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Erinnerungen von Manfred Hemmerling (2002) Kapitel 1 - 18

überarbeitet von Gert Redlich im Nov. 2015 - Bei meinem Besuch bei den Pensionären von Radio Bremen im Sept. 2015 legte Nick Kröger dieses Buch auf den Tisch, weil Herr Hemmerling an dem Zeitzeugengespräch leider nicht mehr teilnehmen konnte. Manfred Hemmerling ist wenige Tage vorher am 19. Sept. 2015 im Krankenhaus verstorben. Nach dem groben Durchlesen noch im Hotel in Bremen stand der Entschluß fest, die 260 Seiten der Erinnerungen an 40 Jahre im Rundfunk (bei Radio Bremen) einem erheblich breiteren Publikum vorzulegen.
Um das Ganze lesefreundlich zu gestalten, sind von mir weitere Überschriften zur Trennung von Lese-Blöcken eingefügt worden und natürlich auch Kommentare und Verlinkungen und weitere Bilder, die den jüngeren Lesern einiges besser veranschaulichen.
Das Inhaltsverzeichnis ist auf eine eigene Seite ausgelagert.

Kapitel 9
Erste Auslandsreisen nach Moskau, Oslo, Zürich . . .

Aufgrund meiner gewachsenen Erfahrungen in der MAZ-Technik fuhr ich wiederholt mit Programmkollegen ins Ausland. Insbesondere wegen des damaligen Problems, fremd aufgezeichnete Bänder in Bremen auch möglichst fehlerfrei wiedergeben zu können (ein problemloser Bandaustausch, wie er heute selbstverständlich ist, war damals noch nicht möglich). Die Reisen führten nach Moskau, Oslo, Zürich, London und Stockholm.

"Produktionshilfe" aus Moskau nur gegen Dollars

Diese Rundfunkanstalten gewährten uns großzügige "Produktionshilfe" (in Moskau nur gegen Dollar). Die Reise nach Moskau war schon etwas ganz Besonderes, da ich auch im staatlichen Fernsehzentrum bei der Aufzeichnung dabei sein sollte. Schon ein Visum für die Einreise in die damalige UdSSR galt als Auszeichnung, ein Besuch des Fernsehzentrums als etwas Utopisches. Es war die Zeit, als Nikita Chruschtschow regierte!

Es war Mitte Februar 1964

Mitte Februar 1964 fuhren Walther F. Schmieder, Abteilungsleiter des FS-Zeitgeschehens bei Radio Bremen, Ernst W. Siedler, Bildregisseur, und ich mit dem PKW von Bremen über die ziemlich verschneite Autobahn zum Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel. Von hier ging unser Flug zunächst über Kopenhagen nach Stockholm, um von dort mit einem SAS-Flug (die Skandinavian-Airlines durfte im Wechsel mit der sowjetischen Aeroflot zweimal in der Woche dorthin fliegen) nach Moskau.

Wir flogen am späten Nachmittag von Stockholm ab, in Moskau war es aber bereits 7 Uhr abends. Wir erreichten Sheremetyevo, den offiziellen Flughafen, weit vor den Toren der Stadt, daher erst gegen 22 Uhr Ortszeit.

Ein Flughafen-Bus mit einem Kohleofen

Ein Bus wartete am Rollfeld und nahm uns und die wenigen anderen Passagiere auf und brachte uns zu den Paß-und Einreiseformalitäten ins Empfangsgebäude. Es war "saukalt", wie ich hörte, minus 34° C!

Hinten im Bus glimmte ein freistehender Kohleofen (sicher eine großzügige Aufmerksamkeit für westliche Reisende), um den sich auch gleich einige Reisende scharten.

Abholung per "Staatskarosse"

Unser Taxi (es war eher eine "Staatskarosse" mit sechs Sitzplätzen) wartete vor dem Flughafen. Am Lenkrad saß ein Mann, - bei offenem Fenster! - und rauchte unverkennbar eine "Pappirossa", eine dieser aus Zeitungspapier gedrehten Zigaretten mit "Morchorka" als Tabak. Es stank ganz fürchterlich und vermischte sich beißend mit dieser grimmigen Kälte.

