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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Wenn ein Schaumschläger Geld braucht ...

Woher sollte ich jetzt, innerhalb von drei Stunden, sechzig Mark nehmen, ohne zu stehlen? Jim hätte sie mir pumpen können, aber den hatte ich mit der unbekannten Schönheit verschwinden sehen, der würde so bald nicht wieder zu Hause auftauchen.

Curt Riess kam nicht mehr in Frage, Joe Fleming rückte nie mehr als zwanzig Mark auf einmal heraus. O'Donnell war nicht in Berlin, von George Bailey hatte ich noch nichts wieder gehört. Dolf Benz vielleicht, vom »Nieuwe Rotterdamsche Courant«?

Bei dem hatte ich gefrühstückt - worüber hatte er noch gesprochen? Ach ja, das Thema Nummer eins dieser Tage: Wird die Sowjetunion mit ihrer gerade gegründeten DDR nun einen separaten Friedensvertrag abschließen?

»Wenn Sie da mal was in Erfahrung bringen können«, hatte Dolf gesagt, »das könnte hochinteressant sein!«
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Das heißeste Ding, das du jemals angeschleppt hast

Seit noch nicht mal einem Jahr gab es diese beiden deutschen Staaten, und alle Welt fragte sich, wie es jetzt weitergehen würde. Ich lieh mir von der Kellnerin im Bristol zwei Groschen und rief Jef Heidenreich an, der sein feines, kleines Office nur einen Block weiter hatte.

»Ich weiß nicht«, sagte ich so harmlos wie möglich, »aber ich habe den separaten Friedensvertrag an der Hand, den die Russen noch in diesem Jahr mit Pieck und Ulbricht abschließen werden... Ist das interessant?«

Ich hörte den kleinen Jef nach Luft schnappen und »Shut the door!« schreien, und dann: »Hör zu, Junge! Wenn ich recht verstanden habe, was du gerade gesagt hast, dann ist das das heißeste Ding, das du überhaupt jemals angeschleppt hast! Das darfst du nicht so einfach unter die Leute streuen! Das mußt du hoch verkaufen! Hoch, sage ich! Da sind ein paar Tausend Dollar für dich drin, ist das klar? Ich kann da leider nicht mithalten, aber ich kann für dich mal rumhorchen! Bestimmt gibt's ein paar potente Käufer dafür - mir selbst genügt die Meldung! Wann können wir uns sehen? Heute noch? Wann hast du den Vertrag? Wann brauchst du das Geld?«

Es war also enorm wichtig ....

Nun war es an mir, nach Luft zu schnappen. Was mein cooler Holländer so nebenbei erwähnt hatte, war bei Heidenreich wie eine Bombe eingeschlagen, schien das Thema überhaupt zu sein.

Ich gab mich unwissend, sagte so Sachen wie: »Ach ja? Meinst du wirklich? Eigentlich wollte ich ein paar Tage wegfahren. Wenn wir darüber reden wollen, müßte es heute noch sein - vor sechs, Jef!«

Er bedrängte mich, keinesfalls wegzufahren, die Sache sei zu wichtig. »Gib mir eine halbe Stunde!« rief er. »Laß mich ein paar Anrufe machen, und wir sehen uns um fünf in der Eden-Bar in der Konstanzer Straße!«

Ich zögerte: »Geht's nicht um vier schon?« Er stöhnte irgendwas zu irgendwem und rief: »Um halb fünf, okay? Halb fünf in der Eden-Bar, Will!«

So etwa spielte sich dieses Zweigroschengespräch ab. Aber es war noch nicht zu Ende, es folgte eine Schlußfrage, etwas Furchtbares, das äußerst fatale Konsequenzen für mich haben sollte.
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Und jetzt machte ich einen Fehler

Heidenreich fragte, bevor er auflegte, noch gierig: »Wie umfangreich ist das Ding?« Ich hätte nur zu antworten brauchen: »Weiß ich nicht, habe die Seiten noch nicht gezählt!« oder so was. Aber aus lauter Angst, der Hecht könnte mir noch von der Angel gehen, ich könnte die lächerlichen sechzig Mark bis achtzehn Uhr nicht zusammenbringen, ließ ich mich verleiten »Einundneunzig Paragraphen« zu sagen. Ich höre Jef heute noch andächtig »Einundneunzig!« murmeln. Was war ich für jugendlicher Idiot!

