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Filmgeschichte(n) und Filmchronik(en) - Von 0 bis 1957

überarbeitet, korrigiert und kommentiert von Gert Redlich im Juli 2016 - Hier findenSie die bislang umfangreichste und detailierteste Historie der weltweiten Entwicklung des Films, der Filmwirtschaft (und des Kinos). Der Deutsch-Engländer Heinrich Fraenkel (geb. 1897) war hautnah dabei gewesen und beschreibt 1956/57 zwei weltweite Epochen des Films : Es beginnt mit -- Teil I -- "Von der Laterna Magica bis zum Tonfilm" und geht weiter mit -- Teil II -- "Vom Tonfilm bis zum Farbfilm"

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Teil II - KAPITEL 03
"SPRACHGEWIMMEL IN HOLLYWOOD"

Von den Sorgen um das Weltgeschäft / Von Lippenbewegungen und hölzernem Dialog / Von den Kopfschmerzen der Übersetzer / Vom Segen sprachlicher Echtheit / Von der deutschen Kolonie in Hollywood / Vom Prunkbegräbnis Friedrich Wilhelm Murnaus / Von der Garbo mit und ohne grüner Brille / Von einem klugen Propagandamann, der aus der Not eine Tugend machte / Von den Tantalusqualen eines Pressephotographen / Von der Stimme der Garbo

Über die die dramaturgischen Gesetze des Tonfilms

Die Internationalität des Filmgeschäfts zu erhalten, das war in der Tat die Hauptsorge, als niemand mehr bezweifeln konnte, daß die stummen Schatten an der Wand, da sie einmal die Sprache gefunden hatten, nun unentwegt weiterreden würden.

Sie waren in jenen ersten Jahren recht geschwätzig, und es dauerte einige Zeit, bis man den besonderen dramaturgischen Gesetzen des Tonfilms auf die Spur kam; bis man die dramatische Wirksamkeit des Schweigens entdeckte und einzusehen lernte, daß der „Sprechfilm" kein photographiertes Theater ist; daß mit der technisch brauchbaren Reproduktion eines Bühnendialogs die „tonfilmischen" Möglichkeiten nicht erschöpft sind, und daß im Grunde genommen die dramaturgischen Gesetze des Tonfilms von denen des Stummfilms nicht gar so verschieden sind, wie man zuerst gedacht hatte.

Die liebe Not mit der Synchronisationstechnik

Um zu solchen Erkenntnissen zu kommen, brauchte man einige Zeit, und will man die ersten Bemühungen, der drohenden Marktbegrenzung zu begegnen, auf eine einzige Formel bringen, dann kann man getrost sagen: im Anfang war die „Version".

Das hatte seinen guten Grund, denn in den ersten Jahren sah man begreiflicherweise für die „Übersetzung" eines Films keine wirklich befriedigende Methode, als eben die, den Film in der fremden Sprache noch einmal (oder vielmehr gleichzeitig) zu drehen.

Die Synchronisationstechnik steckte noch in den Anfängen, und es war kaum abzusehen, wie schnell man es darin zu einer Vollendung bringen würde. Vorläufig hatte man seine liebe Not damit.

Wenn die Synchronität hoffnungslos zum Teufel war

Ich entsinne mich eines in jener Pionierzeit noch recht revolutionären Vorschlags, den ich im „Foreign Department" von MGM machte, nachdem wir uns stundenlang vergeblich damit gequält hatten, einen in der amerikanischen Originalfassung recht witzigen Dialog in einem Buster Keaton Film zu synchronisieren.

Es war nicht zu machen, denn wenn man sich halbwegs an Busters Lippenbewegungen hielt, dann wurde der deutsche Dialog hölzern, und wenn man es mit etwas witzigeren deutschen Texten versuchte, dann war die Synchronität hoffnungslos zum Teufel.

Ein größenwahnsinniger Vorschlag

Da es sich um eine sehr wichtige Szenenfolge handelte und der Erfolg des ganzen Films davon abhing, machte ich den Vorschlag, Buster Keaton höchst persönlich zu bemühen und ihn zumindest in den wichtigsten Großaufnahmen den deutschen Text selber sprechen zu lassen.

Man hielt den Vorschlag zunächst für etwas größenwahnsinnig, denn Buster Keatons Gage, selbst wenn es sich nur um einen sehr kurzen Zeitraum handelte, stand in groteskem Mißverhältnis zu dem bescheidenen Budget einer Synchronisation.

Buster Keaton mußte Deutsch sprechen - mit den Lippen

Aber schließlich wurde uns Buster ein paar Tage zur Verfügung gestellt. Er sprach zwar kein Wort Deutsch, aber er probte fleißig die nunmehr „freien" (und hoffentlich entsprechend witzigen) deutschen Dialogsätze.

Um ihm die Arbeit zu erleichtern, wurden die Sätze phonetisch und mit riesigen Buchstaben auf eine in den Hintergrund gestellte Tafel geschrieben.

