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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Eine Riesenexplosion im Ostsektor

Im Spätherbst 1946 fiel ich morgens um sechs in meinem möblierten Zimmer in Neu-Tempelhof beinahe aus dem Bett, als eine gewaltige Detonation die Fenster klirren ließ.

Sechs Kilometer Luftlinie entfernt war auf dem Hof des Kommandos der Schutzpolizei, in der Schönhauser Allee im Sowjetsektor, ein Depot mit sichergestellten Blindgängern aus dem Krieg in die Luft geflogen.

Eine Stunde später stand mir Hans Kanig, der Kommandeur der Schutzpolizei, in den Trümmern seines Dienstzimmers Rede und Antwort. Zwischendurch klingelte das Telefon, und ich mußte mit anhören, wie eine recht pampige Stimme den Kommandeur fürchterlich zur Sau machte.

Das unbeliebte Arschloch war Polizeipräsident

Kanig legte auf und sagte: »Jetzt haben Sie was zu schreiben - das war der Polizeipräsident!« Ich sagte: »Das Arschloch!« Denn niemand mochte den Polizeipräsidenten Markgraf, der sich »Oberst« titulierte und von Westberliner Zeitungen nicht interviewen ließ, von dem nicht mal jemand wußte, wie er eigentlich aussah und wo er herkam.

»Schauen Sie doch mal in die alten Jahrgänge der Stuttgarter Illustrierten<«, riet mir der Kommandeur der Schutzpolizei zum Abschied. Mehr wollte er nicht sagen, denn er war einer von der alten Schule und wurde ohnehin dauernd verdächtigt, selbst Polizeipräsident werden zu wollen (er wurde es in Dortmund).

In den nächsten Wochen verbrachte ich immer mal wieder eine Stunde im Archiv des »Tagesspiegel«, wo mich ein magerer Student namens Dietrich Schwarzkopf - später wohlbeleibter Programmkoordinator der ARD - schließlich darauf brachte, daß die »Stuttgarter Illustrierte« die einzige Publikation gewesen war, die im Krieg jeden Ritterkreuzträger abbildete, anfangs ganzseitig und, als es immer mehr wurden, in der Größe einer Briefmarke.

Eine Lokalspitze im »Tagesspiegel« - Ein Ritterkreuzträger

So konnte ich am 13. Dezember 1946 eine Lokalspitze im »Tagesspiegel« schreiben, die sich wieder einmal mit den zahllosen ungeklärten Morden in Berlin beschäftigte. Zum Unterschied von anderen Kommentaren endete dieser mit den Sätzen: »Es sieht so aus, als ob Berlins Polizeipräsident vor der Unterwelt kapituliert, derselbe Polizeipräsident, der in den ersten Kriegsjahren vom Führer und Oberbefehlshaber der Wehrmacht für >Tapferkeit vor dem Feinde< mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurde. Es scheint eben doch ein Unterschied zu sein, ob man mit zwei Panzern einen russischen Frontabschnitt aufrollt oder mit zwölftausend Schutzpolizisten und fünfzehnhundert Kriminalbeamten Berlins Verbrecher in Schach zu halten hat. - (gez.:) wt.«

Nicht, daß ich etwas gegen Ritterkreuzträger gehabt hätte! Aber daß ausgerechnet die Russen mit ihrem überlebensgroßen Antifaschismus- und Antimilitarismus- Dogma einen Ritterkreuzträger zum Polizeipräsidenten von Berlin gemacht hatten, war eine Sensation, die sie zwang, eine Menge unangenehmer Fragen ihrer Alliierten zu beantworten.

Denn Ende 1946 war Markgrafs Polizei immer noch gehalten, ehemalige Ritterkreuzträger automatisch zu arretieren und in alliierten Gewahrsam zu überführen. Natürlich konnte ich mir denken, daß Paul Herbert Markgraf ein Überläufer aus dem »Nationalkomitee Freies Deutschland« war, aber auch das hielt der Schubiack ja geheim, und sogar vor seinen eigenen Leuten.
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Und jetzt wollte ich es wissen - das mit der Demokratie

Also verlor ich, als frischgebackener Demokrat, keine Zeit und stellte mich, mit dem »Tagesspiegel« unter dem Arm, um zehn Uhr vormittags in seinem Vorzimmer ein, um seine Reaktion einzuholen.

Meyer-Dietrich hatte mir zwar dringend davon abgeraten - »Laß doch die anderen Blätter seine Reaktion feststellen!« -, aber ich gebärdete mich mal wieder wie die stürmische Jugend persönlich, wollte die Demokratie beim Wort nehmen.

Ich hätte gewarnt sein sollen, denn kein anderer Polizeireporter versuchte einen Kommentar von Markgraf zu kriegen.

Fünf Minuten nach meiner Ankunft in der Elsässerstraße - der Präsident residierte nicht am Alex, sondern mitten im Scheunenviertel -, begann eine kleine Völkerwanderung von Polizeibeamten aus den umliegenden Dienstzimmern.
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Der lebensmüde Reporter wurde von den Russen verhaftet

Jeder wollte einen Blick auf den lebensmüden Reporter werfen, der es gewagt hatte, den ungeliebten Präsidenten zu entlarven. Auch Major Makaroff stand plötzlich vor mir, der Chef der sowjetischen Militärpolizei, und der brachte zwei schwerbewaffnete MPs mit, die mich die Treppe hinuntertrieben und in einem normalen Gefangenen-Transportwagen zum Kupfergraben brachten, hinterm Zeughaus.

