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Will Tremper - "Große Klappe" - Meine Filmjahre (aus 1997/98)

Wie damals in Deutschland die Filme "gemacht" wurden und was nicht in den Filmheftchen und auf den Filmplakaten geschrieben stand. Auch vom Weg von der Ideenfindung über das Drehbuch bis zum ersten Drehtag wird viel aus der Schule geplaudert. Und sebstverständlich kommen bei Will Tremper auch die Filmsternchen - auch dei männlichen - nicht zu kurz. Die erste Seite beginnt hier .....

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Die Idee zu »Runter kommen sie immer«

Immer, wenn ich meinen eigentlichen Beruf wieder einmal längere Zeit vernachlässigt hatte, begann ich um so intensiver, ihm nachzulaufen. Bei George Wertenbaker im Tempelhofer Flughafen-Büro stand die interessanteste Lektüre, die ich mir denken konnte: die gesammelten Abschlußberichte der Federal Aviation Agency über aufgeklärte Flugzeugabstürze.

Auch das deutsche Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig veröffentlichte seine Absturz-Ermittlungen von Zeit zu Zeit, aber im deutschen Luftverkehr passierte natürlich viel weniger als im amerikanischen.

Eines Tages, wieder mal in München, erzählte ich Hagen und Prinz ein paar tolle Geschichten daraus, und da sie als ehemalige Berliner auch oft genug geflogen waren und immer noch fliegen mußten, waren sie natürlich hochinteressiert an einer Serie, die ich kurz und bündig »Runter kommen sie immer« nannte.
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Beim STERN wurde man leicht vergessen

Hagen und Prinz machten jetzt die Quick für Kenneweg. Ich beschwatzte sie, mich nach New York und Washington zu schicken und anschließend auch noch zu Boeing in Seattle und flog wieder einmal, mit den Händen in den Hosentaschen, in denen sich ein paar tausend Dollars befanden, über den Atlantik.

Eigentlich hatte ich ja auch noch einen Vertrag als Autor mit dem Stern, aber wer bei Henri Nannen nicht ständig präsent war, der wurde leicht vergessen. Und ich hatte ein paar Gründe, mich über den Stern zu ärgern, der über meine "Endlose Nacht" nichts berichtet hatte - im Gegensatz zu "Flucht nach Berlin" - und mein Treatment "Verspätung in Marienborn" sogar abgelehnt hatte.

Wer mich mit schöner Regelmäßigkeit immer noch aus Hamburg anrief, das war Wilfried Achterfeld, der mit Andy Odenwald das Ressort »Kultur« betreute. Was diese beiden Jungs zu bieten hatten, war allerdings nichts Weltbewegendes. An die Beerdigung von Veit Harlan in Capri erinnere ich mich, an ein Stück über die Kessler-Zwillinge und an mehrere Berichte über interessante amerikanische Filme, die in London gedreht wurden.

Doch auch dies brachte Geld, oder sorgte zumindest dafür, daß die nach wie vor vom Stern eintreffenden monatlichen Garantiehonorare abgedeckt wurden.
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Der New Yorker Polizist sagte nur : Verschwinde !!!

Zwei Ereignisse sind mir von dieser USA-Reise in Erinnerung geblieben: In New York geriet ich in eine nächtliche Razzia, nahm in einer langen Schlange Festgenommener Aufstellung, und als ich an der Reihe war, in die Grüne Minna zu steigen, und nach meiner Nationalität befragt wurde, antwortete ich nicht: »West-Germany«, sondern »West-Berlin« - und der Sergeant, der die Liste der Festgenommenen führte, blickte ein zweites Mal hoch, musterte mich zum ersten Mal mit Interesse und murmelte dann: »Shove it!« Ich war so überrascht, daß ich nicht abhaute, sondern »Pardon?« sagte. Nun machte er sogar eine energische Handbewegung und wiederholte: »Get lost, Mister!«
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In Washington zu Gast Präsident Najeeb E. Halaby

Auch im Federal-Aviation-Building in Washington genoß ich als West-Berliner - und ausgestattet mit einer Empfehlung Wertenbakers - eine absolute Vorzugsbehandlung, wurde von einem hilfreichen Sachverständigen zum anderen gereicht und am Ende sogar von dem Präsidenten dieser Bundesbehörde, Najeeb E. Halaby, zu sich nach Hause eingeladen.

Der Mann hatte eine große Familie, mehrere halberwachsene Söhne und eine reizende Tochter, der ich anschließend beim Abwasch in der Küche half - das einzige, womit ein Europäer den Amerikanern imponieren kann.

Präsident Halaby klopfte sogar ans Glas und brachte einen Toast auf seinen Besucher aus, der mit den Worten begann: »Seit Christmas habe ich die Familie nicht mehr zu einem Essen vereint an diesem Tisch gesehen. Doch als sie hörten, ein Journalist aus West-Berlin sei unser Gast, da kamen sie alle, meine vielbeschäftigten Söhne .!«

Wohin ich da geraten war, wurde mir erst einige Jahre später bewußt, als ich in der Zeitung las, die Tochter, der ich beim Abwasch geholfen hatte, sei Königin von Jordanien geworden.
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Hagen und Günter Prinz von der Quick verloren die Geduld

Aus der Serie über Flugzeugabstürze ist dann doch nichts geworden. Hagen und Prinz verloren die Geduld, als ich zum zweiten Mal hinüberflog, um der weltgrößten Flugzeugfirma in Seattle einen Besuch abzustatten.

»Weißt du, was du bisher ausgegeben hast?« regte sich Günter Prinz auf. »Zweihunderttausend Mark! Wenn ich die erste Folge deiner Serie nicht innerhalb von zehn Tagen kriege, kannst du sie vergessen!«

Ich hatte in Washington soviel Hochachtung vor der staatlichen Kontrolle der Sicherheitsbestimmungen bekommen, daß ich davor zurückschreckte, die in dürren Worten wiedergegebenen Fehler aus den Untersuchungsberichten einfach zu wiederholen, ich wollte sie mit Fleisch und Blut füllen, selber mit den Piloten-Witwen sprechen, deren Männern ein verhängnisvoller »Error« vorgeworfen worden war. Kurz, ich verstrickte mich zu tief in mein Thema.
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Dann eben wieder Henri Nannen

»Unmöglich!« sagte ich darum zu Prinz und packte mein ganzes Material in einen Koffer, um sofort wieder Henri Nannen anzurufen. Der zeigte sich sogleich interessiert, verlangte aber auch einen Schnellstart. Ich setzte ihm auseinander, warum die zwei oder drei Abstürze, die ihm sofort einfielen, für mich nicht in Frage kamen:

»Sie reden von Chartermaschinen, Henri, und die interessieren mich nicht! Chartergesellschaften kann man von Haus aus als >unsicher< bezeichnen (das war Anfang der 1960er Jahre, heute sind auch Chartergesellschaften so sicher wie Linienmaschinen) - ich aber lege mich mit den großen, und nur mit den allergrößten Airlines an, mit Lufthansa und Panam, mit United Airlines und TWA! Und da muß alles aufs i-Tüpfeichen stimmen! Nur dann machen wir Eindruck!«

Um es gleich zu sagen: Auch Nannen sprang mir ab, beauftragte meinen Freund Ulrich Blumenschein, und der fing sofort mit einem Charterflug in Italien an, bei dem die Maschine schon beim Landeanflug auf Neapel ein Rad verloren hatte. Nannen ließ nur nochmal Rolf Gillhausen, einen seiner Stellvertreter, anrufen und fragen, ob er meinen Titel »Runter kommen sie immer« haben könnte. »Für 5000 Mark«, sagte ich. Und die kamen postwendend.
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Auf dem Flughafen von Athen - zwei Erlebnisse

Ich aber begrub meine Ambitionen als Unfall-Detektiv und gewann den Eindruck, daß ich mich nicht mehr fürs Illustriertengeschäft eignete. Ich schrieb nicht mehr so hemmungslos wie am Anfang über Menschen und Ereignisse, die ich nur aus Recherchenberichten kannte.

