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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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"Tausend Halbstarke terrorisieren Berlin"

»Herr über Leben und Tod« war ein interessanter Mißerfolg geworden. Wenzel führte ihn mir vor und fragte dezidiert: »Was gefällt Ihnen nicht daran? - Kamera? - Regie? - Darstellung?«

Ich konnte nur antworten: »Alles bestens, Herr Lüdecke. Und alles furchtbar uninteressant!« Er hatte den ältesten Produzentenfehler der Filmwelt gemacht, einen, der jungen Produzenten bei ihrem ersten Film nur allzuoft unterläuft, wenn sie es besser als alle anderen machen wollen und sich dazu des kleinen Einmaleins bedienen:

»Ich nehme mir den besten Autor, den besten Regisseur, den besten Kameramann, die besten Darsteller ...« usw.

Aber, wie Helmut Schön schon wußte: »Lauter Karajans ergeben noch keine gute Fußballmannschaft!« Soll heißen, daß das Zusammenrühren von »Besten« noch keinen sehenswerten Film ergeben konnte.
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Meine Meinung über die Beteiligten an diesem Film

Zuckmayers Novelle, klärte ich Wenzel auf, war vom Autor in einer Nacht im Pariser »Ritz« zusammengehauen worden, als er dringend zweitausend Dollar von seinem Verleger brauchte, um die Hotelrechnung bezahlen zu können - aber wer konnte sich schon rühmen, den großen »Zuck« als Autor zu haben?

Victor Vicas war von Wenzel als Regisseur engagiert worden, weil er 1951 den Bundesfilmpreis erhalten hatte - den ersten überhaupt, der vergeben wurde - für eine Berliner Kriminalschnulze, wie sie Freddy Vohrer zwanzig Jahre später genauso phantasielos inszenierte, aber Victor Vicas war halb Russe, halb Franzose und verkörperte jenes internationale Flair, das die ersten Berliner Filmfestspiele damals brauchten.

Auch den Kameramann Göran Strindberg, der für den schwedischen Film »Fräulein Julie« den Bundesfilmpreis erhielt, hatte Wenzel unter Vertrag genommen.

Dazu den guten Ernst Wilhelm Borchert aus Staudtes »Die Mörder sind unter uns«, den Wenzels beste Freundin Toni Mackeben - die erste Frau Theos - mit ihrer Agentur vertrat und dessen Fragebogen-Affäre nie bekannt geworden war.

Und warum mußte Maria Schell die todgeweihte Patientin spielen? Weil sie so schön weinen konnte, oder weil sie damals schon hunderttausend Mark Gage verlangte?

»Hören Sie auf!« rief Wenzel, »Ich habe begriffen! Warum haben wir uns nicht schon früher kennengelernt? Woher haben Sie all Ihre schlauen Sprüche?«
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Woher haben Sie all Ihre schlauen Sprüche?

Aus blauem Himmel heruntergeflunkert, hätte ich ihm antworten können, um Sie auf einen Drehbuchautor aufmerksam zu machen, der zwar noch keins geschrieben und keinen Namen hat - statt dessen setzte ich eine bedeutende Miene auf und hütete mich, meine persönlichen Interessen durchblicken zu lassen.

Wie es beinahe zu einem Drehbuch für einen Hans-Albers-Film gekommen wäre, habe ich schon erzählt. Als nächstes plante Wenzel Lüdecke die Verfilmung eines Theaterstücks, Hans J. Rehfischs »Der Kassenarzt«, das Mitte der zwanziger Jahre ein sagenhafter Erfolg gewesen sein sollte.

Da merkte ich, daß er im Begriff war, den Zweitältesten Produzentenfehler der Welt zu machen: Stoffe nach ihrer »gesellschaftlichen Relevanz« auszusuchen. Ich verunsicherte Wenzel mit dem Einwand, daß die kassenärztliche Versorgung der Bevölkerung sich seit den zwanziger Jahren gründlich verbessert hätte, dank übrigens jenes gewissen Hitler, der die AOK - die Allgemeine Ortskrankenkasse - per Federstrich eingeführt hatte.

Gleichzeitig erbot ich mich, zu recherchieren, fand heraus, daß in Oberbayern die meisten Kassenärzte saßen, und flog erst mal wieder nach München. Versehen mit Material der Kassenärztlichen Vereinigung, das Rehfischs Theaterstück zu einem lohnenden Umschreibeobjekt machen würde, fand ich Wenzel acht Tage später vollkommen ratlos hinter seinem Schreibtisch.
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Erstaunlich, das waren also gar keine Scherze

Er hatte nachgelesen und bestätigt gefunden, was ich ihm als Scherz über »gesellschaftliche Relevanz« erzählt hatte - die Geschichte von Sam Goldwyn, dem großen Hollywood-Produzenten, der seinen Drehbuchautoren, die mit einer Botschaft zur Weltverbesserung hausieren gingen, den Rat gab: »If you have a message, go to "Western Union" !« (Bring sie zur Post ...)

Und da griff erneut der Kamerad Zufall ein: Das Telefon klingelte, die große Ilse Kubaschewski, Inhaberin des mächtigen Gloria-Filmverleihs, rief an und schlug Wenzel Lüdecke einen Handel vor, den er, als Neuling, kaum abschlagen konnte.
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Der Gloria-Filmverleih kommt mit ins Spiel

Die Kubaschewski plante, Gustl Kernmayers ruchlos kalkulierten Roman »Wenn du arm bist, mußt du früher sterben«, der gerade im »Stern« lief, zu verfilmen, und fühlte sich dabei von Wenzels »Kassenarzt«-Vorhaben gestört.

