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Will Tremper - "Große Klappe" - Meine Filmjahre (aus 1997/98)

Wie damals in Deutschland die Filme "gemacht" wurden und was nicht in den Filmheftchen und auf den Filmplakaten geschrieben stand. Auch vom Weg von der Ideenfindung über das Drehbuch bis zum ersten Drehtag wird viel aus der Schule geplaudert. Und sebstverständlich kommen bei Will Tremper auch die Filmsternchen - auch dei männlichen - nicht zu kurz. Die erste Seite beginnt hier .....

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1966 - Mein vierter Film: "Sperrbezirk"

Mein Münchner Wohnzimmer, das Opern-Espresso von Martin Katz, wurde der Schauplatz der nächsten Tragikomödie mit dem Titel Sperrbezirk - und das noch, bevor Playgirl herausgekommen war.

Ich aß wieder einmal mit meinem väterlichen Freund, dem großen Geschichtenerzähler und Textdichter (»Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren«) Ernst Neubach, im Hinterzimmer Tafelspitz, und als zum Abschluß die unbeschreiblichen Marillenknödel Martins kamen, mit einem »großen Braunen« dazu, hatten wir den Ernstl soweit, und er fing an zu erzählen.
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Meine Freunde Franz Spelman, Miho Salus, Maxi Strassberg

»Wir«, das waren meine Freunde, der Time Life-Korrespondent Franz Spelman und der Fotograf Miho Salus aus Wien, und vielleicht war auch der Maxi Strassberg noch dabei, ich weiß nicht mehr so genau.

Aber an Neubachs wundervolle Erzählung erinnere ich mich um so besser, weil ich sie anschließend im Regina-Palast-Hotel sofort zu Papier brachte; auch im Manuskript des ersten Teils meiner Memoiren, "Meine wilden Jahre", hatte ich sie drin, mußte sie jedoch herausstreichen, weil das Buch sonst zu lang geworden wäre.
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Ernst Neubach begann u erzählen - 1938 ....

»Ihr wißt doch«, begann Ernst Neubach, eine neue Gauloise aus der Tasche fischend, »daß ich im 1938er Jahr, als der Hitler über uns gekommen ist, ein paar Monate lang Adjutant bei unserem Bundeskanzler Schuschnigg war - und in der Woche nach dem deutschen Einmarsch Sergeant bei der Kamelreitertruppe der Fremdenlegion in der Sahara .«

»Was? ..... Wie?« platzte ich heraus, ihm Feuer reichend. »Ich denke, du warst Filmproduzent in Wien und höchstens auch noch Textdichter?«

Neubach jonglierte elegant mit der Zigarette und grinste. »Und Reserveoffizier der österreichischen Armee! Und als dann die große Krise begonnen hat und mein Prokurist, bei dem ich Taufpate aller seiner Kinder war, plötzlich in SA-Uniform vor mir gestanden ist und mich mit >Saujud!< und Fußtritten die Treppe zu meiner Filmproduktion hinuntergejagt hat, da bin ich nachts in meine Wohnung, habe mir die Rittmeisteruniform aus dem Schrank geholt, die Pistole umgeschnallt, und mich um acht Uhr früh am Ballhausplatz gemeldet.«

Ich erzähle jetzt anstelle von "Neubachs Wiener Erzählstil"

Lassen Sie mich in der dritten Person fortfahren, denn Neubachs Wiener Erzählstil, den kann niemand auch nur annähernd getreu widergeben.

Also, der Bundeskanzler Schuschnigg hat seinen »Saujud« gerührt in die Arme genommen, hat ihn »Kamerad Neubach« genannt und zu seinem Adjutanten ernannt.

»Oh, du mein Osterreich!«

»Ich stand bei seiner historischen Abschiedsrede direkt hinter ihm«, sagte Neubach, »und habe Rotz und Wasser geheult, als er die berühmten Schlußworte: "Oh, du mein Österreich! sprach" .«

So, und jetzt machte der Ernstl eine Filmblende über alles hinweg, was danach passierte - »Wie ich Sergeant bei der Kamelreitertruppe wurde, erzähl ich euch ein andermal!« -, und begann uns daran zu erinnern, daß er, als die Deutschen auch nach Paris kamen, in die Schweiz geflüchtet war, wo der Traum seiner Jugend, der große kleine Tenor Joseph Schmidt, bekanntlich in seinen Armen gestorben war - »in einem Schweizer KZ!«

An dieser Stelle muß ich ein letztes Mal unterbrechen und mich korrigieren: Max Strassberg kann bei diesem Essen nicht dabeigewesen sein, denn der Maxe erzählte stets viel überzeugender, wie Joseph Schmidt in seinen Armen gestorben war. Aber gut, soll Neubach danebengestanden haben.
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Aus der Joseph-Schmidt-Story - "Ein Lied geht um die Welt"

Richard Oswald hatte 1933 bereits in Wien "Ein Lied geht um die Welt" gedreht, Die Joseph-Schmidt-Story, nach einem Buch von Neubach, von dem auch das berühmte Titellied stammte. Und natürlich dürstete es Neubach gleich nach dem Krieg, nach Wien zurückzukehren und seinem geliebten Tenor, der ihn mit "Ein Lied geht um die Welt" reich gemacht hatte, die Ehre einer Neuverfilmung zu erweisen - nun mit dem tragischen Ende in einem »Schweizer KZ«. Doch es dauerte ein paar Jahre, bis der Ernstl sich von Paris lösen konnte, wo er nicht weniger als neun Spielfilme mit Erich von Stroheim produziert hatte.