Jedenfalls nicht bei einem Thema, das mich persönlich stark berührte. Und jetzt, da ich das schreibe, fällt mir auch ein, wie ich überhaupt dazu gekommen war, zu George Wertenbaker zu gehen und in seinen Unfallberichten zu stöbern:

Die Revue hatte mich mal nach Athen geschickt, um die Geliebte des jungen griechischen Königs zu interviewen. Das war Aliki Vouyuklaki gewesen, die sie die »griechische Marilyn Monroe« nannten.

Vor dem Rückflug über Wien hatte ich, in einer dieser Unglücksmaschinen »Elektra« sitzend, auf dem Flughafen von Athen zweierlei erlebt: Obwohl die Maschine voll besetzt aus Kairo kam und niemand in Athen auszusteigen brauchte, war ein Tankwagen vorgefahren und hatte in Eile angefangen, die »Elektra« zu betanken.

International gilt aber die Vorschrift, daß Flugzeuge nur betankt werden dürfen, wenn sich keine Passagiere mehr an Bord befinden. Daß ich auch noch zusah, wie während des Tankens ein kleiner Hund aus dem Gepäckraum geholt wurde, der völlig steif gefroren war und von einem Angestellten mit Gewalt wieder in Bewegung gesetzt wurde, würde bloß einen Tierschützer interessieren. Das geschah mit einer »Elektra« der ansonsten für ihre Qualität bekannten holländischen KLM.
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Erlebnise in einer Caravelle und einer Panam- Maschine

Und ich hatte auf einem Flug in einer Caravelle der jugoslawischen Airline Yak von München nach Paris mitangesehen, wie eine Stewardeß in der Kombüse ein offenes Feuerchen entfachte, um eine Kaffeekanne heißzumachen, weil die Kaffeemaschine offenbar nicht mehr funktionierte.

Von dem Panam-Purser will ich da gar nicht mehr reden, der vor meinen Augen die Klappe über dem Sitz des Passagiers vor mir mit Klebestreifen verschloß, weil sie dauern von selbst aufging und die Sauerstoffmaske herausgefallen kam. Gut für den rauchenden Passagier.
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Erst wenn sich mehr als 3 Fehler zusammentun, wirds ernst

So hatte mein Interesse für Flugzeugabstürze und Sicherheitsbestimmungen an Bord begonnen, zu dem mein Freund Jack O. Bennett, der berühmteste Berliner Panam-Pilot, nur sagte: »Das ist noch gar nichts. Ich könnte dir stundenlang von Dummheiten unserer Angestellten erzählen. Aber deswegen stürzt eine heutige Maschine nicht ab - deswegen stirbt vielleicht der eine oder andere Passagier. Wirklich gefährlich wird es erst, wenn vier oder fünf Fehler sich zu einer Kettenreaktion verbinden .«

Meine Freundin Ada Tschechowa, die Tochter Olgas und Mutter Veras, starb an nur drei Fehlern, zusammen mit allen anderen Passagieren einer Lufthansa, direkt über dem Flughafen von Bremen, wie einwandfrei aus dem Untersuchungsbericht des Bundesluftfahrtamtes in Braunschweig hervorgeht.
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So geschehen in Bremen am 28. Januar 1966

In Deutschland herrschte am 28. Januar 1966 eine Grippewelle, als Ada in München die zweimotorige Convair-Metropolitain zu einem Flug über Hannover nach Bremen bestieg. Auch die Lufthansa hatte Grippeausfälle unter ihrem fliegenden Personal und mußte den Rest ihrer Standby-Piloten zusammenkratzen.

Der Dispatcher, der dabei einen 48jährigen Kapitän alarmierte und ins Cockpit der kleinen Propellermaschine beorderte, hielt sich gewiß an seine Vorschriften. Er brauchte nur zu überprüfen, ob der Pilot eine Zulassung für den verwendeten Flugzeugtyp besaß, und die hatte er. Doch er hatte immer noch keine für Düsenmaschinen. Ein 48 Jahre alter Verkehrspilot aber gehört in die Kategorie der Intercontinental-Piloten, die Jumbos nach Australien steuern.

Die Prüfung für diese höchste Flugzeugführerklasse hatte der Grippe-Ersatzmann jedoch nicht bestanden. Er war sogar durch die nächstniedrigere der Europa-Piloten gefallen, die nach London, Paris und Rom fliegen dürfen. Er besaß tatsächlich nur die Zulassung, die ihn befähigte, eine kleine Zweimotorige durch Deutschland zu steuern: Fehler Nummer eins, der allenfalls dem Lufthansa-Psychologen anzulasten wäre.

Fehler Nummer zwei wartete bereits im Cockpit: Ein sehr junger 2. Pilot der Lufthansa, ein Grünschnabel, der sich beim Anblick des alten Piloten seinen Teil gedacht haben mag. Vielleicht erinnerte sich unser 48jähriger auch noch an die letzte Flugtauglichkeitsprüfung des Lufthansa-Arztes, bei der ihm eine Brille verschrieben worden war, mit der Anweisung: Ist bei
Start und Landung zu tragen.

Vielleicht setzte er sie beim Start pflichtgemäß auf, vielleicht auch nicht. Als man seine Leiche auf dem Flughafen von Bremen untersuchte, steckte die Brille jedenfalls in der oberen Rocktasche, neben dem Revers. Was zumindest beweist, daß er sie bei der Landung in Bremen nicht aufgesetzt hatte.

Und jetzt muß ich mich korrigieren: Der dritte Fehler, der bei der Landung passierte, hatte doch wohl etwas mit einem vierten Umstand zu tun, der zu einem fünften, fatalen führte; Jack Bennett hat recht. Die Metropolitana kam in Bremen etwas zu hoch hereingeschwebt, was sich an diesem Tag verbot, denn die einzige Landebahn war, wegen einer Baustelle, um ein Viertel verkürzt worden; die Crew wußte das.

Nun brauchen wir uns nur noch die Situation im Cockpit bei diesem Landeanflug auf Bremen vorzustellen: Der viel zu alte Kapitän übernimmt, wegen der verkürzten Landebahn und weil er weitaus mehr Flugstunden, also Erfahrung, besitzt, das Steuer. Aber er geniert sich offenbar vor dem blutjungen 2. Pilot, der rechts neben ihm sitzt, die Brille bei diesem Manöver aufzusetzen - welchen Grund könnte er sonst gehabt haben, sie in der Tasche zu lassen?

Und er verpatzt prompt die Landung, kommt zu hoch herein, erkennt seinen Fehler und startet, vielleicht auch durch den Flughafen-Turm aufmerksam gemacht, schneidig durch, gibt den Propellern »volle Pulle« und zieht die Maschine dabei in eine jähe Linkskurve.

Will er seinem Co-Piloten beweisen, was er für ein toller Flieger ist? Seine Linkskurve gerät ihm zu steil, er legt die Maschine so sehr auf die Flügelspitze, daß der Luftwiderstand abbricht und die Zweimotorige wie ein Stein herunterfällt. Aus. Sie sind alle tot, auch Ada Tschechowa. Eine Kettenreaktion von vier, nein fünf Fehlern.
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Die spritlose Notlandung vor Englands Küste - die Story

Auf die Aufklärung eines anderen unnötigen Absturzes, der in die Luftfahrtgeschichte eingegangen ist, war ich besonders stolz, denn drei Gerichte in Genf, Bern und Folkstone/England bemühten sich umsonst darum.

Ich hingegen übte mich in meinem Lieblingssport »Deduktion«, ohne den Schreibtisch zu verlassen, kam auf die richtige Lösung und brauchte nur einen Vormittag auf dem Flughafen Genf, um sie bestätigt zu finden.

Es handelte sich um den skurrilen Fall der Notlandung einer ebenfalls zweimotorigen Propellermaschine der Marke Convair-Metropolitain der Swiss Air wegen Benzinmangels, nach der eine Mutter und ihr Kind den Tod durch Ertrinken im Ärmelkanal gefunden hatten. Die Maschine war abends, so um 22 Uhr herum, in Genf nach London gestartet, ohne aufgetankt zu haben.

