger als Arzt in Deggendorf nieder, lebt mit seiner Frau in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. »Schreiben kann ich auch auf dem Nachttisch.« Seine Bücher nach dem Krieg - »Atom«, »Schnelldampfer«, »Bei IG Farben«, »99 Prozent Wasser« - erreichen aus dem Stand wieder Riesenauflagen; 1987 sind es 7 Millionen verkaufte Exemplare insgesamt. Seinem Verleger Wilhelm Andermann bleibt er treu.

Die Ulmer »Südwest-Presse«, 1987: »Der eigenartige und unruhige Stil, die geschickte Anhäufung von Spannungsmomenten und eine große Begabung, sich in ihm unbekannte Menschen hineinzudenken, befähigten ihn, vielgelesene Bücher über kühne Forschungen zu schreiben, von denen er nach seiner eigenen Aussage zunächst genauso wenig Ahnung hatte wie die Leser.«

Bis zum Schluß ist dies das große Thema des Dr. Karl Aloys Schenzinger: »Die Eroberung unseres Planeten durch die menschliche Erfindergabe.«

Klaus Kreimeier

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Jetzt beginnt der eigentlich interessante Teil des Heftes Nr.11

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Schmutzige Wäsche - späte Interna aus der UFA Zentrale

In einer Ufa-Akte des Bundesarchivs in Berlin findet sich ein Brief, der mit Kopierstift auf eine herausgerissene Seite geschrieben und nicht unterzeichnet wurde. Der unbekannte Briefschreiber denunziert darin Henny Porten als Lebedame - eine relativ harmlose Verunglimpfung, die wie jede klassische Denunziation erheiternde orthographische Fehler enthält und überdies einer offensichtlich allzu leidenschaftlich gärenden Phantasie entsprungen sein muß.

Der Brief ist am 22.9.1928 bei der Ufa-Direktion eingegangen. Eine Woche später teilt Produktionschef Correll dem Generaldirektor der Ufa, Klitzsch, mit, daß ihm sittlich anstößige Dinge über Frau Porten nie zu Ohren gekommen seien.

Der Brief wurde also nicht vernichtet, sondern aufgehoben, und nicht nur das, er löste einen Schriftverkehr und Aktenvorgang aus, der im Rudiment nach 65 Jahren noch fortexistiert, jetzt aber ein bezeichnendes Licht auf die Ufa und vor allem die Akten wirft, die sie hinterlassen hat: Sie sind jener notorische Papierkorb der Anonymität, den wir durchwühlen können, weil er nie geleert wurde, und das mit der Absicht, Komplizen und Mitwisser zu schaffen. Diese Tatsache läßt sich nun nicht mehr ändern, höchstens ein wenig hintertreiben, und das soll hier geschehen.
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Weihnachtsgrüße an die Ufa-Direktion von Fritz Lang und Thea von Harbou

Oder jener Vorgang vom Oktober 1929: Brigitte Helm hat die Ufa auf Auflösung des Vertrages mit der Begründung verklagt, daß die Starreklame, zu der sie letztens verpflichtet gewesen sei, nicht ihr, sondern ihrem Filmpartner Mosjukin gegolten habe. Das steht jetzt erst einmal da als Zeugnis verletzter Eitelkeit, doch das Dokument ist aus jenem Zusammenhang gerissen, der die geschäftlichen Interessen von Brigitte Helm handfest deutlich machen könnte: Sie will einen neuen und besseren Vertrag, mit einer anderen Firma oder mit der Ufa, gleichviel - die fadenscheinigste Begründung erhält Gültigkeit, wenn ein Gericht sie anerkennt.
Aber die Akte verrät noch eines: die Niedertracht, die in ihrer Aufbewahrung steckt. Jedes Aufheben und Abheften scheint auf eine nachtragende Art und Weise überlegt zu sein.

Wie eine tückische Hinterhältigkeit mutet dieses Dokument an: auf feinem Bütten, zweiseitig gefalzt, Weihnachtsgrüße an die Ufa-Direktion von Fritz Lang und Thea von Harbou. Ein gewisser opportunistischer Zug fließt über die Zeilen, die Lang als Vertreter des nationalen Gedankens zw erkennen geben und mit nationalen Grüßen schließen.

