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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Col. Howley und sein Berater Dr. Ulrich Biel

Auf dem alten Königsplatz vor der Ruine des Reichstags, der jetzt Platz der Republik hieß, fanden sich am 9. September 1948 ungefähr 400.000 Berliner zu einer Protestversammlung ein, zu der die demokratischen Parteien aufgerufen hatten.

Am Tag vorher hatte ich bei Marguerite Higgins in der Limastraße einen amerikanischen Egghead namens Dr. Ulrich Biel aus dem Stab Howleys über die Gefahren von Massenzusammenrottungen dozieren gehört - »Zusammenrottung« war wohl der gefürchtetste Begriff für die Besatzungsmächte, kam gleich nach »Werwolf«.

Er sei schon im April 1948 dagegen gewesen, für den 1. Mai 1948 die Genehmigung zu einer ersten Berliner Massendemonstration nach dem Krieg zu erteilen, sagte Biel, denn »Menschenmassen entwickeln eine Eigendynamik, die leicht zu einem Blutbad führen kann - was machen wir, wenn Hunderttausende einfach in den Sowjetsektor marschieren?«

Und überhaupt: Der 1. Mai sei ja erst durch Hitler zum offiziellen Staatsfeiertag erhoben worden - an dieser Stelle machte Maggie sich hektisch Notizen -, und das preußische Innenministerium habe schon gewußt, warum es größere Veranstaltungen zum Arbeiterfeiertag stets verbot, solche »Zusammenrottungen« könnten leicht zu einer »Revolution« fuhren.

Ich weiß nicht, was der Emigrant Biel in der Weimarer Republik gemacht hat, aber ich weiß, daß Col. Howley seinem politischen Berater grundsätzlich mißtraute; er haßte Eierköpfe und litt sichtlich darunter, nach seiner Entlassung aus der Army vom Schicksal auf den Posten eines Vizepräsidenten der New York University geworfen worden zu sein.
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Der Vergleich mit der putschistischen Tätigkeit der KPD vor 1933

Als ich ihn 1954, bei seinem ersten Berlinbesuch, nach seinem neuen Job fragte, verzog er das Gesicht und sagte: »I'm suffering to no end!« (Ich leide ohne Ende.)

Ich wiederum litt aus ganz persönlichen Gründen unter Massenzusammenkünften und halte mich heute noch an den Schwur, den ich mir 1945 geleistet habe, als ich nach einer Bombennacht aus den unteren Stockwerken des S-Bahnhofs Friedrichstraße ans Tageslicht kletterte und mir den Mief von Tausenden unter der Erde nächtigenden Menschen aus Nase und Kleidung schüttelte: Nie wieder!

Aber zu der Demonstration vor dem Reichstag ging ich natürlich hin. Das versprach von einer anderen Quantität zu werden als die »Proteste« der SED vor dem Stadthaus, von der Qualität nicht zu reden.

Friedensburg hatte bei General Kotikow schärfstens gegen die Verhaftung seiner Ordner protestiert, für die er sich persönlich verantwortlich fühlte, und zum erstenmal den Vergleich mit der Hitlerzeit gewagt, »als die SA marschierte und die staatliche Gewalt wegsah«.

Der SED hatte er vorgeworfen, »die putschistische Tätigkeit der KPD vor 1933 unter Duldung der sowjetischen Besatzungsmacht fortzusetzen«.

Ich wußte gar nicht, was ich für ein Prophet war ...

Ich war mit Werner Asendorf und seiner Frau auf dem Kemperplatz etwas hinter den herbeiströmenden Massen zurückgeblieben und beschwor ihn immer wieder:

»Langsam, langsam! Bis zur Tribüne kommen wir sowieso nicht mehr durch, und die Lautsprecher hören wir ja hier schon. Die Letzten werden die Ersten sein, heißt es doch!« Ich wußte gar nicht, was ich für ein Prophet war ...

Wir hörten auf diese Weise zwar die erbitterten Reden von Reuter und Friedensburg, Neumann und Suhr, sahen sie aber nicht, sondern wurden gegen Ende der Veranstaltung, noch immer südlich der Ost-West-Achse, in Richtung Brandenburger Tor abgedrängt.