Zum Hotel "Budapest"

Unser Mann sprach kein Englisch und wußte nur, wo er uns hinzubringen hatte, nämlich zum Hotel "Budapest". Die Fahrt dorthin schien eine Ewigkeit zu dauern und verlief recht schweigsam, da ihm Herr Schmieder mit seinen russischen Schulkenntnissen nur ein gelegentliches "dada" abgewinnen konnte. Bis dahin hatte ich noch nicht erlebt und begriffen, wie abhängig man von einem Ortskundigen in einem fremden Land und ohne die Möglichkeit einer guten Verständigung letztlich ist. Er brachte uns aber sicher ans Ziel.

Schlafen wie die Fürsten in einer Suite

Im Hotel "Budapest" erhielten wir eine ganze Suite, mit altem Stuckwerk und einer vergangenen Pracht aus der Zarenzeit (aber mit moderner Abhöranlage, versteht sich); genügend Raum, um sich auszubreiten. Zur Besprechung wechselten wir ab und zu ins Badezimmer, dessen kahle Wände nichts Verdächtiges zeigten und drehten zusätzlich das Wasser auf, als wären wir hier in geheimer Mission.

Ein bißchen Angstmache . . .

"Man kann nie wissen, aus welchen Gründen sich unser Rückflug verzögern könnte!" Dieser prägende Satz, von Herrn Schmieder gleich nach unserer Ankunft, verfolgte mich die ganze Zeit in Moskau, und am Abend vor unserem Abflug schien er sich zu bestätigen. Doch dazu später.

Die Russen "lieben" Sonnenblumenkerne

Im ganzen Hotel roch es nach verbranntem Öl, und wie Ernst Siedler meinte: "nach gerösteten Sonnenblumenkernen", besonders stark am nächsten Morgen beim Frühstück, in einem ehemaligen Festsaal.

In diesen Tagen sah ich immer wieder Menschen, die stets und ständig auf Sonnenblumenkernen herumkauten, die Reste (im Bus vielleicht in die bereitstehenden Behälter), sonst aber einfach auf die Straße spuckten.

Das Moskau Team aus Bremen

Gen Moskau reisten: Abteilungsleiter Walther F. Schmieder (stolz auf seine echt russische Pelzmütze, für die er 16 harte amerikanische Dollars blechen mußte), Aufnahmeleiter Ernst W. Siedler und Bildingenieur Manfred Hemmerling. (Wie auf dem Foto deutlich sichtbar, sieht er als »Mann vom Fach« telegen hübsch offen und locker in die Kamera).

Als prominentesten Gast während ihres Moskau-Aufenthaltes erlebten unsere Kollegen Nikita Chruschtschow mit seinen Enkelkindern im Zirkus.

Unsere Aufgabe - Filmen des "Deutschen Zirkus"

Nach dem Frühstück gingen wir unseren dienstlichen Obliegenheiten nach. Wir fuhren zunächst zu einem Festbau, in dem die Premiere des "Deutschen Zirkus" stattfinden und aufgenommen werden sollte. Wieder mit einem Fahrzeug, das wie das gestrige an eine "Staatskarosse" erinnerte. Die sehr breiten Straßen waren kaum befahren.

Die ebenfalls sehr breiten Fußwege waren dagegen gedrängt voll mit Menschen. Wenn wir abbiegen mußten, fuhr unser Fahrer einfach in den Strom der Menschen hinein, die auch sofort Platz machten. (Dabei hatte ich den Eindruck, daß es auf einen mehr oder weniger nicht ankam). Für die Tagesschau daheim konnten wir für fünfzig Dollar (mit Geld klappte einfach alles) Aufnahmen machen, die sonst nicht zu haben gewesen wären.