Das wurde nicht nur aufbewahrt - es ist in den Weg gelegt worden, damit es nach vielen Jahren entdeckt und öffentlich wird und einen Schatten von Ambivalenz auf Längs politischer wie ästhetischer Haltung sichtbar macht.

Die Ufa hat ihm die (finanzielle) Pleite von METROPOLIS niemals verziehen, wenn auch ganz andere Männer inzwischen die Firma leiteten. Es verband sie eine Haßliebe mit Fritz Lang, beschwert durch sehr viel Geld.

Jedes Gespräch und jede Verhandlung wurde schriftlich festgehalten, hinter seinem Rücken, und es entstand ein Dossier, das immer, wenn es nottun sollte, Schaden stiften konnte.
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Ein angebliches Mussolini-Projekt von Joe May

Dann dieser vertrauliche Brief, datiert auf den 7 4.1927, unleserlich gezeichnet von P..., gerichtet an Klitzsch, der gerade seit einem Monat als Vertreter des Scherl-Verlags und damit Hugenbergs im Amt des Ufa-Vorstandes ist: Joe May verfolge ein Mussolini-Projekt, das einen Welterfolg verspreche, besonders im Hinblick auf die Vereinigten Staaten.

Dieser Film soll den Aufstieg des Faszismus und die Erhebung und Gesundung einer Nation schildern, ganz in der Art von BIRTH OF A NATION. May habe mit dem Duce bereits Verhandlungen veranlaßt, der Duce habe sich endgültige Kontrolle über das Drehbuch vorbehalten und werde auch selbst auf Film aufgenommen.

May und solch ein Film - vielleicht hatte er geglaubt, einen schlauen Schachzug machen zu müssen, nachdem der antisemitische Hugenberg-Konzern die Ufa übernommen hatte, vielleicht konnte er als Jude seinen Platz in der Ufa sichern, indem er den erwarteten neuen Kurs gleich vorweg einschlug.
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Erich Pommer und das Verhältnis zur UFA

Über Pommers Auseinandersetzung mit der Ufa wegen der DNVP ist (wenn die Erinnerung nicht trügt) bereits andernorts berichtet worden:

Die Deutschnationalen waren ihn 1932 um eine Geldspende angegangen, und er hatte daraufhin die Bewerbung um Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, zumal er mit den politischen Zielen der Partei sympathisiere, und gleichzeitig wurde er - als Deutscher jüdischen Glaubens - um eine Stellungnahme zur Judenfrage gebeten.

Die Parteisatzung schreibe für die Mitglieder zwingend den christlichen Glauben vor, wurde ihm geantwortet.

In einem Brief vom 12.11.1932 setzt Pommer den Generaldirektor Klitzsch (der wie die ganze Führung der Ufa deutschnational war) von der Sache in Kenntnis und erinnert bei der Gelegenheit an ein gemeinsames Gespräch, das wegen der im letzten halben Jahr zunehmenden antijüdischen Tendenzen in der Ufa geführt worden war: nur um des einen Wassertropfens (der Taufe nämlich) willen werde er nicht zum Opportunisten.

Man muß dazu wissen, daß Pommers Vertrag mit der Ufa in dieser Zeit auslief und er sich von der Ufa lösen wollte: Es ist auch ein kleines Katz-und-Maus-Spiel, was Pommer da betrieb.
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Direktor Klitzsch wußte manches vorher

Klitzsch war im übrigen von Pommers Abwanderungsgelüsten genau unterrichtet. Datiert auf den 26.9.1932, gezeichnet mit dem Kürzel Y/Bck, findet sich in einer Pommer-Akte die Niederschrift einer Unterredung, um die ein Filmjournalist nachgesucht hatte. Der Zeitungsmann wußte von einem Frühstück, das die Fox-Film gegeben hatte und zu dem Pommer als Ehrengast geladen war.

Bei diesem Frühstück habe Pommer eine kleine Rede gehalten, in der er sich brüstete, der Ufa überhaupt erst moderne amerikanische Produktionsmethoden beigebrachtzu haben. Der Journalist flocht in seine Ausführung andeutungsweise ein, daß seine Zeitschrift schon seit längerem keine Anzeigen der Ufa hereinbekommen habe.

