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Über die Blütezeit der Filmstadt Wiesbaden

Unter dem Titel "Rote Rosen und weißer Flieder" wurde 1995 eine begleitende "Retro"-Broschüre aus der Vergangenheit und der kurzen Episode Wiesbadens als Filmstadt erstellt. Eigentlich als Katalog zu einer Ausstellung gedacht, werden doch viele Tatsachen, Einzelheiten und Vorkommnisse der Wiesbadener Studios, der damals in Wiesbaden gedrehten Filmen und von den Wiesbadener Kinos bis Anfang der 1970er aufgezählt. Hier geht es zum Anfang.

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"Wir stecken in einer krisenhaften Situation"

Ein aktueller Lagebericht zur Filmproduktionsszene in Wiesbaden von Claudia Bibo

Seinen hundertsten Geburtstag feiert der Film dieses Jahr (1995) - und alle feiern mit. Auch Wiesbaden läßt den Jubilar hochleben. Das erinnerungsträchtige Datum scheint jedoch die hiesigen Filmproduktionen nur wenig zu berühren.

Statt fröhlicher Ovations macht sich ganz normale Produktionsroutine breit. "Ich weiß nicht, woher jede Form von Filmjubel kommen soll", lautet der trockene Kommentar von Odeon-Film-Produzent Joachim Mendig. Nicht ohne Grund. Die größten Stücke von der medialen Geburtstagstorte sind längst vergeben.
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Jahrelang hat Wiesbaden die Chance verspielt .....

..... zu einer Medienstadt mit entsprechender Infrastruktur zu avancieren. Anfragen von Viva, Vox, RTL2 und Tele5 lagen vor, sich in der hessischen Landeshauptstadt zu etablieren. Doch die Stadt machte sich nicht genügend für den hessischen Standort stark, war nicht bereit, Bürgschaften zu übernehmen.

Saßen etwa die Bürgschaftsverluste von Anfang der fünfziger Jahre noch so tief, daß man es jetzt vorzog, lieber abzuwarten? Köln reagierte jedenfalls mit mehr Umsicht, stellte beispielsweise für RTL2 eine Gewerbefläche zur Verfügung.

Inzwischen ist Köln neben Berlin, München und Hamburg als Medienmetropole immer mehr im Gespräch. Aus Wiesbaden hingegen wanderten in den vergangenen Jahren viele, nicht nur kleinere, Filmproduktionen ab, hatten sie doch in anderen Bundesländern bedeutend mehr an Unterstützung zu erwarten.

Seither ist es seltsam still um die Stadt mit dem einstigen UFA-Star-Flair geworden. "Die filmpolitische Bedeutung Wiesbadens ist genauso provinziell wie Wiesbaden selbst", meint Ifage-Geschäftsführer Knetschke und steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Für Fred Dengel, sein Vater Edy war der erste Filmpionier Wiesbadens, gab es gar "nie eine Filmstadt Wiesbaden." (1)
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  • Anmerkung : Die Dengels waren immer Ur-Biebricher und nie Wiesbadener. Biebrich wurde zwangseingemeindet und schmückte sich danach mit Biebricher Lorbeeren, die Wiesbaden nie zustanden.

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Jürgen Karg vom Filmbüro Hessen sagt

"Wir stecken in einer krisenhaften Situation", bringt Jürgen Karg, Geschäftsführer der Hessischen Filmförderung beim Filmbüro Hessen, das Dilemma auf den Punkt.

105 Anträge mußte das Filmbüro dieses Jahr wegen mangelnder Mittel ablehnen. Die Bilanz der hessischen Filmförderung für 1995 stimmt nicht gerade euphorisch: Trotz Filmförderrichtlinien stellt der Landeshaushalt laut Karg den "lächerlichen Betrag" von rund 400.000 Mark (davon 120.000 Mark für Produktionsförderung) für Hessen bereit.

Statt Mittelknappheit schweben über der bayerischen und nordrhein- westfälischen Filmwirtschaft ganz andere Summen. In Bayern beläuft sich z.B. der Gesamtansatz auf rund 27 Millionen Mark (Produktionsförderung 20 Millionen Mark), der Etat der Filmstiftung NRW beträgt sogar satte 40 Millionen Mark. Unschwer läßt sich an diesen Zahlen ablesen, daß dort in Sachen Medien ein anderer politischer Wind weht.

"Die wirtschaftlich wichtige Bedeutung der Filmproduktionsfirmen hat das Wirtschaftsministerium bislang völlig unterschätzt", gibt Hannelore Hirsch vom Amt für Wirtschaft und Liegenschaften zu bedenken.

Der Wirtschaftsfaktor Film und Medien sichere nicht nur städtische Gewerbesteuer, auch das Wiesbaden-Image und zweifelsohne der Einzelhandel von der Gastronomie bis zum Hotelgewerbe könnten hiervon profitieren.