In den drei Gerichtsverhandlungen war es immer wieder um die Frage gegangen: »Warum haben Sie, nachdem Sie gerade aus London zurückgekehrt waren, aufzutanken versäumt?« Und der Schweizer Pilot wie auch sein Co-Pilot hatten sich in allen drei Verhandlungen mit dem Hinweis auf eine defekte Benzin-Anzeigung herausgeredet sowie auf das Mißverständnis, jeder habe vom anderen geglaubt, schon aufgetankt zu haben.

Die Frage, die keines der drei Gerichte zu beantworten versuchte, mußte für mich also lauten: Wie war es zu dem »Mißverständnis« unter den Piloten gekommen, das zwei Todesopfer kostete und dem internationalen Schweizer Erkennungszeichen »HB« den Spottnamen eintrug: »Haschte Benzin?«

Ich brauchte einen ganzen Tag, um den Untersuchungsbericht vorwärts und rückwärts zu lesen, und dann nur noch zehn Minuten, um herauszufinden, was an diesem 19. Juni 1954 in Genf losgewesen war.

Einem Deutschen fiel es leichter als Schweizern und Briten, sich bei dem Datum etwas zu denken: In der Schweiz fand die Fußballweltmeisterschaft statt, an der wir zum ersten Mal nach dem Krieg wieder teilnahmen durften, und wir waren Weltmeister geworden.

Ich flog nach Genf, spazierte auf dem Flughafen herum, der sich inzwischen, wie alle Flughäfen, gewaltig verändert hatte, fand aber noch ein paar alte Angestellte und ließ mir von ihnen zeigen, wo auf dem Vorfeld Mitte der fünfziger Jahre die Swiss Air ihre Maschinen parkte, wenn sie von einem Europaflug zurückkehrten.

Und dann fragte ich auch noch nach der Weltmeisterschaft von 1954, und ob sie keine Fernsehapparate gehabt hätten - am 19. Juni abends hatte die Schweiz gegen Jugoslawien gespielt. »Doch, doch«, versicherten mir mehrere von der Bodentruppe, unabhängig voneinander, »da stand früher hier so eine Baracke, ein Aufenthaltsraum für das Vorfeld-Personal, da hatten wir einen Fernseher drin!«

Nun war mir alles klar, die Auskunft ergänzte den umfangreichen Untersuchungsbericht aufs Trefflichste: Die Metropolitain war gegen 21 Uhr, aus London kommend, gelandet, der Bus für die Passagiere war vorgefahren, sie waren von Bord gegangen - und hinter ihnen auch die beiden Piloten. Und während, wie üblich, das Reinigungspersonal in die Maschine kletterte, war auch der Shell-Tankwagen gekommen und hatte auf die Piloten gewartet. Denn betankt werden durfte die Zweimotorige nur in Anwesenheit eines Piloten. Die aber waren einen Kaffee trinken gegangen und anschließend in die Baracke, zum Spiel der Schweiz gegen Jugoslawien.

Und das hatte sich so lange hingezogen, daß die Passagiere für den letzten Abendflug nach London schon an Bord gegangen waren, bevor der Schlußpfiff ertönte. Dann endlich waren Pilot und Co-Pilot an Bord gestürmt.

Fehler Nummer zwei: Auch die Tankwagen-Besatzung hatte sich erst ein bißchen die Beine vertreten und war dann ein paar Meter weiter gefahren, zu einem zweiten, gerade gelandeten Flugzeug, das aufgetankt werden mußte.

Von dort aus - einer Entfernung von 60 Metern - sah dann die Tankwagen-Besatzung, wie ihre Metropolitain, die sie jeden Tag für den letzten Flug nach London versorgte, sich plötzlich in Bewegung setzte und mit Vollgas zur Startbahn rollte.

»Und?« habe ich einige Shell-Leute befragt. »Ist keiner eurer Kollegen auf die Idee gekommen, dem Swiss Air-Manager Bescheid zu sagen? Eure Kollegen wußten doch, daß die Metropolitain viel zu wenig Treibstoff an Bord hatte?«

Diese Schweizer! Sie sahen sich an und hoben die Schultern: »Ist doch nicht unsere Sache!« Und: »Wer legt sich schon gern mit Piloten an?« Der Stationsmanager hätte die Metropolitain bequem über Funk noch zurückbeordern können. So aber flogen die Piloten, über Fußball redend wahrscheinlich, seelenruhig weiter und wurden erst unruhig, als ausgerechnet hoch über dem englischen Kanal, so gegen halb eins in der Nacht, ihre Motoren zu stottern anfingen. Der Propellerflug nach London dauerte damals, von Genf aus, beinahe drei Stunden.

Von hier an genügt der Unfallbericht, der als erstes vermerkt, daß der Schweizer Pilot »zwei Meilen vor Folkstone, bei ruhigem Wetter und glatter See, aber vollkommener Dunkelheit« eine erstklassige Wasserlandung hingelegt habe. Aber dann fiel auch die Notbeleuchtung an Bord aus, und die Piloten bewiesen Kaltblütigkeit. Während der Co-Pilot über einen batteriebetriebenen Sender »Mayday! Mayday!« funkte und seine Position angab - die Lichter der englischen Küste waren bereits zu sehen -, kümmerte sich der Erste Pilot nur um seine eigene Lage, zog die Uniformhose aus und hängte sie, auf die Bügelfalten achtend, an der Wand hinter sich korrekt auf, bevor er auf Strümpfen durch das kleine Cockpit-Fenster auf die Tragfläche hinaus kroch und mit seiner Taschenlampe den ersten näherkommenden Motorbooten aus Folkstone sein schwimmendes Flugzeug meldete.

Die Frage, ob er nicht bemerkt habe, wie hinter ihm die Einstiegtreppe der Metropolitain herunterklappte und eine schreiende Frau mit ihrem Sohn im Arm von einem völlig durchgedrehten Purser in die dunkle See hinausgeworfen wurde, stellte keiner der drei Untersuchungsrichter.

Der Purser nämlich war nach der glatten Notlandung und dem Notstrom-Ausfall durch den Gang nach vorne geeilt und plötzlich ins Leere getreten, in ein dunkles Loch gefallen, das die harte Landung in den Flugzeugboden gerissen hatte, und strampelte, bis zum Hals im Nordseewasser hängend, um sein Leben.

Nachdem er sich aus der nassen Falle wieder herausgearbeitet hatte, verlor er jedoch die Nerven und schrie nur noch: »Raus hier! Ganz schnell raus hier! Wir versinken!«

In der ausbrechenden Panik, stellten die Gerichte fest, sei alles drunter und drüber gegangen, und der Purser habe den nächstbesten Passagier gegriffen - die Frau mit ihrem kleinen Sohn - und habe sie aus der Einstiegtür ins Wasser geworfen. Und das waren dann auch die einzigen an Bord, die naß wurden; ihre Leichen schwemmten am nächsten Tag an die holländische Küste. Alle übrigen Passagiere, wie auch die Mannschaft, stiegen trockenen Fußes in die herbeigeeilten Rettungsboote, die Piloten zuerst.

Als ich diese und andere Geschichten neun Jahre später zu Papier brachte, war der 1. Pilot noch in Acht und Bann, der Co-Pilot aber steuerte bereits die Firmen-Maschine der Krupps. Und als ich Berthold Beitz, dem Generalbevollmächtigten der Krupps, zu seinem Mut gratulierte, sagte der: »Was solls! Das ist ein erstklassiger Pilot, und eines ist doch sonnenklar: Ohne Benzin wird der nie wieder losfliegen!« Wiederum neun Jahre später hörte ich, der Pilot sei nun Chef- oder Checkpilot bei der Lufthansa-Tochter Condor und kontrolliere die anderen Piloten.
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Lufthansa-Kapitän Klaus Eidner

Mein deutscher Lieblingspilot aber wurde der Lufthansa-Kapitän Klaus Eidner, mit dem ich in der Boing 707 einige Male nach New York und zurück geflogen bin, auf dem Observer-Seat, direkt hinter ihm.

Eidner war, wie Jack Bennett, zum Fliegen geboren, gewissenhaft bis zum Exzeß und trotzdem ein »Draufgänger«, der als junger Bomberpilot im Rußland-Feldzug mit seiner He 111 abgeschossen und bei Nacht im Dachstuhl eines Bauernhauses gelandet war.

