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Filmgeschichte(n) und Filmchronik(en) - Von 0 bis 1957

überarbeitet, korrigiert und kommentiert von Gert Redlich im Juli 2016 - Hier findenSie die bislang umfangreichste und detailierteste Historie der weltweiten Entwicklung des Films, der Filmwirtschaft (und des Kinos). Der Deutsch-Engländer Heinrich Fraenkel (geb. 1897) war hautnah dabei gewesen und beschreibt 1956/57 zwei weltweite Epochen des Films : Es beginnt mit -- Teil I -- "Von der Laterna Magica bis zum Tonfilm" und geht weiter mit -- Teil II -- "Vom Tonfilm bis zum Farbfilm"

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Teil II - KAPITEL 08
"DER 2. WELTKRIEG"

Von einem Minister, der ein Drehbuch umschrieb und von einem Schauspieler, dem es schlecht bekam / Von einem Künstlerengagement, das ein Befehlsempfang war / Von schönen Filmen, die verboten wurden / Von englischen und amerikanischen Kriegsfilmen ohne Hurra-Stimmung / Von filmischer Symbolik in den kriegsbesetzten Ländern / Von deutscher Zivilcourage vor Ministersesseln / Von lebensrettenden Fleißaufgaben / Von neuem Leben, und einem, der es nicht mehr erlebte.

"Ohm Krüger", der peinlichste Film seines Lebens

Als Emil Jannings die große Forscherpersönlichkeit des Robert Koch gestalten durfte - mit seinem Freunde Werner Krauß als Virchow - wußte er noch nicht, daß es einer der letzten Rollenwünsche war, der ihm erfüllt wurde.

Nur einmal noch, in "Altes Herz" wird wieder jung, sollte er eine Rolle spielen dürfen, die ihm Spaß machte, aber dazwischen lag "Ohm Krüger", der peinlichste Film seines Lebens, der seit so vielen Jahren gefürchtete und zum schlimmen Ende doch noch gelungene Sieg seines mächtigen Widersachers im Propaganda-Ministerium.

Goebbels bestand auf einem anti-britischen Film

Der Krieg war schon ausgebrochen, und Goebbels bestand auf einem anti-britischen Film. Was lag näher, als mit dem Burenkrieg ein ziemlich düsteres Kapitel aus der jüngeren englischen Geschichte herauszugreifen?

Daß sehr viele englische Politiker, (unter ihnen der junge Lloyd George) und die überwiegende Mehrheit der englischen Intellektuellen entschieden gegen diesen Krieg waren und der eigenen Regierung schärfste Opposition machten, konnte man ebenso bequem verschweigen wie die Tatsache, daß nur wenige Jahre nach dem Krieg der Burenführer Jan Smuts und die Mehrheit seiner Landsleute ehrliche Freunde Englands und seine freiwilligen Weltkriegs-Alliierte wurden.

Angeblich hatten die Engländer das KZ erfunden

Für Goebbels wichtig war lediglich zu beweisen, daß die Engländer schon einige dreißig Jahre vor Buchenwald und Dachau das KZ erfunden hatten und daß man die Figur des englandfeindlichen Transvaal-Präsidenten Paul Krüger zu einer saftigen Rolle für Jannings verarbeiten konnte.

Jannings dachte jetzt schon an die Nachkriegszeit

Emil Jannings war ein kluger Mensch, der auch an die Zukunft, in diesem Falle an die Nachkriegszeit dachte, und er war keineswegs gesonnen, in seinem jahrelangen Kampf gegen den Minister ohne weiteres zu kapitulieren.

Jannings wußte sehr genau, welche Gefahr ihm gerade von der Rolle des Ohm Krüger drohte, und er hatte keine Lust, sich damit für alle Zeiten im Ausland unmöglich zu machen.

Schließlich hatte er ja in seinem Vertrag sehr erhebliche Sondervollmachten, und diesmal machte er von dem Recht der Drehbuchkontrolle sehr ausgiebigen Gebrauch. Er ließ das Buch wieder und wieder umschreiben, und als er damit ins Atelier ging, war es zwar eine anti-englische, aber immer noch halbwegs vernünftige Story.

Goebbels jedoch nahm einen entscheidenden Einfluß

Was Emil freilich bei aller Klugheit und Vorsicht nicht ahnen konnte, war, daß ein Reichsminister mitten im Krieg sich die Zeit nehmen würde, als Drehbuchautor zu fungieren und Nachaufnahmen mit geradezu hanebüchenen Geschichtsklitterungen anzuordnen, von denen der Hauptdarsteller nichts wußte.

Auch auf den Schnitt des Films nahm Goebbels einen entscheidenden Einfluß, und im Endeffekt hatte er genau, was er wollte: einen anti-britischen Hetzfilm von unüberbietbarer Schärfe, und zugleich die ersehnte Gelegenheit, durch ihre Mitarbeit an diesem Film zwei große Künstler zu kompromittieren und somit dafür zu bestrafen, daß sie aus ihrer Abneigung gegen das Propagandaministerium keinen Hehl machten.

Gustaf Gründgens mußte eine alberne Rolle spielen

Der andere der beiden Künstler war Gustaf Gründgens, der buchstäblich „auf Befehl" - nämlich in seiner Eigenschaft als Staatsrat - die wiederholt abgelehnte Rolle des Chamberlain spielte.

Das war eine besonders alberne Rolle, und Gründgens betonte seine Verachtung für das Machwerk auch dadurch, daß er sich weigerte, das Drehbuch zu lesen und auf einem Rollenauszug bestand und es im übrigen ablehnte, für dieses Engagement eine Gage zu nehmen.

Er betonte mit unmißverständlicher Klarheit - und dazu gehörte damals einige Zivilcourage - daß es sich bei dieser Rolle nicht um das Engagement eines Künstlers, sondern um den Befehlsempfang eines Beamten handele.