Dort wurde ich in einen eiskalten Keller gesperrt, in eine Zelle vom Durchmesser eines Schornsteins, 50 X 50 Zentimeter, ein Stehplatz nur. Das geschah vormittags um halb elf.

Colonel Howley, ein Freund, ein Amerikaner mit Courage

Als M-D am Nachmittag noch nichts von mir gehört hatte, alarmierte er das Büro des amerikanischen Stadtkommandanten, Colonel Howley. Das war mein Glück: Der Instanzenweg über den amerikanischen Kontrolloffizier des »Tagesspiegel« hätte Tage dauern können.

Col. Frank L. Howley hingegen handelte seinem Haudegen-Ruf gemäß, ließ zwei SED-Funktionäre aus Schöneberg, die ihm schon lange ein Dorn im Auge waren, ohne Angabe von Gründen verhaften und sie, nach Einbruch der Dunkelheit, mitten auf dem Potsdamer Platz gegen mich austauschen.

Als er zehn Jahre später als Vizepräsident der New York University wieder einmal zu Besuch nach Berlin kam, verbrachte ich eine Stunde mit meinem Retter im Gästehaus des Senats am Großen Wannsee.

»Wie hat das so schnell geklappt damals?« wollte ich von ihm wissen. »Ach«, winkte er ab, »das war kein Problem. Ich hatte einen schwulen Chef der Militärpolizei mit einer Stimme wie ein Reibeisen. Den ließ ich seinen Gegenspieler im Osten anrufen ... das haben wir oft so gemacht damals, es durfte bloß nicht bekanntwerden. Es war die einzige Sprache, die von den Sowjets verstanden wurde ...«
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Und jetzt gings erst richtig ab ....

Die Reaktion der übrigen Berliner Presse auf »Ritterkreuzträger Markgraf« war, der Brisanz entsprechend, verhalten. Die Zeitungen im Sowjetsektor hüllten sich in Schweigen, die im Westen ließen erst mal Weihnachten vergehen.

Dann hielt es mein Freund Kajo nicht länger aus: In seinem britisch lizensierten »Telegraf«, der den Sozialdemokraten gehörte, erschien am 26. Januar 1947 ein nicht gezeichneter Kommentar unter der Überschrift »Ritterkreuzträger Markgraf - Der Berliner Polizeipräsident«, der mit den Worten begann:

»Der preußischdeutsche Militarismus ist dem deutschen Volke schlecht bekommen.« Und mit den Worten endete: »Uns dünkt, daß sich der jetzige Berliner Polizeipräsident entnazifizieren lassen müßte - aber auch als Entnazifizierter wäre er für Berlin als Leiter der Polizei nicht länger tragbar.«

Zwei Tage später schlug die sowjetisch lizensierte CDU-Zeitung »Neue Zeit« zurück: »Der Kampf um das Polizeipräsidium, der gegenwärtig zwischen der SPD und SED ausgefochten wird ... nimmt jeden Tag neue Formen an ... Diesmal knüpfte sich die SPD im Telegraf den Berliner Polizeipräsidenten vor ...«

Am Tag darauf war die sowjetisch lizensierte »Berliner Zeitung« an der Reihe: Sie zitierte das CDU-Organ ausführlich und erlaubte sich »als überparteiliches Blatt« die Frage: »Kann man zu solchen Methoden schweigen?«

Um dann festzustellen, daß der »parteilose Polizeipräsident« von der SPD diffamiert und gestürzt werden solle, weil sie selbst die Polizei gern zu einem »Parteiinstrument« machen wolle.
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Lauter alte verdiente NAZIs inkopgnito in zentralen Ost-Positionen

Was am 3. Februar 1946 dem neu erschienenen, amerikanisch lizenzierten Nachmittagsblatt »Der Abend« wiederum keine Ruhe ließ :

»Daß ein Ritterkreuz noch längst keine Qualifikation für den Posten des Chefs der Polizei ist, erleben wir leider täglich. Es war schon eine saubere Clique, die sich da am Alex als Hüter der Sicherheit eingenistet hat. - SS-Führer, Gestapo-Agenten, kriminell Vorbestrafte und sonstige dunkle Gelichter glaubten aus ihren Vorkenntnissen und praktischen Erfahrungen das Recht herleiten zu dürfen, in Berlin für öffentliche Sicherheit zu sorgen ... «

In der Tat: Jupp Kleindins Vorgesetzter war ein Kriminalrat Lehmann aus dem früheren Reichssicherheitshauptamt, nunmehr strammes SED-Mitglied. Eine Schutzpolizei-Abteilung im Bezirk Mitte wurde von einem früheren »SS-Führer ehrenhalber« geleitet.

Und beim Schnellgericht in der Dircksenstraße war uns ein besonders origineller Amtsgerichtsrat aufgefallen, der sich nach gut 700 formidablen Verurteilungen als Gewohnheitsverbrecher entpuppte, mit einem drei Meter langen Vorstrafenregister und einem Ausweis als »Opfer des Faschismus« für längeren KZ-Aufenthalt.

Noch mal »Der Abend«: »So etwas erfährt man natürlich nicht von der Polizei. Die Polizeipressestelle erweist der Öffentlichkeit mit ihrer Verheimlichungstaktik einen schlechten Dienst. Sie weiß von nichts. Und wenn sie etwas weiß, dann schweigt sie...«
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Ein Zeitungskrieg entbrannte .....

1946 - Ein Zeitungskrieg entbrannte, der erst 42 Jahre später, mit dem Zusammenbruch des SED-Regimes, zu Ende ging. Was war der Dreißigjährige Krieg dagegen!

