Sie sind hier : Startseite →  Kino-Historie→  1985 - Eine Berliner Kino-Chronik→  Lichtspielhäuser im 3.Reich Teil II

Ein Artikel über die Architektur der Berliner Paläste

Insbesondere die "UFA" hatte von Anfang an nur ihre Kino-Paläste im Fokus. Die Menschen sollten bereits von dem Drumherum begeistert sein und möglichst oft ins Kino gehen. Der überwiegende Text stammt aus einem Architektur-Büchlein eines Frankfurter Historikers. Die einführende Seite steht hier.

.

Die immense gesellschaftliche Bedeutung des Kinos

Bereits 1914 wurde die immense gesellschaftliche Bedeutung des Kinos erkannt. Die Soziologin Emilie Altenloh erklärte lapidar, derzeit seien «derartig verwaschene Begriffe wie Oper- und Kinodrama vielleicht die einzig möglichen Mittelpunkte, um die sich die Massen scharen *11) würden.

In der «Deutschen Bauhütte» wiederum wurde der Zusammenhang zwischen der Funktion des Kinos als Zentrum der Massen und der Lichtspielarchitektur gesehen:

«Die Kinoindustrie ist ... mit Hilfe von besonders vornehmen Theatern (imstande), die Besucherzahl in großen Mengen heranzuziehen. *12)

Das Kino - von Läden, Cafes und Restaurants umgeben

Bild 5 - G. Pinette: Lichtspielhaus Witteisbach, Berlin, 1913

Das Prinzip schließlich, womit gleichzeitige Theaterbauten so anziehend zu wirken vermochten, prägte auch die Kinos: Aus der Not eine Tugend machend, boten die meist mit Ladeneinbauten versehenen, von Cafes und Restaurants umgebenen und zwischen Geschäfts- und Warenhäusern eingezwängten Lichtspieltheater bauliche Kompromisse zwischen Monumentalität und Intimität.

Vom Lichtspielhaus Witteisbach (Architekt G. Pinette, 1913), einem der letzten vor Beginn des Ersten Weltkriegs gebauten Kinopaläste, dessen Gesamterscheinung trotz Jugendstil an die
Archaik der übrigen Großbauten anknüpft, hieß es bezeichnenderweise:

«Die Straßenfront mit einem antik-tempelartig gegiebelten Mittelbau ... wirkt bei äußerster Schlichtheit sehr eindrucksvoll und programmatisch ... Das Vestibül ist geräumig und ... intim-imposant angelegt. *13)

Die zwanziger Jahre - der Durchbruch der Kinos

Die zwanziger Jahre verhalfen der Kinoarchitektur zu ihrem endgültigen Durchbruch. Sie wurde nicht nur infolge der bedrückenden Situation «zum Hort der geplagten Menschen *14), "wo" - in denen Unruhen, Zusammenbruch und der Verlust des für viele rückblickend als Inbegriff von Glück und Zufriedenheit erscheinenden Kaiserreichs vergessen werden konnten.

Als ausschlaggebend für die Hochblüte des deutschen Kinos und seiner Baukunst erwies sich die prekäre Lage der von Rohstoffen und Märkten isolierten deutschen Industrie:

Das Filmgeschäft bot als Investitionbereich achtbaren Ersatz; innerhalb kurzer Zeit avancierten Filmgesellschaften wie Ufa oder Tobis zu Riesenunternehmen, die nicht nur alljährlich unzählige Filme produzierten, sondern auch den Kinobau zu einem der wichtigsten Zweige des öffentlichen Baugeschehens machten.

Die einzig repräsentativen Aufgaben im öffentlichen Baugeschehen

Lichtspielhäuser stellten, neben einigen wenigen Großbauten für Konzerne oder Behörden, zeitweilig die einzig repräsentativen Aufgaben im öffentlichen Baugeschehen. Während im Großteil der entstehenden Bauten jedoch mit dem Scheinsieg Neuen Bauens Stimmungskunst endgültig verabschiedet schien, bewahrte das Kino sein Recht auf Illusionen.

