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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Die ersten Filme

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Von Sokrates bis Gustaf Gründgens

Die amerikanischen Korrespondenten waren nicht die einzigen, die mich langsam, aber stetig vom »Tagesspiegel« weglockten. Schon im Herbst 1946, als in den westlichen Sektoren der erste Nachkriegsfilm gedreht wurde, benutzte ich jede Gelegenheit, um mich vor meiner normalen Arbeit zu drücken, sprang in Alt-Tempelhof von der Straßenbahn und rannte ins UFA-Atelier in der Oberlandstraße.

Dort inszenierte Helmut Weiß, der als Autor des Filmerfolges »Sophienlund« und Regisseur der noch erfolgreicheren »Feuerzangenbowle« berühmt geworden war, für die erste, britisch lizenzierte Nachkriegsproduktion »Studio 45« das Lustspiel »Sag die Wahrheit«.

Das war der gleiche Film noch einmal, den er kurz vor Kriegsende mit Heinz Rühmann und Hertha Feiler für die TERRA schon zu drei Vierteln abgedreht hatte, als die Russen kamen. Ein harmloses Lustspielchen von einem Mann, der sich vorgenommen hat, nur noch die Wahrheit zu sagen, und prompt in einer Irrenanstalt landet.

Kaum hatte ich mich, mit dem Presseausweis wedelnd, in die Dekoration geschlichen, wo gerade die Kameraposition umgebaut wurde, da eilte ein eleganter blonder Mensch mit einem koketten Oberlippenbärtchen strahlend auf mich zu:

»Ich bin der Regisseur - was kann ich für Sie tun, junger Freund?« Er war »entzückt« über den Besuch vom »Tagesspiegel«, legte den Arm um mich, führte mich überall herum, stellte mich den Schauspielern vor und zwang mich mit sanfter Gewalt, in seinem Regiestühlchen Platz zu nehmen. Naiv, wie ich noch war, glaubte ich an die Bedeutung, die er mir zumaß.
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Rühmann und seine Frau hatte bereits Berlin verlassen

Da Rühmann und seine Frau Berlin inzwischen verlassen hatten, spielten jetzt Gustav Fröhlich und Ingeborg von Kusserow ihre Rollen.

Für Susanne von Almassy war Mady Rahl eingesprungen, für Eva Maria Meinecke die junge Sonja Ziemann und für den charmanten, noch im letzten Augenblick von einer Granate erwischten Hans Brausewetter der Tausendsassa Georg Thomalla.

Nur Aribert Wäscher, der Diabolische, blieb als Irrenarzt auch dem Aufguß erhalten. Ich zähle all diese Namen auf, weil sie mir damals schon aus vielen Filmen bekannt waren und das persönliche Zusammentreffen mit den Schauspielern den 18jährigen tief beeindruckte.

Wieder ein großer Schritt vorwärts zu meinem eigentlichen Ziel, der Filmregie! Es war mein erster Besuch in einem Filmatelier, und ich war von allem absolut fasziniert.
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Alle hatten meinen Artikel gelesen .....

Zwei Tage später erschien an prominenter Stelle auf der Rückseite des »Tagesspiegel« mein Artikel, zweispaltig, und ich ließ mich gleich wieder in der Oberlandstraße sehen. Nun wurde ich bereits wie ein lieber alter Bekannter begrüßt, der dazugehört.

Alle hatten meinen Artikel gelesen, und Regisseur Weiß strich mir übers Haar und lud mich zum Abendessen zu sich nach Hause ein. Vielleicht konnte ich ihm eine Filmidee schmackhaft machen, am Drehbuch mitschreiben, beim nächsten Film sein Regieassistent sein?

Abends brachte uns der Produktionswagen an den Kleinen Wannsee hinaus, in die Bismarckstraße, wo Helmut Weiß die oberste Etage eines Hauses gemietet hatte, dessen Erdgeschoß von Heinrich George, seiner Frau Bertha Drews und den noch kleinen Söhnen Jan und Götz bewohnt wurde.

Ich weiß nicht mehr, ob der berühmte Schauspieler und Intendant des zerstörten Schiller-Theaters noch in einem sowjetischen Internierungslager saß oder schon gestorben war.
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Helmut Weiß war schwul.

Das ließ er heraus, kaum daß er die Tür hinter uns geschlossen hatte. »Bimbo« nannte er mich zärtlich - Wieso? Ich war weder schwarz noch dick! -, legte den Arm um mich und lustwandelte mit mir in seiner sehr geschmackvoll eingerichteten Dachwohnung an Bücherrücken entlang, die beweisen sollten, daß alle wirklich großen Männer homosexuell gewesen waren, von Sokrates bis Gustaf Gründgens.

Ich war fassungslos, am Boden zerstört! Das schreckliche Erlebnis in der Wohnung des netten Herrn Bruno aus Neukölln noch in Erinnerung, verkrampfte ich sofort und wollte nichts wie weg. Doch der liebe Helmut, der auch mal Schauspieler gewesen war und eine eindrucksvolle Bühnenstimme wirken ließ, beruhigte mich wortreich:

Von Gewaltanwendung könne keine Rede sein, daß ich »stinknormal« sei, habe er sofort gesehen, das sei ja gerade das »Reizvolle« daran! »Für einen wie mich«, säuselte er, verdrehte die blauen Augen und spitzte genießerisch die Lippen, »gibt es einfach nichts Aufregenderes, als einen >stinknormalen< Mann herumzukriegen - aber wir lassen uns Zeit, mein lieber Bimbo!«
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Hier erfuhr ich etwas Wesentliches über die Homosexualität

Anstatt auf der Stelle die Flucht zu ergreifen und die S-Bahn nach Hause zu nehmen, ließ ich mich von seinem Redeschwall becircen -vielleicht auch von dem Schinken und Käse, dem vorzüglichen schwedischen Knäckebrot und dem Rotwein, die er aus der Küche zauberte -und hörte mir zu den dramatischen Klängen einer von Furtwängler dirigierten Beethoven-Symphonie stundenlang an, was der Filmregisseur über das wunderbare Erlebnis einer Männerliebe zum besten gab.