Zu diesem Zeitpunkt, kurz nach 15 Uhr, hatte ich zwar noch nicht die geringsten Ambitionen, den separaten Friedensvertrag zwischen UdSSR und DDR tatsächlich zu beschaffen, sondern nur den ungeheuren Druck im Nacken, erst mal die nötigen »Flöhe« zu besorgen.

Ohnehin lebte ich von Tag zu Tag und nach der Devise »Kommt Zeit, kommt Rat!«. Und das wichtigste war mir wirklich nur die »Klassefrau« aus der Brandenburgischen Straße. Doch ich hatte den Sturm unterschätzt, den mein Freund Jef in der nächsten halben Stunde in Berlins Korrespondentenkreisen entfachte ...
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Kurz vor halb fünf in der Konstanzer Straße

Als ich kurz vor halb fünf zu Fuß in der Konstanzer Straße eintraf, sah ich von weitem schon den gelben Oldsmobile von Dolf Benz vor der schummrigen Eden-Bar stehen, und innerhalb von Minuten trafen immer mehr Korrespondenten aus allen Himmelsrichtungen ein. Der Mund wurde mir trocken, mit dem ich auf dem Weg zu diesem Treffpunkt alle möglichen Antworten auf die Fragen, die man mir stellen könnte, repetiert hatte.

Ein mir unbekannter Ami von Associated Press flüsterte mir bei einem bedeutsamen Händedruck eine Botschaft seines schärfsten Konkurrenten zu:

Heidenreich verspäte sich, und bevor er nicht da sei, sollte ich niemandem den Friedensvertrag zeigen. Dolf Benz sah beleidigt aus, saß abseits auf einem Barhocker und sagte:

»Heute morgen noch taten Sie so, als wüßten Sie von nichts!« Die alte Helene, Helene - wie hieß sie noch? - von »Le Monde« in Paris rief gleich: »Wo ist der Vertrag, Monsieur? Wo ist er?« Es war fürchterlich!

Insgesamt kamen elf Korrespondenten zusammen, sogar Jim Burke war auf einmal wieder da und hatte immer noch das schöne Mädchen bei sich.

Ich verschanzte mich hinter einer Pokermiene, flüsterte Dolf kurz zu, daß der Vertrag in diesem Augenblick wohl fertig sei und ich am Abend eine Kopie kriegen würde, der Vater eines Freundes, ein ehemaliger Reichssieger in einem Stenographen-Wettbewerb, so fabulierte ich, sei seit Tagen im DDR-Außenministerium mit den Übersetzern in Klausur und habe heimlich einen vollständigen Satz des Kohlepapiers an sich genommen, auf dem die Durchschläge erstellt worden seien - all den anderen sagte ich nichts, was sogleich böses Blut erregte.

Es war beinahe schon 17 Uhr, als Heidenreich endlich angehastet kam. Ich schwitzte Blut und Wasser und beantwortete die Hauptfrage, die mir dauernd gestellt wurde, nämlich nach dem Preis für das »Dokument«, mit einem verblüffenden: »Nichts!« Jef zwinkerte mir zustimmend zu, hielt mich wahrscheinlich für ungeheuer gerissen, und eine laute Debatte entbrannte um die Prozedur: Wann ich »hinüber« fahren würde, in den Ostsektor, und wann mit meiner Rückkehr zu rechnen sei, und ob es eine »Auktion« um den Vertrag geben würde - ich verstand nur, daß ich die Wölfe am Hals, aber kein Geld in der Tasche hatte.
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Zehn Mark und keine Fragen, bitte!

In meiner Not kam ich auf die Idee, dem neben mir sitzenden Dolf Benz zuzunuscheln, daß ich vielleicht ein Geschenk mitbringen sollte für den Freund im Ostsektor. Dolf nuschelte zurück:

»Wieviel?« Ich hob ratlos die Schultern - fünfhundert Mark vielleicht? Dolf fragte »Ost oder West?«, und ich sagte: »Natürlich Ost! Die armen Teufel drüben haben ja nichts!«

Und nun nahm mein ungemein seriöser Holländer die Dinge in die Hand, zückte einen Zehnmarkschein (West) und rief, er brauche von jedem einen solchen Schein für ein Geschenk - und weiter keine Fragen, bitte!
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Aus 110 DM werden 500 Ostmark

Alle waren mehr oder weniger verblüfft, der Barkeeper nannte den unverschämten Kurs von 1:5 und wechselte 110 DM in 500 Ostmark um, und schon brachten Heidenreich und der Mann von Associated Press mich zum S-Bahnhof Savignyplatz. Ich sprang schweißnaß in den nächsten Zug nach Osten. Es war fünf vor halb sechs.