Inmitten der gesellschaftlichen und baulichen Tristesse setzten die Lichtspielhäuser Glanzlichter. Sie wurden, vor allem in den ersten Jahren nach Ende des Krieges, zu Bindegliedern zwischen dem bewährten, feierlich-beharrenden Formenschatz und dem Elan des Neuen Bauens.

Verächtlich schilderte Siegfried Kracauer in seinem Essay über den Kult der Zerstreuung die Anziehungskraft der Illusionspaläste:

«Die großen Lichtspielhäuser in Berlin sind Paläste der Zerstreuung ... Gepflegter Prunk der Oberfläche ist das Kennzeichen dieser Massentheater ... (hier) eröffnet die Architektur Stimmungs-Kanonaden auf die Besucher ... Die Gemeinde kann zufrieden sein, ihre Versammlungsorte sind ein würdiger Aufenthalt. *15)

Der Erfolg von Kinoarchitektur basiert auf ???

Der Widerwille schärfte den Blick für die Qualitäten des Kinos: präziser ließe sich kaum ausdrücken, worauf der Erfolg von Kinoarchitektur gründete, worin die eigentliche Bestimmung der Bauten lag.

Im verächtlichen Wort vom gepflegten Oberflächenprunk verbirgt sich die Fähigkeit der Kinoarchitekten, architektonische Würdeformen zu popularisieren; im Spott, der die Besucher als Gemeinde höhnt, tritt die kultisch-suggestive Wirkkraft, die Funktion des Kinos als Gefühle stimulierende Stimmungsarchitektur zutage.

Zugleich wird damit deutlich, worin die Affinität des Kinobaus zu den Baugewohnheiten im Faschismus hegt: ausstellendes Prunken, vordergründige Gepflegtheit waren auch hier die Basis atmosphärischer Manipulation, Stimmungs-Kanonaden eröffneten, wie im Kino, die Bauten im Dritten Reich durch sorgfaltig ausbalancierte bauliche Collagen aus Motiven der Geschichte und modernster Baukunst.

Das Atrium (1919)

Eines der ersten nach dem Krieg gebauten Großkinos wurde wieder von Oskar Kaufmann entworfen. Das Atrium (1919) bewegte sich noch ungebrochen im Umfeld des zuvor praktizierten, klassisch-asketischen Stils:
.

Bild 6 - O. Kaufmann: Atrium, Berlin, 1919


Die konvex geschwungene Fassade wölbt eine von kolossalen Vierkantpfeilern beherrschte und mit einer ausnehmend hohen, dreifach gestaffelten Attika versehene Schaufront in den Straßenraum. Das niedrige Erdgeschoß besteht aus einer dichten Reihe von schachtartig eingeschnittenen Portalen, zwischen denen massive, gestaucht wirkende Rechteckpfeiler angeordnet sind. Die Mitte markiert eine Vorhalle, die in ihrer Massivität gleich einer auf Grundformen reduzierten Ehrenhalle dem Bau vorgelagert ist.

Ein kantiges, mehrfach gestuftes, (über)breites Gesims trennt Untergeschoß und Hauptfront. Auf dieser wechseln mit ausladenden, scharf konturierten Deckplatten bekrönte Pfeiler mit rechteckigen Türöffnungen, welche auf einen umlaufenden Balkon führen.

Jede ist mit breiten Steinbändern gerahmt, über dem Sturz springen jeweils mächtige Giebel vor. Neben den Türen bilden lukenartig-schmale Fenster knapp unterhalb des schier endlos gestuften Traufsimses die einzige Öffnung des mächtigen Wandrunds.

Als Überbleibsel des Formenüberschwangs gründerzeitlicher Theater wie als Zugeständnis an das schaustellerische Metier wirken Agraffen (stilisierte Filmbänder?), die Pfeiler und Türstürze schmücken.
.