Er brauchte also, während jene Großaufnahme nachgedreht wurde, den Text nur abzulesen. Daß es in seiner Aussprache wie Kauderwelsch klang, spielte keine Rolle, denn die Szenen wurden „stumm" gedreht und die Hauptsache war, daß die Lippenbewegungen stimmten und daß wir bei der Synchronisation keinerlei Schwierigkeit mit dem deutschen Sprecher hatten, der Buster seine Stimme lieh.

Synchronisation ist auch eine Frage der Schnitt-Technik und des besonderen Geschicks

Die technische Qualität einer Synchronisation ist nicht nur eine Frage der Zeit, Mühe und Kunstfertigkeit, die von hervorragenden Sprechern dieser schwierigen Arbeit gewidmet wird, es ist auch eine Frage der Schnitt-Technik und des besonderen Geschicks, für wichtige Dialogsätze Aufnahmen zu wählen, in denen die Lippen ganz oder teilweise verdeckt sind.

Das technische Optimum wurde schon in wenigen Jahren erreicht, aber daß es auch günstigstenfalls eine Behelfslösung bleibt, liegt in der Natur der Sache.

Immerhin ist es ein nicht minder nützlicher Behelf als die Leistungen vieler vorzüglicher literarischer Übersetzer, denen es zu danken ist, daß die Weltliteratur eben der Welt gehört und nicht auf den Sprachbereich des Ursprungslandes beschränkt bleibt.

„Versionen" des Originalfilms in zwei oder gar drei Weltsprachen reichen nicht

In genau dem gleichen Sinne ist es nur der verfeinerten Synchronisationstechnik zu danken, daß die Internationalität des Films bewahrt blieb.

Und ohne die tüchtigen (aber zumeist bescheiden anonymen) Exponenten jener Technik wäre jeder Weltstar schon längst seines Weltruhms verlustig und müßte sich mit dem Weihrauch seiner eigenen Landsleute begnügen.

Die Synchronisation hat sich als die einzig brauchbare Methode bewährt, einen Film für ein fremdes Sprachgebiet zu „übersetzen", denn die Alternative der einkopierten Titel ist zwar eine billige, aber dafür auch hoffnungslos unzureichende Methode.

Und die „Version" ist eben ein neuer Film; er mag gut oder schlecht, mittelmäßig oder hervorragend sein, aber wenn es sich nicht gerade um einen besonders sprachbegabten Star handelt, der in zwei oder gar drei Versionen der Weltsprachen spielen kann, ist der internationalen Wirkungsmöglichkeit des Originalfilms durch Versionen nicht gedient.

Sowohl die Amerikaner wie auch die UFA ließen "Versionen" in Paris herstellen

In den ersten Jahren freilich, in denen die Synchronisationstechnik noch so viel zu wünschen übrig ließ, war man auf Versionen angewiesen. Es war zwar die kostspieligste aber auch die sicherste Methode, die Auslandsmärkte zu bedienen, auf denen die großen Weltkonzerne ohnehin ihre seit Jahren eingerichteten Vertriebsorganisationen hatten.

Das galt natürlich besonders für die Amerikaner, aber auch die UFA hatte zumindest in Europa ihre regulären Auslandsverbindungen und sogar vertragliche Verpflichtungen und ließ viele Versionen in Joinville bei Paris herstellen.

So konnte man mit solchen "Versionen" viel Geld sparen

Die zusätzlichen Ausgaben für je eine Version waren natürlich erheblich geringer als die Herstellungskosten eines individuellen Films.

Das Drehbuch mußte zwar in jeder Sprache neu geschrieben werden, und mit einer glatten Übersetzung war es dabei kaum getan, da meistens erhebliche teils stofflich teils sprachlich bedingte Umarbeitungen nötig waren.

Immerhin war es schon eine Ersparnis, daß der für die Weltverfilmungsrechte des Grundstoffs bezahlte Betrag nunmehr auf mehrere Versionen umgelegt werden konnte. Aber die wirklich wesentliche Ersparnis ergab sich aus der mehrfachen Benutzung der „Bauten", die im Wochenbudget der Atelierkosten immer einen sehr erheblichen Posten darstellen. Jetzt konnte man dieselben Dekorationen, allenfalls mit geringfügigen sprachlich bedingten Änderungen, für sämtliche Versionen benutzen.

Der Atlantik-Film - eine Grundidee aus der Katastrophe der „Titanic"

Begreiflicherweise führte der allen großen Filmgesellschaften Europas gemeinsame Hang zu Versionen und das gemeinsame Interesse an der Erhaltung der Auslandsverträge sehr bald zu Gemeinschaftsproduktionen, wie etwa zu "Atlantik", einem der bedeutendsten Filme des Jahres 1929.

Für diesen Film hatte sich die Münchener Emelka mit einem der größten englischen Konzerne liiert, der British International, die ihre großen Atelieranlagen in Elstree schon auf Tonfilm umgestellt hatte.

Die Regie führte der (später nach Hollywood ausgewanderte) deutsche Regisseur E. A. Dupont, und Elsa Wagner, Fritz Kortner, Lucie Mannheim und Willi Forst spielten die Hauptrollen in der deutschen Version, aber auch sonst wimmelte es damals im Brentbridge Hotel (halbwegs zwischen London und Elstree) von deutschen und französischen Künstlern und Filmtechnikern.