Ende 1945 gab es schon wieder zwölf Blätter mit einer Gesamtauflage von zwei Millionen Exemplaren täglich auf dem Markt, und Ende 1946 waren's noch mehr.

Wenn ich in den alten Bänden blättere und mich über den höflichen Ton wundere, der anfangs zwischen den Zeitungen im Ost- und Westteil der Stadt herrschte, muß ich zugeben: Die Veränderung der Tonlage begann mit dem »Ritterkreuzträger« Markgraf.

Was vor allem begann, war ein Stellvertreterkrieg, den die Berliner Zeitungen für ihre jeweilige Besatzungsmacht untereinander ausfochten.

Stellte ich im »Tagesspiegel« die scheinheilige Frage: »Wer hat diesen Polizeipräsidenten bloß ernannt?«, dann wußten alle Leser natürlich die Antwort: General Bersarin, der erste sowjetische Stadtkommandant, den die amerikanische Presse wie ihren stürmischen General Patton feierte - und der, genau wie Patton, nur wenige Wochen nach Kriegsende einem läppischen Autounfall zum Opfer gefallen war.

Fragte sich der französisch lizenzierte »Kurier«, warum Osram keine Glühlampen mehr herzustellen in der Lage sei, dann wußten die Leser natürlich die Antwort: Die Russen hatten vor dem Einmarsch der Amerikaner, Briten und Franzosen 85 Prozent der Industriekapazität in den drei Westsektoren abgebaut und in die Sowjetunion verfrachtet, in ihrem eigenen Sektor nur 33 Prozent. So ging das hin und her und wurde immer feindseliger.
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Ein blutender Mann in der Straßenbahn

Am 20. Oktober 1946 fanden die ersten freien Wahlen nach dem Krieg in ganz Berlin statt, 92,3% der Wahlberechtigten erschienen an der Urne, 48,7% der Stimmen erhielt die SPD, obwohl sie im Sowjetsektor auf jede nur mögliche Weise behindert wurde, 22,2% bekam die CDU, 19,8% die SED, und 9,3% entfielen auf die Liberalen.

Zweimal kam ich hinzu, als ganze Stöße des »Tagesspiegel« und des »Telegraf« am Bahnhof Friedrichstraße und am Alexanderplatz von sowjetischen NKWD-Angehörigen (zu erkennen an ihrem grünen Mützenrand) beschlagnahmt wurden.

Am Wahlsonntag half ich einem blutenden Mann, auf das Trittbrett eines Straßenbahnzuges zu springen, der den Prenzlauer Berg hinabrollte, ein SPD-Funktionär vom Friedrichshain, der von SED-Leuten im Wahllokal zusammengeschlagen worden war - während die alliierten Kontrolloffiziere gerade einen Kaffee trinken gingen. »Bloß nich' ins Krankenhaus«, keuchte der schweißnasse Mann, »hilf mir in die U-Bahn nach Westen!«

Nur nicht die Russen kränken - das Dogma der Amerikaner

Das sind nur ein paar Details aus den Anfängen des »Kalten Krieges«, die zeigen mögen, warum die sowjetische Besatzungsmacht nie populär in Berlin werden konnte - von den großen Ereignissen, die 1947/48/49 kamen, noch nicht zu reden.

Die Amerikaner zeigten sich in der Beurteilung der sowjetischen Absichten weniger geschlossen als die Briten und Franzosen. Was an ihren vielen linksliberalen »Deutschlandexperten« lag, Emigranten meist, die später zwar nicht alle dicke Bücher über den Komplex »Kalter Krieg« schrieben, wie der ehemalige amerikanische Offizier Stefan Heym, aber unbeirrt an die Sowjetunion als das »Mutterland des Sozialismus« glaubten und jeden brutalen Übergriff der Russen bagatellisierten.

Schärfer als ihre britischen und französischen Kollegen achteten unsere amerikanischen Kontrolloffiziere darauf, daß nichts gedruckt wurde, was die Russen kränken konnte.

Die Korruption der Kommunisten blühte vom ersten Tag an

Im ersten frei gewählten Magistrat ersetzte der alte SPD-Kommunalpolitiker Otto Ostrowski den bequemen »Parteilosen« Arthur Werner und löste auch Spudichs »Generalsekretariat« auf.

Der bald berühmt werdende, aus türkischem Asyl zurückgekehrte Ernst Reuter bekam das Doppelressort Verkehr und Versorgung. Und die wichtige Innenverwaltung, der die Polizeiaufsicht oblag, übernahm der SPD-Mann Otto Theuner.

Am Tag seines Amtsantrittes bekam ich einen Tip aus Polizeikreisen und fand mich in Otto Theuners Vorzimmer ein. Hier herrschte blankes Chaos: Kisten und Kartons voller Akten stapelten sich auf dem Boden - »Anonym heute nacht hier angeliefert worden!« sagte Stadtrat Theuner, »Strafanzeigen über Strafanzeigen gegen meinen Vorgänger, wegen Korruption, Amtsmißbrauch, sogar Unterschlagung!«
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Arthur Pieck hatte da einiges "arrangiert"

Arthur Pieck hatte die »Ausrottung der Faschisten« und die »Bekämpfung des Monopolkapitals« auf seine Weise interpretiert und am 5. Juni 1945 - vier Wochen vor der Ankunft der drei Westmächte in Berlin - einen Magistratsbeschluß über die »Neuorganisation des Berliner Bankwesens« durchgesetzt.

Danach hatten alle Banken und Sparkassen ihre Tätigkeit einzustellen und, unter Androhung schwerster Strafen, sämtliche vorhandenen Barbestände an eine neugegründete Berliner Stadtbank auszuliefern.

