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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Die Cafe Bristol-Ära

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Auf der Terrasse des Cafe Bristol

Gut zehn Jahre lang, nämlich die ganzen 19-Fünfziger hindurch, ist das Cafe Bristol am Kurfürstendamm so etwas wie meine zweite Wohnung gewesen.

Komischerweise bin ich erst heute Nacht darauf gekommen, als ich meine Notizen über die endlose Reihe von Menschen und Ereignissen der fünfziger Jahre durchsah und zum erstenmal bemerkte, wie viele davon in dem guten alten Bristol, besser gesagt: auf der damals offenen Terrasse des Cafes, ihren Auftritt hatten, bzw. ihren Anfang nahmen.

Dabei fällt mir wieder auf, daß ich bis heute nicht weiß, wer der Besitzer war, daß ich auch mit dem Bedienungspersonal nie engere Kontakte geknüpft habe, wie das sonst der Fall ist.

Die tägliche Benutzung der schönen, gegenüber den Boulevardbühnen "Komödie" und "Theater am Kurfürstendamm" liegenden Terrasse mit ihren bequemen Korbsesseln scheint mir all die Jahre hindurch genügt zu haben.

Ich könnte Walter Czarnecki anrufen, den Doyen der Kudamm-Klientel, und mir etwas über das Bristol erzählen lassen - aber wozu? Warum heute, wenn es mich nie interessiert hat, hinter die Kulissen zu gucken?
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Meine Storys aus dem Cafe Bristol Teil 1

Auf der Terrasse des Bristol pflegten Werner Asendorf und ich zuerst nachzusehen, wenn wir uns suchten. Im Bristol hat mich nicht nur ein Ehemann mit seiner Frau überrascht, im Bristol habe ich auch beschlossen, ein zweites Mal zu heiraten.

Im Bristol habe ich den spanischen Philosophen "Ortega y Gasset" unter dem Tisch herumkriechend fotografiert und der 15jährigen Wedding-Göre Karin Blauermel den Namen Karin Baal verpaßt.

Im Bristol hat mir Hans Oppenheimer einen Koffer mit 800.000 neuen Westmark gezeigt, im Bristol hielt mein Freund, der Schauspieler Max Strassberg, stets einen Tisch für mich frei, denn Maxe lebte dort und war mit allen Kellnerinnen per du.

Im Bristol hat mir Wolfgang Neuss seine schwedische Flamme Margareta Hendriksson vorgestellt, die wir unter dem Namen Greta als Vorführdame bei Schwichtenberg kannten.

Im Bristol hat ein alter Mann (war der fünfzig?) mir Anekdötchen über Karl Marx erzählt, als ob er dabeigewesen wäre, und sich später, in München, als Richard Friedenthal entpuppt, der große Marx- und Luther-Biograph und Erfinder von Knaur's Konversationslexikon.

Im Bristol hat Ole Jensen mir seinen Affen zum erstenmal vorgeführt, und ich habe dort zum erstenmal eine glatzköpfige Frau gesehen, als der Affe mit ihrer Perücke verschwand.
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Meine Storys aus dem Bristol Teil 2

Im Bristol hat Arthur Pohl mir die zierliche, glutäugige Karin von Dassel vorgestellt und prophezeit, daß sie die größte Anwältin von Berlin werden würde.

Im Bristol hat mir die Schlagersängerin Renate Holm eröffnet, daß sie »Schluß machen« und zur Oper gehen würde.

Im Bristol ist aus den Bunkermenschen von Gdingen der Film »Nasser Asphalt« geworden.

Im Bristol habe ich Herbert Viktor um Tilly Lauenstein beneidet und überlegt, wie ich ihn ausbooten könnte. Im Bristol habe ich tagtäglich den »Abend« gekauft, nur um den lustigen, an Krücken humpelnden Zeitungsmann »Fällt auf dankbaren Boden!« krächzen zu hören, wenn er zwei Groschen bekam und fünf Pfennige Trinkgeld behalten durfte.