»Zweimal das gleiche Sujet, das bringt uns beiden nichts. Wenn Sie verzichten, gebe ich Ihnen als Ersatz eine vollfinanzierte Auftragsproduktion, bei der ein hübsches Stückchen Geld zu verdienen ist, ob der Film ein Erfolg wird oder nicht ...«

Taktvoll, wie ich sein kann, verzog ich mich ins Vorzimmer; wie alle Produzenten redete Wenzel ungern vor fremden Ohren über Geld. Als er mich wieder hereinholte, war er besserer Laune:

»Ich soll >Luise, Königin von Preußen< für die Kubaschewski produzieren - mit Ruth Leuwerik in der Titelrolle! - und kein Geringerer als Wolfgang Liebeneiner soll es inszenieren!«
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Aber ... ich wollte doch mitmachen bei seinen Filmen

Das war für mich wie ein Schlag in die Magengrube. Bei einem historischen Film würde es für mich nichts zu tun geben, nicht mal eine Regieassistenz war da drin, weil Liebeneiner seine eigenen Assistenten mitbringen würde ...

Ich setzte alles auf eine Karte, raufte mir die Haare und schrie: »Das ist ja Wahnsinn! Und Sie wollen ein moderner junger Produzent sein? Wenn Sie das machen, sind Sie für mich gestorben!« Und ähnliches mehr.

Es war das reinste Schmierentheater. Wenzel hat diese Szene in seinem Büro in der Mühlenstraße in den nächsten dreißig Jahren unseren Freunden immer mal wieder vorgespielt.

Ich hatte ihn tief beeindruckt, um so mehr, als er wußte, wie abhängig ich mit meinen Filmträumen von ihm war. Beim ersten Auftrag von ihm - die Sache mit Hans Albers - hatte er noch meine Schreibmaschine bei der Pfandleihe auslösen müssen.

Andererseits vertrug er es überhaupt nicht, von einem Abhängigen angeschrien zu werden. Eine Sekunde lang stand alles auf der Kippe.
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Haben Sie vielleicht was Besseres?

Dann lehnte er sich zurück und wehrte sich nervös mit der Gegenfrage: »Haben Sie vielleicht was Besseres?«

Und ich, ohne auch nur einen Moment nachzudenken, riß die »Nacht-Depesche« aus der Rocktasche, das billigste und schlechteste Boulevardblatt der Stadt, hob es hoch und rief:

»Hab' ich! - Ja! - So was, zum Beispiel!« Die Schlagzeile verlief über die ganze erste Seite und hieß: »1000 Halbstarke terrorisieren Berlin!« Doch ich würde lügen, wenn ich jetzt schriebe, ich hätte in dieser Sekunde an einen Film über Halbstarke gedacht.

Was ich Wenzel zeigen wollte, war nur ein bißchen Realität von heute, etwas, das uns mehr interessieren sollte als die olle Luise von Preußen mit der Etepetete-Leuwerik.
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»Die Halbstarken ...« murmelte er

Es war Wenzel Lüdecke, er ganz allein, der die »Nacht-Depesche« anstarrte und »Die Halbstarken ...« murmelte - und dann »Ein guter Titel« hinzusetzte.

Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum, blieb vor mir stehen, betrachtete mich mit wiederum ganz neuem Interesse und fragte: »Sie meinen, wir sollten einen Film über die Halbstarken machen?«

Natürlich sagte ich nicht nein zu dieser Idee, von der er bis an sein Lebensende glaubte, ich hätte sie gehabt. Fünf Minuten später hatte ich einen Scheck über 5.000 Mark in der Tasche, ging ins Büro von Gerd Weber hinüber, seinem Produktionsleiter, und fing an zu schreiben.

Das war's, was ich an der Film- und Zeitungsbranche so liebte: Ein einziger Gedanke, eben mal so geäußert, konnte das Leben verändern. Aber die zweiten 5.000 Mark, die ich am Ende für das Drehbuch der »Halbstarken« bekam, ergaben noch keinen Film, wie ich zu meinem endlosen Ärger feststellen mußte.
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Ein Mann muß zu seinem Entschluß stehen

Wenzel Lüdecke hatte noch am Verlust seines ersten Filmabenteuers zu tragen und erwies sich in den folgenden Monaten als Zögerer und Zauderer - mutig geworden, beschimpfte ich ihn als »feige« und »entschlußlos«, was er immer seltener mit Lachen quittierte.

Es begann damit, daß mein ausführliches Treatment seine helle Begeisterung weckte. »Sie können ja schreiben!« rief er zu meinem Erstaunea »Und ich habe Sie für so einen Organisationsjournalisten gehalten! So einen Rechercheur und so!«

Der große Allianz-Verleih in Frankfurt war sofort zu einem Verleihvertrag bereit. Aber dann kam ein Verleihdramaturg angereist, dessen Namen ich vergessen habe, und der zog einen Zettel mit Anderungswünschen aus der Tasche und wollte alles, was originell war, aus meinem Treatment entfernt haben.

»Lassen Sie mich mit ihm reden«, beruhigte mich Wenzel, und ich ließ ihn leider, in der Hoffnung, daß wir später doch alles in unserem Sinne machen würden.

Ein Beispiel nur: Ich hatte den Film, an "Wenzels Neigungen" denkend, mit einer Horde nackter Knaben begonnen, die im Schutz der Dunkelheit um ein Restaurantschiff auf der Havel schwimmt, die Gäste belästigt, schließlich an Bord klettert, den gewohnten Rabatz veranstaltet und vor dem Tatütata sich nähernder Polizei an Land und dort auf einen hohen Baum flüchtet, sich von hoch oben über die ohnmächtigen Polizisten lustig macht und endlich von herbeigerufener Feuerwehr heruntergespritzt wird. Was ich einen starken Anfang nannte.
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Zu meiner Überraschung ist es trotzdem noch ein Erfolg geworden

Der Verleihdramaturg jedoch hielt das für »bedenklich« und verlangte, daß die ganze Sequenz in ein Hallenbad verlegt werden müßte, wo die Burschen brave Badehosen tragen und nur mit dem Bademeister noch Rabatz machen konnten.