Bei "Gesprächen" wurden immer die Zungen "geschmiert"

Am Abend erwarteten wir einige Manager in unserer Suite, um den Ablauf für unser Unternehmen zu besprechen. Die Unterhaltung fand in Englisch statt. Ernst Siedler hatte vorsorglich aus dem "duty-free-shop" in Kopenhagen einige Flaschen "Johnny Walker" mitgenommen und auch Walther Schmieder hatte im Gepäck etwas dabei.

Unsere Gäste waren aber auch nicht ohne etwas "Trinkbares" gekommen und stellten sogleich den obligatorischen Wodka auf den Tisch. Wir begannen mit Whiskey, die Wassergläser gefüllt, versteht sich.

Erstaunlich Themen über "U-Boot-Einsätze" im Krieg

Als die dritte Flasche leer war, ging es mit Wodka weiter. Als Ernst W. Siedler von seinen U-Boot-Einsätzen in der deutschen Kriegsmarine zu erzählen begann (sein Gegenüber war ebenfalls im U-Boot, nur von der anderen Seite gegen die Deutschen angetreten), weckte er damit sofort das Interesse der russischen Gesprächspartner. Ich suchte rasch das Weite und ging ins Bett, da ich ohnehin nicht mehr mithalten konnte.

Wir bekamen einen 4-Kamerawagen von Markoni

Am nächsten Tag fuhren wir wieder zum Zirkus und fanden dort schon den Ü-Wagen (einen 4-Kamerawagen von Markoni) beim Aufbau vor. Ich war überrascht, hier einen derartigen Ü- Wagen, dessen Außenhaut aus Aluminium bestand, vorzufinden. Bei diesen eisigen Temperaturen schien er mir kaum geeignet. Ich hatte mehr an ein anständig isoliertes Ungetüm als Übertragungswagen gedacht. Doch die Leute vom Sowjetischen Fernsehen, die uns freundlich das Innere zeigten, schienen offensichtlich daran gewöhnt zu sein.

Und obgleich die Verständigung in Englisch schwierig war, klappten die Absprachen, wie sich dann zeigte, sehr gut.

Eindrücke am Vormittag

In der Manege übten deutsche Künstler für die heutige Generalprobe. Die Premiere und unsere Aufzeichnung fanden am nächsten Tag statt. Eine Artistenfamilie (von den Kleinsten bis zu den Ältesten) versetzte mich ins Staunen. Bis dahin hatte ich noch nicht miterlebt, wie hart Artisten arbeiten müssen, um ihre Darbietungen vor dem Publikum gekonnt vorzuführen. Selbst nach dem Auftritt probten sie gleich weiter, so daß ihr Auftritt in der Manege im Rampenlicht mit Publikum anscheinend gar nichts Besonderes war. Sie probten anscheinend den ganzen Tag.

Eindrücke am Nachmittag

Den Nachmittag (Ernst Siedler hatte vorab bei den Proben sein Konzept und die Kamerapositionen festgelegt) benutzten wir, um die "Kremlmauer" (eine Steinmauer, die bis zu 21m hoch ist und von 19 Türmen überragt wird) und das legendäre Kaufhaus "Gum" aufzusuchen. Auf dem Roten Platz, vor dem Kreml-Mausoleum, standen in der eisigen Kälte mindestens 150 Menschen in einer Schlange und warteten zwecks Einlaß und Besichtigung der sterblichen Überreste von Lenin und Stalin.

Wir hingegen machten abwechselnd einige Fotos von uns auf dem Roten Platz mit der "Maria-Verkündigungs-Kathedrale" im Hintergrund, die neun vergoldete Kuppeln besitzt (die Eingänge waren mit Brettern vernagelt). Neben dem Turm "Iwan der Große" steht auf einem Sockel die Große Glocke (Zar Kolokol), eine der größten der Welt und fast 200 Tonnen schwer.

Die Kollegen Schmieder und Siedler waren bei der selbst am Tage herrschenden eisigen Kälte standesgemäß (mit richtiger Kopfbedeckung) bekleidet, während ich nur eine "Pudelmütze" dabei hatte, und froh war, wenn ich sie nach jedem Schnappschuß gleich wieder über die Ohren ziehen konnte.

