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Will Tremper - "Große Klappe" - Meine Filmjahre (aus 1997/98)

Wie damals in Deutschland die Filme "gemacht" wurden und was nicht in den Filmheftchen und auf den Filmplakaten geschrieben stand. Auch vom Weg von der Ideenfindung über das Drehbuch bis zum ersten Drehtag wird viel aus der Schule geplaudert. Und sebstverständlich kommen bei Will Tremper auch die Filmsternchen - auch dei männlichen - nicht zu kurz. Die erste Seite beginnt hier .....

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Einbrecher und andere Dramatiker

Wenn amerikanische Filmleute nach Berlin kamen, landeten sie früher oder später in unserem Garten am Gadebuscher Weg. Meine Frau Karin sah eines Nachts, als sie Hunger bekam und die Treppe hinabschlich, Licht in ihrer Küche brennen.

Am Tisch saß ein hagerer alter Ami und verzehrte genüßlich eine Gänsekeule aus dem Eisschrank. »Hi!« sagte er beim Anblick meiner Frau. »The goose is delicious - and who are you, my dear?«

»Ich bin die Frau des Hauses!« regte sich Karin auf. »Und wer, zum Teufel, sind Sie?«
Der Ami erhob sich zu beachtlicher Länge, wischte sich Mund und Hände ab und sagte: »I'm John Huston, sweetheart!«

Da sie den Namen noch nie gehört hatte, rannte sie durch die Gänge in mein Schlafzimmer und weckte mich mit einem Wortschwall: »Jetzt reicht's mir, verdammt! In meiner Küche sitzt ein Ami und frißt mir die letzte Gänsekeule weg! Und du stellst mir die Leute nicht mal vor, die du ins Haus schleppst! Du legst dich einfach hin und pennst! Steh sofort auf und jag den alten Kerl raus, oder ich bin morgen beim Anwalt! Mir reicht's jetzt!!«

Ich wußte nichts von dem Kerl in der Küche, der ihr den Gänsebraten wegfraß, und murmelte schlaftrunken in die Kissen: »Reg dich ab, das muß ein Freund von Ulf sein. Das geht schon in Ordnung!«
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ein Freund von Ulf ......

Ulf von Mechow, ein Münchner Freund, belegte unser Gästezimmer und schlief längst. Auch er wurde von meiner Frau aus den Federn gejagt und hatte, als er im Halbschlaf die Treppe aus dem ersten Stock herabgestolpert kam, ein Erlebnis der besonderen Art.

Da gab es, auf der Mitte der Treppe, ein schmales Klappfenster nach draußen, in den Vorgarten, und als unser Ulf da vorbeikam, guckte er gewohnheitsmäßig aus dem halboffenen Fenster - direkt in die Visage eines Einbrechers, der sich die Leiter aus der Garage geholt hatte und im Begriff war, ins Haus einzusteigen.

»Ein Einbrecher!« schrie Ulf, nun hellwach. Auch ich fühlte mich jetzt alarmiert, sprang aus dem Bett, machte alle Lichter an und rannte hinter Ulf her. Wir erwischten aber nur noch Hollywoods Meisterregisseur, der sich auf die Suche nach einem Taxi gemacht hatte und an der nächsten Ecke die Rolle einer »verdächtigen Person« spielte. Ulf besorgte ihm ein Taxi zum Kempi, und wir kehrten alle ins Haus zurück.
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Ulf von Mechow war ein Genie - in manchen Dingen

Ulf von Mechow war sozusagen der Chauffeur, Dolmetscher und Mädchenaufreißer von John Huston. In Geiselgasteig bereitete der berühmte Regisseur gerade seinen Freud-Film mit Montgomery Clift in der Titelrolle vor.

Ulf hatte Huston zu einem Wochenendbesuch nach West-Berlin begleitet, ihn im Kempi untergebracht, war mit ihm an der Mauer gewesen, hatte mit ihm zu Abend gegessen und endlos lange mitangesehen, wie er eine hübsche Berlinerin anmachte.

Dann hatte Ulf ihm noch seine Freunde zeigen wollen, bei denen er abgestiegen war, doch die schliefen alle schon. So hatten sie es sich auf unserer Terrasse im Garten bequem gemacht und solange gequatscht, bis der Ulf am Einschlafen war. »Geh ruhig ins Bett«, hatte Huston seinem jungen Freund geraten, »ich bleib noch ein bißchen sitzen und nehme mir dann ein Taxi« - und als Ulf verschwunden war, hatte er sich an unserem Eisschrank zu schaffen gemacht.

Meine hungrige Karin beruhigte sich auch wieder und machte für uns alle Leberwurststullen, ihre Spezialität, die am Nachmittag auch Peter Weiss, den Stockholmer Dramatiker, seine Frau Gunilla, seinen halbwüchsigen Sohn und Uwe Johnson, den Schriftsteller, zu uns gelockt hatte.
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Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marat

Peters Stück "Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marat<" - der Titel ist noch länger, aber ich kriege ihn nicht mehr zusammen - wurde gerade am Schiller-Theater einstudiert und sollte ihn weltberühmt machen. Mit Uwe Johnson, der aus der Zone kam, war ich befreundet, und die Weiss-Familie hielt ihn für den Schlüssel zur »besten Leberwurst, die wir je gegessen haben« und kam jeden zweiten Tag mit ihm zu uns.

Uwe Johnson hatte mit seinen Mutmaßungen über Jakob gerade Aufsehen erregt und knobelte mit mir an einem Ostzonen-Stoff herum, der sich schließlich als untauglich erwies, weil ich nicht geneigt war, seine Anti-Amerikanismen zu akzeptieren. »Du kennst doch gar keine Amis!« habe ich ihm immer wieder vorgeworfen. »Du warst doch noch gar nicht in Amerika!« So bin ich vielleicht mit Schuld daran, daß er bald darauf nach New York flog und eine Zeitlang dort lebte.

Irgendwann, als die Familie Weiss längst wieder nach Stockholm verschwunden war, fragte ich Uwe Johnson mal, wie es seinen Freunden ginge. Er zuckte die Schultern: »Keine Ahnung, das sind doch Freunde von dir!«

»Wieso«, sagte ich, »die hast du doch mitgebracht?« Was er glatt ableugnete. Wir einigten uns darauf, daß es Rolf Hädrich gewesen sein müßte, der in der Schiller-Theater-Werkstatt gerade Max Frisch inszenierte. Es ging eben sehr zwanglos zu am Gadebuscher Weg.

Ein Erlebnis in München im Hotel Vier Jahreszeiten

Tage später hatte ich in München zu tun, rief Huston im Vier Jahreszeiten an und wurde zum Abendessen eingeladen. Als ich ins Hotel kam, stand er noch nackt im Badezimmer und rasierte sich. »Get yourself a drink!« rief er mir zu. Ich nahm mir einen Whiskey und beantwortete ihm Fragen nach dem Zustand meiner Frau und ihrer Gänsekeulen. Wir lachten.

