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Über die Blütezeit der Filmstadt Wiesbaden

Unter dem Titel "Rote Rosen und weißer Flieder" wurde 1995 eine begleitende "Retro"-Broschüre aus der Vergangenheit und der kurzen Episode Wiesbadens als Filmstadt erstellt. Eigentlich als Katalog zu einer Ausstellung gedacht, werden doch viele Tatsachen, Einzelheiten und Vorkommnisse der Wiesbadener Studios, der damals in Wiesbaden gedrehten Filmen und von den Wiesbadener Kinos bis Anfang der 1970er aufgezählt. Hier geht es zum Anfang.

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Der schwierige Frieden

Filme über Völkerverständigung und Wiederaufrüstung - von Harald Zander

Rund ein Viertel der Wiesbadener Filmproduktionen aus den fünfziger Jahren beschäftigt sich mit zeitgeschichtlichen Themen. Eine erstaunliche Anzahl, die dem gängigen Cliche vom Eskapismus der Heimatfilme zuwiderläuft.

ANmerkung : Fats alle dieser Filme mit zeitgeschichtlichen Themen bekam selten einen hohen Aufmerksamkeitsgrad. Diese FIlemliefen fast alle unter "ferner liefen ....".
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WEG OHNE UMKEHR und JENSEITS DES RHEINS

Zwei dieser Filme, WEG OHNE UMKEHR, eine Auseinandersetzung mit der deutschen Teilung und JENSEITS DES RHEINS, eine, wenn auch politisch zweifelhafte Beschwörung der deutsch-französischen Freundschaft, verdienen wegen ihrer formalen Qualität noch heute Beachtung. Für alle gemeinsam gilt: sie legen Zeugnis ab von den politischen Verklemmtheiten der Ära Adenauer.
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Film 1 - JENSEITS DES RHEINS (Sommer 1960)

JENSEITS DES RHEINS, im Sommer 1960 als eine der wenigen Kinoproduktionen im Atelier der Taunus-Film in Wiesbaden entstanden, erzählt von zwei französischen Kriegsgefangenen, die es 1940 als Landarbeiter in ein hessisches Dorf verschlägt. Der Bäcker Roger (Charles Aznavour) fügt sich problemlos ein und sorgt mit seiner Hilfsbereitschaft für die ganze Gemeinde. Der Journalist Jean dagegen nutzt die erste Gelegenheit zur Flucht und schließt sich im besetzten Paris der Resistance an. Nach Kriegsende finden sich beide in ihrer Heimat nicht mehr zurecht. Roger hält es bei seiner geldgierigen Frau nicht aus und kehrt nach Deutschland zurück. Jean muß sich entscheiden zwischen einem Chefredakteursposten bei einer linken Tageszeitung und seiner Geliebten, der man Kollaboration vorwirft.
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Es war teilweise herbe Geschichtsklitterung

Unter den Völkerverständigungsfilmen aus Wiesbaden (gedreht wurde u.a. auch in Kassel und Espenschied) ist diese Produktion sicher die interessanteste, aber auch die raffinierteste. Interessant, weil der nüchtern-sachliche Inszenierungsstil des Franzosen Andre Cayatte sich von der dumpfen UFA-Routine seiner deutschen Kollegen abhebt.

Raffiniert, weil der Film die deutsch-französische Verständigung bis zur Geschichtsfälschung betreibt. In dem deutschen Dorf scheint es überhaupt keine Nazis zu geben, was die menschliche Integration der französischen Kriegsgefangenen enorm erleichtert.

Absurder Höhepunkt des Ganzen: Roger stellt in Vertretung des einberufenen Bürgermeisters deutschen Soldaten Urlaubsbescheinigungen aus. Umgekehrt wird Frankreich zum Land der Kollaborateure, die allerdings ehrenhaft abtreten können.

Jeans Verleger, der unter der Besatzung ein Vermögen anhäuft, begeht nach der Befreiung Frankreichs Selbstmord. Und Florence, die ihre Gestapoverbindungen nutzt, um Jean aus dem Gefängnis zu holen, setzt sich später nach Spanien ab, um der Karriere ihres Geliebten nicht zu schaden.

Die Realität des Krieges sucht man in diesem Film vergeblich. Es gibt nur kurze Einstellungen der alliierten Invasion und deutscher Kampfhandlungen. Dafür erscheint das Leben hinter der Front als Prüfstein für die innere Freiheit und Reife der Protagonisten.

Und es gab herbe Kritiken

Die Filmkritik schrieb damals: "Die Verfechter der deutsch-französischen Aussöhnung, die diesem Film applaudieren (und ihm in Venedig zum 'Goldenen Löwen' verhalfen) sind schlecht beraten: sie feiern den Frieden zwischen Kollaborateuren und Mitläufern, die ihre Erinnerung verdrängen wollen".