Unbedingt aufpassen mit den "Bettlern"

Kinder bettelten mich auf dem Platz an und wollten meinen Mantel haben. Ernst Siedler, der das mitbekam, rief mir rasch zu: "nichts verkaufen, du mußt einen Nachweis für das Geld vorzeigen, dein mitleidiges Herz zählt hier nichts!"

Überzeugte westliche Kommunisten durften nicht nach Moskau

Auf dem Weg ins Hotel kamen wir an einem Schaufenster vorbei (das einzige Geschäft, das ich überhaupt gesehen habe), in dem ein Fernsehgerät ausgestellt war, für etwa 4.ooo Rubel. Der Preis entsprach damals ungefähr ca. 15000 DM! Das Gerät hatte nur eine sehr kleine Bildröhre, vor der ein Vergrößerungsglas angebracht war, damit bei der Betrachtung ein größerer Bildeindruck entstand. Ich mußte an einen Verwandten denken, der trotz aller Informationen noch immer an den Kommunismus glaubte und von der Überlegenheit dieses Systems völlig überzeugt war. Niemand hätte ihn mit seiner Überzeugung auch nur einen Schritt in dieses Land gelassen! Kapitalisten durften wegen ihres Geldes gerne als Touristen kommen, nur keine überzeugten westlichen Kommunisten.

Wir hatten minus 34° Celsius

Auf dem Fußmarsch zurück zum Hotel sah ich ein kleines Cafe, vor dem eine Schlange von mehr als 30 Menschen geduldig auf Einlaß wartete und das bei minus 34° Celsius! Diese trockene Kälte spürte man allerdings nicht so deutlich wie bei uns; bei mir verklebten innen nur die Nasenlöcher und fühlten sich pappig an. Kälte und Schnee hatten einen eigenartigen sterilen Geruch, wahrscheinlich war es das Fehlen organischer Ausdünstungen.

Donnerstag, der 13. Februar 1964

Am nächsten Tag, Donnerstag, den 13. Februar 1964, fand die Premiere des Deutschen Zirkus in Moskau und damit unsere Aufzeichnung statt, die über eine Richtfunkverbindung im Fernsehzentrum erfolgen sollte.

Unsere jeweilige Aufgabe bestand darin, daß Ernst W. Siedler die Bildregie im Ü-Wagen führte, Walther F. Schmieder sich für Interviews und den Kommentar im Festbau, der rund 8000 Menschen Platz bot, aufhielt, und ich mich ins Fernsehzentrum zu begeben hatte, um die Aufzeichnung technisch zu überwachen. (Auch um Ernst W. Siedler zu veranlassen, für den Fall eines Übertragungsfehlers - soweit es möglich war - geeignete Nachaufnahmen zu machen).

Schon wieder in der Staatskarosse

Abgeholt wurde ich mit einer der üblichen Staatskarossen gegen sechs Uhr abends vom Zirkus-Festbau. Ich wurde allein in dem großen Auto durch Moskaus Straßen gefahren, die jetzt nahezu menschenleer waren und erreichte nach etwa dreißigminütiger Fahrt das staatliche Fernsehzentrum.

Hier wurde alles bewacht

Vor der imposanten Einfahrt standen zwei Wachposten mit Maschinenpistolen. Aber davon ein Foto zu machen war natürlich völlig unmöglich. Über diesen Anblick war ich keineswegs erschrocken, er paßte genau in das Bild, das ich in den wenigen Tagen schon gewonnen hatte. Am Haupteingang wurde ich von einer Dolmetscherin abgeholt und zunächst in ein Kasino gebracht, um dort zu warten, bis man mit der Aufzeichnung beginnen würde. Das machte mich ziemlich nervös, weil ich noch vor Beginn der Aufzeichnung mit der Technik sprechen wollte. Deshalb kann ich mich nicht mehr genau an die Einzelheiten im Kasino erinnern. Es sah mit seinem Tresen und den Tischen und Stühlen so aus, wie heute ein Bistro, und hatte nichts Anheimelndes.