Was auch geschah - bloß, die meisten der sowjetischen Lastwagen amerikanischer Bauart, die den Raubzug unter dem Schutz schwerbewaffneter Sowjetsoldaten durchführten, waren in der neuen Stadtbank nie angekommen.

Theuner zeigte mir einen Bericht seiner Innenverwaltung über die »Beschlagnahmung« von 1,2 Milliarden Reichsmark, der in den Worten gipfelte: »Damit ist eine der wichtigsten ökonomischen Positionen des deutschen Monopolkapitals, dessen Finanzinstitute sich mit 150 Niederlassungen in der deutschen Hauptstadt konzentrierten, lahmgelegt und dem neuen Magistrat die Finanzkontrolle in die Hand gegeben« - gezeichnet von Arthur Pieck und E. Noortwyck, Stadtkämmerer.

Aus den Akten der Kriminalpolizei, die größtenteils mit dem Stempel »Verschlußsache!« versehen waren, ging aber hervor, daß insgesamt über drei Milliarden Reichsmark, darunter das gesamte Geld »vieler kleiner Sparer«, vermißt wurden.
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»Das ist ja schlimmer als bei Goebbels!«

Als Otto Theuner in dieser Angelegenheit den »Ritterkreuzträger« Markgraf zu sich bestellte, ließ der ihm ausrichten, der Polizeipräsident sei von der sowjetischen Besatzungsmacht auf seinen Posten berufen worden und darum auch nur dem sowjetischen Stadtkommandanten gegenüber verantwortlich.

Hier sah ich eine Möglichkeit, die ganze ungeheuerliche Geschichte von hinten her aufzurollen, von der vergleichsweise kleinen Subordination her, die der Polizeipräsident verweigerte.

Ich rannte in die Redaktion, spannte Papier in die Schreibmaschine und formulierte die Schlagzeile: »Neuer Skandal um den Polizeipräsidenten! Oberst Markgraf verweigert neuem Magistrat den Gehorsam!«

Weiter kam ich nicht: Meyer-Dietrich riß mir das Papier aus der Maschine und zerknüllte es. »Jetzt mal Schluß mit dem Polizeipräsidenten!« sagte er. »Du führst wohl einen Privatkrieg mit Herrn Markgraf?

Unser Kontrolloffizier hat schon angedeutet, daß wir uns da zurückhalten sollen. Das läßt er nie und nimmer durch!«

Ich fing an zu toben: »Das ist ja schlimmer als bei Goebbels! Was ich schreiben will, ist keine antirussische Geschichte! Das ist ein deutscher Skandal, der die Lebensinteressen Berlins unmittelbar berührt!«
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Also doch nicht wie bei Goebbels .....

Und was mir sonst noch alles eingefallen sein mag. Ich erzählte M-D alles über die verschwundenen Milliarden von den Konten der Berliner und sah, wie er blaß wurde - offensichtlich kam auch er seit Kriegsende nicht mehr an sein Erspartes.

Das Problem, das mein Lokalchef sah, lag in der russischen Staatsangehörigkeit des Ex-Stadtrats Arthur Pieck, der ohne seinen Vater, aber mit Walter Ulbricht unter den ersten zehn Moskau-Heimkehrern gewesen war, die schon am 30. April 1945, dem Tag von Hitlers Selbstmord, in Marschall Schukows Hauptquartier in Strausberg eingetroffen waren.

»Vielleicht hast du recht«, sagte er, »vielleicht schreibst du doch erst mal die Gehorsamsverweigerung des Polizeipräsidenten nieder - alles andere ergibt sich dann von selbst.«

Er holte meine zerknüllte Schlagzeile wieder aus dem Papierkorb, klopfte seine Shagpfeife aus und marschierte vor mir her zum Kontrolloffizier. Das war an diesem Tag der - ich komme nicht mehr auf seinen Namen -, der mich ganz besonders auf dem Kieker hatte, weil er zu oft schon über meinen Spruch »Das ist ja wie bei Goebbels!« gestolpert war.

Meyer-Dietrich hätte sich die spannende Darstellung der Befehlsverweigerung Markgrafs sparen können - der Kontrolloffizier winkte gleich ab: »Das ist leider eine unangenehme Tatsache«, so etwa sagte er, »aber wir haben uns auf die sowjetische Version, daß Berlin in ihrer Besatzungszone liegt, unwidersprochen im Potsdamer Abkommen eingelassen - darum sind ja auch die Reichsbahn-Anlagen und das Berliner Wasserstraßennetz unter sowjetischer Verwaltung geblieben. Das war dumm, ist aber nicht zu ändern...«
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Die Story mit der "Sven-Hedin-Straße"

Da fällt mir noch eine Geschichte ein, die einiges über die Gefahren verrät, denen Berlin damals ausgesetzt war. Sie spielt unter echten Amerikanern, die ohne sonderliche Vorurteile nach Deutschland gekommen waren und sich, besonders in Berlin, sauwohl fühlten.

Ich ging in Onkel Toms Hütte über die Argentinische Allee, da bremste der rote Ferrari von James Wakefield Burke neben mir. Seit ich Krieg mit dem Polizeipräsidenten führte, war ich der Darling der amerikanischen Korrespondenten, wurde ständig angesprochen und zum Essen eingeladen.

Jim Burke war der Presseoffizier Col. Howleys gewesen und schrieb nun für NANA, die "North American Newspaper Association", worunter ungefähr 250 Tageszeitungen zu verstehen waren.