Wie Jack Bennett sagte: »Alle Vorschriften der Fluggesellschaften sind für schlechte Piloten gemacht, für Zögerer und Zauderer, die über die Landebahn hinausschießen und regelmäßig Bruch machen .«

Obwohl ich beim Anflug auf den überfüllten New Yorker Luftraum auch schon mal bemerkte, daß Klaus Eidners weißes Hemd plötzlich Schweißflecken auf dem Rücken bekam, als Kapitän, Co-Pilot und Bordingenieur die Köpfe zusammensteckten und nach links und rechts und oben und unten aus dem Cockpit starrten, um nicht zu nahe an andere Maschinen zu geraten, die ebenfalls dem Kennedy Airport zusteuerten.

»Ich denke, das macht das Radar für euch?« rief ich alarmiert. Klaus wiegte nur den Kopf und murmelte zwischen zusammengebissenen Zähnen: »Besser ist besser - die Lotsen auf Kennedy sind in dieser rush hour, in der alle gleichzeitig ankommen, heillos überfordert. Wir haben in diesem Monat schon genug "near missings" gehabt.«

Vielleicht schreibe ich das Buch Runter kommen sie immer doch nochmal. Ich kann's nicht lassen, immer weiter Material zu sammeln, und kenne kein aufregenderes Thema.
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Eingeholt von der Vergangenheit - Das "Ärgernis" genannt "Nachwuchs" - der Evelyn Renziehausen

Ich kriege einen Schlag auf die Brust, meine Hände zucken instinktiv hoch, ich halte einen pitschnassen Hund fest, der mich auch noch ankläfft. Ich drehe mich um und sehe eine lange Mädchengestalt davonrennen, mitten auf dem belebten Tauentzien, in der Nähe des KaDeWe.

Ich renne mit dem Hund in der Hand hinter der Attentäterin her, erwische sie - und stehe einer nicht weniger nassen Evelyn Renziehausen gegenüber, die mich von sich stößt und sofort loskeift.

»Rühren Sie mich nicht an! Sie sind an allem schuld! .... Sie sind schuld daran, daß ich jetzt schwanger bin! .... Ich war gerade im KaDeWe und habe mir ein Abschleppseil gekauft« - sie trägt es, noch verpackt, in der Hand -«und hänge mich jetzt auf! ..... Ich bin gerade in den Landwehrkanal gesprungen, weil ich Schluß machen wollte, aber mein Hundchen hat so geheult, daß ich wieder an Land geschwommen bin!« - Nun endlich nimmt sie mir das nasse Bündel ab -

»Wenn Sie mich in der Nacht in Tempelhof nicht so verletzt hätten, wäre das alles nicht passiert! Sie sind verantwortungslos, Herr Tremper! Sie haben kein Gewissen, keine Moral! Ich hätte nie an Sie glauben dürfen, ich war dumm .!«

Eine kleine Menschenmenge sammelt sich um uns. Die nasse Evelyn ist, unübersehbar, schwanger. Und ein, zwei Kavaliere fangen schon an, eine drohende Haltung gegen mich einzunehmen, sich einzumischen: »Erst seinen Spaß haben mit so'nem armen Ding, und sie dann sitzenlassen - das haben wir gern!« Typische Berliner, müssen sich um alles kümmern, was sie nichts angeht.

Ich ergreife die einen Kopf größere Renziehausen und zerre sie mit. Nur weg hier, sonst gibt's noch eine Rempelei, und ich fange mir Ohrfeigen. Diese Tante ist ja wohl wahnsinnig geworden! Wieso bin ich schuld an ihrer Schwangerschaft?
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Fräulein Renziehausen mit dem frechen Mundwerk

Es ist April 1963, die Tempelhof-Premiere liegt erst ein paar Wochen zurück, im Marmorhaus läuft immer noch "Die Endlose Nacht", die Sonne scheint, aber gleich wird es wieder regnen, die Straßen sind noch naß vom letzten Guß.Ich überrede Fräulein Renziehausen, in meinen Wagen zu steigen und nach Hause mitzukommen. Sie hat selbst keinen Wohnsitz mehr, übernachtet mal hier, mal da, hat aber ihr freches Mundwerk nicht verloren. »Mercedes!« sagt sie schnippisch, als wir einsteigen. »Typisch!«

Ich lasse sie erzählen, und sie hat eine gute Art drauf, zu formulieren, ist vielleicht dumm in ihren jähen Entschlüssen, aber sonst hochintelligent. Es macht plötzlich Spaß, ihr zuzuhören.
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Die Party bei Jürgen Bud-Monheim auf Schwanenwerder

Sie war damals, es muß im Dezember 1962 gewesen sein, mit ihrem jungen Begleiter, einem Schauspielschüler, aus der Abflughalle in Tempelhof verschwunden, weil sie noch auf eine Party bei Jürgen Bud-Monheim auf der Insel Schwanenwerder; eingeladen waren.

Jürgen ist ein Herrenreiter und Sportflieger, der im Krieg einen Arm verloren hat und sein Handicap mit extremen sportlichen Betätigungen kompensiert. Ich kenne ihn oberflächlich.

Er hat mich 1950 mal vom Kontrollpunkt Dreilinden bis nach Braunschweig in seinem Jaguar mitgenommen, und ich habe Höllenängste bei seinen einarmigen Fahrkünsten ausgestanden.
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Du hast dich also von Monheim schwängern lassen!

»Du hast dich also von Monheim schwängern lassen!« sage ich.

Doch da explodiert sie gleich wieder: «Quatsch! Mit dem Jürgen doch nicht! Den kenn' ich doch schon länger!« Da waren noch mehr Herren beim Roulettespielen in Jürgens toller Villa. Sie nennt eine ganze Reihe bekannter Berliner Namen, die ich hier lieber verschweigen will, denn Evelyn behauptet, daß sie ihr weißen Rum aus Wassergläsern zu trinken gegeben hätten - »und danach kann ich mich an nichts mehr erinnern!«

Sie habe erst kürzlich bemerkt, daß sie schwanger sei, und habe alle möglichen Herren besucht, die damals bei Monheim dabei waren, aber jeder habe empört abgestritten, ihre hilflose Lage ausgenutzt und sich an ihr vergangen zu haben.

»Doch das Merkwürdige ist«, sagt sie, »daß jeder mir Geld zugesteckt hat. Ich brauchte für die Abtreibung 600 Mark, und alle haben mir mehr gegeben!«
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Aus der Geschichte einen Film machen, Titel: Das Ärgernis

Wirklich merkwürdig, denke ich, und überlege längst, wie ich aus dieser Geschichte einen Film machen könnte, Titel: Das Ärgernis.

Ich sehe sogar das Plakat schon vor mir: Ein süßes nacktes Baby auf einem Eisbärenfell, darüber der schreckliche Titel. Als wir im Gadebuscher Weg ankommen, weiß ich sogar, wie ich den Film anfangen werde:

Ein Wirtschaftswunderehepaar liegt im Garten seiner Grunewaldvilla nach einem fetten Mittagessen prustend in zwei Liegestühlen. Es klingelt, und da die Hausgehilfin frei hat, erhebt sich die Ehefrau aus dem Liegestuhl und öffnet die Haustür. Großaufnahme auf den tollen Kopf der Renziehausen, die höflich fragt: »Ach, bitte, wohnt hier Herr Soundso?« Gegenschuß auf die Ehefrau, die mißtrauisch sagt: »Ja, wohnt hier - in welcher Angelegenheit wollen Sie ihn sprechen?«

Gegenschuß auf Renziehausen, und während die Kamera langsam von ihrem Gesicht auf den dicken Bauch hinabschwenkt, hören wir ihre Stimme im Off: »In einer persönlichen .«
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Meiner Karin fehlte das Verständnis für die beiden "Gäste"

Aber zuerst hatte ich einmal alle Hände voll damit zu tun, meiner Frau Karin zu versichern, daß die Schwangere, die ich ihr als neuen Hausgast brachte, nicht von ihrem Mann (also von mir) schwanger war.

Zum Glück konnte ich ihr klarmachen, daß ich mit der Renziehausen lediglich einen neuen Film mitbrachte. Evelyn wurde im ersten Stock einquartiert, und Karin nahm unsere Kinder und flüchtete gleich zu einem vorgezogenen Sommerurlaub nach Kampen.