Damals wurde tonfilmdramaturgisches Neuland betreten

Der Atlantik-Film zog seine Grundidee aus der Katastrophe der „Titanic", die auf ihrer Jungfernfahrt kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit einem Eisberg zusammenstieß.

Die Atmosphäre eines Luxusdampfers (in der 1. Klasse und auch im Zwischendeck) filmisch zu gestalten, war für Dupont eine nicht minder reizvolle Aufgabe als die dramatische Steigerung, die sich aus der Todesangst nach dem Zusammenstoß ergab.

Es war ein großartiger Filmstoff, ein ganz besonders für die tonfilmische Gestaltung geeigneter Stoff; und der Film ist schon darum bedeutend, weil der Regisseur gewissermaßen tonfilmdramaturgisches Neuland suchte und dabei die ersten Schritte auf einem Wege machte, auf dem wir auch bis heute noch nicht sehr viel weitergegangen sind.

Dupont hat nämlich in dem Atlantik-Film zwar die handlungstragenden Dialoge seiner Hauptdarsteller in der jeweiligen Sprache ihrer „Version" sprechen lassen, aber großen Wert darauf gelegt, daß der sozusagen akustische Hintergrund echt blieb; daß also etwa die Schiffskommandos und die „Hintergrund-Konversation" in der 1. Klasse englisch waren, aber unter den Auswanderern im Zwischendeck polnisch geredet wurde oder wie immer sonst es der Wirklichkeit der betreffenden Charaktere entsprach.

Es gibt sogenannte unvermeidliche sprachliche Fiktionen

Im Bühnendialog ist man immer auf die unvermeidliche sprachliche Fiktion angewiesen, in der deutschen Übersetzung eines Oscar-Wilde-Stückes einen englischen Kammerdiener seinen Lord auf deutsch anreden zu lassen, oder in der französischen Übersetzung von „Hanneles Himmelfahrt" den Maurer Mattern französisch sprechen zu hören; und in Filmen, die im fremdsprachigen Milieu spielen, ist das ein ebenso unvermeidliches Mittel.

Besondere Beispiele : "Der dritte Mann" und "Kameradschaft"

Ganz so unvermeidlich ist es übrigens nicht, und es wäre reizvoll, einmal den von Dupont begonnenen und gelegentlich von anderen Regisseuren - wie etwa in Reeds "Der dritte Mann" - fortgesetzten Weg konsequent zu Ende zu gehen und einen betont internationalen Film zu machen, dergestalt, daß alle Charaktere in ihrer natürlichen Sprache sprechen.

Zu den schon in der Frühzeit des Tonfilms gemachten Versuchen in dieser Richtung - obschon nur auf die „Sprachbrücke" zwischen Deutschland und Frankreich beschränkt - gehört G. W. Pabsts betont völkerverbrüdernder Film "Kameradschaft", dessen Stoff nicht aus einer erdichteten Fabel, sondern aus einem wirklichen Geschehnis stammte.

In einem Kohlenbergwerk an der deutsch-französischen Grenze war es auf der französischen Seite zu einer Schachtkatastrophe gekommen, und viele der eingeschlossenen französischen Bergarbeiter wären verloren gewesen, wenn ihnen nicht die deutschen Kumpels aus eigener Initiative zu Hilfe gekommen wären.

Erfreulich - der große internationale Erfolg dieses „erlebten" Werkes

Aus diesem Handlungskern machte Pabst seinen Film, in welchem selbstverständlich die Deutschen deutsch und die Franzosen französisch sprechen: und wenn bei dem spontanen Verbrüderungsfest nach geglückter Rettung einer der französischen Arbeiter eine kleine Rede hält, in der er den deutschen Kameraden den Dank der seinigen ausdrückt und die Hoffnung, daß sie nie wieder gegeneinander kämpfen, sondern immer einander helfen würden, und wenn dann der deutsche Kumpel antwortet: „Ich habe zwar die Worte des französischen Kameraden nicht verstehen können, aber was er gemeint hat, das haben wir alle verstanden", dann ist das auch in einem tieferen Sinne gültig und eben der Grund für den erfreulich großen internationalen Erfolg dieses „erlebten" Werkes.

"Kameradschaft" erschien erst 1931

Pabsts Kameradschaft erschien zwar erst 1931, als die „Versionenzeit" schon ihrem Ende entgegenging, aber der Film hatte mit "Atlantik" nicht nur den tonfilmdramaturgisch so interessanten Versuch gemeinsam, die „sprachliche Fiktion" wenigstens teilweise zu erhalten.

Über die Vorteile von „Co-Produktionen"

Es waren auch beides „Co-Produktionen", und solche internationale Gemeinschaftsfilme waren gerade in den ersten Tonfilmjahren üblich.

Sie wurden zwar auch später (und besonders wieder in jüngerer und jüngster Vergangenheit) vielfach hergestellt, aber in den ersten zwei oder drei Tonfilmjahren einer noch nicht vollendeten Synchronisationstechnik boten sie die einzige Möglichkeit eines internationalen Filmhandels. In Europa gab es besonders viel deutsch-französische Zusammenarbeit, und die UFA war an den Joinville-Ateliers beteiligt, in denen ganze Serien von Versionen hergestellt wurden.