Zwischendurch tauchte Ulf von Mechow auf, sammelte herumliegende Damenunterwäsche ein, holte Maria Perschy aus dem Schlafzimmer und fuhr sie nach Hause. Da wurde plötzlich die Tür vom Salon zum Hotelflur aufgerissen, ein dick bebrillter kleiner Mann schaute herein, rief etwas Unflätiges auf englisch, warf einen Schnellhefter ins Zimmer und schlug die Tür wieder zu.
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Jean-Paul Sartre ist sauer

Huston kam mit einem Handtuch um die knochigen Hüften aus dem Badezimmer und fragte, was los wäre. Ich sagte: »Jemand, der aussah wie Jean-Paul Sartre, hat hereingeguckt, >Idiot< gerufen und ist wieder verschwunden .«

»Oh, my god!« rief Huston, griff sich schnell einen Bademantel und rannte »Jean-Paul! - Jean-Paul!« rufend auf den Flur hinaus. Aber Jean-Paul Sartre blieb verschwunden, und als wir den Portier anriefen, sagte der, Monsieur Sartre sei gerade ins Taxi gesprungen.
»Nein, hinterlassen hat er nichts!«
»Oh, my god!« rief Huston, schwer erschüttert, noch einmal, und berichtete, daß er mit seinem Produzenten Wolfgang Reinhardt das 1100 Seiten starke Drehbuch des Freud-Films von Sartre auf die in Hollywood üblichen 120 Seiten zusammengestrichen habe.

»Es war dumm von uns, es ihm nochmal zu zeigen - das haben wir nun davon!«

Monsieur Sartre hatte die »Eindampfung« seines Manuskripts überhaupt nicht gefallen, er hatte den Sinn eines Drehbuchs, wie die meisten Literaten, mißverstanden; ich konnte es bezeugen.

Er war am Abend in München angekommen, hatte den schmalen Schnellhefter auf seinem Hotelzimmer gefunden, im Nu gelesen und fluchend zurückgelassen, um noch am Abend wieder den Nachtzug nach Paris zu nehmen. »Wir waren doch zum Frühstück verabredet!« jammerte John Huston.

Zum Abendessen kam Wolfgang Reinhardt dazu, den ich seit dem verunglückten Rennfahrer-Film mit Hans Albers schon kannte, und beide Herren ventilierten ausdauernd die Frage, ob Sartre nun seinen prestigeträchtigen Namen zurückziehen würde.

Huston schwor, daß das passieren würde, und war todunglücklich. Doch Reinhardt und auch der kleine Autor Tremper waren der Meinung: »Da er seine letzte Rate noch nicht bekommen hat, wird er's Maul halten!« - Wir behielten recht.
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Die besten Filme dieses John Huston

Für die Filme dieses John Huston konnte ich mich begeistern, hatte schon Lilian Ross' Buch Picture verschlungen und fand auch White Hunter, Black Heart von Peter Viertel über die Dreharbeiten zu Hustons "African Queen" überaus erfreulich, weil die Zustände in Hollywood und London erhellend.

Ich genoß es sehr, bei Peter Viertel zu lesen, daß Hustons einstiger Partner Sam Spiegel vor seinen großen Erfolgen "River Kwai" und "Lawrence of Arabia" im Schuldturm gesessen hatte. Spiegel hatte ich 1949 in München bereits kennengelernt. Huston gab sich zutraulich, spürte meine Verehrung und erzählte auf seine pointiert-dramatische Art freimütig von diversen Schwierigkeiten beruflicher und privater Natur, gab mir Tips und hörte sich ernsthaft an, was mir so durch den Kopf ging.

Kreative Geister »wie wir«, behauptete ich, hätten nur einmal im Leben eine Phase, in der ihnen alles gelinge. Ich erzählte von Käutner und seinen Filmen aus der Kriegszeit, deren Qualität er nach dem Krieg nicht mehr erreicht habe.

Von Peter Kreuder sprach ich, der die wundervollsten Melodien geschrieben hatte und von einem gewissen Zeitpunkt an nicht mehr. Huston nahm seine zehn Finger zu Hilfe, um seine »beste, kreativste Zeit« zu ermitteln: »Also, der "Malteser Falke" gehört dazu, der "Schatz der Sierra Madre" natürlich, "Asphalt Jungk", und "The Red Badge of Courage", auch "African Queen" und "Moulin Rouge" und "Moby Dick" und - "Shit, Piss and Corruption!" - du hast recht, dear Boy: Mit "Beat the Devil" war meine beste Zeit schon vorüber, seitdem mache ich nur noch Mist!«

Was Wolfgang Reinhardt überhaupt nicht gern hörte: »Aber die Misfits!« rief er. »Und warte erst mal, was du aus dem Freud machen wirst, John!«
»Scheiße«, sagte John, das deutsche Wort benutzend. »Auch den Freud mache ich nur, weil ich Geld brauche. Übernimmst du die Rechnung, Wolfgang?«
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Mein rotbäckiger Student Detlev Müller

Keine Ahnung mehr, wer ihn mir ins Haus geschleppt hatte, aber Detlev Müller blieb an mir haften, besuchte mich fast täglich, diskutierte mit mir über Filmstoffe und war äußerst begierig, das Handwerk des Drehbuchschreibens zu lernen, ein rotbäckiger Student mit bravem, kurzgescheiteltem Haar, der in Frohnau wohnte und den langen Weg quer durch Berlin nicht scheute.

Ich benutzte ihn als Medium, erprobte Geschichten an ihm, die ich ad hoc aus einer Zeitungsmeldung entwickelte, und verhalf ihm damit zu seinem ersten Honorar von 6.000 DM, die er kassierte, ohne selbst eine Zeile zu schreiben.
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Endlich - eine neue Story - Verspätung in Marienborn

Eines Morgens, es muß im Sommer 1962 gewesen sein, tauchte er bei mir auf, während ich noch frühstückte und Zeitungen las, und zeigte mir eine 14-Zeilen-Meldung aus der BZ, die noch ungelesen neben mir lag, und ungefähr so lautete: »Gestern wurde der amerikanische Militärzug Berlin - Frankfurt am ostzonalen Grenzkontrollpunkt Marienborn von den Sowjets stundenlang aufgehalten, weil sich ein Flüchtling an Bord geschmuggelt hatte. Die Sowjets ließen den Zug erst weiterfahren, nachdem die Amerikaner ihnen den Flüchtling ausgeliefert hatten .«

Donnerwetter! Das war ja, unscheinbar auf der zweiten Seite verpackt, eine unglaubliche Geschichte! »Da machen wir einen Film draus!« rief ich. »Das ist ja unfaßbar! Unsere Schutzmacht gibt einen ostzonalen Flüchtling den Russen preis!«
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Arch Calhoun, der Gesandte des State Departement

Ich rief sofort bei Arch Calhoun an, dem Gesandten des State Departement und zweiten Mann neben dem US-Stadtkommandanten, der auch ständig bei uns herumsaß und Leberwurststullen fraß. Er reagierte verwirrt:

»Das ist eine dumme Geschichte, Will, aber offenbar konnten wir nicht anders. Die Sowjets haben nun mal die Bahn-Hoheit und verlangen von uns genaue Listen der Passagiere. Wie die darauf gekommen sind, daß sich ein Flüchtling an Bord geschmuggelt hat, ist mir schleierhaft .«

Er verwies mich an die RTO, die Railway Transportation Organization, in Lichterfelde und bot an, mich mit der amerikanischen Militärmission in Potsdam in Verbindung zu bringen, die seien in den Fall »involviert« gewesen.

