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Edy Dengel und seine frühen Filme ab 1918

Sie sind hier auf den Seiten eines ganz frühen Filmpioniers, der bereits 1918 mit 17 Jahren einen ersten 35mm Kinokrimi produziert hatte. Es war in dem kleinen selbständigen Städtchen Biebrich am Rhein - später ein Vorort südlich von Wiesbaden.
Diese Aufarbeitung des deutschlandweit einmaligen Engagements eines 17jährigen ist mit einer Menge originaler Unterlagen aufgearbeitet und hier nach Jahreszahlen aufzufinden.
Am besten beginnen Sie auf der einführenden Seite hier.

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Aus WIESBADENER LEBEN 8/1987

Die Wiesbadener Filmnächte begannen 1986 und sollten anscheinend beides bewirken : Wiesbaden wieder bei den Filmfirmen ins Gespräch bringen, denn man konnte in den einschlägigen Fachblättern wie FKT und Kameramann Presseinfos verteilen (lancieren) und redaktionelle Beiträge "unterbringen", natürlich mit Anschrift und Telefon der Ansprechpartner. Und man konnte etwas zur kulturellen Erbauung der interessierten Bevölkerung tun, weshalb ein kommunales Kino an erster Stelle einer publizierten Wunschliste stand.

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Wiesbadener Filmnächte (1986 und 1987)

Am Anfang stand der Gedanke des Kulturreferats, Wiesbadener Filmaktivitäten in einem der sommerlichen Höhepunkte vorzustellen. Damit ergab sich gleichzeitig die Gelegenheit, die Geschichte der Filmstadt Wiesbaden, die nur Wenigen noch bekannt sein dürfte, zu demonstrieren.

Mit zwei engagierten Filmleuten - Harald Schleicher und Uwe Schriefer - entstand die „Initiative Wiesbadener Filmschaffende fordern Kommunales Kino", die nun nach dem Erfolg der ersten „Filmnächte" im letzten Jahr 1986 ermutigt (ca. 10.000 Besucher) - und von der Stadt finanziert !! - im August jetzt an 5 Abenden das Open-Air Ereignis in den Reisinger-Anlagen fortsetzen wollen.
(Einzelheiten zum Programm 1987 - siehe Veranstaltungsteil!)
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Ein Kommunales Kino soll es werden

„Die positive Resonanz auf ein Programm, in dessen Hauptteil sowohl Kino-Klassiker als auch cineastisch ambitionierte Werke gezeigt wurden und dessen Vorprogramm sich auf vielfältige Art und Weise mit Wiesbaden befaßte, machte deutlich: es gibt in unserer Stadt ein großes Bedürfnis nach einem Kino, das sich nicht allein am kommerziell einträglichen orientiert.

Ein Kommunales Kino zu schaffen sollte vordringliche Aufgabe sein ... Die WIESBADENER FILMNÄCHTE widmen sich in erster Linie den Themen "Filmstadt Wiesbaden" und "Wiesbaden im Film". Filme zu diesen Bereichen waren 1986 Bestandteil des Vorprogramms, das besonderen Anklang fand. Wir zeigen neuere Werke Wiesbadener Filmemacher und stellen anhand von Filmausschnitten und Dias traditionsreiche Filmproduktionen unserer Stadt vor. Programme, die den Anspruch Wiesbadens als Filmstadt untermauern.

Edy Dengels „Das Schloß des Schreckens" von 1919

Dank der Unterstützung der „Taunusfilm" wurde es ermöglicht, historische Dokumente zur Stadtgeschichte auf modernes Filmmaterial umzukopieren und im Rahmen der WIESBADENER FILMNÄCHTE vorzuführen. Der älteste Wiesbadener Spielfilm, Edy Dengels „Das Schloß des Schreckens" wurde in einer gekürzten Fassung rekonstruiert und mit Zwischentiteln versehen - nach 66 Jahren konnte der Film in Anwesenheit seines Autors wiederaufgeführt werden.

Nicht alle ermittelten und erhaltenswerten Filmdokumente, die weitgehend nur als vom Verfall bedrohter Nitrofilme vorliegen, konnten bislang umkopiert werden. Diese einmaligen, stadtgeschichtlich bedeutsamen Werke müssen unbedingt auf haltbares Material kopiert werden ...