Die Probleme mit den nationalen "Slangs"

In Hollywood fing man erst etwas später, also 1930, damit an; dann aber, und auch noch im nächsten Jahr, wurde dort eine ganze Flut von deutschen, französischen und spanischen Versionen entfesselt.

Die spanischen machten uns dabei die meisten Kopfschmerzen, denn wenn man die besten Schauspieler aus Madrid und Barcelona engagierte, dann kamen später wegen des unerwünschten Dialektes empörte Briefe von den Filialleitern in Buenos Aires und Mexiko; und wenn man den dortigen Akzent wählte, dann wurde in Valencia gepfiffen, dann bombardierten in Sevilla die in ihrem Stolz gekränkten Spanier die Leinwand mit Orangen, und auch die Mexikaner waren beleidigt.

Hollywood und seine „Optionsverträge"

Für die deutschen und französischen Versionen gab es erfreulicherweise solche Sorgen nicht, und man brauchte nur die für den geplanten Stoff jeweils besten Künstler zu engagieren, die noch für langfristige Verträge verfügbar waren.

Sie wurden zwar zunächst nur für drei oder sechs Monate gebraucht, mußten aber fast alle den in Hollywood damals üblichen „Optionsvertrag" unterschreiben, der den Künstler für fünf oder gar sieben Jahre band, die Firma aber zunächst nur für die ersten sechs Monate, wonach sie das einseitige Recht hatte, die Option für jeweils weitere sechs Monate auszuüben.

Von den vielen deutschen Künstlern, die damals nach Hollywood kamen, war Heinrich George der einzige, der ohne Optionsvertrag nur für zehn oder zwölf Wochen engagiert wurde.

Er war nicht länger abkömmlich, und er wurde von MGM nur für den einen großen Film "Menschen hinter Gittern" gebraucht, einen im Zuchthausmilieu spielenden Film, in dem George die in der ursprünglichen Fassung von George Bancroft kreierte Rolle spielte.

Die deutschen Schauspieler und Künstler in Hollywood

Für die meisten anderen deutschen Künstler wurde die Option für das zweite oder gar das dritte Halbjahr ausgeübt. So ziemlich die einzigen, die dauernd drüben blieben, waren Wilhelm und Charlotte Dieterle, die beide als Schauspieler für deutsche Versionen engagiert waren, Wilhelm übrigens auch als Versionen-Regisseur.

Er bekam gegen Ende der Versionenzeit die Regie eines amerikanischen Films und machte dann eine große Karriere als amerikanischer Regisseur.

Unter den vielen anderen deutschen Künstlern, die damals den Hollywood Boulevard bevölkerten, waren Nora Gregor, Hans Junkermann, Julie Serda und Karl Etlinger (die alle unter anderem in Molnars "Olympia" spielten), da waren aber auch Gustav Fröhlich, der nur einige Monate und Hans Heinrich von Twardowski, der sehr lange blieb. Da waren Lil Dagover, Olga Tschechowa, Lissi Arna, Anton Pointner, Paul Morgan, Gustav Diessl, Dita Parlo, Carla Bartheel und andere, die je für ein paar Rollen verpflichtet waren.

Aus Europa „importierte" Musiker in der "Kolonie"

Auch Musiker wurden damals meistens aus Europa „importiert", und einige Monate lang war Oskar Straus ein höchst willkommener Zuwachs für das sonst etwas eintönige (deutsche) Gesellschaftsleben von Hollywood.

Er war nicht nur ein großer Künstler, sondern auch ein ungemein witziger Gesellschafter (und der liebenswürdigste Verlierer an unserem allwöchentlichen Pokertisch).

Die erlesene Gastlichkeit von Frau Clara Straus war in Hollywood sehr bald nicht minder berühmt als in Wien und Ischl, und wenn etwa Gigli, die Jeritza oder sonst ein dem Hause Straus befreundeter Künstler an der Oper von Los Angeles gastierte, dann hatten wir den seltenen Genuß, von solchen Künstlern, mit dem Hausherrn am Flügel, nicht nur ihre Lieblingsarien zu hören, sondern auch Volkslieder und sogar Operettenchansons, die bestimmt nicht zu ihrem Konzertprogramm gehörten.

Mehr über die Gäste aus Europa

Die Gäste aus Europa und die vielen nur für „Versionen" herübergeholten Schauspieler waren in jener Zeit ein willkommener Zuwachs für unsere schon vor der Versionszeit recht umfangreiche „Deutsche Kolonie", deren führende Regisseure und Techniker - wie etwa Ernst Lubitsch, Lothar Mendes, Paul Ludwig Stein und der Kamerameister Karl Freund - freilich viel zu teuer waren, um in deutschen Versionen beschäftigt zu werden.

Die "Liebesparade" - ein Markstein der Filmgeschichte

Lubitsch machte damals seinen ersten Tonfilm "Liebesparade", der ein Welterfolg wurde. Die "Liebesparade" ist zweifellos ein Markstein der Filmgeschichte, denn der Film war in mancher Hinsicht richtungweisend für die Entwicklung eines durchaus „filmischen" oder vielmehr „tonfilmischen" Operettenstils.