Die Kolossalität der Bauten am Berliner Runden Platz

Bild 7 - A. Speer: Runder Platz, Berlin, um 1936 (Modell)

Die Ähnlichkeit der kargen Kolossalität des Atrium mit der nach 1933 üblichen (speziell der Bauten zum Beispiel am Berliner Runden Platz) ist verblüffend. Daß mit Kaufmanns Bau ein allgemeines Bedürfnis nach klassisch zeitlosen Großformen beinahe perfekt befriedigt war, daß zugleich in ihm die spätere Bevorzugung eben dieser Architekturen sich vorbereitet, erhellt die Kritik des Theater- und Lichtspielhaus-Experten Paul Zucker.

Er unterscheidet 1931 - während ringsum das Streben nach Klassik erstarkt - säuberlich zwischen den zeitlosen und den überholten Momenten der Fassade. Als solle das Grundrezept für die Baukunst des folgenden Jahrzehnts geliefert werden, erläutert Zucker:

«Leider wird die architektonische Gesamtwirkung der Fassade durch die kunstgewerbliche Art der plastischen Ornamentik zum Teil zerstört. Sie ist in ihrer pseudomodernistischen Auffassung allzu stark an die Jahre der Inflation gebunden und wirkt daher heute schon völlig überholt. *16)

Eine kleine Statistik aus 1930

1921 existierten 3.791 Kinos in Deutschland, 1930 waren es bereits 5.059. - 1927 beispielsweise hatten die Filmbesuche die Zahl von 337.342.000 (337 Millionen) erreicht. Die Kinobaukunst trug dem Rechnung.
.

Die Ufa plante ein Musterkino

Stadtteilkinos nahmen an Bedeutung zu, die Kinopaläste der Vorkriegszeit wurden ständig erweitert. Die Ufa plante ein Musterkino, dessen idealtypische Architektur in allen deutschen Städten - gleich wie Mutterklöster ihren Filiationen die Bauformen weitergaben - dem Führungsanspruch der Filmgesellschaft architektonischen Nachdruck und Allgegenwart schaffen sollte.

  • Anmerkung : Heute zwischen 2000 und 2020 sieht man das bei den großen Discounter- Filialketten Aldi, Lidl, Norma usw. Die Einkaufshallen (die Bauten) sind alle gleich nach Schema "F" geplant und alle gleich ausgestattet.


Deutschland galt mittlerweile als das Land, in dem Kinoarchitektur sich endgültig zur seriösen Baukunst aufgeschwungen hatte. Während in den USA und den europäischen Ländern die Bauphantasie sich in bizarren, exotischen Traumpalästen austobte, boten die Kinobauten der Deutschen Republik "soignierten" Glanz.

Neues Bauen - nannte man das

Neues Bauen auf dem Höhepunkt verband sich, entlastet vom selbstauferlegten Zwang zur Askese, mit der bereits bewährten Formenlust. Die ansonsten verpönte Illusion, das Kino-Recht auf Stimmungsarchitektur, stachelte die Architekten zu Entwürfen an, die, bis heute wenig beachtet, zum Besten des Bauens der zwanziger Jahre zählen.

Bild 9 - F. Wilms: Mercedes-Palast, Berlin, Utrechter Straße, Entwurfszeichnung, 1926/27

Die Mercedes-Paläste von Fritz Wilms

Fritz Wilms, Spezialist für Lichtspielhäuser, entwarf für Berlin eine Reihe von Mercedes-Palästen. Seine Bauten, in Einzelheiten offen für modische Applikationen, steigerten die archaisch-orientalischen Tendenzen der Kinoarchitektur zu Gebäuden, deren zwischen dem Pathos archaischer Monumente und der Schlichtheit Neuen Bauens schwebende Gesamterscheinung unfreiwillige Vorwegnahmen der Staatsbauten bietet.