»Who the hell is Sven Hedin?« schrie Jim aus dem Ferrari. »War das ein Nazi?« Da ich die Bücher des berühmten Forschers liebte, winkte ich ab: »Not really - nicht mehr als andere auch. Warum?« Weil, sagte Jim, er gerade aus dem amerikanischen Presseclub in der Sven-Hedin-Straße in Zehlendorf-West komme und gesehen habe, daß deutsche Handwerker dabei seien, das Straßenschild abzumontieren.

Auf die Frage warum, habe man ihm geantwortet: Auf Befehl des Stadtkommandanten. Aber er, Jim, denke nicht daran, sein schönes neues Briefpapier von Tiffany's mit der Adresse des Presseclubs wegzuwerfen und schon wieder neues drucken zu lassen, nur weil irgendein Idiot glaube, Sven Hedin sei ein Nazi gewesen.

»Come on«, sagte Jim, »steig ein, ich brauche dich als Zeugen!« Wofür und wohin, wollte ich wissen. »Dafür«, sagte Jim, »daß Sven Hedin kein Nazi war - und zum Stadtkommandanten!«

»Shit, piss and corruption!« sagte ich, bemüht, bei jeder Gelegenheit die Sprache der Auslandskorrespondenten anzubringen. »Righty!« sagte Jim. Mir fiel ein, daß Sven Hedin ja Schwede war. »That's wonderful!« sagte Jim. »Dann kann er ja gar kein Nazi gewesen sein!«

In seinem Büro war der Stadtkommandant aber nicht, sondern gerade zum Essen nach Hause gefahren. Also raste Jim mit seiner roten Rakete in die Pacelliallee und stürmte mit mir im Schlepptau geradewegs ins Eßzimmer von Howley.

»Frank!« rief Jim, »ich muß eine riesengroße Dummheit verhindern!« Und erzählte von dem berühmten Forscher aus Schweden, nach dem eine Straße in Zehlendorf genannt war.

Colonel Howley reagierte wie der Mann, der immer nur Bahnhof versteht. »Have a coffee«, sagte er, und dann fuhren wir hinter ihm her in sein Büro an der Kronprinzenallee, die erst nach der Blockade in Clayallee umbenannt wurde.

Dort zeigte ein Offizier dem Stadtkommandanten, daß er die Namensänderung der Sven-Hedin-Straße selbst unterschrieben, aber offenbar nicht gelesen hatte, denn Colonel Howley fielen quasi die Augen aus dem Kopf, als er den neuen Straßennamen nun zum ersten Mal zu sehen bekam: Lou Gehrig, nach einem berühmten amerikanischen Baseballspieler.

»Lou Gehrig!« schrie Howley, der auch mal Baseball gespielt hatte. »This son of a bitch - he kicked me in the nuts!« Dieser Hundesohn trat mir in die Nüsse, sollte das heißen, und ich lernte, daß die Amerikaner nicht großmäulig »Eier« zu ihren edleren Teilen sagen.

Colonel Frank Howley zerriß seinen Erlaß vor unseren Augen in winzige Schnitzel. James Wakefield Burke brauchte kein neues Briefpapier drucken zu lassen. Und Zehlendorf behielt seine Sven-Hedin-Straße, ob Nazi oder nicht.
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Die ersten ausländischen Korrespondenten in Berlin

Joe Fleming von United Press, Toni Howard von »Newsweek«, George Bailey vom »PM«, Drew Middleton von der »New York Times«, ussell Hill von der »NY Herald Tribüne«, Jef Heidenreich von INS, Dolf Benz vom »Nieuwe Rotterdamse Courant«, James Wakefield Burke von NANA und James Preston O'Donnell von der »Saturday Evening Post« waren die ersten ausländischen Korrespondenten, die mich um die Jahreswende 1946/47 in den amerikanischen oder britischen Press Club einluden, nach Inside-Informationen aushorchten und mit der besten Währung bezahlten: Zigaretten.

Ich wurde zum Raucher - jetzt volljährig

Ein paar Tage nach meinem 18. Geburtstag im September 1946 hatte ich, wie das Gesetz es erlaubte, zu rauchen angefangen. Aber soviel Zigaretten, wie ich bei meinen Korrespondenten verdiente, konnte ich selbst gar nicht verqualmen.

Ich verkaufte die meisten und schwamm in Reichsmarkscheinen. Dazu kamen die Freunde vom amerikanischen und französischen Geheimdienst, die für all das, was die Kontrolloffiziere des »Tagesspiegel« nicht gedruckt sehen wollten, ausgesprochen dankbar waren.

Mein Dr. Zentner wechselt nach Baden Baden

Gleichzeitig verlor ich jedoch meine familiäre Stütze: Mein Dr. Zentner sah keine Zukunft mehr für sich beim »Tagesspiegel« und verabschiedete sich, samt Familie, im Oktober 1946 nach Baden-Baden, wo die Kulturabteilung der französischen Militärregierung ihm ein reiches Betätigungsfeld bot.

Die Widersprüche der amerikanischen Besatzungspolitik

Drew Middleton war der erste, der in der »New York Times« über die Widersprüche der amerikanischen Besatzungspolitik schrieb. Die Liberalen im Frankfurter Hauptquartier täuschten eine Harmonie mit den Russen vor, die es nicht gebe, berichtete er.

Sie legten dem populären Stadtkommandanten Col. Howley »eine Garotte um den Hals« - die Formulierung hörte ich zum ersten Mal -, so daß Howley jedem sowjetischen Übergriff »zähneknirschend zustimmen« müßte.

