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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Das muß erwähnt werden - unbedingt - Ursula Schulze

Noch vor den Dreharbeiten war mir auch eine neue Liebe zugeflogen, die von Kopf bis Fuß braungebrannte, braunäugige - oh, was hatte sie für große, ausdrucksvolle Augen! - Tochter eines Ost-Berliner Eisenwarenhändlers aus der Umgebung des Alexanderplatzes, die auf den guten alten preußischen Namen Schulze hörte, Ursula Schulze.

Sie übernahm bei den »Halbstarken« das kombinierte Amt einer Garderobiere und Kostümberaterin, und ich zog zu ihr in eine möblierte Wohnung in der Kufsteiner Straße, bis mir auffiel, daß ich jeden Morgen, den Gott werden ließ, um zehn Minuten vor acht durch einen Telefonanruf geweckt wurde - und, bevor ich zum Hörer greifen konnte, Ulla sich über mich warf, um vor mir abzunehmen; danach begann ein leises Getuschel unter dem Kissen.
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Das Getuschel unter dem Kissen

Zu spät bekam ich heraus, daß es Rudolf Augstein war, der um zehn Minuten vor acht ihre Berliner Nummer wählte, wenn seine Frau ins Badezimmer ging. Weiß der Himmel, wo sie den kennengelernt hatte. Jedenfalls war Ulla die erste Ost-Berlinerin, deren Ehrgeiz, im Westen auf die Beine zu kommen, mir auffiel. Nur der Zufall verhinderte wieder einmal, daß ich sie geheiratet habe.
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Und noch ein Film

Kaum wurden die ersten Kassenergebnisse der »Halbstarken« bekannt, da meldete sich auch Ilse Kubaschwewskis Gloria-Filmverleih wieder, der seine »Luise, Königin von Preußen« in der eigenen Firma hatte produzieren lassen müssen.

Dahinter steckte natürlich Gerd Nickstadt, Wenzels Freund und Dramaturg der zu F. W. Andam, dem Chefdramaturgen der Kubaschewski, nach München abgewandert war. »Können Sie uns auch einen Halbstarken-Film machen - mit der gleichen Mannschaft natürlich! -, aber etwas romantischer, wenn's geht: Buchholz verliebt sich in ein Mädchen und so weiter...«

Bis auf Karin Baal, die ich in der Agentur von Ada Tschechowa untergebracht hatte und die sogleich jede Menge Filmangebote erhielt, sollten alle »Halbstarken« wieder dabeisein.

Doch das mißfiel sowohl Wenzel als auch Tressler und mir, wir verachteten die »Geschäftemacher«, die hinter jeden Erfolg eine Fortsetzung hängen wollten.
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Also doch ein neuer Dramaturg - Axel von Hahn

Wenzel hatte sich in Axel von Hahn einen neuen Dramaturgen zugelegt, der von Arthur Brauners CCC-Film kam. Ich pflegte damals über so etwas »Unnützes« wie einen Dramaturgen zu lachen, aber in Axel von Hahn fand ich eine gleichgestimmte Seele.

Wir wurden im Nu dicke Freunde und machten uns über einen zweiten Halbstarkenstoff her, probierten dies und das im Gespräch aus und einigten uns schließlich auf eine Idee, die ihres sozialkritischen Einschlags wegen allen Kritikern gefiel.

Das kam natürlich von Axel, der mitten im Krieg bei Kutscher in München Theaterwissenschaften studiert hatte, weil er gleich zu Beginn des Rußlandfeldzuges von einem LKW gefallen und vom nachfolgenden überfahren worden war, was ihn den rechten oder linken Arm gekostet hatte, ich weiß nicht mehr welchen.