1926/27 - Der Mercedes-Palast an der Utrechter Straße

Bild 8 - F. Wilms: Mercedes-Palast, Berlin, Utrechter Straße 1927/28

An der Utrechter Straße stand seit 1926/27 ein Mercedes-Palast, der sich über die Fläche eines ganzen Wohnblocks ausdehnte. Eine hohe Schauwand grenzt die Rückseite ab, die Seitenfronten bieten außer endlosen Wandflächen lediglich eine gleichförmige Folge von Portalen, deren klobig-steinerne Rahmung, aneinandergereiht von einem vorspringenden, mit Steinplatten verkleideten Sockel, das dumpfe Stackato der Türreihen Speers, Brinkmanns oder Ludwig Ruffs vorwegnimmt.

Wie das staunenerregende Ergebnis eines Zeitsprungs erhebt sich an der straßenzugewandten Ecke des Mercedes-Palasts ein altägyptischer Turmschaft. Das Unterschoß - beinahe so hoch wie das eigentliche Kino - besteht aus einer offenen, wuchtig-hohen Pfeilerhalle.

Darüber lastet, gleichwie ein zyklopischer Pharaonensarkophag, ein gewaltiger Baublock, dessen einzige Aufgabe scheinbar im Präsentieren von Werbeplakaten besteht.

Ein filigranes Steingebilde, Mischung aus maurischen Stalaktitenbalustraden und expressionistischem Zierat, schließt über dem ägyptisierenden Kranzgesims das Ganze ab.

Allein diese Zutat ist es, die den Mercedes-Palast als typische Kinoarchitektur kenntlich macht. Das suggestive Herrscherpathos des Übrigen wechselt in Bauten wie Wilhelm Kreis' 1942 entworfenen Ehrenmal für die Panzerdivision in Afrika, vom Filmvergnügen zum Staatskult.

1927/28 - der Mercedes-Palast in Berlin-Neukölln

Der 1927/28 in Berlin-Neukölln errichtete Mercedes-Palast, ein freistehendes, streng symmetrisches Bauten-Ensemble, ist das eindrücklichste Beispiel für Wilms altägyptisch-neusachliche Kinopaläste.

Pavillons flankieren eine weite Vorhalle, die sich aus schlank-hohen Pfeilern, un-dekorierten Wandfeldern und tiefliegenden, rechteckigen Portalöffnungen zusammensetzt. Während die strenge Würde der Seitenbauten unter Reklameschildern und biedermeierlich dekorierten Schaufenstern unkenntlich wird, bietet die Vorhalle mit ihren nackten Wandflächen, ägyptisierenden, schweren Gesimsen und auf Sockeln postierten Leuchtern ein überzeugendes, rudimentäres Abbild archaischer Kulthallen.

Der Hauptbau, vollkommen fensterlos, mit Akroter ähnlichen Gebilden und einem altägyptischen Sims-Kranz wirkt vollends wie eine schwerfällig einschüchternde, zyklopische Cella.

Die Berliner Deutschlandhalle, die Dresdner Gauhalle oder die Paläste des Weimarer Adolf-Hitler-Platzes zum Beispiel setzten nach 1933 das Herrschaftspathos des Mercedes-Palasts für ihre Zwecke um.

Die Theatralik von NS-Architekturen

Bild 10 - W. Kreis: Entwurf für das Ehrenmal Berka, 1932

Die Entwurfzeichnungen Wilms' für weitere Kinos enthüllen in ihrem realitätsgebundenen Dramatisieren noch deutlicher Quellen der Theatralik von NS-Architekturen.

So thront auf der Zeichnung für eine «Schauburg» über hohen Treppen ein Pfeilerportikus gleich den Fronten der Sportakademie oder des Wehrkreisgebäudes in Kassel; ein turmartiger "Risalit" mit ägyptisierendem Dekor überträgt Assyrien-Ägypten in das aktuelle Baugeschehen wie wenige Jahre später Wilhelm Kreis' Entwurf für das Ehrenmal Berka oder Hermann Gieslers pylonenartig aufragender Hauptbau für die sog. Hohe Schule der NSDAP am Chiemsee.