»Der Geza von Bolväry hat's dann 1958 für meine Produktion, nach meinem Drehbuch, noch einmal inszeniert, und der kleine, hochtalentierte Hans Reiser aus Schwabing hat den kleinen Joseph Schmidt gespielt - a Klassefilm ist das geworden, sage ich euch. Aber als er fertig war, ist dann die Katastrophe passiert!«
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Die Umspielung von Wachs auf Band funktionierte nicht

Daß nämlich der einsame Höhepunkt des Films, die große Abschiedsrede des Kanzlers Schuschnigg, die Neubach im ehemaligen Reichsschallarchiv des ostmärkischen Rundfunks noch unversehrt gefunden hatte, nicht auf den Magnetton seines Films paßte. »Wir haben alles versucht, Grundgütiger, wirklich alles, haben die Wachsmatritze tausendmal hin- und hergezupft - umsonst! I woar verrrzweifelt!«

In dieser schwarzen Stimmung, dem Selbstmord nahe, sah unser allseits beliebter Poldi Waraschitz den großen Filmproduzenten Ernstl Neubach beim Sacher auf der Terrasse sitzen und spürte, daß sein Talent als »Kümmerer« gefragt war.

»Wos is, Ernstl, wie ham wir's, wie schaut's aus?«
»Geh«, bekam er zu hören, »schleich di', Depp!«
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Poldi bekam die ganze Geschichte nochmal zu hören

Ein Wort gab das andere, und da keine andere mitfühlende Seele sonst in der Nähe war, bekam der Poldi die ganze tragische Geschichte zu hören, bis zum »den Film kann ich wegschmeißen!«

»Aber nicht doch!« habe der Poldi gerufen. »Warum bittest net den Schuschnigg ins Atelier und laßt dir die Rede nochamol halten?«

Diesen Poldi, sagte der Ernstl, hätte er am liebsten mit dem Kaffeelöffel erschlagen mögen. »Du damischer Hund, du!« habe er ihm gesagt, »Hast an Vogel? Bist deppert? Der Schuschnigg ist doch bei die Nazi im KZ gelandet! Der ist doch in Dachau verreckt, Mensch! ...... Und jetzt schleich di' endlich!«

Doch da habe der Poldi gerufen: »Aber naa, aber naa!« Und sei aufgesprungen und habe sich bekreuzigt: »Wann der tot is', dann hab' ich gestern Nachmittag im Cafe Miramar in Salzburg einen Toten gesehen! Ehrlich, Ernstl!«
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Dann sind beide in seinen schwarzen Cadillac gesprungen

Was, sagte der Ernstl, soll ich lange reden, er sei mit dem Poldi, wie er ging und stand, in seinen schwarzen Cadillac gesprungen, das Tonbandgerät lag eh auf dem Rücksitz, und zusammen seien sie über die alte Bundesstraße eins nach Salzburg gerast. Und er habe dem Poldi auf dem ganzen Weg dorthin gedroht, ihn mit bloßen Händen zu erwürgen, wenn das mit dem Ex-Bundeskanzler Schuschnigg nicht stimme, wenn der tot sei, wenn sie ankämen!

Bei seinem Glück, mutmaßte Neubach, habe der Schuschnigg sich gerade erhängt, wenn sie in Salzburg ankämen. Gott, haben wir wieder gelacht bei unserem letzten Marillenknödel - und waren so gespannt auf die Pointe, denn das war bei Neubachs Geschichten immer das beste: die Pointe!

»Wie wir so nach Salzburg hineinbrausten«, fuhr der große Produzent fort, »erhebt sich die Frage: Wo kann er wohnen, der Herr Schuschnigg? Und wie aus einem Munde haben wir gerufen: im Osterreichischen Hof, natürlich! Wo soll ein Kurt Edler von Schuschnigg, Ex-Bundeskanzler der Republik Osterreich, wohl sonst absteigen?«
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Natürlich im Osterreichischen Hof

Er hätte vor Aufregung den Motor laufen lassen, als sie endlich vor dem Osterreichischen Hof angekommen wären, erzählte Neubach.

Überschlagen hätten sie sich beim Durchqueren der ehrwürdigen Hotelhalle, einen Herzstillstand habe er bekommen, als der Portier auf die Frage, ob der Herr Bundeskanzler Schuschnigg bei ihnen logiere, erstmal so tat, als ob er nachdenken müsse, der Hundling!

Aber dann habe er mit der Hand zum Fluß gewiesen und verkündet: »Der Herr Bundeskanzler macht noch einen letzten Spaziergang an der Salzach - sein Zug, der Orientexpress nach London, geht in fünfundvierzig Minuten!«

Wir schrien auf, damals im Hinterzimmer vom Opern-Espresso, als ob unser eigenes Schicksal davon abhänge, daß Neubach noch eine neue Aufnahme der berühmten Rede des Bundeskanzlers Schuschnigg vom 12. März 1938 auf dem Ballhausplatz für seinen Film bekäme.
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Und wieder musste Ilse Kubaschewski herhalten

Aber auch Neubach hatte, nach einem Blick auf die Uhr, aufgeschrien und »Jessas!« gerufen: »Ich muß ja in drei Minuten bei der Ilse Kubaschewski sein, wegen dem Verleihvertrag für meinen neuen Film - tut mir leid, Leute, aber ich erzähl euch ein andermal, wie das ausgegangen ist!« Und wollte tatsächlich davonrennen.