Die Hauptrolle spielte Maurice Chevalier, der seine Chansons teils auf englisch teils auf französisch sang. Der Sprechdialog seiner Liebesszenen mit Jeanette MacDonald war natürlich englisch, und da Maurice im Privatleben schon fast akzentfreies Englisch (oder vielmehr Amerikanisch) sprach, so ließ Paramount aus Paris einen Professor kommen, dessen einzige Aufgabe es war, mit dem Star etwas Französisch zu sprechen; man fürchtete nämlich, daß Chevalier sonst den charmanten französischen Akzent verlieren würde.

Der Regisseur Lubitsch hatte übrigens für die subtilsten Nuancen des englischen Dialogs ein ungemein feines Gefühl, was um so erstaunlicher schien, als er selber zeitlebens eine unmögliche englische Aussprache beibehielt und stets mit einem starken deutschen (oder vielmehr Berliner) Akzent Englisch sprach.

Als Friedrich Wilhelm Murnau damals in Amerika war

Von den deutschen Regisseuren, die sich in der Stummfilmzeit Weltruhm erworben hatten, war in jener Zeit auch Friedrich Wilhelm Murnau in Amerika, aber er benutzte Hollywood nur als eine Art Standquartier, denn er machte 1930 seinen großen Südseefilm Tabu, verbrachte fast seine ganze Zeit auf den ihm liebgewordenen Inseln und kam nur immer sporadisch für ein paar Tage nach Santa Monica, dem schönen Küstenvorort von Los Angeles, in welchem seine Freunde und früheren Mitarbeiter Berthold und Salka Viertel ihr Haus hatten.

Dort in Santa Monica, auf einer der kurvenreichen Küstenstraßen verunglückte Murnau auf der Höhe seiner Schaffenskraft.

Über Murnaus prunkvolle Bestattungsfeier

Da es ein weitverbreiteter Irrtum ist, daß dieser große deutsche Filmschöpfer bei seinem Tode vergessen war und irgendwo in Amerika unbeweint und unbeachtet begraben wurde, so sei um der historischen Wahrheit willen festgestellt, daß die Bestattungsfeier Friedrich Wilhelm Murnaus all jenen Prunk aufwies, der diesem stillen Menschen zutiefst zuwider war.

Er hatte sich zwar schon über ein Jahr lang fast völlig vom „Betrieb" zurückgezogen, um seinen (größtenteils selbst finanzierten) Südseefilm in aller Ruhe und in völliger künstlerischer Unabhängigkeit zu machen; aber Hollywood ließ es sich trotzdem nicht nehmen, die Bestattung eines weltberühmten Regisseurs in „gebührender" Weise zu veranstalten.

Man hatte den Toten in einem gläsernen Sarg aufgebahrt; die große, schlanke Gestalt, seltsam geschrumpft, war in einen Frack gekleidet, das edle Antlitz rosa geschminkt wie ein Puppengesicht.

Eine junge Dame zu Fuß gekommen - ein in Hollywood höchst ungewöhnlicher Vorgang

Berthold Viertel war mit Murnau für eine Drehbucharbeit nach Hollywood gekommen, und sollte jetzt in einer unserer deutschen Versionen Regie führen.

Es war der Maugham-Stoff "Die heilige Flamme", und Salka spielte die Mutter, die dem hoffnungslos verkrüppelten Sohn das erbetene Gift gibt, um dem gesunden Sohn sein Liebesglück mit der Frau des gelähmten Bruders zu retten.

Da ich das Drehbuch schrieb, hatte ich viel im Hause Viertel zu tun, und eines Sonntags war ich dort verabredet, um die beiden abzuholen. Während ich unten über unserem Drehbuch brütete, klingelte es, und Salka rief herunter, ich möchte doch bitte fortschicken, wer immer es wäre.

Als ich die Haustür öffnete, stand draußen ein junges Mädchen mit einer großen grünen Brille und einer Baskenmütze. Ob Mrs. Viertel daheim sei, wollte sie wissen; und als ich verneinte, drehte sie sich mit einer höflich bedauernden Geste um und ging weg.

Jetzt erst merkte ich zu meinem Erstaunen, daß die junge Person zu Fuß gekommen war - ein in Hollywood höchst ungewöhnlicher Vorgang. Sie tat mir leid und ich rief sie zurück.

Ob sie nicht eine Bestellung hinterlassen wollte; etwa eine Telephonnummer oder den Namen? Die junge Person drehte sich wieder um.

„Mein Name ist Garbo"

„Mein Name ist Garbo", sagte sie. „Aber es macht nichts, ich war nur auf einem Spaziergang. Ich komme ein anderes Mal vorbei."

Inzwischen hatte Salka die Stimme durch das offene Schlafzimmerfenster erkannt und kam eilends herunter. Es war gar nicht ungewöhnlich, daß ihre Freundin Greta unangemeldet und auf einem ihrer langen Spaziergänge vorbeikam.