Ich schrie nur: »Shit, Piss and Corruption!« und rief Dr. Bud Ramsauer an, den Kulturattache der amerikanischen Botschaft, der uns immer einlud, wenn sein Ambassador in Berlin weilte und, vor dem Rückflug nach Bonn, stets ein paar »repräsentative Berliner« zum Abendessen um sich versammelte.

Durch Bud Ramsauer durfte ich auch sämtliche amerikanischen Kinos in Lichterfelde und Tempelhof besuchen, die neueste Hollywood-Filme zeigten, machmal schon vor der amerikanischen Premiere.

Bud zeigte sich tief betroffen von dem Zwischenfall in Marienborn, hatte aber selbst überhaupt noch nichts davon gehört, ein typischer Kulturfunktionär, aber einer mit Sinn für Verschwörungen.
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Jim Carson - der Berliner Chef der CIA

Denn am Nachmittag meldete sich ein anderer Gast unseres Hauses, Jim Carson, und entpuppte sich als Berliner Chef der CIA; ich hatte ihn immer für ein kleines Licht des State Departement gehalten. »Doc Ramsauer sagt mir, daß Sie einen Film über den Zwischenfall in Marienborn drehen wollen. Halten Sie das für eine gute Idee, Mr. Tremper?«

Das tat ich, denn - amerikanisch-deutsche Freundschaft hin oder her - wenn unsere Schutzmacht anfing, den Russen gegenüber schwach zu werden, mußte einer »Feuer!« und »Alarm!« schreien, die Weltöffentlichkeit aufmerksam machen.

Ich war überzeugt, daß die Army sich dieses Bubenstück in Marienborn aus reiner Bequemlichkeit erlaubt hatte (»Nun gebt ihm doch schon diesen dämlichen Flüchtling! Wie lange sollen wir denn noch auf diesem Abstellgleis herumstehen! Ich habe eine Verabredung heute abend mit einer tollen Puppe in Frankfurt!«) - ich wußte genug vom Leben, um ganz profane Gründe hinter dieser weltpolitisch bedeutsamen Schweinerei zu vermuten.

War das gar kein Witz ?

Nach dem Motto des Witzes, den mir meine zweite Frau Ursula über die Kriegszeit in Palästina erzählt hatte: »Während eines faschistischen Bombenangriffs auf Haifa, saßen wir verängstigt in einem Splittergraben hinter unserem Haus auf dem Carmel, und als die erste Bombe krachte, sprang ein alter Jude neben mir auf, rang die Hände und rief entnervt: >Nun gebt ihm doch schon Danzig!<« Oder war das gar kein Witz gewesen?
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Im Hintergrund begann eine große Diskussion

Noch am Nachmittag - Detlev Müller hatte sich längst nach Hause getrollt - tauchte unser Freund George S. Wertenbaker auf, der Regionaldirektor der FAA (Federal Aviation Agency) im Flughafen Tempelhof und brachte den Air Force-Colonel »Wally« Pieroczek mit, unseren Nachbarn von der anderen Straßenseite, der Tempelhof Air Base als militärischer Kommandant beaufsichtigte.

Beide Herren zeigten sich »besorgt«, weil bereits informiert über meine »antiamerikanischen« Filmpläne. Der Zwischenfall in Marienborn schien schon durch die ganze amerikanische Kolonie zu geistern.

Heute bin ich, in der Erinnerung daran, eher gerührt über ihre Besorgnis. Damals reagierte ich hitzig: »Jawohl! Das ist doch unmöglich! Wann überlaßt ihr mich und meine Familie den Russen, weil ich euch vielleicht unbequem geworden bin?«

Ihre eisgekühlten Cocas schlürfend, hoben die Herren beide Hände: »Aber das ist doch .!« Und da sie Air Force-Mitglieder waren, fanden sie meine Anti-Army-Argumentation schließlich akzeptabel und stimmten mir, als dann auch harte Sachen auf den Tisch kamen, immer mehr zu: Yes, Sir, der Film mußte gemacht werden - »aber fair, aber fair!« beschwor mich Wally.

Ich winkte ab, war so überzeugt von meiner Amerikaliebe, daß ich gar nicht auf den Gedanken kam, ich könnte mich mit dem Marienborn-Thema in die Nesseln setzen.
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SO langsam klappte es mit der Einleitung

Nachts schlief ich schlecht, stand um drei Uhr morgens wieder auf, setzte mich an die Maschine und fing an zu schreiben:

»Der nachfolgende Bericht bereitet niemandem besondere Freude, weder den Deutschen, die als Urheber des Zwischenfalls zu gelten haben, noch den Russen und Amerikanern, die mit ihm fertig werden mußten. Die Geschichte, die erzählt wird, spielte sich im November 1961 ab, wenige Monate nach der Errichtung der Berliner Mauer. Und der Flüchtling, der die Verspätung in Marienborn auslöste, ist einer von jenen Mitbürgern in Mitteldeutschland, die sechzehn Jahre lang keinen unmittelbaren Anlaß sahen, dem DDR-Regime den Rücken zu kehren - bis zu jener Nacht der Einmauerung, da die Problematik ihres Lebens den Charakter des Endgültigen erhielt, und sie dieses Leben riskieren mußten, um ihm zu entfliehen.

Das Geschehen im amerikanischen Militärzug und am Zonengrenz- kontrollpunkt Marienborn ist durch vielerlei Zeugenaussagen rekonstruiert worden, doch sind die Namen der amerikanischen Reisenden, der Soldaten und Offiziere sowie bestimmte Einzelheiten der Geschichte geändert worden, weil es nicht der Sinn
dieser Darstellung sein kann, menschliches Versagen in Einzelfällen anzuprangern. Wichtig schien dem Autor allein die Beschreibung der fatalen Situation, in der sich Amerikaner, Russen und Deutsche heute befinden, an Hand eines unscheinbaren Zwischenfalls, der gleichwohl vor den Augen der Beteiligten die Ausmaße einer antiken Tragödie annahm.«
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Ich schrieb die Nacht durch und noch eine Nacht

Und dann fing ich richtig an, schrieb wie besessen an einer Geschichte, die sich quasi von selbst erzählte, konnte gar nicht schnell genug tippen, stand auf, kochte mir Kaffee, und schrieb weiter, immer weiter.

