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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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In Wien geschah in diesem Sommer 1957 zweierlei :

Ich marschierte mit Ulla Schulze zum Standesamt (in Wien), und Georg Tressler stand kurz vor dem Drehbeginn seines Wessely-Films »Noch minderjährig« und dachte gar nicht daran, alles stehen- und liegenzulassen.
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Meine neue Braut kam zuhause gut an

Ich hatte mir mit der Fahrt nach Wien Zeit gelassen und war mit Ulla unterwegs von der Autobahn ins Lahntal abgebogen, hatte meine Schwester Gisela in Nassau
und meinen Vater in Braubach besucht und überall Wohlgefallen mit meiner neuen Braut erregt.

»Sie hat gute Augen!« bemerkte mein Vater, der Schlaukopf. Meine Mutter war im Oktober 1953, mit 48 Jahren, einem Herzinfarkt erlegen, und mein Vater hatte, um das Familienunternehmen zusammenzuhalten, die Schwester des Mannes meiner Schwester geheiratet, eine tüchtige Schlesierin, was ihn zu seinem eigenen Schwipp-Schwager machte, nehme ich an.
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Zum Standesamt nur über die Straße

Wir hatten uns in Wien in einer hochherrschaftlichen Pension direkt am Rathaus eingemietet und brauchten zum Standesamt nur über die Straße zu gehen. Dort stellte sich dann freilich heraus, daß auch in Österreich ein zweimal geschiedener Deutscher sämtliche Scheidungsurteile vorzulegen hat, bevor er ein drittes Mal heiraten darf.
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Die entzückende Grazerin Hetty mit ihrer Tochter Didi

Ulla flog sofort zurück nach Berlin, um die fehlenden Papiere auf dem Landgericht zu besorgen, und ich lernte noch am gleichen Abend in der »Scala«, jenem vegetarischen Restaurant am Graben, in das Jürgl Tressler mich jeden Tag verschleppte, diese entzückende Grazerin Hetty mit ihrer noch entzückenderen Tochter Didi kennen, die aussahen wie Schwestern und sich auch im Bett nicht trennen wollten.

Es wurde ein Erlebnis der besonderen Art, nach dem meine Heiratspläne sich verflüchtigten wie der Morgendunst an einem sonnigen Sommertag. Meine immer schon glimmende Leidenschaft für Wien fing an zu lodern, ich wollte gar nicht mehr weg und prägte den Satz, den mein Freund Roman Schliesser seitdem in seiner Kolumne »Adabei« in der »Kronenzeitung« mit schöner Regelmäßigkeit zitiert: »Wien ist für mich wie Paris, wo man deutsch spricht.«
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Am Telefon bekam Ulla zu hören: »Bleib da, ich komme sowieso bald zurück ........

Ulla in Berlin bekam am Telefon zu hören: »Bleib da, ich komme sowieso bald zurück, und wir können ja genausogut in Berlin heiraten!«

Wo der Beamte auf dem Standesamt in Schmargendorf dann beim dritten Mal zu seiner Kollegin nicht leise genug bemerkte: »Ich habe Ihnen ja gesagt, den sehen wir wieder!«

Doch da hieß die Braut nicht Ulla. Als ich von Ulla ein paar Jahre später eine Hochzeitsanzeige erhielt, auf schwerstem Bütten und in der Größe eines Aktenkoffers, hieß sie, fünf Zentimeter groß, Ursula Contessa Pompei di Lasa - und winzig klein darunter: geborene Schulze. Es war sehr rührend, und das meine ich ohne Ironie: Eine Berlinerin aus dem gebeutelten Teil der Stadt auf dem Weg nach oben.
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Wien und die Grundsteine vieler lebenslanger Freundschaften

Das war eine wilde Zeit damals in Wien, in der die Grundsteine vieler lebenslanger Freundschaften gelegt wurden:

Gerhard Bronner und seine Marietta-Bar, in der ein Student namens Neumann zum ersten Mal den Moser imitierte, bevor er als Peter Alexander die schönste Karriere als Sänger machte, mein geliebter »Quasi« Qualtinger, Kumpan vieler Heurigennächte, neben dem ich dreizehn Jahre später als Kriminalassistent - nein, Verzeihung, als »Chefredakteur« im Fernsehen auftreten mußte, der »Dschordschi« Reuter, der mich eines nachts mit »Elizabeth Taylor« leimte, die sich dann als Doppelgängerin herausstellte, seine eigene Frau.
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September 1957 - ich mußte das Drehbuch schreiben

Aber genug erst mal von Wien, von den Häusermanns, den Hörbigers, den Moldens, dafür wird später noch Gelegenheit sein. Im September 1957 handelte es sich darum, das Drehbuch für den »Preis der Wahrheit« zu schreiben, und zwar holterdiepolter, denn der Europa-Verleih - das erfuhr ich so peu ä peu - hatte bereits an mehr als 3.000 Kinos den Käutner-Film »Der Schinderhannes« vermietet, der Regisseur aber steckte in Hollywood fest, und einen solchen »Hammer«, wie Heinz Dietrich sagte, konnte man nicht mit einem x-beliebigen Titel austauschen, das mußte schon etwas »Besonderes« sein.

Die Hallen des Real-Filmstudios - später Studio Hamburg - waren für einen Drehbeginn am 2. Januar 1958 gemietet, also »Dalli! Dalli!«.
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Berlin - Das verruchte Teenie-Model Rita Röhl für 100.000 Franken

Aber das war auch eine wilde Zeit damals in Berlin, die Mädchen lockten mich wie einen läufigen Hund, wenn es so was gibt, von der Schreibmaschine weg, im Cafe Bristol tummelten sich neue, bildschöne Mannequins. Das verruchte Teenie-Model Rita Röhl, von dem es hieß, ein Waffenhändler in Genf habe ihr hunderttausend Franken für eine Nacht geboten, hielt Hof, und vor dem Bristol stand ihr unheimlicher, kohlrabenschwarz glänzender, offener Jaguar.
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Helga Viermann - die deutsche Garbo

Eine traumschöne Helga Viermann wurde als »die deutsche Garbo« gefeiert, Hans Oppenheimer bot einem vorbeikommenden Schulmädchen mit einem riesigen Mund hundert Mark für einen »Blow Job« an, und als das neugierige Kind wissen wollte, was das für ein Job sei, zeigte er es ihr gleich in der Telefonzelle am Eingang, und Maxe Strassberg, der »Kümmerer«, eilte hinterher und hielt aufgeregt Wache vor der Zelle, dem Oppenheimer den ganzen Spaß verderbend, der im Prickeln der Gefahr bestand.
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So war das damals mit den Mädchen

Ich weiß nicht, welcher hirnverbrannte Soziologe in den 1970er Jahren auf die Idee kam, die 1950er Jahre als »sexuell repressiv« zu bezeichnen.

Die Mädchen damals gingen den Männern nicht gleich an die Hose, wie heute, sondern wollten verführt werden; das war doch das ganze Aufregende daran.

Und Heinz Preuschoff, inzwischen Generaldirektor des Constantin-Verleihs in Frankfurt, kam mit immer neuen Eroberungen an, aus denen im Handumdrehen Filmsternchen wurden.

»Soso«, sagte er, »du arbeitest jetzt für Heinz Dietrich - weißt du, daß ich ihn zum Film gebracht habe?«
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Heinz Preuschoff erzählte

Im Jahre 1928, erzählte er, saß er in der quirligen Friedrichstraße und vertrat die Fox-Film für ganz Deutschland - »im Jahr meiner Geburt!« unterbrach ich ihn. »Und du meinst die Twentieth Century Fox!«

Er sah mich böse an: »Du bist jung, also dumm, und kriegst gleich eins auf die Schnauze, wenn du mich noch mal unterbrichst!« Und er fuhr fort: »Mein Freund William Fox, deutscher Jude, in Ungarn geboren, hat erst 1935 mit der Twentieth Century fusioniert, und ich habe ihm Murnau verschafft - ich!«
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Wir nickten alle nur ergriffen.