Im Bristol hat uns Lothar Winkler geblitzt, als ich mich während der Otto-John-Affäre heimlich mit Sefton Delmer traf.

Im Bristol haben Hasso Osterkamp und ich sämtliche Freundinnen Wolfgang Wohlgemuths verarztet.
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Das tragische Ende einer Interzonenfahrt

Im Bristol nahm das tragische Ende einer Interzonenfahrt seinen Ausgang, als Jim Burke mir einen falschen Army-Ausweis in die Hand drückte, weil er so ungern allein in seinem prachtvollen Lincoln über die Autobahn nach Westdeutschland fuhr.

Ich muß wieder einmal in einer desperaten Situation gewesen sein, sonst hätte ich mich auf so ein riskantes Unternehmen doch nicht eingelassen!

Mit am Tisch saß eine uns unbekannte junge Frau von Ende zwanzig, die offenbar Englisch verstand, denn plötzlich fragte sie Jim, was sie tun müsse, um von uns mitgenommen zu werden.

James Wakefield Burke war hinter jedem Rock her, auch hinter diesem, und ergriff gleich die Hand der Unbekannten, um sie an seine Hose zu pressen. Ich verabschiedete mich.
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»Sind wir schon da?«

In Marienborn, an der Zonengrenze, kontrollierten die Russen den amerikanischen Wagen. Jim reichte seine echten und meine falschen Papiere aus dem Fenster, der sowjetische Unterleutnant betrachtete lange und eingehend besonders meine falschen - ich schwitzte bereits Blut und Wasser -, dann ging er um den eleganten Lincoln herum, interessierte sich für jedes Detail und klopfte schließlich gegen den Kofferraumdeckel. Und da erklang von innen eine weibliche Stimme: »Sind wir schon da?«
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Als »Amerikaner« durften wir weiterfahren

Der wahnsinnige Jim Burke hatte die Unbekannte aus dem Cafe Bristol in seinem geräumigen Kofferraum über die Interzonengrenze schmuggeln wollen!

Das Unglück der jungen Frau, die gleich unter aufgepflanzten Bajonetten abgeführt wurde, war vielleicht mein Glück, denn nun interessierten sich die Russen nicht länger für meine falschen Papiere.

Als »Amerikaner« durften wir weiterfahren, und zu Jims Ehre muß ich sagen, daß er sich auf der Helmstedter Seite gleich ans Telefon hängte, alle möglichen amerikanischen Dienststellen anrief und ihnen den Fall schilderte.

Natürlich gab er nicht zu, die junge Frau selbst in seinen Kofferraum gepackt zu haben, sondern behauptete, völlig ahnungslos gewesen zu sein, was auch die einzige plausible Erklärung war, die er abgeben konnte, ohne sich schuldig zu machen.
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Ein unglaublicher Kerl, unser Max Strassberg

Wie erfreulich war dagegen jedes Zusammentreffen mit Max Strassberg! Er war eine Seele von Mensch, eine Ausgeburt der Freundschaft, ein unwiderstehlicher Schmuser, wie die Juden sagen.

Apropos: Den Krieg hatte der österreichische Schauspieler mosaischen Glaubens in einem »Schweizer KZ« überlebt, wie er, nicht ohne Erbitterung, immer wieder erzählte.

Doch von all den Emigranten, in deren Armen in diesem »KZ« der große Wiener Tenor Joseph Schmidt gestorben sein sollte, sind mir die Arme von Maxe immer die glaubwürdigsten gewesen.

Der Gute! Was hat er sich um alles und jeden gekümmert, ist meilenweit gelaufen, um einen Kollegen wissen zu lassen, wo eine Rolle auf ihn wartete. Für mich hat er einmal, als er die bekannte Stimme am Telefon hörte: »Der Anschluß ist zur Zeit außer Betrieb«, ungefragt die Telefonrechnung bezahlt, und weil sie höher war, als seine Verhältnisse erlaubten, ist er im Cafe Bristol von Tisch zu Tisch sammeln gegangen und hat die rührende Geschichte erfunden, ich sei auf einer großen Reise von dem Malheur überrascht worden, und es ginge doch nicht an, meinen Ruf durch die Post schädigen zu lassen. Ein unglaublicher Kerl, unser Maxe.