Wir haben in endlosen Nachtstunden oft darüber philosophiert: »Wärst du damals auf der hinteren Klappe des LKW nicht eingeschlafen und heruntergefallen, hättest du nicht in Schwabing leben und Theaterwissenschaften studieren können, hättest keine lebenslängliche Kriegsversehrtenrente und müßtest heute um deine Existenz kämpfen wie ich!« - »Schon möglich«, sagte mein phlegmatisch gewordener Axel und grinste verschämt.
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"Zeit bis Montag früh"

Die Geschichte, die schließlich auch Georg Tresslers Lieblingsstoff »Das Mädchen Lili« vom Sockel stieß, hieß »Zeit bis Montagfrüh« und handelte vom Wochenende eines jungen Osram-Arbeiters:

Die Neue im Betriebsbüro, ein scheues Reh (deswegen kam Karin Baal nicht in Frage), läßt den kessen Mecky abblitzen, worauf er mit seinen Kumpels wettet, daß er die Kleine übers Wochenende rumkriegen wird - fünf Mark setzen sie alle dagegen.

Der Film zeigt nun, wie Mecky Buchholz sich auf fein verkleidet, an der Wohnungstür des Mädchens klingelt, für einen anständigen Menschen gehalten und an die Kaffeetafel eingeladen wird, wie die Mutter (Karin Hardt) des Mädchens ihre Tochter geradezu drängt, mit dem netten Jungen ins Kino zu gehen, wie die Meute der Arbeitskollegen, besorgt um ihren Wetteinsatz, alles daransetzt, das Zusammensein des Pärchens zu stören, und wie Buchholz sich schließlich in das süße junge Ding verliebt, mit ihm schläft - und am Montagmorgen bei Osram erklärt, die Wette leider verloren zu haben. Wir fanden das eine schöne Geschichte, die mit den Halbstarken nichts zu tun hatte, sich aber lebensecht las.
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Die sagenhafte Ilse Kubaschewski

Die Gloria akzeptierte mein Drehbuch, hatte nur Anderungswün-sche bezüglich des allzu neutralen Titels »Zeit bis Montagfrüh«, der Wenzel und mir gerade darum gefiel.

Zur entscheidenden Verhandlung nahm er mich mit nach München, und ich lernte die sagenhafte Ilse Kubaschewski kennen, eine stattliche Blondine, die vor dem Krieg schon als Disponentin und Mädchen für alles bei einem kleinen Verleih gearbeitet und mit ihrem Freund Luggi Waldleitner nach dem Krieg den erfolgreichsten deutschen Filmverleih gegründet hatte.

Sie galt in der Branche als »Die Ilse mit der goldenen Nase«. Das mag so gewesen sein, aber Wenzel und ich, wir waren, ermutigt durch unseren Halbstarken-Erfolg, so »steile Zähne« geworden, daß wir es rundweg ablehnten, unseren nächsten gemeinsamen Film »Endstation Liebe« nennen zu lassen.
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»Das ist Kitsch in Reinkultur!« erregte sich Wenzel und kam vor die Tür, vor der ich wieder einmal warten mußte, wie immer, wenn es um Geld ging. »Nie und nimmer!« tönte auch ich. Und: »Gib mir dein Ehrenwort, daß du diesen Verleihvertrag nicht unterschreibst! Sonst ziehe ich meinen Namen zurück und kenn' dich nicht mehr!«
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Ich gehe zu einem anderen Verleih

Wenzel war von meiner Haltung hochbefriedigt und ging zurück ins Chefzimmer der Kuba, in dem sie mit ihrer rechten und linken Hand, Walter Traut und F. W. Andam, geduldig wartete. Wenzel erzählte mir später, was passierte: »Ich trug die Nase noch höher, sagte denen, daß ich mich mit meinem Autor gerade beraten hätte und auch der sich strikt weigere, seinen Titel ändern zu lassen. Und als sie sagten, ich könne es mir ja noch mal überlegen, habe ich der Kuba geantwortet: Das habe ich bereits, liebe Ilse, ich gehe zu einem anderen Verleih!«

