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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Hans Albers - für mich der Übermensch

Hans Albers, das ist der »dollste Kerl«, den es im deutschen Film gegeben hat. Das wußte ich nach dem ersten Film, den ich von ihm sah: »Variete«, 1936.

Ich war acht Jahre alt. Zehn Jahre später - nach »Sergeant Berry«, »Der Mann, der Sherlock Holmes war«, »Wasser für Canitoga«, »Trenck, der Pandur«, »Münchhausen«, »Große Freiheit Nr. 7« - begann ich Hans Albers für einen Übermenschen zu halten.

Da saß ich in seiner Garderobe im Hebbel-Theater, als er den »Liliom« spielte, und versuchte für den »Tagesspiegel« ein Interview zu bekommen.

Ein Interview für den »Tagesspiegel«

Entsetzt sah ich zu, wie er in Null Komma nichts eine ganze Flasche Hennessy leerte - und das eine Stunde vor der Vorstellung! Bevor die Flasche ganz leer war, schwenkte er den Rest noch mal und fragte mich:

»Wirklich nich 'n kleinen Schluck?« Ich hungriger Hering hatte mit Alkohol noch nichts im Sinn und hob beide Hände.

Da ging die Tür auf, und eine stramme Schwarzhaarige mit ungeheuer großen Augen rauschte herein, in der Hand eine pralle Tragetasche, die sie vor Albers auf den Schminktisch wuchtete.

Während sie Würste, Gurken, panierte Koteletts und ein großes Glas Kartoffelsalat auspackte, sah sie mich fragend an, und Albers meinte: »Also, Junge, wenn du was abhaben willst, mußt du mittrinken, sonst wird das nichts!«

Ich machte, daß ich davonkam. Später klärte mich Cornelia Herstatt auf: Die Besucherin war Mathilde Pongs, Herstellerin feinster Damenunterwäsche und Mieder nach Maß, die sich während Albers' Berlin-Aufenthaltes in jeder Beziehung um ihn kümmerte.

Cornelia wußte das so genau, weil sie nicht nur den besseren Überblick über die privaten Verhältnisse aller Mimen hatte, sondern speziell Albers seit dem Krieg auch privat zugetan war. »Er ist furchtbar konservativ«, sagte sie mir einmal. »Ich darf nur in schwarzen Reithosen, schwarzen Stiefeln und weißem Rollkragenpullover zu ihm kommen...«
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Albers wohnte am Schöneberger Ufer

Einmal sah ich sie so das Haus am Schöneberger Ufer betreten, in dem Albers während der Dreharbeiten zu seinem ersten Nachkriegsfilm die Wohnung seiner Miederfreundin mit Beschlag belegt hatte, und sie trug unter dem Arm sogar eine Peitsche.

Als Hans Albers starb, erbte Cornelia unter anderem eine diamantenbesetzte Frackuhr. Als Cornelia starb, hat sie das Schmuckstück mir vermacht. Aber ich fang schon wieder an zu tratschen, wie die Berliner sagen.

»Und über uns der Himmel«

Worauf ich, im Zusammenhang mit Albers, hinaus will, das ist sein Film »Und über uns der Himmel«, der erste amerikanisch lizenzierte, der nun endlich, volle zwei Jahre nach Kriegsschluß, im Sommer 1947 in Berlin gedreht wurde.

In Hamburg waren unter englischer Lizenz schon drei oder vier Filme entstanden, darunter Käutners »In jenen Tagen«. In Wien war Geza von Cziffra mit seiner ersten Nachkriegsproduktion schon in den Kinos.

Und die DEFA, bei der sich eine ganze Reihe ehemaliger UFA-Größen zusammengefunden hatte, brachte mit tatkräftiger russischer Unterstützung bereits ihren fünften Film heraus, bevor in Berlin und München endlich die ersten Klappen für zwei amerikanisch lizenzierte Filme fielen.

