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Edy Dengel und seine frühen Filme ab 1918

Sie sind hier auf den Seiten eines ganz frühen Filmpioniers, der bereits 1918 mit 17 Jahren einen ersten 35mm Kinokrimi produziert hatte. Es war in dem kleinen selbständigen Städtchen Biebrich am Rhein - später ein Vorort südlich von Wiesbaden.
Diese Aufarbeitung des deutschlandweit einmaligen Engagements eines 17jährigen ist mit einer Menge originaler Unterlagen aufgearbeitet und hier nach Jahreszahlen aufzufinden.
Am besten beginnen Sie auf der einführenden Seite hier.

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Wiesbadener Tagblatt - Dienstag, 13. Dezember 1960

Im ältesten Filmstudio Wiesbadens:
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„Achtung, Aufnahme!" an der Biebricher Henkellstraße

Auch Walter Clemens ist mit von der Partie / „Juristisch sieht das anders aus" - im Fernsehen

KGT - Walter Clemens, der aus seiner Zeit am Wiesbadener Staatstheater bis vor elf Jahren noch in guter Erinnerung ist, macht gar nicht den Eindruck, als könne er plötzlich in der Rolle eines jüngeren Vaters „losdonnern". Und doch „platzt ihm der Kragen" : „Du Affenkopf hast es gerade nötig ... Um ein Auto hat du mich gebracht! ... Mit diesem Schein da kannst du dir die Nase putzen ..." Was Steppke allerdings nicht tut. Er wendet sich vielmehr von der Kamera ab und grinst in lebenswahrhaftiger Lausbubenmanier Regisseur Oskar Windergerst an. „Kamera und Ton stopp!" Noch mehrmals ist an diesem Tag der hölzerne Schlag der Filmklappe zu hören - nicht auf dem Filmgelände „Unter den Eichen", sondern in Wiesbadens ältestem Filmatelier, in der Henkellstraße in Biebrich, in dem zur Zeit kurze Spielfilme für das Fernsehen gedreht werden.
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Am Gartentor im hohen Holzzaun ein kleines Schild: „Axa-Filmgesellschaft - Dengel-Filmstudio". Ein paar Schritte dahinter blinkt rotes Licht an der breiten Tür eines bungalowartigen, langgestreckten Hauses auf: „Achtung, Aufnahme!" Niemand vermutet dort ein Atelier, in dem auf der einen Seite ein Zimmer aus Holz Verstrebungen und Tapeten, auf der anderen eine Bar entstanden ist. In und über dem deckenlosen Zimmer gleißen die Scheinwerfer auf, rollt die Kamera heran. „Ton fertig? .. Kamera fertig?" ... „Ton läuft..." Wieder fällt die Klappe für die Fernsehfilm Serie „Juristisch sieht das anders aus", die von der M-Filmgesellschaft aus Konstanz produziert wird.

Heute wird übrigens ab 14 Uhr vor und im Regina-Palast in Biebrich gedreht. Es geht um die jungen Besucher solcher Filme, die zwar für Jugendliche zugelassen sind, aber von ihnen ab 22 Uhr nicht mehr besucht werden dürfen, weil Vater Staat dies laut Jugendschutzgesetz nicht will.

Bis Mitte Januar wird dort in dem kleinen Filmatelier an der Henkellstraße - dort, in dem auch zwei Fortsetzungen der Fernseh-Filmserie „Nachsitzen für Erwachsene" mit Paul Henkels auf Zelluloid gebannt worden sind - mit Hochdruck gearbeitet. Da müssen allein sechs Streifen der Serie „Teenager- Party" abgedreht werden, und dreimal geht es in der Serie „Ich und mein alter Herr" um das Dasein eines Strohwitwers mit seinem Sprößling. Und dann steht in der Produktion einer anderen Filmgesellschaft auch der Wiesbadener Darsteller Bogislaw von Heyden vor der Kamera: 13 Kurzfilme für's Fernsehen ...

Walter Clemens - ein Wiesbadener Darsteller, der seit langem wieder in seiner Heimatstadt weilt. Vor elf Jahren nahm er vom Staatstheater Abschied, um ans Württembergische Staatsschauspiel in Stuttgart überzuwechseln. 1954 drehte er noch neben Michel Auclair „Das zweite Leben" auf dem Filmgelände „Unter den Eichen", doch dann rückte er in Film und Fernsehen immer stärker nach vorn: „Strafbataillon 999", „Soldatensender Calais", „Liebling der Götter" mit Ruth Leuwerik ... Und dann das Fernsehen mit „Stahlnetz" und „Ein Fehltritt". Der Walter dürfte es „gepackt" haben - toi, toi, toi ...

Im Hintergrund des Ateliers steht ein Mann in hellgrauem Arbeitskittel. Schal um den Hals, Hut nach hinten geschoben: Edwin Georg Dengel. Der Mann, der bereits in Wiesbaden Filme drehte, lange bevor man vom Filmgelände „Unter den Eichen" sprach. Genauer gesagt: schon vor 42 Jahren (also ist dieser Artikel aus 1960), als Stummfilme über die Leinwand liefen und ein Klavierspieler für musikalische Untermalung sorgte.