Und da, als alles auf der Kippe stand, sei die Tür aufgerissen worden und ich wäre hereingestürmt und hätte geschrien: »Unterschreib, Wenzel! Der Film wird nicht >Endstation Liebe< heißen, auch wenn's da jetzt noch geschrieben steht - vertrau mir, Wenzel!«
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"vertrau mir, Wenzel"

Da der arme Kerl schon allerhand mit mir erlebt hatte, vertraute er mir - leider, holte tief Luft und unterschrieb. Seitdem hörte ich die Kubaschewski nur noch mit Hochachtung von mir sprechen: »Der Tremper ist unerhört einflußreich!«

Das war ich aber wohl zum letzten Mal bei meinem Freund Wenzel Lüdecke, und Ilse Kubaschewski hatte keine Ahnung von dem, was mich so jäh zur Sinnesänderung veranlaßt hatte.

Vor der Tür sitzend, hatte ich in Film-Jahrbüchern geblättert und war plötzlich auf den deutschen Titel der Tennessee-Williams-Verfilmung »A Streetcar Named Desire« gestoßen - in Deutschland: »Endstation Sehnsucht«. Wau -! Ich merkte mir gerade noch den Namen des amerikanischen Verleihs, es war »Warner Bros.« -

Branchenkenner von damals werden jetzt schon grinsen, aber ich war damals wohl noch kein Branchenkenner -, und stürmte zu Wenzel und der Kuba ins Zimmer: »Unterschreib, Wenzel!« Danach gab es Champagner, und als ich mit meinem Produzenten wieder auf der Straße stand, verriet ich ihm leider immer noch nicht, was ich mir hatte einfallen lassen, sagte nur »Komm!« und stürzte in die nächste öffentliche Telefonzelle.
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Nach zwei Minuten - bleich wie der Tod und selbstmordreif

Wenzel sagte später am Abend: »Als Tremper in der Telefonzelle verschwand, sah er glücklich wie ein Baby an der Mutterbrust aus - als er zwei Minuten später wieder herauskam, war er bleich wie der Tod und selbstmordreif!« Das war zwar übertrieben, aber ...

Ich hatte mir vorgestellt, die Warner Bros, auf Ilse Kubaschewski hetzen zu können - »Endstation Sehnsucht« und »Endstation Liebe«, da war doch die Verwechslungsgefahr viel zu groß!

Ich wollte Warner Bros, zu einer einstweiligen Verfügung gegen die Kubaschewski überreden und stellte mir das kinderleicht vor. »Geben Sie mir den Generaldirektor!« sagte ich, als sich die Warner-Filiale in München meldete. »Der sitzt in Frankfurt!« bekam ich zu hörea »Wie ist seine Telefonnummer?« wollte ich wissen und fragte auch noch nach seinem Namen. Die Antwort riß mir den Hörer aus der Hand: »Kubaschewski«!

Der »Warner Bros.«-Generaldirektor hieß Kubaschewski und war der Ehemann der Ilse! ... Ich war am Boden zerstört, worüber Wenzel letztlich lachen mußte, ich aber bis heute noch nicht lachen kann. Heute nachmittag ist sie wieder im ZDF gelaufen, diese »Endstation Liebe«, die viel bessere Kritiken bekam als »Die Halbstarken«, aber weniger Zuschauer.
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Der Schock war groß - meine Lust auf Film schwandt rapide

Ich glaube immer noch, daß dieses Erlebnis mich so schockiert hat, daß ich die Lust auf den ganzen Film verlor. Ich ließ Georg Tressler selbst eine Partnerin für Horst Buchholz suchen und hielt mich vor allem mit der Publicity für den Film stark zurück

Ich redete mir ein, daß ich selbst schuld an diesem lächerlich platten Filmtitel sei, daß ich andererseits jedoch stolz darauf sein könnte, innerhalb eines Jahres für zwei richtige große Spielfilme das Drehbuch geschrieben zu haben; es half alles nichts, die Hochstimmung war dahin.
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Aus Barbara Freyte wurde Barbara Frey