»Wir waren die Größten damals in Hollywood, ich bin Salesman of the Year geworden - worldwide! Weißt du, was das heißt? Das heißt, daß ich in meinem kleinen Laden in der Friedrichstraße mehr Fox-Filme in den Kinos untergebracht habe als jeder andere Fox-Vertreter auf der ganzen Welt, von Japan bis Südamerika bis Moskau - ich !« Wir applaudierten.

Aber Ende der 1920er Jahre machten sich schon die Nazis bemerkbar, SA-Männer riefen zum Boykott von Filmen jüdischer Verleiher auf, der »kleine Laden« Preuschoffs wurde schon mal verwüstet, er selbst im »Rollkrug«-Kino am Neuköllner Hermannplatz verhauen.
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Wie das mit Heinz Preuschoff und Heinz Dietrich begann

»Ich ging damals jeden Mittag zu einem Schnellimbiß quer über die Kreuzung der Friedrich- und Mohrenstraße, und der junge Schupo, der den Verkehr regelte, hob immer den Halt!-Arm und stand stramm, wenn er mich kommen sah. Nie hat er mich belehrt, daß ich unvorschriftsmäßig über die Kreuzung renne, stets hat er mich höflichst mit >Herr Direktor< begrüßt.

Wenn ich nach dem Essen wieder meinem Laden zueilte, geschah das gleiche wieder, und ich hatte mir angewöhnt, ein paar Sekunden bei meinem Schupo auf der Kreuzung stehenzubleiben, ihm die Visage hinzuhalten, aus der 'ne Zigarette hing und abzuwarten, bis er unter den blauen Rock gegriffen und sein Sturmfeuerzeug hervorgeholt hatte.

Wenn die Zigarette qualmte, tippte ich grüßend an den Hut und ging weiter, und er hielt den Verkehr auf, bis ich meine Straßenseite wieder erreicht hatte.
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Bis zu dem Tag, da ich im Rollkrug eins auf die Nase bekam

Nie habe ich mit "dem Kerl" ein Wort gesprochen - bis zu dem Tag, da ich im Rollkrug eins auf die Nase bekam. Beim mittäglichen Anblick "meines" Schupos dachte ich auf einmal: So nen Schrank von einem Polizisten müßtest du als Vertreter haben, an den würden sich die SA-Schergen nicht rantrauen! -

Also sprach ich ihn auf dem Weg zurück mal an. Ich fragte ihn: Was verdienen Sie'n so, Meister? Er gab mir Feuer und antwortete: Hundertfünfundachtzig brutto, Herr Direktor! Ich sagte: Ich gebe Ihnen zwohundert, kommense mal mit! - und ging voran.

Der Typ hat seine Kreuzung im Stich gelassen und ist hinter mir hergeeilt, der war filmverrückt.
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Bisher war Heinz Dietrich ein kaufmännischer Laie

Ich habe ihm nur die Tür von meinem Filmlager gezeigt, er hat sie aufgemacht, hineingeguckt und enttäuscht wieder geschlossen: Is' ja leer! hat er gesagt. Siehste, habe ich gesagt, so muß ein Filmlager aussehen - alle Kopien ständig im Einsatz!
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Dann gabs eine Pause als Autoverkäufer

Am nächsten Ersten hat er bei mir angefangen, der Heinz Dietrich. Als dann Zanuck 1935 mit seiner Twentieth Century dazugekommen ist und alles umgebaut hat, sind wir zusammen weg von der Fox, und Heinz ist Autoverkäufer geworden - natürlich nur die teuersten ausländischen Modelle, am Kudamm! Und als dann der Nazi-Spuk vorüber war, kam er auch gleich wieder zum Film zurück. Guter Mann, der Dietrich! Grüß ihn mal schön!« Ich hab's nicht glauben wollen.
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Wenn du mal einen vom Finanzamt triffst ......

