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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Curt Riess verlor von Jahr zu Jahr seine Freunde

Helmut Kindler, Heinz Ullstein und Ruth Andreas Friedrich, zwei Journalisten aus dem »Inneren Widerstand« und ein Angehöriger der berühmten Verleger-Familie, brachten in der Zehlendorfer Goethestraße, ganz in der Nähe von Riess, eine politische Wochenzeitung für Frauen heraus, die sie schlicht »sie« tauften.

Curt Riess schrieb von Anfang an starke antikommunistische Artikel für die »sie«, zu denen ich ihm das Material aufzubereiten hatte, denn vieles von dem, was in den zwölf Hitler-Jahren passiert war, kannte er einfach nicht.

Ich hielt in meiner jugendlichen Naivität seinen Drang, in jeder neuen deutschen Publikation zu schreiben, für falsch und sagte ihm das auch. Riess entgegnete, wie zu erwarten, mit dem Argument, daß er Heimweh nach der deutschen Sprache hätte und bei der neuen deutschen Presse mitmischen wolle.

Ich dagegen verglich die großen amerikanischen Magazine wie »Colliers«, »Esquire«, »Life«, »Look«, »Saturday Evening Post«, von den Zeitungen ganz zu schweigen, mit unseren armseligen Hervorbringungen auf Holzpapier und wollte nicht begreifen, wie einer wie Riess von seinem hohen Level freiwillig herabsteigen konnte.

"On the long run" behielt ich recht: Curt Riess verlor von Jahr zu Jahr mehr den amerikanischen Markt und gewann den deutschen nur vorübergehend, wobei er sich auch noch jede Menge Feinde machte, denn die deutschen Chefredakteure und Verleger, die ihm während der strengen Besatzungszeit zu Füßen lagen, wollten nach der Etablierung der Bundesrepublik und damit eines neuen Selbstbewußtseins, mit dem oft sehr großmäulig aufgetretenen Remigranten nichts mehr zu tun haben.

Es hatte schon seine Gründe, warum Riess bereits Anfang der fünfziger Jahre in die Schweiz retirierte. Mein anfänglicher Stolz auf die Arbeit für den mächtigen Mann verlor sich, je weniger er für Amerika schrieb.
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Unter den Chefredakteuren und Verlegern

Unter den Chefredakteuren und Verlegern, die ich durch Curt Riess kennenlernte, gab es ein paar hervorragende Leute, denen ich mich gern angeschlossen hätte, aber Riess wachte eifersüchtig darüber, daß ich nur für ihn tätig blieb.

Einer hieß Fritz Prengel und war der Chefredakteur der »sie«. Er kam wie Reger, wie Zentner und Meyer-Dietrich aus dem Deutschen Verlag und war ein echter Gegner des Nationalsozialismus gewesen.

Selten habe ich einen Journalisten getroffen, der jedes politische Thema so genau auf den Punkt bringen konnte wie Prengel. Leider blieb er nicht lange auf seinem Posten, ging, wie Zentner, nach Westdeutschland und verunglückte mit seinem Auto tödlich.

Sein Stellvertreter freilich, der Karl-Heinz Hagen, war von noch größerem Kaliber, neun Jahre älter als ich und ein in jeder Hinsicht faszinierender Kerl. Er schien alles gelesen zu haben, wußte mehr als jeder andere, den ich damals kannte, und wurde der Mann, dem ich viele Jahre lang nachzueifern versuchte.

Ich war damals hin- und hergerissen zwischen Schreiben und Fotografieren; die eigene Leica machte einen Riesenspaß, und Riess förderte das, denn er brauchte für seine Artikel immer wieder Illustrationen und ließ sich nur zu gern mit seinen prominenten Besuchern fotografieren.

Ich nehme an, das war auch der tiefere Grund dafür, daß er mich sogar abends noch überallhin mitnahm. »Haben Sie die Kamera dabei?« fragte er, wenn wir seinen Wagen bestiegen. »Dumme Frage«, antwortete ich frech.

Wenn Tschiang Kaischek aus dem Bild lächelte

Am liebsten aber war ich mit Karl-Heinz Hagen unterwegs. Ich sehe uns noch hinter Frohnau über einen Acker stampfen, wo es Arger mit einem russischen Schlagbaum bei Stolpe gegeben hatte - oder um eine düstere alte Villa auf der Podbielskiallee schleichen, in der die chinesische Militärmission einquartiert war.