Jürgl fand in einer Konfektionsfirma am Fehrbelliner Platz ein liebes, mir allzu harmlos vorkommendes Mädchen von vielleicht 17 Jahren, das Barbara Freyte hieß - mein einziger Beitrag zu seiner Entdeckung bestand in einem Radiergummi, mit dem ich ihm sofort die letzten beiden Buchstaben seines Namens ausradierte. Er führte »Babsi« Frey so gut durch den Film, daß sie am Ende beinahe den Bundesfilmpreis als beste Nachwuchsschauspielerin erhalten hätte, doch ihre Stimme war von Johanna von Koczian synchronisiert wordea.

Auch Barbara Frey machte Karriere, spielte in einigen unauffälligen Filmen, ging dann nach Italien, wo sie mit einem zweitklassigen Hollywoodstar ein paar Jahre lebte, auch noch Filme drehte, und soll heute als geachtete Apothekerin im Schwarzwald verheiratet sein.

Summa summarum: »Endstation Liebe« war ein deutlich besserer Film als »Die Halbstarken« geworden, erhielt überwältigende Kritiken, kostete aber beinahe schon das Doppelte der »Halbstarken« und ließ meinen Wenzel gerade mal so aus dem Schneider kommen, ohne Verluste, aber auch ohne Gewinn.
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Izwischen : Alle wollten Halbstarken-Filme "machen"

Unterdessen schien jeder Produzent sich des Halbstarken-Themas bemächtigt zu haben: Alfred Vohrer inszenierte für Arthur Brauners CCC-Film »Die Frühreifen« mit Christian Doermer und Heidi Brühl. Jürgl Tressler eilte nach Wien, um für und mit Paula Wessely in ihrer eigenen Produktion mit Vera Tschechowa »Noch minderjährig« zu machen, Rolf Thiele parodierte uns gar mit dem Titel »Die Halbzarten« - im Film lebten die Halbstarken länger als in Wirklichkeit, denn das Kino verlor in den beginnenden sechziger Jahren immer mehr ältere Zuschauer, bis ihm nur noch die Kinder blieben.

Und zwischen den Filmen - eine wilde Zeit

Mein Münchner Lieblingsdomizil in den fünfziger Jahren wurde das Regina-Palast-Hotel, das der Mutter von Falk Volkhardt gehörte und in den 1970er Jahren den Weg allen Geldes ging und ein weiterer Versicherungspalast wurde.

Anders als mein Freund Herbert Reinecker oder mein Freund Jürgl Tressler, die vom Film lebten, tummelte ich mich zwischen den Filmen bei den Illustrierten, Kindlers »Revue« in Bogenhausen und Kennewegs »Quick« in der Brienner Straße.

Ich benutzte jede Gelegenheit für einen Besuch in München, trieb mich in den Redaktionen herum und aß mittags wie abends in Martin Katz' »Opernespresso« in der Maximilianstraße, wo sich ein immer größer werdender Freundeskreis bildete: Georg und Franz Marischka, Franz Spelman, Josef von Ferenczy, Georg Reuter, Helmut Ashley, Ernst Neubach, Alexander Kerst - lauter Österreicher, wie ich eines Tages zu meiner Überraschung feststellte. Das »Opernespresso« wurde zum Cafe Bristol von München.
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Robert Siodmak - wir machen einen richtigen Berlin-Film

Vormittags war ich aus Berlin eingeflogen, mittags lud mich Robert Siodmak an seinen Tisch im »Opernespresso«, schaute mich lange mit diesen Uhu-Augen durch seine dicken Brillengläser an und fragte mich, was ich von einem Berlin-Film hielte - »aber einen richtigen Berlin-Film!« -, und war sehr erstaunt, als ich abwinkte. Für die Kubaschewski hatte er gerade mit Riesenerfolg »Nachts, wenn der Teufel kam« inszeniert.
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Fast den ganzen Tag im »Opernespresso«