Der Verleihchef der Europa hatte vieles von Preuschoff übernommen, unter anderem die schnellen Entschlüsse, die polternde Sprache. Eines Tages saß ich zufällig neben ihm beim Friseur im »Atlantik« in Hamburg, und er sagte - zufällig! - und vollkommmen aus dem Zusammenhang unseres Gespräches gerissen: »Wenn du mal einen vom Finanzamt triffst, Tremper, und der will zum Film - schick ihn zu mir! -Ich brauch' in unserem Laden einen vom Finanzamt!«

Und auch zufällig hatte ich meinen zehn Jahre jüngeren Bruder Dieter am Hals, filmverrückt wie ich, der unserem Vater alles hingeschmissen hatte, weil er nicht Bäcker und Gastwirt werden wollte.

Dieter nahm den nächsten Zug nach Kehl am Oberrhein, wo die Franzosen ihre Anwerbestelle für die Fremdenlegion hatten - und im Frankfurter Sackbahnhof kam er - zufällig! - auf die verrückte Idee, mal auszusteigen und im gegenüberliegenden National-Hotel nachzufragen, ob sein Bruder Will zufällig dort abgestiegen sei.
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In Frankfurt würde ich immer im National-Hotel wohnen

Ich hatte bei einem Besuch bei meiner Familie in Braubach mal erzählt, wenn ich in Frankfurt wäre, würde ich immer im National-Hotel wohnen. Das war gut und gerne zehn Jahre her, und ich war in diesen zehn Jahren vielleicht zweimal in Frankfurt und im National-Hotel gewesen - an diesem Tag, da Dieter nach mir fragte, war ich zufällig wieder in Frankfurt!

Zufällig ... Und zufällig fragte ich ihn, den ich natürlich mit nach Berlin genommen hatte (also keine Fremdenlegion) und der mir jetzt auf der Pelle saß, was er davon hielte, erst mal Finanzbeamter zu werden, um dann »todsicher« nach einem Jahr beim Film zu landen.
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Mein Bruder ging zum Finanzamt St. Goarshausen

Ich erinnere mich noch gut seiner zweifelnden Augen, aber ich verließ mich ganz auf Heinz Dietrich, und mein Bruder verließ sich auf mich, und keiner wurde verlassen, als er mich, nach einem Jahr beim Finanzamt St. Goarshausen, wieder anrief und fragte: »Gilt das mit dem Film noch? Ich soll nämlich morgen zum Beamten ernannt werden!«

Ich sagte: »Klar! Komm nach Hamburg!« -und rief dann erst Heinz Dietrich an: »Soll morgen früh um neun hier sein!« sagte der. So kam mein Bruder Dieter auch zum Film und vertritt heute die TOBIS in ganz Norddeutschland.
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Und schon am Anfang - gleich das richtige Erlebnis

Das Kerlchen, ganze zwanzig Jahre alt, hatte übrigens gleich das richtige Erlebnis, als er morgens um neun die olle Villa des Europa-Verleihs am Harvestehuder Weg in Hamburg betrat und sich umblickte.

Totenstille im Foyer, kein Mensch da. Plötzlich fängt in der Ecke ein alter Fernschreiber an zu rattern. Mein Bruder erschrickt, tritt näher und liest, was ein bekannter Münchner Filmproduzent dem Europa-Verleih mitzuteilen hatte:

»Ich sitze hier im Atlantik auf der anderen Seite und kann euch genau sehen - wenn das Geld bis 14.00 Uhr nicht hier ist, komme ich rüber - Gruß, Luggi Waldleitner.«
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Man nannte ihn "Frankie, die ostelbische Märchentante"

Ich war noch nicht ganz fertig mit dem Drehbuch, da tauchte Frank Wisbar auf, den Dietrich in Hamburg als Regisseur für unseren Film gewonnen hatte, wie es so schön heißt.