Was mir nur allzu recht war, ich konnte Felix anrufen: »Wir drehen wieder!«, mich auf ein Drehbuch stürzen und die ganze Sache diesmal etwas gediegener vorbereiten.
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Erst mal Evelyn Renziehausen in Ruhe kennenlernen

Vor allem konnte ich Evelyn Renziehausen in Ruhe etwas besser kennenlernen. Sie war die Tochter eines bekannten Berliner Feinkosthändlers vom Südstern, auch dort aufgewachsen, der sich in hohem Alter durch seine Spielleidenschaft noch ruiniert hatte.

Die Mutter Evelyns, zum Beispiel, hatte er auch in einer Spielhölle in der Potsdamer Straße kennengelernt, und das war wohl nicht die beste Ausgangsposition für das Kind. Offenbar gab es zwischen Vater und Mutter einen viel zu großen Altersunterschied, den die jüngere Frau dazu benutzte, den alten Herrn kräftig auszunehmen.

Dazu kam noch, daß die Mutter im Krieg nicht nur in einer Hinsicht unter die Räder geraten war - sie hatte ein Bein verloren und humpelte auf dem verbliebenen gelegentlich auf den Strich. Evelyn verbrachte fast ihre ganze Kindheit in Internaten, unter Ordensschwestern, und entwickelte eine überaus lebhafte Phantasie, die nie ganz der Wirklichkeit standhielt.

Das alles hat sie mir nicht etwa in den Wochen und Monaten, die wir zusammen waren, freiweg erzählt. Das habe ich mir im Laufe der Jahre zusammenreimen müssen. Was sie, besonders am Anfang unserer Beziehung, zu erzählen wußte, waren zum größten Teil reine Hirngespinste, leicht zu erkennen, an denen sie gleichwohl eisern festhielt.

Was an Realem am Ende herauskam, war die Geschichte einer jungen Überlebenskünstlerin par excellence.
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Meine Protagonistin lag faul in der Sonne

Ich schrieb am Ärgernis und hatte alle Hände voll damit zu tun, meine Protagonistin nicht selbst zu meinem privaten Ärgernis werden zu lassen. Sie lag faul in der Sonne und blätterte in den neuen Illustrierten, kommentierte auf unverfrorene Art das Weltgeschehen, sprang in Hubschmids Pool auf der anderen Seite der Mauer zum Nachbargrundstück - Paul drehte irgendwo - und legte sich nackt und naß zu mir ins Bett, ohne daß es je zu sexuellen Intimitäten zwischen uns kam.

Evelyn war an Sex mit Männern wenig interessiert, weil sie immer an Männer geriet, von denen sie etwas wollte, ohne dafür etwas geben zu wollen. Das hielt sie, sehr richtig, für eine Form von Prostitution und wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen.

Sie war immer auf der Suche nach Idealen, und daß es irgendwo auf der Welt einen geben müßte, der mit ihr einen Film machen wollte, auch ohne sich körperlich an ihr gütlich zu tun, daran glaubte sie fest. Ich wurde das beste Beispiel für ihre Theorie.
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An Evelyn hatte ich "einen Narren gefressen"

Ich war in kurzer Zeit völlig vernarrt in ihr traumhaftes Aussehen, ihre Lebendigkeit und Intelligenz, aber sie blieb für mich ein Objekt. Noch mehr vernarrt war ich in die Vorstellung, einen guten Film mit ihr zu machen, und tat alles, um das Projekt auf die Beine zu stellen.

Natürlich ging der Besucherbetrieb am Gadebuscher Weg, auch ohne meine Frau, weiter wie gehabt. Und jeder, der vorbeikam, erfuhr von der Geschichte, die ich mit der Renziehausen vorhatte:

Ich wollte zuerst die zweite Hälfte des Films drehen, die immer runder werdende Schwangere, die potentielle Liebhaber durch ihren Anblick erschreckt und zur Herausgabe größerer Beträge animiert, bis zur Geburt eines Kindes und einem Happy Ending, das ich mir noch nicht vorstellen konnte. Dann wollte ich sechs Wochen Pause einlegen und, mit der wieder schlanken Mutter, den Anfang drehen.
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Viel tolle Werbung und ein böser Artikel

Zuerst erschienen sogenannte Produktionsnotizen über das Vorhaben in allen möglichen Tageszeitungen. Dann kamen auch Interviews mit meiner geplanten Hauptdarstellerin, und schließlich verfaßte meine alte Freundin Cornelia Herstatt in der Frauenzeitschrift Constanze einen bösen Artikel, in dem sie mir vorwarf, »geschmacklos« und »unappetitlich« zu sein, weil ich keine Schauspielerin verwenden wollte, der "wir ein Kissen unters Kleid binden" müßten, sondern eine richtige Schwangere. Heute ist die Empörung darüber kaum noch nachzuvollziehen, damals schlugen die »Wogen der Entrüstung« hohe Wellen.

Ich beschloß, erst mit dem vorführbereiten Film in der Hand wieder an die Öffentlichkeit zu treten und auch meiner Darstellerin einen Maulkorb zu verpassen. Dazu war es freilich notwendig, sie erstmal unter Vertrag zu nehmen.

Also rief ich die Münchner Agentin Ilse Alexander, Witwe des in den dreißiger und vierziger Jahren wohlbekannten Bonvivants Georg Alexander, nach Berlin und diktierte ihr einen Exklusiwertrag mit Evelyn Renziehausen, dessen Schlußparagraph klipp und klar festlegte, daß alle vorangegangenen Paragraphen nichtig seien, falls die Schauspielerin sich bis zur Premiere nicht an das »absolute Schweige- und Fotografierverbot« hielte.
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Verttaglich : »Das absolute Schweige- und Fotografierverbot«

Evelyn unterzeichnete artig, umarmte ihre Agentin und verabschiedete sich, während ich mit Ilse noch ein Stündchen allein verbrachte und über die Filmbranche redete. Dann stiegen wir in meinen Wagen, und dann hätte sie beinahe ihren Rückflug verpaßt, denn an der nächsten Ecke der Straße Im Dol parkte ein Wagen, in dem ein Pärchen saß:

Der New Yorker Starfotograf Peter Basch mit Evelyn Renziehausen! Mit Peter hatte ich mich im Jahr zuvor, während eines Aufenthaltes in New York für die Quick, angefreundet, und es war sonnenklar, daß er mich sofort anzurufen hätte, wenn er nach Deutschland, besonders nach Berlin, kommen sollte.

Ich sagte zu Ilse: »Moment mal!« und parkte meinen Wagen direkt vor dem Peters, ließ mir von Ilse ihr Vertragsformular geben, stieg aus und hielt es Fräulein Renziehausen vor die Nase.

»Was willst du denn?« regte sie sich auf. »Wir besprechen hier nur ein paar Titelbilder, die wir für den Film vorgesehen haben, das ist doch nicht verboten!?«
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Und schon war der Vertrag hinfällig - und "Das Ärgernis" auch

»Doch«, sagte ich, »das ist seit einer Stunde strengstens verboten!« - und zerriß den Vertrag vor ihrer Nase in kleine Schnipsel. Indessen Peter Basch ausstieg und die große Freundschaftsnummer abzog: »Mein Lieber! . Ich hätte dich sowieso heute noch angerufen! Ich war nur so irre beschäftigt, weißt du .«

»Das sehe ich«, antwortete ich ihm. »Du parkst seit mindestens einer Stunde fünfzig Meter vor meiner Haustür ...... aber jetzt kannst du deine Fotos ja machen. Fräulein Renziehausen hat keine Verpflichtungen mehr .«

So starb "Das Ärgernis" auf die albernste Art und Weise.
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Also auf zum nächsten Film - dem Dritten

Das war der Titel des nächsten Films, den ich machen wollte. Die Geschichte ist schnell erzählt und stammte von Wolfgang Neuss und mir. Sie handelte von einem »Kiestreter«, wie die Berliner die Kellner in gewissen Vorgartenlokalen nennen, von denen es in der Stadt der 70 Seen mehr als genug gibt. Aber, um es gleich zu sagen, mit Kabarettisten sollte man keine Filmthemen planen.