Und so ist es, wie unzählige andere Szenen des Films, dann auch gedreht worden und, zu meiner Überraschung, trotzdem noch ein Erfolg geworden.
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Anschauungsunterricht, wie die Filmbranche funktioniert

Bis es freilich zum Drehbeginn kam, vergingen viele Monate des Jahres 1955 und auch noch 1956, fast ein ganzes Jahr, und ich erhielt einen solchen Anschauungsunterricht von der Art und Weise, wie die Filmbranche funktioniert, daß ich gar nicht anders konnte, als am Ende eine Artikelserie über »Die verrottete Industrie« in der »Zeit« zu schreiben.
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1955/56 - Aber so weit sind wir noch lange nicht.

Obwohl der deutsche Film Mitte der fünfziger Jahre boomte wie seit den besten Kriegszeiten nicht mehr und an die Zuschauermilliarde herankam (heute sind es nur noch zehn Prozent davon!), machte ausgerechnet unser Allianz-Verleih in Frankfurt plötzlich Pleite.

Doch innerhalb von Stunden sprang der Münchner Union-Verleih ein, und der nächste Dramaturg kam angereist und zog sein Zettelchen aus der Tasche. Offenbar waren auf einmal alle von dem Thema Halbstarke wie elektrisiert.

Was Wenzel Sorge machte, das war ich, der ihm täglich auf den Pelz rückte und eine »nervtötende, schwindelerregende« (seine Worte) Aktivität entfaltete: »Wer ist der Kameramann?« wollte ich wissen und schleppte ihm mehrere Geheimtips von mir an.

»Wer wird Regie führen?« quälte ich den Produzenten und nannte ihm sogleich Namen, die er noch nie gehört hatte. »Wer wird die Hauptdarstellerin sein?« Es meldeten sich jede Woche Leute bei ihm, die behaupteten, Herr Tremper habe sie »engagiert«, was nur ein bißchen übertrieben war.

Es kam zu einigen handfesten Auseinandersetzungen zwischen uns, die bis in die Nähe eines Hausverbots führten. Aber ich ließ meinen Wenzel nicht mehr aus den Klauen und spickte alle mir erreichbaren Zeitungen - nicht wenige! - ständig mit Meldungen über die unmittelbar bevorstehenden Dreharbeiten des Films »Die Halbstarken«, was eine Art Klaustrophobie bei meinem Produzenten erzeugte: Er fühlte sich »wie gefangen« in meinen Aktivitäten und drohte mir, das ganze Projekt »hinzuschmeißen«, wenn ich nicht Ruhe geben würde.
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Wenzels Lieblingskind war Horst Buchholz

Aber da war Horst Buchholz, dieser junge, dynamische Schauspieler, in Neukölln geboren, am Prenzlauer Berg aufgewachsen, der in den letzten Jahren im British Center und an Barlogs staatlichen Bühnen Aufsehen erregt hatte - Wenzels Lieblingskind.

Er war, von Toni Mackeben sorgsam betreut, in der Verfilmung von Peter de Mendelssohns »Schmerzliches Arkadien« durch Julien Duvivier in einer reichlich wirren Schülerliebe-Inszenierung neben der schönen Marianne Hold zum erstenmal auf der Leinwand erschienen und spielte, unter Käutner, eindrucksvoll einen stummen russischen Soldaten neben dem alten Erich Ponto in »Himmel ohne Sterne«, alles sehr ehrenvoll, aber noch kein Durchbruch - die Halbstarken-Rolle mußte es sein! Und: Sie durfte nicht schiefgehen.
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"Die Halbstarken" werden von einem Team gemacht

Als ich Wenzel endlich soweit hatte, daß er mit mir nach München fuhr, um sich einen nicht mehr ganz jungen Wiener Regisseur anzugucken, der von dem Kameramann Helmut Ashley empfohlen worden war, Georg Tressler hieß und gerade eine Goldmedaille in Venedig für einen Kulturfilm »Ertragreicher Kartoffelanbau« bekommen hatte, war es auch soweit, daß er Gefallen an meiner Idee fand:

»Die Halbstarken werden von einem Team gemacht, das - im Gegensatz zu den Berühmtheiten von >Herr über Leben und Tod< - durch extreme Unbekanntheit glänzt: Will Tremper, der noch nie ein Drehbuch schrieb, Heinz Pehlke, der noch nie eine Kamera selbständig führen durfte, Martin Böttcher, der seine erste Filmmusik komponiert - und Georg Tressler, der noch nie einen Spielfilm inszeniert hat, aber einen aufregenden Kartoffelanbau! Was wird der erst aus den >Halbstarken< machen!?«
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Jetzt brüllten wir uns schon wieder an

»Ich werde darüber schlafen«, sagte Wenzel - um am nächsten Morgen einen Wutanfall zu bekommen, als er beim Frühstück in der »Abendzeitung« all das schon als beschlossene Tatsache lesen mußte, was ich ihm abends gerade als brandneue Idee verkauft hatte. Aber nun gab es kein Zurück mehr, denn noch mehr, als eine Falschmeldung zu bestätigen, haßte der seriöse Wenzel ein Dementi.

»Meine Verleiher, auf die ich im Synchrongeschäft angewiesen bin, werden sagen, ich habe meinen Laden nicht mehr in der Hand!« schrie er mich an.

Ehrlich gesagt, es war mir scheißegal, was seine Synchrongeschäftspartner von ihm hielten, es war mir sogar scheißegal, ob Georg Tressler der richtige Regisseur für »Die Halbstarken« sein würde - Hauptsache, der Film wurde nun endlich gemacht!
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Georg Tressler , genannt Jürgl

Irgendwie bildete ich mir ein, mit »Jürgl«, wie die Wiener Freunde Tresslers ihn nannten, schon zurechtzukommen, ihn in meinem Sinne beeinflussen zu können.