Schuld an der Verzögerung hatte zweifellos Erich Pommer, der legendäre Produktionschef der alten UFA. Er wußte um seinen großen Ruf, um die hohen Erwartungen, die sich an seinen Namen knüpften, als er nach Deutschland zurückkehrte und als oberster amerikanischer Filmoffizier die Herrschaft über die großen Produktionszentren Berlin und München übernahm.
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Erich Pommer, oberster amerikanischer Filmoffizier

Das ganze deutsche Filmvolk lag auf den Knien vor ihm im Staub; er nahm sich Zeit, die ihm noch wohlbekannten alten Stars und großen Regisseure zu entnazifizieren. »Er war nicht rachsüchtig«, sagte Peter van Eyck, »aber gründlich. Er wollte die Schuldigen von den Mitläufern trennen, herausfinden, wer sich anständig benommen hatte und wer nicht.

Er wäre kein Mensch gewesen, wenn er die Situation nicht auch genossen hätte. Viel Zeit, zu viel wahrscheinlich, verbrachte er mit denen, die bei ihm antichambrierten, ihn hochleben ließen. Er bewohnte, wie wir alle, von der Army requirierte Villen in München und Berlin, empfing jeden Abend Gäste, die Hunger litten, und gab große Essen.

Unterdessen häuften sich die Anträge auf Lizenzierung neuer und alter Produzenten, trafen Drehbücher in Massen ein, die gelesen werden mußten, über die entschieden werden sollte.

Erik Pommer legte sie bereitwillig auf seinen Nachttisch, und ich weiß, daß er sie auch alle gelesen hat, darin war er ganz der alte UFA-Produzent ...«

Aber Pommer kam zu keiner Entscheidung. Die Stoffe waren ihm alle nicht gut genug, die Lizenzierungsanträge mußten überprüft, überprüft und noch einmal überprüft werden.
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Das Tun Pommers war nicht unumstritten

Ein anderer seiner Filmoffiziere wurde richtig grob, als ich ihn später einmal nach Pommer fragte: »Der Mann hat sich in die Hosen gemacht. Von ihm erwarteten sie alle, daß es nahtlos in der erfolgreichen alten UFA-Tradition weitergehen würde. Aber es waren zwölf Jahre vergangen, Herrgott! Die UFA gab's nicht mehr und den Pommer von 1933 auch nicht! Außerdem erlebte Sir Eric gerade seinen dritten oder vierten Frühling, hatte sich da eine blonde Heidi aus dem UFA-Nachwuchs angelacht ...«

Genug.

Woran wohl niemand gedacht hatte: Erich Pommer hatte sich Zeit seines Berufslebens mit Vorgesetzten herumgeschlagen, mit Vorständen und Aufsichtsräten. Aus der Emigration zurückgekehrt, fand er sich zum erstenmal in völliger Freiheit, konnte wie ein gekröntes Haupt selbstherrlich über Menschen und Material verfügen, brauchte nicht einmal mehr den obligatorischen Geldgeber, auch die Millionen durfte er allein einsetzen. Aber er mußte auch allein die Verantwortung tragen. Daran war er nicht gewöhnt.
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Noch einmal der Filmoffizier:

»Im Oktober 1946, als die Russen Staudtes »Die Mörder sind unter uns« herausbrachten, geriet unser Erich unter Druck. In München hatten wir die erste Produktion lizenziert, Harald Brauns >Neue Deutsche Filmgesellschaft< - die gibt's heute noch -, aber nachdem Pommer den DEFA-Film gesehen hatte, wollte er der NDF ihren ersten Film am liebsten wieder wegnehmen.

Der hieß >Zwischen Gestern und Morgen< und spielte, vollgepackt mit eleganten Stars, in der Ruine des Münchner Regina-Palast-Hotels. Die DEFA hatte mit ihrem ersten Film die Meßlatte sehr hoch gelegt - und in Richtung Vergangenheitsbewältigung, Flüchtlingselend, Trümmerlandschaft!«

So kam schließlich die im Trümmermilieu angesiedelte, schrecklich verkorkste Heimkehrergeschichte um Hans Albers und seinen blinden Sohn Paul Edwin Roth zustande: »Und über uns der Himmel«, geschrieben von dem Leitartikler Gerhard Grindel.