Dieser Film war ein Triumph für Goebbels

Immerhin war dieser Film ein Triumph für Goebbels, einer der wenigen, die ihm in seinem Kampf um die „weltanschauliche Ausrichtung" des deutschen Films beschieden waren.

Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte fast jeder Film eine politische Tendenz haben müssen; und das Merkwürdige war und blieb, daß es zwar durchaus „nach ihm ging", denn er war ja der unbeschränkte Diktator über Film, Presse und Rundfunk; daß es ihm aber nur durch die beiden letztgenannten Organe der Meinungsbildung möglich war, seinen Machtanspruch in wünschenswerter „Totalität" durchzusetzen.

Nur bei einem Medium war der Erfolg kontrolierbar, dem Kino

Die Erklärung ist einfach: während es unkontrollierbar bleiben mußte, wie viele Volksgenossen die Zeitung ungelesen ließen oder das Rundfunkgerät abstellten, war es immer unverkennbar, wie viele zur Kinokasse gingen und wie viele ihr fernblieben.

Hier konnte das Publikum sehr deutlich seine Wünsche äußern, und die Filmindustrie war gern bereit, sie zu erfüllen.

Es gab zwar Filme wie "Feuertaufe", ein (technisch hervorragender) Dokumentarfilm des Polenfeldzugs, der vorwiegend dazu diente, die Generalität und Diplomatie der kleinen neutralen Staaten, sowie die amerikanischen Pressevertreter gebührend zu beeindrucken.

Es gab auch Spielfilme wie "Kampfgeschwader Lützow" und "U-Boote westwärts", aber das Publikum bewies durch den untrüglichen Stimmzettel der an der Kasse erworbenen Kinokarte, daß einige zwanzig Millionen es vorzogen, Filme zu sehen wie etwa "Das Wunschkonzert" oder "Friedemann Bach" oder den Schumann-Film "Träumerei".

Der Schumann-Film "Träumerei" mit Hilde Krahl und Mathias Wieman

Diesen schönen Film sah ich erst im Jahre 1945 nebst vielen anderen deutschen Filmen, die man in Belgien und Frankreich „kriegsgefangen" hatte und in London den Interessenten vorführte.

Mir gefiel dieser innige und mit so leisen Mitteln um so eindrucksvollere Film so gut, daß ich ihn mir sofort noch einmal vorführen ließ, um mich abermals an der echten Empfindungskraft und reifen Künstlerschaft von Hilde Krahl und Mathias Wieman zu erfreuen. Viele Jahre später, als ich den Regisseur kennen lernte, erfuhr ich die Hintergründe.

Filme mit einer dieser harten Zeit gemäßen Härte machen

Als ich Harald Braun sagte, daß ich "Träumerei" für ein Meisterwerk halte, erklärte er mir lächelnd, daß es auf des Messers Schneide stand, ob der Film überhaupt der Öffentlichkeit zu Gesicht käme.

Goebbels war besonders schlechter Laune, als ihm "Träumerei" vorgeführt wurde. Er ließ schon nach einer halben Stunde abbrechen und fing zu toben an: es sei schon schlimm genug, wenn man keine Filme mache, die unmittelbar etwas mit dem Fronteinsatz zu tun hätten; dann solle man doch aber, zum Donnerwetter, wenigstens Filme machen, die eine dieser harten Zeit gemäße Härte zeigten, nicht aber so pflaumenweiches Zeug.

Das Publikum wollte in Kinotheatern lieber unterhalten

„Das war damals sehr viel schlimmer, als es heute klingt", erklärte mir Harald Braun zehn Jahre später. Denn wenn der Minister darauf bestanden hätte, dann wäre der Film unter den Tisch gefallen. Daß die Situation schließlich doch noch gerettet wurde, sei nur Wolfgang Liebeneiner zu verdanken. Der habe mit sehr viel Takt und Geschick den erbosten Minister schließlich zu überreden vermocht, sich den Film bis zum Ende anzusehen und die Freigabe zu gestatten.

Daß der Film dann einen riesigen Publikumserfolg hatte, war recht bezeichnend dafür, daß in Kinotheatern das Publikum lieber unterhalten als patriotisch aufgerüttelt werden wollte.

Und im kriegführenden Ausland ?

Galt das auch für die anderen kriegführenden Länder? Zweifellos, und zwar in immer wachsendem Maße, je länger der Krieg dauerte.

In England waren die „patriotischen" Filme fast ausschließlich der dort von jeher besonders hoch entwickelten Dokumentarfilm-Produktion vorbehalten, zumal wesentliche Produktionsgruppen mit staatlicher Unterstützung größere Mittel zur Verfügung hatten.

Diese Filme waren, soweit sie in der Kriegszeit hergestellt wurden, nicht so sehr „patriotisch" als sachlich, indem sie auf verschiedene Aspekte des Kriegseinsatzes hinwiesen; oft auch aus erzieherischen Gründen, wie etwa in Ian Dalrymples Film "Fires were started", der sich eigentlich nur mit der Feuerbekämpfung bei Luftangriffen zu befassen hatte und unversehens zu einem kleinen Kunstwerk wurde, weil die Personen der Handlung zu lebendigen Menschen wurden, deren große Sorgen und kleine Freuden dem Zuschauer zu Herzen gingen.

Filme für die Nachkriegszeit schaffen

Die besten dieser von der öffentlichen Hand subventionierten Filme waren eher sozial als „patriotisch" eingestellt, wie etwa die beiden großen dokumentarischen Werke, die Paul Rotha während des Krieges schuf, "World of Plenty" und "Land of Promise", beides Filme, die sich in sozialkritischer Schärfe mehr mit der Nachkriegszeit befaßten als mit den nationalen Erfordernissen des Kriegseinsatzes.