Es gab Gerüchte, daß Tschiang Kaischeks nationalchinesische Vertreter in Berlin mit Mao Tsetungs Rotchinesen kollaborierten, die zu Hause immer mehr Provinzen eroberten. Was, wenn ganz China rot werden würde?

Uns in Berlin interessierte, ob das erhalten gebliebene Haus der alten chinesischen Botschaft am Kurfürstendamm, das seit dem Krieg leerstand, eines Tages vielleicht chinesische Kommunisten beherbergen würde. Als wir endlich Einlaß in die Militärmission fanden, konnten wir uns vor einem großen Porträt Tschiang Kaischeks in der Eingangshalle verneigen.

Als wir eine Stunde später, nach dem Gespräch mit dem Leiter der Mission, die Treppe wieder herunterkamen, zögerten wir mit der Verneigung - da hing plötzlich Mao Tsetung in dem Rahmen und strafte jedes Wort der Nationalchinesen Lügen.

Den Beamten, der uns begleitete, schien Mao nicht allzusehr aufzuregen. »So was!« sagte er nur, stieg aufs Sofa und drehte das große Bild um. »Das waren bestimmt die Studenten, denen wir ein freies Mittagessen zukommen lassen!«

Auf der Rückseite lächelte wieder Tschiang Kaischek. Daran erinnerte ich mich, als wiederum Studenten den Aufstand gegen die Erben Mao Tsetungs probten - vierzig Jahre später. Wiederum die ach so klugen Studenten.
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"Ihr habt ihn ja gewählt"

Karl-Heinz Hagen war der erste Soldat der deutschen Wehrmacht gewesen, der gleich nach Ausbruch des Krieges wegen »Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt wurde.

Der katholisch erzogene Sprößling des alten jüdischen Bankhauses Louis Hagen in Köln hatte, nach einem fürchterlichen Drill auf dem Kasernenhof seines Flakregiments in Mariendorf, den fluchenden Stubenkameraden nichts weiter gesagt als »Ihr habt ihn ja gewählt!«

Das genügte 1939, um vors Kriegsgericht zu kommen. Durch alte Beziehungen seiner Familie gelang es dem bereits Verurteilten jedoch, eine Revisionsverhandlung vor dem Feldgericht des Luftgaukommandos III zu erhalten, die mit der Erkenntnis endete, daß »ein jüdischer Mischling gar nicht in der Lage ist, die notwendige nationalsozialistische Gesinnung zu entwickeln«.

Der Neunzehnjährige wurde unter der Auflage freigelassen, sich unverzüglich in den »kriegswichtigen Dienst der Industrie« einzureihen.

»Join the Navy and See the World!«

Anfang des Krieges gab es für Juden mit landwirtschaftlichen Kenntnissen noch eine schwache Möglichkeit, mit Hilfe schwedischer Quäker nach Brasilien auszuwandern.

Hagen versuchte sich Kenntnisse auf dem Gut Georgenhof in Württemberg anzueignen, doch dann trat auch Brasilien in den Krieg ein. Nun gab es nur noch zwei Wirtschaftszweige in Deutschland, die so kriegswichtig waren, daß sie »jüdisch Versippte« beschäftigen durften: der Bergbau und die Handelsmarine.

»Join the Navy and See the World!« sagte sich Karl-Heinz mit Galgenhumor und meldete sich bei der Hapag, die ihn zu seiner Überraschung »mit Kußhand!« nahm.

Wie hätte er wissen sollen, daß ihre Geleitzüge zu den deutschen Stützpunkten am Polarkreis reine Todeskommandos waren! Als Trimmer und Backschafter fuhr Hagen viermal nach Kirkenes und Petsamo und wurde zweimal torpediert.

Als er das letzte Mal stundenlang im Eismeer schwamm, war es zum Glück Hochsommer -1943. Und Hagen hatte weiter Glück und konnte als Pferdepfleger auf einem Gestüt des großen deutschen Traberchampions Hänschen Frömming bei Königs Wusterhausen unterkommen.

Dort wurde er zwar auch mal wieder verhaftet - und durch einen glücklichen Zufall wieder freigelassen -, aber am Ende des Krieges erwischte ihn noch die Einberufung zum Volkssturm, und er fand sich an der Oderfront den anstürmenden Russen gegenüber.

Doch es gelang ihm, auch seinem Bataillonskommandeur, einem Spielzeugwarenhändler vom Rosenthaler Platz, klarzumachen, daß Mischlinge ungeeignet seien, »Volk und Führer« gegen den Bolschewismus zu verteidigen; er durfte nach Hause gehen.