Und so empfiehlt denn der Schreiber dieser Aktennotiz seinen Adressaten auch, diesem Mangel abzuhelfen und die Filmzeitschrift bei der Vergabe von Anzeigenaufträgen künftig zu bedenken.
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Die Ufa-Akten waren eben nicht in Berlin verbrannt

Die Ufa-Akten sind randvoll von solchen Dingen. Intrigen, Denunziationen, Vorteilsnahme, Fallstricke und Winkeljura: was dabei erstaunen macht, ist indessen weniger, daß derlei geschieht, als vielmehr die kleinliche und schäbige Manier, in der es geschieht. Es schlägt einem, der die Akten nur studieren möchte, die merkwürdigste Mediokrität der Welt entgegen.

Und nur zu deutlich wird spürbar, wie diejenigen, die diese Schriftsätze, Vermerke und Notizen verfertigt und in die Verteilerkreise eingebracht haben, vor allem eines im Sinn hatten: eventuelle Schuldzuweisungen, die später auf sie zukommen mochten, im vorherein abzuwehren. Genau das scheint der subjektive Kern der ganzen, mächtigen Aktenarbeit zu sein, den uns die Ufa vererbt hat.

Um 1930 ungefähr vermischt sich diese Kleinlichkeitskrämerei mit Politik, und es ist zu sehen, wie gut sich Mediokrität und Politik vertragen, sie sind wahlverwandt.

Und noch eines fällt auf: daß die Ufa eher wie eine staatliche Behörde organisiert war, in der gleichsam vereidigte Beamte mit raschelnden Papieren in die Filmproduktion hineinregierten. Sie war keinesfalls ein Filmstudio, das von Kaufleuten betrieben wurde, die sehr wohl wissen, daß mit dem Risiko liebäugeln muß, wer den Extraprofit sichern will, und nicht nur der Kleinmut, sondern auch der Hazardeur die Kalkulationen zu berechnen hat.
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Hugenberg, das Geld und die UFA

Im Herbst 1932 hatte der Schriftsteller Richard Schneider-Edenkoben der Ufa ein Drehbuch mit dem Titel >Kain< überreicht. Zur Begutachtung wird das Manuskript an das Lektorat des Scherl-Verlags weitergegeben (eine übliche Praxis: Hugenberg steckte das Geld von einer Tasche in die andere, und dabei vermehrte es sich sogar). Das Gutachten des Lektors Sternaux liegt am 6.11.1932 im Büro Klitzsch.

Das Urteil: Wenn auch schollentreu, bodenständig, bäurisch-urwüchsig, ja sogar triebhaftig, sei das Drehbuch doch zu literarisch, und der ihm anhaftende Erdgeruch sei höchstens für Gebildete interessant. Gewisse plastische und poetische Beschreibungen beeindruckten durchaus, die Qualität der spärlichen Dialoge sei hingegen brüchig, fast dilettantisch. Sternaux empfiehlt, das Manuskript abzulehnen, es verspreche kein Geschäft.

Klitzsch hat das Gutachten offensichtlich gelesen und oben auf der Kopfseite handschriftlich "Ein Experiment" vermerkt (und dieser Ausdruck wird von nun an das Projekt wie ein aufgeklebtes Etikett begleiten: jeder, der mit ihm befaßt ist, beruft sich auf das Urteil des obersten Chefs - es ist vage genug, um möglicher Schelte zu entgegnen, aber auch, um Wagemut zu dokumentieren).
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Richard Schneider-Edenkoben ist Nationalsozialist

Am 16. Februar 1933, gut vierzehn Tage nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Hitler, erscheint Schneider-Edenkoben bei Produktionsleiter Correll und bittet um eine Unterredung. Correll fertigt hinterher eine Niederschrift des Gesprächs an und schickt sie zwei Tage später, unter der Rubrik streng vertraulich und ohne Durchschlag, an Klitzsch.

Schneider-Edenkoben ist Nationalsozialist und der Vetter des Rechtsanwalts Frank II, der zu dieser Zeit Vorsitzender eines Reichstagsausschusses ist und den Reichskanzler Hitler juristisch berät: so leitet Correll das Protokoll ein; außerdem habe Schneider-Edenkoben gute Beziehungen zum Innenministerium, und das bereits seit der Regierung von Papen.