Zudem tragen Filmfirmen den Namen Wiesbadens positiv über die Region hinaus - eine Qualität, die man hier erst spät erkannte.
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Das Kulturamt hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben

"Wirtschaftliches oder kulturelles Potential zieht neue Unternehmen/Institutionen nach sich", heißt es zwar so treffend in einem 1987 vom Kulturamt in Auftrag gegebenem Gutachten (2), doch die Stadt blieb ihrem einmal eingeschlagenen filmpolitischen Kurs treu.

Den Ruhm und Namen, den sich Wiesbaden als Filmstadt machte, ist einzig auf das Engagement ansässiger Firmen zurückzuführen. Besonders im Studiokomplex Unter den Eichen gab es von 1949 bis 1957 eine rege Filmproduktion (AFIFA-Atelier) mit bekannten UFA-Stars; von hier sendete das ZDF (1963 bis 1984).

In Wiesbaden wurden aber auch die Mainzelmännchen erfunden (NFP Animation Film), und die gemeinsamen Filminstitutionen der Bundesländer (Filmbewertungsstelle, Stiftung Kuratorium junger deutscher Film) haben ihren Sitz in der Landeshauptstadt.

Einen Einschnitt in diese Entwicklung bedeutete zweifelsohne der Umzug des ZDF nach Mainz; kurz zuvor (1982) hatte die Landeshauptstadt bereits ihr cineastisches Renommee durch den teilweisen Wegzug des Deutschen Instituts für Filmkunde (DIF) nach Frankfurt eingebüßt.

Heute verfügt das DIF über zwei räumlich getrennte Standorte, was sich auf die Arbeitsweise einer Institution - gelinde gesagt - sehr ungünstig auswirkt.
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Das kulturelle Prestige ist lange verspielt .....

Das kulturelle Prestige verspielt, technische Innovationen nicht genügend vorangetrieben, so könnte man die medienpolitische Situation Wiesbadens Anfang der achtziger auf einen prägnanten Nenner bringen.

"Die Studios der Taunus-Film hätte man modernisieren können und auch eine andere PR betreiben müssen", meint rückblickend Ifage-Geschäftsführer Knetschke, der wie alle seine Kollegen von jeder Förderung unabhängig arbeitet.

Dann hätte das Gelände Unter den Eichen eine Chance gehabt, Traditon oder Kontinuität weiterzuentwickeln. Statt dessen zwangen die Zeichen der Zeit zu Neuorientierung. Peu ä peu trugen vor allem die kleinen Mosaiksteinchen, nicht eine Firma alleine, zu Wiesbadens Ruf als Filmstadt bei.

Derzeit sind rund 60 Firmen der Bereiche Produktion, Bearbeitung und Zubehör in Wiesbaden fest ansässig. Ein neuer Kommunikationsstützpunkt hat sich auf dem Gelände Unter den Eichen etabliert. Die "young and restless" aus den Bereichen Public Relation, Werbung, Bearbeitung und Zubehör nutzen die Vorteile des Standortes:

"Mit einer kleinen Firma können Sie aus dem Network schöpfen, Wege eingrenzen und Kosten sparen", meint Martin Gallion, der sich 1994 mit seiner Werbefirma Act! auf dem Ifage-Gelände niederließ.

Andreas Stöcker (stöcker & friends, seit 1992) gibt seinem Kollegen Recht und ergänzt, daß vor allem kleine Firmen andernorts (z.B. Köln) "wohl kaum an große Aufträge kommen". Der Wiesbadener Studiokomplex schöpft die Vielfalt an Möglichkeiten von Kommunikation aus, so daß neue Wege der Nutzung im Film- und Video-Segement beschritten werden können (z.B. Motivationstraining via Business-Theater).
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Wiesbaden durfte nur noch "zuliefern" ....

Trotz mangelnder Förderung haben ebenfalls einige traditionsreiche Firmen die Idee der Filmstadt Wiesbaden nach draußen transportiert: International bekannte Filme, wie FARINELLI (Regie: Gerard Corbiau), werden beispielsweise von Firmen wie der Klaus Pille GmbH (1974 gegründet) komplett mit Filmgeräten, Kameras und Kamerabühne beliefert.

Die in zwölf Wochen abgedrehte deutsch- französisch- spanische Co-Produktion - mit dem Oscar nominiert und mit dem Golden Globe ausgezeichnet - schätzt man als die wohl aufwendigste europäische Filmproduktion für 1995 (rund 17,5 Millionen Mark) ein.

Auch das Bedienungspersonal für Beleuchtung und Bühne (23 Mitarbeiter) für den Historienfilm über das Leben des Kastraten Farinelli stellte Klaus Pille. Oberbeleuchter Stephan A. Rother und seine 12-köpfige Crew waren an den verschiedenen Drehorten in Spanien und Deutschland mit bis zu 150 kWatt Tageslicht zugegen.

Kulisse für die aufwendigen Opernszenen im Nobility-Theatre, in dem der legendäre Günstling Phillips V. und Ferdinands IV. in Konkurrenz zu Händel größte künstlerische Erfolge feierte, bot das Markgrafentheater von Bayreuth.
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Zum Glück kamen ein paar Fernsehserien nach Wiesbaden

An den Ruf als begehrte Filmkulisse - in den zwanziger und fünfziger Jahren entdeckten viele Produktionsfirmen Wiesbaden bereits als Drehort - knüpfen vor allem die breiten Publikumsgeschmack bedienende Fernsehserien an.