»Halt!« schrien wir, aufspringend, »Du kannst jetzt nicht gehen, Ernstl! Bist du verrückt? Jetzt wollen wir den Orgasmus haben! Du kommst hier nicht raus, ohne das Ende dieser verdammten Geschichte!«

Was für ein Schmierenkomödiant war dieser Neubach. Er rang tatsächlich ein bißchen mit mir, ließ sich auf den Stuhl zurückziehen, sprang mit rollenden Augen wieder auf und schrie: »Ich muß! Ich muß zur Kubaschewski! Ich verlier ein Vermögen, wenn ich nicht . Ihr wißt doch, wie sie sich hat mit der Pünktlichkeit!«

Ernst Neubach - ein guter Schauspieler und ein guter Taktiker

Um dann ebenso plötzlich völlig umzuschwenken, die Speisekarte zu ergreifen, die Brille aufzusetzen und laut und deutlich zu erklären: »Also, ich mach' den Erich-von-Stroheim-Deal mit dir, Tremper - du unterschreibst mir diesen Vertrag hier, und ich erzähl euch die Geschichte mit dem Schuschnigg bis zum Ende! Und ihr anderen unterschreibt als Zeugen - einverstanden?«

Ich lachte, ich ahnungsloser Mensch, wir alle lachten und sahen zu, wie er mit großen Druckbuchstaben auf die Rückseite der Speisekarte malte:

»Hiermit verpflichtet sich der unterzeichnende Autor und Regisseur Will Tremper, wohnhaft in Berlin-Dahlem, Gadebuscher Weg 5, nach einer literarischen Vorlage des Filmproduzenten Ernst Neubach das Drehbuch für den Film "Sperrbezirk für käufliche Mädchen" zu schreiben und den Film selbst für die Neubach Film GmbH zu inszenieren. München, den 11. Februar 1966.
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Es sah aus wie ein Spiel oder Gaudi - wir lachten alle

Ich spielte mit, tat so, als ob ich den Wisch mit gerunzelter Stirn langsam läse, strich die »käuflichen Mädchen« weg und unterschrieb. Neubach prüfte meine Unterschrift, ließ auch Franz Spelman und Miho Salus unterschreiben, prüfte auch ihre Unterschriften, klappte die Speisekarte zusammen, steckte sie in die Tasche, nahm die Brille ab, rief nach einem neuen »Braunen«, steckte sich eine Gauloise an und sagte:

»Wir sind wie die Teufel an die Salzach hinuntergerannt, haben Ausschau nach dem Schuschnigg gehalten, und da kam er auch schon und hatte sich keine Spur verändert! Ich glaube, ich habe etwas getan, was ich nur noch einmal gemacht habe, und das nach einer brillanten Szene von Louis Jouvet in einem meiner Stroheim-Filme - ich bin ihm entgegengerannt, habe mich vor ihm auf die Knie geworfen, seine Hand ergriffen und atemlos: >Herr Bundeskanzler! Herr Bundeskanzler!< gerufen, und seine Hand geküßt.

Mehr habe ich nicht herausgebracht vor Aufregung! Und wißt ihr, was der Schuschnigg gesagt hat? Er hat mich an den Armen ergriffen und wieder auf die Beine gestellt und dabei gerufen: >Aber, ich bitt' dich, Kamerad Neubach! Was tust du denn da?<«
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Bitte nur einmal »Oh, du mein Osterreich!«

Dieser Neubach. Er hat das nicht einfach so heruntererzählt, wie es sich jetzt liest, oh nein, er hat es gespielt, hat seinen Stuhl zurückgestoßen, ist vor mir auf die Knie gefallen, hat meine Hand abgeküßt und dann schamlos auch die Rolle Schuschniggs übernommen, hat mich vom Stuhl hochgezogen, mir übers Haar gestrichen und mich »Kamerad Neubach« genannt.

Jedenfalls war der Schuschnigg sofort bereit, die berühmten Schlußworte seiner tragischen Rede für Neubach noch einmal zu sprechen. Zu dritt sind sie in den Österreichischen Hof geeilt, haben sich einen Salon geben lassen, der Poldi kniete schon neben dem Tonbandgerät - »ein frühes Monstrum von Grundig«, sagte Neubach, »damals aber das modernste!« -, rannte hinaus zum Portier, kam mit diesem zurück und rang die Hände:
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Diese verdammten Steckdosen passen nicht

»Oh, mein Gott! Das Hotel ist kürzlich vollkommen auf Schuko-Stecker umgerüstet worden! Unser Tonbandanschluß paßt nicht!«

Während Neubach seinen Puls prüfte und auf den sicheren Herzinfarkt wartete, und der Ex-Kanzler »sehr unangenehm!« näselte und nach der Uhrzeit schaute - es blieben ihm nur noch zwanzig Minuten -, rannte der unverwüstliche Kümmerer Poldi mit dem Portier durchs Hotel und machte das Unmögliche wahr, rief plötzlich aus dem dritten Stock: »Herr Bundeskanzler! Herr Bundeskanzler!« und »Ernstl! Ernstl! Wann's euch in den Lift bemühen würdet, bittschön .!«

In einem Flur-Badezimmer im dritten Stock hatte er, im Vertrauen auf die Schusseligkeit balkanesischer Hilfskräfte, eine Steckdose gefunden, die bei der Umrüstung auf Schuko übersehen worden war.