Um acht Uhr schrie ich Karin an, die mir ein Frühstück bringen wollte, und verdonnerte sie dazu, mir jede Störung vom Leib zu halten, schrieb über Mittag und den Nachmittag hindurch, legte mich um 18.00 Uhr für drei Stunden ins Bett, stand um 21.00 Uhr wieder auf, las das bisher Geschriebene - und warf es weg, fing ohne Stimmungsmache nochmal von vorne an und schaffte bis zum nächsten Abend über 50 anderthalbzeilig geschriebene Seiten. Nochmal ein Schläfchen, und am nächsten Morgen war das Werk vollendet.

Ich schrieb: Will Tremper: "Verspätung in Marienborn" drüber und brachte das Manuskript nach Dahlem-Dorf, zu einem Kopier-Laden der Freien Universität, kaufte einen Umschlag, ging zum Postamt und schickte eine Kopie gleich an die UFA-Filmhansa in Hamburg, z.Hd. Alf Teichs.
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Eine Kopie für Alf Teichs von der UFA

Mit dem fühlte ich mich befreundet, das war der ehemalige Chefdramaturg und Produktionschef der TERRA in Berlin, verantwortlich für die besten Rühmann- und Albers-Filme wie "Die Feuerzangenbowle" oder "Große Freiheit Nr. 7", allerdings auch für "Jud Süß" zu Beginn des Krieges - aber da war der ehemalige Weimarer Sozialdemokrat noch mit einer Jüdin verheiratet und tat alles, um sie zu beschützen, sogar alles, um vor Goebbels zu glänzen.

Nach dem Krieg hatte er, zusammen mit Rühmann, die COMEDIA-Film gegründet und, trotz großer künstlerischer Erfolge wie Berliner Ballade, eine erstklassige Pleite geschoben, an der er und Rühmann noch jahrelang abzahlten, was sein Kompagnon ihm furchtbar übelnahm. (»Er war doch Fachmann, er hätte mich warnen müssen!« klagte Rühmann.)
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Die zweite Kopie an Nannen dann weiter an Heinz Sponsel

Die zweite Kopie schickte ich an Henri Nannen, nur um sie postwendend zurückzubekommen: »Wie sollen wir das illustrieren? Haben Sie keine Fotos der Beteiligten?« Doch da war ich von guten Kritiken schon so verwöhnt, daß ich das Manuskript sofort an Heinz Sponsel von der Revue weiterschickte, und der druckte es in drei Teilen, und Kindlers Lichtenberg-Verlag machte für 25.000 Mark Vorschuß sofort ein Taschenbuch daraus: 113 sehr groß gedruckte Seiten, die in einer ersten Taschenbuchausgabe zur Premiere des Films herauskam (und später auch von Goldmann und Ullstein immer wieder aufgelegt wurde).

Mit den 9.000 Mark für drei Folgen in der Revue hatte ich jetzt schon 34.000 Mark für zwei Tage und Nächte an der Schreibmaschine verdient. Und es sollte noch besser kommen: Alf Teichs reagierte blitzschnell, rief gleich nach der Lektüre an, gratulierte und sagte: »Den Film machen wir!«
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»Den Film machen wir!«

Neben mir steht Theo Osterwind, unser Generaldirektor, und läßt schön grüßen. Wieviel Geld, glaubst du, wirst du brauchen? Reicht eine Million? Du führst doch auch Regie? Na, prima! Wann können wir den Film haben?«

Ich rechnete mir aus: Als Produzent konnte ich mir siebeneinhalb Prozent Handlungsunkosten, sogenannte HU's, in die Kalkulation schreiben, als Autor 50.000 und als Regisseur noch einmal 50.000, machte zusammen 175.000 Mark, die mir bereits sicher waren, mit den Buch- und Illustriertenhonoraren waren das schon über 200.000, egal ob der Film oder das Taschenbuch noch etwas einbrachten. Und das für zwei Tage und Nächte Arbeit! So machte das Filmen Spaß.
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Detlev Müller war sauer, nicht mit im Boot zu sitzen

Der einzige, der mein 72-Seiten-Treatment nicht gut fand, war Detlev Müller, der mir die Meldung in der BZ gezeigt hatte. Er meckerte: »Ich dachte, wir schreiben den Film zusammen! Und jetzt hast du alles holterdiepolter allein gemacht! Schließlich habe ich dich ja erst aufmerksam gemacht auf die Geschichte!«

Ich lachte ihn aus: »Du glaubst doch nicht, daß mir die Meldung in der BZ entgangen wäre? Ich lese jede Zeile in den Zeitungen! Mir entgeht nicht mal der Wetterbericht! - Und außerdem: Du hättest dich doch auch an die Maschine setzen und ein Expose wenigstens aus dieser 14-Zeilen-Meldung machen können? Warum hast du es nicht auch getan? Du kannst auch jetzt noch zur Feder greifen und eine bessere Geschichte erfinden!«

Für Zeitungsmeldungen gab's doch keine Urheberrechte.
Für Detlev Müller schon: »Ich habe dir die Zeitung nur mitgebracht, um mit dir zusammen .« fing er wieder an. Ich mußte ihm klarmachen, daß allein er es war, der mit mir zusammen am Drehbuch schreiben wollte. »Du kannst höchstens zugucken, wie ich schreibe. Ich jedenfalls brauche keinen Co-Autor. Drehbuchschreiben heißt, die optische und akustische Seite einer Geschichte zu Papier bringen. Was ist da groß zu lernen?«
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Und wieder ein Versäumnisurteil über 6.000 DM

Ich schmiß ihn dann wohl raus und hörte nichts mehr von ihm - bis der Film von der "Verspätung in Marienborn" tatsächlich gemacht wurde und ich anschließend den Bundesfilmpreis in Gold für das Drehbuch bekam. Da hörte ich wieder etwas von Müller, wie auch vom Finanzamt.

Beide glaubten, mit der Drehbuchpreis-Verleihung sei eine größere Geldsumme verbunden, beide wollten einen Anteil. Das Finanzamt war schnell befriedigt, Müller aber verklagte mich auf angebliche Rechte und entgangenen Gewinn. Da ich die Sache für allzu phantastisch hielt, kümmerte ich mich, wieder einmal, nicht darum und wurde eines Tages von einem Versäumnisurteil über 6000 DM des Landgerichts Charlottenburg überrascht. Ohne sich die Frage zu stellen, ob der Kläger überhaupt in der Lage gewesen wäre, einen eigenen Stoff aus der Zeitungsmeldung zu machen, folgte das Gericht seinen Ausführungen und verknackte mich.
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Die Story war bereits mehrere Monate alt

Nun, ich war, als das 1963 passierte, so in Hochstimmung, daß ich dem Mitesser aus Frohnau die 6.000.- bezahlte und drei Kreuze hinter seinen Namen machte. Ich hatte wieder etwas gelernt, das offenbar zum Filmgeschäft gehört wie die Besetzungscouch.

Ein Begriff, der mich schnurstracks zu Verspätung in Marienborn zurückbringt. Aus dem Müller Detlev aber ist tatsächlich ein Drehbuchschreiber geworden, wenngleich nur fürs Fernsehen. Er verfaßt nun schon dreißig Jahre lang ein Fernseh-Spiel nach dem anderen, ich seh's in der Hörzu.