Nachmittags besprach ich mit Wolfgang Willi Parth in der »Revue«-Redaktion eine Soraya-Serie, zum Abendessen traf ich Ernst Neubach wieder im »Opernespresso«, der eine seiner wundervollen Geschichten zum besten gab, und nachts begegnete mir, auf dem Weg zum Regina-Hotel, erneut Robert Siodmak, der allein aus dem Humpelmayr kam: »Sie haben gerade so eine Phase«, sagte er, »ich kenne das: Man will ein für allemal mit dem Film nichts mehr zu tun haben, aber das legt sich, mein Junge! Wie heißt denn die Laus, die Ihnen über die Leber gelaufen ist?«
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Die besagte Laus hieß "Ilse Kubaschewski"

»Ilse Kubaschewski!« sagte ich. Er lachte, nahm mich am Arm und spazierte eine geschlagene Stunde mit mir in den Grünanlagen auf dem Maximiliansplatz auf und ab.

Was mir haften geblieben ist, ist Robert Siodmaks Erkenntnis, daß es »ganz gewiß!« bessere Regisseure gäbe als ihn, aber die hätten alle nicht die Nerven, sich in »dieser teuflischen Filmbranche« durchzusetzen, und darum gäbe es sie nicht - womit er mir sagen wollte, daß ich den Mut haben müßte, mich durchzusetzen, um ein »großer Drehbuchautor« zu werden.

Ich habe ihm geantwortet, daß ich kein großer Drehbuchautor werden wollte, höchstens ein großer Regisseur wie er, und auch das nicht, wenn ich mich nach den Wünschen und Vorstellungen der Produzenten und Verleiher richten müßte.

»Hab' ich das nötig?« gab ich an. »Als Illustrierten-Autor brauche ich mich nur mit dem Blatt Papier auseinanderzusetzen, das in meiner Reiseschreibmaschine klemmt ...« Er wandte ein: »Aber dann muß es immer noch dem Redakteur gefallen!« Ich lachte ihn aus: »Jeder Illustrierten-Redakteur hat mehr Verstand als so'n deutscher Verleiher! Mir hat noch keiner reingeredet!«
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Mein »Nein!« zum Film - endgültig ........

Ich war sehr stolz auf mich, als ich dem großen Regisseur endgültig mein »Nein!« zum Film, selbst zu einem »richtigen Berlin-Film« mit ihm, demonstriert hatte. Er tätschelte mir die Wange, bevor er zu einer Nutte ins Auto stieg, und ich ging die drei Schritte zum Eingang des Regina-Hotels.

Der Nachtportier überreichte mir mehrere Nachrichten aus Berlin: »Dringend Herrn Lüdecke anrufen!« Und fünf Minuten später war ich, der ich eben noch dem Film für alle Zeiten abgeschworen hatte, wieder Feuer und Flamme: Mein Wenzel saß auf Sylt im Regen und brauchte dringend einen Filmstoff. Es war ein Uhr nachts vorbei, als ich ihn dort anrief. Seine Zunge gehorchte ihm nicht mehr ganz - was da gesoffen wird auf Sylt, und im Regen! -, aber was er sagte, ging mir runter wie öl:

»Mensch, Wilhelm!« sagte er. »Du machst deinen dritten Film mit mir hintereinander! Das ist doch was! Ich habe den Scheißern hier erklärt, daß nur ein Autor für den nächsten Buchholz-Film in Frage kommt: Tremper! - Ich gebe dir mal Heinz Dietrich!«
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Auf Sylt - beide besoffen wie nix

Und die schrecklich versoffene Stimme des Chefs vom Europa-Filmverleih in Hamburg trompetete mir ins Ohr: »Du kriegst 'n Spitzenhonorar, Tremper! Aber ich will die Geschichte vorher hören! Kannst du morgen in Sylt sein? Du mußt morgen in Sylt sein! Und vergiß nicht: Der Film heißt: >Nasser Asphalt<!