Max Strassberg und Rolf Hädrich

Jeder andere hätte ihn zum Teufel gewünscht, als er wochenlang im Bristol davon sprach, daß er »demnächst in Hersfeld« auf der Freilichtbühne eine Rolle in einem Klassiker übernehme - er konnte schlimmer als lästig werden, nämlich einfach lieb.

In allen meinen Filmen - und auch in denen unseres Freundes Rolf Hädrich - hat er mitgewirkt, nie hätte ich mich getraut, etwas ohne unser Maskottchen Max zu machen.

Und natürlich bog ich, als er in Hersfeld spielte, von der Autobahn ab, wenngleich erst am Abend, nach seiner Vorstellung. Max tauchte schweißnaß im Schlitzer Hof auf, dieser höchst kulinarischen Gaststätte im benachbarten Niederaula, in der sich die Schauspieler nach der Vorstellung trafen, und zog mich gleich in eine ruhige Ecke:

»Rolf geht es schlecht!«

Allmächtiger. Der gute Max wußte über die Gesundheit seiner Freunde besser Bescheid als die Ärzte. Max wußte, daß Rolf Hädrich in einem Frankfurter Krankenhaus lag, und nicht nur zur Inspektion, nein, es waren die Leberwerte, und überhaupt: »Es sieht schlecht aus, sehr schlecht!«

Er bestand darauf, am nächsten Morgen mit mir nach Frankfurt zu fahren, Rolf noch mal zu besuchen, ein letztes Mal vielleicht, und mit dem Selbstauslöser ein letztes Foto von uns dreien zu machen.

Mit dem Zug würde er es bis zur Abendvorstellung wieder zurück nach Bad Hersfeld schaffen. So geschah es. Meine Leica machte klick, und Rolf sah wirklich gottserbärmlich aus.

Am nächsten Tag rief Max mich in München an: »Rolf ist tot, im Schlaf erstickt, in Hersfeld.« Er ist wahrscheinlich der letzte Jude, der in Hersfeld begraben wurde, unser guter Rolf, und ich »elender Wicht«, wie Kortner gesagt hätte, habe sein Grab bis heute nicht besucht.
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Wie aus "Karin Blauermel" eine "Karin Baal" wurde

Im Bristol saß ich über einer Portion Aal grün, als die Kellnerin mich ans Telefon holte und Reinhard Hoffmeister, der sich damals Reinhard Holl nannte und stellvertretender Chefredakteur der »Star Revue« in Hamburg war, dringend von mir wissen wollte, wie die neue Partnerin von Horst Buchholz in dem geplanten Film »Die Halbstarken« denn nun hieße.

Ich hatte ihm die ersten Fotos von den Probeaufnahmen geschickt, aber eine Sperrfrist über die Veröffentlichung verhängt, denn Karin Blauermel, das blonde Kind aus dem Wedding, hatte noch keinen Künstlernamen.

Viele Tage waren mit fruchtlosen Diskussionen bei Produzent Wenzel Lüdecke vergangen, aber nun hieß es: »Her damit, oder der Bericht erscheint nicht!«

Also begann ich, Aal grün kauend, wie ein Hase zu mümeln: »Karin Aal, Karin Baal, Karin Caal, Karin Daal...«

Da rief der Hoffmeister: »Baal klingt doch gut! Das nehmen wir!« So kam Karin Baal in dieser verräucherten Telefonzelle des Cafe Bristol zu ihrem Namen.
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Aus Evelyn Renziehausen wurde Eva Renzi

So habe ich, ebenfalls im Bristol, einem BZ-Reporter eines Tages den Namen Eva Renzi buchstabiert, woraufhin mich meine Hauptdarstellerin Evelyn Renziehausen verklagen wollte.