Ich schielte dauernd nach der neuen Armbanduhr, die mir Felix Bernard geschenkt hatte, denn mir war klar, daß Helmut Weiß mich nötigen wollte, die letzte S-Bahn zu verpassen und auf seiner zweiten Couch zu übernachten.

Andererseits muß ich gestehen, daß ich durch seine phantasievollen Vorträge zum erstenmal überhaupt etwas Wesentliches über die Homosexualität erfuhr - und ein paar Jahre später O. E. Hasse verblüffen konnte -, was immerhin dazu führte, daß ich Schwule fortan nicht mehr nur komisch fand, sondern wie ernstzunehmende Mitmenschen begriff.

Eigentlich wollte er mich "verführen" .... aber es klingelte

Wir saßen übers Eck auf zwei tiefen, chintzbezogenen Couches, Helmut hatte das Essen serviert und auch wieder abgeräumt, hatte noch mehr Kerzen angezündet und sich entschuldigt, um etwas »Bequemeres« anzuziehen, und war in einem tiefblauen seidenen Morgenrock wiedergekommen, unter dem er nackt sein mußte.

Denn er schwang sich neben mich auf die Couch, ergriff meine Hand und zog sie, verführerisch redend, wie ich das selbst oft genug bei Frauen getan hatte, so ganz nebenbei in seinen Schoß - ich zuckte zusammen und versuchte aufzuspringen. Doch das war bei der tiefen Couch gar nicht so einfach, mein Gastgeber brauchte sich nicht groß anzustrengen, um mich zurückzuhalten.

Ich zappelte, er rieb seinen nackten Stengel, Schwengel, Schwanz wie ein läufiger Köter an meiner guten grauen Flanellhose von Felix, ich stieß ihn immer wieder weg - und dann trat jener Angelika-Hauff/Joseph-Goebbels-Effekt ein, von dem ich sehr viel später erst erfuhr:

Es klingelte Sturm! Helmut Weiß stieß einen gequälten Schrei aus, hangelte sich hoch und eilte zur Wohnungstür, unterwegs seinen Morgenrock in Ordnung bringend. Ich hörte, was man wohl einen »erregten Wortwechsel« nennen konnte, und dann trat Weiß mit einem dunkelhaarigen, braungebrannten, bildhübschen Jungen ein, den er mir als seinen Freund Peter Hofkirchner vorstellte.

Ebenso wortreich, wie er mir gerade seine jäh entflammte Liebe plausibel zu machen versucht hatte, schilderte er mir nun sein inniges Verhältnis zu »Sepp«, der eigentlich Josef hieß, »Widerstandskämpfer« gewesen sei und aus Tirol stamme. Ich konnte mich endlich verabschieden.
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Helmut Weiß war hartnäckig und dumm

Gleich nach dem Abend in seiner Wannsee-Wohnung hatte Helmut Weiß mich in der Redaktion angerufen, sich entschuldigt und, wieder »ganz in Ehren«, zum Essen eingeladen.

»Mit Grapschen, ja?« regte ich mich auf und kehrte den Polizeireporter heraus: »Du mußt doch bekloppt sein, einen völlig Fremden in deine Wohnung mitzuschleppen! Ich hätte doch das Brotmesser nehmen können, das du auf dem Tisch liegengelassen hast, und dich abstechen!

Ich wäre von jedem Gericht freigesprochen worden! Ist dir nicht klar, daß du bei einem >Stinknormalen< auch Widerwillen erregen kannst!?« Was er mir antwortete, habe ich bis heute im Ohr, weil ich jedesmal, wenn ich vom gewaltsamen Tod eines Homosexuellen hörte, an ihn denken mußte. Helmut Weiß jauchzte: »Aber das ist ja gerade das Aufregende daran, Bimbo!«

Besuch bei Aribert Wäscher

Ich war jedenfalls vergrätzt und habe mich den Rest des Jahres 1946 von ihm ferngehalten, bin Weihnachten nicht mal zur Premiere von »Sag die Wahrheit« in die Filmbühne Wien gegangen.

Doch anders als alle Filmkritiker, die »Zeitbezügliches« sehen wollten, habe ich mich über den Riesenerfolg des lächerlichen Lustspielchens gefreut und spontan Aribert Wäscher in seiner kleinen Wohnung in der Künstlerkolonie am Südwestkorso besucht.

Aus einem gerade angekommenen Care-Paket seiner emigrierten Freundin Valeska Gert naschend, erzählte der Dicke, daß er im Frühjahr wieder bei Helmut Weiß spielen werde. Weiß verfertige gerade ein Drehbuch aus seiner musikalischen Verwechslungskomödie »Herzkönig«, die ein paar Jahre zuvor mit großem Erfolg in einem Berliner Theater herausgekommen war.

Arthur Brauner, ein junger polnischer Jude kommt ins Spiel

Produzent wäre ein filmbegeisterter junger polnischer Jude mit dem deutschen Namen Arthur Brauner. Die Doppelrolle eines Journalisten, der dem Regenten eines Zwergstaates verblüffend ähnlich sehe, werde von Hans Nielsen übernommen - »weil Gustel Fröhlich nicht singen kann!« -, und der liebe alte Wilhelm Bendow spiele mit und auch Sonja Ziemann wieder.