Liegt hier schon gedruckt vor in unserem Verleih-Katalog für die nächste Spielzeit. Inhalt: Junger Mann rutscht auf dem Großstadtpflaster aus und fängt sich wieder! Alles klar? Damit kannst du doch 'ne Menge anfangen, oder wie sehe ich das!?«
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>Nasser Asphalt< - ich hätte gewarnt sein müssen

Ich hätte gewarnt sein müssen von dieser Inhaltsbeschreibung. Seit Wochen geisterte das Gerücht durch Film-Berlin, daß Horst Buchholz seinen nächsten Film beim renommierten Europa-Verleih in Hamburg machen würde, der Walter Koppel und Gyula Trebitsch gehörte und stets seinen Anspruch auf gehobene Unterhaltung betonte.

Trebitsch hatte den armen Rühmann nach einer Nachkriegs- Durststrecke wieder auf die Beine gebracht, und Koppels Real-Film feierte mit Käutners »Hauptmann von Köpenick« gerade Triumphe; auch der andere große Zuckmayer, »Des Teufels General«, war von Käutner für Walter Koppel inszeniert worden. Ich rief den Nachtportier an: »Wecken Sie mich um fünf Uhr und beschaffen Sie mir einen Platz in der Sechs-Uhr-Panam nach Berlin!«

Siodmak würde staunen.
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Mit Ulla Schulze nach Hamburg und weiter nach Sylt

In Berlin packte ich Ulla Schulze in meinen Ford Versailles - oder war es schon der Chambord? - und raste mit ihr über die elende Bundesstraße 5 nach Hamburg und weiter nach Sylt, wo wir am Abend erst ankamen; es regnete immer noch. Auf der ganzen Fahrt habe ich Stoffe mit Ulla entworfen: Buchholz als Portokassenjüngling, der mit derselben abhaut, eines Mädchens wegen.

Buchholz als junger Kriminalbeamter, der von einer älteren Frau verführt und korrumpiert wird. Buchholz als Ostzonenflüchtling, den der Westen blendet, bis ihn ein armes, aber ehrliches Mädchen wieder auf den rechten Weg führt - ich kam von dieser verdammten Inhaltsbeschreibung »... rutscht aus und fängt sich wieder« nicht los!

Und dazu der dämliche Titel von dem »Nassen Asphalt«! Als wir ankamen, hatte ich mindestens fünfzig Stoffe konzipiert, und nicht ein einziger gefiel mir. Ich parkte Ulla in dem Hotelzimmer in Kampen, das Wenzel reserviert hatte, und machte mich im Regen zu Fuß auf den Weg in die rustikale Kate, in der die Herren saßen und schon wieder Grog soffen.
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Heinz Dietrich, ein imposantes Mannsbild .......

Heinz Dietrich, ein imposantes Mannsbild, breit und groß, empfing mich dröhnend: »Also, was spielt Buchholz - !?« Und ich, mit leerem Kopf, sagte: »Mich, natürlich! Wir machen Die Bunkermenschen von Gdingen<!«

Die Gesichter waren das Wunder wert, das mir wieder einmal widerfuhr, die Eingebung in höchster Not, der Zufall. Ich schwöre, ich weiß heute so wenig wie damals, wie ich auf die ganz und gar wahnwitzige Idee gekommen bin, die »Bunkermenschen von Gdingen« vorzuschlagen.

Sie hatten weder mit dem schon gedruckten Filmtitel »Nasser Asphalt« etwas zu tun noch mit der blödsinnigen Inhaltsbeschreibung von dem ausrutschenden jungen Mann, der sich wieder fängt.
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Curt Riess und der skandalöse Scoop des »France Soir«

Ich sah den Gesichtern der Europa-Leute an, daß sie nur irritiert waren - aber mein Wenzel Lüdecke, der bekam richtig einen freudigen Schreck, dem hatte ich meine Erlebnisse mit Curt Riess und dem skandalösen Scoop des »France Soir« längst in allen Einzelheiten erzählt, der wußte, worum es sich bei den »Bunkermenschen von Gdingen« handelte.