Den Einmarsch der Russen erlebte Hagen vor dem Kinderheim Bethanien, das sein Großvater einst der jüdischen Gemeinde von Berlin gestiftet hatte.
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Für Karl-Heinz Hagen kamen die Russen als Befreier

Aber ähnlich so vielen anderen Verfolgten reagierte er äußerst empfindlich auf den
neuen Terror der Kommunisten. Noch 1945 schrieb er »Der du bist im Nebel«, einen Roman über seine Jahre im Dritten Reich, der in der neuen Literaturzeitschrift »Athena« abgedruckt wurde.

Der Erfolg ermutigte ihn, sich ganz dem Journalismus hinzugeben. Bei der »Neuen Zeitung« der Amerikaner fand er seinen ersten Job. Ich bin stolz darauf, daß ich ihn durchs ganze Berufsleben begleiten durfte.
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Heirat ...... und Scheidung ?

Zur meiner Hochzeit hatte Curt Riess uns einen Wagen aus dem British Motor Pool spendiert, einen schwarzen VW mit deutschem Fahrer, der uns in der Schorlemerallee abholte, zum Standesamt Zehlendorf brachte und von dort ins Honeymoon-Hotel am Waldsee.

Warum erinnere ich mich an diese Autofahrt? Lächerlich! Aber im Mai 1948 war so ein Service das Höchste der Gefühle, ein unvorstellbarer Luxus, der das junge Ehepaar über alle anderen erhob.

Werner Asendorf war mein Trauzeuge, Ingrids Freundin Juliane von Puttkamer die ihre. Wo ich den schwarzen Anzug her hatte, der auf dem Bild zu sehen ist, weiß der Kuckuck; ich muß ihn von jemand geliehen haben. Sogar einen Empfang mußte ich im Haus am Waldsee geben, hauptsächlich für meine amerikanischen Korrespondentenfreunde, denn Riess sagte:

»Erstens macht man das so, und zweitens bringt jeder eine Flasche Scotch mit!« Das taten sie tatsächlich, obwohl vielleicht schweren Herzens, denn eine Flasche Whisky brachte auf dem schwarzen Markt ein paar hundert Reichsmark. James Preston O'Donnell lieferte sogar eine Kilobüchse russischen Kaviar ab, und Riess schickte einen Freßkorb vorbei.
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Auf dem Gipfel der Erde

Ich fühlte mich auf dem Gipfel der Erde. Meine Leidenschaft für Ingrid Tremper, geborene Weymann,.war ungebrochen. Wir hatten sogar eine eigene kleine Wohnung, aus zwei Zimmern bestehend, unterm Dach bei einer Frau Langen am Süntelsteig 33 gefunden, wahrscheinlich durch meinen Freund Georg Otto Willig, der in derselben Straße wohnte.

G. O., wie wir ihn nach amerikanischem Vorbild nannten, war in meinem Alter und mir in der Poststelle des »Tagesspiegel« aufgefallen. Genau wie ich strebte er nach Höherem, traute sich aber nicht in den Journalismus, sondern blieb Zeit seines Lebens im Verlagsgeschäft hängen, ein introvertierter Philosoph, der heimlich Essays über gewichtige französische Literaten schrieb, deren Sprache er sich im Selbststudium angeeignet hatte.

Unsere Wirtin, die Frau Langen, war die Witwe des Redakteurs Richard Langen von der »Welt am Montag«, eines Sohnes von Albert Langen, der mit einem Georg Müller den angesehenen Verlag Langen-Müller in München gegründet hatte.

Frau Langen hatte einen Sohn in unserem Alter, der Claus-Einar hieß, eines Tages nach Greifswald ging, um zu studieren, dort von den Russen verhaftet und als »subversives Element« zu unheimlich langen Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Nach seiner Freilassung ging er nach Nürnberg, von wo er heute noch für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« schreibt.

Das gehobene Bürgertum war hier zu Hause

Der Süntelsteig liegt in Onkel Toms Hütte, jenem modernen Viertel kleiner, komfortabler Einfamilien- und Reihenhäuser, die Ernst Reuter als Stadtrat für Wohnungswesen vor 1933 schon am Rande des Grunewalds, entlang der Argentinischen Allee, initiiert hatte.

Hier war das gehobene Bürgertum zu Hause, dessen Schicksal nicht weniger leidvoll verlaufen war als das des Hinterhof-Proletariats, hinter blühenden kleinen Vorgärten vielleicht noch tragischer anzusehen.