Große patriotische Spielfilme spärlich vertreten

Große patriotische Spielfilme waren im England der Kriegszeit sehr spärlich vertreten, und eines der wenigen auch künstlerisch und technisch wesentlichen Werke dieser Art war "In which we serve", ein Marinefilm, für den Noel Coward nicht nur die Story schrieb, sondern auch den Kapitän des torpedierten Zerstörers spielte. Filmgeschichtlich ist das Werk auch deshalb nennenswert, weil David Lean damit zum ersten Mal seine bedeutende Regiekunst erweisen konnte.

Etwa zur gleichen Zeit hatten auch die Zwillinge Roy und John Boulting ihre ersten Erfolge, und zwar zunächst mit der Verfilmung von Ernst Tollers Bühnenstück "Pastor Hall", das den Widerstandskampf der bekennenden Kirche gegen Hitler würdigte, und gewissermaßen noch als „aktuell" im Sinne der Kriegszeit betrachtet werden kann.

Dann aber kam ein in diesem Sinne eher abwegiges Thema, "Thunder Rock", ein nicht nur stilistisch, sondern vor allem durch seinen Hang zur Symbolik interessanter Film, in welchem ein Leuchtturmwärter in seiner grüblerischen Einsamkeit zu seltsam besinnlichen, doch aufrüttelnden Zwiegesprächen mit Menschen kommt, deren Schiff hundert Jahre vorher an der gleichen Klippe scheiterte.

Neu in Hollywood : Jennifer Jones und Gregory Peck

Es mag bezeichnend sein, daß im Lied der Bernadette (nach Franz Werf eis berühmtem Lourdes-Roman) und im "Schlüssel zum Himmelreich" etwa zur gleichen Zeit auch in Hollywood ein ähnlicher Hang zum Metaphysischen erscheint, zwei Filme übrigens, in welchen zwei sehr bald weltberühmte Stars ihre ersten Erfolge hatten:
Jennifer Jones als das Mädchen von Lourdes, und Gregory Peck als katholischer Missionar in China. Auch Ingrid Bergman hatte gegen Ende des Krieges in "The bells of St. Mary" eine große Nonnen-Rolle.

Hollywood machte deutlich mehr Kriegsfilme als Europa

Aber sonst läßt sich nicht gerade behaupten, daß der amerikanische Film die Kriegsereignisse und die politischen Wirren Europas vernachlässigte, eher dürfte es richtig sein, daß schon in den ersten Kriegsjahren der Verschleiß an Uniformen der kriegführenden Nationen in den Hollywood-Ateliers erheblich größer war als in Europa.

Die amerikanischen Fernost und Pearl Harbour Filme

Als Amerika nach dem Überfall (Attentat) auf Pearl Harbour selbst in den Krieg eintrat, hatte begreiflicherweise der fernöstliche Kriegsschauplatz den Vorrang, und es gab serienweise Filme vom Fronteinsatz im Stillen Ozean.

Im übrigen wurden einige der bedeutendsten Regisseure, wie etwa Frank Capra, John Ford, Willy Wyler und John Huston für eine Serie von dokumentarischen Kriegsfilmen unter dem Sammeltitel "Why we fight" eingesetzt.

In der Erinnerung haften geblieben sind sie nicht

Aber es ist bezeichnend, daß von den Werken dieser Künstler aus jener Zeit nicht ihre Beiträge zur Dokumentation der Kriegsführung in der Erinnerung haften, sondern Filme, die gar nichts mit den Kriegsereignissen zu tun hatten.

War ein US-Film zu kritisch, wurde er dort (auch) verboten

Ford war noch im zweiten Kriegsjahr mit seiner großen (an anderer Stelle dieser Chronik gewürdigten) Verfilmung von Steinbecks "The grapes of wrath" beschäftigt; zur gleichen Zeit arbeitete Wyler an "The little foxes", einem sozialkritisch nicht minder scharfen Stoff mit dem Hintergrund der amerikanischen Südstaaten um die Jahrhundertwende.

Disney machte heiter-sentimentale Kunstwerke wie "Fantasia" und "Pinocchio", und Huston drehte noch im dritten Kriegsjahr "The Maltese Falcon", bevor er sich seiner Dienstverpflichtung widmen mußte, und mit "Let there be light" die Krankheitsgeschichten und Behandlungsmethoden nervenkranker Soldaten so eindringlich schilderte, daß der Film für die Öffentlichkeit verboten wurde.

Es gab jede Menge indirekter Kriegsthemen

Die große Mehrheit der während des Krieges in Hollywood gedrehten Filme hatte freilich mit den Zeitereignissen wenig oder nichts zu tun.

Auch die Kriegsfilme dienten durchaus nicht alle der Glorifizierung des Soldatenlebens. Manche, wie etwa William Well-mans "The story of G.I. Joe" hatten schon während des Kriegs den Mut zu jener gesunden Ernüchterung, die sonst erst - wie etwa in "Im Westen nichts Neues" nach dem Ersten und in "Verdammt in alle Ewigkeit" nach dem Zweiten Weltkrieg - etwas später ihren literarischen und filmischen Niederschlag zu finden pflegte.

Eine ganze Reihe von Filmen beschäftigte sich nicht so sehr mit dem Krieg selbst, sondern mit den Ereignissen, die ihn verschuldet hatten.

Die Widerstandsbewegung in Zentraleuropa und natürlich auch in Deutschland selbst bot dramatische Akzente, deren literarische und filmische Gestaltung nicht lange auf sich warten ließ.

In der Verfilmung von Lillian Hellmans Bühnenstück "Watch on the Rhine" hatte Bette Davis als amerikanische Frau eines von der Gestapo gehetzten Deutschen eine ihrer großen Rollen, und die Verfilmung von Anna Seghers Roman "Das siebte Kreuz" gab Fred Zinnemann die Chance für eine seiner ersten großen Regieleistungen, während etwa zur gleichen Zeit Fritz Lang unter dem Titel "Hangmen also die" die im Jahre 1943 grimmig-aktuelle Ermordung Heydrichs verfilmte.