Er wäre trotzdem nie darauf gekommen, daß man einen Film daraus machen könnte, wenn ich nicht »Buchholz spielt mich!« behauptet hätte ......
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Und warum war ich damit herausgeplatzt ?

Weil der Großkotz Dietrich, anstatt »Guten Tag, Herr Tremper!« zu sagen, mich gleich mit der Frage: »Was spielt Buchholz?« empfangen hatte. So ein »Zufall«! Und ich fuhr, bevor sie auch nur eine Frage stellen konnten, gleich fort:

»Curt Riess wird von Martin Held gespielt, sein Chauffeur von Gert Fröbe, die Haushälterin von Inge Meysel!« Eine Kubaschewski hätte bei dem Namen Martin Held vielleicht schon das Gesicht verzogen, ein Dietrich fing gleich an zu strahlen.

Walter Koppels Leute wußten seit »Des Teufels General«, daß gute Schauspieler wichtiger waren als sogenannte Kassennamen. Ich bekam den besten Sessel, ein Wasserglas voll Aquavit, eine Stulle und fing kauend an zu erzählen.
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Da fing ich an an zu erzählen ....

Während Wenzel durch häufiges Lachen und Kopfnicken seine Zustimmung kundtat, sah ich an den Gesichtern der anderen, daß sie nicht recht wußten, was sie von der Geschichte des amerikanischen Korrespondenten in Berlin zu halten hatten, der jeden Freitagabend eine Sensation nach Paris durchgeben muß und, wenn er mal keine hat, eine erfindet.

Fragen über Fragen wurden mir gestellt, die einmal darauf hinausliefen, daß das Ganze doch recht unwahrscheinlich sei, zum anderen juristische Bedenken ins Spiel brachten:

»Verklagt uns dann nicht Herr Riess?« Ich wischte alles unter den Tisch, wies auf die gewaltige Reklame hin, die ein Film über »Bunkermenschen von Gdingen« ganz von selbst in der Presse bekommen würde, erfand aus dem Stand einen anderen Namen für Riess - »Der heißt bei mir Cäsar Boyd!« - und erstickte jede Gegenwehr der Geldgeber mit der Versicherung, daß ich die Verantwortung für alles übernehmen würde.

Ob das viel half, wage ich zu bezweifeln, spürte am Ende aber doch, daß der für deutsche Kintopp-Verhältnisse ungewöhnliche Stoff sie zu faszinieren begann.
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Eigentlich wollten sie immer noch die Halbstarken-Karte spielen

Dann stellte sich auch noch heraus, daß auch die Leute vom Europa-Verleih immer noch mit der Halbstarken-Karte spielten und ins Programm schon wieder geschrieben hatten: »Vom selben Team wie dem der >Halbstarken< und der >Endstation Liebe<!« - der zweite Film war noch gar nicht heraus, sein mageres Ergebnis nicht bekannt, aber ob Georg Tressler der richtige Mann für »Nasser Asphalt« sein würde, bezweifelten plötzlich alle, auch Wenzel.

So wurde ich in der Nacht noch beauftragt, keine Zeit zu verlieren und gleich am nächsten Morgen von Sylt nach Wien weiterzufahren, wo Tressler gerade seinen österreichischen Halbstarken-Film bei der Wessely vorbereitete. »Im Grunde«, trug Wenzel mir zum Abschied auf, »müßte der Jürgl sofort bei der Wessely-Produktion hinschmeißen und nach Berlin kommen!«
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Beim »Stern« wurde ich "abgfertigt"

In dem sicheren Bewußtsein, den dritten Film mit Buchholz hintereinander plaziert zu haben, fuhr ich mit Ulla am nächsten Morgen gen Süden, besuchte meine Hamburger Freunde Heinz und Ute Kuntze-Just, die noch nicht an der Süderelbe wohnten, und schaute gleich auch mal beim »Stern« rein, weil Henri Nannen am Telefon gesagt hatte, das sollte ich auf keinen Fall versäumen.