Dieser Edwin Georg Dengel könnte aus seiner jahrzehntelangen Tätigkeit stundenlang Episoden und noch einiges mehr erzählen. Er war es auch, der noch vor eineinhalb Jahren mit Buben und Mädchen der Gibber Volksschule einen Eineinhalb-Stunden-Spielfilm für Kinder drehte. „Der Mann mit der Narbe". Er schrieb das Drehbuch, er baute die Kulissen auf, er suchte seine jungen Darsteller aus, und er führte auch Regie für einen Kinderfilm, dem bald noch weitere folgen sollen. Diesem Mann, der da in seinem eigenen Filmatelier an der Henkellstraße „Filmarbeiter" im wahrsten und auch besten Sinne des Wortes ist, sieht niemand an, daß er in einem Jahr über zehn Kulturfilme über das Jugenddorf im Odenwald schuf, daß er Industriefilme „auf die Beine stellt" und daß er nicht zuletzt auch Fernsehfilme in eigener Produktion herstellt, so die Serie „Sensationsjäger Morgenrot".

Edwin Georg Dengel ist bei keinem Film-Empfang, bei keinem Filmball zu treffen. Er ist Biebricher und hat es zu etwas gebracht auf dem Filmsektor - auch wenn das Schild „Axa-Filmgesellschaft" am Gartentor vor dem niedrigen, kleinen Filmatelier an der Henkellstraße fast unscheinbar klein ist ...

Bildunterschrift geparkt

Der frühere Wiesbadener Schauspieler Walter Clemens (links) wirkt in dem Fernsehfilm „Juristisch sieht das anders aus" mit, der zur Zeit an der Henkellstraße in Biebrich gedreht wird. Neben ihm Anita Dengel. Kameramann ist Bert Meister. Die Rolle des Rechtsanwalts hat Dr. Hasselbrink, Dramaturg am Staatstheater, übernommen. Foto: Scheffler

Wiesbadener Tagblatt 1961

Im „Neuyorker Scheunenviertel" an der Henkellstraße
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„Der Mann mit der Narbe" : Edwin G. Dengel

Sein Kinderfilm ist bald auf dem Bildschirm zu sehen / Als vor Jahrzehnten noch gekurbelt wurde

KGT - „Blende auf!" für einen Mann, dem es zu danken ist, wenn in Kürze voraussichtlich ein Spielfilm mit Buben und Mädchen der Volksschule in der Gibb über den Bildschirm der Fernsehgeräte geht: Edwin Georg Dengel in der Henkellstraße. Er nämlich hat aus Liebe zum Film und aus Liebe zur Jugend vor über einem Jahr mit diesen Steppkes aus Biebrich den Zweitausend-Meter- Streifen „Der Mann mit der Narbe" gedreht, und zwar nach eigenem Manuskript und in eigener Regie - und im eigenen Filmstudio. Nur wenige wissen, daß dort in dem kleinen Bungalow-Haus an der Henkellstraße Scheinwerferbündel aufgleißen und Kameras surren ...
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Die "Monopol-Lichtspiele" in der Weihergasse

Edwin Georg Dengel - mit dem Namen dieses Manne, der heute 60 Jahre alt wird (der Artikel ist also aus 1961) und der am gleichen Tag 45 Jahre lang in der Filmbranche "steckt", verknüpft sich die Erinnerung an das Wirken des ersten Wiesbadener Filmproduzenten, der nicht auf dem Filmgelände „Unter den Eichen" tätig ist. Er ist ein Mann, der nicht viel Worte macht. Dafür aber hat er das Herz auf dem richtigen Fleck, wenn ihm auch niemand Filmbürgschaften gibt und keine „tollen" Stars vor den Kameras seines Filmateliers auftreten - wenigstens zur Zeit nicht. Dafür aber schmunzeln die Biebricher, wenn sie den Namen Dengel hören ....

Vor 45 Jahren : der Lausbub Edwin hatte es „faustdick" hinter den Ohren, wie es heißt. Dieser 15-jährige Steppke nämlich hat nichts anders als Theater, Film und Zirkus im Kopf. Er steckt alle Groschen, die er bekommen kann, in einen Kinder-Zirkus, der so von sich reden macht, daß ein energischer „Butze", ein Schutzmann, anstiefelt und die „Zirkus-Leute" - darunter Edwin Georg Dengel als Trapezkünstler,- mit einem „Arbeitsverbot" bestraft. Warum? Weil während der „Vorstellungen" auch gesammelt wurde, und zwar für die „Film-Produktionen".

Zwei Jahre später, mit 17 Jahren, ist der „Dengels Edwin" schon Kino-Besitzer in der Wiesbadener Rheinstraße. Wo bis dahin ein Flohzirkus auftrat und dann Haare geschnitten wurden, führt der Edwin im „Kaiser-Kino" die Stummfilme mit Henny Porten vor, den eine Schwester Dengels am Klavier musikalisch untermalt, während die zweite Schwester an der kleinen Kasse das Eintrittsgeld kassiert. Kurz vor Kriegsende (1918) aber brennt das Kino aus - und der Edwin eröffnet neben seinem Elternhaus in der Biebricher Weihergasse die Monopol-Lichtspiele mit einer richtigen Drei-Mann-Kapelle ...