Neubach und der Kanzler eilten nach oben, Poldi stellte das Gerät auf Aufnahme, winkte den Portier diskret vor die Tür, und gemeinsam winkten sie jeden, der pinkeln wollte, mit der gehauchten Erklärung weiter: »Psssttt! - Der Bundeskanzler spricht!«

Neubach kniete vor Schuschnigg und hielt mit letzter Kraft das Mikrofon hoch, indes der Ex-Kanzler, frei sprechend, wie auf dem Balkon seiner Residenz am Ballhausplatz, mit jenem unvergeßlichen Tremolo in der Stimme, noch einmal das Schicksal seines »Heim-ins-Reich«-geholten Volkes beklagte:

»Oh, du mein Osterreich!« »Oh, du mein Osterreich!«
»Das Badezimmer«, sagte Neubach, »hatte einen natürlichen Hall .«
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Wir lagen unter dem Tisch vor Lachen.

Als wir uns beruhigt hatten, fragte ich den Ernstl, was er dem Poldi für die Rettung aus seinen Problemen gegeben habe. - »Einen Hunderter!« sagte er stolz.

Aber Franzi Spelman, auch ein geborener Wiener, wollte es genau wissen: »Deutsche Mark?«
»Schilling, natürlich!« antwortete Neubach empört.

(Anmerkung : Wiener sind oder waren bekannt geizig und 1 Schiiling war damals um 1960 fast nichts wert. (1 DM = 7 Schilling)
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Ernst Neubach machte Ernst - ich mußte drehen

Und diesen Sperrbezirk habe ich dann vier Wochen später tatsächlich drehen müssen. Es gab kein Entrinnen. Zwei befreundete Anwälte erklärten mir, unabhängig voneinander, der »Vertrag« sei hieb- und stichfest, das Material, auf dem er geschrieben sei, nicht relevant.

Zum Glück ließ Ernst Neubach sich dazu bewegen, meinen ganzen alten Stab mit Felix Hock an der Spitze zu engagieren, auch bei den wichtigsten Darstellern konnte ich mitreden. Die einzige Wahl, die er sich vorbehielt, war die der Hauptdarsteller (innen); die nahm er allerdings ausgesprochen ernst.
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Für mich war der Stoff nur langweilig

Sein Stoff von den gefallenen Mädchen im »Sperrbezirk« langweilte mich nur, zumal ich darauf bestand, in Berlin zu drehen und die Berliner Behörden, im Gegensatz zu den Münchnern, noch nie die Absicht gehabt hatten, so etwas wie eine verbotene Region für Prostituierte einzurichten; dafür ist die deutsche Hauptstadt viel zu groß, selbst die Halbstadt West-Berlin umfaßte in ihrer Grundfläche das ganze Stadtgebiet von München, den ganzen Starnberger See und alles, was dazwischen liegt. Das Groß-Berlin von heute zieht sich in der Luftlinie von München bis nach Salzburg, was hätte dort »gesperrt« werden sollen? Vielleicht die Brücke von Weyarn?

Neubach sagte einfach: «Wir nennen es eine deutsche Großstadt!«
»Und die Berliner Auto-Kennzeichen?«
»Ach, da guckt doch sowieso keiner drauf!«

Für die männliche Hauptrolle des Zuhälters Bernie hatte ich mir meinen Allzweck-Künstler Harald Leipnitz gewünscht und bekommen, und mit Harald wurde ich mir schnell auch einig, daß wir eine deftige Parodie auf Neubachs Sittenfilm drehen würden.

Daraus ergab sich, wie von selbst, daß ich mir Neubachs »Cafe Bristol«-Clique als »Zuhälter-Syndikat« vorstellen konnte, also Neubach selbst, Maxe Nossek, Rudolf Schündler, Max Strassberg und Hans Oppenheimer (der den Braten sofort roch und in Paris »unabkömmlich« blieb).
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Ich wollte jetzt wissen, wo kommt eigentlich "Erfolg" her ?

Da ich mich bis dahin vorwiegend unter anspruchsvollen Filmleuten herumgetrieben hatte, die wenigstens so taten, als hätten sie Besseres vor, fing die rein kommerzielle Zunft bald an, mich zu interessieren, und ich versuchte dahinter zu kommen, wieso z.B. Neubachs "Fischerin vom Bodensee" ein Riesenkassenerfolg des Constantin-Verleihs geworden war, meine "Flucht nach Berlin" aber nicht:

Auf den ersten Blick lag es auf der Hand, daß die Leute Märchen in Heimatfilmen sehen wollten, keine Realität von heute. Blickte ich etwas tiefer, dann wurde mir klar, daß es um gefühlvolle, dramatische Geschichten ging und um Lieblingsschauspieler wie O. W. Fischer, Dieter Borsche und Rudolf Prack, die imstande waren, zu Tränen rührende Schicksale darzustellen.
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Titten - aus dramaturgischen Gründen

Ich hatte mit Neubach ein paar interessante Gespräche zu dem Thema. Er war ja kein Dummer. Aber er war weit davon entfernt, auch nur eine Ahnung von heutigen Großstadtverhältnissen zu entwickeln, sondern setzte in seinem Basis-Manuskript schlicht fort, was die Sittenfilmproduzenten sich schon in den zwanziger Jahren beim Anblick »gefallener Mädchen« gedacht haben mochten - und was auf den Anblick möglichst vieler nackter Busen hinauslief.
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Ach nee, auf einmal war's ein »Tremper-Film«!

Also setzte er drei Tage Probeaufnahmen für Schauspielerinnen an, die bereit waren, sich in einem »Tremper-Film« - ach nee, auf einmal war's ein »Tremper-Film«! - zu entblößen.

Ich war, gelinde gesagt, erstaunt, wie viele ernstzunehmende junge Damen bereit waren, sich in Lothar Winklers neuem Atelier "Im Dol" bis auf die Schamlippen in einer schnell improvisierten Szene mit »dirty old man« Rudi Schündler zu entblößen.