Zehn Minuten später war ich wieder am Savignyplatz und in der Wechselstube, wo ich einen neuen Kursverlust erlitt, aber doch über sechzig Mark West in die Tasche stecken konnte. Durch die Grolmann-straße rennend, kam ich um zehn Minuten vor sechs bei Mahlmeister an und nahm die Stöckelschuhe für Chris Baatz in Empfang die wunderbaren neuen Hochhackigen mit den Pfennigabsätzen.

Um Viertel nach sechs drückte ich den Karton einer Sprechstundenhilfe des Zahnarztes in der Brandenburgischen in die Hand und wartete. Chris öffnete nur kurz eine Tür zu den Privaträumen, warf mir einen Kuß zu und strahlte: »Toll! Um zehn in der >Badewanne<!«
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Und jetzt?

Erst mal nach Hause, ein bißchen schlafen, denn die Nacht in der »Badewanne« würde lang werden. Ich fühlte mich jetzt schon fix und fertig. Ich schlich an der - einmal nicht angelehnten - Tür von Frau Adlon vorbei und legte mich ins ungemachte Bett, stellte meine innere Uhr: um Neun wach werden! Und wie immer wachte ich pünktlich um 20.58 Uhr auf.

Ein Phänomen, das mich bis heute nicht im Stich gelassen hat. Ich stürzte ins Bad, machte mich schön, sauste um halb zehn aus der Haustür - und prallte entsetzt zurück: Unter der Straßenlaterne stand der gelbe Oldsmobile von Dolf Benz! Diese verfluchten Korrespondenten konnten es nicht abwarten, bis ich mich von selbst meldete! Es gab keine andere Möglichkeit, aus dem Gebäude zu gelangen, als durch die verdammte Haustür.

Die Brüder teilten sich in der Bewachung des Hauses

Es wurde zehn, es wurde elf, um zwölf endlich fuhr Benz weg - und Jim Burke in seinem Lincoln rollte vor. Er ging sogar ins Haus, der Hund, und ich hatte alle Mühe, vor ihm im sechsten Stock die Tür leise hinter mir zuzumachen...

Warum ich so ausführlich werde? Weil das drei Tage und vier Nächte so weiterging, die Brüder sich in der Bewachung des Hauses abwechselten, jeden Morgen auch bei mir klingelten und klopften (»Die Milchflaschen sind alle noch da, er ist noch nicht zurück«).

Wenn es Uschi Müller nicht gegeben hätte, die unter mir wohnte und sich später Christiane Maybach nannte, wäre ich verhungert. Ich fühlte mich wie ein gejagter Hase, der sich ausrechnen konnte, wann sie ihn endlich erwischten - wann sie die Aufmerksamkeit von Hedda Adlon erregen würden und die meine Tür aufbrechen ließ.

Ich war so durcheinander, daß der ganze nächste Tag verging, bevor mir die Schreibmaschine auffiel: Meine geliebte Remington Portable stand auf dem Tisch - stand auf dem Tisch, anstatt im Leihhaus! Wieso hatte ich das nicht sofort bemerkt? Wieso den Zettel nicht, der in der Walze steckte?

Einen langen Augenblick fürchtete ich ernsthaft um meinen Verstand: Hatte ich die Remington nicht vor einer Woche ins Leihhaus getragen und, wie immer, dreißig Mark dafür bekommen? Der Zettel klärte mich auf:

»Ich habe mir erlaubt, Ihre Schreibmaschine zurückzuholen, damit wir keine Zeit verlieren - Ihre Hedda A«

Diese unglaubliche Frau Adlon!
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Fast wie bei den Hitler-Tagebüchern - ich fing an ...

Am Abend des zweiten Tages fing ich zähneknirschend an, im Schein einer Kerze - nicht einmal das Licht konnte ich anmachen, ohne von der Straße aus gesehen zu werden! - ganze Berge von »Täglichen Rundschauen« zu durchwühlen, das Blatt der Sowjetarmee.

Vielleicht konnte ich ersatzweise etwas zu Papier bringen? Ich hätte Jef oder Jim oder Dolf und den anderen natürlich sagen können: April! April! Ich bin hereingelegt worden! Der finanzielle Verlust, ach, der wäre gar nicht zur Sprache gekommen.