Während ich das Drehbuch schrieb und die Produktion organisierte, hatte sich herausgestellt, daß der Zwischenfall in Marienborn keineswegs eine aktuelle Geschichte war, sondern sich bereits im November 1961 abgespielt hatte, bis jetzt aber geheimgehalten worden war. Was meine Geschichte nicht tangierte, aber ein schlechtes Licht auf die Amerikaner und ihre sprichwörtliche Offenheit im Umgang mit den Bürgern warf.
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Die Planung lief voll an

Ich ließ mir von der Bundesbahn die Kosten eines Sonderzuges kalkulieren, den ich als rollendes Filmatelier vorgesehen hatte: Vier Schlafwagen, in denen ich mit den Schauspielern und einem kleinen Stab wohnen und arbeiten wollte, während sich der Zug dauernd in Bewegung befinden würde, echtes »Rütteln und Schütteln« einfangend.

Ich flog zur UFA-Filmhansa nach Hamburg und legte meine Kalkulation vor. Alf Teichs wollte 800.000 Mark in Wechseln beisteuern - meine 200.000 Mark sollten die erforderliche Million komplettieren. Als Hauptdarsteller wollte ich Burt Lan-caster für zehn Drehtage verpflichten, der allein 200000 Mark bekommen sollte, um die Rolle des im Zug befindlichen Auslandskorrespondenten zu spielen.

Sollte er mehr verlangen, wollte ich mich mit drei Drehtagen und der Rolle des geheimnisvollen State-Departement-Beamten begnügen, der die ganze Zeit nur mit einem Kopfverband, auf einer Bahre liegend, zu sehen war. Ich war Tag und Nacht zugange, wurde von Otto Scheuermann mit 50.000 Mark vorfinanziert und träumte von nichts anderem als meinem Film.

An dem Tag, an dem der Verleihvertrag aus Hamburg eintreffen sollte, klingelte das Telefon. Alf Teichs war dran und sagt: »Wir müssen aussteigen. Lies morgen die Zeitungen. Die Deutsche Bank hat der UFA-Filmhansa den Hahn zugedreht. Wir sind praktisch pleite.«
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So eine Scheiße!

Das war, wie wenn einer meinen prall gefüllten Ballon geöffnet hätte: Pffftt! - Die Luft zischte raus. In Sekundenschnelle verflog mein ganzer Elan. Jetzt mußte ich von vorne anfangen, eine Kopie meines Manuskripts an den nächsten Verleih schicken, auf Antwort warten, wieder zu debattieren beginnen.

Wie das Leben aber spielt, saß zufällig Rolf Hädrich bei mir auf dem grünen Sofa und verrenkte zufällig mal nicht den Hals nach Ingmar Zeissberg.
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Rolf Hädrich rettete meine Stimmung

Rolf sah ganz begeistert aus und klatschte in die Hände: »Fabelhaft! Jetzt verkaufst du mir das Drehbuch! Ich mache einen Fernsehfilm für den Hessischen Rundfunk aus Verspätung in Marienbornl Ich verschaff' dir auch eine Zuckmayer-Gage!«

Ich zeigte ihm einen Vogel. Ein Fernsehfilmchen! Für den Hessischen Rundfunk! Der hatte sie wohl nicht mehr alle!

Aber Rolf ließ nicht locker, nahm mein 72-Seiten-Treatment und flog noch am gleichen Tag nach Frankfurt/Main, um mit seinem Fernsehspiel-Chef Dr. Hans Prescher zu reden. Zusammen gingen sie dann zu dem Assessor Joachim Wack, dem Chef der Filmeinkaufsgesellschaft der ARD, der im selben Haus in Frankfurt saß, und am nächsten Morgen schon hockte Rolf wieder auf dem grünen Sofa und entwickelte mir seinen Plan.
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Jetzt wurde erstmal ums liebe Geld gepokert

»Also, du bekommst, wie gesagt, eine Zuckmayer-Gage. Das sind, statt der üblichen 15.000 Mark, die von allen Sendern gezahlt werden, stolze 18000, wie sie nur Zuckmayer mal bekommen hat!«

Ich lachte ihn aus: »Scheißfernsehen! Beim Film bekomme ich 50.000 für dasselbe Drehbuch .!«

»Warte doch mal!« rief Rolf. »Der Assessor Wack hat die Idee: Wir zahlen dir das Wiederholungshonorar gleich mit dazu - sind zweimal 18.000, also 36.000 Mark .!«

»No way!« rief ich in meinem besten Neudeutsch. »Ich will hunderttausend, und keinen Pfennig weniger!« Denn ich wußte, hunderttausend würde das Fernsehen nie und nimmer zahlen können.
»Warte doch mal! Der Assessor Wack hat ja längst die Lösung: Wir übergeben das ganze Projekt an einen privaten Produzenten, sozusagen eine Auftragsproduktion, und der bekommt von uns sechshunderttausend Mark und muß dir deine restlichen vierundsechzigtausend bezahlen! Wie findest du das?«

Ich lachte ihn noch immer aus, hielt das Ganze für zu phantastisch, um auch nur einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. »Gehen wir essen!« sagte ich, denn zwischen Karin und mir herrschte wieder einmal dicke Luft.

Wir stiegen in meinen neuen Lancia Flaminia Gran Tourismo und brausten ins Kempinski.
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Der Zufall führt und zu Hans Oppenheimer in der Hotelhalle

Und da sahen wir dann Hans Oppenheimer in der Hotelhalle sitzen, der dem »Atze« Brauner für zwei Millionen Mark sein Ruinengrundstück Kurfürstendamm 203-205 verkauft, damit gerade die marode ARCA-Film am Havelufer erworben hatte und nun ständig auf der Suche nach Produktionen war.

»Was halten Sie davon«, fragte ihn Rolf, »wenn wir Ihnen sechshunderttausend Mark bringen, eine Auftragsproduktion des Hessischen Fernsehen?«

Oppenheimer sprang auf und breitete die Arme aus: »Eine Platinuhr würde ich euch schenken! Auf meinem Rücken würde ich euch Weihnachten ins Palace nach St. Moritz tragen! Wo habt ihr den Zaster?«

Wir lachten und gingen in den Grillroom und Oppenheimer machte dem Kellner klar, daß die Rechnung an ihn ginge. »Die Herren wollen Kaviar!«
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So lief das damals mit dem Filmgeschäft.

Der Hans Oppenheimer hat die Auftragsproduktion tatsächlich bekommen und, anstatt in original rollenden Schlafwagen, den ganzen US-Militärzug in seinen leerstehenden ARCA-Ateliers drehen lassen. Er entwickelte auch sogleich eine ungeheuere Aktivität, zu der ich eben nie in der Lage war, um andere den Film bezahlen zu lassen und das Bare vom Hessischen Rundfunk in die eigene Tasche zu stecken.

So brachte er es z. B. fertig, nach München zu fahren und ausgerechnet der Ilse Kubaschewski einen Verleihvertrag für diesen hochpolitischen Marienborn-Film abzuschwatzen, obwohl feststand, daß der Film zuerst im Fernsehen laufen würde. Und dann flog er auch noch nach Paris und nach Rom und schloß zwei Co-Produktionsverträge ab.