Jürgl war und ist eine Seele von Mensch mit einem absoluten Auge - wie andere ein absolutes Gehör haben - für den Film und seinen Rhythmus; ich habe viel von ihm gelernt. Doch so weit war es noch nicht.

Jetzt mußte erst mal die richtige Hauptdarstellerin, die jugendliche Partnerin von Horst Buchholz, gefunden werden - eine neue Gelegenheit für mich, publizistischen Lärm um den noch nicht gedrehten Film zu machen.

Ich hatte zu Tresslers erstem Besuch in Berlin Freund Rudolf Zscheile eingeladen, den Korrespondenten der »Quick«, und was der aus der ersten Nacht des Regisseurs in allen möglichen Halbstarken-Treffpunkten machte, beschwor die größte Krise zwischen Wenzel und mir hervor.

Die »Quick« erschien mit dem Tenor, daß hier beabsichtigt sei, die Schande der deutschen Jugend zu »verherrlichen«, ja, unwissende »Kinder« für kommerzielle Zwecke auszubeuten.
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Der Höhepunkt unserer Kriese begann

Nur ungern erinnere ich mich noch an die eiskalte Entschlossenheit, mit der Wenzel Lüdecke am Erstverkaufstag der Illustrierten abends seine Sekretärin hereinrief und ihr eine Notiz an die drei Fachblätter der Filmindustrie diktierte, die es damals noch gab: »Auf Grund der letzten Vorkommnisse habe ich mich entschlossen, den Film >Die Halbstarken< nicht zu machen« - und grußlos nach Hause fuhr.

Das hätte er nicht tun sollen, denn mit dem Mut der Verzweiflung hielt ich bei Fräulein Schwieger aus, bis sie die drei Briefe getippt hatte, und nahm ihr dann die postalische Beförderung ab, wofür sie sich noch bedankte.

Als sie das Licht gelöscht hatte und, wieder einmal, als letzte gegangen war, kehrte ich zurück, spannte den Briefkopf »Inter West Film GmbH« ein und tippte »im Auftrag des Produzenten, Herrn Wenzel Lüdecke«, daß er, allen Gerüchten zum Trotz, den Film »Die Halbstarken« selbstverständlich für den Union-Filmverleih produzieren werde, gez. Unleserlich.

Am nächtlichen Briefkasten habe ich dann noch einmal tief Atem geholt und nachgedacht, bevor ich die drei Briefe einwarf. Was konnte mir schon passieren?
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Mein böser Trick hatte funktioniert

Bereits am nächsten Tag tat Wenzel sein voreiliger Entschluß leid, aber tapfer zeigte er mir sein Pokergesicht und sagte so Sachen wie: »Ein Mann muß zu einem einmal gefaßten Entschluß stehen!«

Ich quälte ihn, bis die Fachblätter erschienen, noch ein bißchen mit dem Gerücht, daß Arthur Brauner nunmehr die Absicht habe, einen Halbstarken-Film zu machen.

An dem Tag, an dem das erste Fachblatt, die »Filmblätter«, auf seinem Schreibtisch lag, saß ich Wenzel auf dem Sofa gegenüber und hatte nasse Augen. Ich wußte, daß er sich freuen würde.

Eine lange Schweigeminute entstand, dann schüttelte er den Kopf, räusperte sich und sagte: »Wie haben Sie denn das gemacht? Langsam fange ich an, mich zu fürchten...!«

Danach haben wir uns einmal kurz und kräftig, wie unter Männern üblich, umarmt, und von da an durfte ich tun und lassen in der Firma, was ich wollte.
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Hurra, Pressechef der Inter-West-Film und zwei Telefone

Ich hatte mich selbst zum Pressechef der Inter-West-Film ernannt, bezog ein Büro im Hof, beanspruchte zwei Telefone und zog die ganz große Show ab. Rief Oswalt Kolle an, oder wer auch immer gerade zuständig war bei der »BZ« - Karl Heinz Hagen zu belästigen, traute ich mich immer noch nicht -, und erzählte ihm, daß wir eine »deutsche Marina Vlady« als Partnerin für Horst Buchholz in dem geplanten Film »Die Halbstarken« suchten, bestellte vorsichtshalber sogar schon einen Fotografen, den gerade vorbeikommenden Kollegen Heinrich von der Becke.

Ich muß einen Tag bei der »BZ« erwischt haben, an dem sonst nicht viel los war, oder Karl Heinz Hagen hatte sentimentale Erinnerungen an mich, denn am nächsten Morgen erschien das auflagenstärkste Blatt Berlins mit der Hauptschlagzeile auf Seite eins :
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»B.Z. sucht eine Marina Vlady!«

Es war der absolute Hammer. Um elf Uhr standen siebenhundert kleine Mädchen vor dem Haus der Mosaik-Film, ganze Schulklassen aus Reinickendorf, alle Träumer- und Herumtreiberinnen - ja, das waren noch Filmzeiten!

Als ich fünfzehn Jahre später das gleiche bei Wendlandt noch einmal versuchte, erschienen nur noch sieben oder acht Mädchen!
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Panik bei der Berliner Synchron

Bei der Berliner Synchron brach eine kleine Panik aus, die ich jedoch schnell in Griff bekam:

Ich verteilte die Mädchen, die eine Chance haben konnten, auf mehrere leere Synchronstudios, pferchte jeweils 40 in einen dieser licht- und fensterlosen Räume, ordnete die anderen in Dreierreihen über die Gänge und schickte den Rest nach Hause.

Zum Glück erschien mit Wenzel der Regisseur, wurde in das Zimmer einer Aufnahmeleitung gesetzt, vor der Tür nahm von der Becke Aufstellung und mußte jede Bewerberin fotografieren, die zu Tressler hineindurfte, sowie Namen und Adresse notieren.
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Man konte es schon keinen Zufall mehr nennen

Und dann geschah das, was ich schon nicht mehr Zufall nennen möchte: Die Erste, die ich aus einem der Synchronstudios herausholte, wo sie alle schon dem Ersticken nahe waren, hieß Karin Blauermel, kam aus dem Wedding und war 15 Jahre alt.