Bis wir merkten, daß wir uns auf einmal an der Spitze eines gewaltigen Demonstrationszuges befanden, der sich wie ein Heerwurm teils zum Brandenburger Tor, teils zum Potsdamer Platz hin quer durch den östlichen Tiergarten wälzte - es standen ja überhaupt keine Bäume mehr, alles, was dort heute blüht und wuchert, ist erst ab 1949 wieder eingepflanzt worden.

Sept. 1948 - Vor zwei Wochen war ich 20 geworden

Von der hohen Warte meiner zwanzig Jahre herab, die ich zwei Wochen vorher gerade erreicht hatte, blickte ich mit Werner kopfschüttelnd den »jungen Leuten« nach, die auf dem Platz vor dem Tor mit Gebrüll eine Kette der Markgraf-Polizei durchbrachen, auf das Tor selbst hinaufkletterten und dort verschiedene rote Fahnen abrissen.

Schüsse am Brandenburger Tor

Dann fielen auf einmal Schüsse, und ich sah fast im selben Augenblick Marguerite Higgins im militärischen Trenchcoat etwa zwanzig Meter vor mir zusammenbrechen.

Ich schrie: »Maggie ist erschossen worden! Guck mal, Werner, da liegt Maggie Higgins!« Und es schoß immer weiter, die Leute warfen sich hin oder flüchteten. Es war eine groteske Szene.
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Wir kamen gar nicht bis zu der »erschossenen« US-Korrespondentin, die sich nur hingeworfen hatte, im nächsten Augenblick schon wieder aufsprang und im Zickzack, wie ihr das wohl von einem Army-Ausbilder beigebracht worden war, an der Hermann-Göring- - Verzeihung - der Friedrich-Ebert-Straße entlanglief, Richtung Potsdamer Platz.

Erst am Goethe-Denkmal hatten wir sie eingeholt, hinter dem sie mit ganz ordinären Deutschen zusammengekauert hockte, wie das bekannte Espenlaub zitterte und dauernd wissen wollte, wie viele Tote es gegeben habe.

Es klingt wie Erbsen, die in eine Schüssel fallen

Wir beruhigten sie und nahmen sie mit zur Potsdamer Straße, wo sich ein Demonstrationszug zum Alliierten Kontrollrat im Kleistpark formierte - wir jetzt an der Spitze! Maggie interviewte jeden Mitmarschierer, der vorgab, zehn oder zwanzig Tote »mit eigenen Augen« gesehen zu haben, und beschimpfte andere, die ihr nur zulachten und machtvolle Gesänge anstimmten.

Der Dr. Ulrich Biel hatte schon recht gehabt mit der Eigendynamik der Massen; es gab viel mehr ausgelassene, sich in der Gemeinschaft ungeheuer stark fühlende Demonstranten zu sehen als eingeschüchterte.

So eine Schießerei auf freiem Feld klingt eben doch nicht wie das furchteinflößende Geballere in einem Westernfilm, sondern eher wie »Erbsen, die in eine Schüssel fallen«, schrieb mal jemand.

Deutsche Flinten und amerikanische Westernschüsse

Als Horst Wendlandt in den sechziger Jahren anfing, in Jugoslawien Karl May zu verfilmen, war die Enttäuschung über Old Shatterhands Schüsse aus dem Henrystutzen groß:

Warum knallten deutsche Flinten nicht so imponierend wie amerikanische? Die Produktion fand heraus, daß amerikanische Westernschüsse in geschlossenen Hallen aufgenommen und nachträglich aufs Bild synchronisiert wurden.

Schon auf der Potsdamer Brücke über den Landwehrkanal klagte die verwöhnte Amerikanerin in unserer Mitte über den langen Fußmarsch und gesellte sich zu Militärpolizisten, die auf einem ununterbrochen hupenden Jeep durch die Menge steuerten - während die andere Amerikanerin, Werner Asendorfs schöne Frau, tapfer mitmarschierte.

Es hatte am 1. Mai "nur" einen Toten gegeben .....

Im Kontrollrat am Kleistpark tagte wieder das hoffnungslose alliierte Gremium oder war schon nach Hause gegangen, als wir endlich eintrafen. Wieder schwang jemand eine Rede, Lautsprecherwagen forderten die Menge auf, sich zu trollen, und wir landeten dort, wo alle Mai-Veranstaltungen enden: in einer Kneipe.