Im Haus direkt gegenüber, zum Beispiel, hatte der Bezirksbürgermeister von Steglitz gewohnt; er war mit Frau und Baby von besoffenen Russen erschossen worden. G. O. kennt die unglaublichsten Geschichten aus dieser friedlichen kleinen Straße, und ich werde nicht müde, ihn anzutreiben, sie alle mal aufzuschreiben, nachdem er als Leiter des RIAS-Archivs in die verdiente Pension gegangen ist.

An meine erste Ehe denkend, sehe ich mich mit Ingrid immer nur engumschlungen den Süntelsteig hinabwandern, den Quermatenweg überqueren und über den weichen Kiefernnadelboden des Grunewalds zur Krummen Lanke hinabspazieren, wo wir baden und hinter Büschen liegen, den Duft des Waldes atmen und über Gott und die Welt reden

Sie sagt heute noch, ich hätte unaufhörlich »phantasiert«, von irgendwelchen Drehbuchstoffen und Filmen gesprochen und wäre »nicht zu halten« gewesen.

Ingrid war ja fünf Jahre älter - ich war zu jung

Vielleicht hat sie früher als ich erkannt - sie Ingrid -, was die Crux meines Lebens ist: daß ich mich für zu viel auf einmal interessierte, nie bei einer Sache blieb und diese konsequent »durchzog«, sondern schnell auch wieder gelangweilt war und auf den nächsten bunten Wagen sprang.

Zu Curt Riess war es, vom U-Bahnhof Onkel Toms Hütte, genau eine Station bis zum U-Bahnhof Krumme Lanke. Ich hatte keine festen Arbeitszeiten, ging und kam, wie ich wollte, und traf ständig und reihum auch meine anderen Korrespondentenfreunde noch, die alle wußten, daß Riess von meinen Seitensprüngen nichts erfahren durfte.

Die politische Entwicklung in Berlin wurde gefährlich

Freund Felix Bernard vom »Deuxieme Bureau« kam jetzt bis nach Onkel Toms Hütte gefahren, um mich zu sehen, und war, wie auch die Korrespondenten, aufs höchste beunruhigt über die politische Entwicklung in Berlin.

Das von den linken Liberalen im amerikanischen Hauptquartier erzwungene Stillhalten den Sowjets gegenüber hatte seinen Höhepunkt am 12. August 1947 erreicht, als die drei westlichen Kommandanten gezwungen worden waren, um der Eintracht willen dem Stadtverordnetenhaus mitzuteilen, daß sie die Wahl des Verkehrsstadtrats Ernst Reuter zum Nachfolger des zurückgetretenen Oberbürgermeisters Otto Ostrowski nicht bestätigen könnten.

Colonel Howley, inzwischen zum General befördert, erzählte mir acht Jahre später, daß es ihn »innerlich zerrissen« habe - er hatte sich einfach geweigert, an der berüchtigten 71. Sitzung der alliierten Kommandanten teilzunehmea

»Ich kann die lächelnde Visage des russischen Generals Kotikow nicht mehr ertragen«, hatte er General Clay gesagt, »ich verpasse ihm vor der versammelten Runde einen Schlag auf die Wodkanase, wenn er noch einmal sagt: Dr. Reuter ist antisowjetisch!« Man bedenke, wie nahe wir dem Dritten Weltkrieg waren!

General Howley - so antisowjetisch wie jeder von uns

Ernst Reuter war so antisowjetisch wie jeder von uns, wie auch General Howley zum Beispiel geworden war.

Er hatte einen verrückten irischen Schriftsteller gebeten, an seiner Stelle an der entscheidenden Sitzung teilzunehmen, hatte ihm die Uniform eines amerikanischen Brigadegenerals verpaßt, ihn als Chef der US-Garnison in Berlin deklariert und sich selbst krank gemeldet.

So trägt das »Schanddokument« der 71. Sitzung der alliierten »Kommandantura« vom 12. August 1947, neben den Namen des britischen Generalmajors Herbert, des russischen Generalmajors Kotikow und des französischen Brigadegenerals Ganeval, den Namen Cornelius Ryan, »Brigadegeneral der US-Army«.

Ryan ist zehn Jahre später durch seinen Bestseller »The Longest Day« über die alliierte Invasion in der Normandie weltberühmt geworden, hat aber bis zu seinem frühen Tod 1974 eisern über diese Köpenickiade geschwiegen - und offenbar hat sich niemand sonst im US-Headquarters das Communique der Sitzung, bei der Cornelius Ryan auch noch turnusmäßig den Vorsitz innehatte, angeguckt. Solcher Art waren die Späße, die General Howley sich in Berlin leistete.