Film 2 - WEG OHNE UMKEHR

In WEG OHNE UMKEHR gibt der russische Soldat Zorin (Ivan Desny) im Berlin des Frühjahres 1945 einer hungernden Deutschen etwas zu essen. "Du BDM?" fragt er. Kopfschütteln der Frau. Dann er: "Natürlich, alle Demokraten". Kurz darauf schenkt er einem britischen Soldaten einen Kanister Benzin.

Sieben Jahre später hat sich die Situation radikal verändert. Zorin kommt als Leiter einer technischen Kontrollkommission nach Berlin und begegnet Mißtrauen auf allen Seiten. In Westberlin will ihm niemand bei der Suche nach der Frau von damals helfen, in Ostberlin hält man ihn schon für einen Verräter, weil er kein Parteimitglied ist und ein westliches Kabarett aufgesucht hat, ohne gegen dessen "antisowjetischen Inhalt zu protestieren.
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Der real existierende Sozialismus ......

Dieser Film von Victor Vicas ist eine Wiederentdeckung wert. Mitten im Kalten Krieg und der bundesrepublikanischen Wiederaufrüstung erinnert er an die gemeinsamen demokratischen Ideale der Siegermächte im Jahr 1945 und versucht den veränderten Status Quo von 1953 differenziert darzustellen.

Die Frau, die Zorin sucht, ist Übersetzerin im Sicherheitsdienst der DDR geworden, weil sie 1945 von den Idealen, die Zorin für sie verkörperte, überwältigt war. Der real existierende Sozialismus stellt sich nun aber ganz anders dar.

Trotz einiger Schematismen gelingt es dem Film, eine kafkaeske Atmosphäre von Bedrohung zu schaffen. In Kabarettszenen ist übrigens Wolfgang Neuss zu sehen, der Mann mit der Pauke, in einem herrlichen Sketch über radioaktive Regenwürmer der Sowjets.
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Film 3 - DIE FRAUEN DES HERRN S.

DIE FRAUEN DES HERRN S. spielt im Athen der Zeit des Perikles. Das Parlament berät, wie man nach drei Niederlagen wieder einen Krieg gewinnen kann.

Auf eigenen Vorteil bedacht, schlägt Sokrates vor, jeder Mann solle vom Gesetz zur Doppelehe verpflichtet werden, damit die Athener im nächsten Krieg zahlenmäßig überlegen sind. Mit einem Trick erlangt man die Zustimmung der vier Besatzungsmächte.

Als das Gesetz später nach Protesten der Frauen wieder abgeschafft werden soll, sind drei Besatzungsmächte dagegen, weil Athen im Falle eines Angriffs der vierten Besatzungsmacht stark sein muß.
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Eigentlich ist es eine einzige (aber harmlose) Satire

Ein Lustspiel in antikem Gewand, mit satirischen Kommentaren zum Parlamentarismus und der bundesrepublikanischen Wiederaufrüstung. In einer Szene drücken die "Westmächte" ihre Besorgnis aus über eine mögliche Abschaffung des Ehegesetzes durch das Parlament: "Dann gehen wir vor die Hunde"'. Worauf Sokrates erwidert: "Möglich, dafür bleiben wir aber Demokraten".

Die FSK verlangte 1951 u.a. die Ersetzung des Wortes "Demokraten" durch "konsequent. Begründung: "Die aktuellen Anspielungen in dieser Szene auf den inzwischen sehr akut gewordenen deutschen Verteidigungsbeitrag bergen in sich eine Gefahr für die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Besatzungsmächten ".

Aus heutiger Sicht wirkt die Satire eher harmlos. Dafür sorgt schon die Regie des Komödien- und Operettenspezialisten Paul Martin, die sich - ebenso harmlos - mehr für die erotischen Aspekte des Stoffes, d.h. die nackten Beine von Sonja Ziemann interessiert. Motto: "Sobald die Frau verblüht, verduftet der Mann".

Ein Ensemble populärer Volksschauspieler wie Paul Hörbiger, Oskar Sima, Rudolf Platte und Walter Giller geben dem Ganzen einen gewissen Unterhaltungswert. Erwähnenswert ist noch das stimmungsvolle antike Dekor, das Fritz Maurischat in den Studios Unter den Eichen bauen ließ.
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Film 4 - BALL DER NATIONEN

Um den Abbruch einer internationalen Friedenskonferenz zu verhindern und um das Herz eines Revuestars zu erobern, lanciert in BALL DER NATIONEN der amerikanische Journalist Percy Bück eine Falschmeldung um eine neue Wunderwaffe.

Weil es diese Waffe aber tatsächlich gibt, wird Percy in die Ermittlungen russischer und amerikanischer Geheimdienste verwickelt, die - wie sollte es anders sein - mit militärischer Abrüstung und Liebesglück endet.