Dort erfuhren wir dann, daß es doch einen Toten gegeben hatte, einen Studenten, der sich »todesmutig«, wie die Zeitungen am nächsten Tag schrieben, »vor eine Krankenschwester gestellt hatte«.

Aber nicht die Markgraf-Polizei hatte auf die Demonstranten geschossen, sondern sowjetische Soldaten - und die hatten wohl hauptsächlich in die Luft gezielt, sonst wäre viel mehr Blut geflossen. Die Berliner Polizei, auch des Ostsektors, war überhaupt noch nicht bewaffnet.
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Der Winter 1948/49 kündigte sich an

Die große Furcht, die Berlin zu dieser Jahreszeit beherrschte, galt weniger den Russen als dem bevorstehenden Winter. So viel Brennstoff, wie mehr als zwei Millionen Menschen benötigten, um nicht zu erfrieren, konnte über die Luftbrücke nie und nimmer herangeschafft werden.

Der letzte, überaus strenge Winter und der noch schlimmere davor steckten uns noch in den Knochen. Fast tausend alte, kranke, invalide Berliner, die sich nicht selbst helfen konnten, waren in ihren Betten erfroren.

Die Bilder der erfrorenen Babys - aus den Jahren davor

Ich besuchte mal wieder Helmut Meyer-Dietrich beim »Tagesspiegel«, der Fotos von Babys vor sich liegen hatte, die in ihren Windeln erfroren waren - sie stammten aus dem Winter 1947/48, und M-D hatte sich nicht entschließen können, sie zu drucken.

Jetzt gab er sie mir für die Amerikaner mit, um die Welt zu beeindrucken, doch Curt Riess monierte, daß sie alt wären. James Wakefield Burke hingegen schickte sie an seine 250 Zeitungen der North American Newspaper Association und schrieb dazu: »Das sind die toten Babys vom letzten Jahr. Wie viele werden in diesem Winter sterben?«

Berlins Wälder soll(t)en abgeholzt werden

In dieser Situation beschlossen die Alliierten Kommandanten der Westsektoren, Hand an die »grüne Gartenstadt« zu legen, wie ich Berlin gerne nenne, denn das riesige Stadtgebiet ist voll von Wäldern und Parks, Gärten und Straßenbäumen.

Bürgermeister Friedensburg wurde aufgefordert, 350.000 Raummeter Holz schlagen zu lassen. »Eine Idee des britischen Stadtkommandanten, Generalmajor Herbert«, sagte er achselzuckend, »aber die Verteilung von ein paar feuchten Holzkloben an jeden Haushalt verbraucht mehr Energie. Ganz abgesehen von dem Schaden, den wir anrichten. Nächstes Jahr schon gibt es nichts mehr abzuholzen!«

Die Russen wollten keinen Deal mit der Steinkohle

Seine eigene Idee hielt er für besser: Der studierte Bergassessor, den die Russen gleich 1945 zum Leiter der Zentralverwaltung für Brennstoff und Energie in ihrer Besatzungszone berufen hatten, bis er an der kommunistischen Durchsetzung seines Amtes scheiterte, versuchte beharrlich, mit den alten Bekannten ein Tauschgeschäft zu organisieren:

Steinkohle von der Ruhr für Braunkohle aus Ostdeutschland. Die westlichen Alliierten hatten nämlich eine Gegenblockade verhängt und ließen keine Steinkohle mehr in den Osten.

»Unser Großkraftwerk Klingenberg, das seit der Blockade keine Elektrizität mehr in die Weststadt liefern darf, ist für Steinkohle ausgelegt. Ich weiß, daß sie die größten Schwierigkeiten mit der Umstellung auf Braunkohle haben!«

Aus dem Tauschgeschäft wurde nichts, die Alliierten flogen mühselig Turbinen und Stahl ein, um in Ruhleben, auf der ehemaligen Trabrennbahn, ein eigenes Großkraftwerk für ihre Sektoren zu bauen, das zum Ende der Blockade dann auch betriebsfertig wurde und den Namen »Ernst Reuter« erhielt.
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Wir buddeln die Kohle aus dem Boden Berlins

Aber Friedensburg hatte noch mehr Ideen. »Schon in den dreißiger Jahren ist bei Wasserbohrungen auf dem Berliner Stadtgebiet festgestellt worden, daß in etwa siebzig Meter Tiefe Braunkohlenflöze liegen«, sagte er vor der Stadtverordnetenversammlung und peitschte in Null Komma nichts ein Kohleabbaugesetz durch.