Nur Außenseiter hatten einige filmgeschichtliche Bedeutsamkeit

Wenn man freilich überlegt, welche Filme jener Zeit über ihren damaligen Aktualitätswert hinaus einige filmgeschichtliche Bedeutsamkeit beanspruchen, dann kommt man auf Außenseiter, die in betonter Ausschaltung des Zeitgeschehens, wie etwa Orson Welles in "Citizen Kane", künstlerisches Neuland suchten.

Man könnte zwar einwenden, daß es nicht gar so neu war, weil dieses halb satirische halb melodramatische Werk sich stilistisch an den „Caligari" und stofflich an den „Mabuse" anlehnt, aber es ist doch erheblich mehr, vor allem in der bizarren und doch unerhört realistischen Bildgestaltung und in der rasanten Art der Dialogführung; und der bei allem seinem Machtwahn einsame Zeitungsmagnat, den Welles mit so ätzender Schärfe gestaltet, ist doch nur ein armer Mensch, der in der Todesstunde an nichts als an das elende kleine Spielzeug denken kann, das man ihm in seiner Kindheit zerstört hat.

Jedenfalls war für den im dritten Kriegsjahr noch sehr jungen Orson Welles dieser Film eine große Talentprobe als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller.
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Carl Dreyer schuf eine der letzten und schönsten aller Stummfilme „Johanna"

Ein Jahr später schuf ein sehr viel älterer Künstler, einer der Pioniere der Filmregie, ein nicht minder abseitiges, aber nicht nur deshalb beachtliches Werk.

Es war der Däne Carl Dreyer, der uns mit seiner „Johanna" einen der letzten und schönsten aller Stummfilme hinterlassen hatte; er war vielleicht noch immer von diesem Stoff und von der Unduldsamkeit und den Schrecken der Inquisition besessen, denn der Film, den er mitten im Krieg schuf, hieß "Vredens Dag" (Tag des Zorns) und gestaltete mit unerhörter Eindringlichkeit die Schreckenszeit der Hexenprozesse.

Aber vielleicht war der tiefere Grund für diese Stoffwahl eben der, daß es einem Künstler wie Dreyer keineswegs abwegig und unaktuell, sondern sehr zeitgemäß schien, in eigener Schreckenszeit von einer anderen zu berichten und die Geißel unversöhnlichen Menschenhasses und unduldsamer Grausamkeit zu schildern.

Während des Kriegs in Dänemark gedreht

Denn dieser Film wurde von Dreyer in seinem kriegsbesetzten Vaterlande gedreht, und es ist recht bezeichnend, daß in diesem kleinen, aber für die Chronik des Films nie ganz unbedeutenden Lande gerade die Besetzungszeit einen künstlerischen Aufschwung der Filmproduktion mit sich brachte.

Es mag an einer verinnerlichten Geisteshaltung liegen, die für ein so stolzes, kleines Volk unter so bitteren Umständen sehr begreiflich war. Zumindest einer der in der Besatzungszeit hergestellten Dänenfilme ist dafür ungemein bezeichnend: "Afsporet", die von dem jungen Regisseur Bodil Ipsen inszenierte Geschichte einer Frau, die nach ihrer Vergewaltigung ihre Erinnerung daran verliert und somit die tröstliche Symbolik betont, daß auch in einem geschändeten Körper der Geist rein bleiben kann.

Ein Blick nach Frankreich

Sollte eine solche durch die Not der Zeit geborene geistige Läuterung nicht auch im besetzten Frankreich Filme mit besonderem Gehalt und überhaupt eine künstlerische Blütezeit der heimischen Filmproduktion verursacht haben?

Der erste Teil der Frage ist voll zu bejahen, der zweite Teil jedoch nur halb, weil der französische Film einen Teil seiner bedeutendsten Regisseure verlor.

Rene Clair war schon seit längerer Zeit in England und hat dort für Korda einige spielerisch amüsante Filme wie "Das Gespenst zieht nach Westen" und "Meine Frau, die Hexe" gemacht. Nach Kriegsbeginn ging er nach Hollywood, dort traf er bald seine Kollegen Julien Duvivier und Jean Renoir an, aber keiner dieser Künstler hat in der ihnen so fremden Atmosphäre der kalifornischen Filmstadt wesentliches geleistet.

Auch Jacques Feyder hatte Frankreich verlassen und in der Schweiz Zuflucht gefunden, so daß eigentlich allein Marcel Garne in Paris blieb; Carne, der bedeutendsten einer, denn er hatte erst unmittelbar vor dem Krieg mit "Le jour se leve" eines der interessantesten Werke der neueren Filmgeschichte geschaffen.

Aus der Story von "Le jour se leve" mit Jean Gabin

Der von Carnes bewährtem Mitarbeiter Jacques Prevert geschriebene Film schildert die letzten Stunden eines Pariser Arbeiters, der sich verzweifelt gegen die unerbittlich nahende Sühne für einen
Totschlag wehrt.

Eine Meisterleistung von Jean Gabin, der einen unschuldig schuldverstrickten Arbeiter spielt. Aber er spricht nicht den Argot des Pariser Proletariers (die Geheimsprache der Bettler und Gauner Frankreichs im Mittelalter), sondern ist gewissermaßen das Sprachrohr der französischen Intellektuellen, die am Vorabend des Krieges über die Ausweglosigkeit des Schicksals und die Bestialität der Menschheit meditieren.

Auch die Gestaltung des am Unglück unseres Helden schuldigen Bösewichts ist der Inbegriff der Bosheit, dessen Mätresse (von Arletty bezaubernd dargestellt), der Inbegriff des Triebhaften, Jaqueline Laurents Blumenmädchen der Inbegriff des Femininen, das Ganze ein scharf stilisiertes Werk mit einer mehr defätistischen als pessimistischen Grundhaltung.