Der Film ist eine Operetten-Adaption, der auch Zsa Zsa Gabor, Gustav Fröhlich und Alexander Golling nur mäßigen Schwung verleihen.

Angestrengte Verwechs-lungs- und Vorzimmerdramaturgie, wenig Witz. Der Kongress tanzt im Wiesbadener Kurhaus zu Don-Kosaken- und Moulin-Rouge-Folklore, und Gustav Fröhlich darf sich als Platzhirsch Percy Bück unwiderstehlich finden.

BALL DER NATIONEN war nach STAATSANWÄLTIN CORDA (1953/54) der zweite und letzte Versuch des prominenten NS-Regisseurs Karl Ritter (POUR LE MERITE, GPU), im deutschen Nachkriegsfilm Fuß zu fassen; er mißlang. Nach kurzem Aufenthalt in Wiesbaden kehrte er wieder nach Argentinien zurück.

  • Anmerkung : In Argentinien gab es erstaunlich viele Dörfer fast nur mit deutschen NAZI-Größen, die über die Rattenlinie des Vatikan entkommen konnten. Karl Ritter war im 3. Reich zu populär und bekannt geworden und bekam einen "durchsichtigen" Persil-Schein. Er wurde nur den Buchstaben nach "entlastet". Mehr darüber steht in den großen Filmbüchern von Fraenkel und Riess.

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Film 5 - SOLANGE DU LEBST

In SOLANGE DU LEBST versorgt die junge Krankenschwester Teresa während des spanischen Bürgerkriegs in einem von den internationalen Brigaden besetzten Dorf die Verwundeten. Nach dem Absturz eines Flugzeugs der Legion Condor findet sie in den Bergen den schwerverletzten Michael.

Sie versteckt ihn in einer Höhle und besucht ihn heimlich jede Nacht, um ihn zu pflegen. Als der terroristische Brigadeführer Malek herausfindet, daß der Bürgermeister (selbst ein Linker) Teresa einen Passierschein ausgestellt hat, läßt er ihn hinrichten. Teresa befindet sich in großer Gefahr, doch in letzter Minute wird das Dorf von den Faschisten "befreit".

SOLANGE DU LEBST will die Geschichte eines "Kampfes Brüder gegen Brüder" erzählen und wählt dazu die Perspektive einer Sanitäterin. Die ist zwar mit einem Faschisten liiert, aber bereit, allen Kriegsopfern zu helfen.

Marianne Koch als aufopferungsvolle Mariengestalt. Doch der vordergründige Humanismus kann nicht verhüllen, daß der Film auf Seiten der Faschisten steht. Im Dorf herrscht inquisitorische Stimmung. Der neue Bürgermeister läßt Francisten hinrichten, worauf der Chefarzt des Lazaretts Teresa empfiehlt, das Kreuz an ihrem Halsband zu verstecken.

Brigadeführer Malik erweist sich als echter Kaderkommunist mit Neigung zum Fatalismus: "Bei euch kämpfen Deutsche und Italiener, bei uns kämpfen Männer der ganzen Welt. Was gilt da der Einzelne. Ich bin ein Rad im Räderwerk, das intakt bleiben muß".

Harald Reinls Film erklärt nichts über die Geschichte dieses Krieges, sondern bestätigt nur dumpfe Vorurteile von politisch gut und politisch böse. Dazu paßt die Verpackung als romantisches Abenteuer, bei dem nächtliches Mondlicht auf kahlen Gebirgslandschaften effektvoll eingesetzt wird. Die Außenaufnahmen wurden in Spanien gedreht, die Innenaufnahmen in Wiesbaden.
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Film 6 - DER MAJOR UND DIE STIERE

DER MAJOR UND DIE STIERE spielt in einem bayerischen Dorf 1945. Episoden aus dem Prozeß der demokratischen Umerziehung. Deutsche tricksen Amerikaner aus und umgekehrt. Ein Volksstück, in dem eine frustrierte Nation mal etwas Dampf ablassen kann, ohne bei den Besatzern zu sehr anzuecken.

Das Dorf, so macht schon der Anfang des Films klar, hat den Nationalsozialismus überlebt, und wird nun auch die Amerikaner überstehen. Kurz vor der Kapitulation machen die schlauen Dorfbewohner mit den deutschen Soldaten einen Deal.

Wenn ihr unser Dorf zusammenschießt, geben wir euch Zivilkleidung und verstecken euch vor den Amerikanern. Aggression ("Der Sieger hat immer recht") wechselt mit Fraternisierung ( "Eisenhower kam auch aus Bayern"). Nebenbei wird auch das Problem der Vertriebenen behandelt und das Thema "Altnazi in politischen Ämtern". Der Zuchtstier der Gemeinde heißt Adolf, er streikt. Das Ganze hat das Niveau eines Fernsehkomödienstadels.
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