Ich bekam einen völlig falschen Eindruck von diesem Filmwerk, als ich wieder einmal in Berlin am Landwehrkanal saß und auf Cornelia Herstatt wartete.

Die Ruine neben dem Haus, in dem Albers wohnte, wurde gerade abgetragen, es wimmelte von staubbedeckten Trümmerfrauen in ihren unsäglichen Kopftüchern, die am Schöneberger Ufer entlang hasteten, wie überall in Berlin, Heimkehrer in schlotternden Vorkriegsanzügen und umgefärbten Uniformen, schäbige Aktentaschen unterm Arm - und auf einmal erstarrte dieses Alltagsbild und verwandelte sich in eine reine Filmszene:
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Die wehmütige Melodie von Theo Mackeben

Auf dem Balkon der Mathilde Pongs erschien Hans Albers in einem seiner maßgeschneiderten grauen Zweireiher mit Nadelstreifen, die Melone auf dem Kopf, die Nelke im Knopfloch, in der einen Hand ein Cognacglas, in der anderen eine lange Brasil, und sang zu einer fernen Melodie, die aus der Wohnung drang, aus vollem Hals:

  • »Es weht der Wind von Norden,
  • Er weht uns hin und her.
  • Was ist aus uns geworden?
  • Ein Häufchen Sand am Meer...«


Die Leute auf der Straße, all die Trümmermenschen, starrten diesen gutgelaunten Sänger auf dem Balkon wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt an.

»Hanne!« rief auf einmal jemand. »Jottojott, det is ja Hanne Albers!« Und da fingen die jämmerlichen Figuren im Sand plötzlich an zu strahlen und winkten und applaudierten, indessen Albers ihnen zuprostete und schmetterte:

  • »Der Wind weht von allen Seiten,
  • Na, laßt den Wind doch weh'n,
  • Denn über uns der Himmel,
  • Läßt uns nicht untergeh'n!«


Theo Mackeben hatte die wehmütige Melodie zu dem Text von Gerhard Grindel geschrieben, doch die Idee, den blonden Hans von einem Chor von Trümmerfrauen begleiten zu lassen, die muß erst an diesem Tag entstanden sein, als er sich seinen - buchstäblich am Boden zerstörten - Berlinern auf dem Balkon am Landwehrkanal zeigte.
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Wie hoffnungslos sah unser Leben damals aus!

Und wie wirkte eine Leitfigur wie Hans Albers in seiner unerschütterlichen Lebensfreude auf die abgestorbenen Gemüter seiner Landsleute! Hier wurde eine Vergangenheit nicht »verdrängt«, sondern zurückersehnt. Ein Hans Albers ließ die Gedemütigten wieder aufblicken und hoffen, daß das Leben vielleicht noch einmal »normal« werden und wieder einen Sinn bekommen könnte.
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Albers und Rühmann wohnten zusammen in einer Wohnung

Erst sieben Jahre später gelang es mir, Hans Albers zu interviewen, als er unter Liebeneiner in der Oberlandstraße »Auf der Reeperbahn nachts um halb eins« drehte.

Das war, nach »Bomben auf Monte Carlo« und »Der Mann, der Sherlock Holmes hieß«, sein dritter Film mit Heinz Rühmann als Partner. Die beiden so gegensätzlichen Typen reizten die Lachmuskeln ihres Publikums wie Dean Martin und Jerry Lewis.

Ich kam für die »B.Z.«, und mein Freund und Fotograf Lothar Winkler fing gleich an zu blitzen; das gefiel dem mittlerweile 63jährigen: »

Jawoll, meine Herren!« dröhnte er im bekannten Albers-Stil. »Immer rin in die gute Stube, auf daß die Bude voll werde!« Seine Sprache schien ganz aus solchen volkstümlichen Sprüchen zu bestehen.

»Ein Conjäckchen?« Mich interessierte, wie er mit seinem Partner Rühmann zurechtkam. Ihn wollte ich auch sprechen, aber der Pressechef hatte bedauert: »Herr Rühmann gibt während der Arbeit an einem Film grundsätzlich keine Interviews!« Ob er ein gutes Wort bei Rühmann für mich einlegen könnte, fragte ich Albers.