Aber ich hatte so viel Dampf hinter die Sache gemacht, und dieser Friedensvertrag hatte eine solche Dynamik entwickelt, daß er eine Frage der Ehre wurde. Auf gar keinen Fall wollte ich als kleiner Schwindler vor ihre Augen treten!
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Also schrieb ich : Stalins Deutschlandplan enthüllt!

Am dritten Tag fing ich an zu schreiben, unter Bedingungen, die schlimmer waren als im Krieg. Neben dem Bombardement der Korrespondenten, neben Hunger und Durst verlor selbst der Gedanke an Chris Baatz seine Wirkung.

Die Treulose! Wieso wunderte sie sich nicht, daß einer ihr Schuhe kaufte - die schönsten neuen Hochhackigen mit Pfennigabsätzen! - und dann nichts mehr von sich hören ließ? Wieso war sie die einzige, die nicht an meine Tür klopfte, um zu sehen, ob ich noch lebte?
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Und dann waren die 91 Paragraphen fertig

Das schlimmste waren die 91 Paragraphen! Ich mußte ja besengt gewesen sein ... - Aber als ich die ersten 45 Punkte aus dem Blatt der Sowjetarmee gezuzelt hatte, anders konnte man meine wilde Schmiererei nicht nennen, erwachte mein Ehrgeiz, und als ich alle 91 zusammenhatte, blieb sogar noch ein Dutzend Argumente übrig, die meiner Ansicht nach unbedingt in einen separaten Friedensvertrag hineingehörten.

Ich muß schon ein Wahnsinniger gewesen sein, damals. Und ich muß verboten ausgesehen haben, als ich Heidenreich um neun Uhr morgens, am Ende der vierten Nacht, die Tür öffnete.

»Tut mir leid, Jef!« sagte ich. »Aber ich mußte den ganzen Mist selber abtippen! ... Ich bin geschafft, Mann!« Der gute Jef klopfte mir auf den Rücken und versprach, den ganzen Packen Papier sauber abschreiben und mir umgehend eine Kopie zukommen zu lassen.
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Eigentlich hatte ich mich selbst übertroffen

Als ich das sauber getippte Manuskript am Abend las, wunderte ich mich über mich selbst. Das hast du alles geschrieben? Mensch, du bist ja richtig gut! Vielleicht sollte ich noch politischer Redakteur werden, Leitartikel verfassen?

Aber dann fiel mir rechtzeitig noch ein, was politische Redakteure verdienen, und ich kam schnell wieder zu mir. Noch heute halte ich diese Parforce-Arbeit für eine meiner besten und kann es nicht fassen, daß ich nicht mehr als hundertundzehn Westmark dafür bekommen habe.

Sehr schnell stellte sich nämlich heraus, daß meine Korrespondenten mit meiner Fleißarbeit nichts anfangen konnten - einundneunzig Paragraphen waren viel zuviel, um sie auch nur annähernd zu drucken. Das Ding war zu groß, um durch irgendeine Tür in die Öffentlichkeit zu passen, eine Überlegung, über die ich mir viel später erst klar wurde.
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Werner Asendorf kam von einer Reise zurück

Aber nun kam erst mal Werner Asendorf von einer Reise zurück Er war genau in der Woche weggewesen, in der sich das Drama abspielte Er wußte von unseren Korrespondentenfreunden schon alles, als er die Treppen zu meinem Atelier heraufgekeucht kam, riß mir den »Friedensvertrag« aus der Hand, warf sich auf mein Bett, begann zu lesen - und war »absolut fasziniert!«.

Ich traute mich nicht, ihm den Schwindel zu gestehen, zumal er nach der Lektüre aufsprang und erklärte, er habe nicht daran glauben wollen, doch nun sei er überzeugt, und es müsse sofort etwas geschehen mit diesem »Friedensvertrag«.

