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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Es gab sogar ein Büchlein : »I Joined the Russians«

Wenzel hatte »bestimmt nichts mit Hitler am Hut!«, aber er fürchtete, wie nahezu alle Deutsche, daß er bei den Russen vom Regen in die Traufe kommen würde. Heio, der jugendbewegte Aristokrat, war zwar unpolitisch, als er abgeschossen wurde, machte sich jedoch keine Illusionen über den Ausgang des Krieges. »Die Macht, die heute Deutschland repräsentiert - und mit Sicherheit nicht mehr lange - hat uns, die Gefangenen, abgeschrieben. Schon allein das gibt uns ein Recht auf Selbsthilfe«, formulierte er logisch in seinem »Tagebuch der Versuchung«.

Ich habe das 1950 in einer kleinen Auflage erschienene und schnell vergriffene Buch zwanzig Jahre später in einem dunklen Winkel des Collector's Book Shop am Hollywood Boulevard zum ersten Mal gelesen, in einer Yale-Press-Ausgabe, die den erschreckenden Titel »I Joined the Russians« trug.

Es hieß da weiter: »Darum sind wir in der Gewalt eines Staates, in dem - mag es angenehm sein, das zu erkennen, oder nicht - Wahrheiten und Kräfte stecken, an denen man in Zukunft nicht mehr einfach vorbeigehen kann, die nicht durch eine Naziphrase oder eine überhebliche Handbewegung abgetan werden können und mit denen wir uns nun, ganz auf uns selbst gestellt, auseinandersetzen müssen...«
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Die furchtbare Ähnlichkeit des Sowjetstaats um 1950 herum mit den 12 jahren des Dritten Reichs

Das schnell vergriffene Buch berichtet über die armen Kerle in der Gefangenschaft : - ganz auf sich selbst gestellt -, was ihre Verwirrung verständlicher macht als die Skrupellosigkeit so mancher linker Intellektueller, die es besser hätten wissen können, ohne ihr Studierzimmerchen zu verlassen.

Heio immerhin schrieb auch in sein Tagebuch :

  • »Das einzige, was mich immer wieder schwankend macht, das ist die furchtbare Ähnlichkeit, die der Sowjetstaat vielfach mit dem Dritten Reich hat - die penetrante Propaganda, die in ihrer Geschmacklosigkeit alles übertrifft, was sich die Nazis an nationalem Kitsch geleistet haben, der Fanatismus, mit dem man sich auch hier an vorgefaßte Meinungen klammert, die Bevormundung, der man ausgesetzt wird, die Ausrichtung des Ganzen auf die primitive Masse, die Gleichmacherei, das Bonzenwesen und die Korruption, die offensichtlich überall herrschen ... usw. «


Für diese Erkenntnisse hat Heio Einsiedel zwei Jahre länger in Gefangenschaft verbringen müssen als die anderen Mitglieder des sogenannten Nationalkomitees Freies Deutschland:

Erst 1947 entließen ihn die Russen nach Ost-Berlin, wo er pro forma noch ein paar Tage bei der »Täglichen Rundschau« als Redakteur arbeitete, bevor er die S-Bahn nach West-Berlin nahm:

  • »Die Sowjet-Machthaber«, schrieb er in sein Tagebuch, »werden niemals auf Gewalt und Terror verzichten können!«

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1947 trafen sich Wenzel und Heio wieder - in Frankfurt/Main

Wenzel und Heio sahen sich 1947 in Frankfurt/Main zum ersten Mal nach dem Krieg wieder, ein nunmehr bewußter und hochpolitischer Mann von 26 Jahren, der zwischen allen Stühlen saß und von West wie Ost des Verrats bezichtigt wurde, und einer, der von Politik nie wieder etwas sehen und hören wollte, wie wir alle.

Wenzel Lüdecke widmete alle Energie dem Aufbau einer Existenz, wurde Produktionsleiter in der Synchronabteilung von MGM in den Tempelhofer Ateliers und machte sich bald selbständig, gründete die Berliner Synchron Gesellschaft in Lankwitz und produzierte 1953 schon seinen ersten Spielfilm: »Herr über Leben und Tod«, nach einer Novelle von Zuckmayer.

Und der Graf Einsiedel spielte Dramaturg bei ihm und führte Synchron-Regie. Aber das war nur eine Beschäftigungstherapie; innerlich zerriß ihn die Tatsache, daß er nirgendwo mehr zu Hause war, weder die CDU noch die SPD, für die er sich interessierte, wagten es, sich mit seinem Namen zu identifizieren.

So wurde Heio Bridgespieler und Zyniker. Als ich 1955 zu Wenzel kam, hatte Heio gerade die Schauspielerin Barbara Rütting geheiratet und war nach München übergesiedelt.

Wenzel sagte: »Ich kann Heio verstehen, aber ich hätte mich lieber erschossen, als mit den Russen gegen uns zu arbeiten...«

Was auch meine wohlfeile Meinung war, aber wir hatten beide keine russischen Gefangenenlager erlebt.
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Die besondere Tragik dieser Widerständler

Mehr als das jedoch interessierte mich von Anfang an die besondere Tragik dieser Widerständler; ich hatte schließlich, ohne Auftraggeber, meinen ersten Roman über die Rückkehrer vom "Nationalkomitee Freies Deutschland" geschrieben.

Ich fand es mehr als interessant, daß Wenzel von »uns« sprach, als er Heios Antinazi-Aktivitäten erwähnte - gegen »uns«? Selbst ich war zehn Jahre nach Kriegsende nicht mehr auch nur ein Hauch von Nazi.

Offenbar war das aber dem kleinen Landser Wenzel scheißegal, als er im Dreck lag und die Lautsprecherstimme Heios von der russischen Seite herüberschallen hörte:

  • »Ergebt euch, kommt zu den Russen!«


In der direkten Art, in der ich mit Wenzel reden konnte, habe ich ihn allerdings auch verdächtigt, daß er Heio einen anderen »Verrat« viel übler nahm, den Entschluß nämlich, nach den romantischen Jugendschwärmereien am Ende doch bei den Mädchen zu bleiben - und in zweiter Ehe schließlich zu bekommen, was Wenzel liebend gern gehabt hätte: zwei herzhafte Söhne. »Ich brauche keinen Psychiater«, sagte Wenzel dazu, »ich habe ja Tremper.«
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