Da paßten meine Geschichten wie die Faust aufs Auge. Für den Krach zwischen Stadtrat Theuner und Oberst Markgraf erhielt ich von Middleton den ersten 20-Dollar-Schein. Was Wunder, daß Meyer-Dietrich zu kurz kam und mir immer öfter vorwarf, keine Neuigkeiten mehr anzubringen, wofür er sich von seinem jüngsten Reporter schon mal die kesse Antwort anhören mußte: »Ach, ihr druckt sie ja sowieso nicht!«

Ich begann den »Tagesspiegel« zu vernachlässigen, bei dem nun auch ein paar neue Leute in der Lokalredaktion angeheuert hatten.

Der Fotograf Helmut Prinz und sein Bruder Günter

Einer davon war der Fotograf Helmut Prinz, mit dem ich mich schnell anfreundete. Er machte sich Sorgen um seinen jüngeren Bruder, der im Begriff war, eine Schwarzhändlerkarriere zu machen, anstatt das Abitur. »Wie alt ist er denn?« fragte ich Helmut. »Genau neun Monate jünger als du!« sagte er. Ich sprach M-D auf das Prinz-Problem an, der ließ sich den jüngeren Bruder kommen und redete ihm ins Gewissen: »Wenn du so weitermachst, lasse ich dich hochgehen! Kennst du Tremper, unseren Polizeireporter? Der ist knallhart!«

Ich saß auf der Fensterbank und versuchte, ein möglichst grimmiges Gesicht zu schneiden. Schwarzhandel war ja nichts Ehrenrühriges, zumal wir den grausamsten Winter seit langem zu überstehen hatten.

Die ganze Riesenstadt handelte mit »Fahrradreifen für Brot«, tauschte »Fast neuen Babyschnuller gegen Trockenmilchpulver«, bot »Selbstgekochte Marmelade für Männerunterhose Größe 40«. Der junge Günter Prinz konnte das Wundermittel Penicillin, glaube ich, beschaffen.

»Wenn du dich aber zusammenreißt«, fuhr Meyer-Dietrich fort, »dann kannst du am 1. Juni hier anfangen!« Günter riß sich zusammen, baute sein Abitur und fing am 1. Juli 1948 beim »Tagesspiegel« an. Zehn Jahre später arbeiteten wir zusammen bei der »B.Z.«, wieder zehn Jahre später war er stellvertretender Chefredakteur der »Quick« und noch einmal zehn Jahre später Chefredakteur der »Bild«-Zeitung - heute ist er stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Axel Springer Verlag AG.
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Die Wahrheit in diesem furchtbaren Winter 1946/47

In diesem furchtbaren Winter 1946/47, in dem die alten Menschen in ihren Betten erfroren oder einfach verhungerten und die Kohlenlieferungen aus dem Ruhrgebiet so knapp wurden, daß Tausende von Betrieben in Berlin stillgelegt werden mußten, stand ich täglich vor der Frage:

Klapperst du für M-D die Polizei ab, oder begleitest du Toni Howard und Jim O'Donnell ins Commissary der Army, ein Einkaufszentrum, für Deutsche verboten.

Bei den Amis war es immer schön warm, auch in diesem Winter, und zu essen gab es reichlich. Ich brachte M-D nach Honig riechenden Pfeifentabak mit, und er seufzte: »Ich bin bestechlich... charakterlos... hab' kein Gewissen mehr...«

Und dann knallte er mit der schönen englischen Tabakdose, wie ein Richter mit dem Hammer, auf seinen Schreibtisch und schrie: »Aber du! Du bist doch erst achtzehn, Mensch! Du hast das ganze Leben noch vor dir! Mit achtzehn hat auch heute noch jeder die Wahl zwischen Bibel und Pistole! Für was entscheidest du dich?«

Es war rührend, seine Worte griffen mir ans Herz, rüttelten an meinem Gewissen, doch es war längst zu spät. Ich hatte mir zu viele dieser Vorträge schon anhören müssen und mir bei James Wakefield Burke abgeguckt, wie ein erfolgreicher Mann von Welt auf Standpauken moralischer Art reagieren muß.

Ich war anscheind (zu) reich geworden ....

Ich griff in die linke Hosentasche, holte ein dickes Bündel Reichsmarkscheine hervor und fing laut an abzuzählen: »Diese fünf Hunderter gibt mir O'Donnell nur dafür, daß ich ihn zuerst anrufe, wenn was los ist... Diese zweitausend hier zahlt mir Felix Bernard jeden Monat für nichts weiter, als ihn wissen zu lassen, was die Amerikaner für Wünsche haben...

Das hier sind weitere zweitausendzweihundertundzwanzig Mark, die ich für eine Stange Camel gestern abend bekommen habe - die Stange stammt von Ihrem Tom, lieber M-D, diesem schnauzbärtigen Ami von G-2, dem Army-Abwehrdienst, für einen Bericht über die Stimmung unter den Studenten an der Humboldt-Universität... Ach, und die letzten zweihundert hier? Wo kommen die wohl her...???«
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Ich dachte bereits an den Ausstieg beim Tagesspiegel

M-D kaute auf seiner Shagpfeife und spielte das Spielchen mit: »Dein Gehalt bei dieser Zeitung?« Er fing mit der Streichhölzerzeremonie an - vier Stück, bis der Tabak brannte - und röchelte zwischendurch: »Geh mir aus den Augen ... Komm erst wieder, wenn du eine große Geschichte hast ...«

Eine große Geschichte. Das war ja das Problem mit diesem »Tagesspiegel«, aus dem kein »Daily Mirror« geworden war. Er verkaufte sich auch ohne »große Geschichten«. So jung ich war und so wenig ich auch noch verstand vom Zeitungsgeschäft - instinktiv hatte ich schon damals den Eindruck, daß Reger nur Wert auf ein gediegenes Blatt legte, ohne Lärm, ohne Aufregung.