Der Drehbuchautor scheint sogleich schweres Geschütz aufgefahren zu haben, um dann zu einer noch bedrohlicheren Attacke überzugehen: Kürzlich sei er mit maßgebenden Leuten zusammengetroffen, die von der Partei beauftragt wurden, die deutsche Kultur im Sinne der NSDAP wiederherzustellen. Bei der Gelegenheit sei er nach den Plänen der Ufa befragt worden: Werde die Ufa sich zu rein deutschen, volksstückhaften Stoffen bekennen und vom internationalen Kitsch abrücken, auch wenn es das Auslandsgeschäft mindere?

Beschämt habe Schneider-Edenkoben den versammelten Herren zugeben müssen, daß sogar er im Augenblick einen Film für die Ufa entwerfe, der teils in der Bergwelt, teils aber auch im eleganten Milieu spiele. Daß die Ufa einen Florian Geyer-Film gerade verworfen hätte, habe er dabei verschwiegen.

Das Publikum wolle keine Volksstücke und Problemfilme sehen, entgegnet Correll, und die Ufa müsse sujetmäßig dem Ausland Rechnung tragen, weil sie auf den ausländischen Markt angewiesen sei, zumal die deutsche Filmindustrie nicht subventioniert, sondern im Gegenteil noch durch hohe Steuerlasten bedrückt werde.

Schneider-Edenkoben wußte bereits von der goebbelschen "Gleichschaltung"

In der zweiten Runde des Gesprächs werden Schneider-Edenkobens Drohungen unmißverständlich substanziell. Die erneuerte Harzburger Front werde nicht halten, und so beabsichtige man, nach dem 6. März in kulturpolitischer Hinsicht radikal vorzugehen und die Filmindustrie in staatliche Verwaltung zu nehmen und absolut unter eine Diktatur zu stellen. Hitler interessiere sich für den Film, er habe die Propagandamöglichkeiten erkannt, wie sie in Rußland genutzt worden seien.

Auch ohne Verletzung der Begriffe von Eigentum könne man private Unternehmen aus nationalen oder politischen Gründen in staatliche Betriebe überführen, den (finanziellen) Ausfall werde der Staat tragen.

Schneider-Edenkoben bedaure persönlich solche Gewaltmaßnahmen in der Kultur: Ihm sei lieber, wenn sich das im Laufe der Jahre von selbst herausbilde, denn er sei ein Gegner jeden Zwanges bei der Schaffung geistiger Werte. Allerdings sei er auch der Auffassung, die Ufa könne für den wirklich deutschen Film mehr tun als die Herstellung eines nationalen Films im Jahr.

Soweit das Gespräch: an keiner Stelle ging es dabei expressis verbis um das Drehbuch von Schneider-Edenkoben, weshalb Correll, gewissermaßen a parte, Klitzsch an das Gutachten von Sternaux erinnert und auch noch das Urteil des Ufa-Direktors Meydam erwähnt, der das Buch als zu düster und zu literarisch ebenfalls abgelehnt hatte: bäuerliches Milieu, zuwenig Dekorationen.

Man dürfe nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern müsse den Nationalsozialisten volles Augenmerk zuwenden, um nicht eines Tages vor einer Überraschung zu stehen, schreibt Correll und schließt damit, daß Dr. Hanns Heinz Ewers erst kürzlich die Verfilmung seiner Romane >Reiter in deutscher Nacht< und >Horst Wessel< insbesondere vom politischen Standpunkt aus angeregt habe. Eine Antwort darauf habe er bis jetzt hinausgezögert, es sei aber unmöglich, die Stoffe aus dem Stoff selbst heraus abzulehnen. Er bitte um klare Richtlinien.

RIVALEN DER LUFT
RIVALEN DER LUFT
HEIDESCHULMEISTER UWE KARSTEN
DES JUNGEN DESSAUERS GROSSE LIEBE

Schneider-Edenkoben hat der UFA die Pläne der Nazis zu verraten

Correll charakterisiert Schneider-Edenkoben recht wohlwollend (er ist kein Flaneur)- aber seiner Aufzeichnung ist ein gewisses Angewidertsein schon herauszulesen: da kommt einer daher, imponiert mit seinen Beziehungen, macht schweren Druck, um dann die Ufa doch nur zu warnen und ihr die Pläne der Nazis zu verraten.