Der gemeinsame Nenner der wesentlichen französischen Filme

Das ist der gemeinsame Nenner, auf den man fast alle wesentlichen französischen Filme jener Zeit bringen kann, wenn man von einigen isolierten Spitzenleistungen absieht, die ohne besonderen geistigen oder gar zeitgenössischen Anspruch lediglich dem witzigen Ausdruck eines betont gallischen Humors und Geistes dienten: etwa Sacha Guitrys amüsantamoralischer Roman eines Schwindlers, oder Marcel Pagnols saftige Komödie "La femme du boulanger" mit dem unvergleichlichen Raimu in der Rolle des Dorfbäckers, der aus Kummer über die Untreue seiner jungen Frau den Mitbürgern ihr tägliches Brot verweigert: oder Jacques Feyders "La kermesse heroique" (Die klugen Frauen), eine geistreiche und ungemein bildhafte Komödie von den Frauen eines flämischen Städtchens, die sich auf eigene Art und zum Kummer des „scheintoten" Bürgermeisters mit dem spanischen Eroberer auseinandersetzen.

In den Filmen ein deutlicher Ausdruck von Pessimismus

Dagegen ist von dem Pessimismus und Defätismus, der damals Frankreich beherrschte, ein deutlicher Ausdruck in Filmen zu spüren, die sich, wie Duviviers >Carnet du bal< und Renoirs >Regle du jeu< dem oberflächlichen Betrachter als bloße „Salonstücke" darstellten.

In dem einen Film handelt es sich um die verpfuschte Ehe einer Frau, die den unerfüllten und nunmehr unerfüllbaren Träumen ihrer Mädchenzeit nachhängt, und in Renoirs Spielregel ist die Ausweglosigkeit einer durch eigene Degeneration und moralische Korruption verurteilten Gesellschaft mit noch schärferer Hoffnungslosigkeit gestaltet.

Auch dieser Film wurde unmittelbar vor dem Kriege geschaffen, und er enthält gewissermaßen die Absage des Regisseurs an den schönen Optimismus, der ihn noch zwei Jahre vorher zu seinem Film "La grande illusion" bewegte.

Das ist wohl eines der reifsten von Jean Renoirs Werken, und obschon der Titel von jenem Pessimismus zeugt, der bis zum Ausbruch des so lange gefürchteten Krieges die Franzosen beherrschte, der Film selbst ist ein fast rührender Beweis des politischen Optimismus und einer ritterlichen Haltung, die gerade zu jener Zeit in der Weltpolitik nichts mehr zu suchen hatte.

Filme über den Feind und über den Teufel

Der Autor der "Kermesse heroique", Charles Spaak hatte für (und mit) Renoir das Drehbuch geschrieben, die Geschichte eines deutschen und eines französischen Fliegeroffiziers im Ersten Weltkrieg, worin der Deutsche schließlich aus Pflicht den ihm in der Gefangenschaft zum Freund gewordenen „Feind" erschießen muß.

Als der Krieg ausgebrochen war, begnügten sich Marcel Carne und sein Autor Jacques Prevert nach einem nie ausgeführten Plan eines utopischen Films schließlich mit einem mittelalterlichen Stoff "Les visiteurs du soir", der in Deutschland unter dem Titel "Die Nacht mit dem Teufel" erschien, weil der Goebbels-Behörde, die im besetzten Frankreich die Filmproduktion überwachte, nicht aufgefallen war, daß mit dem Teufel niemand anderes als Hitler gemeint war.

Daß die Herzen des vom Teufel in ein Steinbild verwandelten Liebespaares im gleichen Takt weiterschlugen - diese Symbolik des auch in Todesfesseln unsterblichen Frankreichs blieb dem Pariser Publikum nicht verborgen, und der Film hatte deshalb einen triumphalen Erfolg.

Weniger Qualität aber dafür politischen Finesse

Auch der bei weitem größte Erfolg eines in der Besatzungszeit hergestellten französischen Films war nicht so sehr seinen künstlerischen Qualitäten als seiner politischen Finesse zuzuschreiben.

Der Regisseur Jean Delannoy hatte vorher nur ziemlich belanglose Durchschnittsfilme gemacht und schuf auch in "Pontcarral" einen nicht besonders guten und eher etwas vulgären Abenteurerfilm aus dem Milieu Louis XVII.

Der Drehbuchautor Bernard Zimmer aber hatte es verstanden, die Restaurations-Periode zu Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts so zu schildern, daß eine gewisse Parallele zur Vichy-Regierung in subtilen Anspielungen betont wurde, die für das Pariser Kinopublikum ebenso verständlich wie erheiternd waren. Dem Zensor waren diese Anspielungen entweder entgangen oder nicht wichtig genug, um deshalb den Film zu verbieten.

Was die Engländer von diesen Filmen hielten

Wie sehr die sachliche Beurteilung eines Films damals durch politische Erwägungen gefärbt wurde, ergibt sich umgekehrt aus der Tatsache, daß derselbe Regisseur Jean Delannoy zwar nicht in Frankreich, dort galt er als Schöpfer des „Pontcarral" gewissermaßen als Nationalheld, wohl aber in England aufs schärfste wegen der angeblich „collaborationistischen" Tendenz seines "L'Eternel Retour" angegriffen wurde. Man behauptete, die Verfilmung von „Tristan und Isolde" nach einem Manuskript von Jean Cocteau sei eine Glorifizierung des „nordischen" Mythos und somit eine Anbiederung an die Nazis.

Es gab da auch sonderbare Themen in Frankreich . . . .