Wir in Meyer-Dietrichs Lokalredaktion waren die einzigen, die herumschrien und bei jeder Gelegenheit das Wort »Sensation« in den Mund nahmen. Im Rest der immer größer werdenden Redaktion herrschte Grabesstille, gab es nie Aufstände gegen die Kontrolloffiziere.

Ich will mich rückblickend nicht besser machen, als ich war, aber die große Verlockung von außen und die immer geringer werdende von innen liefen zwangsläufig auf eine Trennung hinaus.
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Marguerite Higgins im Presse Club der Amerikaner

Der Tag kam, da die Korrumpierung des jungen Reporters überhand nahm, denn da spielte die Erotik mit: Ich hatte mit Drew Middleton im Press Club diniert, er ging telefonieren, ich versuchte eine Zigarre zu rauchen, als sich eine zarte Hand von hinten vor mein Gesicht schob und mir das stinkende Kraut aus dem Mund nahm: »You'll feel pretty bad after this, young man!«

Davon wird dir nur schlecht, sagte eine dunkle, sinnliche Stimme. Ich fuhr herum und sah mich einer kleinen, hocheleganten Blondine gegenüber. Sie trug einen Wildnerz locker über der Schulter und darunter ein tief ausgeschnittenes Abendkleid.

Sie tätschelte meine Wange, sah sich suchend um und sagte: »I'm  and you are the German kid from the >Tagesspiegel< - what happened to Middleton?« Im selben Augenblick tauchte Drew Middleton wieder auf, und die freche Miß Higgins nahm ihn am Arm und zog ihn an einen anderen Tisch.
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Tausende von Ejzes (Ratschläge)

Ich weiß nicht mehr, wie der Abend ausgegangen ist, kann mich aber sehr gut erinnern, daß innerhalb von fünf Minuten lauter Korrespondenten bei mir stehenblieben und mir Ejzes gaben.

Sie wissen nicht, was Ejzes sind? Ejzes ist ein jiddisches Wort und wird selbst von Juden manchmal mangelhaft, nämlich als »Ratschläge« interpretiert; dabei sind es »ungebetene Ratschläge«.

Die Ejzes der Korrespondenten lauteten: »Fall nicht auf Maggie Higgins rein!« und »Die Higgins ist ein eiskaltes Aas, das dich im selben Augenblick vergißt, in dem sie bekommt, was sie von dir will!« Selten ist mir eine Frau so schmackhaft gemacht worden.

Aber wer, zum Teufel, war Marguerite Higgins?

Ich muß noch ein ziemlich grüner Junge gewesen sein, daß ich ihren Namen nicht kannte. Sie war der zweite Mann, sozusagen, neben Russell Hill, dem Berliner Bürochef der »New York Herald Tribüne«, damals die unmittelbare Konkurrenz der »New York Times«, die unter Drew Middleton mit neun Mann in Berlin vertreten war.

Als Russell Hill zurückgerufen wurde und Miß Higgins mit einer Sekretärin allein in Berlin blieb, sagte Drew Middleton: »Das ist eine Beleidigung für die >New York Times<!«

Es war eindeutig eine für ihn und seine Streitmacht, denn die kleine blonde Maggie entwickelte sich binnen kurzer Zeit zum Star des U.S. Press Corps von Berlin. Ich weiß nicht mehr, ob sie ihren Pulitzerpreis schon bekommen hatte, als ich sie kennenlernte, oder ob sie ihn für ihre Koreakrieg-Berichterstattung erhielt.

Jedenfalls schlug sie, was die Nachrichtenbeschaffung anging, ihre männlichen Kollegen reihenweise aus dem Feld. Böse Stimmen behaupteten, sie erfahre alles früher, weil sie gleich mit den Generälen ins Bett ginge.

Nun, ich war alles andere als ein General, gehörte nicht einmal zu den Siegern, fühlte mich aber genau so geschmeichelt wie jeder General, dem sie die Wange getätschelt hätte.

Gratuliere! Maggie Higgins will dich kennenlernen!

Am nächsten Morgen rief mich Jim O'Donnell an, der abends im Club nicht dabeigewesen war, und sagte lachend: »Gratuliere! Maggie Higgins will dich kennenlernen! Hast du Zeit, um fünf zu einem Drink zu ihr zu kommen? Sie wohnt in der Limastraße.«

Ich hatte ausgerechnet an diesem Tag überhaupt keine Zeit, sondern M-D versprochen, ein Interview mit einem UNRRA-General zu machen; das war ein von den Vereinten Nationen eingesetzter Kanadier, der sich um die Millionen in Deutschland hängengebliebener Flüchtlinge - Displaced Persons genannt - kümmern mußte.

Ihn brauchte ich noch, um einen seit Tagen verschleppten Artikel endlich fertigzumachen. Shit, piss and corruption! Ich benötigte genau zehn Sekunden, um mich gegen M-D und für Maggie Higgins zu entscheiden - so etwas wie den »Tagesspiegel« würde ich immer wieder finden, aber wo gab es eine zweite Frau wie die Higgins?
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In der Limastraße 5

Die Limastraße in Zehlendorf-West geht vom Mexikoplatz ab, bei dem ich auch bei der »Central News Agency of China« gelegentlich einen Dollar verdiente. Das Haus Nr. 5, in dem Marguerite Higgins mit einem deutschen Housekeeper allein lebte, war ein orientalisches Schmuckstück mit einem gepflegten japanischen Garten, der sanft zum kleinen Waldsee hinabfiel.