Gebohrt wurde auf dem Pichelswerder, in der Jungfernheide und - hundert Meter von der Sektorengrenze entfernt - auf den Peck-Wiesen in Reinickendorf.

Ich habe Friedensburg nie so engagiert angetroffen wie im Winter 1948/49, als auf den Peck-Wiesen drei ausreichende Flöze gefunden wurden, die sofort die Namen der Bürgermeister erhielten: »Flöz Louise«, »Flöz Ernst« und »Flöz Ferdinand«.

Ich habe ihm damals Kohlestifte besorgt, mit denen er sogar schon eine Leuchtschrift entwarf, die in »die Oststadt« hinüberstrahlen sollte.

»Sie belieben zu scherzen, Herr Bürgermeister!« sagte Karl Mautner, der amerikanische Verbindungsoffizier, als er Friedensburgs Skizze an der Wand hängen sah. »In der ganzen Stadt brennen keine Leuchtreklamen mehr, und Sie wollen ...

«Friedensburg wollte am Fördergerüst des Reinickendorfer Bergwerks die blaue Leuchtschrift »Götz von Berlichingen« gen Osten strahlen lassen.
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Der Winter entwickelte sich überraschend milde

Es kam aus zwei Gründen nicht zum Berliner Braunkohlenabbau: Die Leistung der Luftbrücke steigerte sich im Laufe des Winters so, daß eine täglich-nächtliche Zweistunden-Versorgung an Elektrizität gewährleistet werden konnte - und, das Entscheidende: Der Winter entwickelte sich überraschend milde.

Wichtiger wurde der Bau einer neuen Start- und Landebahn von zwei Kilometern Länge in Tegel, die Tempelhof entscheidend entlastete. Sie war möglich geworden, weil General Kotikow sein Wort nicht gehalten und den französischen Kollegen schwer beleidigt hatte, als er die Ordner des Stadthauses trotz des französischen Geleits festnehmen ließ.

Der französische General Ganeval sprengte die Sendetürme

Nun rächte sich General Ganeval und sprengte die Sendetürme des Berliner Rundfunks, die Start und Landung auf der neuen Bahn in Tegel behindert hätten. West-Berlin jubelte darüber und faßte mehr Zutrauen auch zu den Franzosen.

Ost-Berlin kochte vor Wut, aber die Tage des unter sowjetischer Kontrolle verbliebenen Rundfunks in der Masurenallee waren gezählt. Um den Betrieb dort weiter aufrechtzuerhalten, hätte die Post eine Leitung zu neuen Sendetürmen im Sowjetsektor legen müssen, was sich unter den Blockadebedingungen von selbst erübrigte.

Ohnehin wollte kein West-Berliner mehr an dem Kommunistensender arbeiten. Die Sowjets blieben noch eine Weile in dem zusehends verödenden Haus in der Masurenallee, dann zogen sie sang- und klanglos ab, und die Engländer besetzten es.

Kohlengruben und Windmühlen

Und es wurde der Bau einer Entlastungsstraße quer durch den Tiergarten nötig, entlang der Sektorengrenze vom Potsdamer Platz bis zum Brandenburger Tor, um den Nord-Süd-Verkehr von sowjetischer Kontrolle auf der Ebertstraße zu befreien.

Jeden Tag bei Sonnenaufgang stellten sich dazu zigtausend Berliner zur Verfügung denn wer mit der Hand arbeitete, bekam die Lebensmittelkarte I für Schwerarbeiter. Es kamen immer doppelt soviel, wie gebraucht wurden, denn Arbeitslose hatten die Westsektoren reichlich.