Curt Riess verlangte immer alle meine Fotos

Ich war unermüdlich im Beschaffen von Informationen, trieb mich ständig im Sowjetsektor herum, antichambrierte mich durch das Polizeipräsidium, dem immer noch der unmögliche Ritterkreuzträger Markgraf vorstand - und fotografierte daneben auch noch für die »sie« und für »ihn«, und für Curt Riess, die unterschiedlichsten Motive:

Generäle auf US-Parties und Huren im Tiergarten, Schlägereien in der Stadtverordnetenversammlung und Bischof Dibelius in seinem stillen Dahlemer Studierzimmerchen - übrigens das erste Foto, das mir von einem Nachrichtenmagazin mit dem Namen »Der Spiegel« in Hannover abgekauft wurde.

Riess verlangte alles zu sehen, was ich so täglich zusammenschoß, und da er mir die schwer zu beschaffenden Kleinbildfilme besorgte, gab ich ihm auch die Fotos, die ich mir in meinem eigenen kleinen Labor unterm Dach vergrößerte. Was wollte er damit? Sich ein Archiv zulegen?
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Curt Riess zeigte mir, daß ich nicht der "Größte" war

Im März 1948 winkte er mich morgens an seinen Schreibtisch, während er in einer neuen französischen Illustrierten blätterte, die »Paris Match« hieß. »Erkennen Sie sich wieder?«

Da waren zwölf Seiten von ihm über Berlin drin, zwölf Seiten Schwarzweiß-Fotos von mir! Das wurde ein gefährlicher Tag, weil ich natürlich auf der Stelle beschloß, einer der ganz großen Fotografen der internationalen Presse zu werden, zumal auch noch eines der vier Farbbilder auf der Titelseite dieser ersten Ausgabe von »Paris Match« von mir war:

Es zeigte die bildschöne junge Schauspielerin Katharina Mayberg. Aber das Hochgefühl hielt nicht lange vor. Schon eine Woche später informierte mich Curt Riess darüber, daß »Paris Match« einen weiteren Berlin-Artikel von ihm haben wolle und zu diesem Zweck zwei berühmte französische Fotografen nach Berlin entsende, die ich bitte herumführen sollte.

Ich war am Boden zerstört! Waren meine Fotos etwa nicht gut genug? Warum schickten sie zwei zusätzliche Fotografen aus Paris? Und ich sollte den Herrschaften auch noch meine Berlin-Motive zeigen? »Eine Ungeheuerlichkeit!« tobte ich los.

»Ich denke ja gar nicht daran, Mister Riess!« Na, ich hab's dann doch getan und etwas Wichtiges dabei gelernt. Ich fuhr mit den Fotografen in einem Wagen der französischen Militärregierung überall herum und zeigte ihnen die »Sensationen« Berlins, aber die schienen sie kaum zu interessieren.

Statt dessen hielten sie dauernd an und fotografierten, was ich »totes Gemäuer« nannte. Zum Beispiel den vollkommen leeren Potsdamer Platz, der bekanntlich einmal Europas verkehrsreichste Kreuzung gewesen war. Sind die verrückt, fragte ich mich, was gibt's denn da noch zu sehen? Und war sprachlos, als ich später die Doppelseite mit dem toten Platz im »Paris Match« erblickte. Er wirkte erschütternd, und mir war das so nie aufgefallen!
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Ob ich jetzt 200.- DM bekommen könnte ?

Ich muß wie ein Berserker in diesem Jahr 1948 zugange gewesen sein, denn meine Ehe zerbrach darüber. Alles, was ich machte, war von Heimlichkeiten überschattet. Nie durfte der eine erfahren, was ich gerade für den anderen tat.

Dazu schmiß ich das Geld, das mir leicht zufloß, mit vollen Händen wieder hinaus - es war einfach nichts wert und zu leicht verdient! Ich erinnere mich, mit Ingrid ständig im Restaurant von Gerhard Hoffmann am Kaiserplatz zum Mittagessen erschienen zu sein, im Hinterzimmer natürlich, wo man für 300 Mark ein friedensmäßiges Gericht ohne Marken bekam.

Und am 24. Juni 1948, als die Währungsreform auch Berlin erreichte, traf ich mich frohgemut mit Felix Bernard, nachdem ich in der Schule der Königin-Luise-Straße, wie alle Berliner, meine 40 neuen Westmark erhalten hatte, um zu erfahren, ob er mir seine 2.000.- Reichsmark monatlich in der abgewerteten Form von 200.- DM weiterzahlen würde.

Wie schnell man 2.000 DM West ausgeben konnte .....