Ich hatte mir vorgestellt, daß es amüsant werden könnte, aber es wurde eher peinlich. Die Damen genierten sich zu Tode, doch es gab auch einige, die sich großartig dabei fühlten.

Ich will keine Namen nennen, weil welche dabei waren, die heute solide verheiratet sind und sich »nie und nimmer mehr« ausziehen würden, aber eine verdient es doch, denn sie wurde mit ihrem exhibitionistischen Talent im Handumdrehen ein richtiger Sexstar in Italien:

Dagmar Lassander, die blonde Ehefrau eines Berliner Theaterkritikers, der sich nach meinem Film sofort von ihr scheiden ließ, obwohl ich ihr einen anderen Namen verpaßt hatte, eben »Lassander«, und ein angezogenes Röllchen als Eis Verkäuferin in einem Autokino.
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Ein Flüchtling aus Sachsen-Anhalt - Didi Hallervorden

Ralf Gregan aus meinem ersten Film, den ich inzwischen als Regieassistent beschäftigte und der auch kleine Rollen spielte - im Sperrbezirk die eines Kriminalbeamten und Assistenten des entscheidenden Kommissars - flüsterte mir etwas von einem Flüchtling aus Sachsen-Anhalt ins Ohr, und der bekam auch gleich eine Rolle als Angestellter des Autokinos, er hieß Didi Hallervorden und landete am Ende, wie sich's für Anfänger gehört, im Korb des Schneideraums, wurde aus dem Film herausgeschnitten.
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Der ehemalige Tscheche Karel Stepanek

Aber der Kommissar! Der machte mir Spaß, das war der ehemalige Tscheche Karel Stepanek, der bis 1938 noch im österreichischen und deutschen Film tätig war und dann nach London emigrierte.

Ich weiß gar nicht mehr, wie er nun wieder nach Berlin gekommen war, ob er zufällig hier gerade etwas drehte, vielleicht bei Brauner, oder extra für uns eingeflogen wurde.

Jedenfalls erwies er sich als interessant aussehender, solider Schauspieler, zurückhaltend im Privaten, diszipliniert in der Arbeit und willig alle Anweisungen befolgend.
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An diese bequeme Arbeit konnte ich mich gewöhnen

Das war mein erster Film nach einem fertig vorliegenden Drehbuch, sogar einer festen Besetzung, und ich muß zugeben, das war höchst angenehm, erleichterte die Arbeit über alle Maßen, daran konnte ich mich gewöhnen.
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Mary Roos sollte unbedingt irgend etwas singen

Auch als Neubach mitten drin den Felix zu mir schickte und einen Wunsch äußerte, den er mir persönlich wohl nicht vorzutragen wagte: Ein Schlager sollte in voller Länge von einer Mary Roos dargeboten werden, zu dem er den Text geschrieben hatte.

Wie sollte der in die Handlung integriert werden, ohne daß der Film zwei Minuten stillstand? Ich filmte die Hamburgerin auf der Ost-West-Achse, in ihrem Wagen stehend und selber vor ihr herfahrend, und schnitt die Aufnahme als Filmstück auf der Leinwand in einer Autokino-Szene ein.
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Alles ok - ich brauchte nur an meine Gage denken

Neubach brauchte keine Angst vor mir zu haben, ich war entschlossen, nur an die Gage zu denken und mich dem Produzenten gefügig zu zeigen. Doch es gab genügend Möglichkeiten für einen Regisseur, hier und da etwas anders zu machen als die Filmroutiniers es haben wollten.

Ich konnte Leipnitz bei einer unerträglich süßen Liebesszene den Kopf an den seiner Partnerin Susanne Roquette lehnen und beide verträumt in den Mond schauen lassen - statt des Mondes aber den riesigen beleuchteten Mercedes-Stern auf dem Turm des Europa-Centers zeigen.

Ich konnte wiederum Bruce Low, den Schlagersänger, ohne Toupet den Polizeipräsidenten spielen lassen, so daß ihn niemand erkannte. Ich konnte eine heiße Sexszene so übertrieben inszenieren, daß nur noch Lacher dabei herauskamen und selbst die Freiwillige Selbstkontrolle keine Bedenken hatte, sie ohne Schnitte passieren zu lassen.
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Unsere Hauptdarstellerin Susanne Roquette

Unsere Hauptdarstellerin Susanne Roquette war, der Rolle entsprechend, ein braves, biederes Mädchen aus der Provinz, das sich hoffnungslos in »Bernie Kallmann«, den Zuhälter (Harald Leipnitz), verliebt hatte und bereit war »alles zu tun«, als er angeblich in finanzielle Schwierigkeiten gerät.

»Alles« aber hieß, auf den Strich zu gehen, woraufhin dem Zuhälter das Schlimmste passiert, was einem in diesem Gewerbe zustoßen kann: Er verliebt sich in das Mädchen mit den seelenvollen Augen und will am liebsten wieder rückgängig machen, was er ihr angetan hat.

Oh, diese FSK!

Um ein paar Nacktaufnahmen kamen wir, nach Lage der Dinge, also nicht herum. Susanne machte keine Schwierigkeiten, hatte sich bei den Probeaufnahmen schon bereitwilligst entblättert und tat dies auch, ohne Hemmungen, als es ernst wurde.

Neubach hatte sich das in seinem Entwurf fein ausgedacht, um die Zensur lahmzulegen. Wenn Titten aus dramaturgischen Gründen nun mal gezeigt werden müssen, dann darf auch die FSK nicht schneiden. Sie schnitt nur eine Szene, in der Harald-Bernie den Gürtel abnimmt und eine ungehorsame Nutte kräftig damit verprügelt.