Das alles machte mich neugierig genug, um mich gleich am ersten Drehtag wieder in der Oberlandstraße einzustellen, wo der aufgeregte »Atze« Brauner in einer märchenhaften Revue-Dekoration herumrannte und in gebrochenem Deutsch brüllte: »Bittä scheen - was islos, bittä? - Warum wird nix gedreht, bittäscheen???«
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Brauners scheinbar unerschöpflichen Geldquellen

Anders als bei der vorangegangenen, britisch lizenzierten Produktion, der die Engländer ein ausreichendes Kontingent erbeuteten Rohfilms zur Verfügung gestellt hatten, war bei Brauners französisch lizenzierter CCC (Central Cinema Compagnie) keine Hilfe der Besatzungsmacht zu erwarten.

Der Produzent verließ sich auf seine scheinbar unerschöpflichen Geldquellen - er hätte auf der Flucht aus Polen eine millionenschwere deutsche Regimentskasse gefunden, lautete das originelle Gerücht -, und so entstand das Filmwerk mit allem, was dazu notwendig war, von Nägeln und Leim für die Dekoration bis zu Nadel und Zwirn für die Kostüme, vollkommen aus dem schwarzen Markt, auf dem Brauner sich auskannte.

Aber irgend etwas fehlte immer, und an dem Tag, an dem ich erschien, war es das Wichtigste: das Filmmaterial für die Kamera. Alle wußten es, nur Produzent Brauner nicht.

Mit dem wertlosen Geld, das er für den Schwarzkauf des Rohfilms zur Verfügung gestellt hatte, war wahrscheinlich etwas anderes beschafft worden - beim Aufnahmeleiter Günther Regenberg gab es herrliche Schokoladenriegel für 100 Mark das Stück, bei Kameraschwenker Günter Haase blütenweißen Zucker, in der Garderobe der Hauptdarstellerin Lisa Lesco, einer langbeinigen Blondine aus dem UFA-Nachwuchsstall, stapelten sich amerikanische Nylonstrümpfe.
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Wenn der Produzent Regie führen will

Helmut Weiß begrüßte mich mit einer herzlichen Umarmung, war aber sichtbar nervös: »Kannst du nicht mit Brauner ein Interview machen? Wir müssen ihn loswerden! Wir warten immer noch auf Film vom Bahnhof Zoo!«

Aber Kameramann Robert Baberske wickelte doch gerade eine 300er Spule Film in die große Tonkamera? »Das ist altes, belichtetes Material!« flüsterte der Regisseur und zog mich strahlend zum Produzenten, der eine ganze Herde leichtbekleideter Tänzerinnen für ihren Auftritt arrangierte:

»Los, bittä, jetzt! Alles fertig, scheene Damen? Kamera fertig? Kann Kamera vielleicht, bittä, ansagen, wann fertig?«

Helmut Weiß rang die Hände: »Würden Sie, bittä-scheen, aufhören Regie zu führen, Herr Brauner? Das Ballett weiß längst, was es zu tun hat - Sie halten uns nur mit der Arbeit auf! Darf ich Ihnen eben mal Herrn Will Tremper vom Tagesspiegel vorstellen? Er würde gern ein Interview mit Ihnen...«

Arthur Brauner verlor die Fassung, schrie Weiß an, ob er meschugge geworden sei, jetzt mit einem Reporter zu kommen? Wann es endlich losgehe, verdammt noch mal! Brauner wies mich aus der Szene, Kameramann Baberske ließ den Oberbeleuchter noch ein paar Scheinwerfer korrigieren.

Brauner schrie »Abläuten! Abläuten!«, die Rotlicht-Tute »Achtung, Aufnahme!« krächzte, der Regisseur sah seinen Kameramann, der sah ihn an, beide hoben unmerklich die Schultern, Regieassistent Walter Wischniewski rief »Playback ab\«, die Musik von Gerhard Winkler ertönte.

Helmut Weiß wischte sich den Schweiß von der Stirn und nuschelte »Kamera ab!«, Schwenker Haase rief »Kamera läuft!«, aus dem Verschlag des Ton-Ingenieurs ertönte eine Lautsprecherstimme: »Ton läuft!«, und die Tänzerinnen fingen an, ihre Beinchen zu heben - nur: In der Kamera war kein Film, jedenfalls keiner, der noch hätte belichtet werden können.
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Zumindest Brauner schien zufrieden, er hatte nichts gemerkt

Aber Brauner war's zufrieden, sah noch einen Augenblick verzückt zu, wie endlich gedreht wurde, und rannte hinaus in sein Büro. Ich folgte ihm.

»Wenn ich nicht alles allein mache...!« ließ er mich wissen. Um dann einen neuen Tobsuchtsanfall zu bekommen, als er einen Zettel abzeichnen sollte: »Was? Wie? Dreitausend Mark nur für Benzin für die Schauspieler? Ja, seid ihr wahnsinnig? Bin ich Rothschild?«

Es war nicht etwa von Benzin die Rede, das Schauspieler von ihm geschenkt haben wollten, sondern von dem Treibstoff für den alten Mercedes, der die Schauspieler abends rechtzeitig zur Vorstellung ins Theater bringen mußte - die Ziemann, der Nielsen, der Bendow, der Gülstorff, sie spielten alle bereits wieder in der Komödie, im Renaissance- oder Hebbel-Theater.

»Wir brauchen nur 'ne Stunde früher aufzuhören«, bemerkte der unerschütterliche Aufnahmeleiter Regenberg, »denn könnense mit der Straßenbahn...« Brauner bekam Zustände.
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Brauner bekam einen Schreikrampf nach dem anderen

Er hatte schlauer sein wollen als die Produzenten von »Sag die Wahrheit«, die wegen der dauernden Stromunterbrechungen vorwiegend nachts drehten.

»Wird schon klappen!« hatte er sich eingeredet. Aber es klappte eben nie. Es klappte erst an dem Tag, da wieder einmal alles stillstand, weil unvermutet Stromsperre eintrat und Brauner aufgeben wollte:

Da verdiente sich ein fixer Beleuchter ein »Ritterkreuz«, wie Robert Baberske bemerkte, als er mit zwei Kollegen ein langes Stromkabel hinter sich herzog und es an der Stromschiene der S-Bahn festklemmte, die direkt hinter dem Atelier vorbeiführte. Die Reichsbahner werden sich über den seltsamen Spannungsabfall auf dem Südring gewundert haben.