Wir konzentrieren uns auf die historischen Kapitel der Wiesbadener Filmgeschichte und damit auf Zeiträume, die es einerseits am ehesten angemessen erscheinen lassen, von einer 'Filmstadt Wiesbaden' zu sprechen. Andererseits erschien es uns vordringlich, an dieser Stelle jene Ära zu behandeln, von der letzte Zeitzeugen noch aus erster Hand zu berichten wissen."

So das Projektteam, welches im Folgendem über die zurückliegende Tätigkeit berichtete:

Edy Dengeis „AXA-Film"

„Im Frühsommer des Jahres (vermutlich 1986 ?) begannen wir mit unseren Recherchen:

Die Filmstadt Wiesbaden, das wußten wir, hatte in den fünfziger Jahren mit ihren Produktionsstätten 'Unter den Eichen' eine gewisse Bedeutung gehabt, wir kannten einige Spielfilme, die in Wiesbaden produziert wurden.

Was aber geschah in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg? Gab es vorzeigbares Filmmaterial, wo waren Zeitzeugen aufzufinden, die Auskunft über das Geschehen jener Jahre geben konnten? Wir machten uns an die Arbeit, durchforsteten Filmarchive und führten zahlreiche Gespräche mit Wiesbadener Filmschaffenden.
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Es gab da mal Wild-West Filme auf den Rheinwiesen

Schon bald erhielten wir die ersten Hinweise: Kurz nach dem ersten Weltkrieg sollte jemand auf den Rheinwiesen Wild-Westfilme gedreht haben. Diese Nachrichten beflügelten unsere Phantasie: Tom Mix im wilden Galopp über die Schiersteiner Rheinwiesen? Allmählich konkretisierten sich die Informationen - so wurden wir gewahr :

Edy Dengel sei zu jener Zeit der Kameramann gewesen, er müsse an die neunzig Jahre alt sein und lebe irgendwo in der Nähe Wiesbadens. Die Firma 'Fred Dengel Filmproduktion' in Biebrich ist eine bekannte Adresse, sie verleiht Filmequipment und wird von einem Sohn Edy Dengels geleitet. Wir waren, das wußten wir nun - Wiesbadens Filmpionier auf der Spur, aber Wild-Westfilme hatte er nicht gedreht.

Besuch in Wildsachsen bei Edy Dengel (inzwischen 86)

Der rüstige alte Herr, den wir in Wildsachsen trafen, ist so alt wie dieses Jahrhundert. Edwin 'Edy' Georg Dengel lebt seit mehr als fünfzehn Jahren im Ruhestand. Dennoch: Im Erdgeschoß seines Hauses hat der 86 Jahre alte Filmemacher sein Büro - und eine komplett eingerichtete feinmechanische Werkstatt.

In seinem Büro künden Plakate mit verheißungsvollen Titeln „Das Schloß des Schreckens" und „Der Mann mit der Todesmaske" von der bewegten Lebensgeschichte Edy Dengels.

Die zahllosen Filmdosen in seinem Haus erregen unser Interesse und es wird wahr, was wir zu Beginn unserer Arbeit kühn erhofften: Wir erhalten von Edy Dengel, dank der tatkräftigen Unterstützung seines Sohnes Fred Dengel, vier Rollen Nitrofilm Negative, die beiden ersten Spielfilme, die Edy Dengel in den Jahren 1919-24 gedreht hatte!

Sie lagen seit 66 Jahren in den Filmbüchsen und sind die einzigen erhaltenen Dokumente von insgesamt acht Spielfilmen, die Edy Dengel vor dem zweiten Weltkrieg in seiner Firma, der AXA-Film produzierte.
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  • Anmerkung : Die etwas sehr theatralische vorgetragene Entdeckung des inzwischen fast greisen Edy Dengel (es war bereits 86 Jahre alt) hätte bei einem Anruf in der Filmtechnik-Firma Fred Degel in der Wiesbadener Landstraße 18 in Amöneburg geklärt werden können. Das wußte sogar der Redakteur Gert Redlich, obwohl er lange Jahre nicht mehr beim ZDF als Tontechnik-Aushilfe gearbeitet hatte.