Man war sich jedenfalls darüber klar, daß dieser "agent provocateur" doch nur ein verkappter Denunziant war, und ließ sich von ihm einen kleinen, billigen Film abpressen: nicht ohne ein weiteres Gutachten in Auftrag zu geben, das dann auch - wenngleich die Bedenken überwiegen - positiv ausfällt.

Zwar sei ein Publikumserfolg stark zweifelhaft, aber es handle sich hier immerhin literarisch und künstlerisch gesehen um ein Werk von wirklichem inneren Werl und vielleicht solle man das Experiment wagen. Denn einmal müsse ja schließlich der Anfang damit gemacht werden, die breiteren Schichten zum Film als rein geistigem Werkm erziehen.

Schneider-Edenkoben kriegt seine erste Regie, die Dreharbeiten werden bald aufgenommen. Es ist der erste Film, den die Ufa eigens für die Nazis macht, es ist der erste Nazifilm. Statt >Kain< heißt er jetzt BLUT UND SCHOLLE. Goebbels und Leni Riefenstahl erscheinen am Drehort und lassen sich photographieren.

Es wird ausschließlich außen gedreht, an einem Schauplatz in Mecklenburg, drei Monate Drehzeit, große Ambitionen, kleines Budget, drittklassige Besetzung, ein Anfängerfilm voller Achsensprünge und Ideen, die nicht zu Ende inszeniert sind und vom Cutter nur aneinandergeklebt werden konnten. Als der Film schließlich herauskam, hatte er den Titel "DU SOLLST NICHT BEGEHREN ..." ...

"DU SOLLST NICHT BEGEHREN ..."

DU SOLLST NICHT BEGEHREN

Er spielt an einem Tag, an einem Schauplatz auf dem Lande. Auf der Straße jenseits der Felder zieht die Welt in symbolischen und allegorischen Figuren vorüber, so wie es in der griechischen Tragödie von der Mauer aus erschaut wird: ohne eigenes Leben.

Der Stoff ist zu klein geraten: Ein junger Bauer erschlägt den Bruder wegen eines leichtfertigen Händlermädchens. Naziparolen sucht man vergebens, es ist kein Propagandafilm, höchstens ein Nazikunstfilm, durchdrungen von dem tiefen Antiintellektualismus eines faschistischen Narodniki - aber um Stil bemüht: ein aristotelischer Expressionismus, so könnte man den Stil beschreiben.

Der Film fiel schrecklich durch - Goebbels konnte vom neuen deutschen Film einstweilen nur weiter träumen. Den Kritikern, die den Film dennoch zu verteidigen suchten, ist die Enttäuschung gleichwohl anzumerken.

(>Der Angriff< vom 6.11.1933). Es hagelte Proteste, und der Reichsbauernführer Darre ließ zum Boykott aufrufen. Indirekt wird die Ufa bezichtigt, das Desaster absichtlich verursacht zu haben.
Der Gloria-Palast, in dem der Film uraufgeführt wurde, hatte das schlechteste Zuschauerergebnis seit Bestehen des Kinos.

Die Ufa ist bestürzt über die geschäftlichen Auswirkungen; selbst wenn die politische Situation sich wieder beruhigen und der Boykott in der nächsten Zeit zurückgezogen werde, habe man sich auf einen Minderumsatz von RM 200.000 gefasst zu machen (Vermerk vom 10.11.1933, an die Ufa-Direktoren adressiert).
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Der Entwurf eines Briefes an den Minister

Am selben Tag kommentiert Klitzsch den Entwurf eines Briefes, der Darre zugestellt werden soll: Er sei zu lang, ein Minister habe nicht viel Zeit zum Lesen; man müsse das Kunststück versuchen, in aller Kürze folgende Argumentation vorzubringen: Anfänglich habe die Ufa sich nicht entschließen können, den Film herzustellen - allzu düster, allzu literarisch sei das Drehbuch erschienen; doch habe man dann doch RM 60.000,- bewilligt, damit einem der vielversprechendsten nationalsozialistischen Schriftsteller ein Versuch im Sinne der von Dr. Goebbels geäußerten Anschauung ermöglicht werde.

Die Durchführung habe aber schon RM 120.000,-beansprucht - eine Erhöhung, mit der man einverstanden gewesen sei, von dem Gedanken bewegt, ein interessantes nationalsozialistisches Film-Experiment durch einen zu seiner Lösung besonders Berufenen zu machen; tatsächlich habe der Film dann später RM 180.000,- gekostet.; von jedwedem Eingriff habe die Ufa sich ferngehalten.