Und gerade, als ich mit der DEFA-Schauspielerin Nana Osten, einer sehr, sehr aparten Blondine, die später in Mailand einen Textilgrafen heiratete, im Bristol Händchen hielt, hatte ich das Problem mit Ingrid Werner.

Ingrid war eine grandiose Jazzsängerin, die seit Jahren durch amerikanische Clubs tingelte und von ihrem Durchbruch träumte.

Ich hatte sie in meinem ersten Film »Flucht nach Berlin« eine schön schräge Nummer von Peter Thomas singen lassen, die wir »High Snobiety« statt »Society« tauften. Ingrid Werner singt »High Snobiety« - das paßte freilich überhaupt nicht zusammen.

Ich flirtete mit Nana Osten und nannte Ingrid Nina Westen, und unter diesem Namen ist sie dann bekannt geworden.
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Oppenheimer und der Schreibtisch Friedrichs II

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Die Sache mit Hans Oppenheimer ......

Die Sache mit Hans Oppenheimer war die, daß er eigentlich in Paris lebte, aber ständig in Berlin herumsaß, im neu erbauten Kempinski wohnte und auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wartete, denn er hatte den neugegründeten deutschen Staat auf Schadenersatz verklagt.

Und das kam so: Seinem Vater, dem Oppenheimer senior, hatte das bekannte Auktions- und Schmuckhaus "Marquardt & Co. Unter den Linden" gehört, und ihm war 1919, nach der Revolution, ein ganz großer Coup gelungen: Oppenheimer sen. hatte gegen die Konkurrenz sämtlicher Berliner Antiquitätenhändler für lachhafte 120.000 Reichsmark den Schreibtisch Friedrichs des Großen ersteigert.
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Wie kam das ?

Das geschlagene Kaiserreich schöpfte offenbar noch aus dem vollen, als es nach dem Ersten Weltkrieg daranging, seine Besitztümer zu verhökern.

Das preußische Kultusministerium etwa verlor keine Zeit, sich republikanisch zu gebärden, nachdem die Hohenzollern aus Berlin verschwunden waren, und machte aus dem über zweihundert Jahre alten Kronprinzenpalais gegenüber dem Zeughaus eine »Neue Nationalgalerie« - weg mit dem alten Plunder!

Wozu auch, wie gesagt, der kostbare Rokokoschreibtisch, den die berühmten Gebrüder Spindler nach Entwürfen des kunstsinnigen Kronprinzen geschreinert hatten, gehörte jetzt meinem Vater.

»Aber bekommen hat mein Vater den nur, weil er sich bereit fand, noch tausend Stühle aus dem Palais dazuzuerwerben!« erzählte Oppenheimer junior stolz. Er selbst war damals neun Jahre alt gewesen, Jahrgang 1910, und entsprechend unbedarft.

Ihn interessierte das ganze Auktionsgeschäft überhaupt nicht, er hielt sich für einen zukünftigen Sportstar, wurde Mitglied von »Blau-Weiß« im Grunewald und nahm 1928, obschon etwas dicklich geraten, an der Winterolympiade in St. Moritz als Bremser des deutschen Bob-Teams teil.
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Doch keine fünf Jahre später war Hitler da ......

Und gleich nach dem Reichstagsbrand erkannte Oppenheimer sen., wohin der Hase lief, und verbrachte seinen kostbarsten Besitz, den Schreibtisch des Alten bzw. Jungen Fritz, nach Paris, wo er auf den Champs Elysees eine Filiale von Marquardt & Co. eröffnete.

Als er im selben Jahr das Stammhaus "Unter den Linden" liquidierte, erlaubte er sich sogar, den Schreibtisch des Preußenkönigs auf der Prachtstraße der Franzmänner ins Schaufenster zu stellen und mit der ganzen Familie Deutschland zu verlassen.