Die Mercedes-Paläste, Höhepunkte einer Tempelkunst

«Es wurden zahlreiche Kinoneubauten errichtet, deren typisch puristische Architektur nicht nur durch Inflation und schlechte wirtschaftliche Lage bedingt war ... Bezeichnend für die Kinohausarchitektur Deutschlands war der <sachlich-funktionale> Kinobau, der sich im Zusammenhang mit der aktuellen Architekturdiskussion um das Neue Bauen ... herausbildete *17), heißt es in einem neueren Sammelband über deutsche Lichtspielhäuser.

Die Mercedes-Paläste, Höhepunkte einer an vielen Lichtspielhäusern zu beobachtenden Tempelkunst, belegen, daß damit keineswegs der Verzicht auf stimmungsvoll-feierliche Gestaltung verbunden war.

A. Wedemeyer, Architekturkritiker und zeitgenössischer Interpret von Wilms' Bauten, erläuterte, was unter der pathetisch-sachlichen Pracht zu verstehen war:

«Festliche Stimmung ist heute für die Feierstunden ... der größten Zahl aller Bevölkerungsschichten ... unbedingtes Erfordernis ... Der Mercedes-Palast ist im wahrsten Sinn des Wortes ein Volkstheater. *18)

Hans Poelzig und Erich Mendelsohn

Auch Hans Poelzig und Erich Mendelsohn, zwei der angesehensten Architekten des Neuen Bauens, widmeten sich dem Kino. Beider Lichtspielhäuser trugen geradezu demonstrativ das moderne Formengut vor.

Trotzdem mischten sich sowohl in Poelzigs gemilderten Funktionalismus als auch in den reduzierten Expressionismus Mendelsohns Anklänge an die Grobklassik der Jahrhundertwende.

Capitol (1926), Titania-Palast (1927), Universum (1928),

Bild 11 - E. Mendelsohn, Universum-Filmpalast, Berlin, 1928

.

Ein Foto nach 1958

Poelzigs Capitol (1926) und Mendelsohns Universum (1928) bieten neben dem Titania-Palast (Schlönbach /Jacobi, 1927) Beispiele, wie unter dem Übergewicht von absolut Neuem die traditionellen klassischen Formen weiterlebten und, begünstigt vom Freiraum der Kinoarchitektur, den zeitgenössischen Gestaltungsweisen sich lediglich anpaßten:

«Also kein Rokokoschloß für Buster Keaton ... keine trockene Sachlichkeit, keine Raumangst ... Phantasie! Phantasie - aber kein Tollhaus, beherrscht durch den Raum, Farbe und Licht. *19)
.

Die schillernde Gestalt seines "Universum"

Mit diesen enthusiastischen Worten rechtfertigte Erich Mendelsohn die zwischen Strenge und Überschwang schillernde Gestalt seines Universum, welches, bekrönt von einem Miniaturpylon, sich mit Rundformen und umlaufenden Glasbändern als würdevoll-strenge Variante des dynamischen Dampfermotivs den Kurfürstendamm für das Neue Bauen zu erobern schien.

Die aus geometrischen Urformen zusammengesetzte Gestalt des Universums mit ihren Anklängen an die Denkmalschwere der sog. französischen Revolutionsarchitektur war offenkundig zu beeindruckend, als daß ihr gesamter Formenapparat auf den von den Nazis errichteten Schutthaufen für Architekturen der verhaßten «Systemzeit» hätte geworfen werden können:

Zu nun endgültig denkmalhafter Starre reduziert, prägen seine Kurven die Umgestaltung des «Hauses der Reichsrundfunkkammer» auf dem Berliner Messegelände (A. Uhlen, 1934).

Der Pariser Weltausstellungspavillon

Speers Pariser Weltausstellungspavillon scheint ebenfalls von Mendelsohns Bau inspiriert; das Signalement von Mendelsohns Pylon wirkt in ihm, überformt von Klassizismen, angereichert mit Anklängen an römisch-antike Grabmonumente, verselbständigt und in die Großform übertragen.