Ich aber, der die Lust nach der Absage der UFA-Filmhansa schlagartig verloren hatte, mußte nun aus meinem Treatment ein Drehbuch machen. Einziger Trost: Ich hatte mich so ausführlich in die Geschichte hineingearbeitet, daß das Drehbuch selbst ein Kinderspiel wurde.
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Rolf war skeptisch und mäkelte rum

Mein Freund Rolf sah mir vom grünen Sofa aus argwöhnisch zu und wurde bei dem Tempo, mit dem ich die Drehbuchseiten herunterfetzte, immer mißtrauischer. Viel zu spät erst wurde mir klar, daß er wie ein Rennpferd vor einem Hindernis scheute, als er den Stoff plötzlich so, wie ich ihn im Treatment festgelegt hatte, nicht mehr überzeugend fand.
»Weißt du«, sagte er auf einmal, »dieser amerikanische Korrespondent Hartford B. Cowan, für den du Burt Lancaster haben wolltest, das ist doch ein weitgereister Mann .«
»Na und?«
»Ich meine, der würde doch nicht in dem Militärzug nach Frankfurt fahren! Der würde doch fliegen .«
»Das fragt doch kein Mensch«, sagte ich. »Der ist einfach in diesem Zug drin - und basta! Vielleicht hat er Angst vorm Fliegen. Das gibt's doch!«
»Ein um die ganze Welt sausender Zeitungskorrespondent hat Angst vorm Fliegen?«
Ich schob die Schreibmaschine von mir. »Was willst du?«
»Einen anderen Anfang«, nörgelte Rolf. »Wir beginnen einfach in Tempelhof. Da ist Nebel, und der Korrespondent hat Termine und muß zähneknirschend den Militärzug nehmen!«
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Das kostet zwanzigtausend extra!

»Das kostet zwanzigtausend extra!« sagte ich. »Ihr habt mein Treatment so, wie ich es geschrieben habe, gekauft, und jede weitere Arbeit muß extra bezahlt werden. Mach mich bloß nicht wahnsinnig jetzt mit neuen Ideen, Mann!«
»Oppenheimer zahlt«, sagte Rolf. »Tu mir den Gefallen und komm mit, wir machen eine Ortsbesichtigung im Flughafen Tempelhof .«

Wie es der Zufall wollte, lag Nebel über Tempelhof, in der riesigen Abflughalle spielten sich chaotische Szenen ab. Ich stand mit Rolf auf den obersten Stufen der großen Eingangstreppe und spürte mein Herz plötzlich schneller schlagen.
»Du hast recht«, sagte ich, »das ist eine tolle Filmszene. Den Film mache ich. Aber nicht für dich und Oppenheimer und den Hessischen Rundfunk - den mach' ich für mich selbst! Das wird mein nächster Film: Nebel über Tempelhof!«
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Zurück zum Film : Verspätung in Marienborn

Natürlich schrieb ich ihm den Anfang, den er haben wollte, kassierte noch einmal 20.000 Mark, und mein Rolf war der erste, der diesen neuen Anfang wegwarf und Verspätung in Marienborn mit meinem ursprünglichen Anfang drehte, mit dem Blick von unten auf die fauchende, zischende, abfahrbereite D-Zug-Lokomotive auf dem Militärbahnhof Lichterfelde.
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Jetzt hatte ich 350.000.- DM eingenommen

Nun hatte ich, auch ohne den Film selbst gedreht zu haben, mit den 30.000 der Revue, insgesamt 150.000 DM in der Tasche, was meinen lieben alten Bankier Otto Scheuermann, zumindest vorübergehend, in der Ansicht bestärkte, bei gewissen Filmleuten lohne es sich doch, Kredite zu gewähren. Mit den 200.000 aus Bonn, die ich nun umgehend anforderte, waren das 350.000 Mark.
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Harald Leipnitz - ein Junge aus Wuppertal

In München hatte mich ein blondes Filmsternchen bewogen, mir ein Theaterstück anzugucken, in dem es mitspielte, und es war mir wie Josef von Sternberg ergangen, der sich Spolianskys "Zwei Krawatten" ansah, um sich einen Begriff von Hans Albers zu machen, statt dessen aber die Augen nicht mehr von dieser Marlene Dietrich lassen konnte - nur erging es mir umgekehrt: Statt das blonde Filmsternchen gebührend zu würdigen, verguckte ich mich in ihren Partner Harald Leipnitz.

Der wirkte auf mich wie ein deutscher Jack Palance mit seiner Boxernase. Ich verabredete mich mit Harald und stellte fest, daß er noch nie einen Film gemacht hatte, nur Fernsehen, und im übrigen fleißig Theater spielte: Ein Junge aus Wuppertal, der bei Hans Caninenberg studiert hatte und mit seinem ganzen Auftreten mein zentrales Nervensystem traf.

»Kurt Hoffmann hat mich schon mal haben wollen«, sagte er, »für seine Tucholsky-Verfilmung von Schloß Rheinsberg, aber nach den Probeaufnahmen meinte er, ich müßte mir die Nase operieren lassen, sonst hätte ich keine Aussichten beim Film .«

»Ich danke Kurt Hoffmann für seine Dämlichkeit!« sagte ich. »Denn ich werde Sie groß herausbringen!«

Okay, und wann geht's los?

Nun rief ich Harald als ersten in München an und faselte ihm was von einem Berliner Geschäftsmann vor, der händeringend in Tempelhof auf die letzte Maschine aus Düsseldorf wartet, denn da sitzt seine Rettung drin, und die Maschine kommt nicht: Nebel über Tempelhof.
»Drehbuch gibt's noch nicht«, mußte ich gestehen, »aber das schaffst du auch ohne - ich schreibe von Tag zu Tag, und ich mache aus der Rolle auf jeden Fall die zentrale Figur des Films! Vertrag macht mein Produktionsleiter mit deiner Agentin!«

»Und wann soll das sein?« fragte Harald. »Ich inszeniere im Augenblick hier ein Theaterstück .«
»Aber doch nur tagsüber?« fragte ich zurück. »Ich brauche dich jede Nacht hier im Flughafen Tempelhof. Du kommst mit der letzten Maschine und fliegst mit der ersten zurück .«
»Na ja«, sagte Harald, »schlafen kann ich ja im Flugzeug. Okay, und wann geht's los?«
»Heute abend!« sagte ich.
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Hans Jura - Wann machen wir einen Film ?

Keine 48 Stunden waren seit unserem Besuch im Nebel-Chaos von Tempelhof vergangen. Ich glühte vor Begeisterung und wollte mir die so lange wie möglich erhalten, was hieß: sofort, heute nacht noch, anfangen! Ich hatte, in einer Silvesternacht in St. Moritz, einen gestandenen Wiener Kameramann kennengelernt, der »Skihaserl« filmte, aber behauptete, schon Schwenker von Willy Winterstein, dem großen alten UFA-Kameramann, gewesen zu sein.