Ein trotzig aussehendes kleines Geschöpf, das gegen seinen Willen von seiner Schulklasse mitgeschleppt worden war, dem der blonde Pony in die Augen wuchs, das den Mund nicht aufbrachte.

Sie wurde fotografiert, von Tressler interviewt (»Mach schneller, Jürgl!«) und wieder weggeschickt. »Die nächste bitte!« Es war eine Quälerei, es wurden Ohnmächtige aus den Studios auf den Gang hinausgetragen, es dauerte bis abends.

Zum Glück hielt Tressler sich an ein gewisses Tempo, aber am Nachmittag trafen neue Schulklassen ein, und bald verloren wir alle die Übersicht. Nur bei einer hielt der Regisseur sich länger als drei Minuten auf, mit der hat er sich später verabredet und hat sie geheiratet - erst jetzt, während ich dies in den 19neunziger Jahren niederschreibe, läßt er sich scheiden.
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Monika Peitsch aus Dahlem kam mit dem Porsche (1956 !)

Am Abend saßen wir völlig erschöpft in Wenzels Zimmer, und ich zeigte mich zerknirscht und voller Reue. »Auf diese Weise«, meinte Wenzel, »kriegst du nie die Hauptdarstellerin! Das war doch Kroppzeug alles! Kinderkram! Und wir haben einen ganzen Arbeitstag verloren! Ein Wunder, daß die Synchronarbeiten weitergehen konnten!«

Er hatte ja so recht. Nur Jürgl Tressler wiegte den kahlen Kopf: »I woas net, da war schon das eine oder andere dabei...«

Wir lachten noch, da dröhnte vor dem Haus der Motor eines Porsche, und ein junges Pärchen kam hereingestürmt, ein junger Mann mit einer unwahrscheinlich gutaussehenden Abiturientin, eine gewisse Monika Peitsch aus Dahlem: »Ist die Suche schon vorbei?«

Das war sie -! Das war unsere »deutsche Marina Vlady«, zwar dunkelhaarig, nicht blond, aber die Backenknochen, die Augen!

Wir waren auf einmal wieder hellwach, gratulierten uns gegenseitig, wir hatten die Partnerin für Horst Buchholz gefunden!
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Der Regisseur war einfach nicht zufrieden, er hatte ene andere im Sinn

Am nächsten Tag brachte von der Beck tausend Fotos, die niemanden mehr interessierten, nur Georg Tressler zog sich mit dem Haufen Mädchengesichter in ein leeres Zimmer zurück und studierte, studierte, studierte sie.

»Laß doch den Quatsch, Jürgl, wir haben sie doch gefunden! Es ist Monika Peitsch!« Aber dieser Jürgl ist ein eigensinniger Mensch. Nach Stunden tauchte er ratlos wieder auf: »Ich find' die net, die ich suche!«

Und es stellte sich heraus, daß er die allererste suchte, die ich zu ihm hineingeschickt hatte, die aus der Triftstraße im Wedding, zweiter Hinterhof, Karin Blauermel hieß sie.
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Wo is'n der Kudamm - ?

Ich fuhr zu ihr hinaus, fand das maulfaule Ding, eine verhärmte Mutter, ein unbeschreibliches Zillemilieu. »Der Regisseur will dich noch einmal sprechen, Karin! Komm bitte morgen nachmittag um drei ins Cafe Wien am Kudamm, ja? Aber sei pünktlich!«

Nie werde ich vergessen, daß sie zu allem nur nickte und mich dann, vor der Tür, auf einmal etwas fragte. Sie fragte: »Wo is' denn der Kudamm ?«
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Berlin ist doch Berlin - oder doch nicht ?

Jeder Berliner, der das liest, wird sich an den Kopf fassen und mich der Verleumdung zeihen. Doch ich hatte zwölf Jahre zuvor schon herausgefunden, daß Berlin nicht eine Stadt, sondern viele Städte ist, daß der Durchschnittsberliner in seinem »Kiez« geboren wird, aufwächst und dort auch eines Tages stirbt, ohne die Grenze zur Nachbargemeinde je überschritten zu haben.

Ich kenne heute noch Berliner - und heute haben alle ein Auto -, die nie in Neukölln waren. Ich traf 1944 bereits Leute, die nichts von den hundert Sehenswürdigkeiten kannten, die ich gleich in meinen ersten Berliner Tagen besichtigt hatte, weder das Brandenburger Tor noch das Olympiastadion, weder den Wannsee noch den Müggelsee.

Nie werde ich den Mann und die Frau vergessen, die am 9. November 1989 im Schlafanzug, mit 'nem Trenchcoat drüber, am Brandenburger Tor unter den Hunderttausenden erschienen, die dort den Fall der Mauer bejubelten, und mir gestanden, daß sie die Mauer nur aus dem Fernsehen kannten. »Seit 1961 wollten wir immer schon mal ...

Und jetzt haben wir uns gedacht, wenn wir nicht sofort hinfahren, wird sie noch abgerissen, und wir haben sie nie gesehen!« Ein Extremfall? Ich weiß nicht. Ich könnte mir vorstellen, daß es in dieser Riesenstadt Berlin auch heute noch Leute gibt, die sowohl den Bau wie den Abriß der Mauer verpaßt haben. Es gibt ja Fernsehen.
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Das war also Karinchen Blauermel

Ich regte mich also über Karinchen Blauermel, die ja auch erst 15 Jahre alt war, nicht sonderlich auf, sondern versprach ihr, sie am nächsten Tag persönlich zum Kurfürstendamm zu bringen, und so geschah es.

Wenzel hatte eine hohe Meinung von Tresslers Spürnase und fand, wenn wir schon Probeaufnahmen von Monika Peitsch machten, könnten wir auch von dieser »Weddinger Kellerassel« noch welche machen.