Ein gewisser Pitt Severin empfing mich statt Nannen und fertigte mich kurz ab. Euch werd' ich's zeigen, sagte ich mir. Wartet bloß, bis ich mit den »Bunkermenschen von Gdingen« herauskomme! Mit Wenzel war ich mir sofort über den Titel des Films, der nun nicht mehr »Nasser Asphalt« heißen konnte, klar geworden. Ich schlug »Der Preis der Wahrheit« vor, und das gefiel ihm sehr.
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Dann eben beim "Spiegel"

Auch Ulrich Blumenschein, dem sächsischen Studenten, den ich von Berlin her kannte und der jetzt beim »Spiegel« gelandet war, erzählte ich gleich von meinem dritten Buchholz-Film, und er versprach eine große »Spiegel«-Geschichte, wenn es soweit sein würde.

Heinz Kuntze-Just, einer der besten Journalisten, die ich kannte, war Chefredakteur der »Neuen Deutschen Wochenschau« gewesen und jetzt Chefredakteur der »Star-Revue«, deren Besitzer bald darauf Rudolf Augstein wurde; er nahm gleich eine Option auf den Vorabdruck: »Sie schreiben doch einen Roman zum Drehbuch?«

Daran hatte ich zwar noch nicht gedacht, aber warum nicht. So fing ich schon wieder an, wie bei den »Halbstarken«, die Reklametrommel zu rühren, bevor der Europa-Verleih sich überhaupt entschlossen hatte, den Film zu machen.
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Koppel und Dietrich sind entschlossen - der Film wird "gemacht"

Vielleicht waren sogar die Anrufe von Heinz Kuntze-Just und Ulrich Blumenschein bei Verleihpressechef Horst Meyer-Haenel ausschlaggebend dafür, daß Koppel und Dietrich sich Hals über Kopf entschlossen, die »Bunkermenschen von Gdingen« unbedingt zu machen.

Meyer-Haenel rief mich aufgeregt im Hotel »Bellevue« an und berichtete von dem Interesse, das »Spiegel« und »Star-Revue« zeigten, er hatte überhaupt noch keine Ahnung von dem Projekt.

Der gute Horst, immerhin verantwortlich für die gesamte Öffentlichkeitsarbeit von Real- und Europa-Film, hatte auch sonst wenig Ahnung, wie ich zwei Jahre später feststellen konnte.

Da wettete er bei der Welturaufführung von B. Travens »Das Totenschiff« mit mir, daß Hollywood in Florida liege, und rannte, als ich ihn auslachte, zum Portier des »Atlantik«-Hotels, um mit einem Atlas wiederzukommen. Seitdem weiß ich, daß es auch in Florida ein Hollywood gibt.
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Ein Millionen-Schadensersatzprozeß von Riess sei sicher!

Das Unternehmen »Bunkermenschen« ließ sich gut an - bis zu dem Anruf, kurz vor unserer Weiterfahrt, von Wenzel Lüdecke, der hochgradig erregt in mein Ohr schrie: Wenn ich so weitermache, etwa den gleichen Terror wie bei den »Halbstarken« entfessele, lasse er die »Bunkermenschen« wie eine heiße Kartoffel fallen!

Seine Juristen hätten den Fall inzwischen geprüft und rieten dringend davon ab, Herrn Curt Riess mit der Angelegenheit in Verbindung zu bringen! Ein Millionen-Schadensersatzprozeß sei sicher!


»Auch Riess«, tönte ich, »muß den Preis der Wahrheit zahlen!«
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