Mehr als ein Haufen zweifelhafter Gags kommt dabei nicht heraus. Darum spielte der Kellner, der schwere Tabletts über kiesbelegte Gartenlokale schleppt, im weiteren Verlauf der Geschichte auch keine Rolle mehr.

Vielmehr nahm ich mir die Verhältnisse auf der Großbaustelle des Europa-Centers von Karl-Heinz Pepper zur Brust. Dort klauten die Bauarbeiter wie die Raben das Baumaterial, schleppten es nach Hause und bauten sich ihre eigenen Häuschen.

Die Schlußszene stand von Anfang an fest: Bauherr Pepper wird bei dem alkoholtriefenden Richtfest von einem lallenden Polier angesprochen, der ihn einlädt, sich nun auch sein kleines Häuschen mal anzuschauen.

Hach, wie komisch! Und dazu auch noch Neussens politische Holzhämmer ......
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Die Schauspielerin Renate Ewert mit dem Leopardenmantel

Aber Laß es mal regnen, was dann? wurde zum geflügelten Wort in meinen Kreisen. Es paßte auf alles, sogar auf die nächtlichen Treffen meines Nachbarn mit der Schauspielerin Renate Ewert, bei denen Renatchen stets nackt auftrat, nur mit ihrem Leopardenmantel bekleidet.

Die kleine, süße, sehr erfolgreiche Renate, hatte sich in Paul Hubschmid, den Professor Higgins in der deutschen Erstaufführung des Erfolgs-Musicals My Fair Lady, verknallt und verfolgte ihn jeden Abend nach der Vorstellung im Theater des Westens, vom Bühneneingang bis zu seinem Haus in Dahlem, in ihrem kleinen weißen Alfa Romeo-Zweisitzer, nackt, im Leopardenmantel.
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Renate Ewert vefolgte Paul Hubschmid

Ohne ihren Namen zu nennen, erwähnt Hubschmid diese Verfolgung durch eine (angeblich) »Unbekannte« auch in seinen 1994 bei Bertelsmann erschienen Memoiren "Schöner Mann, was nun?", beschreibt das Scheinwerferblinken der hinter ihm herfahrenden Verehrerin, und daß sie an den Kreuzungen vor der roten Ampel neben ihm hält und ihn angurrt. Aber daß ich der Leidtragende dieser beginnenden Affäre wurde, das schreibt »Paule« nicht.

Und damit meine ich nicht, daß Renate Ewert nach ihren Verfolgungs-
Jagden zu mir, dem Nachbarn, zu kommen pflegte, um sich über die Sturheit dieses Professor Higgins auszuweinen. Der Anblick ihres rassigen nackten Körpers unter dem eben mal kurz geöffneten Leopardenmantel verursachte mir kein Leid, ebensowenig, was sich nächstens bei mir abzuspielen begann, als Hubschmid schließlich die Nerven verlor und kapitulierte.
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Paul Hubschmid war groß und das Auto oft zu klein

Als er immer später von der Abendvorstellung nach Hause kam, weil er schwach geworden war und Renatchen nicht mehr hinter sich herfahren, sondern gleich in seinen hübschen kleinen Mercedes steigen ließ.

Er fuhr diesen eleganten, offenen 230er, den Nadja Tiller im Mädchen Rosemarie für alle Nutten populär gemacht hatte, wenngleich seiner nicht rot war, sondern silbergrau. Aber für einen fast zwei Meter großen Mann doch ein bißchen eng, wenn er mit der zierlichen Renate im Grunewald ein lauschiges Plätzchen ansteuerte.

Außerdem herrschte nicht jede Nacht gutes Wetter, und Renate sah sich des öfteren mit dem Problem konfrontiert: »Laß es mal regnen, was dann?«

Dann kroch Paul Hubschmid aus seinem engen Zweisitzer und begann das Verdeck zu schließen, wodurch es noch enger auf den Sitzen wurde. Aber so kam ich wenigstens, der ich bequem zu Hause in meinem Miller Chair vor der Glotze lag, zu einem kleinen Vergnügen, bevor ich »Leidtragender« wurde.
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Abend für Abend - Ausübung eines »normalen« Verkehrs

Denn die Enge seines Mercedes hinderte das ungleiche Liebespaar Abend für Abend an der Ausübung eines »normalen« Verkehrs, der »schöne Mann« mußte seiner hitzigen Begleiterin die ganze »Arbeit« überlassen, was ihm regelmäßig guttat, aber nicht ihr.

Außerdem fühlte er sich danach - und nach der anstrengenden Higgins-Vorstellung - so entspannt, um nicht zu sagen erschöpft, daß er nur eines noch im Sinn hatte: sein schönes großes Bett. Also ließ er sofort den Wagen wieder anspringen, wendete und raste nach Hause.

Seine nächtliche Verführerin zu fragen, ob er sie zuerst nach Hause bringen dürfte, hatte er sich von der ersten Nacht an ersparen können, denn Renatchen antwortete jedesmal: »Ich gehe noch zu Will. Der arbeitet immer lange .«
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Ich hätte dankbar sein müssen für das Geschenk

So setzte Nachbar Paul sein nicht entspanntes Abenteuer regelmäßig an meiner Ecke ab, bevor er in die lange Einfahrt zur Siemens-Villa bog, in der er wohnte, während ich die angenehme Aufgabe vor mir hatte, bei der hochgekochten Renate für Abkühlung zu sorgen.

Das war, wenigstens am Anfang der Affäre, eine ganz neue Erfahrung für mich, nämlich eine höchst erfreuliche, denn, wo bekam ein Mann schon frei Haus geliefert, wozu er sich normalerweise erstmal stundenlang bemühen muß?

Ich hätte meinem Freund Hubschmid dankbar sein müssen für das Geschenk, aber auch ich war ja verheiratet, genau wie mein Vorarbeiter, und der Besuch Renates verlief nicht immer so glatt wie gewünscht.
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Ursula Hubschmid hatte jedoch einen Verdacht

Meine Frau, die wegen der Kinder früh heraus mußte, schlief meistens schon im ersten Stock - mein Schlafzimmer lag im Erdgeschoß -, oder sie spielte irgendwo in der Nachbarschaft, bei Christine Viertel meistens, Gin Romme mit Ursula Hubschmid, oder die Damen waren ins Kino gegangen.

Meine Frau war die erste, die Ursula auslachte, als die den Verdacht äußerte, ihr Mann habe etwas mit der Renate Ewert angefangen: »Eher mit meinem Mann! Die Ewert sitzt doch jeden Abend, wenn ich nach Hause komme, bei uns herum!« Worauf Pauls Frau sie fragte: »Läßt du dir das gefallen? Warum schmeißt du das Luder nicht raus?«

Und Karin antwortete: »Da hätte ich ja viel zu tun! Bei meinem Mann sitzen doch dauernd die komischsten Leute rum, der schreibt wieder irgendeinen neuen Film, und mit der Ewert spricht der nur über eine Rolle!«

Paul Hubschmid wurde von Ursula "beherrscht"

Renate Ewert wohnte eigentlich in Hamburg und kam nur zum Drehen nach Berlin, wo sie sich allerdings nun schon merkwürdig lange aufhielt.

Ursula Hubschmid, eine geborene von Teubern aus Köln, war die Tochter eines Luftwaffengenerals und hatte ihren Paul schon im Krieg geheiratet. Sie kümmerte sich so rundum um ihren Mann, daß man schon sagen konnte: Sie beherrschte ihn. Und er ließ sich das, seinem friedfertigen schweizerischen Naturell folgend, gern gefallen und gab ihr nie Anlaß, an seiner ehelichen Treue zu zweifeln - bis diese Geschichte mit Renate passierte.

Und so eine alte Ehefrau merkte natürlich etwas, da konnte Frau Tremper reden, was sie wollte. Wenn es nicht die Ewert war, dann war es jemand anderes, der ihren Paul während der My Fair Lady-Aufführung total veränderte.
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Ein Funke genügte, um Renate zur Explosion zu bringen

Ich fand soviel Gefallen an der Situation, daß ich alles riskierte, und Renatchen schon aus dem Leopardenmantel half, wenn meine Frau noch gar nicht zu Hause war - ihr auch schnell wieder hineinhalf, wenn Schritte vor dem Haus ertönten oder ihr Wagen in die Garage fuhr. Ich fand, daß es für einen Mann kein größeres Triumphgefühl gibt, als eine Frau in Sekundenschnelle zum Höhepunkt zu treiben.