Sie wohnte damals in Beverly Hills, mindestens 10 km vom Hause der Viertels in Santa Monica. Sie hatte also schon einen ganz hübschen Fußmarsch hinter sich, und es hätte ihr gar nichts ausgemacht, den langen Weg wieder zurückzupilgern. Sie besaß natürlich einen Wagen, aber sie ging lieber zu Fuß.

Wir sagten unsere Tischverabredung ab, und die beiden Frauen kramten im Eisschrank herum und brachten allerlei kalten Aufschnitt und sonstige gute Dinge auf unseren improvisierten Mittagstisch.

Diebisches Vergnügen - ich hatte sie nicht erkannt

Der Garbo machte das offenbar viel Spaß, aber ein geradezu diebisches Vergnügen fand sie daran, daß ich sie nicht erkannt hatte.

Sie setzte sich noch einmal ihre Baskenmütze und ihre große Brille auf und stolzierte damit durch die Küche.

Gegen Abend kamen noch andere Gäste und da es Menschen waren, die Greta kannte, ließ sie sich nicht verscheuchen. Sie war zwar nur „auf einen Sprung" vorbeigekommen, aber sie blieb über zwölf Stunden. Es war lange nach Mitternacht als ich sie heimfuhr, denn jetzt wollte sie den langen Weg doch nicht mehr zurückgehen.

Greta Garbo - überhaupt nicht „geheimnisvoll"

Es ist über das Rätsel der „geheimnisvollen" Garbo sehr viel Unsinn geschrieben worden. In Wirklichkeit war, abgesehen von ihrer faszinierenden Schönheit und Begabung, nichts an dieser Frau rätselhaft oder gar geheimnisvoll.

Sie war eben einfach ein stiller und etwas scheuer Mensch, eine Frau, die nur „auftaute", wenn sie unter Freunden war, ein Mensch mit einer unüberwindlichen Abneigung gegen das, was die Pariser „chi-chi" und die Berliner „Angabe" nennen.

Man mag einwenden, das sei eine für eine Filmschauspielerin nicht sehr passende Abneigung, denn Filmstars müssen ja auf Gesellschaften und „Verbeugungstouren" gehen, sie müssen Interviews und Autogramme geben und jeden Pressephotographen freundlich anlächeln.

Das gehört nun einmal zum Handwerk, und es wird von jedem Filmstar verlangt, und zwar vom Weltstar bis herunter zum kleinsten „Starlet". Auch von Greta hat man das verlangt, als sie noch nicht die große Garbo war, sondern nur eine junge schwedische Schauspielerin, die man im Gefolge des berühmten Mauritz Stiller mitengagiert hatte.

Greta Garbo mochte keine Interviews und Autogramme geben

Sie war bei Premieren und Presseempfängen erschienen und hatte Interviews und Autogramme gegeben, wann immer es gewünscht wurde, aber sie tat es höchst ungern, und je berühmter sie wurde, um so mehr leistete sie sich Absagen und Ausflüchte.

Der Propagandachef von MGM, Howard Dietz, hatte seine liebe Not mit ihr, aber nicht umsonst war er der beste Publicity-Mann in den Staaten, und eines Tages hatte er die gute Idee, im Falle Garbo aus der Not eine Tugend zu machen.

Howard Dietz, Propagandachef von MGM, und die Idee der künstlichen Unnahbarkeit Greta Garbos

Er fragte sie, ob sie bereit sei, in ihrer Abneigung gegen Repräsentation ausnahmslos konsequent zu sein.

„Nichts lieber als das", sagte Greta.

Ob sie dazu auch bereit sei, wenn es sich um ungewöhnlich prominente Gäste handele? Und ob sie etwas dagegen habe, wenn man ihre Brüskierung gesellschaftlicher Ereignisse etwas übertreibe?

Sie habe gar nichts dagegen, meinte Greta.

Ob sie bereit sei, in Zukunft bei der Atelierarbeit ihre jeweilige Aufnahmestätte von Wandschirmen umgeben zu lassen, mit der Maßgabe, daß jedem Unbefugten der Zutritt aufs Strengste verboten sei?

Auch dagegen hatte Greta nicht das geringste einzuwenden, und nun wurde es mit eiserner Konsequenz durchgeführt, und alle Beteiligten hatten ihre Freude daran: die Firma an der großartigen Publicity, die sich aus der geheimnisvollen Rätselhaftigkeit der schönen Schwedin ergab; und Greta selbst, weil sie nicht nur keine Presseempfänge zu besuchen brauchte, sondern es gar nicht mehr durfte.

Als ich für den Regisseur Jacques Feyder ein Drehbuch schreiben sollte

Sie konnte jetzt genauso zurückgezogen leben, wie es ihr paßte, und sie verkehrte nur noch in den Häusern einiger weniger Freunde, wie etwa bei Viertels, oder auch bei dem französischen Regisseur Jacques Feyder, dessen Frau, die vorzügliche Schauspielerin FrariQoise Rosay, ebenfalls mit Greta befreundet war.

Dem Zufall, daß ich auch für Feyder ein Drehbuch zu schreiben hatte und daß wir ab und zu in seinem Hause arbeiteten, verdankte ich weitere gelegentliche Begegnungen mit der Garbo; denn es konnte mit ihr kaum etwas anderes als Zufallsbegegnungen geben, da sie fast stets unangemeldet kam, wann immer sie gerade Lust dazu hatte.