Am selben Tag übrigens bekam »Atze« Brauner noch einen weiteren Schreikrampf, als er am Spätnachmittag zusehen mußte, wie Regisseur Helmut Weiß die Szene vom Vormittag noch einmal drehte: Jetzt hatte er endlich Rohfilm in der Kamera. »Zweihundertundelf Meter!« flüsterte mir Baberske zu. »Und alles DIN A24, das hochempfindliche Agfa-Material! Wie wird das mit dem 17-DIN zusammenpassen, das ich morgen aus Voigtländer-Beständen kriegen soll?«

Der ganze »Herzkönig« setzte sich aus den Resten zusammen, die Kamera-Assistenten üblicherweise mit nach Hause nehmen dürfen, wenn auf einer 120-Me-ter-Kassette eine Szene von, sagen wir, 33 Metern Länge dreimal wiederholt wurde und der Rest für eine vierte Wiederholung nicht mehr ausreicht.
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Der schmucke junge Offizier Namens Peter Hofkirchner

Helmut Weiß stellte mir dann noch einen weiteren Hauptdarsteller seines »Herzkönig« vor, einen schmucken jungen Offizier, der am Ende Sonja Ziemann bekam, wenn ich nicht irre: seinen Freund Peter Hofkirchner.

Und so langsam erfuhr ich nun die ganze Geschichte dieses jungen Tirolers, der bei einer Luftnachrichten-Einheit im Allgäu gedient hatte, bevor er zu Filmaufnahmen abkommandiert wurde: Die TERRA drehte in Durach 1944 »Quax in Fahrt«, die Fortsetzung des großen Rühmann-Erfolges »Quax, der Bruchpilot« von 1941, und Helmut Weiß führte Regie.

Natürlich entging ihm der hübscheste unter den jungen Luftnachrichten-Rekruten nicht, die der Produktion bei Start und Landung der Flugzeuge helfen mußten. Er machte ein paar Großaufnahmen von ihm, lud ihn abends auf sein Zimmer ein und sagte am Ende der Außenaufnahmen zu »Sepp« Hofkirchner:
»Wie schade, daß ich nach Berlin zurück muß! Wenn du je in die Hauptstadt kommst, mußt du mich unbedingt besuchen!« Und gab ihm seine Privatadresse.

Eine Woche später schon bereute er, als der Knabe Hofkirchner vor seiner Tür in der Bismarckstraße stand - er war desertiert, hatte einen zu tiefen Blick ins Leben der Filmleute getan, wollte nicht mehr Soldat spielen. Für Helmut Weiß war das Himmel und Hölle zugleich, er hatte schon eine ganze Reihe Besuche von der Polizei gehabt, zuletzt von der Gestapo, seiner Veranlagung wegen, und für die TERRA wurde es immer schwieriger, ihn für einen neuen Film Rühmanns u.k stellen zu lassen: »unabkömmlich«.

Mit Peter Hofkirchner aber hatte er nicht nur eine verbotene Liebe im Bett, sondern auch einen Deserteur. Wenn die Polizei ihn bei ihm fand, drohte auch ihm die Todesstrafe. »Es war eine Katastrophe!« sagte Helmut. »Ich erlebte mit Sepp die himmlischsten Nächte - und war nur noch ein Nervenbündel!«
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Jetzt wurde der hübsche Tiroler von Eva Kinski verführt

Als es Winter wurde - der Winter '44/45 -, fielen auch auf Wannsee Bomben, und der Regisseur mußte damit rechnen, daß sein Haus getroffen werden würde und alles herauskäme. So schickte er Peter Hofkirchner nach Einbruch der Dunkelheit übers Eis des zugefrorenen Kleinen Wannsees zu der Schauspielerin Eva Kinski, die am anderen Ufer wohnte und sich bereit erklärte, den jungen Tiroler wenigstens nachts bei sich aufzunehmen.

»Ich konnte doch Heinrich George und seiner Familie nicht zumuten, mit einem schwulen Deserteuer im Luftschutzkeller zu sitzen!« sagte Helmut.

Jedoch: »Schon nach ein paar Tagen starb ich vor Eifersucht! Ich hatte Grund zu der Annahme, daß die Kinski, das Aas, sich an meinem Jungen vergriff!« Der hübsche Tiroler hatte sich von Helmut Weiß zwar verführen lassen -

»Bei deinem Aussehen mache ich einen Star aus dir!« -, aber er war wohl gar nicht schwul, nur ehrgeizig. »Fürchterliche Szenen spielten sich zwischen uns ab!« bekannte Helmut. »Gedroht habe ich ihm, nicht mehr für seine Schauspielausbildung aufzukommen, wenn er noch einmal zu spät nach Hause käme! Und er tat es immer wieder!«
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Als dann die Russen kamen

Ach ja: Inzwischen waren die Russen eingetroffen und hatten das bedrohte Paar erlöst. Helmut durfte sich endgültig befreit von allen Sorgen fühlen, nur Peter Hofkirchner war noch unzufrieden, quälte sich auf der Schauspielschule von Marliese Ludwig mit einem Korken zwischen den Zähnen herum, um sein Tiroler Idiom loszuwerden.

»Bei >Sag die Wahrheit< war ich noch nicht mal für die Statisterie gut genug«, Adrian Hoven in »Tromba« erzählte er, »aber im >Herzkönig< spiele ich eine Hauptrolle!«

Er hat noch ein oder zwei Haupt- oder Beinahehauptrollen in Filmen von Helmut Weiß gespielt, der hübsche Tiroler mit den etwas zu klein geratenen braunen Augen und den herzigen Grübchen in den Wangen, er sah auch von Jahr zu Jahr besser aus und wurde sicherer vor der Kamera, aber irgendwie klappte es nicht mit der Publikumsresonanz, von der Kritik ganz zu schweigen.