Das Berliner "Capitol"

Bild 12 - H. Poelzig: Capitol, Berlin, 1926

Der ursprüngliche Entwurf für Poelzigs Berliner Capitol sah eine zurückhaltend klassizierende Palastfassade mit aufragendem Mittelbau vor. Tiefverschattete Pfeilerkonstruktionen und -hallen - auf der dramatisierenden Zeichnung erinnern sie an Gillys Mausoleumsentwürfe -, breite, hartkantige Profilleisten und Simse, in mehrfach rückspringenden steinernen Vorlagen wie eingesenkt wirkende Schaufenster lassen das Ganze zwischen funktionalistischem Bürohaus und pathetisch-neoklassischem Botschaftsgebäude schwanken.

Sachzwänge ließen wenig von Poelzigs großangelegtem Palast: «Der heutige Bau stellt einen ... arg verstümmelten Torso dar ... Das eigentliche Lichtspieltheater tritt aus der Reihe der anschließenden Läden nur wenig hervor *20), klagte zu Recht Paul Zucker.

Dennoch blieb einiges an Gradlinigkeit und klassischer Formenstrenge erhalten, um unfreiwillig dem später Üblichen zu demonstrieren, auf welche Weise Alt und Neu, Klassik und Moderne zu vereinen waren.

«... rechtwinklige, kubische Gestaltung von möglichster Klarheit... unter Verzicht auf jegliche Ornamentik *21), erklärte Zucker, seien der Beweis für die außerordentlichen architektonischen Qualitäten des Titania-Palasts.

Schon die Wortwahl Zuckers weist darauf hin, worauf sich die Ideologen des Faschismus bezogen, wenn sie ihre Baukunst als einheitlich, klar, ornamentlos-anständig usw. und damit als der neuen Zeit angemessen ausgaben.

Die Architektur des Titania-Palasts

Schöffler/Schloenbach/Jacobi: Titania-Palast, Berlin, 1926/27

Die Architektur des Titania-Palasts belegt, daß der suggestive Blockschematismus der Baukunst im Dritten Reich zu Recht auf Kontinuität «fortschrittlichen» Formenguts verweisen konnte.

Während die Großformen des Titania mit assymmetrisch verschachtelten Kuben aktuelle dynamisierende Formen bevorzugen, gewinnt an untergeordneter Stelle der künftige Brutalismus Raum.

Die über Eck geordnete Eingangshalle setzt sich mit grufthaft-lastenden Formen entschieden gegen die übrige Architektur ab. Marmorbelag verleiht den Wänden die Ausstrahlung von Härte und unantastbarer Würde; schnörkellos graben sich beiderseits des akkuraten rechten Winkels der Innenwand die schwer lastend wirkenden Portale in das Massiv der Mauern ein.

Ohne Schaukästen und grellbunte Filmplakate wäre die Eingangshalle des Titania-Palasts nur schwer von den Ehrenhallen, Vestibülen und Ausstellungshallen der wenige Jahre später entstehenden Bauten unterscheiden.

Klassik und Archaik in den Berliner Kinopalästen

Klassik und Archaik, das haben die vorangegangenen Ausführungen wohl deutlich gemacht, hatten in den  auch nach dem kurzzeitigen Sieg moderner Bauformen weiterhin das Sagen. Mehr noch, die Vorliebe Neuen Bauens für Reduktionsformen begünstigte das Entstehen von Palastarchitekturen, deren Erscheinung die früheren kompliziert-historisierenden Großbauten der Gründerjahre auf allgemeinverständliche Grundformen zurückführte, ohne die atmosphärische Ausstrahlung anzutasten.

Als wahre Paläste des Volkes wiederum vollendeten die Kinos, was den Theaterbauten versagt geblieben war: in ihnen konnte jedermann erleben, aufweiche Weise Architektur feierlich und doch für jeden verständlich, vornehm und doch für alle offen sein konnte.

Bis hierhin fällt bereits auf, alle Kinos waren "Paläste"

In den Großstädten war Gigantomanie angesagt, je gößer desto besser, sollte es heißen. Doch am Ende waren der Größe eines Kinosaales (also dem Projektionsabstand vom Projektor zur Bildwand) technische Grenzen gesetzt. So konnte die Lichtbogenlampe des Kinoprojektors nicht unendlich viel Licht erzeugen, ohne daß der Nitroflm zu brennen oder gar zu exploderen anfing. Und das kam sehr häufig vor. Die Technik war noch nicht so weit. Und darum war die Bildwand für unsere heutigen Verhältnisse selbst in den Riesen-Palästen "erstaunlich" klein.