Wenzel rief nervös in der Pension in der Uhlandstraße an, in die ich mich nach einer kurzen, aber schmerzlichen Trennung von Ulla Schulze verzogen hatte, und fragte: »Gibt's was gegen Frank Wisbar einzuwenden?«

Er hatte wohl noch die Beschimpfung der »alten Säcke« im Ohr, die ich mir bei den »Halbstarken« geleistet hatte, und fürchtete Schlimmes für unser Zusammentreffen. Ich konnte ihn beruhigen: »Mir hat sein >Fährmann Maria< mit Sibylle Schmitz sehr gefallen« - obwohl: 1935 war ich noch ein Kind -»und >Haie und kleine Fische< war ja auch ganz ordentlich...« Wenzel staunte wohl über meine Friedfertigkeit.

Aber ich hatte dazugelernt, ich bin ein großer Lerner.
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Und jetzt kommt dieser Frank Wisbar richtig ins Spiel

Mir kam es darauf an, daß meine Bunkermenschen gemacht werden würden, egal von wem. Ich hielt mein Buch für so stark, daß schon ein Wim Wenders hätte kommen müssen, um etwas Langweiliges daraus zu machen, und den gab es damals Gott sei Dank noch nicht.

Doch der Hauptgrund meiner Gefügigkeit war die Tatsache, daß Wisbar 1938 aus Deutschland nach Hollywood gegangen war und dort endlos viele Fernsehserien gedreht hatte, über 300 Episoden, wie er mir erzählte, als ich ihn in Tempelhof abholte.

Was konnte ein Autor mehr verlangen als einen amerikanischen Profi? Der hagere, grauhaarige Mann mit den verschmitzten Augen im Kopf eines Habichts freute sich über die Begrüßung durch Lothar Winklers Blitzlicht (»In Hamburg bin ich noch nie bei einer Ankunft fotografiert worden!«) und verlangte erst mal »einen Drink«, aus dem noch im Flughafen-Ausschank Heinz Zellermayers drei oder vier wurden.
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Frank Wisbar wollte Wenzel noch nicht sehen

Wenzel zu sehen, verbat er sich, solange er das Drehbuch noch nicht gelesen hatte - »wenn es mir nicht zusagt, verschwinde ich mit der ersten Morgenmaschine wieder, und keine Feindschaft nicht!«

Wenzel hatte mich gebeten, ihn auf seine Kosten groß zum Abendessen auszuführen, aber auch das lehnte Wisbar ab, bestellte vielmehr in dem kleinen Hotel in der Brandenburgischen Straße neue Drinks und machte sich über das Drehbuch her, während er mich, der ich mit knurrendem Magen zuschauen mußte, mit Fragen löcherte.

Ich war viel zu unerfahren noch, um einen Trinker sofort zu erkennen, hielt seine Abscheu vor Essen für Arbeitseifer und bemerkte anfangs gar nicht, wie er sich diskret aus der Whiskyflasche neben seinem Sessel ständig nachschenkte, ein Tröpfchen immer nur. Er lobte mich für mein Drehbuch, insbesondere für meine »frischen Dialoge«, war schon nach den ersten zwanzig Seiten bereit, den Film zu machen, beschimpfte mich aber, etwas übertrieben, wie ich fand, für meine Abstinenz. Einer, der nicht mittrinkt, ist für einen Säufer »schlimmer als Hitler, der auch nichts getrunken hat« (Wisbar).
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Also, den Film machen wir

Endlich klappte er den Schnellhefter zu, grinste nur über meine Erklärung, warum das Buch, das ihm in Hamburg als fertig geschildert worden war, noch der einen oder anderen Szene bedürfe, rief Wenzel zu Hause an und sagte :

»Also, den Film machen wir - ich werden Ihnen freilich den Autor wegengagieren, denn er wird für alle meine zukünftigen Filme die Dialoge schreiben müssen!« - und legte bald wieder auf, um eine neue Flasche kommen zu lassen.

Widerwillig nahm er dabei zur Kenntnis, daß ich mir ein Schinkenbrot bestellte, trank zur Gesellschaft auch eine Flasche Bier mit und bot mir, noch in der ersten Nacht, das Du an.
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Wisbar war ein zweiter Ernst Neubach ......