Das ging am Ende, als Renates Besuche schon zur Gewohnheit wurden, soweit, daß ein Funke genügte, um sie zur Explosion zu bringen. Ein ganz besonderer Funke allerdings: Es kratzte an der Terrassentür, ich sprang aus dem Sessel und öffnete, sie hauchte:

»Sind wir allein?« - und machte einen Bogen um meine ausgestreckten Arme, warf den Leopardenmantel ab und fing schlurfend, wie eine Greisin, an, sich in ihren hochhackigen Pumps über meinen Spannteppich zu schieben. Dabei rief sie mit trunkener Stimme: »Setz dich wieder!«
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Renate liebte den Reiz und wollte es wissen

So schlurfte sie mit Nachdruck um meinen Schreibtisch herum, einmal, zweimal, trat dann nackt vor mich hin, nahm ihre kleinen festen Brüste in die Hände und ächzte: »Schnell!«

Ich tippte mit beiden Zeigefingern auf die Brustwarzen, ein elektrischer Funke sprühte, und . erschauerte und ließ sich, heftig keuchend, vor mir auf den Teppich sinken, hatte einen Orgasmus, und was für einen! Der Nylonteppich lud sich, bei bestimmten Witterungsverhältnissen, elektrisch auf, und Renate lud sich durch ihr Schlurfen mit den Schuhsohlen ganz bewußt noch mehr auf. Jeder kennt das.

Es war toll, und einmal hat sie das sogar in einem Augenblick noch getan, ohne ihren Mantel auszuziehen, ihn nur offenhaltend, als die Schritte meiner Frau schon auf dem Steinboden vor der Tür erklangen.

»Was denn nu' los?« rief Karin erschrocken, als sie Renate auf dem Teppich liegend entdeckte, den Mantel wieder fest um sich gewickelt.
»Es geht schon!« keuchte die. »Ich habe manchmal solche Anfälle - entschuldigt!«
»Zieh doch mal den Mantel aus!« rief Karin. »Brauchst du'n Schluck Wasser?«

»Nee, laß«, antwortete Renate, während ich ihr wieder auf die Beine half, »ohne Mantel friere ich doch abends so .«

Solche Szenen, hart an der Entdeckung, machten Renatchen einen Heidenspaß. Doch um die Wahrheit zu gestehen, ohne Paul Hubschmids Vorarbeit wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, noch einmal mit ihr zu schlafen. Das war 1959 schon geschehen - und damit die Spannung raus. Was mich erregte, war die besondere Situation, in der wir uns dabei befanden.
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Ursula Hubschmid roch inzwischen den Braten.

Sie war eine der witzigsten Frauen, die damals in Berlin eine Rolle spielten, hatte ein untrügliches Gespür für Menschen und konnte ätzend werden, wenn ihr jemand auf die Nerven ging. In der Filmbranche, in der ihr Paul seine Brötchen verdiente, fand sie die Zielscheiben für Spott und Sarkasmus zuhauf.

Aber in diesem Sommer 1963 veränderte sie sich, ohne daß es uns sonderlich auffiel. Ihr ganzer Kosmos, in dem sich alles um Paul drehte, geriet durcheinander.

Die Selbstverständlichkeit, mit der sie seine Karriere zwanzig Jahre lang mit festen Händen gelenkt hatte, verlor sich langsam. Ihr Zynismus wurde böse.

Sie fuhr ihrem Mann, auch wenn fremde Leute dabei waren, über den Mund und machte ihn neuerdings lächerlich. Und das zu einem Zeitpunkt, als seine Karriere den Gipfel erreicht hatte. Paul schluckte das; er wird seine Gründe gehabt haben.
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Was war los ? »Er lügt neuerdings.«

Ich war nicht dabei, wenn die beiden ihre Eheprobleme besprachen, aber ich bekam mit, wie sie zu meiner Frau sagte: »Er lügt neuerdings. Und das ist in unserer ganzen Ehe noch nicht passiert. Ich möchte wissen, woher er die Stirn hat, mich anzulügen .!«

Erzähl ich hier nur Klatsch? Ich hoffe nicht, denn aus der Komödie, die wir uns alle vorspielten, wurde auf einmal eine Tragödie, die uns allen furchtbar an die Nieren ging. Ohne diese Wendung würde ich die Hubschmids ebenso wenig erwähnen wie viele andere, deren Geschichten auch nicht langweilig waren.

Glaubst du, Ursula hat schon was bemerkt?

Eines Nachts kam Renate über die Wiese, ließ es sprühen und funken und sagte aufgeregt, daß Paul mit der My Fair Lady-Produktion nun bald nach Wien ginge. »Und er will mich unbedingt dabei haben!

Seiner Frau hat er schon gesagt, daß sie in Berlin bleiben soll ...... Der denkt doch hoffentlich nicht an Scheidung? Wenn ich eines hasse, dann Scheidungsgrund zu sein ..... Ich will der Ursula auch nicht wehtun. Glaubst du, sie hat schon was bemerkt?«

So ungefähr redete sie. Und ich sagte, was ich dauernd zu Renate sagte: »Laß doch das bleiben! Was findest du denn an dem Paul so aufregend?«

Ihre Antwort war mir auch längst bekannt und das gleiche, was Ursula auf diese Frage gesagt hätte: »Er sieht doch so toll aus! Wenn es einer Frau gelingt, sich so einen Mann zu angeln, hinter dem alle Weiber her sind, dann läßt sie ihn so schnell nicht wieder los .«
» . wenn er dir dazu noch aus der Hand frißt!«

Renatchen nickte begeistert, schlug mir auf die Schulter und stieß einen unartikulierten Schrei der reinen Wollust aus. Sie war mehr als intelligent, sie war klug, kannte ihr Geschlecht und wußte den Genuß, den ihr die Eroberung des schönen Paul bot, zu schätzen. Leider kannte sie Männer nicht, die zu spät aufwachen und dann zu allem fähig sind.
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All diese Selbstmorde

Als Paul mit der ganzen Truppe ins Theater an der Wien zog, war Ursula dabei - aber Renate längst in Wien. Ich hatte Ferien, las in den Zeitungen von dem großen Erfolg der Wiener Premiere und interessierte mich für andere Probleme.

Und dann kam die schaurige Nachricht: Ursula hat sich umgebracht! - Unmittelbar darauf: Sie lebt noch, ist aber im Koma und die Chance, daß sie überlebt, gering.

Renate Ewert war von der Wiener Polizei pudelnackt - nur in dem obligatorischen Leopardenmantel - in ihrem kleinen weißen Alfa Romeo gestoppt worden, als sie bei Rot über eine Innenstadt-Kreuzung raste - zum selben Zeitpunkt, nach Mitternacht, als Paul Hubschmid zu seiner Frau ins Hotel Bristol heimkehrte, die üblichen fadenscheinigen Erklärungen abgebend.

Ursula konnte sich den Rest an fünf Fingern abzählen, als sie beim Frühstück schon die Schlagzeilen der Morgenblätter las. Es hatte diesmal mehr als die übliche Auseinandersetzung gegeben, und als Paul am Nachmittag aus dem Hotel stürmte, war Ursula wieder ins Bett gegangen - um nicht mehr aufzuwachen.
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Es war nur eine traurige Verschnaufpause - dann ar sie tot.

»Wie durch ein Wunder«, so schrieben die Zeitungen später, war Ursula nach einer Woche im Krankenhaus noch einmal zu sich gekommen und ein paar Tage später zur Regenerierung in ein Sanatorium nach Bayern gefahren.

Auch ihre Nebenbuhlerin hatte sich vor den Reportern nach Bayern abgesetzt und nur ihrer Mutter in Hamburg anvertraut, wo sie sich versteckt hielt.