Aus Peter Hofkirchner wird Adrian Hoven

Nach der Währungsreform besuchte ich Helmut Weiß in Tutzing am Starnberger See, wo er sich ein Haus am Berg gekauft hatte. »Ja, der Sepp!« sagte er wehmütig. »Wilde Zeiten waren das, ich werde immer noch nervös, wenn ich ihn sehe, obwohl er jetzt fest mit einer Frau lebt und kaum noch ans Telefon geht, wenn ich anrufe. Ich soll einen großen internationalen Zirkusfilm machen, da wäre eine Traumrolle für ihn drin, als Partner von Rene Deltgen. Aber die Produktion will ihn nicht, hält ihn für Kassengift...«

»Er sieht eigentlich gar nicht wie so'n Tiroler Lackl aus«, sagte ich. »Warum ändert er nicht seinen Namen? Gib ihm doch etwas Exotisches, das zu seinem Aussehen paßt!«

»Ach«, seufzte der gute Helmut, »wenn das so einfach wäre...«Aber nur Tage später rief er mich an: »Wie wär's mit Adrian Hoven?«
»Fabelhaft!« sagte ich.

Als Adrian Hoven hat der Peter Hofkirchner noch 1949 in dem Zirkusfilm »Tromba« von Helmut Weiß seinen Durchbruch erlebt, im Jahr darauf in »Föhn« dem Hans Albers schon die Lilo Pulver ausgespannt, und danach war seine Karriere nicht mehr aufzuhalten.
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Mit seinen Mißerfolgen wird fast jeder fertig

In großen Filmen, wie »Canaris« und »Wien, du Stadt meiner Träume«, und sogar bei Faßbinder hat er mitgemischt, gut und gern fünfzigmal.

Und natürlich ist er völlig durchgeknallt, der »Sepp«, behauptete plötzlich, sein wirklicher Vorname sei »Arpad« und Weiß habe ihn als »Werkspilot von Messerschmitt« für den Film entdeckt.

Und dann führte er unter dem Namen Percy Parker auch noch selbst Regie und ruinierte sich als Produzent mit heillosen sado-masochistischen Horrorfilmen, die er selbst schrieb und »Im Schloß der blutigen Begierden« und »Hexen - geschändet und zu Tode gequält« titelte.

Im Wartezimmer unseres gemeinsamen Zahnarztes in Grünwald habe ich ihn kurz vor seinem Herztod, 58 Jahre alt, noch einmal getroffen und zum erstenmal erkannt: Mit seinen Mißerfolgen wird fast jeder fertig, mit Erfolg nur die wenigsten.

»Die Mörder sind unter uns«

Ende 1946 redete ganz Berlin nur von »der Knef« und ihrem »ersten Film«, der nicht ihr erster war, mit dem unheimlichen Titel »Die Mörder sind unter uns«.

Mitte Oktober war diese erste Produktion der DEFA - und der erste deutsche Nachkriegsfilm überhaupt - im Admiralspalast festlich uraufgeführt worden und hatte auch den Namen des Regisseurs Wolfgang Staudte zum erstenmal einem größeren Publikum bekanntgemacht.

Vom Hauptdarsteller Ernst Wilhelm Borchert wurde weniger gesprochen, der war noch am Premierenabend von amerikanischer Militärpolizei festgenommen worden, wegen Fragebogenfälschung.

Ich sah »Die Mörder sind unter uns« erst ein paar Tage später, unter ordinärem Volk in einem richtigen Kino, das alte »Colosseum« kann's gewesen sein, und es war nicht einmal voll.

Das blasse, schmale Hildchen, aus dem KZ heimkehrend, aber optimistisch in die neue Zeit schauend, und der schwerblütige, depressive Arzt Borcherts, der erst lebendig wird, als er jenen deutschen Hauptmann (Arno Paulsen) wiedersieht, der im Krieg ein ganzes polnisches Dorf voll unschuldiger Zivilisten meucheln ließ - aber jetzt gemütlich mit seiner Familie wieder unterm Weihnachtsbaum hockt und »Ihr Kinderlein kommet!« singt: eine starke Geschichte, die Staudte da erfunden hatte, und eine unangenehme.

Selbst die Alliierten brauchten Jahre, bis sie ähnliche Greueltaten auf der Leinwand zeigten, und das waren die Sieger.
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Seht mal, wie zerknirscht wir sind!

Aber was konnten die Deutschen damit anfangen? Die Leute, mit denen ich im Kino war, applaudierten nicht wie die Kritiker im Admiralspalast. Wer läßt sich schon gern, wenn er am Boden liegt, zur Entspannung noch mal in den Arsch treten? Ich fand das auch formal mächtig übertrieben, mit dieser Trümmerwüste der Innenstadt, in der schon im Frühjahr 1946, als Staudte mit den Dreharbeiten begann, niemand mehr lebte.

Den Russen freilich gefiel das, und auch für die UFA-Nachfolgerin DEFA war Staudtes Film ein prima Aushängeschild. Wie überhaupt jeder, der es nötig hatte, sich an die Brust klopfen konnte: Seht mal, wie zerknirscht wir sind!
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»Sprechen Sie, Herr Tagesspiegel!«

Einen Abend nach meinem Kinobesuch nahm mich ein Kollege von der »Berliner Zeitung« mit in die »Möwe«, den russischen Kulturklub im alten, unversehrt gebliebenen Palais des Fürsten Bülow in der Luisenstraße, später in »Hermann Matern« umbenannt.

