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Den letzen GRAETZ Nachrichten aus 1961 entnehmen wir :
"Programm-Gram" - (der Gram über das Fernsehprogramm)

von Marcus Tuner

Aus den GRAETZ Nachrichten 1961

Man denke sich eine Branche, deren Angebot weithin in üblem Rufe steht. Nicht etwa, weil das Angebot schlecht wäre. Aber ................... :
Die Einen kränkt es, daß jenes Angebot die Belange der Kinderreichen mißachte, während die Kinderlosen überzeugt sind, mit eben diesem Angebot nichts anfangen zu können. Mieter rümpfen ebenso die Nase darüber wie Vermieter. Und noch fataler: Viele stößt es ab, daß die Erzeugnisse jener - gedachten - Branche allzu häufig in auffällig roter Lackierung auf den Markt kommen. Andere wiederum kritisieren die vermeintlich ebenso häufige Verwendung von schwarzer Bemalung.

So redet freilich jeder an der Sache selbst vorbei. Gleichwohl müssen die Folgen solcher „Meinungsbildung" für die in Rede stehende Branche ruinös sein. Derlei gäbe es nicht? Und ob.

Marcus Tuner fand heraus, daß just die Fernsehbranche in oben geschilderte Situation zu geraten droht. Sie nämlich hat ebenfalls ein Angebot zu verkaufen, über das sich jedermann zum Richter berufen fühlt: Das Fernsehprogramm. Zwar verkauft der Fernsehfachhandel nur Empfangsgeräte. Jedoch sind diese ohne Fernsehprogramm wenig gefragt, um nicht zu sagen unverkäuflich.

Aus dieser nicht eben neuen Erkenntnis folgt die Forderung nach einer möglichst kritischen Betrachtung des Programms. Und nach einer Analyse der Wirkung dieses Programms auf die Mitmenschen. - Marcus Tuner ging hin und tat desgleichen.

Was er entdeckte war eine mehr soziologische Besonderheit: „Man" hält das Programm für schlecht. Nicht etwa aus Überzeugung, sondern weil diese Meinung nachgerade zum guten Ton gehört. Wer fortan Wert darauf legt, in sogenannten besseren Kreisen zu verkehren, der hüte sich vor zustimmenden Äußerungen zum Fernsehprogramm. Wo nicht, riskiert er, ein Banause genannt und künftig gemieden zu werden.

Marcus Tuner selbst ertappte sich in einschlägigen Gesprächen bei einer selbstgefälligen Unaufrichtigkeit. Pflegt er doch sein suspektes Interesse für Fernsehprogramme mit beruflichen Pflichten zu entschuldigen. Dies bringt ihm das Mitleid seiner Gesprächspartner und erhält ihm zugleich ihre Achtung.

Aus, vorbei. - Marcus Tuner will mit gutem Beispiel vorangehen und hiermit vor aller Öffentlichkeit geloben, daß er von Stund an den Besserwissern nicht mehr nach dem Munde reden will. Freilich will er auch fortan als Greuel verdammen, was er dafür hält.

Nur will er nicht mehr mit dem Fernsehen hadern, wenn der Abend-Regisseur in eine Programm-Schublade griff, deren Inhalt Marcus Tuner kein persönliches Interesse abzugewinnen vermochte.

Alle gängigen Programmforderungen wie:

Das Fernsehen ist nur gut, wenn mehr Unterhaltungssendungen ..., wenn mehr Opern ..., wenn mehr Sport..., wenn immer mein Standpunkt... kurz, solche Forderungen wachsen doch nicht gerade auf dem Boden bescheidener Selbstlosigkeit.

Aber dann kommt das Prekäre. Die zitierten Forderungen präsentieren sich nämlich in einem Mäntelchen aus purem, kulturellem Verantwortungsbewußtsein. Derlei geht ein wie Honig und ehe man sich's versieht, wird selbst unsachliche Nörgelei am Fernsehprogramm zu einer achtenswerten Meinung. Mit letzterer scheinbar gut gewappnet steigt man alsdann ins Tagesgeschehen.

Die Folgen sind verblüffend: Ein Fachhändler aus dem Pfälzischen verlangte von Marcus Tuner einen flammenden Artikel. In diesem sei die Rundfunkindustrie aufzufordern, die Fernsehgerätefertigung für einen Monaf einzustellen - aus Protest (!) gegen das schlechte Fernsehprogramm. - Ein Einzelfall, aber...

Marcus Tuner nutzte seine Reisen und Wege der letzten Zeit zu einem ungewöhnlichen Test. Unerkannt begab er sich in Rundfunkgeschäfte, wie wenn er sich für den Erwerb eines Fernsehgerätes interessierte. Begeisterte Verkäufer nahmen sich seiner an und ließen sich - fast immer durch den Hinweis auf die Programmqualität „ausmanöverieren". „Das Programm? Tja wissen Sier darauf haben wir leider keinen Einfluß." Und wenn Marcus Tuner gar noch so unsachlich über die Fernsehschaffenden herzog: Das Ergebnis war höfliches, resigniertes Achselzucken.

Marcus Tuner mag sehr viel Pech gehabt haben. Aber er hat nirgends jemanden angetroffen, der den gängigen Ansichten über „verantwortungslose Fernsehmacher" mit Elan entgegengetreten wäre.

Dabei kommen wir doch gewiß nicht an der Tatsache vorbei, daß in den Sendeanstalten mit redlichem Eifer und sehr viel Ernst gearbeitet wird. Diese Arbeit verdient oft ehrliche Kritik; nur darf sie nicht Opfer einer Art Rufmord durch Interessentenkreise werden, die immer nur ihre eigenen Anschauungen vertreten sehen wollen.