Cocteau schrieb auch das Drehbuch zu „Les dames du Bois de Boulogne" für Robert Bresson, eine nach einem Stoff von Racine bearbeitete Schlafzimmer-Intrige, in der nicht nur die Bosheit betont ist, sondern vor allem jene Abgewandtheit von der eigenen Zeit, die der gleiche hochbegabte Regisseur auch in „Les anges du peche" zum Ausdruck brachte.

Dieser Film, von Jean Giraudoux mit außerordentlicher Präzision geschrieben, führt in die Abgeschiedenheit der nur symbolisch mit dem Zeitgeschehen verbundenen Mißgunst der Nonnen, die auf Gegenseitigkeit beruht, solange Hoffart und Geltungsdrang hinter dem Schleier der Demut verborgen sind.

. . . . und mehrere bedeutende Filme

Eine gewisse Art hochmütiger geistiger Isolation kennzeichnet viele französischen Filme jener Epoche ebenso wie ihre pessimistische Grundhaltung.

Das gilt sogar für den später durch seine handfesten, obschon seltsam hintergründigen Kriminalreißer berühmt gewordenen Georges Clouzot, der in „Le corbeau" die durch anonyme Denunziationsbriefe eines boshaften Arztes vergiftete Kleinstadtatmosphäre gestaltet.

Es gilt noch mehr für Claude Antant-Laras bedeutendstes Werk „Douce", ein Film, der in seiner gesellschaftskritischen Bitterkeit an Renoirs „Regle du jeu" erinnert und Odette Joyeux in der Rolle eines verdorbenen jungen Mädchens die Gelegenheit zu einer großen schauspielerischen Leistung bot; und es gilt ganz besonders für den bedeutendsten Film, der im kriegsbesetzten Frankreich geschaffen wurde, Marcel Carnes „Les enfants du paradis".

Liebe und Glück in einer aus den Fugen geratenen Welt

Als Prevert und Carne nach jahrelanger Pause an dieses Werk gingen, hatten sie schon am Drehbuch fast ein Jahr gearbeitet. Es ist ein seltsam eindringlicher Film geworden, den man treffend „ein philosophisches Ballett" genannt hat.

Um ihre Grundthese von der Hoffnungslosigkeit echter Liebe und wahren Glücks in einer aus den Fugen geratenen Welt zu gestalten, bedienen sich Prevert-Carne geradezu tänzerisch-pantomimischer Mittel, besonders in der Figur des von Jean-Louis Barrault mit unerhörter Einprägsamkeit dargestellten Pierrots.

Viele solcher Filme durften in NS-Deutschland gezeigt werden

Der deutsche Titel "Kinder des Olymp" ist auch im Sinne der Theatergalerie zu verstehen, in der das Publikum als Zuschauer wie als Mitspieler der großen Lebensmaskerade ansässig ist und das Maskenspiel auf den Boulevards fortsetzt, auf denen unser Held auf der Suche nach der Geliebten in der Masse verschwindet.

Nicht nur dieses bedeutende Werk, sondern auch andere der hier genannten französischen Filme sind in der Kriegszeit in Deutschland zur öffentlichen Vorführung gelangt.

Cocteau-Delannoys „Tristan" -Film „L'Eternel Retour" unter dem Titel Der ewige Bann, Giraudoux-Bressons Klosterfilm „Les anges du peche" als "Die sündigen Engel", Clouzots „Le corbeau" als "Der Rabe" und Prevert-Carnes erster Kriegs-film „Le visiteur du soir" als "Die Nacht mit dem Teufel".

Auch belanglose französischer Filme wurden durch das Goebbels-Ministerium erlaubt

Außerdem bekamen noch eine ganze Reihe belangloser französischer Filme - die meisten durch die vom Goebbels-Ministerium in Paris unterhaltene Firma Continentale - ein deutsches Publikum, das ihnen unter normalen Umständen versagt geblieben wäre; aber da ja während des Krieges die englische und nach 1941 auch die amerikanische Produktion für den deutschen Markt ausfiel, so vergrößerten jene Pariser Erzeugnisse den geringfügigen Prozentsatz von Auslandsfilmen, die damals dem deutschen Publikum zu Gesicht kamen.

Verhältnismäßig wenige von ihnen hatten Zensurschwierigkeiten, während die heimische Produktion, und zwar besonders die anspruchsvolleren Filme es in Punkto Zensur nicht so leicht hatten.

Wolfgang Liebeneiner konnte oft im letzten Moment intervenieren

Es war schon von Harald Braun die Rede, dessen schöner Schumannfilm um ein Haar verboten worden wäre, wenn nicht Wolfgang Liebeneiner im letzten Moment interveniert hätte, und es war nicht das einzigemal, daß dieser mutige Mann seine einflußreiche Stellung riskierte, um anständige Menschen und Kunstwerke vor dem Zorn des Ministers zu schützen.

Solche Hilfestellung war auch für Helmut Käutner nötig. Käutner hatte schon mit "Kitty und die Weltkonferenz" nicht nur das Mißfallen von Goebbels, sondern auch das des Außenministers Ribbentrop erregt.

Es war ein geistreich amüsanter Film mit einer reizenden Rolle für Käthe Haaks blutjunge Tochter Hannelore Schroth. Aber die ausländischen Diplomaten, vor allem die Engländer waren zu liebenswürdig gezeichnet, daher das ministerielle Mißfallen.

Wenn der Josef Goebbels sich richtig ärgerte

Noch mehr ärgerte sich Goebbels über einen Käutnerfilm, der erst im vorletzten Kriegsjahr entstand: "Romanze in Moll". Wie seine französischen Kollegen hatte sich Käutner mit diesem Film in eine andere Welt (Paris), und in ein anderes Jahrhundert (das neunzehnte), „abgesetzt", um das Dreiecksthema der Frau zwischen Ehemann und Geliebten in einem ungemein feinen Kammerspiel zu gestalten, und zwar mit Marianne Hoppe, Paul Dahlke, Ferdinand Marion, die gleichermaßen zarte Pastelltöne auf der Palette hatten.