Werner steigerte sich zur Hochform

Ich wollte seinen Enthusiasmus dämpfen, war eigentlich auch schon wieder ganz froh, daß die Korrespondenten nur pauschal darüber berichtet hatten, aber mein Werner war nicht zu haltea »Siehst du denn nicht«, schrie er, »daß uns das alle angeht!? Das darf doch nicht nur im Ausland erscheinen! Das muß Adenauer auf den Tisch kriegen, aber schnellstens! Wer kann das dem Bundeskanzler auf den Tisch legen? Wer hat einen direkten Draht zu ihm?«

Und gleich fiel ihm Paul Bourdin ein, der ehemalige Chefredakteur des »Kurier«, ein nicht hoch genug einzuschätzender Journalist, den Adenauer sich erst im November 1949 als Bundespressechef nach Bonn geholt hatte und der im Januar 1950 schon wieder zurückgetreten war, um Chefredakteur der »Welt« in Hamburg zu werden.
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Ach, der Adenauer ist doch schon gaga.

Ich protestierte, als Werner mit meinem Manuskript unter dem Arm davonrannte, aber allzusehr konnte ich auch wieder nicht protestieren, sonst hätte ich mich verraten. Leider, oder zum Glück, hatte ich in meinem Atelier noch kein Telefon, so blieb mir erspart, mit anzuhören, was Paul Bourdin antwortete, als Werner ihn aufgeregt anrief:

»Ach, der Adenauer ist doch schon gaga - kommen Sie schnellstens damit nach Hamburg! Die Weltpresse ist voll von diesem Friedensvertrag!«
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Der 31. August 1950

Ich bekam Werner Asendorf erst wieder am Donnerstag dem 31. August, zu sehen, als er mir zu unchristlich früher Morgenstunde
fast die Tür eintrat und das druckfrische Exemplar der »Welt« vor die Augen hielt: »Stalins Deutschland-Plan enthüllt« stand da fett über alle sechs Spalten geschmettert.

Mit den Unterzeilen Sonderfriede - Räumung - Wehrpflicht - Flugbasen - Berlin rot - Ostsee-Kontrolle - Kriegsgefangene der UdSSR geopfert: Tandaradei! Der ganze Kram aus den vergangenen Tagen und Nächten!

Bourdin hatte (»Eigenbericht Berlin«) fast die gesamte Frontseite der »Unabhängigen Tageszeitung« geopfert und begann mit dem fettgedruckten, ergreifenden Satz: »Sensationeller Charakter wird einem hier bekanntgewordenen Dokument zugesprochen, das den Entwurf des Friedensvertrages zwischen der Sowjetunion und der SED-Regierung enthält...«

Was zitier' ich! Auf der folgenden Seite können Sie das Faksimile der »Welt« vom 31. August 1950 sehen und selbst nachlesen.

Was hatte ich da nur angestellt .....

Mir wurde ganz elend. Ich hätte einen Herzinfarkt kriegen können. Noch nie war ich so bedeutend wie in der damals größten und interessantesten Zeitung Deutschlands gedruckt worden, und nirgendwo stand mein Name.

Ich sank auf mein Bett zurück und begann den Leitartikel auf Seite zwei zu lesen - zwei und eine halbe Spalte! Der längste Leitartikel, den die »Welt«, oder irgendeine andere Tageszeitung, je verbrochen hatte!

O Gott, o Gott! Wenn das je herauskommen würde! »Seit Korea sind wir hellhörig geworden«, schrieb Bourdin unter der Überschrift »Was dahinter steckt«, und fuhr fort: »Es ist reichlich eine Woche her, daß der >Nieuwe Rotterdamsche Couranh einen Artikel über den sowjetischen Plan eines Sonderfriedens mit der deutschen Ostzone brachte...«

Der gute Dolf Benz! »Am 24. August«, zählte Paul Bourdin weiter auf, »hat der diplomatische Korrespondent der Associated Press aus Washington berichtet« - aus Washington? -, »ein bevorstehender sowjetischer Friedensvertrag mit der Pieck-Republik...«

Und: »Am 26. August beschäftigte sich der Leitartikel des sozialistischen Pariser Organs >Le Populaire< mit dem gleichen Thema...« Das war also der mit dem roten Barte, den Helene - Helene - wie hieß sie bloß? - von »Le Monde« mitgebracht hatte.

»In der >Sunday Times< vom 27. August«, verriet Bourdin weiter, »sprach der diplomatische Korrespondent von dem sich nähernden Höhepunkt der diplomatischen Schlacht um Deutschland und nannte als Termin für den geplanten Sonderfrieden die Zeit nach den Oktoberwahlen in der Ostzone ...«

Ich konnte nicht anders, ich kicherte in mich hinein bei dem Gedanken, daß Wilhelm Pieck, der alte Sack, jetzt die gleiche »Welt« in den Händen halten würde, die ich las, nur daß er und nicht ich auf der ersten Seite abgebildet war, mit der Stalinbüste in den Händen. »Die gleiche Eröffnung machte die Pariser Zeitung >Le Monde< vom 28. August und forderte die westlichen Alliierten zur Wachsamkeit auf...«
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Ich lag auf dem Bett und schüttelte mich.