»Ich kann euch sagen«, jammerte Hänschen Oppenheimer zwanzig Jahre später im Cafe Bristol, »ich war der unglücklichste Mensch von Berlin damals! Ich war im Frühling 1933 dreiundzwanzig Jahre alt und schlank und sportlich. Ich hatte blondes Haar - bißchen rötlich vielleicht - und blaue Augen!

Ich sah wirklich nicht aus wie ein Jude. Ich muß gestehen, ich hatte damals was gegen all die Juden, die in den zwanziger Jahren nach Berlin gekommen waren, galizisches Gesindel nannten wir die, und ich verstand schon ganz gut, daß die Nazis die wieder aus dem Land haben wollten!«
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Als Jude selbst bei Blau-Weiß nicht mehr erwünscht

Er widersetzte sich seinem klugen Vater, der natürlich stolz auf seinen einzigen Sohn war und ihn nach Paris mitnehmen wollte, ja, er versuchte sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und eine Audienz beim preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring zu bekommen.

»Ich kannte Hermann Göring, ich verehrte ihn als Fliegerhelden des Weltkrieges, und ich war ihm sogar schon einmal vorgestellt worden, bei einem Besuch von Blau-Weiß. Ich wollte vor ihn hintreten, den Kopf heben, ihm fest in die Augen blicken und ihn fragen: Halten Sie mich etwa für einen Juden, Herr Ministerpräsident? Ich bin ein Berliner Sportsmann! Mich können Sie doch nicht mit dem Judenpack aus Galizien in einen Topf werfen!«

Bei Horcher in der Lutherstraße winkte Ernst Udet den jungen Sportsmann an den Tisch des Ministerpräsidentea »Aber Göring hat mich nur arrogant von unten herauf angeglotzt und mir keinen Stuhl angeboten, und als ich mein Sprüchlein vortrug«, erinnerte sich Oppenheimer jun., »da hat er nur geantwortet: Beweisen Sie erst mal, Mensch, daß Sie ein guter Deutscher sind!«

So traf Hans Oppenheimer im Sommer 1933, nachdem er als Jude selbst bei Blau-Weiß nicht mehr erwünscht war, mit hängenden Ohren in Paris ein und brach seinem Vater schier das Herz.
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Ein peinlicher Auftritt im Geschäft des Vaters

»Ich weigerte mich, Französisch zu lernen oder irgend etwas zu arbeiten. Ich saß den ganzen Tag nur in meinem Zimmer herum - wir lebten in einer Villa in Neuilly - und starrte die Wand an. Worunter ich am meisten litt, das waren meine zauberhaften Berliner Freundinnen, die ich nicht mehr sehen konnte. Meine Mutter weinte nur noch, mein Vater raufte sich die Haare...«

Es kam der Tag, da Hans Oppenheimer beschloß, doch noch einmal nach Berlin zu fahren, auf die Gefahr hin, schon an der Grenze verhaftet zu werden. Schuld daran war ein peinlicher Auftritt im Geschäft des Vaters auf den Champs Elysees, dessen Zeuge der Sohn wurde:

»Da stand ein pensionierter deutscher Diplomat, älterer Herr schon, mit dem EK1-Bändchen im Knopfloch, und sagte, mit dem Hitler hätte er nichts im Sinn, aber daß eine Kopie von Friedrichs Schreibtisch jetzt beim französischen Erbfeind im Schaufenster stehe, gehe doch zu weit. Als mein Vater widersprach, es handele sich um das Original, wollte es der Diplomat nicht glauben, da war er erst recht schockiert. Mich aber«, sagte Hans Oppenheimer, »durchfuhr es wie ein Blitz! ...
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Der Junior hatte aber dummerweise die GESTAPO informiert

Wenn ich Göring den Schreibtisch zurückbrächte? Bestimmt würde der dann mit mir eine Ausnahme machen!« Der Junior bettelte den Senior an, ihm den Schreibtisch zu überlassen. Der alte Oppenheimer faßte sich an den Kopf und versuchte, seinem Sohn den wahnwitzigen Gedanken auszureden.