Und so geschah auch das, ich schrieb eine Extra-Szene für beide Mädchen, das Arbeiterkind und die Dahlemer Fabrikantentochter, und Buchholz stellte sich in den Studios der CCC-Film brav in eine improvisierte Dekoration und spielte geduldig den Liebhaber.

Danach stand unsere Meinung noch fester: Die Peitsch aus Dahlem ist es! Doch mir tat die Kleine aus dem Wedding leid, die zu mir kam und nörgelte, eine Maskenbildnerin hätte sie vollkommen »verunstaltet« - sie war gewohnt, sich den blonden Pony mit einer Gartenschere geradezuschneiden, und von Schminke hielt sie schon mal überhaupt nichts!
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Und nebenbei war ich ja auch noch Pressechef

Wie zu dem ersten Massenansturm hatte ich auch zu den Probeaufnahmen jeden greifbaren Reporter eingeladen, und ihre Berichte am nächsten Tag brachten mich auf eine neue Idee:

Ich stellte fest, welches das größte Kino von Berlin war - das Palladium in Kreuzberg war es, das fast zweitausend Plätze hatte -, telefonierte mit der Berliner Plakatwerbung und ließ mir einen Kostenvoranschlag für sämtliche Litfaßsäulen machen, verlangte die schreiend rote Farbe, die der Mordkommission für Fahndungsplakate vorbehalten war, beschaffte dafür eine Sondergenehmigung von Polizeipräsident Dr. Johannes Stumm, besuchte »Texas-Willy« Kressmann, den Bezirksbürgermeister von Kreuzberg, lieh mir seine Wahlurnen aus, engagierte die »Spree City Stompers« aus der Eierschale, einem Vorläufer sämtlicher Diskotheken von heute, und entwarf ein Plakat mit schwarzer Schrift auf knallig rotem Grund:

»Achtung, Halbstarke! - Am Sonntag vormittag 11 Uhr große Wahl der Partnerin von Horst Buchholz im Palladium Bergmannstraße, in Kreuzberg! Die Probeaufnahmen werden vorgeführt! Horst Buchholz ist anwesend! Es spricht »Texas-Willy«, es spielen die »Spree City Stompers«! - Eintritt 20 Pfg - der Vorverkauf hat begonnen!« Und ganz klein untendrunter: Inter West Film GmbH, ich kannte ja meinen scheuen Wenzel.
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Wenzel wurde schon wieder (fast) vom Schlag getroffen

Den traf der Schlag, als er morgens in seinem schnittigen Jaguar von seiner Wohnung im Grunewald nach Lankwitz fuhr: An jeder Litfaßsäule sprang ihm »Achtung Halbstarke!« in die Augen.

Er kam ins Büro und benutzte das Wort »Zirkus« gleich mehrmals, verbunden mit der Versicherung, daß weder Buchholz noch er daran dächten, sich zum »Affen« machen zu lassen: »Da geh du mal allein hin!«
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Ich hatte ins Volle getroffen, aber wirklich volle Pulle.

Doch schon am Nachmittag des folgenden Tages meldete das Palladium »Ausverkauft«, und auf einmal sah die Sache ganz anders aus. Die gesamte Berliner Schickeria - damals nannten wir das noch »die Hottefolee« - rief an und wollte Karten, und wenn ich eines bedauerte, dann war es die Schutzgebühr von 20 Pfennigen, wir hätten 20 Mark nehmen können.

An dem bewußten Sonntagvormittag jedenfalls waren alle dabei: Wenzel, Jürgl, Buchholz, Gert Weber, Toni Mackeben. Als wir eine Stunde vorher in mehreren Wagen in die Bergmannstraße einbiegen wollten, wies uns die Polizei schon ab.

Es standen Menschenmassen vor Berlins größtem Kino. Wir kämpften uns zu Fuß durch, fanden Platz in der ersten Reihe, der Vorführer hatte die beiden Rollen der Probeaufnahmen aneinandergeklebt, die »Spree City Stompers«, an solchen Trubel gewöhnt, packten auf der Bühne seelenruhig ihre Instrumente aus, Bürgermeister Kressmann wurde von einem zustimmenden Pfeifkonzert begrüßt ........
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....... und dann brachen die Saaltüren:

Mindestens noch einmal tausend Jugendliche stürmten von der Straße herein und quetschten sich zu den schon anwesenden zweitausend. Die Musik begann zu spielen, ich sprach zum erstenmal in meinem Leben vor einem Saal voller Menschen, wollte auch Wenzel auf die Bühne ziehen, doch der wehrte sich mit Händen und Füßen, so sprang »Texas-Willy« ein - den Spitznamen hatte er wegen seiner unkonventionell rauhen Methoden, mit Grenzschwierigkeiten zum Ostsektor fertigzuwerden -, und dann ließ auch Horst Buchholz sich nicht länger bitten und begrüßte seine jugendliche Anhängerschaft, zwischendurch legten die »Spree City Stompers« unter frenetischem Geheul der »Halbstarken« eine Rock-'n'-Roll-Nummer ein, und dann, endlich, konnte ich das Zeichen geben, es wurde dunkel im Saal, und die Probeaufnahmen erschienen auf der riesigen Leinwand - mein Gott!
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Die Probeaufnahmen mußten zehnmal gespielt werden

Zum erstenmal sprachen Schauspieler von mir verfaßte Texte im Kino! Auf einmal hatte ich das ganz starke Gefühl, daß aus den »Halbstarken« wirklich ein Film werden würde.

Ich hatte von Arbeitern des Bezirksamtes neben jede Ein- und Ausgangstür zwei Wahlurnen stellen lassen und auf die eine »Blond«, auf die andere »Schwarz« gemalt. Ich glaube, wir haben die je fünfminütigen Probeaufnahmen zehnmal durchlaufen lassen.