Diesen Wisbar liebte ich auf der Stelle, und nicht nur, weil er mein Drehbuch spontan akzeptiert hatte (um mir am nächsten Morgen lakonisch mitzuteilen, daß »noch eine Menge daran getan werden muß«) - nein, ich liebte ihn wegen seiner Geschichten, die er ständig parat hatte.

Wisbar war ein zweiter Neubach, nicht so temperamentvoll beim Erzählen, dafür aber noch ausgiebiger, und ich sog alle seine abenteuerlichen Erlebnisse wie ein Schwamm in mich auf.

Zum Beispiel, daß er in Abwesenheit von einem Gericht in Texas von seiner letzten Frau, einer amerikanischen Millionärin, mit der Begründung geschieden worden sei, daß er die eheliche Gemeinschaft verweigere und es vorziehe, in einer Stadt namens Hamburg »am Rande von Sibirien« zu leben und zu arbeiten.

Für diese Geschichte, die nur glaubhaft wird, wenn man sich die Mentalität und Weltabgeschiedenheit eines Richters in Austin/Texas zu Beginn der 1950er Jahre vorstellen kann, hatte ihm der ehemalige Schupo Heinz Dietrich den Spitznamen »Frankie, die ostelbische Märchentante« verpaßt, ein Prädikat, das Wisbar mit jeder Geschichte, die er erzählte, fester anhing, und das bis an sein Lebensende.
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Auslöser waren immer Weibergeschichten

Er war ein trockener, 57 Jahre alter Bursche, nicht ausgesprochen zynisch, aber völlig illusionslos, der sich von niemandem in die Karten gucken ließ. Anders als Ernst Neubach legte er auch keinen Wert auf Beifall, dramatisierte nicht, putzte sich nicht besonders heraus und erzählte erst auf Befragen.

Jude? Nein, war er nicht. Von Hitler verfolgt? Nein, auch nicht. Warum war er dann nach Amerika gegangen? Eine Weibergeschichte. Warum war er zurückgekehrt? Auch eine Weibergeschichte.
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Wisbars Filme in den dreißiger Jahren

Es dauerte, als wir schließlich zusammen am Drehbuch arbeiteten, viele Wochen, bis er mit mehr herausrückte.

Inzwischen wußte ich alles über seine Filme in den dreißiger Jahren, über »Hermine und die sieben Aufrechten«, »Rivalen der Luft«, »Ball im Metropol«, »Die Unbekannte«, »Die Werft zum grauen Hecht« und eben »Fährmann Maria«.

Er war der erste, der mir von der Vorliebe der Sibylle Schmitz für Frauen erzählte - nachdem er ihr Liebhaber gewesen war.

»worauf wir zusammengelegt und den Puff in Celle saniert haben«

Er schilderte mir eines Nachts, wie er bei den Außenaufnahmen zu »Hermine und die sieben Aufrechten« mit Heinrich George einen Puff in Celle besucht hatte und wie sie dort so heimisch wurden/daß die Puffmutter sich noch lange nach der Abreise hilfesuchend an sie wandte, »worauf wir zusammengelegt und den Puff in Celle saniert haben« - daß sie Mitbesitzer geworden waren, merkten sie erst, als sie zum Jahresende jeder 2.400 Reichsmark aus Celle erhielten.
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Seine Geschichte vom 9. November 1923

Aus Tilsit (ehemals Preußen, dann Litauen, jetzt Russland) stammend, war Frank Wisbar »wie jeder aufrechte Deutsche« zu den Fahnen geeilt, als der Erste Weltkrieg ausbrach, jedoch zu jung noch, war aber als Fähnrich zurückgekommen und trieb sich »überall« mit Freikorpskämpfern herum - so genau erinnere ich mich nicht mehr.

Doch seine Geschichte vom 9. November 1923, als Hitler und Ludendorff ihren Marsch zur Feldherrnhalle in München unternahmen, die werde ich nicht vergessen.