Die FAZ in Russland

Die Filmaufzeichnung bestand aus zwei 35mm Kameras, die, wie Projektoren, auf Säulen standen und auf zwei Monitore an der Wand ausgerichtet waren. Im FAZ-Raum waren drei Techniker und ein Aufsichtsingenieur, die mich freundlich begrüßten.

Leider sprach keiner von ihnen englisch, so daß die Dolmetscherin behilflich sein mußte. Manchmal hatte ich den Eindruck, wenn die Russen miteinander sprachen, als wäre es eine Art "Plattdeutsch", das sie benutzten und versuchte (völlig absurde Idee) etwas zu verstehen.

Zigaretten waren der Türöffner - eine MAZ in Moskau

Die jungen Menschen (große Kerle) schauten mich öfter fragend an und grinsten immer wieder freundlich. Als ich aus der mitgebrachten Stange "Vice Roy" (eine Zigarettenmarke, die ich damals gerne rauchte) einige Schachteln verteilte, wurde die Stimmung richtig freundschaftlich. Nachdem mir die Dolmetscherin erklärt hatte, sie käme erst zum Schluß wieder, um mich abzuholen und offenbar nichts von den verschenkten Zigaretten bemerkt hatte, führte mich der Aufsichtsingenieur über den Flur in einen Raum, aus dem mir das übliche "Singen der Videoköpfe" einer MAZ entgegenschallte.

Geklaut und gefährlich - zwei Maschinen vom Typ Leningrad

Ich war völlig überrascht, hier in Moskau überhaupt eine MAZ (zwei Maschinen vom Typ Leningrad, wie sie die Maschinen nannten, vermutlich ein Nachbau der VR 1000C ) vorzufinden, auf denen zudem unsere Zirkusbilder aufgezeichnet wurden.

Was ich dort als westlicher Besucher! an Technologie zu sehen bekommen habe (bei uns hatte man zwar vermutet, daß im Osten eine MAZ-Technik existiert), hätte den Aufsichtsingenieur in arge Schwierigkeiten (wenn nicht noch schlimmer) bringen können. Mir war das in dem Moment nicht bewußt und auch nicht bekannt, daß ich mit dem arglosen Verschenken der Zigaretten (manchmal bin ich richtig naiv) schon etwas streng Verbotenes getan hatte. Es hätte mich ebenfalls in beträchtliche Schwierigkeiten bringen können.

Ohne Pässe keine Ausreise

Noch lief die Aufzeichnung, und über Kommando fragte ich Ernst Siedler in einer Pause, ob er unsere Pässe (die nach unserer Ankunft sofort einbehalten worden waren) schon wieder habe, denn am nächsten Morgen sollten wir beide zurückfliegen. "Nein" antwortete er nur kurz, "sollen aber noch heute abend kommen!"

Wie tröstlich, dachte ich, denn es war schon kurz vor 22 Uhr und unser Flug mit der SAS sollte bereits morgen um 9 Uhr erfolgen. Hinzu kam, daß die SAS nur zweimal in der Woche Moskau anflog und nur morgen, am Freitag, ein Rückflug nach Stockholm möglich war, andernfalls erst drei Tage später. Heute würde ich sehr gelassen auf eine derartige Situation reagieren, aber damals (1964), unter den genannten Umständen und bei der winterlichen Kälte, war mir doch ziemlich mulmig zumute.

Unsere "Ausbeute" waren 13 Rollen - also ca. 4000m

Daß die für uns bestimmte Aufzeichnung auf Film erfolgte, lag an der Kontrollmöglichkeit des Materials bei der Ausfuhr. Ein MAZ-Band hätte der Zoll nicht einsehen können. Aber ob unser Filmmaterial (13 Rollen ca. 4000m) tatsächlich kontrolliert worden ist, habe ich nicht erfahren.