Der Oberst Tulpanow gab einen Empfang für Staudte und seine Truppe und gefiel sich wieder einmal als Hohepriester des »Antifaschismus«. Ich kam, mich am Büfett gütlich tuend, gar nicht an ihn heran; er war umlagert von deutschen Bewunderern, die bei jedem zweiten Wort von ihm beflissen lachten.

Irgend jemand mußte den Glatzkopf auf mich aufmerksam gemacht haben, denn als sich der Betrieb etwas lockerte, schlenderte er auf mich zu und streckte die Hand aus: »Mister Tagesspiegel? Wie geht's im Ullsteinhaus? Wann kommt der erste amerikanisch lizenzierte Film heraus?«
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Oberst Tulpanow sparch fließend Deutsch

Ich war weniger beeindruckt von dem flüssigen Deutsch, das er sprach, als von der Tatsache, daß er mich nicht nach meiner Meinung über Staudtes Film fragte; wahrscheinlich wollte er die Lobhudeleien nicht mehr hören.

Bevor ich antworten konnte, sagte einer der Umstehenden lachend: »Bringen Sie den jungen Mann nicht in Verlegenheit, Sergej Sergejewitsch! Die Amerikaner haben nichts Vergleichbares vorzuführen!«

Und alle lachten wieder. Tulpanow grinste und fragte einen anderen russischen Offizier etwas in seiner Sprache, wandte sich dann erneut an mich und lud mich zur Premiere des nächsten DEFA-Films ein.

»Freies Land«, ein Dokumentarspielfilm über die Bodenreform, in dem die endlich von den Großgrundbesitzern befreiten Tagelöhner eigenes Land und eine eigene Kuh von den russischen Soldaten geschenkt bekommen.

(Fünfzehn Jahre später drehte ich meinen ersten Film »Flucht nach Berlin«, in dem die Bauern das »freie Land« samt der Kuh wieder abgeben mußten, in die Kolchose.)
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Tulpanow stocherte weiter:

»Wann kommen die britisch und französisch lizenzierten Filme? Sprechen Sie, Herr Tagesspiegel!«

Als ob er es nicht gewußt hätte: »Sag die Wahrheit« hieß der eine, »Herzkönig« der andere, nichts wie schnöde Unterhaltung alle beide. Das Geheul der neuen, antifaschistischen Presse über diese Schande gellte durch den gesamten Berliner Blätterwald.

Aber es war die reine Heuchelei, denn im Osten wurden bald darauf ganze Betriebe und Schulen zwangsweise in den Staudte-Film geführt, während im Westen die Berliner freiwillig vor den Kinokassen Schlange standen, um sich am Anblick des eleganten Zweireihers von Gustav Fröhlich und der duftigen Cocktailkleidchen von Ingeborg von Kusserow und Sonja Ziemann zu laben.

Hätte ich den Regisseur der englisch und französisch lizenzierten Filmchen nicht persönlich gekannt, wäre ich vermutlich ebenfalls voll der Verachtung gewesen. Aber so war es nun mal nicht.

Beim Verlassen der »Möwe« sah ich Wolfgang Staudte dann an der Garderobe, sah zum erstenmal die gefurchte Visage, die so gut unter einen Stahlhelm der Ehrenwache vor der Feldherrnhalle gepaßt hätte - und den unglaublich protzigen, nämlich gelben Ledermantel, in den er sich von drei Assistenten gleichzeitig helfen ließ.

Mir mißfiel nicht nur sein Film von der zu bewältigenden Vergangenheit. Ich ärgerte mich auch, daß ich Oberst Tulpanow nicht gefragt hatte, warum Staudtes Hauptdarsteller bei der Premiere verhaftet worden war.
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Staudtes Hauptdarsteller wurde bei der Premiere verhaftet

Ernst Wilhelm Borchert, der so vorzüglich »deutsches Schicksal« verkörpern und in seinen ehrlichen männlichen Zügen die pure antifaschistische Moral zum Ausdruck bringen konnte, war selbst ein Obernazi!

Jedenfalls nach damaliger alliierter Lesart. Noch am Tag der Hitlerschen Machtübernahme, am 30. Januar 1933, war er ein unbekannter Anfänger gewesen, schon am 1. März 1933 aber in die Partei und gleich fünf ihrer »Gliederungen« eingetreten, in mehr war wohl nicht möglich.

Was tut man als Schauspieler nicht alles für eine Karriere! Die von E. W. Borchert jedenfalls entwickelte sich in den zwölf Hitlerjahren
außerordentlich erfolgreich. Und nun hatte er sich, aus den gleichen Karriereängsten heraus, in die Arme der Russen geworfen und den amerikanischen Fragebogen mit lauter Unwahrheiten gefüllt:

Nein, er war nicht in der SA, nein, nicht in der NSDAP, nein, nein, auch nicht im NSKK oder NSFK und gewiß nicht in der Reiter-SA - »Erkläre ich hiermit an Eidesstatt, alle Angaben nach bestem Wissen...«

Leider lebte der arme Kerl im amerikanischen Sektor, und das Material, das die Amerikaner über ihn zusammengetragen hatten, war so überwältigend, daß die Russen ihre Bundesgenossen nur noch anflehen konnten, mit Borcherts Verhaftung zu warten, bis er sich auf der Bühne verbeugt hatte.

Dreimal erlaubten die großzügigen Amerikaner dem Hauptdarsteller, vor den Vorhang zu treten, dann schnappten die Handschellen zu. Den Russen war das so peinlich, daß sie der amerikanischen Militärpolizei zum erstenmal gestatteten, in ihrem Sektor tätig zu werden; sie selbst schauten verlegen weg.

Merkwürdigerweise verkrümelten sich auch Hildegard Knef und Wolfgang Staudte, ohne für den geschätzten Kollegen ein gutes Wort einzulegen. Erst zwölf Jahre später erfuhr ich, warum.
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Der arrogante blonde Lümmel - Peter van Eyck

Da traf ich den arroganten blonden Lümmel von amerikanischem Filmoffizier endlich persönlich, zu dem man 1946 nie vordringen konnte. Doch 1958 war er nur allzu bereit, sich mit einem Autor des »Stern« zu unterhalten.