Ob Ärzte, Pfarrer oder Polizisten, die hessische Landeshauptstadt mischt heftig am offenen Drehbuch mit und bietet sich von einschlägigen Szenekneipen bis zum Spielkasino oder Rathaus mit verschiedenen Schauplätzen als Drehkulisse an.

Das Ergebnis: Eindeutig regional erkennbare Serien tragen die Handschrift Wiesbadener Produktionsstätten. Odeon-Film zeichnet bereits seit 1979 u.a. für EIN FALL FÜR ZWEI (derzeit: 135 Folgen) oder für die Kultserie DAS NEST mit Hauptdrehort Adelheidstraße (1986-1991, 52 Folgen) verantwortlich.

Bereits im dritten Jahr läuft SCHWARZ GREIFT EIN unter der Regie von der in den fünziger Jahren gegründeten Ifage und die von der TeleTaunusfilm produzierte neueste SAT 1-Serie KURKLINIK ROSENAU (Sendetermin: Herbst 1996) wählte für das Phantasieörtchen Mürrenberg das Frauensteiner Privatkleinod Schloß Sommerberg als Drehkulisse.
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Die Hoffnung stirbt zuletzt - auch in Wiesbaden

Überregionalen Ruf genießt aber nicht nur die Taunus-Film Gmbh (1953 in Herne gegründet) in den Bereichen Produktionen (u.a. RTL HESSEN LIVE), Events, Dekorations- und Messebau und der Postproduktion (Normwandlung bei der Fußball-WM).

Neben diesem größten privaten technischen Dienstleistungszentrum für Film- und Fernsehproduktionen im Rhein-Main-Gebiet haben sich auch kleinere Produktionsfirmen durch Fachkompetenz und Spezialgeräte in ganz Deutschland einen unverwechselbaren Namen gemacht.

In puncto Umkopierungen von Archivalien auf moderne Sicherheitsfilme, eine Restaurationsarbeit, die mit dem optischen Printer (Fachjargon: Oxberry) bewerkstelligt wird, ist die Firma Jürgen Mettmann - Optical Effects (Sitz: Unter den Eichen, seit 1974) im Rhein-Main-Gebiet einzigartig.

In Deutschland verfügen derzeit nur zwei Firmen über eine derartige optische Kopierbank, um die im Laufe der Jahre stark geschrumpften Nitrofilme wieder aufzuarbeiten. Trickkameramann Bernhard Weidner hat mit viel Liebe zum Detail bislang Kilometer von Archivfilmen umkopiert. Bevor die alten Filme (u.a. von Murnau und Messter) in das Naßbildfenster, das sogenannte wet-gate, des Projektors eingelegt werden, sind komplizierte Vorarbeiten wie das Ausbessern der Perforation und das Erneuern von Klebestellen notwendig.

In Sachen Beleuchtung verfügt die älteste Filmgesellschaft Wiesbadens, die Fred-Dengel-Filmproduktion (1919 als Axa-Film gegründet), über ein breitgefächertes, teilweise einzigartiges Equipement.

Mit ihrem in Europa ausnahmslosen "Bulli" (12.000 Watt Tageslicht-Scheinwerfer auf Hydraulikarm) werden z.B. nächtliche Außenaufnahmen für WETTEN, DASS perfekt ins richtige Licht gesetzt.

  • Anmerkung : Und dann kam die Amöneburger Dengel Filmprdukltion ins Schleudern und mußte Konkurs anmelden. Das Equipmnt war hoffnungslos überaltert und wurde nicht mehr angemietet.


Bei so viel Engagement und Eigeninitiative der hiesigen Medien- und Filmlandschaft bleibt zu hoffen, daß das Jubiläum "100 Jahre Kino" für Land und Stadt ein Anstoß zum Umdenken wird.

  • Anmerkung : Das war der Traum von 1995.

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Wolfgang Grass blickt optimistisch in die Zukunft

Wolfgang Grass, Geschäftsführer der Taunus-Film, blickt jedenfalls optimistisch in die Zukunft. In den filmpolitischen Ambitionen von Staatssekretär Suchan sowie der Novellierung des Landesmediengesetzes, die die Ansiedlung privater Sender möglich macht, sieht er erste Ansätze einer Neuorientierung: "Ein leises Pflänzchen in Sachen Filmförderung tut sich im Land Hessen auf. " (Hai-lights, Nr. 8, Juni 1995, S. 32-33, durch die Autorin aktualisiert und ergänzt.)
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Quellen und Verweise

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  1. (1) Fred Dengel in einem Interview Anfang Mai mit der Stadt/.eitung Hai-Lights. Dengel verstarb am 2. Juni 1995
  2. (2) Gutachten über die Film- und Mediensituation der Landeshauptstadt Wiesbaden mit Vorschlägen für eine langfristige kommunale Film- und Medienarbeit - im Auftrag des Magistrats - von Rosemarie Schatter. Stand: April 1987. S. 17

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