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Filmschauspieler aus der Gibb

Edy Dengel berichtet (Anmerkung : in 1986 !!) : „Es war schon immer mein Wunsch, einen eigenen Film zu drehen. Ich hatte in meiner Jugend viele Filme gesehen. Ich war für Kriminalfilme, für Detektivfilme. Ein Kriminalfilm mußte in den zwanziger Jahren in Amerika spielen. Ich habe damals die Filmdetektive Joe Deebs und Stuart Webbs bewundert, die von den Schauspielern Max Landa und Ernst Reichert gespielt wurden. Die beiden waren die markantesten Detektivdarsteller ihrer Zeit. Es waren ihre Filme, die mir Mut gemacht haben, selber Filme zu produzieren.

Mir hat das in der Nase gestochen, ich wollte so einen Detektiv spielen, das war dann der Fred Repps. Ich habe mir eine Geschichte ausgedacht, engagierte einen bekannten Schauspieler aus Heidelberg, und da ich ja den Fred Repps selbst spielte, mußte ich mir aus Frankfurt einen Kameramann holen (dazu siehe oben die nachträgliche Korrektur im Impressum des Filmes)
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Alle anderen Mitwirkenden in meinen Filmen, so auch in meinem ersten Film „Schloß des Schreckens" kamen aus der Gibb. Ich wohnte damals im Haus meiner Eltern in der Weihergasse. Alle Bekannten und Nachbarn sind gekommen und haben umsonst mitgemacht, die waren froh, daß sie da mitmachen konnten.
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  • Anmerkung : Als 1918 der 1. Weltkrieg zuende war, blieb auch hier in Wiesbaden das Leben erstmal fast stehen. Die Wirtschaft war ziemlich zusammengebrochen und außer nach der Jagd nach etwas zu essen war Langeweile angesagt. Die Gibb war ein Arbeiterviertel und deshalb war der Andrang nach Abwechselung so groß.

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Edy hatte das Improvisieren im Blut

So wurden die engen Gassen der Gibb kurzerhand in die berüchtigten Stätten der New Yorker Unterwelt verwandelt. Die Bachgasse wurde zur Bowery Street und der ehrwürdige „Vater Rhein" wurde zum Hudson River, an dessen Ufern Fred Repps alias Edy Dengel mit seiner Gehilfin Kitty schurkische Mädchenhändler zur Strecke brachte.

Die große Freitreppe des gerade fertiggestellten Museums diente mit ihren mächtigen Säulen als Kulisse für ein Polizeipräsidium. Fred Repps lieferte hier dem Biebricher Gendarmen in der Uniform eines New Yorker Polizisten die gefesselten Schurken ab. Bei den wilden Verfolgungsjagden mußten die Darsteller ohne Double auskommen, und das hatte Folgen: Kitty Corvin war der Künstlername von Katharina Ries, der späteren Ehefrau Edy Dengels, sie hatte in einem späteren Film von einem fahrenden Auto zu springen und verletzte sich dabei schwer. Eine Gehbehinderung war die tragische Folge.
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Einen Film entwickeln - eine große Aufgabe

„Nach einem Drehtag - so Edy Dengel, mußte der belichtete Film nach Freiburg zur Firma Welt-Kinematograph zum Entwickeln geschickte werden, das war das nächstgelegene Kopierwerk. Es passierte dann aber sehr oft, daß wir Nachricht erhielten - dieses oder jenes Filmmaterial sei nicht brauchbar. Für uns war das sehr ärgerlich, wir mußten dann die Dreharbeiten noch einmal machen. Außerdem dauerte es sehr lange, bis wir die entwickelten Filme zurück erhielten. Wenn wir abends fertig waren, wollten wir sehen, was auf dem Film war - also haben wir uns eine eigene Kopiermaschine gebaut, um die Filme selbst entwickeln zu können. Das hat uns unabhängig gemacht."

Auch Edwin Dengel erwachte nach dem Sieg der NSDAP 1933 :
"Dengel, bist du eigentlich in der Partei ?"