Denn nun war er selbst Filmstar und spielte in Rolf Thieles »Mädchen Rosemarie« einen der Mörder der Nitribitt und in Käutners Hamlet-Verfilmung »Der Rest ist Schweigen« den Großindustriellen.

Sein Name war Peter van Eyck »Ich habe Borchert damals verhaften lassen«, sagte er, »seine Fragebogen-Fälschung war einfach zu dreist! Obwohl man kein großer Psychologe zu sein brauchte, um zu erkennen, daß ein Mann, der vier Wochen nach Hitlers Amtsübernahme in sämtliche braunen Vereine gleichzeitig eintritt, sich nur schützen will. Der Borchert ist einfach ein Opfer von Staudte geworden ... Der hat ihm eingeredet, den Fragebogen der Amerikaner einfach "zu vergessen".
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Ich wollte mehr wissen, doch Peter van Eyck winkte ab. »Viel interessanter ist doch Herr Staudte selbst - und viel geschickter! Der war nie in der Partei, aber sehen Sie sich doch mal an, was Staudte im Dritten Reich gemacht hat!«
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Staudtes Vergangenheit ? Das war in der Tat verblüffend.

Das war in der Tat verblüffend. Der Mann, der nach dem Einmarsch der Russen behauptet hatte, schon immer ein fanatischer Gegner des Nationalsozialismus - besonders aber des preußischen Militarismus - gewesen zu sein, hatte als Schauspieler im Dritten Reich fast ausschließlich in Nazi- und Militärfilmen gespielt.

»Ich habe als Filmoffizier keinem Kleindarsteller einen Strick daraus gedreht, daß er mal in einen Nazifilm geraten ist«, sagte Peter van Eyck, »und so, wie der Staudte aussah, war er einfach das Ideal eines Helden der "neuen Zeit".

Aber es ist die Fülle seiner Nazirollen, die bedenklich stimmt. Wer so gegen das Regime war, wie er es zu sein behauptete, mußte nicht bei jedem Anruf der UFA >Ja< sagen, hätte tausend Möglichkeiten gehabt, sich zu drücken...«

Als Staudte 1951 mit »Der Untertan« seinen größten Triumph feiern konnte, »wurde er unvorsichtig, ja übermütig«, erinnerte sich Peter van Eyck »Da behauptete er zum erstenmal in Interviews, Filme wie >Der Untertan < oder >Die Mörder sind unter uns< hätte er nur unter den reinen Antifaschisten der DEFA machen können - der zuständige Filmoffizier der Amerikaner habe sein Manuskript >kaltlächelnd abgelehnt< und ebenso sei es ihm bei den Briten und Franzosen ergangen.

Wohingegen die Russen ihn mit offenen Armen empfangen hätten ... Er erlaubte sich diese Lügen, weil ich inzwischen kein Filmoffizier mehr war, sondern Privatmann - und weniger als das: ein Schauspieler, auf den der gefeierte Regisseur herabblicken konnte...«
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Und wie war es nun wirklich ? Herr van Eyck ?

Staudte war mit seinem Manuskript tatsächlich zuerst zu den Amerikanern gegangen, und der Filmoffizier van Eyck hatte ihn nicht »kaltlächelnd abgelehnt«, er hatte ihm sogar »begeistert zugestimmt«, wie er mir glaubwürdig versicherte.

»Ich bin schon als Neunzehnjähriger, im Jahr vor Hitlers Machtübernahme, mit meinen Eltern aus Ostpreußen nach New York ausgewandert. Ich war völlig frei von nazistischen Einflüssen, habe unter jüdischen Lehrern Musik studiert und 1943 bereits in Billy Wilders Rommelfilm >Five Graves to Cairo< mitgespielt.

Welchen Grund hätte ich haben sollen, Herrn Staudtes Manuskript abzulehnen? Erklärte Antifaschisten wie ihn, die bereit waren, die Hitlerjahre für das deutsche Kinopublikum spannend aufzuarbeiten, suchten wir ja gerade - und suchten nicht nur die Russen!«

Sie hätten, sagte van Eyck, ein »Gespräch der vollsten Übereinstimmung« geführt, er habe Staudte »in die Hand versprochen«, das Manuskript »Die Mörder sind unter uns« sofort seinem in München weilenden Vorgesetzten Erich Pommer vorzulegen, dem berühmten UFA-Produktionschef der Vor-Hitlerzeit, der die Filmindustrie der amerikanischen Besatzungszone wieder ankurbeln sollte.

»Beim Hinausbegleiten«, so van Eyck, »habe ich Staudte dann in meinem Vorzimmer den Fragebogen der amerikanischen Militärregierung in die Hand gedrückt. Staudte scherzte noch: Muß das sein? Und ich sagte lachend: Leider, es muß! Dann ging er und ward nicht mehr gesehen...
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Dieser verdammte Fragebogen der amerikanischen Militärregierung