Lassen wir uns nichts vormachen: Was da als kulturelles Anliegen vorgebracht wird, ist oft nur der Wunsch nach noch mehr Ballettmädchenbeinen, nach Schnulzenseligkeit oder gar nach politischer Elngleisigkeit.

Hat man dies überdacht und die kritische Spreu vom Weizen gesondert, so bleibt nur diese Feststellung: Unsere Fernsehprogramme sind - weiß der Kuk-kuck - die schlechtesten nicht. Meistens sind sie sogar ganz ausgezeichnet. Diese Ansicht sollten wir dann auch offen und überall vertreten. Einmal ist sie für diese Branche lebenswichtig und (glücklicherweise) vollauf berechtigt.

Nota bene: Auch beim oft und gern als Vorbild gerühmten amerikanischen Fernsehen wird - wie könnte das anders sein - nur mit Wasser gekocht. Zwar kann Marcus Tuner nicht behaupten, sich hierzu aus eigener Anschauung eine Meinung gebildet zu haben. Um so mehr jedoch freut er sich, daß im folgenden Beitrag von kompetenter Seite etwas zu diesem Thema gesagt wird.

und eine weitere Glosse aus dem USA Fernsehen 1961 :
"Amerikanischer Fernseh-Alltag"

Der Direktor des BBC-Fernsehens, Kenneth Adam, besuchte umlängst die Vereinigten Staaten. Er wollte sich wieder einmal über das dortige Fernsehen orientieren. Innerhalb von 3 Wochen sah er sich möglichst viele Programme in zahlreichen Städten, hauptsächlich aber in New York und Connecticut an. Dann schrieb er einen Bericht, den die Zeitschrift „The Listener" veröffentlichte.

Das Endergebnis seiner mit humorvollen Kommentierungen durchsetzten Schilderung sei vorausgenommen: „I had no more variety. What I had was more of the same," (Ich hatte nicht mehr Abwechslung. Was ich hatte, war lediglich mehr Gleichartiges).

Kenneth Adam legte seinen Beobachtungen einen normalen Wochentag zugrunde, und zwar den Montag. Bereits frühmorgens um 6 Uhr boten ihm zwei Stationen „Religion" an. Von 6.30 bis 7.00 Uhr wurde er in die Gefilde der Erwachsenenbildung geführt: Auf einem Kanal mit Gesellschaftskunde zur Zeit von Thackeray, auf dem anderen mit Mathematik. Um 7.00 Uhr konnte er wählen zwischen religiöser Erbauung, Wirtschaftsberichten und Gymnastik. Zu gleicher Zeit begann aber auch schon eine der „Marathon-Sendungen" des amerikanischen Fernsehens, die zweistündige Dave Garroway Show, ein Konglomerat von Interviews, Anekdoten, musikalischen Zwischenspielen und Diskussionen über aktuelle Ereignisse.

Während in dieser außerordentlich beliebten Show 120 Minuten lang „gelassen herumgebummelt wurde", meldeten sich mehr und mehr weitere Stationen, die meisten mit Sendungen für Kinder und Familie.

Punkt 9 Uhr setzt auf einem Kanal ein Programm ein, das in ununterbrochener Folge bis 2.30 Uhr am nächsten Morgen Filme sendet. Mit der Wiederholung ganzer Serien älterer Filme macht mancher Verleiher auf diese Weise ein gutes Geschäft.

Nachrichten über Wetter, Handel und Wirtschaft werden in breiter Fülle zu gleicher Zeit auf anderen Kanälen gesendet, dobei ist sogar der regionale Nachrichtendienst oft von Werbefirmen finanziert.

Um die Mitte des Vormittags bekümmert man sich mit einer Live-Sendung von 60 Minuten Dauer, genannt „Romper Room", um die kleinen Kinder.

Um die Mittagszeit wird der Fernsehzuschauer des einen Programms mit einer gewichtigen Erziehungssendung beliefert, auf dem anderen mit einem jener „Western", die nun allüberall im Verlaufe des weiteren Tages auf den Bildschirmen erscheinen.

Ein Western jagt dabei den anderen, und man muß aufpassen, nicht etwa den Beginn der „Soap-Opera" (der von einer Seifenfirma finanzierten Opernsendung) zu versäumen oder halbstündige literarische Sendungen oder ein populäres Magazin, das „House-Party" genannt wird. All diese Sendungen sind natürlich reich mit Werbeeinblendungen durchsetzt.

Zur Teezeit erfreut meist eine sehr angenehme Musiksendung „American Bandstand". Um die Kinder kümmert man sich in diesen Stunden kaum. Zwischen 6.00 und 7.00 Uhr abends liegt der Nachdruck auf Nachrichten, Sport und Wetterdienst.

Hier findet auch die aufregendste Viertelstunde des Tages statt, der „Huntley-Brinkley report" zweier Journalisten, die von New York und von Washington aus über alle Tagesdinge berichten.

Huntley und Brinkley haben damit einen neuen Stil des Fernsehens geschaffen. In den Abend hinein geht es mit weiteren Western, Abenteuergeschichten, Zeichenfilmen und Programminhalten, die immer gewalttätiger werden.

Zu einem anspruchsvollen Fernsehspiel kann man sich höchstens um 11.15 Uhr retten, oder man sieht da eine Garoway-Show ähnliche Sendung, diesmal in Farbe. Kenneth Adam schließt seinen Bericht mit den Worten eines alten New Yorker Kritikers: „Warum schimpfen wir so viel über das Fernsehen? Wir sollten nicht zu oft zuschauen". !!!!

Alles aus 1961 !!!!!
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