Der Ruf des Wiesbadener Filmpioniers drang bis nach Berlin, damals das Mekka des deutschen Films. „Ich fuhr also mit meinem ersten Film „Das Schloß des Schreckens" nach Berlin. Der Imperator Film-Verlag wollte ihn haben. Ich bin dann in die Friedrichstraße gefahren und habe ihn vorgeführt. Die Berliner waren begeistert und machten mir das Angebot, in Berlin zu bleiben. Ich habe mich aber in dieser Stadt nicht wohlgefühlt - ich mußte wieder zurück in die Gibb. Ich kannte doch niemanden in Berlin!" berichtete Edy Dengel.

Wieder zurück in Wiesbaden drehte er sechs weitere „waghalsige Abenteuer des Detektivs Fred Repps". Daneben arbeitete Edy Dengel für die Wochenschau. So stammen die Aufnahmen des zugefrorenen Rheins aus dem Jahre 1929, die im Bundesarchiv in Koblenz lagern, ebenso wie die Aufnahmen vom Besuch des Reichspräsidenten Hindenburg in Wiesbaden - von Edy Dengel. Die Aufträge wurden ihm aus Frankfurt übermittelt. Das Jahr 1933 brachte für Edy Dengel einen tiefen Einschnitt: „Eines Tages stellte mein Auftraggeber aus Frankfurt mir die Frage: Dengel, bist du eigentlich in der Partei? Ich war nicht in der NSDAP und ich bin auch nicht reingegangen. Die Folge war: Er bekam keine Aufträge mehr."

Jetzt kommt Edy Dengels großer Fehler

Ich habe mein ganzes Leben noch nie mit Ton gearbeitet. Doch mittlerweile war der Tonfilm ausgereift.
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  • Anmerkung : Der erste Nadelton, also der Film-Ton von der 40cm Langspielplatte war jetzt mehr als 6 Jahre her und es gab bereits Ton-Filme mit dem synchronen Lichttonverfahren nach Vogt, Engl und Massolle - Triergon)

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Edy Dengels letzte Filmproduktionen kamen nicht mehr zur Aufführung. Stummfilme interessierten die Menschen nicht mehr. In der folgenden Zeit produzierte Dengels AXA-Film Städteporträts. Zu besonderen Anlässen wurde - im Auftrag einer Gemeinde, einer Stadt oder vom örtlichen Kinobesitzer - die jeweilige Festlichkeit auf Film festgehalten. So erteilte die Gemeinde Kloppenheim zu ihrer Tausend-Jahr-Feier (oder war es die 650 Jahrfeier ?) der AXA-Film den Auftrag, den Festzug und das anschließende Historienspiel zu filmen. Dieser Film bedindet sich heute im Besitz der Landeshauptstadt Wiesbaden. Dieses wichtige Dokument der Stadtgeschichte ist auf Nitromaterial erhalten geblieben und wartet darauf, umkopiert zu werden.

„Die Städteporträts waren damals - so Edy Dengel - für die Menschen ein großes Ereignis. Sie konnten sich und ihre Stadt im Kino sehen. Finanziert wurden die Filme von den Kinobesitzern und den Geschäftsleuten, deren Geschäfte wir gefilmt haben. Pro Meter verarbeitetes Zelluloid wurde 1,80 Mark berechnet."

Der letzte Streifen Edy Dengeis entstand in den fünfziger Jahren: „Der Mann mit der Narbe". Und er war selbstverständlich wieder stumm - sagt doch der rüstige alte Herr im Brustton der Überzeugung: „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie mit Ton gearbeitet, ich bin Fachmann für Stummfilm, da macht mir keiner was vor!"

Aus „Zur Geschichte der Filmstadt Wiesbaden" von Harald Schleicher und Uwe Schriefer.
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Bild seite 26
Das Schloß des Schreckens, Regie und Produktion: Edy Dengel, AXA-Film
Kamera: Edy Dengel (das stimmt aber nicht immer), Mit: Edy Dengel (Detektiv Fred Repps), G. Biebeler (Dolf), Kitty Ries (Kitty) u. a. 1919, sw (viragiert) stumm, ca. 50 Min.

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