Ihm muß noch am selben Tag, bei der Lektüre des Fragebogens, klargeworden sein, daß er ihn nie und nimmer »wahrheitsgemäß« ausfüllen und mir zurückgeben konnte, ohne sich einer Menge sehr, sehr unangenehmer Fragen auszusetzen. - Unter der bekannten Rubrik: >Was haben Sie unter Hitler getan ?< hätte er nämlich jeden Film einzeln aufführen müssen, in dem er mitgewirkt hat...« - Und das hätte dann wohl so ausgesehen:
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  • 1938 »Am seidenen Faden« (spielte im »jüdischen Schiebermilieu Berlins nach dem Ersten Weltkrieg« - von den alliierten Militärregierungen für alle Besatzungszonen verboten), im gleichen Jahr
  • »Pour le merite« (von der Westfront 1918 bis hin zur Wiederaufrüstung 1935, »staatspolitisch besonders wertvoll« - verboten),
  • 1939 »Das Gewehr über« (ein Soldatenlustspiel der neuen Wehrmacht - verboten), ferner:
  • »Drei Unteroffiziere« (um die Kameradschaft in der Wehrmacht, von der NS-Prüfstelle als »staatspolitisch wertvoll und volksbildend« eingestuft - verboten) und auch
  • »Legion Condor« (über den Einsatz der deutschen Luftwaffe im spanischen Bürgerkrieg - bei Kriegsausbruch 1939 abgebrochen),
  • 1940 dann »Blutsbrüderschaft« (unter Frontkameraden im Ersten Weltkrieg und in den Nachkriegswirren - verboten), im gleichen Jahr
  • »Jud Süß« (»staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll« - verboten), schließlich
  • 1941 »Jungens« (aus dem Leben der Hitler-Jugend - verboten) und
  • »... reitet für Deutschland« (verboten).

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»Keinen dieser Filme hat er auch nur mit einem Wort erwähnt, als er bei mir war«, sagte Peter van Eyck »Auf meine Fragen über seine Tätigkeit im Dritten Reich hat er etwas von Werbefilmen erzählt, völlig unpolitischen Sachen, mit denen er sich über Wasser gehalten habe ...
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Im Stalingradjahr 1943 gings erst richtig los mit Staudte

Schlimm wird diese Karriere eines deutschen Antifaschisten aber erst
vom Stalingradjahr 1943 an«, betonte der ehemalige Filmoffizier. »Da hat Wolfgang Staudte bei der TOBIS nicht weniger als vier Spielfilme selbst inszenieren dürfen - für einen >Kleindarsteller< mehr als erstaunlich, wenn man bedenkt, daß es sich bei dieser Staatsfirma, im Gegensatz etwa zur TERRA, um einen streng nazistisch geführten Laden handelte.

Der junge TOBIS-Generaldirektor Ewald von Demandowsky war ein idealistischer Supernazi, der bestimmt keinem Neuling eine Regiechance gab, wenn er nicht hundertprozentig zur Sache stand!«
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Hildegard Knef sah das anders

Staudtes Hauptdarstellerin Hildegard Knef war 19 Jahre alt bei Kriegsende und die Geliebte des TOBIS-Chefs Ewald von Demandowsky.

In ihrem Memoirenwerk »Der geschenkte Gaul« beschreibt sie ihre Flucht mit EvD aus dem brennenden Berlin. Verständlicherweise hatten weder Knef noch Staudte ein Interesse daran, sich in die Verhaftung Ernst Wilhelm Borcherts einzumischen.

»Nur eine Neunzehnjährige«, schrieb ich einige Jahre später, »hatte damals das Recht, im Frühling einen Nationalsozialisten zu lieben und im Herbst einen jüdischen Filmoffizier ...«

Doch Staudte war immerhin schon 36 Jahre alt, als er für Ewald von Demandowsky seinen ersten Film »Akrobat schö-ö-ön!«, über den Clown Charlie Rivels, inszenierte.

1944, am Tag nach dem Attentat auf Hitler, kam sein zweiter TOBIS-Film heraus: »Ich hab' von dir geträumt« mit Fita Benkhoff und Karl Schönböck.

Noch 1945, also bis zum 8. Mai, drehte er zwei Spielfilme: »Der Mann, dem man den Namen stahl« mit Axel von Ambesser und Gretel Schörg und »Frau über Bord« mit Heinrich George und Anneliese Uhlig.

Beide Filme kamen nicht mehr zur Aufführung - aber den ersteren erlaubte ihm die hochbeglückte DEFA gleich nach »Die Mörder sind unter uns« unter dem Titel »Die seltsamen Abenteuer des Herrn Fridolin B.«, wieder mit Ambesser, noch einmal zu drehen.
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Wie auch bei uns im Westen die Geschichte verdreht wurde

Peter van Eyck war mit mir - und jedem vernünftigen Menschen - der Meinung, daß Wolfgang Staudte mit seiner Nazivergangenheit selber fertig werden müßte.

Was uns an dem hochbegabten Kerl nur ärgerte, war die neue Rolle, die ihm die Russen im neuen Deutschland zu spielen erlaubten: die eines energischen Zeitkritikers und politischen Sittenrichters.

Zu seinem 75. Geburtstag, als er wochenlang interviewt wurde und das Fernsehen Dutzende seiner Filme ausstrahlte, ließ dieser Staudte sich schon unwidersprochen einen »Widerstandskämpfer« nennen.

Die gesamte deutsche Filmkritik feierte Staudte unentwegt als
»das Gewissen des deutschen Nachkriegsfilms« (Friedrich Luft), nicht mehr und nicht weniger. »Einer kann über Deutschland noch weinen« schwärmte Peter W. Jansen, »Staudte ist ein Mann mit einer politischen Linie - Sozialist, Pazifist und >Freund der Unterdrückten«, befand Karena Niehoff.

»Unter den Regisseuren der älteren Generation versuchte einzig Wolfgang Staudte seinem politischen Engagement Ausdruck zu geben«, schrieb Ulrich Gregor in seiner Geschichte des Films.

Ach ja, das politische Engagement. Ich habe Staudte wie Knef nach ihrer »Befindlichkeit« im Dritten Reich befragt und von ihr eine ehrliche, von ihm eine aufbrausende Antwort bekommen, die keine war.

Er hat die DDR als das »bessere Deutschland« gelobt und die Bundesrepublik als »Saustall« bezeichnet. Am Ende hat er von beiden genommen, von der DDR den Nationalpreis, von der Bundesrepublik das Große Verdienstkreuz.
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