Hans Jura hieß der Mensch und bombardierte mich seitdem mit Ansichtskarten aus aller Welt, die stets mit der Frage endeten: »Wann machen wir einen Film zusammen?«
Jetzt rief ich ihn in München an: »Wenn Sie morgen früh hier sein können, sind Sie Chefkameramann!«
»Bin schon da!« rief er.
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Mein Produktionsleiter Felix Hock

Felix Hock kam vorbei, der Ehemann einer Grotesk-Tänzerin namens Johanna König, die ich auf einer Hoffmeister-Tournee mit meiner rumänischen Geigerin Noucha Doina kennengelernt hatte und die in den 1970er Jahren als »Klementine« in der Waschmittelwerbung des Fernsehens berühmt wurde.

Felix Hock war mir durch einen praktischen Verstand und finanzielle Pingeligkeit aufgefallen, außerdem unterhielt ich mich gern mit ihm über den Zweiten Weltkrieg, den er als Oberleutnant z. See auf Feindfahrt nach Japan schon im Hafen von Kiel mit Hilfe einer englischen Fliegerbombe beendet hatte:

»Deutschlands jüngster und letzter U-Boot-Kommandant!« nannte ich ihn und fragte ihn jetzt, ob er Produktionsleiter meines Films werden wollte.
»Hab' ich noch nie gemacht«, sagte Felix:
»Aber ich weiß, daß du auf Pfennige abrechnest, nicht wie die anderen Filmproduktionsleiter, auf 100-Mark-Scheine! Den Rest lernst du im Handumdrehen. Ruf mal die Berliner Flughafengesellschaft in Tempelhof an, ich brauche eine Drehgenehmigung für etwa sechs Wochen, nur Nachtaufnahmen!«
»Wann?«
»Heute!«
Und Felix griff sich das Telefon.
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Burt Lancaster ist verhindert - Michael Rennie auch

Zwischendurch rief die William Morris Agency aus Hollywood an, um mir mitzuteilen, daß Burt Lancaster nicht könne, ob es Jose Ferrer sein dürfe? »Aber ja!« sagte ich. »Immer her damit, und wie sieht's mit Michael Rennie aus, dem kernigen Briten? Ich habe eine schöne Rolle für ihn, die nur im Flughafen Tempelhof spielt!«

In meinen Film, so kalkulierte ich, muß unbedingt ein Touch von Internationalität rein, ein Hauch von »großer Welt«, noch dazu auf einem so großen Flughafen. William Morris versprach, Michael Rennie zu kontakten, der möglicherweise aber gerade in London drehe. »Um so besser!« sagte ich.

Doch ich verrate wohl nichts Neues mehr, wenn ich jetzt schon gestehe, daß auch Michael Rennie am Ende keine Zeit hatte, dafür aber kam Jose Ferrer, der große Broadway-Star, der 1950 schon für seinen Cyrano de Bergerac einen Oscar erhalten hatte.

Er übernahm in Verspätung in Marienborn die Rolle des Auslandskorrespondenten, die Rolf Hädrich nur fliegend, aber auf keinen Fall zugfahrend sah, was mir letztlich den Tempelhof-Film bescherte.

Die Gerüchteküche von Hollywood hat geholfen

Ich führte Mister Ferrer groß zum deutschen Essen aus und lernte: Gib nie auf, wenn du einen Hollywoodstar angeln willst! Die Agenturen haben zwar meistens nur ein müdes Lächeln für ein deutsches Filmangebot übrig, doch die Schauspieler schmücken sich gern damit, halten jedes Angebot aus Europa für eine Bestätigung ihres Weltruhms und glauben aus unerfindlichen Gründen, daß »wahre Kunst nur aus great old Europe kommen kann.« Die vielen deutschen Emigranten und Orson Welles, vermute ich, haben dieses Gerücht in die Welt gesetzt.
»Mein Marktwert steigt, während wir hier essen«, vertraute mir Jose an und guckte dabei hinter jedem Rock im Kempi-Grillroom her.

»Ist es wahr, daß deutsche Frauen besonders große Busen haben?« In Puerto Rico geboren, war er einst mit Rosemary Clooney, der flotten Sängerin, verheiratet gewesen und lechzte nun nach einem Gretchen.

Und er schaffte es tatsächlich, nicht nur die interessanteste Figur im amerikanischen Militärzug zu werden, sondern sich auch einen dicken Busen zu erobern, den von Christiane Schmidtmer, und im Triumph nach Hollywood zu entführen, obwohl ein ganz anderer sie wohl auf die Besetzungliste des Marienborn-Films geschmuggelt hatte.
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Louise Martini müsste mitmachen

Zurück zu meinem Film, denn schon klingelte es wieder, und das Theater der Stadt Köln war dran: Louise Martini. In die war ich absolut verschossen, in ihre sinnliche Stimme, besser gesagt. Auf mehreren Autofahrten nach Wien, über die alte Bundesstraße 1 noch, hatte ich sie zum ersten Mal als Sprecherin einer Autofahrer-Sendung im Osterreichischen Rundfunk gehört und jedesmal eine Erektion bekommen. Verdammt, dieses Weib wollte ich unbedingt dabeihaben in meinem Film, obwohl ich noch keine Ahnung hatte, was sie spielen könnte.

»Ich bin hier fest am Theater«, sagte sie, »und kann unmöglich weg .«
»Das Wort kenne ich gar nicht!« rief ich, voll im Rausch. »Ich gebe Ihnen mal meinen Produktionsleiter!«
Zwei Tage später kam Louise angeflogen, und Felix Hock sagte: »Du bist wahnsinnig! Das kostet uns dreißigtausend Mark Ablöse beim Theater in Köln - und da ist noch nicht mal ihre Gage dabei! Was spielt sie denn?«
»Keine Ahnung, Hauptsache sie ist da!«
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Ich fing an, auszurasten

In den folgenden vier Wochen wurde mir beim Anblick der Martini jedesmal heiß und kalt. Sie schoß auf mich zu und wollte wissen, wann sie das Drehbuch bekäme, um ihre Rolle zu lernen. Anstatt ihr zu gestehen, daß es überhaupt noch keine Rolle für sie gäbe, setzte ich jedesmal eine geheimnisvolle Miene auf und sagte so Sachen wie: »Eine rote Lederjacke würde dir gut stehen!« Damit war sie beschäftigt, konnte durch die Geschäfte hetzen, auf der Suche nach einer sexy roten Lederjacke, die es nirgends gab. Für einen Schwarzweiß-Film!

Meine Frau drehte auch langsam durch.

»All diese Leute! Ich werde noch wahnsinnig! Und mein Telefon ist auch dauernd belegt! Zieh schon ins Hotel, ich ertrage diesen Rummel nicht länger!«
Ich starrte ihre Freundin Christine Viertel an, die blonde Frau unseres Freundes, des Rechtsanwaltes und Notars Klaus Viertel, die auch in Dahlem wohnten.