Miß Higgins empfing mich in einem farbenprächtigen Kimono, mit nassem Haar, einem Martini-Cocktail in der Hand, und kam gleich zur Sache: »Jim erzählte mir, daß er dich auf der Payroll hat. Paßt da nicht noch eine kleine, hilflose Frau dazu?«

Ich wußte nicht gleich, was ich antworten sollte. Erwartete sie von mir dieselben Informationen, die ich Jim O'Donnell gab? »Surely«, sagte sie in bestem Kalifornisch, »why not? Jim arbeitet für Zeitschriften, ich für eine Tageszeitung. Bei mir brennen die Termine täglich. Ich komme eben aus der Dusche«, und sie öffnete kurz den Kimono, um zu zeigen, daß sie darunter nackt war, aber so schnell, daß sie ihn schon wieder geschlossen hatte, bevor ich richtig hingucken konnte.
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Ich brauche einen Scoop ......

»In New York ist es jetzt elf Uhr vormittags. Bis Mitternacht habe ich meine Redaktion am Hals. Und, verdammt, ich brauche einen Scoop!«

Ich kannte das Wort für »Sensation«, alle Korrespondenten waren dahinter her, aber ich hatte keine Sensation, verdammt. Sie war schnell in ihren Bewegungen wie in ihren Gedanken, sprang hin und her.

»Was hat euch Hitlerjungen so an Hitler fasziniert?« fragte sie, und während ich noch herumdruckste, wollte sie schon wissen: »Was sagt ihr auf deutsch zu einem Penis?«

Ich starrte sie an und lachte gequält, weil ich mir manchmal noch nicht so sicher war im amerikanischen Englisch. »Sorry, but I understood Penis, sorry...« Sie drehte sich um, faßte mir gekonnt zwischen die Beine, drückte zu und lachte: »That's exactly what i'm talking about - wie nennt ihr deutschen Männer das?«

Himmel noch mal! Ich begriff und schnatterte herunter: »Rübe, Schwanz, Gurke, Stengel...«Sie schrie: »Uno momento!« und rannte nach einem Block Papier. Und dann saß sie da in ihrem Kimono, die Beine hochge-
legt, und wollte alles noch einmal wissen, sogar die genaue Schreibweise.

Ich wurde mutig, zeigte auf ihre Beine und fragte: »Wie sagt ihr in Amerika zu einer... einer Vagina?« Sie schaute an sich herunter, zuckte die Achseln: »Pussy, cunt - what the hell!«

Ich schwöre bei allen Heiligen: Genauso war's mit Maggie Higgins, eine einzige Schweinigelei, aber nichts weiter! Ich gebe zu, ich träumte davon, sie umzulegen beziehungsweise von ihr umgelegt zu werden, aber es kam nicht dazu, weder an diesem noch an einem der folgenden Tage.
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Die Amerikaner nennen soetwas einen »cock teaser«

Sie war, was die Amerikaner einen »cock teaser« nennen, aber Jim O'Donnell widersprach dem heftig: »Nein, nein, sie ist ein verrücktes Huhn, ich gebe zu, aber sie löst auch ein, was sie verspricht! Sie ist nur eine der wenigen frei erzogenen Frauen, die wir in Amerika haben, die Mutter war Französin, und sie ist in Hongkong geboren...«

Machen wir es kurz: Über das Dutzendmal, das ich mit Maggie Higgins zusammen war, könnte ich allein ein aufregendes Buch schreiben. Jims damalige Freundin Toni Howard hat Marguerite Higgins so gehaßt, daß sie einen Schlüsselroman über sie und das Berliner Press Corps verfaßte, der »Shriek With Pleasure« hieß, »Kreischen vor Vergnügen«.

Jim, der irgendwo, tief innen und schön bedeckt, in Maggie Higgins verliebt war, hat trotzdem Toni Howard geheiratet. Und sich bald auch wieder scheiden lassen.

In irgendeiner Ausgabe seines »Bunker«-Buchs, das ebenfalls ein nicht alltägliches Schicksal hat, schreibt Jim, daß ich ihn eines Abends in die Ruinen der Reichskanzlei in der Voßstraße gelockt hätte, wo die Sowjets mit den letzten Überlebenden aus dem Bunker die Todesszenen von Hitler und Goebbels vor Filmscheinwerfern und Filmkameras noch einmal nachstellten.

»Als die Russen auf mich aufmerksam wurden, zog ich mich tiefer in die Ruine der Reichskanzlei zurück - und wer stand da bereits und guckte sich die Augen aus? Maggie Higgins! Sie hatte denselben Tipster wie ich auf der Payroll...«

Was nicht stimmt. Ich habe nie einen Dollar oder eine Zigarette von Marguerite Higgins genommen.

War das mit Generalmajor William Hall ein "Happy End" ?

Das »hübsche kleine Aas«, wie Toni Howard sie nannte, legte dann während der Blockade von Berlin alle Kollegen herein, indem sie mit Generalmajor William Hall ins Bett ging, dem Chef der Army Intelligence, und grundsätzlich viele Stunden früher informiert wurde.

Als der Skandal aufflog wurde Maggie von ihrer Zeitung nach Tokio versetzt - und der General, der Frau und vier Kinder hatte, in Pension geschickt. Er ließ sich scheiden, und Maggie heiratete ihn. »Er sieht außerdem nämlich blendend aus«, meinte Jim O'Donnell.

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