Kurz vor Ende der Aufzeichnung (die Entwicklung des Materials erfolgte später) kam der erlösende Kommando Spruch von Ernst Siedler "ich habe die Pässe und auch unsere Flugtickets, wir sehen uns im Hotel!" Nach herzlicher Verabschiedung von den Kollegen aus dem Fernsehzentrum brachte mich der Fahrer aber nicht zum Hotel, sondern genau wieder dorthin, wo er mich abgeholt hatte.

Ein mulmiges Gefühl auf menschenleeren Straßen

Unterwegs, im nächtlichen Moskau, die breiten Straßen waren wie leergefegt, fragte ich den Fahrer nach der Moskwa, die wir anscheinend gerade überquerten (im Fernsehen hatte ich das Bild mit dem Fluß und Kreml im Hintergrund schon öfter gesehen), er antwortete auf die Frage von mir mit "dada" und blieb aber ansonsten schweigsam. Seltsam war nur, daß ich völlig unbekümmert im Auto saß und mir keinerlei Gedanken machte, wohin er mich bringen würde, da ich nicht wußte, daß wir zum Zirkus-Festbau fuhren. Zum Hotel fuhr ich dann mit Ernst Siedler in einem Taxi. Fotos vom oder gar im Fernsehzentrum zu machen war völlig undenkbar. (Selbst in Polen ist heute noch das Fotografieren von Bahnhöfen oder Bahnbeamten strengstens verboten).

Ohne Frühstück durch den Schnee zum Flughafen

Die Abfahrt zum Flughafen von unserem Hotel war für 6 Uhr morgens, das Wecken entsprechend früher, festgelegt worden. Als ich um halb sechs auf die Straße blickte, sah ich unter unserem Fenster bereits ein Auto mit laufendem Motor stehen (bei der Kälte dampfte jeder Auspuff wie ein Kraftwerk), das offenbar unser Taxi war. Da es im Hotel noch kein Frühstück gab, wollten wir dieses am Flughafen nachholen. Deshalb ging die Fahrt also auch bald los, zumal, wie wir erfuhren, in der Nacht Schnee gefallen war und zu großen Verwehungen auf den Straßen, auch zum Flughafen, geführt hatten. Wir kamen trotzdem rechtzeitig an.

Unsere SAS Maschine, eine französische "Caravelle"

In einer fast menschenleeren Wartehalle mit einem Kiosk konnten wir ein "Heißgetränk", wie es bei uns nach dem Krieg genannt wurde, oder "Snacks" für amerikanische Dollar erwerben. Unsere SAS Maschine, eine französische "Caravelle", einer der ersten Düsenjets, stand in einiger Entfernung auf dem Rollfeld im hellen Licht der Flughafenbeleuchtung. Nach längerer Wartezeit durften wir endlich ins Freie und übers Rollfeld zur Maschine gehen. Bei der Caravelle steigt man hinten zwischen den beiden Düsen über eine vielstufige Leiter ein.

Endlich Ende der Anspannung und warme Brötchen

Bevor wir einsteigen durften, kamen aus dem Flugzeug zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Uniformierte, die vorab das Innere inspiziert hatten, die Treppe herab. Ich weiß nicht mehr, wieviel Stufen es waren, die ich erklimmen mußte, um das erste zarte Gefühl einer anderen Welt zu spüren. Spätestens bei warmen Brötchen und der aktuellen Tageszeitung stellte sich das Gefühl einer ersten Geborgenheit bei mir ein.

Als ich vor dem Start aus dem Fenster schaute, sah ich in der gerade beginnenden Morgendämmerung einen Wachposten, der mit geschultertem Gewehr auf einsamer Flur Wache hielt. Dieses Bild mit dem Menschen, mutterseelenallein vor einem niedrigen Tannenwäldchen, im Dunst der Kälte, den die ersten Strahlen der Wintersonne sichtbar machte, werde ich niemals vergessen. Wen oder was bewachte der "Rotarmist?"

Wir waren wieder in unserer Welt angekommen!