Schließlich erörtert Klitzsch, wer den Brief an Darre schreiben solle. Er verfällt dabei auf einen Herrn Koehn, der den Verkehrston besser treffe, da er den Vorzug hat, als Pg. zum Pg. zu sprechen. (Anmerkung : Fast keiner unserer Leser wußte in der zeit nach 2010 mit dem Kürzel "Pg." etwas anzufangen. Pg steht für Parteigenosse.) Diese Sprache, fährt Klitzsch fort, ist bekanntlich nicht so sehr an die Form gebunden.

Klitzsch mochte die NAZIS nicht

Zweierlei ist an Klitzschs Äußerungen bemerkenswert: einmal der Dünkel und die Herablassung den Nazis gegenüber - sie sind geprägt von jener Ahnungslosigkeit, die das konservative wie das liberale Bürgertum 1933 vorschützte; und dann der Tenor des Beleidigten: Man habe einen Gefallen erweisen wollen und werde
dafür nun auch noch gescholten. Die Zeit des vorauseilenden Gehorsams war 1933 noch nicht gekommen.

Im Gegenteil: Kann man da nicht sogar die Schadenfreude heraushören, daß da etwas mißlungen ist, weil es nicht von befugter Stelle ausgeführt wurde?

1933 - wie konnte es dazu kommen, lautet die gängige Frage, die so selten eine anschauliche Antwort kriegt. Die Übergänge vollziehen sich ohne Einschnitt, die Dispositionen verschmelzen in den Augenblicken von Indifferenz und Indolenz.

Plötzlich befindet sich ein Land mitten im Raubkrieg, und keiner weiß, wie das passiert ist, wo doch im Jahr zuvor die Soldaten noch auf Friedensmission zu den Blauhelmen abkommandiert worden waren. Auf den Mauern stand zwar zu lesen »Sie wollen den Krieg«, aber wer "sie" sind, war noch nicht zu sehen.
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Die Neutonverfilmung von DAS CABINET DES DR. CALIGARI

Die Akten der Ufa - da findet sich zwischen 1932 und 1938 ein seitenlanger Briefwechsel um eine, wie es hieß, Neutonverfilmung von DAS CABINET DES DR. CALIGARI. Robert Wiene, Carl Mayer und andere schrieben aus dem Exil und versuchten, mit der Ufa ein Geschäft zu machen. Am Ende sind ihre Briefe von Hand geschrieben - ich wette, weil sie nicht einmal mehr eine Schreibmaschine besaßen. Sie waren in Prag, in Paris, in England und in den USA und verpfändeten der Ufa, der sie Geld schuldig waren, Rechte und Eigentümer, als deren Besitzer sie sich doch schon längst nicht mehr wähnen konnten.

Unter diesen Briefen ist auch einer von Jean Cocteau zu entdecken. Er ist ganz entzückt von dem Angebot, im neuen Caligari-Film den Cesare spielen zu dürfen: es sei sein spiritueller Bruder. Auch dieser Brief ist von Hand geschrieben, eine schöne Handschrift, sie zeugt von Ebenmaß und Geist.

Aber wer hätte gedacht, daß der Weg von Caligari zu Hitler auch an Cocteau vorbeiführte - kein gerader Weg freilich, er war krumm und nicht zu gehen und führte doch dahin, in den Ufa-Akten kann man die Spuren lesen.

Die Akten der Ufa - wie der Filmmarkt geschaffen wird. Der Markt liegt in den Menschen, das Problem ist, die Tür hinein aufzukriegen. Und wenn die Tür geöffnet ist, was kommt zum Vorschein ? Erstarrte Hüllen und Formen, die eine Ähnlichkeit mit wiederum anderen Formen und Hüllen haben, wie Häute, die abgestreift und liegengelassen wurden.

Hartmut Bitomsky

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Die UFA hat Produktionsschwierigkeiten

Am 13 Dezember 1933 richtet der Produktionschef Correll einen Brief an seinen Direktionskollegen Meydam, der aufgrund des schlechten Geschäftsergebnisses im laufenden Jahr auf massive Einsparungen drängt. Dennoch sollen attraktive Filme herauskommen.