Wir saßen in seinem Wagen, und er ließ sich Zeit, steckte eine Gauloise zwischen die gelben Zähne, ließ sich von mir Feuer geben und sagte: »Zweihundert neue Westmark also ... Das macht dich zum Krösus, mein Junge, ist dir das klar? Jeder bekommt nur vierzig Mark, und du bist der einzige, der zweihundert hat! Was wirst du mit dem Geld machen?«

Ich lachte: »Ach, dafür habe ich immer Verwendung! Ich wäre dir natürlich dankbar, Felix, wenn ich sie nicht am Ersten, sondern schon etwas früher bekommen könnte. Vierzig Mark sind schnell ausgegeben!«

Er nickte, qualmte, sah aus dem Fenster, schielte mich an und meinte: »Das habe ich mir schon gedacht ... Wollen mal sehen, was wir da haben.«

Griff nach seiner Aktentasche auf dem Rücksitz, schaute hinein und holte einen dicken Umschlag hervor: »Hier!« Es waren nicht zweihundert, es waren zweitausend neue Westmark drin!

Selbstverständlich, sagte er, werde er mir auch weiterhin 2000 zahlen, das sei doch Ehrensache, ob altes oder neues Geld. Mir sauste das Blut in den Ohren.

Zweitausend neue D-Mark, das waren mehr als 20.000 alte Reichsmark! Ich konnte mein Glück kaum fassen. Noch am selben Tag freilich gab ich die ganzen neuen Westmark schon aus...

Ein Gerücht züngelte wie Lauffeuer durch die Siedlung an Onkel Toms Hütte: In der kleinen benachbarten Straße Am Lappjagen werde stündlich ein Heimkehrer aus dem KZ erwartet, den sein Nachbar dorthin (in das KZ) gebracht habe.

Dieser Nachbar müsse darum ganz schnell verschwinden und suche jemanden, dem er sein Haus mit allem Drum und Dran - Teppiche, Vorhänge, Mobilar und Geschirr, einfach alles, wie es da stehe und liege - gegen die neue Westmark verkaufen könne ...

Abends waren Ingrid und ich die neuen Besitzer des Hauses Am Lappjagen 45. Von den vierzig Mark, die mir noch geblieben waren, kaufte ich Trottel eine stählerne Geldkassette, denn ich beschloß, die künftigen 2000 monatlich von nun an eisern zu sparen.
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Eine Geldkassette im Haus bringt nur Unglück

So was soll man nie machen. Eine Geldkassette im Haus, sage ich noch heute, bringt nur Unglück:

Felix Bernard wurde wenig später aus Berlin abberufen, und ich bekam nie wieder 2.000 Westmark von den Franzosen. Dafür saß ich jetzt mit meiner Frau in einem niedlichen wohlmöblierten Reihenhäuschen mit einem schmalen Handtuch von Garten hinten raus.

Ich verließ im darauffolgenden Jahr den Lappjagen ... und Ingrid und zog zu Frau Hedda Adlon, die mir in der Joachim-Friedrich-Straße 53 in Haiensee mietfrei ein hundert Quadratmeter großes Atelier unter dem Dach anbot.

Einzige Bedingung: Ich sollte ihre Memoiren schreiben. Mit Ingrid hatten sich die Kräche (und Versöhnungen) gehäuft, sie wollte »so nicht« leben, so ohne Sicherheit, mit mal viel, mal wenig oder auch gar keinem Geld im Haus.

Mein Freund Baldhardt Falk, ein verbummelter Student vom Friedrichshain, nahm sich ihrer an, wurde plötzlich ganz strebsam und heiratete sie.
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Blockade und Luftbrücke 1948

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Dez. 1947 - Ein Brief des Polizeipräsidenten Markgraf

Während ich im Dezember 1947 im Zehlendorfer Außenlager von Plötzensee noch erfrorenen Rosenkohl aus gefrorener Erde stach, platzte in London die alliierte Außenministerkonferenz, die zu grundlegenden Beschlüssen über die Zukunft Deutschlands kommen sollte.

Nach meiner Freilassung traf ich am dritten Weihnachtsfeiertag in Frohnau meinen alten Freund, den Kriminalkommissar Jupp Kleindin. Er zeigte mir einen zerknitterten Brief, der ihm von einer ehemaligen Sekretärin zugesteckt worden war, die jetzt beim Leiter der Polizeiinspektion Lichtenberg im Sowjetsektor arbeitete, ein Brief des Polizeipräsidenten Markgraf:

»In Ergänzung meiner mündlichen Ausführungen von heute Morgen, ordne ich eine vierwöchige Urlaubssperre für die Kader an«, stand da.