.

Der Hamburger Ufa-Palast - das größte Kino Europas

In den übrigen deutschen Großstädten expandierte das Kino (Hamburg zum Beispiel besaß nach 1929 mit dem 2750 Personen fassenden Ufa-Palast das größte Kino Europas).

Im allgemeinen folgten die Lichtspielhäuser dem Beispiel Berliner Kinobauten; in Kleinstädten oder eher traditionellen Bauformen verpflichteten Städten wie Nürnberg entstanden Bauten mit heimatschützlerischen Anklängen.

Das "Capitol" in Köln

Bild 13 - J. Schäfer: Capitol, Köln, 1927/28
Bild 14 - L. Ruff: Phoebus-Palast, Nürnberg, um 1926

Jakob Körfers Capitol in Köln (1927/28) zeigt über einem katakombenhaft niedrigen Eingangstrakt eine weitgedehnte, hermetisch verschlossene Quaderwand.

Schmale, durchlaufende Fensterbahnen, von vorspringenden Steinbändern knapp eingefaßt, schlitzen in regelmäßigen Abständen die unnachgiebig wirkende Fläche - lichtdurchlässige Einschnitte, die den zwischen altägyptischen Tempelfronten und staufischen Kastellwänden schwebenden Eindruck des Ganzen unterstreichen.

Das "Capitol" (1929) in Breslau

In Breslau fand Friedrich Lipps Capitol (1929) mit einem aufgestellten Mittelbau und schräg zugespitzten Wandvorlagen einen imposanten Mittelweg zwischen Backsteingotik und orientalisierendem Kultbau.

Das "DELL" (1927) in Breslau

In derselben Stadt bot Hans Poelzigs Dell (1927) eine kategorisch purifizierte Spielart der Berliner Kinotempel von Fritz Wilms. Dunkel abgesetzte Eingangszonen, darüber eine sparsam durchfensterte, lastende Wand, durchstoßen von einem pylonartigen, kantigen Turmschaft. Eine unvermittelt schräg nach oben laufende Fenstergruppe beschwichtigte die abweisende Wucht.

Der Nürnberger "Phoebus-Palast" (um 1926)

Ludwig Ruff, der wenige Jahre später für die Nürnberger Kongreßhalle verantwortlich zeichnete, schuf in Nürnberg den Phoebus-Palast (um 1926). Als dreiflügelige Anlage mit aufragendem Mittelrisalit verbindet Ruffs Lichtspieltheater heimatschützlerisch geschulte Schlichtheit mit zurückhaltend klassisch-archaischen Anklängen an Schloß-und Tempelbauten.

Breitleibige Rundbögen in den Seitenbauten, untersetzte Rechteckportale im Mittelbau, schwerfällige, ausladende Fenstereinfassungen und drei auf plumpen Konsolen vor der kahlen Wand plazierte Plastiken machen die Gesamterscheinung des Phoebus-Palasts zum abrufbereiten Prototyp speziell der lokale Bautraditionen miteinbeziehenden Bauten im Dritten Reich.

Die Innenraumgestaltung der Lichtspielhäuser umfaßte, was irgend Rang und Namen als Festdekoration für öffentliche Bauten erworben hatte. Die Bandbreite reichte von dramatisiertem Hoftheater bis zu den Raumexperimenten des Neuen Bauens.

Der Berliner "Gloria-Palast"

Bild 15 - E. Bremer/M. Lessing: Gloria-Palast, Berlin, 1925/26

So offerierten zum Beispiel die Säle des Berliner Gloria-Palasts (E. Lessing, M. Breiner, 1925), die Chemnitzer Kammerspiele (E. Basarke, 1925) oder das Atrium raffiniert vereinfachte Abziehbilder der Raumverschwendung barocker Residenzen und Theater.