Goebbels hielt diesen Film zu Beginn des totalen Kriegseinsatzes für geradezu defätistisch, und wieder mußte Liebeneiner in Aktion treten, um zu retten, was zu retten war, und möglichst ohne allzu schlimme Schnitte.

Und es kam, daß sich Goebbels noch mehr ärgerte . . . .

Als der Film "Romanze in Moll" dann das Publikum in erheblich größeren Scharen anzog, als etwa "Kampfgeschwader Lützow", ärgerte sich Goebbels noch mehr und ließ Käutner kommen, um diesen begabten aber widerborstigen Mann zur Herstellung eines überdimensionalen Marinefilms gewissermaßen abzukommandieren.

„Ich bin noch zu jung, Herr Reichsminister", sagte Käutner mit treublauem Augenaufschlag „ich fühle mich einer so großen Aufgabe nicht gewachsen." - „So?", donnerte der verärgerte Minister, „aber der Romanze in Moll haben Sie sich gewachsen gefühlt?" - „Das lag mir mehr", meinte Helmut sehr bescheiden; „ich komme doch vom Kabarett und Theater; von der Marine verstehe ich leider gar nichts."

Aus dem Kriegsmarinefilm wurde ein Seemannsfilm mit Hans Albers

Immerhin wurde Käutner von dem Kriegsmarinefilm dispensiert und durfte statt dessen einen Seemannsfilm drehen, der ihm mehr Freude machte, zumal Hans Albers die Hauptrolle spielte.

Die "Große Freiheit Nr. 7"

Aber schon der Titel machte Schwierigkeiten. „Große Freiheit?" Könnte das nicht mißverstanden werden wie das Schillerwort des Marquis Posa „Geben Sie Gedankenfreiheit", das so oft bei „Don Carlos "-Aufführungen beklatscht wurde? Besser jedenfalls, durch die Hausnummer "Große Freiheit Nr. 7" den Titel ganz unmißverständlich zu machen.

Es wurde ein schöner Film, mit Witz und Verstand und mit Menschen aus Fleisch und Blut, und natürlich mit einer Albersrolle, die dem „blonden Hans" auf den Leib geschrieben war.

Aber Goebbels haßte Albers, weil der sich wieder und wieder geweigert hatte, sich von Hansi Burg, seiner „nichtarischen" Lebensgefährtin loszusagen.

Dazu gehörte damals nicht nur Charakterstärke, sondern auch erheblicher Mut. Und den hatte Albers. Im übrigen war er beim Filmpublikum viel zu beliebt, als daß Goebbels es hätte wagen können, ihn etwa einsperren zu lassen.

Albers hatte mit "Münchhausen" einen riesigen Erfolg

Er hatte gerade erst unter Josef v. Bakys Regie als "Münchhausen" einen riesigen Erfolg im schönsten aller deutschen Farbfilme gehabt. Das war ein großartiges Drehbuch von einem gewissen Berthold Bürger.

Berthold Bürger war aber Erich Kästner

Ein völlig Unbekannter? Den Namen kannte in der Tat kein Mensch, aber der Mann war nicht ganz unbekannt, er hieß Erich Kästner.

In seiner Fachschaft der Kulturkammer hatte er zwar „Schreibverbot", aber das schloß nicht aus, daß er mit stillschweigendem Einverständnis des Ministers zugezogen wurde, um zum 25jährigen Jubiläum der UFA das Drehbuch des Münchhausen zu schreiben. Es wurde ein sehr schöner Film.

Goebbels konnte Hans Albers nicht verhaften lassen

Nein, verhaften lassen konnte Goebbels ihn nicht, aber den neuen Film von Albers konnte er verbieten. Das konnte diesmal auch Liebeneiners Beredsamkeit nicht verhindern, denn Goebbels hatte sich ein Gutachten des Admiral Doenitz besorgt, wonach der Film geeignet sei, das Ansehen der deutschen Marine im Ausland zu schädigen. Albers trinkt nämlich ab und zu ein Glas Grog, und das tut bekanntlich ein deutscher Seemann nie.

Immerhin, das Gutachten des Admirals genügte. Der wahre Grund des Verbots aber - und das wußte jedermann in Deutschland - war eine Frau, die in einer bescheidenen Londoner Emigrantenwohnung saß und geduldig darauf wartete, zu Albers heimzukehren. (Zu jenem Zeitpunkt brauchte sie nur noch etwas über ein Jahr zu warten).

"Die große Freiheit" wurde also von Goebbels verboten

Der Film wurde also verboten, denn es war eine Zeit, in der wichtige Entscheidungen nicht aus sachlichen, sondern aus persönlichen Motiven getroffen wurden, und oft genug ging es dabei, wie im Falle Selpin, um Leben und Tod.

Herbert Selpin hat seinen Widerstand nicht überlebt

Herbert Selpin, ein tüchtiger Regisseur hatte in einem unbesonnenen Moment eine Äußerung getan, die ihm als „staatsfeindlich" ausgelegt werden konnte, und er war Manns genug, es nicht zu leugnen und Goebbels seine Meinung zu sagen.

Er wurde ins K.Z. gebracht und bald darauf erhängt aufgefunden. Ich kannte Selpin nur in der Zeit, da er als junger Regieassistent bei G. W.Pabst arbeitete.

„Ich hatte genug damit zu tun, die Zeit zu überleben!"

Und Pabst selbst? Er war einer der bedeutendsten Regisseure in einer Blütezeit des deutschen Films, die schon fast zwei Jahrzehnte zurücklag, als ich ihn wiedersah. Ich sagte ihm, daß mir sein Paracelsus, trotz Werner Krauss, nicht gefallen habe.