Neubach erlebte trotzdem eine Niederlage, was die schönen Brüste von Susanne betraf: Die FSK verlangte, daß ihre Nacktszene zwei Lichtpunkte dunkler kopiert werden müßte, so blieb zwar das nackte Fleisch im Film, aber der Zuschauer mußte die Augen besonders weit aufreißen, um noch etwas zu erkennen.

Das nannte ich eine Perversion der Moral, die mich um so mehr abstieß, als dieselben Leute in Wiesbaden zwei Jahre später (Anmerkung : das war dan 1968) bereits alles, aber auch wirklich alles auf der Leinwand erlaubten.
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Mein "Playgirl" war zu der Zeit noch gar nicht fertig

Meine Gage als Autor und Regisseur floß, abzüglich der akuten Ausgaben, voll in die Endfertigung von Playgirl. Ohne meinen Freund Erich Mehl wäre das gar nicht möglich gewesen.

Er hatte mir schon bei der "Endlosen Nacht" finanziell beigestanden, und er spielte auch bei Playgirl eine entscheidende Rolle, vielmehr zuerst mal sein goldfarbener Rolls Royce, ein Phantom IV.
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Der goldfarbene Rolls Royce für Umberto Orsini aus Rom

Den brauchte ich, um Umberto Orsini aus Rom einzuführen, einen kleingewachsenen, aber magnetischen Schauspieler, langjähriger Freund von Ellen Kessler, der einen internationalen Modefotografen spielen mußte.

Er sollte meinen dritten Akt in der Geschichte des Playgirls Alexandra Borowski eröffnen, und er machte seine Sache so gut, daß ich die Rolle des »Timo« endlos fortschrieb.
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Über Alice und Ellen Kessler zu Luchino Visconti

Ich hatte Umberto mit Alice und Ellen in Rom kennengelernt - und war durch ihn wieder an Luchino Visconti geraten, der in Castel Gandolfo, zu Füßen der Sommerresidenz des Papstes, ein Lustschlößchen bewohnte, weil ihm bei der Vorbereitung zu seinem Krupp-Film "Die Verdammten" der Autoverkehr zwischen der Cinecittä und seinem Haus in der Innenstadt von Rom zu zeitraubend geworden war.

Umberto spielte bei Luchino, neben Helmut Berger, Ingrid Thulin, Dirk Bogarde und Helmut Griem, einen der Kruppschen Schwiegersöhne und war sofort bereit, für 10.000 Mark nach Berlin zu kommen. Das Geld, fürchte ich, hat er nie gesehen.
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Obwohl Erich Mehl sich bei Schluß der Dreharbeiten zu "Playgirl" gezwungen sah, wieder einmal in die Tasche zu greifen. »Ich muß schon lange keine Filme mehr finanzieren«, pflegte er zu sagen, »aber der eine oder andere reizt mich dann doch .«
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Erich Mehl war ein genialer Buchhalter und Spezialist

Ich habe nie begriffen, was ihn reizen konnte, stundenlang bei unserem Freund, dem Rechtsanwalt und Notar Dr. Wolf gang Probandt, herumzusitzen und geduldig endlose Abrechnungen zu prüfen. Ich schlief regelmäßig dabei ein, während Erich immer wacher wurde.

Dieser stets tip-top gekleidete, tiefbraun gebrannte Mann mit den wachen braunen Augen unterm blonden Haar wirkte so harmlos auf Fremde, dabei hatte er es faustdick hinter den Ohren.

Als Sohn eines Abteilungsvorstandes der Deutschen Bank in Berlin, hatte er sich bei Kriegsausbruch freiwillig zu einer der gefährlichsten Waffen, den Sturmpionieren, gemeldet und war als Offiziersanwärter in Norwegen eingesetzt worden.
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Ich konnte Erich stundenlang zuhören

Ich konnte Erich stundenlang zuhören, wenn er erzählte, wie er, ohne einen Schuß abzufeuern, sich mit tausenderlei Schwejkiaden sowohl bei seinem Kompaniechef als auch bei diversen Norwegerinnen beliebt gemacht hatte.

Doch das lustige Besatzerleben fand schon im Jahr darauf ein jähes Ende, als der Krieg mit der Sowjetunion begann. Erich wurde mit seinen Sturmpionieren in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf einen Eisenbahnzug verladen und, ohne Waffen, durch das neutrale Schweden nach Finnland geschafft, um die finnischen Waffenbrüder beim wieder aufflackernden Kampf gegen die Sowjets zu unterstützen.

Erlebnisse in Finnland mit Engländern und Franzosen

In Finnland erlebte er ein paar haarsträubende Spähtruppunternehmen und machte die erstaunliche Feststellung, daß auch junge Engländer und Franzosen, mit denen sich das Deutsche Reich im Kriegszustand befand, dem kleinen Land gegen die mächtige Sowjetunion halfen. »Allerdings leisteten die, wie auch neutrale Schweden und Amerikaner, nur humanitäre Hilfsdienste, während wir Deutsche unsere Waffen wiederbekamen und sofort an die Front geschickt wurden .«

Dann die Verwundung

Es waren englische und französische Sanitäter, die den damals 23jährigen Tage später unter einem Leichenberg hervorholten, denn er war bei seinem ersten Großangriff auf sowjetische Stellungen, an der Spitze eines Sturmbootes kniend, voll in eine russische MG-Garbe hineingefahren. »Ein Explosivgeschoß war in meiner linken Hüfte explodiert, und dazu hatte ich auch noch Durchschüsse in den Armen .«

Reiner Zufall, daß er sich noch etwas bewegte, als die Leichen zusammengetragen wurden. »Und diesmal waren es junge amerikanische Chirurgen, die mich mit einer ganzen Serie von riskanten Operationen wieder zusammenflickten. Noch heute befinden sich sechzehn Splitter auf Wanderschaft durch meinen Körper!«
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Dafür wurde er mit Orden behängt

Er wurde mit Orden behängt und in ein deutsches Lazarett in Bayern überführt, immer wieder operiert und 1942, an Krücken humpelnd, ins Zivilleben entlassen.