Correll antwortet (Bundesarchiv Berlin): »Außer der weitgehenden musikalischen Ausstattung des Films verlangen Sie (...) erstklassige Besetzung, deren Kosten außer Verhältnis stehen zu der Gesamtsumme, die für den Film zur Verfügung ist. Sie verlangen in der Regel bei den 2-Versionen-Filmen zwangsläufig aus der Handlung sich ergebende Musik. Sie wollen nicht nur unterlegte Geistermusik, von der man nicht weiß, wo sie herkommt, sondern Sie verlangen eine Verbindung von Musik und Stoff. Wir haben versucht, diesen Erfordernissen in der diesjährigen Produktion bei Annahme von RM 600.000,- nachzukommen. Es hat sich nicht durchführen lassen. (...)

Wie können wir im nächsten Jahre der sicher peinlich fühlbaren Emigranten-Konkurrenz im Ausland begegnen, wenn wir (höhere Gagen, weil fern von Paris, durch tausend Rücksichtnahmen beschränkt, die für die Pariser Produktionen wegfallen) Filme kleinen Ausmasses präsentieren wollen, Filme, bei denen durch Etatsbeschränkung nicht das Letzte an Wirkung aus dem Stoff herausgeholt werden kann, und von denen man sich nachher sagen muss, es wäre besser gewesen, sie nicht herzustellen, als in der Weise, in der sie sich bei Herabsetzung der Mittel darstellen werden? (...)

In jahrelangem Kampf hat die Ufa ihre Geltung an erster Stelle in Deutschland, in Frankreich und in anderen Ländern Europas erstritten; sie steht in diesen Ländern bis jetzt noch vor der amerikanischen Produktion. Sie wird weiter im Ausland den Kampf mit den ausländischen Produktionen zu führen haben. Sollten wir den Kampf mühelos aufgeben, indem wir den Wert und damit die Zugkraft unserer Filme verringern? Sollten wir auf den Platz an der Sonne verzichten, lediglich weil in einem Jahre eine notwendige politische Umstellung in Deutschland uns zurückgeworfen hat, in eine Krise gebracht, die wir schon für überwunden halten, und weil im Ausland ein Boykott gegen deutsche Filme eingesetzt hat, der, wie alle Boykotts, in absehbarer Zeit abflauen wird? Gerade gegenüber dem Boykott im Ausland muss sich der gute deutsche Film zeigen, der noch immer den Boykott zum Erliegen brachte.

Bei der Frage der von Ihnen vorgeschlagenen Senkung des Etats geht es auch um die Frage, ob die Ufa ihre Auslandsgeltung in Europa behalten will. Die Amerikaner bringen die grössten Filme auf den Markt und machen die grössten Anstrengungen, die verlorenen europäischen Märkte wieder zu erobern.

In diesem Zeitpunkt mit minderen Filmen auf den Markt zu kommen, heisst, den mühsam errungenen Vorsprung gegenüber ausländischen Filmen im europäischen Ausland aufgeben und an die zweite oder dritte Stelle zu treten. Mit Filmen minderer Qualität können Sie den Auslandsmarkt nicht behaupten.!. ..)
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Wenn wir mit unseren Filmen die Welt erobern wollen .....

Wenn unsere Filme die Welt erobern wollen, dürfen wir uns vor dem Wort >Experiment< nicht fürchten. Der Versuch, auf geistigem, sagen wir irrationalem Gebiet - bei uns also durch den Film - Wirkungen zu erzielen, wird immer mehr experimentellen als empirischen Charakters sein müssen, wenn wir nicht auf Durchschnitt, sondern auch auf aussergewöhnliche Erfolge ausgehen. (...)

Ich möchte mich jetzt hier nur noch zu der Frage >staats- und wirtschafts-politische Filme< äussern. Ich bin nicht der Auffassung, dass man grundsätzlich von der Aufnahme solcher Filme absehen sollte. Die Erfahrung, die wir bei dem Experimentfilm BLUT UND SCHOLLE gemacht haben, und die verschiedenen Schwierigkeiten, die sich in den Weg stellten, sollten uns nicht Veranlassung geben, dieses Gebiet aufzugeben.