„Mir auch nicht", erklärte der Regisseur lächelnd. Dann fragte ich ihn etwas, worüber ich mir schon lange den Kopf zerbrochen hatte. Was er denn all die Jahre bis zum Ende des Regimes gemacht habe, wollte ich wissen. Er blickte mich durch seine randlose Brille an und lächelte.

„Was ich in all den Jahren getan habe?" erklärte Pabst, „mein Lieber, ich hatte alle Hände voll zu tun, Stoffe abzulehnen." Und dann zitierte er den französischen Aristokraten, den man nach der Revolution fragte, was er denn in dieser gefährlichen Zeit gemacht habe. „Ich hatte genug damit zu tun, die Zeit zu überleben!"

Der Schauspieler Joachim Gottschalk wählte den Freitod

Einer, dem das nicht vergönnt wurde, war der Schauspieler Joachim Gottschalk. Er wählte mit Frau und Kind den Freitod, weil Goebbels ihn zwingen wollte, sich von der „nichtarischen" Mutter seines Kindes zu trennen. Vom Propagandaministerium wurde den Filmschaffenden mitgeteilt, daß es „unerwünscht" sei, zur Beerdigung zu gehen.

Aber viele mißachteten den Ministerbefehl, und von den prominenten Künstlern, die am Grabe des toten Freundes erschienen, sind mir Brigitte Horney, Rene Deltgen, Gustav Knuth, Wolfgang Liebeneiner, Ruth Hellberg genannt worden. Sie erfüllten damit nicht nur eine Anstandspflicht, sie zeigten einen Mut, dem man Respekt schuldet.

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Ergänzendes zur Aufgabe eines Chronisten

Der Autor Heinrich Fraenkel stellt hier etwas Wichtiges klar :

Ich habe zu Beginn der beiden Kapitel, die sich mit der Nazizeit beschäftigen, erklärt, daß es in einer Chronik des Films nicht die Aufgabe des Chronisten sei, nachträglich Lob- und Tadelstriche für die Haltung der Filmschaffenden in jener Zeit zu verteilen.

Es ist ungeziemend, über Menschen zu richten, die unter schwerem seelischen und materiellen Druck standen. Man darf von keinem Menschen verlangen, daß er zum Helden und zum Märtyrer seiner Überzeugung würde.

Wurde er es doch, dann schuldet man ihm tiefen Respekt, besonders wenn man selber das Glück hatte, im Ausland zu leben. Vielen Männern und Frauen in Deutschland schuldet man solchen Respekt, und manche von ihnen waren unter den Filmschaffenden. Sie hatten es nicht leicht, als der Krieg seinem von Tag zu Tag grauenvolleren Ende entgegenraste.

Berlin lag unter Bombenhagel, aber in München und Prag wurde weitergedreht. Es wurden unentwegt Filme gemacht oder geplant, und es gab viele Fleißaufgaben, die doch sinnvoll waren - soweit sie Menschen davor bewahrten, im letzten sinnlosen Einsatz geopfert zu werden.

Mit Deutschland ging fast die gesamte physische Substanz der deutschen Filmindustrie in Trümmer. Aber es blieben einige der Köpfe, die sie mitgeschaffen hatten, es kamen neue Köpfe, junge Menschen, die vom alten Geist am Leben hielten, was lebenswert war und die mithelfen würden, aus Schutt und Asche die deutsche Filmindustrie zu neuem Leben zu erwecken.

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Ein Nachruf auf Emil Jannings

Unter den Könnern von einst aber, fehlte einer, dem es nicht mehr beschieden war, die vielen schönen Altersrollen zu spielen, auf die er sich gefreut hatte, wie nur dieser Vollblutmensch sich auf etwas freuen konnte.

Es gibt Dinge, die man sein Leben lang bereut, und zu denen gehört es, daß ich Ende der vierziger Jahre die einzige Gelegenheit versäumt habe, Emil Jannings noch einmal zu sehen.

Ich kam durch Salzburg, aber die Zeit schien zu knapp, um zum Wolfgang-See hinaufzufahren, und ich beschloß, den Besuch auf die nächste Reise zu verschieben. Das war zu spät.

Frau Gussy hat mir später die letzten Tage geschildert, und die waren eigentlich so, wie es sich für so einen Sonntagsmenschen gehörte.

Emil hat (von seiner Krankheit) nichts gewußt.

Er hatte keine Ahnung, wie hoffnungslos krank er war, und gerade in den letzten Tagen fühlte er sich wohler, als seit langer Zeit. Er hatte viele schöne Pläne, er sprühte von Ideen, und er konnte auch wieder eine Zigarre rauchen und ein Glas Sekt trinken und mit den Freunden plaudern, die zu Besuch kamen.

Als Werner Krauss kam und hörte, daß es sich nur noch um Tage handele, sagte ihm Frau Gussy, daß Emil ihn mit besonderer Freude erwarte, aber er dürfe erst hinauf, wenn er sich völlig in der Gewalt habe. Krauss wischte sich die Tränen ab und ging langsam die Treppe hinauf.

Unten saßen stumm Frau Gussy und ihre Tochter und hörten das dröhnende Lachen der beiden Schauspieler, die so viele gemeinsame Erinnerungen eines arbeitsreichen und glücklichen Lebens hatten.

Nach einer Stunde kam Werner Krauss langsam die Treppe herunter. Er war totenblaß, und sein Hemd war durchgeschwitzt. „Das war die schwerste Rolle meines Lebens", flüsterte er. Dann brach er in einem Sessel zusammen und weinte wie ein Kind.

An nächsten Tag war Emil Jannings tot. Im Garten seines schönen Hauses am Wolfgang-See hat man ihn zur Ruhe gelegt. Der deutsche Film, nie arm an großen Persönlichkeiten, hat seinesgleichen nicht wieder gehabt. Noch nicht.

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