Am besten waren natürlich die 58.000 dran, die auf den Flughäfen direkt für die Luftbrücke arbeiteten. Auch den Bau von Windflügeln, wie sie heute überall alternativen Strom erzeugen, plante Friedensburg mit den Ingenieuren der BEWAG. Wenn die Blockade noch länger gedauert hätte, wäre Berlin auch auf diesem Gebiet Vorreiter geworden - dank der Russen.
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Der 11. Mai 1949 zu mitternächtlicher Stunde an der Zonengrenze

Als wir uns am 11. Mai 1949 zu mitternächtlicher Stunde am Grenzkontrollpunkt Dreilinden versammelten, um das Ende der Blockade zu feiern, war ich noch der Held der amerikanischen Korrespondenten.

Gut und gern fünf hatten mich angerufen und gefragt, ob sie mich mitnehmen dürften; ich hatte Jim Burke den Vorzug gegeben, weil er den tollsten Wagen besaß, eine fabrikneue, dunkelgrüne Lincoln-Limousine. Am liebsten hätte ich mich der Wagenkolonne angeschlossen, die Punkt zwölf in Dreilinden losbrauste und ein Wettrennen nach Helmstedt veranstaltete.

Die Amerikaner hatten ihre Grenzübergänge von West nach Ost alphabetisch geordnet: Der Schlagbaum in Helmstedt, vor dem Eintritt in die sowjetisch besetzte Zone, hieß Alpha, der Eintritt nach West-Berlin in Dreilinden Beta und der Übergang in der Friedrichstraße, zum Sowjetsektor, Checkpoint Charlie.

Aber es war doch spannender, auf das Dach der Kontrollbaracke auf dem Mittelstreifen der Autobahn zu klettern und die Ankunft der ersten Wagen aus Westdeutschland abzuwarten, die um 24 Uhr in Helmstedt gestartet waren.

Wie ich mich erinnere, war es ein Ford Sedan, dessen Lichter als erste nach ein Uhr aus der Dunkelheit auftauchten, am Steuer ein amerikanischer Fotograf von United Press, der die 180 Kilometer in Rekordzeit zurückgelegt hatte. War das ein Jubel!

Sektkorken knallten, Flaschen gingen von Mund zu Mund, Amerikaner und Deutsche lagen sich in den Armen, wildfremde Mädchen wurden abgeküßt und küßten wildfremde Männer. Es war die Atmosphäre einer gewaltigen Siegesfeier, eines gewonnenen Krieges. Ich war vom Dach wieder heruntergehüpft und begrüßte unzählige Freunde und Bekannte unter den Tausenden herbeigeeilter Berliner.
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Hunderte von Fotografen eingeflogen - und am Abend darauf wieder verschwunden.

Und dann verlief sich auch alles wieder, es wurde still am Checkpoint Beta, an dem nun eine nicht enden wollende Kette von LKWs eintraf. Meine Korrespondenten waren eilig verschwunden, um ihre Berichte zu schreiben. Ich mußte mich, um wieder nach Hause zu kommen, zu einer Horde lärmender junger Falken aus Essen auf die Ladefläche eines offenen LKW schwingen, die nach Berlin gefahren waren, um an der Massenveranstaltung vor dem Rathaus Schöneberg teilzunehmen, zu der Oberbürgermeister Ernst Reuter für den Mittag des 12. Mai aufgerufen hatte.

Meine Korrespondenten brauchten mich nicht mehr, sie feierten allein in ihren Presseklubs das Ende der Berlinkrise. Nur für diese triumphale Nacht waren noch einmal Hunderte von Fotografen eingeflogen - und am Abend darauf wieder verschwunden.

Aber auch meine Korrespondenten »verpißten sich«, wie Werner Asendorf bemerkte. Ihre Anrufe bei Tag und Nacht blieben aus, es gab keine Essenseinladungen mehr, eine ganz schreckliche Ruhe trat in unserem Leben ein.
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Die vielen Büchsen mit der Dorschleber

Anstatt mit diesem oder jenem Korrespondenten »auf Achse« zu sein, verbrachte ich ganze Tage in unserem sonnigen Garten Am Lappjagen mit der Öffnung immer neuer Büchsen Dorschleber, die der Kaufmann in Onkel Toms Hütte seit der Autobahn-Wiedereröffnung ohne Marken verkaufte.

Wer hatte je von so etwas Fettigem, öligem wie Dorschleber gehört? Aber das Zeug schmeckte himmlisch. Das Telefon klingelte kaum noch. Dafür gab es jeden Tag Neuheiten zu sehen wie die Leica III im Schaufenster von Wegert, damals noch am unteren Kurfürstendamm, oder die tollsten Klamotten, die auf einmal die Herrenmodegeschäfte füllten.