Andererseits war er ein typisch jüdischer Vater, der sein Fleisch und Blut nicht leiden sehen konnte - und ins KZ würde Göring den Sohn ja nicht gerade werfen, wenn er mit einem solchen Geschenk käme -, kurz: Oppenheimer senior rief die Spedition an und ließ den Schreibtisch einpacken, und Sohn Hans sprang in den nächsten Schlafwagen nach Berlin.

In der Sächsischen Straße in Wilmersdorf lebte seine Schwester Nelly, die mit einem »Goy« verheiratet war, und von dort aus rief Hans Oppenheimer am Morgen nach seiner Rückkehr nach Berlin sofort das Sekretariat des preußischen Ministerpräsidenten an.

»Einem Referenten Dr. Holzapfel habe ich mein Anliegen erklärt und dummerweise auch die Adresse meiner Schwester hinterlassen. Sie werden, sobald der Schreibtisch eingetroffen ist, von uns hören, Herr Oppenheimer, sagte der Referent ...«

Was Hans Oppenheimer Tage später, und morgens um sechs Uhr, hörte, waren kräftige Fäuste, die an die Tür der Schwester donnerten, und eine schneidige Stimme, die sich als »Geheime Staatspolizei!« vorstellte.

Es gelang Hans Oppenheimer gerade noch, aus dem Küchenfenster aufs Nachbardach zu flüchten. Seine Schwester und sein arischer Schwager wurden mitgenommen und tagelangen Verhören unterworfen.
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Die Story geht weiter

»Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Dresden gekommen bin. Von dort gab es Tagesausflüge mit dem Elbdampfer in die Tschechoslowakei, für die man keinen Paß brauchte. Meinen hatte ich in der Aufregung bei meiner Schwester auch noch liegengelassen ...«

Doch einen Nervenzusammenbruch erlitt der junge Mann erst, als sich die gewaltigen Schaufelräder des Eibdampfers in Bewegung setzten: »Ich stand ganz vorne, am Bug, und war halbtot vor Angst, daß sie mich doch noch kriegen würden ...

Da näherten sich hinter mir schwere genagelte Stiefel, und bevor ich noch über Bord springen und einen grauenvollen Tod in den Schaufelrädern finden konnte, legte sich eine Hand auf meine Schulter, und eine Stimme sagte: Zehn Pfennig Musikzuschlag!«

Da erst, sagte Oppenheimer jun., sei er zusammengebrochen, traf als blondes, blauäugiges Häufchen Elend in der Tschechoslowakei ein und wußte nicht, wie er seine Dummheit dem Vater beibringen sollte.
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Hans Oppenheimer war das Ebenbild des dummen Juden

An dieser Stelle sagte der gute PEM einmal, der auch in den Genuß von Oppenheimers Erzählungen gekommen war, jetzt verstehe er endlich, warum der Erbe von Marquardt & Co. in der ganzen Emigration als der »dumme Jude« bekannt geworden sei.

Aber hören wir Hans Oppenheimer bis zum Happy Ending an: Der Familie war es sieben Jahre später, als die Wehrmacht in Paris einmarschierte, gelungen, nach Nizza zu flüchten, und nach dem Krieg, oder nach der Währungsreform, tauchte Hans Oppenheimer natürlich wieder in Berlin auf und berühmte sich, »der erste Jude zu sein, der Wiedergutmachung beantragte«.