Nach jeder Szene gab es donnernden Applaus und Geschrei nach mehr. Um Punkt Zwölf war die Show zu Ende, und alles drängte nach draußen. Ich hatte darum gebeten, die Eintrittskarten beim Verlassen des Kinos, je nach Gefallen, entweder in die »blonden« oder in die »schwarzen« Wahlurne zu werfen.
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Das Ergebnis war umwefend einfach

Als das Palladium leer war, lagen in den Wahlurnen für Monika Peitsch ein paar hundert Eintrittskarten, während die Wahlurnen für Karin Blauermel unter einem Schuttberg begraben wurden:

Da beinahe die Hälfte der Anwesenden keine Eintrittskarten hatten, warfen sie alles mögliche hinein oder einfach drauf: Feuerzeuge, Abzeichen, leere Zigarettenpackungen, Notizbücher, Pariser, sogar von seinem Taschenmesser hatte sich ein begeisterter Fan getrennt, eine löchrige Socke fanden wir, einen BH und vier(!) Schlüpfer; ich habe das nicht vergessen können, weil ich in unzähligen Artikeln darüber schrieb.

Ein peinliches Ergebnis für uns alle, die wir so felsenfest an die aparte Monika Peitsch geglaubt hatten, die »Weddinger Kellerassel« war eindeutig der Favorit der Jugend.
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Aus Karin Blauermel wurde Karin Baal

Wie Karin Blauermel zu dem Namen Karin Baal kam, habe ich im Kapitel über die »Bristol-Ära« bereits berichtet. Nun schickte ich erneut einen Fotografen mit ihr los, und schon gab's den nächsten Aufstand bei der Inter West: Klaus-Peter Schulze, der spätere Ehemann von »Maja of Munich«, kam grinsend mit einem ganzen Leica-Film voll Nacktaufnahmen zurück, die ich dummerweise sofort Wenzel zeigte.

Der fiel in Ohnmacht und schrie gleich: »Vernichten! Vor meinen Augen den Film verbrennen!« Denn es war nicht so, daß wir einhellige Begeisterung mit meinen Halbstarken-Aktivitäten bei der Berliner Presse erweckten, gerade die seriöseren Zeitungen rümpften immer mehr die Nase und meinten, das »Halbstarken-Problem« werde von uns »verherrlicht«.

Von Wenzel zur Rede gestellt, verteidigte »Klaupe« Schulze sich mit den Worten: »Was wollte ihr? Ich hatte mich gerade mal umgedreht, da steht die schon splitternackt vor mir!«

Ich knöpfte mir Karinchen vor: »Wie war das mit den Nacktaufnahmen?« Sie guckte mich groß unter ihren langen Ponyfransen an, zuckte die Schultern und nölte: »Wat'n? Ich dachte, beim Film is' det so. Stimmt wat nich'?«

Und ausgerechnet meine Freundin Ilse Urbach schrieb im »Kurier« spitz: »Nun müßte nur noch der Film auch mal gedreht werden...«
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Christian Doermer, der Filmbruder von Horst Buchholz

Der Tag kam tatsächlich, an dem wir uns alle im Stadtbad Wedding versammelten und Heinz Pehlke zu meinem Entsetzen die großen 20-Kilowatt-Scheinwerfer aufflammen ließ. Wochenlang hatte ich ihm im Nacken gesessen, von wegen »natürliches Licht«, doch als es ernst wurde, verließ er sich auf die alte UFA-Schule und leuchtete alles grell aus. Mit dem störrischen Christian Doermer aus München, der den nichthalbstarken Bruder von Horst Buchholz spielte, gab es sofort Ärger, der sich durch die gesamten Dreharbeiten zog, aber ich hatte, aus mir unbegreiflichen Gründen, einen Narren an ihm gefressen und nahm ihn, wo ich nur konnte, in Schutz.

Was nicht hinderte, daß die ganze Belegschaft ihn am Ende so haßte, daß sie ihm eines Nachts die Räder von seinem alten Mercedes abmontierte und wegwarf. Christian hatte zweifellos einen »Hau«, wie wir im Rheinland sagten, war psychisch irgendwie gestört.

Vier Jahre später, als ich meinen ersten eigenen Film drehte, habe ich ihn mir als Hauptdarsteller geholt und bereut, denn ich mußte ihn durch siebenhundert Einstellungen prügeln, vergewaltigen geradezu, damit er vor der Kamera machte, was ich von ihm wollte.

Dafür hat er dann den Bundesfilmpreis erhalten.
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Noch etwas mehr über die Individualisten beim Film

Wie erfreulich dagegen war ein Typ wie Heinz Holl, unser Lieblingsgastronom, zu dem wir heute noch pilgern, wenn wir die Nouvelle Cuisine über haben. Der kleine Dicke spielte den Bademeister, der zur Zielscheibe des Halbstarken-Rabatzes wird.

Und dann die »Bande«: unser unvergeßlicher Jo Herbst von den Stachelschweinen, der lakonische Lümmel Joachim Ketzlin, den ich mir für »Playgirl« wieder holte - und »Kalle« Gaffkus! Das unerhört gelenkige Schwergewicht aus der Badewanne, wo er den Rock 'n' Roll populär machte, Jahr um Jahr die deutsche, die europäische und schließlich die Weltmeisterschaft im Boogie-Woogie- und Jitterbugtanzen gewann.

»Kalle« kam dazu, weil Jürgl Tressler mich drängte, ihm einen »fetten« Jungen zu suchen, einen mit einer Drüsenstörung, und der Bursche hatte die Gabe von Werner Krauß, konnte sich nach Belieben dick oder dünn geben. Er wurde ein Glanzlicht des Films, verliebte sich leider hoffnungslos in Karin Baal und machte noch jahrelang Skandalschlagzeilen mit ihr. Heute ist er der beliebte Wirt des gutgehenden Restaurants im S-Bahnhof Schlachtensee. Grüß dich, Kalle!
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Endlich Drehbeginn für »Die Halbstarken«

mit Karin (Blauermel) Baal und Horst Buchholz.