Berlin hinkte den Westzonen hinterher - bis jetzt

Westdeutschland war uns seit der Währungsreform weit vorausgeeilt, und nun brach der unglaubliche Wohlstand so plötzlich über uns West-Berliner herein - wie vierzig Jahre später die Maueröffnung über die Ost-Berliner. Vierzig Jahre ...

Der kommunistische Terror gegen die West-Berliner aber ging weiter: So wurde mein Freund Ulrich Büttner wenige Tage nach der Blockade unter dem Vorwand, eine Scheidungsakte einsehen zu sollen, von einem Provokateur ins Stadtgericht Mitte gelockt, als »amerikanischer Agent« verhaftet und von einem sowjetischen Militärgericht in Potsdam zu 25 Jahren Zwangsarbeit in Workuta verurteilt.

Das ist Tausenden von Berlinern damals so ergangen, die auch nur den geringsten Verdacht »antisowjetischer Tätigkeit« erregten - Uli schrieb im »Tagesspiegel« harmlose Gerichtsberichte. Und nur wenige sind dem Terror sibirischer Straflager lebend entkommen. Immerhin: Als Uli sechs Jahre später wiederkam, stellte unser gemeinsamer Hausarzt und Freund Dr. Wilhelm Engert fest, daß Uli sein Herzleiden an der vielen frischen Luft verloren hatte.

Uli ist den Sowjets trotzdem nicht dankbar gewesen und hat Karriere beim Bundeskartellamt gemacht. Auf der Suche nach dem "agent provocateur" mußte er sich nach dem Mauerfall von einem DDR-Generalstaatsanwalt belehren lassen, daß man »in solchen Fällen« keine Auskunft geben könne.

Ernst Reuter wurde Oberbürgermeister der »Weststadt«

Am 5. Dezember 1948 war - gegen den Willen der Sowjets, aber verfassungskonform, - ein neuer Magistrat gewählt worden, und die Niederlage der SED drohte sich noch schrecklicher zu wiederholen.

Darum hatten die Berliner nur in den Westsektoren zur Urne gehen können, darum war am 30. November 1948 im Admiralspalast handstreichartig ein »antifaschistischer Magistrat« mit dem Sohn des ehemaligen Reichspräsidenten Ebert an der Spitze inthronisiert worden.

Die SPD hatte 64,5 Prozent der West-Berliner Stimmen bekommen, die CDU 19,4 und die LDP, die sich nun bald Freie Demokratische Partei nannte, immerhin noch 16,1 Prozent.

Friedensburg war zurückgetreten, Reuter vom Abgeordnetenhaus einstimmig zum Oberbürgermeister der »Weststadt« gewählt worden. Und die Luftbrücke flog, trotz Aufhebung der Blockade, unvermindert weiter.

Das dauernde Dröhnen der Motoren über uns, das ein ganzes Jahr lang so beruhigend gewirkt hatte, beunruhigte nun. Col. Howley sagte in einer Pressekonferenz, die Vorratslager West-Berlins müßten aufgefüllt werden, Vorsicht sei angebracht, was verständlich war bei den Erfahrungen, die wir mit den Sowjets gemacht hatten.
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Der wahre Grund für die Fortführung der Luftbrücke

Friedensburg erklärte mir den Grund für die Fortführung der Luftbrücke einleuchtender. Ich hatte ihm im Herbst 1948 mal erzählt, daß nicht nur der RIAS, der Rundfunk im amerikanischen Sektor, seine Nachrichtensendungen per Lautsprecherwagen in den Straßen verkündete, sondern neuerdings auch AFN am Wittenbergplatz Sendungen für die Berliner über Lautsprecherwagen veranstaltete; wir konnten ja, wegen der ständigen Stromsperren, auch kein Radio hören.

Da hatte mich Friedensburg mit der Frage überrascht: »Gibt's Alois Hitler eigentlich noch am Wittenbergplatz?« Alois - wer? So erfuhr ich, daß das kleine Cafe »Bei Alois«, auf der Südseite des Platzes, einem Halbbruder von Hitler gehörte, ja, nach der Machtübernahme Hitlers im Jahre 1933 sich sogar eine Zeitlang »Bei Alois Hitler« genannt hatte, bis der große Bruder sich das verbat.