Über die Tantalusqualen des Pressephotographen Dr. Erich Salomon

Bei einer solchen Gelegenheit - wieder im Hause Viertel - gab ich unschuldigerweise die Veranlassung, einem guten Freunde wahre Tantalusqualen zu bereiten. Der Unglückliche war Dr. Erich Salomon, der sich als Pressephotograph einen großen Namen gemacht hatte.

Er war der erste, der auf die Idee kam, Staatsmänner und andere Prominenzen unversehens zu photographieren und zwar am liebsten in irgend einer Ecke beim vertraulichen Gespräch.

Salomon reiste nach Genf und Lausanne oder wo immer sonst gerade Weltpolitik gemacht wurde und machte zahllose Aufnahmen von Briand, Stresemann, Chamberlain und anderen Staatsmännern, die nie wußten, daß sie von dem still und unauffällig in irgend einer Ecke oder hinter einem Verandafenster stehenden Doktor geknipst wurden.

Eiegentlich war Erich Salomon der erste Paparazzi

Als also Erich Salomon, in Filmkreisen ziemlich ohne Beziehungen, nach Hollywood kam, bat er mich, ihn ein bißchen „herumzureichen", und bald hatte seine Kamera reichliche Betätigung.

Ich fuhr ihn auch zu dem fürstlichen Landsitz von Randolph William Hearst, auf dem manches Wochenende Hunderte von Gästen geladen waren, und auf dem es neben zahllosen zweibeinigen Attraktionen auch den berühmten Privatzoo des großen Zeitungsmannes zu sehen gab.

Da hatte Salomon genug zu knipsen, um ganze Seiten der „Berliner Illustrirten" zu füllen. Aber auch in Hollywood hatte der Doktor in den paar Wochen seines Aufenthalts reichlichen Stoff.

Und dann stand er Greta Garbo gegenüber

Er knipste die Filmstars in ihren Schwimmbassins und auf ihren Tennisplätzen, am Schreib-, Eß- und Pokertisch, und Marlene, während sie, bäuchlings auf ihrer Couch liegend, mit dem Töchterchen im fernen Berlin telephonierte.

Eines Abends fuhr Salomon mit mir zu Viertels, denn auch der fleißigste Pressephotograph will ja ab und zu einen netten Abend verbringen, auch wenn es dabei für ihn nicht viel zu knipsen gibt.

Immerhin hatte der Doktor, der grundsätzlich nie ohne Kamera ausging, sein Handwerkszeug mitgenommen. Es waren sonst nur einige Freunde des Hauses zugegen, und es wurde viel über Berlin, Wien, München und andere ferne Orte gesprochen.

Plötzlich klingelte es, und wer war der späte und unerwartete Gast? Natürlich Greta. Sie hatte sich daheim gelangweilt.
Es war sehr komisch, die Reaktion des im Umgang mit Außenministern so würdevoll gewordenen Pressephotographen zu beobachten.

Der gute Doktor stand mit offenem Mund da und starrte . . . .

Der gute Doktor stand am anderen Ende des Zimmers offenen Mundes wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum und starrte die Garbo an wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Berthold Viertel bemerkte den Blick, zog uns schnell ins Nebenzimmer und nahm Erich Salomon das Ehrenwort ab, daß er seine Kamera nicht einmal erwähnen, geschweige denn benützen würde.
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und wurde als Rechtsanwalt aus Berlin vorgestellt.

Der gute Mann gab seufzend das verlangte Ehrenwort und dann erst wurde er als ein Rechtsanwalt aus Berlin vorgestellt. Das war die lautere Wahrheit, denn er hatte viele Jahre als Anwalt praktiziert, bevor er den amüsanteren Beruf eines globetrottenden Pressephotographen ergriff.
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Er war ja der einzige der Garbo noch unbekannte Gast

Er war in diesem Kreis der einzige der Garbo noch unbekannte Gast, und sie unterhielt sich sehr interessiert mit ihm über Berlin, trank ihm freundlich zu und tanzte sogar einmal mit ihm, als jemand das Grammophon anstellte.

Ich vergesse nie den Sehnsuchtsblick des Doktors zur Korridortür. Gleich dahinter stand die Kamera. Wenn man ihn nur zehn Minuten lang damit hantieren ließe, könnte er Ruhm und ein kleines Vermögen ernten. Es hat nicht sollen sein.

Greta und der Nachmittag beim obersten Chef

Die Garbo hat nie erfahren, was der höfliche „Rechtsanwalt" ihretwegen leiden mußte. Sie war übrigens an jenem Abend in besonders strahlender Laune, und sie hatte guten Grund dazu.

Sie hatte sich nämlich am Nachmittag ihre tonfilmischen Probeaufnahmen angesehen. Man hatte sie zu diesem Zweck in den fürstlich ausgestatteten Vorführungsraum zitiert, der zu den nicht minder fürstlichen Büroräumen des allerobersten MGM-Chefs Louis B. Mayer gehörte, dessen Name für die MGM-Schutzmarke den dritten Buchstaben lieferte.