»Ich lief immer noch mit einer Husaren-Litewka herum, hatte nichts Richtiges anzuziehen und speiste auf Einladung einer bekannten Dame der Münchner Gesellschaft bei Boettner in der Theatiner Straße, als der Spuk draußen losging.«
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Als in der Residenzstraße die Braunhemden losmarschierten

Neugierig geworden, ließen sie ihr Essen stehen und drängten sich durch die Menschenmenge in der Perusastraße zur Residenzstraße hinüber, in der sich die Braunhemden formierten und schließlich losmarschierten.

»Wir gerieten in den Marschsog, wir waren jung und albern, eine Menge Leute marschierten einfach mit, das Wort Revolution hing seit Erzberger in der Luft, es waren die letzten Wehen der Inflation - ich glaube, unser Essen allein hat so zweihundert Millionen Mark gekostet -, und auf einmal fängt es an zu schießen, Panik brach aus«, erzählte Frank Wisbar.
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Der Blutorden - die höchste Auszeichnung der NSDAP

»Ich habe dann mit der Dame geholfen, Verletzte zu verbinden, Tote an die Hauswände neben der Feldherrnhalle zu legen, bin von der Polizei dingfest gemacht worden - kurz: Die Nazis waren zehn Jahre später kaum an der Macht, als ich in Berlin hohen Besuch erhalte vom zuständigen Kreisleiter und einer Abordnung der SA - und mir wird der Blutorden überreicht.« Das ist ein Orden, den die NSDAP für Teilnehmer des Marsches auf die Feldherrnhalle gestiftet hatte, die höchste Auszeichnung der Partei.

»Wenn du dagegen warst«, habe ich Wisbar gefragt, »warum hast du ihn dann angenommen?« Er hat mich überrascht angeschaut:

»Wer sagt denn, daß ich dagegen war? Ganz Deutschland war doch von Hitler begeistert, als er erst mal an der Macht war! Wie der die Dinge angepackt, die Arbeitslosen von der Straße geschafft, die geknickten Seelen wieder aufgerichtet hat! Ich sage dir, mein Junge, ich war seit deinem Geburtsjahr achtundzwanzig beim Film, und das heißt: unter lauter Juden, und die waren alle für Hitler!«
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Doch nicht die Juden!

Ich staunte: »Doch nicht die Juden!« Er lachte mich aus: »Na klar, Mensch! Dem Hitler seinen Antisemitismus, den bezogen die deutschnationalen Juden doch nicht auf sich!

Damit, dachten die, hätte der Hitler die in den zwanziger Jahren aus Polen und Galizien hereinströmenden Ostjuden gemeint!

Mein Freund Hermann Ephraim, mit dem ich vor 1933 noch meine eigene Filmgesellschaft gegründet habe, hat mir stolz das Glückwunschtelegramm vorgelesen, das der Reichsbund jüdischer Frontkämpfer von seiner Jahrestagung in Kassel dem neuen Reichskanzler geschickt hat!«

Oppenheimer war also nicht der einzige nationalgesinnte Jude gewesen, der glaubte, mit ihm würde Hitler eine Ausnahme machen, der bereit gewesen wäre, sich mit den Nazis zu arrangieren.
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Stell Dir vor, Hitler hätten den Krieg gewonnen ...

»O Gott«, sagte ich erschauernd, »stell dir bloß vor, der Hitler hätte die deutschnationalen Juden von seiner Verfolgung ausgenommen, hätte sogar ein paar ins Kabinett aufgenommen - Amerika wäre doch nie in den Krieg eingetreten!«

Wisbar nickte nur zu dieser Vorstellung, hatte wohl selbst schon mal daran gedacht. »Hitler«, sagte er, »hätte den Krieg mit den Juden auf seiner Seite, glatt gewonnen!«

Wumm - ! Er war zwar abgefüllt mit Whisky, wie immer, aber völlig Herr seiner Summe, die Besoffenheit war ihm nie anzumerken. Wir waren auf das Thema gekommen, weil ich ihm von dem armen Ernst Wilhelm Borchert und seiner Fragebogenfälschung erzählt hatte, und Wisbar hatte gelacht: »Wäre ich 1938 nicht ausgewandert, meinem Schwanz folgend, nicht den Juden, hätte ich bestimmt ein paar deftige Kriegsfilme gedreht!«