Hubschmid hingegen spielte den »Hartgesottenen« und führte sich, als seine Frau aus dem Koma erwacht war, wie ein Wilder auf. Wie er später sagte, hatte er die »Erpressungsversuche« Ursulas satt, »diese ständigen Selbstmord-Drohungen!«, und hatte sich auf die Suche nach Renate gemacht.

Er wußte, daß die Mutter der einzige Mensch war, dem Renate sich rückhaltlos offenbarte, hatte sie in Hamburg angerufen und gedroht, daß er die Abendvorstellung platzen ließe, wenn die Tochter nicht zu ihm zurückkehre. In ihrer Not hatte die Mutter Renates Versteck verraten, das Conti-Hotel in München, und Hubschmid hatte eine Privatmaschine geheuert, war nach München geflogen, hatte Renate, wie ein »Verrückter tobend« gezwungen, mit ihm wieder nach Wien zu kommen, und hatte pünktlich mit der Abendvorstellung begonnen; der charmante, zuverlässige Professor Higgins.

Und dann brachte Ursula Hubschmid sich endgültig um.

Der kreideweiße Peter Krause hat die Nachricht überbracht

Ich schlief morgens noch, als an meinen Fensterladen gebummert wurde, öffnete und sah einen kreideweißen Peter Krause vor mir stehen.

Unseren Freund, den Antiquitätenhändler, der auch ein Intimus der Hubschmids war, ein überaus gepflegter, stets tip-top gekleideter Homosexueller, ungekämmt, im Trenchcoat, unter dem sein Pyjama hervorguckte.

»Komm schnell!« stammelte er. »Sie hat's schon wieder getan!«

Ich wußte sofort, wen er meinte. Am Tag zuvor erst war die Rechnung des Blumengeschäfts in der Post gewesen für die hundert roten Rosen, die ich Ursula nach Wien geschickt hatte. Am Tag vorher, oder zwei Tage vorher, war sie von der bayerischen Schönheitsfarm nach Berlin zurückgekehrt, hatte angerufen, sich aber nicht gezeigt.

Ich wußte nur, daß Karin sie abends noch bei Christine Viertel gesehen hatte und daß kein Wort über ihren Wiener Selbstmordversuch gefallen war. »Sie hat sich gottseidank wieder gefangen!« hatte mir Karin berichtet. Und jetzt - »wirklich tot?« fragte ich Peter Krause, und der fing an zu weinen und nickte verzweifelt.

Ich zog mir den Bademantel an und rannte über meine Wiese an die Mauer zum Nachbargrundstück, zögerte aber, drüber zu springen, als ich das Blaulicht eines Rettungswagens sah, der auf dem kleinen Platz vor dem Eingang stand. Peter Krause lief außen herum, ich blieb wie gelähmt stehen.
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»Gute Nacht, Mami!«

Peter, der Sohn der Hubschmids, erzählte mir, daß er am späten Abend nach Hause gekommen sei, noch Licht in Pauls Arbeitszimmer gesehen habe, die Tür öffnete und seine Mutter, mit dem Rücken zu ihm, am Schreibtisch sitzen sah, Briefe schreibend.

»Gute Nacht, Mami!« habe er gerufen, »Ich gehe ins Bett!« und sie habe sich nicht einmal mehr nach ihm umgedreht, sagte er, nur genickt und so etwas wie »Schlaf schön!« gerufen.

Anschließend muß sie sich eine ganze Klinikpackung Schlaftabletten in eine Kanne Tee geschüttet haben. Als die Haushälterin um sieben kam und nach ihr guckte, war sie bereits tot.
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Renate bekam den Schuldkomplex eingeredet - von Paul

Ich weiß auch, was in Wien geschah, als die Nachricht im Laufe des Vormittags bekannt wurde: Renate flüchtete sich auf der Stelle in eine Klinik und ließ, aus Angst vor Reportern, das Telefon abstellen.

Franz »Zwetschi« Marischka, ihr Uraltfreund, kümmerte sich um sie und saß an ihrem Bett, als das Telefon dann doch einmal klingelte, Paul Hubschmid war dran. Und der nun beschimpfte seine Geliebte, die er gegen ihren Willen nach Wien zurückgeholt hatte, mit den übelsten Ausdrücken, die in dem Vorwurf gipfelten: »Du bist schuld am Tod von Ursula!«

Ich habe dem Paul damals den Schock zugute gehalten, unter dem er stand, als ihn die Nachricht erschütterte, daß Ursula nicht nur Selbstmordversuche unternahm, sondern es nun auch wirklich getan hatte.

Ich wußte, wie sehr ihn Ursula die ganzen Jahre hindurch quasi entmündigt hatte und konnte mir vorstellen, daß Renate Ewert wie ein Erdbeben auf den Schweizer Spießer gewirkt hatte - der nun zusammenbrach und sich auf die Position zurückzog: »Wenn du mir nicht nachts aufgelauert hättest, wäre das alles nicht passiert!«
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Renatchen konnte nicht fassen, daß sie auf einmal Schuld war

Renatchen konnte es nicht fassen, und mehr als das: Franz Marischka, der sie seit vielen Jahren in- und auswendig kannte, sagte zu mir: »Ich war entsetzt, als sie den Hörer auflegte. So vernichtet, so ganz und gar am Boden zerstört, hatte ich meine Renate noch nie gesehen.

Sie war fassungslos, die Tränen schossen ihr aus den Augen. Sie hatte so eine Gemeinheit noch nie erlebt, sie nicht für möglich gehalten, von einem Mann, in den sie vernarrt gewesen war!« Franz nahm sie aus der Klinik und mit nach Hause, nach München, wo er sie in seiner Wohnung versteckte.

Es verging noch ein Jahr apathischen Lebens für Renate. Sie verließ kaum noch das Bett, und auch ich hörte nichts mehr von ihr. Sie, die vorher einen Film nach dem anderen gedreht hatte, die in ihren Aktivitäten nicht zu bremsen gewesen war, hochbegabt und wohlgelitten überall, sie schien jeden Lebenswillen verloren zu haben, wusch sich nicht mehr, kämmte sich nicht mehr, sah nicht mehr in den Spiegel und lehnte alle Angebote ihrer Agentin stumm ab.

»Sie verkam mir unter den Händen zu einer Mumie!« sagte Franz. Er war der einzige, den sie noch um sich ertrug. Und auch der einzige, der sich selbstlos um sie kümmerte.
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Paul Hubschmid initiierte das letze Kapitel ...

Eines Tages bot ihr Wolf C. Hartwig, der Filmproduzent, eine Filmrolle in Beirut an - als Partnerin von Paul Hubschmid. Offenbar hatte er gerüchteweise etwas von ihrer Verbindung gehört. »Und da raffte Renate sich noch einmal auf«, sagte Franz, »und sie bekam wieder so etwas wie Lebenswillen, schaute in den Spiegel, ging in die Badewanne, verabredete einen Termin beim Friseur .« Aber dann gestand Hartwig, daß er sein Angebot nicht aufrechterhalten könnte. »Hubschmid hat gesagt: Wenn diese Person mitspielt, können Sie mich vergessen!«

Und da brachte auch Renate Ewert sich um.
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Sie wollte nicht mehr leben.

»Ich weiß nicht, wie es geschah«, sagte Franz zu mir. »Ich kam nach Hause, und sie lag tot im Bett. Ich glaube, sie hat einfach aufgehört zu atmen. Sie wollte nicht mehr leben.«

Ich war auf der Beerdigung und drückte Renates Mutter die Hand. Ich wußte nicht, was ich ihr sagen sollte. Die arme Frau war vom Schmerz überwältigt, sah versteinert zu, wie ihr Kind verbrannt wurde. Kurz darauf brachte auch sie sich um. Und dann kam die Nachricht aus Hamburg, daß Renates Vater, der frühere Getreidehändler aus Ost- oder Westpreußen, den Tod seiner geliebten Frau nicht verwinden konnte und sich ebenfalls umgebracht hatte.
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Es geht nichts über ein gesundes Schweizer Gewissen.

Nur mein Nachbar war mit der Beerdigung seiner Frau ohne tragische Folgen fertig geworden und drehte einen lustigen Film nach dem anderen. Es geht nichts über ein gesundes Schweizer Gewissen.
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