Sehr schnell glaubte er herausgefunden zu haben, was Göring, dieser Kunsträuber, mit seinem Schreibtisch gemacht hatte: »Der steht jetzt im Schloß Sanssouci in Potsdam, und dort gehört er auch hin, dort kann er stehen bleiben!«

Indessen lehnten sämtliche Berliner Instanzen eine Wiedergutmachung unter Hinweis auf die »freiwillige Lieferung« des Klägers ab, wogegen Hans Oppenheimer vergeblich einwandte, daß er »gezwungen gewesen« sei, dem preußischen Ministerpräsidenten dieses Geschenk zu machen.
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Die ganze Geschichte sei ein Schwindel

Als er mir die Geschichte zum erstenmal erzählte, saßen wir, wie gesagt, im Cafe Bristol: Hans Oppenheimer, sein ständiger Begleiter Arnold Sonntag, der gerade aus der Emigration zurückgekehrte Hollywood-Regisseur Max Nosseck (»Dillinger«), Maxe Strassberg und ich.

Die beiden Maxe sprangen gleich auf und schrien: »Wir fahren nach Potsdam! Den Schreibtisch wollen wir sehen!« Doch weder Hans Oppenheimer noch Arnold Sonntag zeigten allzu großes Interesse daran, sich der Gefahr einer Verhaftung durch die Vopo auszusetzen.

So fuhr ich mit Max Nosseck, dem kleinsten aller Hollywood-Regisseure (148 Zentimeter), allein mit der S-Bahn nach Potsdam und besichtigte Schloß Sanssouci - kein Schreibtisch, wie ihn Oppenheimer beschrieben hatte!

Auf der Heimfahrt mutmaßte Max Nosseck bereits, die ganze Geschichte sei ein Schwindel, den Oppenheimer sich ausgedacht habe. »Soll ich dir verraten, wo er steht? Im Schaufenster auf den Champs Elysees!« krähte der freche Max
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Achthunderttausend neue Westmark in natura im Koffer

Drei Monate später hatte auch die oberste Instanz über Oppenheimers Wiedergutmachungsansprüche entschieden, und siehe da: Das Bundesverwaltungsgericht verwarf alle vorherigen Urteile, die darauf hinausgelaufen waren, daß der Kläger nur auf die Wiedervereinigung zu warten brauche, dann erhalte er seinen Schreibtisch zurück, und entschied rechtskräftig, daß Herr Hans Oppenheimer auszuzahlen sei:

»Der aus Deutschland zwangsvertriebene französische Staatsbürger braucht nicht auf die Wiedervereinigung zu warten.

Sobald Gutachter den heutigen Wert des Schreibtisches festgestellt haben, soll ihm der Schaden ersetzt werden...«

So kam ich zu dem Vergnügen, achthunderttausend neue Westmark in natura zu sehen: Hans Oppenheimer hatte sie ins Cafe Bristol mitgebracht und öffnete, ohne Scheu vor neugierigen Blicken, den Koffer.

»Mann-o-Mann!« sagte ich. »Was fangen Sie jetzt an mit dem ganzen Zaster?« Oppenheimer, der immer einen zu hohen Blutdruck hatte, schwollen die Adern noch mehr an: »Das ist ja das Problem!« schnaufte er. »Am liebsten würde ich nach Zürich fliegen damit, aber Arnold...«
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Arnold Sonntags genialer Einfall

Arnold Sonntag, sein Schatten, schüttelte den Kopf: »Laß es hier! Nach all dem, was in Deutschland vorgefallen ist, gibt es kein Plätzchen, wo ich mich sicherer fühle!« Arnold war ein phlegmatischer, aber weiser Mann.

Oppenheimer jaulte: »Und wenn die Russen Berlin übernehmen?« So ging das stundenlang hin und her, Oppenheimer bestellte ein Fläschchen Henkell Trocken nach dem anderen

»Was ist mit der Ruine da drüben?« fragte ich, als die beiden Herren sich einig geworden waren, daß Grund und Boden noch die beste Kapitalanlage biete, und deutete schräg über den Kurfürstendamm auf die ehemaligen Hausnummern 203-205, die bis zur Knesebeckstraße reichten.