Die große Überraschung aber war Klein-Karin, die Tressler auf das Behutsamste inszenierte - »Schau auf meine Hand! Wenn ich den Finger schnipse, reiß die Augen ganz weit auf!« Sie, die große Schweigsame, die gar nicht mitgehen wollte, als ihre Schulklasse nach Lankwitz zum Film reiste, erwies sich als ausgesprochenes Talent, lernte auch schwierigere Texte im Handumdrehen und fand sogar Gnade vor den anspruchsvollen Ohren des Tonmeisters.

Ihre helle, klare leicht berlinisch gefärbte Mädchenstimme brauchte nicht synchronisiert zu werden. Natürlich war die Presse gleich wie wild hinter ihr her, und obwohl ich aufpaßte wie ein Schießhund, gelang es mir nicht immer, die kleine Karin vor Reporterfragen zu schützen.

So ernteten wir am Ende der Dreharbeiten denn auch prompt noch einmal wüste Beschimpfungen a la »Ausbeutung«, als durch Karin bekannt wurde, wieviel Honorar sie für ihre erste Filmrolle erhalten hatte - 1.500 DM.
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Vier Wochen Arbeit für 1.500 Mark - ich wußte es nicht.

Das war selbst mir nicht bekannt gewesen, aber als ich mit Wenzel darüber sprach, verstand ich, was den Zeitungen nur schwer begreiflich zu machen war: Eine Fünfzehnjährige mit drei Mark Taschengeld in der Woche ist mit 1.500 Mark für vier Wochen Arbeit - und beim Film besteht »Arbeit« zu neunzig Prozent aus Warten - mehr als großzügig entlohnt, ganz abgesehen von dem Risiko, das der Produzent mit dem Laien-Engagement eingeht.

Ein weniger geduldiger und einfühlsamer Regisseur als Tressler hätte am zweiten Drehtag schon das Handtuch werfen können. Damals waren wir die "Neue Welle" und dann gab es bei uns Laien neben den Berufsschauspielern - vor der Kamera war das etwas durchaus Ungewöhnliches.

Die französische »Nouvelle Vague« kam erst nach uns, was hier mal festgehalten zu werden verdient. Und schließlich: Ob wir mit den »Halbstarken« im Kino Erfolg haben würden, mußte sich erst noch herausstellen.
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Das Uraufführungstheater - die »Lichtburg« in Essen

Die Premiere fand in der »Lichtburg« in Essen statt, damals das Uraufführungstheater Deutschlands, und natürlich reisten wir alle hin. Als wir die Menschenmassen vor dem Theater sahen, sagte Wenzel trocken: »Oh! Das haben wir Dir zu verdanken!«

Ich lernte damals, daß die intensivste Vorreklame nichts nutzt, wenn das Produkt die in es gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Tut es das aber - das habe ich Wenzel nur mit Mühe verständlich machen können -, dann muß nachgepowert werden, wie man heute sagen würde.

Mit den >Halbstarken< auf Tournee

»Wenzel, bitte! Laß mich mit den >Halbstarken< auf Tournee gehen!« Ich habe das instinktiv damals vorgeschlagen, doch Wenzel hielt es nicht für nötig, sah die Kinokassen der Erstaufführungshäuser und dachte wohl, er brauchte nur noch die Hand aufzuhalten, um finanziell aus dem Schneider zu kommen.

Es war, wenn ich nicht irre, der kleine, agile, ungemein tüchtige Dr. Mielke vom Union-Verleih, der über mehr Erfahrung verfügte als der Produzent und mir zur Seite trat. Die Tournee fand statt, leider ohne Horst Buchholz, und die Halbstarken stürmten zum zweiten und dritten Mal die Kinos, um »ihren« Film zu sehen.

Auf dieser Tournee ist Karin Baal dann ihrem »Kalle« Gaffkus nähergekommen, und es spielten sich in dem VW-Bus ziemlich starke Sachen ab - ich könnte nur aus zweiter Hand darüber berichten, denn auch ich war, wie Buchholz, nur noch ab und zu dabei.

Ich schrieb schon am nächsten Film, als Buchholz in München mit O.W. Fischer bereits den wahnsinnigen jungen Dänenkönig Christian in »Herrscher ohne Krone« drehte. Oder hat er zuerst mit Romy Schneider »Robinson soll nicht sterben« gemacht?
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Und Jahre später ein Einblick in die Finanzen von Filmen

Wenzel Lüdecke zeigte mir Jahre später einmal, in einer schwachen Stunde, was er mit dem vollkommen unbekannten jungen Team der »Halbstarken«, nach Abzug aller Kosten, der Steuer und der Produktionskosten von 420.000.- DM, verdient hatte: netto 1,8 Millionen.

Das entsprach einem Kinokassen-Umsatz von über zehn Millionen D-Mark, einem Verleih-Einkommen von etwa sechs Millionen, aus dem - »mit Hängen und Würgen«, sagte Wenzel - für den Produzenten dann die 1,8 Millionen geflossen waren.

Und auch die hatte er offenbar nur dem Umstand zu verdanken, daß es dem Union-Verleih schlecht ging, denn Max Ophüls' »Lola Montez«-Spektakel in Geiselgasteig mit Kosten von über fünf Millionen Mark - damals eine gewaltige Summe - hatte ihn ausgeblutet; Einnahmen und Ausgaben standen bereits unter notarieller Kuratel.

»Das habe ich dir gar nicht gesagt«, vertraute mir Wenzel an, »aber unmittelbar vor Drehbeginn mußte ich mit auf die Wechsel der Union gehen! Ich habe Blut und Wasser geschwitzt!«

So war das mit dem Filmgeschäft, selbst Mitte der 1950er Jahre.
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