Asendorf hatte frische Schrippen mitgebracht und kochte Kaffee. »Willst du Erdbeermarmelade, oder nimmst du den Zipfel Rügenwalder?« fragte er und erzählte, schon kauend, weiter von dem Sturm, den er bei Bourdin in Hamburg entfacht hatte:

»Eigentlich wollte er bis Montag warten, wenn die anderen Zeitungen nicht erscheinen« - damals erschienen sie alle auch am Sonntag, dafür am Montag nicht, mit Ausnahme der »Welt« -, »aber dann bekam er es doch mit der Angst zu tun, daß ihm ein anderer zuvorkommen könnte, und er druckte sofort! Ich sage dir: Er hatte Sonderwachen in der Setzerei und Rotation aufstellen lassen, die jeden Fremden am Betreten hinderten! Es war wieder mal echter, großer Journalismus!« schwärmte Werner.
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Ich war ja immer noch pleite ....

»Hat er dir, außer dem Flug, nicht wenigstens eine kleine Schutzgebühr angewiesen?« meckerte ich aus dem Bett. Werner sagte: »Guck mal, was auf dem Schreibtisch liegt!« Da lagen fünf nagelneue Blaue -Hundertmarkscheine. »Für jeden von uns fünfhundert!«

Ich bekam schon wieder Herzrhythmusstörungen und fuhr auf: »Hast du etwa meinen Namen genannt, du Idiot?« Er lachte: »Natürlich nicht! Wenn ich deinen Namen genannt hätte, hätte er sofort kombiniert, daß der Friedensvertrag von Riess kommt - und hätte ihn nicht gedruckt! Dich kennt doch jeder nur als rechte Hand von Curt Riess!«

Ich weiß nicht, aber mich machte das auf eine verdrehte Weise plötzlich stolz. Mich hatte Bourdin gedruckt - Riess würde er nicht gedruckt haben.

Im weiteren Verlauf der Geschichte, als immer mehr von »Fälschung« die Rede war und der »Telegraf« und die »Berliner Zeitung« auch meinen Namen ins Spiel brachten, wurde ich allerdings links liegengelassen, lediglich als Zuträger behandelt, und alle schössen sich sofort auf Curt Riess ein. Wie recht mein Werner gehabt hatte!
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Und das Ende der Geschichte begann so ....

Als ich Axel Springer Ende der fünfziger Jahre einmal die wahre Geschichte erzählte, legte er sich der Länge nach auf den Teppich, hob die Hände und sprach: »Lieber Gott, ich danke dir, daß ich die >Welt< erst 1953 gekauft habe!«

Und stellte mir die einzig interessante Frage: »Was ist aus dem Mädchen geworden?« Ich mußte ihm gestehen: »Die hat die ganze Zeit ein Verhältnis mit Joe Glaser gehabt, dem Schlagzeuger vom Johannes-Rediske-Quintett, das damals in der >Badewanne< spielte, und hat bald darauf nach Chicago geheiratet und einen Haufen Kinder bekommen...« Axel Springer kringelte sich vor Lachen.

Hätte ich doch besser die Memoiren der Frau Adlon geschrieben

Der »separate Friedensvertrag« zwischen der Sowjetunion und der DDR aber ist natürlich niemals zustande gekommen. Moskau legte Wert darauf, die Fiktion, daß der Westen Deutschland gespalten hätte, bis zuletzt aufrechtzuerhalten.

Chefredakteur Paul Bourdin mußte noch im selben Jahr seinen Hut nehmen und wurde Pressechef bei ESSO. Der heutige Chefredakteur der »Welt«, Dr. Peter Gillies, der so freundlich war, mir die »Welt« von 1950 noch einmal kopieren zu lassen, schrieb mir:

»Lehrreich ist für mich der Vorgang insofern, als er deutlich macht, wie risikoreich das Leben von Chefredakteuren ist.«

Und von Autoren, die für ihre besten Sachen nicht bezahlt werden? Hätte ich wenigstens die Memoiren von Hedda Adlon geschrieben!
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