Das Mannheimer "Capitol" (1926)

Das Mannheimer Capitol (P. Darius, 1926) oder die Mercedes-Paläste adaptierten die elegante Schlichtheit der Berliner Kammerspiele und Volksbühne oder des Münchener Prinzregententheaters.
.

Die expressionistischen Höhlenformen des Titania-Palasts

So rigoros schließlich Poelzig oder Mendelsohn für die Abkehr von Prunk und Protzentum eintraten, ihre Kinohallen, überwältigend in Szene gesetzte Erlebnisräume aus Raumkurven, bizarr gefalteten Deckenkonstruktionen und Podien, standen, wie die expressionistischen Höhlenformen des Titania-Palasts, an Suggestivität und Raffinement den übrigen Lösungen nicht nach.
.

Das Modell eines neuen reichsdeutschen Lichtspielhauses

Am 15.6.1939 stellte die Berliner Zeitung das Modell eines neuen Lichtspielhauses vor. Der von den Architekten H. Fritzsche und F. Löhbach entworfene Bau sollte in Zehlendorf auf dem Gelände eines Wochenmarkts gebaut werden. Wohnbauten links und rechts eines ragenden Hallenbaus mit auftrumpfend hohem Pfeilerportikus; Symmetrie zwischen Klassik, Heimatschutz und Ägypten; das ermüdend einfallslose, tausendste Abbild von Partei- und Gauforen, Gefolgschafts- und Volkshallen.
.

Bild 16 - H. Fritzsche, F. Löhbach: Filmpalast, Berlin, 1939


Einzig die den Portikus schmückende Aufschrift «Filmpalast» läßt den indivduellen Zweck des austauschbar gewordenen Großbaus erkennen. Dennoch leben, wie die Ähnlichkeit zum Beispiel mit Wilms' Mercedes-Palast erweist, die architektonischen Grundformen des Kinos weiter.

Mit anderen Worten: in den während des Dritten Reiches entstehenden Großbauten ist das Kino im Staatsbau aufgehoben wie der Staatsbau im Kino.

Magie und Manipulation, die Triebkräfte der schöpferischen Bauideen des Lichtspielhauses, hatten ihre eigene Domäne verlassen und wurden allgemeinverbindlich.

Der zur Pflicht gewordene Illusionismus

Den NS-Bauten mit ihrem öden Schematismus rasch ausgereizter und bierernst vorgetragener Tempel- und Palastfronten blieb vorbehalten, was Siegfried Kracauer voreilig bereits der Stimmungsarchitektur von Kinos und Vergnügungspalästen zugeschrieben hatte.

Erst der zur Pflicht gewordene Illusionismus schuf wahrhaft «Pläsierkasernen der Angestelltenheere,» in denen «Glanz Gehalt (und) Zerstreuung Rausch wurde *22).

Während die Kinoarchitektur geradezu wagemutig mit Würdeformen und Effektkunst jongliert hatte, bot die neue Baukunst deren disziplinierte Versionen: die Anziehungskraft des Durchschnittlichen.

Die Tempel von Efdu und die Paläste von Persepolis, die Bauten des Xerxes und Nero dienten beiden zum Vorbild, die Kinopaläste jedoch, souverän deren Stimmungen für ihre Zwecke einsetzend, hatten sich die Vorbilder zu eigen gemacht, die Staatspaläste wetteiferten lediglich mit ihnen; im Kino herrschte phantasiereiche Illusion, im Staatsbau die illusionistische Kopie.

- Werbung Dezent -
Zur Startseite - © 2006 / 2024 - Deutsches Fernsehmuseum Filzbaden - Copyright by Dipl. Ing. Gert Redlich - DSGVO - Privatsphäre - Redaktions-Telefon - zum Flohmarkt
Bitte einfach nur lächeln: Diese Seiten sind garantiert RDE / IPW zertifiziert und für Leser von 5 bis 108 Jahren freigegeben - kostenlos natürlich.