Und: »Sie werden nach Ablauf der Feiertage dafür sorgen, daß auch für das übrige Personal Ihrer Inspektion keine Urlaubsgesuche - bis auf Widerruf - genehmigt werden...«

Gestempelt mit STRENG VERTRAULICH und dem maschinenschriftlichen Zusatz:
NACH LEKTÜRE SOFORT ZU VERNICHTEN!
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Jan 1948 - "Die Russen meinen es ernst!"

Und Jupp wußte auch aus seiner eigenen Dienststelle in der Dircksenstraße von seltsamen Aktivitäten der Kader, womit die Vertrauensleute der SED in der Abteilung F, wie Fahndung, gemeint waren. »Es tut sich was!« resümierte Jupp.

»Die Russen meinen es ernst! Sie wollen die Alliierten aus Berlin raushaben und einen neuen Magistrat einsetzen!« Ich nahm den Brief mit und zeigte ihn abends James Wakefield Burke, der sich zu später Stunde noch in seinen roten Ferrari setzte und ihn Col. Howley brachte.
Bereits am 3. Januar 1948 fingen die Sowjets mit ihrer Blockade an; wir nannten sie noch »Behinderung des Berlinverkehrs«.

Züge von und nach Westen wurden unverhältnismäßig lange kontrolliert, LKWs wegen angeblich mangelnder Ein- oder Ausfuhrpapiere wieder zurückgeschickt oder tagelang festgehalten, das gleiche passierte Lastkähnen auf den Schiffahrtswegen.
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General Kotikow lügt wie gedruckt

Aber noch behauptete General Kotikow auf den Sitzungen der Alliierten Kommandantura, es handele sich um Probleme der deutschen Verwaltung, mit denen die sowjetische Militäradministration nichts zu tun habe.

Die Westmächte mußten das schlucken, es gab keine schriftlichen Beweise. Erst als im März 1948 der sowjetische Oberkommandierende, Marschall Sokolowskij, nach einem heftigen Streit mit General Clay den Alliierten Kontrollrat verließ, bekannten die Russen sich zu ihrer Absicht.

Sie stellten den Westmächten am 1. April »Ergänzende Bestimmungen« über den Verkehr von und nach Berlin zu, in denen verlangt wurde, daß nun auch militärische Fracht von ihnen kontrolliert werden müßte, und als die Amerikaner dies ablehnten, wurden noch am selben Tag zwei ihrer Dienstzüge in Marienborn festgehalten und zurückgeschickt; das gleiche geschah mit zwei Militärzügen der Briten.
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Mad Dog Clay

Das war der historische Augenblick, der nach Auffassung amerikanischer Liberaler den Dritten Weltkrieg hätte auslösen können: General Clay verlangte vom Weißen Haus die Erlaubnis, mit Panzerzügen gewaltsam die sowjetischen Kontrollen durchbrechen zu dürfen und gleichzeitig mit einer Panzerbrigade auf der Autobahn nach Berlin vorzustoßen.

Er hat das in seinen Memoiren genau beschrieben, aber nicht nachdrücklich genug betont, was er und seine Stäbe von dem sowjetischen Bruch des Viermächteabkommens über Berlin hielten - alle, die vor Ort waren, glaubten an einen Versuchsballon der Sowjets, an einen gigantischen Bluff.

Stalin probierte nur, wie Hitler, ob er mit frechen Drohungen durchkommen würde - und er hatte, wie Hitler, anfangs Erfolg damit:

In Washington rangen die Berater Präsident Trumans die Hände und verlangten die unverzügliche Abberufung des »Mad Dog Clay« - sie hätten erst mal den »verrückten Hund« Howley hören sollen!

Der hielt sich nicht lange mit Rückfragen auf, der war es einfach leid geworden, daß die Russen und ihre deutschen Satrapen sich nach Belieben die Bälle zuschoben.
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Nur Col. Howley machte kurzen Prozess

Als Clays Panzerzüge nicht kamen, drehten die Sowjets weiter an der Schraube, sperrten am 3. April 1948 die Eisenbahnstrecken nach Süd- und Norddeutschland und verlangten, daß alles nur noch über Marienborn/Helmstedt laufe. Der Posttransport per Schiene wurde eingestellt, am 4. April auch der Binnenschiffsverkehr unterbrochen.