Vom Soldatentum war er ganz besessen, kam nicht über die Enttäuschung hinweg und drehte nach unserem Film auch gleich wieder »Hunde, wollt ihr ewig leben«, ein Stalingrad-Epos, in dem er sich selbst in der Rolle des von Joachim Hansen dargestellten Oberleutnants sah.
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Das Lexikon des Internationalen Films über seine Kriegsfilme

Das Lexikon des Internationalen Films darüber: »Regisseur und Co-Autor Wisbar hat es zwar keinesfalls aufposthume Heldenverklärung abgesehen, umgeht aber andererseits auch konkrete politische und historische Aussagen. Die Hauptfigur des Films kommt im Grunde nur zu der Erkenntnis, daß von den Machthabern des Dritten Reiches eine bedeutende Sache schlecht vertreten worden sei; die Kritik am Nazistaat trifft nur Individuen und dankbar aufgenommen, im Rückblick treten seine Kompromisse deutlicher hervor.«

Auch in seinem nächsten Kriegsfilm »Nacht fiel über Gotenhafen«, über die Torpedierung des mit 6.000 Flüchtlingen beladenen deutschen Passagierdampfers »Wilhelm Gustloff« durch ein sowjetisches U-Boot, ließ Wisbar nichts auf die deutschen Soldaten kommen.

Danach folgte »Fabrik der Offiziere« nach dem Roman von Hans Hellmut Kirst, ein Film, über den das Lexikon des Internationalen Films wieder mäkelte: »... der Weg zu einer politischen Moral (und damit zu einem kritischen Geschichtsbewußtsein) wird nicht aufgezeigt...«

Und dann der Fremdenlegionärsfilm »Marschier oder krepier« in Spanien, dem noch »Durchbruch-Lok 234« folgte, Wisbars letzter Film, bevor er 1967 starb.
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Meine deutschen Juden in Hollywood nannten mich nur >Kommißkopp<

»Mir macht's einen Heidenspaß«, sagte er bei einer späteren Gelegenheit, »daß die deutschen Nachkriegskritiker sich nicht trauen, mich für einen Militaristen zu halten, weil ich doch Emigrant war - dabei haben mich meine deutschen Juden in Hollywood nur >Kommißkopp< genannt, obwohl es mir in Amerika nicht vergönnt war, einen Stahlhelm aufzusetzen ...«

Das war nach der Premiere von »Nacht fiel über Gotenhafen«, dem Film, der ihm wahrscheinlich am meisten am Herzen lag denn das letzte, was er 1938 für die TERRA inszeniert hatte, war »Petermann ist dagegen« gewesen, ein Propagandastreifen für die »Kraft durch Freude«-Bewegung des NS-Staates, gedreht auf der »Wilhelm Gustloff«. Frank Wisbar war begeistert von der KdF.
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Meine Frau, die Erbin des bekannten Schuhhauses Tack

»Ich hatte übrigens noch einen Grund, den Blutorden der NSDAP anzunehmen, obwohl ich nie in der Partei war«, vertraute er mir aa »Ich war damals mit einer Jüdin verheiratet, der Erbin des bekannten Schuhhauses Tack, und obwohl die Ehe nicht mehr funktionierte, war es mir eine Götterspeise, jedem Arschloch, das meiner Jüdin zu nahe trat, erst mal meinen Blutorden unter die Nase zu halten!« Eine »Götterspeise« muß ihm auch die Verpflichtung Ernst Wilhelm Borcherts für eine Hauptrolle in seinem Film »Hunde, wollt ihr ewig leben!« gewesen sein.

»Mann«, sagte Wisbar, »wenn ich hiergeblieben wäre, ich hätte auch den Fragebogen fälschen müssen!« Für mich war dieser Frank Wisbar keine »ostelbische Märchentante«.
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