Als unsere Maschine endlich, wie mir schien nach unendlich langer Steigzeit, aus den grauen Wolken in das Blau des Himmels stieß, duftender Kaffee und noch mal warme Brötchen serviert wurden, dankte ich den Skandinaviern innerlich für die Aufnahme an Bord. Das klingt heute ziemlich übertrieben, aber damals verspürte ich eine große Erleichterung und in Stockholm im Flughafen konnte ich wie befreit aufatmen. Wir waren wieder in unserer Welt angekommen! Und dabei war mir nun doch überhaupt nichts, weder etwas Nachteiliges noch Unangenehmes in Moskau widerfahren. (Ein ähnlich bedrückendes Gefühl hatte ich noch mal 1973 in Ostberlin).

Nachdenkliches über die Reise nach Moskau

Was aber war es, daß ich mich hier im Flughafen Stockholm gleich so befreit fühlte? Vermutlich war es die gewohnte Atmosphäre, die mich wieder umgab, denn eine andere Erklärung fand sich augenblicklich nicht. Vielleicht hatten aber auch die kurzen Eindrücke, die für uns ungewöhnliche Kälte und die winterlich gekleideten Menschen dazu beigetragen. Schnee, Frost und diese graue Trostlosigkeit in den Straßenschluchten. Mag sein, daß in den Sommermonaten alles viel freundlicher auf mich gewirkt hätte. Eine mitgebrachte Postkarte läßt davon etwas ahnen. Ich habe sie nur deshalb an dieser Stelle eingefügt.

Herr Schmieder, an den ich in diesem Zusammenhang damals dachte, war noch in Moskau geblieben. Er wollte in der nächsten Woche mit dem entwickelten Filmmaterial zurückfliegen.

"Schwanensee" in Moskau wäre ein Erlebnis

Heute (im Jahr 2002) würde er ganz sicher der Einladung der Deutschen Botschaft folgen (die wir auch bekommen hatten), um dem Empfang und der anschließenden Aufführung von "Schwanensee" im berühmten Bolschoi-Theater beizuwohnen. Später empfand ich es aber als sehr bedauerlich, daß wir nicht teilnehmen konnten.

Es gab auch Episoden beim deutschen Zoll

Zum Schluß eine kleine Episode bei der Einreise an der Zollkontrolle in Hamburg. Ernst Siedler hatte mir vorab eingeschärft: "Öffne eine Packung Zigaretten und stecke die anderen in deine Jacke, dann sagst du, außer der angebrochenen habe ich noch eine Schachtel in der Tasche und wirst nicht weiter kontrolliert". Man durfte damals nur 20 Zigaretten zollfrei einführen. In meiner Tasche hatte ich aber, wie Ernst Siedler, mehrere Packungen Zigaretten, und damit viel zuviel.

Ernst stand vor mir beim Zöllner, der ihn fragte "Haben sie etwas zu verzollen?" - "Nur diese Schachtel und eine weitere in der Tasche" gab Ernst, wie zuvor erläutert, von sich. "Keine weitere mehr?" fragte der Zöllner, "ja, noch eine" meinte Ernst zögernd und griff in die andere Tasche und holte nun eine weitere Packung heraus, die er scheinbar ganz vergessen hatte. Der Zöllner winkte ab und meinte barsch, "Sie wissen doch genau, wieviel sie mitbringen dürfen", ließ ihn aber gehen. Ich stand direkt hinter Ernst und schwitzte angesichts dieser Prozedur und einiger Packungen "Vice Roys" in meiner Tasche. "Was einige Leute alles so anstellen" sagte ich zu dem Zöllner, der winkte mich aber nur durch die Sperre, und so konnte ich im Flughafen "Hamburg-Fuhlsbüttel" noch einmal, zum dritten Mal, tief durchatmen!

Am 7. März 1964 wurde unser Film ausgestrahlt

Die Premiere des Deutschen Zirkus in Moskau wurde am 7. März 1964, in fast voller Länge, im Abendprogramm des Deutschen Fernsehens ausgestrahlt.

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