Am 5. April nahm mich Werner Asendorf mit zur RTO (Railway Transport Organization) am Bahnhof Lichterfelde-West, wo offenbar höchste Alarmstufe herrschte. Wir wurden von den sonst so entgegenkommenden Amerikanern schroff vom Militärbahnsteig verjagt und beobachteten aus dem Hintergrund, was sich tat.

Es war noch Vormittag, vielleicht elf Uhr. Um Punkt zwölf fuhren sechs amerikanische Panzer aus der Lichterfelder Kaserne durch die Drakestraße, und Col. Howley erschien mit einem russischen Offizier und mehreren Trucks voll Military Police auf dem Vorplatz des Bahnhofs, stürmte mit dem Russen durch den kleinen S-Bahnhof auf die Gleise und begann, deutsche Eisenbahner festzunehmen.

Wir zählten 32, die mit erhobenen Händen vom Bahngelände abgeführt und in die Trucks der MP gehoben wurden. Was war geschehen? Howley hatte am Vormittag die Nachricht erhalten, daß deutsche Eisenbahner einen riesigen Güterzug mit leeren Waggons zusammenstellten, darunter viele, die der RTO zur Verfügung standen, und zwar ganz offensichtlich mit der Absicht, sie aus dem amerikanischen Sektor zu entfernen. Das war möglich, weil die Eisenbahnanlagen unter sowjetischer Oberhoheit standen.
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Der russische Verbindungsoffizier mußte zuschaun .....

Howley hatte den russischen Verbindungsoffizier zu sich rufen lassen und nach den Gründen gefragt. Wie uns Jim Burke später erzählte, Jim Burke war Howleys Presseoffizier gewesen und verkehrte immer noch bei ihm, hatte der Russe sich, wie gewohnt, dumm gestellt.

Mit dem Ergebnis, daß er nun zusehen mußte, wie Col. Howley auf den Gleisanlagen in Lichterfelde »kurzen Prozeß« machte. Der Verbindungsoffizier hatte ihn dringend vor dem Betreten des Bahngeländes gewarnt, die Aktion als einen weiteren Bruch des Viermächteabkommens bezeichnet und mit »sowjetischen Maßnahmen« gedroht.

Doch es zeigte sich weder sowjetische Militär- noch deutsche Transportpolizei, »Trapos« genannt. Die amerikanischen MPs hatten sogar ein paarmal in die Luft geschossen, um die deutschen Eisenbahner einzuschüchtern.
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Ich war immer noch »der vom Tagesspiegel«

Wie bei der Polizei, gab es auch im Neuen Stadthaus in der Parochialstraße keine Besucherkontrollen, wie wir sie heute gewöhnt sind. Ich ging in den einzelnen Abteilungen ein und aus, trieb mich in den Vorzimmern der Stadträte und Bürgermeister herum, war überall noch als »der vom Tagesspiegel« oder schon als »der von der amerikanischen Presse« bekannt und stand bei so mancher Alarmsituation mitten im Zentrum.

Die Russen hätten das Fernmeldeamt besetzt und verboten, daß Techniker noch weiter in die Westsektoren fahren und (dorthin) Material mitnehmen, hieß es eines Morgens bei Innenstadtrat Theuner. Ich traf wenig später in den Überresten des einstigen Luxushotels Adlon den »New York Times«-Korrespondenten Drew Middleton und erzählte ihm davon.

Doch die »NY-Times« machte schon immer ihre eigene Politik Als ich Middleton abends im britischen NAAFI-Club wiedersah, meinte er, die Oberpostdirektion habe meine Information nicht bestätigt. Wie sollte sie!

Der zuständige Magistratsbeamte war nachts zu Hause angerufen worden und morgens gleich zu Otto Theuner gerannt. Zwei Tage später dementierte die Oberpostdirektion immer noch, aber da verkündete auch der amerikanische Presseoffizier die »Neuigkeit«.
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Ein einziges Verwirrspiel der Russen

Genauso war es mit dem sowjetischen Verbot von Lebensmitteleinfuhren aus ihrer Besatzungszone in die Westsektoren - einige Korrespondenten wollten nicht glauben, daß auch die Frischmilch für Babys dazugehörte.

Ein Aufschrei ging durch die Weltpresse, der die Sowjets dann veranlaßte, ihr tollstes Bubenstück per »Befehl Nr. Soundsoviel« zu veröffentlichen: Von »Aushungerung« könne keine Rede sein, hieß es jetzt plötzlich, alle West-Berliner könnten im sowjetischen Sektor einkaufen, sie brauchten nur ihre Lebensmittelkarten dort anzumelden! (Von über zwei Millionen taten es in den elf Blockademonaten ganze 80000.)
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