»Ich hatte die Nase voll, auch von den Nazis, und mich in Garmisch schon in eine hübsche, aber unglückliche junge Frau verliebt, der ich unbedingt helfen wollte. Einer, der wie ich dem Tod buchstäblich von der Schippe gesprungen ist, hat vor nichts mehr Angst«, meinte er.

»Darum fuhr ich mit Monika Mannheim nach Köln und holte, mit Hilfe meines Onkels Robert Schmidt, damals Generaldirektor der deutschen Ford-Werke, während eines Luftangriffs den ehemaligen Oberstaatsanwalt Dr. Günther Mannheim aus dem KZ-Durchgangslager Köln-Deutz.« Der war Monikas jüdischer Ehemann.
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»Ich habe die Mannheims dann mit nach Berlin genommen«, fuhr Erich fort. »Eine solche Riesenstadt eignete sich am ehesten zum Untertauchen. Ich habe sie am Karbuschsee bei Königswusterhausen einquartiert, wo meine Schwester ein Wochenendhäuschen besaß. Dort haben meine Schützlinge den Rest des Krieges unbeschadet überlebt.«
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Und nochmal Glück gehabt

Ein Autounfall hat dem Glücksjungen 1943 dann noch einmal weitergeholfen. Als Schwerbeschädigter an Krücken durfte Erich ein Auto fahren, und es war ausgerechnet ein höherer Militärstabsarzt, der die Vorfahrt mißachtete und ihm an der Kreuzung Nürnberger/Augsburger Straße voll in die Seite fuhr. »

Als er meine Krücken und die Orden sah - und ich seine Schnapsfahne roch - wurde er ganz kleinlaut. >Hör zu, Kamerad<, sagte er, >ich kann jetzt kein Aufsehen gebrauchen, schieben wir die Karre zur Seite! Du bekommst von mir einen tollen neuen Wagen - einverstanden?<«

Am nächsten Morgen durfte sich Erich unter Hunderten beschlagnahmter Zivilfahrzeuge heraussuchen, was sein Herz begehrte: einen amerikanischen Buick, hellblau, Baujahr 1940. »Die Krücken«, sagte er, »brauchte ich eigentlich schon nicht mehr, aber sie waren ein fabelhafter Schutz vor neugierigen Polizisten!«
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Bei Kriegsende - ein Briefmarkenalbum

Als das Kriegsende gekommen war, führte Erichs Vater ihn mit einem Großindustriellen, einem Wehrwirtschaftsführer, aus Magdeburg zusammen, der sich furchtbare Sorgen um seine Schwiegertochter und sein Enkelkind machte, die in der Nähe von Frankfurt an der Oder festsaßen; sein Sohn war schon gefallen.

Und Erich fuhr mit seinem Buick noch einmal an die Oderfront und holte, unter Beschuß, die junge Witwe mit ihrem Kind nach Berlin. Doch er verschmähte die angebotene Million wertlosen Papiergeldes und ließ sich von dem Industriellen lieber ein Briefmarkenalbum schenken.
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Mit diesen Briefmarke die Firma Bärenmarke gekauft

»Es war das einzige, was am 8. Mai 1945 noch einen Wert besaß«, sagte er. »Und was macht einer, der Mehl heißt?« Er kaufte sich noch vor der Währungsreform mit seinen Briefmarken in die größte Berliner Brotfabrik ein, die berühmte Bärenmarke.

Und als es wieder ordentliches Geld gab (Juni 1948), fielen ihm die Schlangen auf, die sich unverdrossen vor den Kinos bildeten, und er fing an, Filme zu produzieren.

Der erste hieß "Großstadtgeheimnis" und war noch nicht abgedreht, als jede Menge Produzenten auf seiner Matte standen und für reales Geld ihre Luftschlösser finanziert haben wollten.
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Die Geschichte mit dem Film "Der Untertan"

Seine Freundin damals war eine Kostümberaterin der größten Filmgesellschaft der DDR, der staatlichen DEFA. Die Freundin hieß Vera Mücke, und der Kalauer, wie Erich aus der Mücke einen Elefanten machte, bietet sich an.

»Die DEFA«, sagte er, »hatte mit fortschreitendem Kalten Krieg Probleme mit dem Vertrieb ihrer Filme im westlichen Ausland. Ich konnte ihr behilflich sein, obwohl das Zentralkomitee der SED meine Mitwirkung gar nicht gerne sah.

Um den "Untertan" meines Freundes Wolfgang Staudte weltweit zu verkaufen, mußte ich vorübergehend sogar einen schwedischen Paß erwerben, eine schwedische Filmproduktion gründen und als schwedischer Co-Produzent der DEFA auftreten.