Der Film war in der Straßenbahn (von Frankfurt nach Wiesbaden Biebrich) "verbrannt" !!!!

Mit dem Kino ist's bald vorbei, weil in der Straßenbahn zwischen Frankfurt und Wiesbaden ein Film verbrennt, der die Haare einer Frau und die Fräcke einer ebenfalls in der Straßenbahn befindlichen Kapelle in Flammen aufgehen läßt.

  • Anmerkung : Der damalige 35mm Nitrozellulose Film war extrem brennbar, ja fast explosiv, wenn er zu warm wurde. In den damaligen Zeiten sind während der Vorführungen in ganz Europa jede Menge Filmprojektoren abgebrannt. Nitro Film war nicht mit Wasser zu löschen !!, sonder nur mit Sand zu ersticken.


Deshalb gründet Dengel 1918 (es war laut der vorliegenden Original- Dokumente 1917) in der Friedrichstraße 39 in Wiesbaden (Anmerkung : oder war es eine Friedrichstraße in Biebrich ?) die „Axa-Film-GmbH", ein Name, der von irgendeiner Zigarettenmarke hergeleitet wird. Und dann wird gedreht : als Darsteller, Drehbuchautor und Regisseur „baut" Edwin G. Dengel die Detektiv-Film-Serie „Das Schloß des Schreckens" und „Strandonkel Tom" (im Schiersteiner Strandbad).

Der Hauptdarsteller in „Schloß des Schreckens" ist plötzlich nicht mehr mit der Tagesgage von fünfzig Goldmark (Anmerkung : das war damals 1919 sehr viel Geld) zufrieden. Deshalb läßt ihn der Regisseur und Produzent in der Handlung einfach - sterben ....... (Anmerkung : wie später bei den Tatort Filmen auch).

Das mit der Filmerei in der Friedrichstraße geht so weiter bis 1923. Dann baut der Produzent der „Axa-Film" sein erstes Atelier in der Weihergasse, das „Glashaus", zu dem auch eine eigene Kopieranstalt gehört. Dengel baut selbst die Kulissen, schreibt die Drehbücher und ist wieder Hauptdarsteller - in der Detektiv-Film-Serie mit „Detektiv Fred Repps".

UNd dann wird „Der Mann mit der Todesmaske" gedreht. Alles ist da, nur ein „waschechter" Neger fehlt. Doch da springt ein afrikanischer Königssohn, Wilhelm von Numune, in die Bresche - bevor er als „Produzent" falscher Dollars hinter Schloß und Riegel kommt. Und schließlich wird „Im Newyorker Scheunenviertel" gedreht, übrigens mit künstlichem Regen aus der Gießkanne und mit einer sensationellen Verfolgungsfahrt im Auto, das den Abhang hinunterstürzt - im Dyckerhoff-Bruch bei Amöneburg.

Ein Auto? .... „Das war damals nicht zu kriegen. Deshalb haben wir selber eines aus Sperrholz gebaut ...", erzählt jetzt der Biebricher Film-Mann und schmunzelt. „Ein Taxameter mußte damals herhalten, um den entsprechenden blauen Qualm zu machen ....."
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Als der Tonfilm kam

Bald ist's vorbei mit den Stummfilmen, weil der Tonfilm aufkommt. Und dann filmt Edwin G. Dengei aktuelle Ereignisse: Hinderburg in Wiesbaden, das erste Raketenauto auf dem Nürburg-Ring, das Rennen auf der Hohen Wurzel, Einweihung des 80er-Denkmals auf dem Neroberg ...

Mittags wird gedreht, abends laufen diese Filme in den Kinos. Im „Dritten Reich" kommt das Filmverbot, und der Produzent verkauft seine Film-Einrichtung nach Berlin, wo alles verbrennt, und er wird Maschinengroßhändler, der erst wieder 1948 ins alte Metier „umsatteln" kann. Er hat den Mut nicht verloren, und deshalb baut er sein Filmstudio in der Henkell-Straße ...

Dort werden nun in den folgenden Jahren ein großer Kulturfilm „Charme Paris", ein Dokumentarfilm über ein Jugenddorf im Odenwald, Industrielle Kulturfilme, der Fernseh-Kurzfilm „Sensationsreporter Morgenrot" - und auch „Der Mann mit der Narbe" als Spfilm mit Biebricher Buben und Mädchen gedreht. Dann und wann sind auch auswärtige Fernsehgesellschaften in seinem Atelier an der Arbeit, und schließ möchte Edwin G. Dengel auch eigene Fernsehfilme drehen.
Toi. toi. toi..

Samstag/Sonntag, 4./5. Februar 196?

Edwin Georg Dengler, Wiesbadens erster Filmproduzent, an der Kamera. Im Hintergrund die (Kulissen-) Bar aus dem Streifen „Der Mann mit der Narbe" und - „Uschi", Denglers vierbeiniger und schnurrender Talisman. Foto: G
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