Die Ufa hat auch eine kulturelle Aufgabe zu erfüllen, die für die nächste Zeit nur darin wird bestehen können, die staatspolitischen Auffassungen und die Weltanschauungen der Regierung zu fördern. Ich halte es nicht für vertretbar, in einer Zeit, in der das ganze Volk in dem innerpolitischen Streben und Denken mit der Regierung zusammengeschweisst und infolgedessen für die Aufnahme Staats- oder wirtschaftspolitischer Probleme aufnahmebereiter geworden ist, bei der Filmgestaltung in vollständiger Neutralität zu verharren.

Wer sich der Förderung durch den Staat erfreuen will, wird auch das Seine dazu tun müssen, nach seinen Möglichkeiten dem Staat zu helfen, ohne dass dies ein finanzielles Opfer, das nach Lage der Dinge wirtschaftlich auch für die Ufa nicht mehr zu ertragen ist, zu bedeuten braucht.

Der Fall HiTLERJUNGE QUEX hat ganz deutlich gezeigt, dass die Herstellung eines politischen Films - und ein solcher ist es ja wohl unbestreitbar gewesen - auch Vorteile bringen kann. Man wird nur, durch Erfahrungen der Vergangenheit gewitzigt, derartige Stoffe Hand in Hand mit der betreffenden Stelle der Regierung herstellen müssen, um von vornherein gegen nicht übersehbare politische Eingriffe gesichert zu sein.«
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Juni 1934 - Die Bilanz der UFA Theaterverwaltung

FREUT EUCH DES LEBENS

Mit einem Rundschreiben vom 26. Juni 1934 macht die Theaterverwaltung der Ufa ihre Bilanz auf und gibt den Theaterleitern zugleich Argumentationsmateria/:

»Es dürfte Sie ausserordentlich interessieren, welchen Anteil die Ufa-Filme an den von der Zensurbehörde im Laufe der vergangenen Saison verliehenen Prädikate >staatspolitsch wertvoll<, bezw. >künstlerisch wertvoll<, gehabt haben, da hieraus zu ersehen ist, daß gerade die Ufa es gewesen ist, die, wie keine andere Firma, bemüht war, der Weltanschauung des neuen Staates gerecht zu werden. (...)

Die Ufa hat in der Produktionsperiode 1933/34 bisher 19 grosse Spielfilme hergestellt. Von diesen Filmen sind die nachgenannten in dem Bestreben entstanden, die Weltanschauung des neuen Staates zum Ausdruck zu bringen. Es sind dies Filme, die teilweise unter der früheren Regierung nicht hätten hergestellt werden können. Es sind dies: HITLERJUNGE QUEX, FLÜCHTLINGE, HEIDESCHULMEISTER UWE KARSTEN, ABEL MIT DER MUNDHARMONIKA, DES JUNGEN DESSAUERS GROSSE LIEBE, INGE UND DIE MILLIONEN, DIE FREUNDIN EINES GROSSEN MANNES, RIVALEN DER LUFT, DU SOLLST NICHT BEGEHREN (BLUT UND SCHOLLE), FREUT EUCH DES LEBENS.

Diese Filme sind zum allergrössten Teil in der Inlandspresse, wenn auch nicht ausdrücklich als Filme nationalsozialistischen Gedankengutes erklärt, jedoch in diesem Sinne besprochen. Im Ausland sind alle diese Filme als nationalsozialistische, bezw. als Filme des neuen Deutschlands bezeichnet worden, wie aus den ausländischen Pressestimmen eindeutig hervorgeht. Im Nachstehenden geben wir eine Übersicht über die künstlerische, bezw. staatspolitische Wertung der von der Ufa im Laufe des Jahres hergestellten Filme und derjenigen der übrigen Industrie.

Von der gesamten deutschen Filmindustrie bisher für 1933/34 vorgelegt 108 Filme, von diesen als künstlerisch oder staatspolitisch oder volksbildend anerkannt 26 Filme; an Ufa-Filmen bisher erschienen 17 Filme, von diesen die obengenannten Anerkennungen erhalten 10 Filme.

Also: 15% anerkannte Filme bei der übrigen Industrie, 59 % anerkannte Filme bei der Ufa. (...) - Dieses Bild derSpielfilmproduktion bei der Ufa spricht für sich selbst.«

(Archiv der Stiftung Deutsche Kinemathek)

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