Ich habe einen aussichtslos erscheinenden Krieg gegen den Interministeriellen Ausschuß der Bundesregierung führen müssen - das waren Vertreter des Innen- und Außenministeriums in Bonn, wie des Finanz- und Wirtschaftsministeriums. Ein Krieg, der vier Jahre dauerte und damit endete, daß dieser Ausschuß sich sang- und klanglos auflöste und ich die Einfuhrgenehmigung für den Untertan in die Bundesrepublik bekam .«
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Das Wort "Genosse" war im Westen anfangs nicht erlaubt

Er hatte das Wort »Genosse« genau achtzigmal aus Staudtes Film herausgeschnitten und durfte es jetzt wieder einfügen. Bei der DEFA wurde der rote Teppich ausgerollt, wenn Erich Mehls Rolls Royce den Schlagbaum in Babelsberg passierte. Doch auf Dauer war mit den DEFA-Genossen nichts anzufangen.

So erlaubte ihnen Bert Brecht zwar, seine Mutter Courage unter Staudtes Regie zu verfilmen, aber als er das Ergebnis sah, spuckte er Gift und Galle und verbot die Aufführung des Films.

Zumal nicht seine Frau Helene Weigel die Mutter spielte, sondern die Französin Simone Signoret, die Erich persönlich in Prag abgeholt und nach Babelsberg chauffiert hatte.

»Ich war dabei«, sagte er, »als es nach der Vorführung in Babelsberg zum Eklat kam, und bot an, mit Brecht zu reden. Weil aber auch Genossen des ZK dabei waren, wurde ich dringend gebeten, den Mund zu halten, und vor die Tür gesetzt.

Ich glaube, ich schätzte den Brecht besser ein als die Genossen des ZK und die DEFA-Direktoren, ich hatte ihm heimlich schon mal Dollar an seinen Sohn Hans in New York geschickt, was in der DDR ein Staatsverbrechen war. Zwar nicht für mich, den Bürger West-Berlins, aber für Bert Brecht. Ich bin sicher, daß er mir die Dollars aus der Hand gerissen hätte, so scharf war er darauf, der große Sozialist.

Ich hatte schon 2,8 Millionen Westmark in dem Unternehmen stecken, und die Defa mußte mir soundsoviele ihrer Filme zum Westvertrieb geben, als ich mit dem >Ersatz< nichts anfangen konnte, den Brecht am Ende anbot: die Mutter Courage von der Bühne seines Theaters abzufilmen, mit Frau Weigel in der Titelrolle. Unverkäuflich!«
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Erich Mehl war ein hervorragender Kaufmann geworden

Am Ende hatte mein Erich, als einziger wahrscheinlich, auch bei Bert Brecht kein Geld verloren. Ein Sieg des Kapitalismus, schon in den 1950er Jahren.

Mit den Gewinnen half er einem anderen Ostler wiederholt aus der Verlegenheit. Ich traf Erich Mehl in London, wo er Roman Polanskis "Ekel" und "Wenn Katelbach kommt" finanziert hat. Der kleine Pole war frisch im Westen gelandet und starrte gierig auf Erichs goldene Rolex.

Weil er an Romans Genie glaubte, schenkte Erich ihm eines Morgens in den Shepperton Studios seine Rolex, worauf Polanski sich nicht lumpen ließ, seine polnische Armbanduhr vom Handgelenk löste und sie mit einer grandiosen Geste dem deutschen Finanzier in die Hand drückte: 150 gegen 20000 Mark.
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Roman Polanzki hatte nichts weiter als seinen Stolz

»Ich habe schließlich auch meinen Stolz«, sagte Roman.

Wir waren kaum außer Sichtweite, als Erich sie an mich weitergab. »Du glaubst doch nicht«, sagte er, »daß ich mit dieser polnischen Kartoffel rumlaufe!« Ich nahm sie dankend und bewahre sie bis heute in meinem Schatzkästlein auf.
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Erich Mehl: Mal war ich der Größte - mal ein Blutsauger .....

Auf was er sich bei der Finanzierung der Polanski-Filme eingelassen hatte, bemerkte Erich Mehl spätestens bei den Filmfestspielen 1965, als Cul-de-Sac oder "Wenn Katelbach kommt" als englischer Beitrag gemeldet wurde - als deutscher Co-Produzent gehörten aber ihm die deutschen Rechte. Die hatte sich Sam Waynberg freilich durch »gefälschte Verträge« angeeignet, ein junger Pole, der staatenlos geworden war, in Berlin herumhing und mit einem gewissen Gutowski in London dubiose Geschäfte machte.

»Er spielte bei Polanski die Rolle eines Produktionsleiters«, sagte Erich, »und war keineswegs einer der Produzenten!« Ein Eklat drohte, aber Erich ließ sich von Dr. Alfred Bauer, dem ersten Leiter der Berliner Filmfestspiele, zum Mundhalten überreden.

Erich ist ein großer Mundhalter, der weiß, daß die Zeit für ihn arbeitet. Vorerst genügte ihm, als Polanskis Film den Goldenen Bär errang, eine Urkunde, die ihn als Produzenten auswies.

»Ich habe viele Filme aus dem Feuer gerissen«, sagte er. »Aber mit Dankbarkeit darfst du in dieser Branche nicht rechnen . Wenn ich die Produzenten vom Strick geschnitten hatte, war ich der Größte. Aber wenn ich mein Geld wiederhaben wollte, galt ich als Blutsauger, war der Hai im Karpfenteich .«

Zur Zeit prozessiert er mit Sam Waynberg, aus dem ein erfolgreicher Verleiher mit deutschem Paß geworden ist, und es handelt sich immer noch um die Polanski-Geider, um gefälschte Verträge und jene 36,5 Prozent an den Weltverkäufen, die ihm zustehen, von denen er aber bis heute noch keinen Penny gesehen hat.

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