»Da gehen wir mal hin!« hatte Friedensburg versprochen. Und darum trafen wir uns im Mai 1949 »Bei Alois« am Wittenbergplatz, aber der Halbbruder war schon nach Hamburg geflüchtet, wo die Briten ihm erlaubten, den Namen »Hiller« anzunehmen.

Friedensburg wußte auch nach seinem Rücktritt als amtierender OB besser Bescheid in Berlin als jeder andere, denn er stand noch immer dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in der Fasanenstraße vor und saß als Abgeordneter für Spandau im Parlament.

Die Luftbrücke habe sich zu einem gigantischen Wirtschaftsunternehmen entwickelt und sei nicht von einem auf den anderen Tag abzustellen, sagte er. Verträge mit all den Zulieferfirmen und Speditionen, auch mit den Piloten, die aus allen möglichen Ländern gekommen waren, müßten erfüllt werden.

Zur Rückführung von beinahe 400 Flugzeugen bedürfe es eines Organisationsplanes, der auf dem Papier leicht zu erstellen, in der Realität aber kompliziert durchzusetzen sei, von all den deutschen Mitarbeitern nicht zu reden, die man nicht von einem zum anderen Tag auf die Straße setzen könne.
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Die Story hatte keinen der "Reporter" mehr interessiert

Ich fand das hochinteressant und schrieb einen meiner besten Artikel darüber, aber keiner meiner Korrespondenten interessierte sich mehr dafür. Sie hatten die ganzen elf Monate und 21 Tage der Blockade unter, für ihre Verhältnisse, katastrophalen Bedingungen in der »Frontstadt« verbringen müssen, einige, wie O'Donnell und Maggie Higgins, waren seit Ende des Krieges nicht mehr zu Hause gewesen - nun hatten sie es eilig die Fifth Avenue und friedensmäßige Verhältnisse wiederzusehen.

Maggie warf mir im Vorbeifahren am U-Bahnhof Krumme Lanke noch eine Kußhand zu und schrie: »Up to the next crisis, Billieboy!«

Ich habe sie nie wiedergesehen, die nächste Krise spielte sich im Jahr darauf in Korea ab, und da war Miß Higgins natürlich wieder dabei.

Jim O'Donnell hinterließ mir eine halbleere Flasche Scotch und den Einzeiler »See you soon...!«
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Nur ein gutes Dutzend Amerikaner hatte sich in Berlin verliebt

Und ihn, wie Jack Bennett, wie Mark White vom AFN, wie George Bailey, sah ich in der Tat bald wieder:
Sie gehörten zu dem guten Dutzend Amerikaner, die als Sieger gekommen waren, sich in Berlin verliebt hatten, dem Leben in den USA nichts mehr abgewinnen konnten und für den Rest ihres Lebens an der Spree ansässig wurden.

Sogar James Wakefield Burke, der längst seine Frau Angela zu sich geholt hatte, eine prachtvolle Villa in Dahlem bewohnte und bis zur Währungsreform riesige Schwarzmarktgeschäfte machte, flog erst mal zurück in die Staaten, »to renew contacts!«.

Toni Howard verzog sich umgehend an die Cöte d'Azur und kaufte sich für O'Donnells Geld eine Villa, in der sie den Berliner Schlüsselroman um Marguerite Higgins und das Press Corps schrieb.

Es war Toni, die ein geflügeltes Wort erfand, als sie auf einer Party in Nizza auf die Frage, ob sie ein bestimmtes Buch gelesen habe, zur Antwort gab: »No, but I saw the movie!« Was ein anderer Autor hörte und als Titel eines Buches über den Verfall der amerikanischen Kultur benutzte.

George Bailey wurde Chefredakteur von »PM« in New York, kehrte dann aber zurück, heiratete eine Ullstein-Tochter und blieb in Deutschland. Drew Middleton verschwand auf Nimmerwiederhören, war aber, als der Koreakrieg begann, wieder täglich in der »New York Times« zu lesen. Auch Curt Riess verlor keine Zeit und flog nach New York, um mit seinen amerikanischen Verlegern sofort ein Buch über die Blockade und Luftbrücke festzumachen.
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