Greta erzählte uns, daß zu jener Vorführung ihrer Probeaufnahmen sich so ziemlich sämtliche Chefs und Abteilungsleiter des Riesenkonzerns eingefunden hatten, gewissermaßen die gesamte Generalität.

Die MGM Chefs nach der Enttäuschung mit John Gilbert

Die Herrschaften hatten ja erst kurz vorher mit John Gilbert die Enttäuschung erlebt, daß die in ihren teuersten Star investierten Millionen als glatter Verlust abzuschreiben waren.

Kein Wunder also, daß man sich einige Sorgen gemacht hatte, ob ein ähnliches Fiasko mit dem größten weiblichen Star der Firma zu fürchten war. Aber die Garbo hatte die Probe mit fliegenden Fahnen bestanden.

Über die Eigenschaften „photogen" und „phonogen"

Ihre tiefe vibrierende Stimme „registrierte" wunderbar; sie war gewissermaßen „phonogen", wenn ich ein Wort prägen darf, das dem nicht minder häßlichen „photogen" entspricht, jenem Fachausdruck, der die Antwort auf die immer nur praktisch zu erprobende Frage gibt, ob ein Gesicht in der photographischen und filmischen Reproduktion an Ausdruckskraft gewinnt oder verliert.

Ideal - die Gesamtheit dieser körperlichen Erscheinung

Bei den Stimmen ist das nicht anders als bei den Gesichtern; manche eignen sich für die mechanische Wiedergabe, manche eignen sich nicht. Die Stimme der Garbo eignete sich in nicht minder makelloser Vollkommenheit als ihr Gesicht und ihre Figur. Das Gesicht paßte zur Figur, die Stimme paßte zum Gesicht, und die Gesamtheit dieser körperlichen Erscheinung war beseelt durch die Echtheit des Menschen Greta und durch die Kunst der Schauspielerin Garbo.

Volltreffer - große Freude bei den Chefs

Kein Wunder, daß in jenem fürstlichen Vorführungsraum des obersten Chefs eitel Freude herrschte, nachdem man die Probeaufnahmen gesehen und keinen Zweifel mehr hatte, daß die Garbo auch im Tonfilm ein Weltstar bleiben würde.

Jetzt brauchte man das nur noch an die große Glocke zu hängen, an die größte und monumentalste Glocke, die je eine welterschütternde Nachricht eingeläutet hatte.

Es trat also wieder der bewährte Howard Dietz in Aktion, derselbe kluge Mann, der den Genieblitz gehabt hatte, aus der Not von Gretas Menschenscheu die Tugend einer überdimensionalen Garbo-Publicity zu machen.

Dietz hatte wieder einen Genieblitz

Er war genauso einsilbig wie sein Star, und bald war Hollywood, ganz Amerika und die halbe Welt mit riesenhaften Plakaten beklebt, auf denen in meterhohen Buchstaben nur zwei Worte standen: GARBO SPRICHT.

Sie sprach nicht nur Englisch, sie sprach auch Deutsch; und sie sprach beides sehr gut, fast akzentfrei und mit jenem charmanten, singenden Tonfall, der bei jedem Skandinavier unverkennbar ist und eher reizvoll als störend wirkt.

  • Anmerkung : Mit diesen Eigenschaften hatte man in Deutschland später die Schwedin Zarah Leander engagiert.


Nicht anders als im Falle Chevalier war auch bei der Garbo der Akzent kein Manko, sondern ein Plus.
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Gretas erster Tonfilm war "Anna Christie" . . .

Der teure Star wurde uns auch für eine deutsche Version geliehen, unter der Regie von Jacques Feyder, der übrigens selber fast fehlerlos Deutsch sprach und ein für einen Ausländer erstaunliches Ohr für die feineren Nuancen deutscher Dialogführung hatte.

Der Film spielte im Fischermilieu der skandinavischen Waterkant, und es war viel darin vom „old devil sea" die Rede und von der nicht minder teuflischen Kraft des Alkohols.

Er hat nicht nur in der englischsprechenden Welt, sondern auch in Deutschland Erfolg gehabt und bestimmt auch in den skandinavischen Ländern, in denen die sprachkundigen Landsleute des Stars beide Versionen zu sehen (und zu hören) bekamen.

Das Hören war in diesem Falle das wichtigste, denn es war ja eben die in aller Welt plakatierte Sensation „Garbo speaks", die diesem an sich nicht besonders bemerkenswerten Film zu seinem Welterfolg verhalf.

1931 - drei oder vier Jahre Tonfilm in Hollywood

In Europa und auch in Hollywood machte man damals ab und zu und hier und da schon bessere Filme. Man schrieb 1931, und man näherte sich schon dem dritten oder vierten Jahre der neuen Ära. Die technischen Kinderkrankheiten waren ziemlich überwunden, die Umstellung in Amerika schon längst und auch in Europa fast ganz vollzogen.

Der Tonfilm war arriviert, und das deutlichste Zeichen dafür war die Tatsache, daß man immer weniger von „Tonfilmen" und „Sprechfilmen" redete, man sprach einfach wieder vom Film.

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