»Hast du nich'n dollen Nerzmantel übrig, Christinchen? Der Leipnitz brauch 'ne Freundin, der er den Nerz seiner Ehefrau mit zum Flughafen bringt, damit sie seinen Geldgebern einheizt. Ich sehe da eine hinreißende blonde Wienerin vor mir .«

»Hab' ich«, sagte Christinchen, »ich kann euch auch sonst noch 'n bißchen was leihen, auch meinen Schmuck!»

Christine Viertel wurde die Kostümbildnerin meines Films und riß sich ein Bein aus, um alle zufriedenzustellen. Zwanzig Jahre später traf ich sie in meinem Fahrstuhl im Eden-Haus in Berlin, wo ich zwei Stockwerke über der Filmförderungsanstalt wohne. Sie hatte gerade ein Drehbuch bei der FFA abgegeben, war süchtig nach Film, aber geschieden.
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Wo steckte Celia - mein guter Geist

Ich jammerte meiner Celia nach, die bei Flucht nach Berlin mein guter Geist gewesen war. Wo steckte sie eigentlich?

Wer könnte jetzt mein Scriptgirl spielen, möglichst auch Regieassistenz machen? Wolfgang Menge sagte: »Marlies würde gern mal beim Film mitmachen!« So wurde Marlies Menge mein Scriptgirl, nach dem Motto: »Alles, was du brauchst, ist Hingabe, eine schnelle Auffassung, Ausdauer!« Marlies hatte all das - bis auf die Hingabe und die Ausdauer: Nach dem ersten Schneefall, bei dem sie mit ihrem Wagen einen Motorradfahrer rammte, verlor sie die Nerven und schenkte sich den langen Weg jeden Abend von Zehlendorf nach Tempelhof; außerdem hatte sie kleine Kinder zu Hause.
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Wir brauchen eine Cutterin

Aber wo bekamen wir eine Cutterin her, die mir nicht auf die Nerven fiel und auch noch das Script machen konnte? Mein zehn Jahre jüngerer Bruder Dieter, den ich zum Aufnahmeleiter ernannt hatte, behauptete, eine »ganz Tolle« zu kennen: Susanne Paschen, die im Studio Hamburg arbeitete. Spät in der Nacht trat Felix Hock an mich heran - wir drehten schon die zweite Nacht in der Abflughalle - und schüttelte den Kopf: »Die Paschen lebt jetzt in Paris! Ich bin doch nicht verrückt und schick ihr noch 'ne Flugkarte!« Im Vertrauen auf meinen Bruder sagte ich: »Schick ihr eine, sie muß morgen hier sein!«

Unser Schneideraum füllte sich - dann kam Susanne Paschen

Unser Schneideraum bei Geyer in Neukölln füllte sich schnell mit Material, und niemand war da, der es bearbeitete. Aber am nächsten Abend, ich war gerade mit einer Massenszene beschäftigt, schiebt sich eine unübersehbare Blondine durch die Menge auf mich zu, das Haar aufgetürmt wie eine von der Via Veneto, und stellt sich als »Susanne Paschen!« vor.

Ich blicke mich nach meinem Bruder um - »Hej, Atze, deine Freundin ist da!« -und sehe gerade noch, wie der Bursche sich hinter einer Säule versteckt. Es stellt sich heraus: Er kennt die Blondine gar nicht, hat sie nur mal, über die Köpfe vieler anderer hinweg, in der Kantine des Studio Hamburg gesehen und sich in ihren Anblick verknallt.

Susanne Paschen - ein unerwarteter Glückstreffer

Schöne Bescherung! - Aber Susanne Paschen, bislang nur Cutter-Assistentin, stellt sich als eine echte Entdeckung heraus, ein Mädchen, das anpacken kann, eine Schneideraum-Begabung. Sie darf bleiben und wird meine unentbehrliche Assistentin, eine, die nicht lange fackelt, das langsam entstehende Drehbuch meistert, nie schlapp macht - und die einzige ist, die frühmorgens nicht ins nächste Bett fällt, wie all die anderen, sondern mich auch noch in den Schneideraum nach Neukölln begleitet und den ganzen Vormittag hindurch schneidet und Material bearbeitet.

Es gab da noch mehr als nur "cutten"

Natürlich kommen wir uns »auch sonst« näher, ich quartiere sie neben mir im Park-Hotel Heinz Zellermayers ein und bringe es fertig, sogar den Heiligen Abend mit Susanne, statt mit meiner Familie, im Hotel zu verleben.

Spätabends kommt durch Eis und Schnee Freund Schöppenthau ins Park-Hotel, um mir von der weinenden Familie zu erzählen, den Kinderchen, die »so auf ihren Papi warten«, aber mir graut davor, mitten im Film plötzlich auf Familie zu machen. Ich bleibe lieber mit Susanne im Bett, mit der habe ich mir viel mehr zu erzählen, unser einziges Thema heißt: Der Film, und wie wir weitermachen nach den Feiertagen. »Schöppe« zieht kopfschüttelnd ab. Was aber mein Bruder Dieter betrifft, der hat dann Susannes Schwester Dorothea geheiratet und zwei prächtige Kinder gezeugt.
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Alexandra Stewart wollte mit Michael Rennie spielen

Wir haben am 23. November 1962 angefangen zu drehen und sind nach 44 Nächten fertig. William Morris hat sich, wie gesagt, nicht in der Lage gesehen, mir den Michael Rennie aus London zu verschaffen, und ich gerate in die größte Verlegenheit, denn im Hotel sitzt ein blondes Geschöpf aus Paris, das Alexandra Stewart heißt, sich in mehreren großen Filmen bereits einen Namen gemacht hat und nur bereit war, in diesem »komischen« Film in Berlin mitzumachen, weil Michael Rennie ihr Partner sein würde.

Jetzt muß sie erleben, daß ich einen glatzköpfigen Holländer zu ihr schleppe, jenen Bruce Low, der durch den Schlager "Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand" in Deutschland berühmt geworden ist. Dem Bruce bin ich in der Hotelhalle mit seiner neuen Frau begegnet, und er faßt sich an den Kopf, als ich ihm vorschlage, ohne Toupet eine durchgehende Rolle in meinem Film zu übernehmen.

Er wirft einen Blick auf Alexandra Stewart, bemerkt den Haß in ihren Augen und sagt: »No, Sir! Ohne mich!« Ich engagiere seine entzückende neue Frau noch als Ground-Hosteß dazu, um ihn weichzuklopfen, und dann spielt er mit der Stewart seine Szenen so gut - und auch Alexandra benimmt sich so professionell -, daß die Zuschauer später meinen, die beiden seien auch privat ein Liebespaar.
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10.000 DM für zwei Nächte

Ich bedanke mich bei Alexandra Stewart mit einer herzhaften Umarmung und einem ungedeckten Scheck über 10.000 DM für zwei Nächte. (Aber Otto Scheuermann löst ihn ein). Alexandra sagt zum Abschied: »Wenn ich in Paris erzähle, daß ich eine deutsche Nouvelle Vague mitgemacht habe, glaubt es mir keiner!«

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