»Kokolores!« wehrte er ab. »Was willste von Rühmann, Junge? Der sprüht doch Leder!« Und goß die Wassergläser randvoll mit Remy Martin. Dann bemerkte er meine Enttäuschung und schniefte ungeduldig: »Rühmann, was?...

Ich zeig' dir mal Rühmann, mein Kleiner!« Nahm die Cognacflasche und ein Wasserglas, klopfte an die Tür zur Nachbargarderobe, hüstelte provozierend und öffnete sie mit den Worten: »Lieber Herr Rühmann, ich habe gerade Besuch von der B.Z. - trinken Sie einen Schluck mit uns?«

Aus der Nachbargarderobe ertönte ein scharfes »Dan-kke! Ich trinke nicht, Herr Albers!« Hans Albers schnitt eine Grimasse: »Oh, natürlich - Verzeihung, Herr Kollege!«
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Ich war platt.

Das waren also die beiden lustigen Vögel, die in ihren Filmen ständig Freudentänze zusammen aufführten? Die sich unentwegt in den Armen lagen? Ich lernte etwas über das Ego von Filmstars.

Im Sommer darauf wollten Wolfgang Reinhardt, ein Sohn von Max Reinhardt, und Wenzel Lüdecke, der Berliner Synchron-Chef, einen großen Albers-Film über das Leben des legendären Mercedes-Rennleiters Alfred Neubauer produzieren.

»Ich habe bestimmt schon ein halbes Dutzend Drehbuch-Versionen«, klagte Wenzel, »und immer ist von schwarzhaarigen Ferrarispioninnen die Rede, die in der Nacht vor dem Rennen die blonden deutschen Fahrer schwächen!

Könnten Sie nicht mal nach Untertürkheim fahren und mit Neubauer sprechen?« Ich fuhr und hatte innerhalb einer Woche hundert Seiten authentisches Renn-Material zusammengetragen.

Daraufhin wurde ich ins »Vier Jahreszeiten« nach München bestellt, in welchem Albers seine Stammsuite 203-205 bewohnte, wenn er zu Filmbesprechungen aus Tutzing kam.

Ich traf mit Verspätung ein, aber der Salon war noch voll von angeheiterten Filmmenschen, die sich von Albers saftige Histörchen aus alten UFA-Zeiten erzählen ließen und vor Lachen außer Rand und Band waren.
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Eine Woche wie im Traum

»Hanne« schwenkte bei meinem Anblick eine Whiskyflasche und grölte: »Junge, du bist der Größte! Mit deinem Drehbuch mach' ich den Film! Komm an meine grüne Seite! Laß dich küssen!« Das hat er tatsächlich versucht, und ich kam mir vor wie im siebten Himmel.

Ich hatte zwar nur Material geliefert, aber keiner bezweifelte mehr, daß ein neuer Drehbuchautor geboren war. Eine Woche lebte ich wie im Traum, dann ereignete sich das furchtbare Unglück von Le Mans mit, glaube ich, 84 Toten, und der Film, der »Das große Rennen« heißen sollte, wurde fallengelassen wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel.

Ich schrieb statt dessen »Die Halbstarken«

Ich schrieb statt dessen für Wenzel Lüdecke »Die Halbstarken« mit Horst Buchholz, und Hans Albers erwies sich leider doch nicht als Übermensch.

In Wien, wo er mit Zuckmayers »Katharine Knie« debütierte, bekam er eine Magen- und Darmgrippe. Er wurde nach Hause geschafft und starb, 68 Jahre alt, am 24. Juli 1960 an Magenblutungen und -durchbrüchen.

Der »dollste Kerl«, den es im deutschen Film gegeben hat, endete wie irgendein Säufer. Kollege Rühmann feiert, während ich dies schreibe (es ist 1993), gerade seinen 90. Geburtstag. Doch ich bezweifle, ob er je so viel Spaß gehabt hat wie der blonde Hannes.
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