Wieder schüttelte Arnold Sonntag den Kopf: »Langt nicht. Kostet zwei Mio!« Da habe ich, der Goy, fasziniert vom Anblick des baren Geldes, den beiden alten Juden einen Rat gegeben, über den sie nicht lange nachdachten: »Laßt doch die Makler den Koffer sehen - jede Wette, daß sie beim Anblick des Baren mit ihrem Preis runtergehen!«

Oppenheimer stürzte in die Telefonzelle am Eingang und rief an; es waren, glaube ich, die Grundstücksverwalter Becker & Kries.

Und dann rannte er mit all dem Geld los, und als er wiederkam, war der Koffer leer und Oppenheimer Besitzer des Ruinengrundstücks.
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Am Ende ein gutes Geschäft gemacht - doch geniessen ...

Der Grund und Boden allein, der damals für 800.000 Mark verscherbelt wurde, ist heute gut und gern so an die fünfzig Millionen wert - heute nach der Wiedervereinigung.

Bei der nächsten Berlin-Krise hatte er das Filetstück, wie die Makler sagen, für zwei Millionen an Arthur Brauner weiterverkauft und einen schönen Reibach gemacht.

Ich weiß nicht mehr, ob er selbst noch das Bürohaus draufbaute oder ob es schon Brauner war, bezahlt hat es jedenfalls der Senat nach dem Berliner Wiederaufbau-Gesetz, das nur eine minimale Selbstbeteiligung verlangte und dem Bauherrn nach Ablauf von 35 Jahren alles schenkte. Das hat viele wohlhabend und, in der Nacht zum 10. November 1989, richtig reich gemacht.

Oppenheimer jedenfalls war noch immer hinter den schönen Berlinerinnen her und erwarb mit seinem Gewinn die maroden Arca-Filmstudios in Picheisberg an der Havel. Mit denen machte er prompt Pleite und verstarb schließlich, nur 72 Jahre alt, in größter Armut in Paris.
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5000 Deutsche Mark für seine Lebensgeschichte

Bevor dies geschah, traf ich ihn in Paris noch einmal in der Halle des Plaza Athenee. Sein Hemdkragen war abgewetzt, seine ausgebeulten Hosenaufschläge zerfranst; ich schenkte ihm hundert Nouvelle Francs. Sein einziger Sohn hatte die Tochter des französischen Innenministers Edgar Faure geheiratet und wollte von seinem Vater nichts mehr wissen.

Oppenheimer hatte sich von seiner Frau scheiden lassen und eine blutjunge Thailänderin geehelicht, die ihm auch noch ein Kind gebar, aber zu einem Lkw-Fahrer zog, der den alten Ehemann gelegentlich verprügelte; ein Henry-Miller-Schicksal.

Ich habe Oppenheimer damals in Paris 5.000.- Deutsche Mark angeboten, wenn er seine Lebensgeschichte aufschreiben und sie mir nach Berlin bringen würde, habe ihm eine Flugkarte hinterlegt - und er kam und brachte einen ganzen Schuhkarton voll Handgeschriebenem mit, das nicht zu entziffern war. Ich wollte unbedingt wissen, ob es den Schreibtisch Friedrichs des Großen wirklich gegeben hatte und wo er abgeblieben war, beantragte einen Passierschein für Hans und mich und fuhr mit ihm noch einmal nach Potsdam.

Und diesmal fanden wir den Schreibtisch, er war ins Neue Palais gestellt worden, doch es gelang mir nicht, Oppenheimer mit ihm zusammen zu fotografieren. Auf Filzlatschen hinter der realsozialistischen Führerin herschlurfend, stieg Hans Oppenheimer plötzlich über das Absperrseil, eilte an den Schreibtisch, fuhr suchend mit der Hand unter der Platte herum, klopfte irgendwo gegen und tauchte mit einem Zettel in der Hand wieder auf:

»Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wenn Sie das lesen«, stand darauf, »dann haben Sie auch das letzte Geheimfach gefunden - Ihr sehr ergebener Hans Oppenheimer.« Vor meinen Augen fraß er den Zettel auf.
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