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Will Tremper - "Große Klappe" - Meine Filmjahre (aus 1997/98)

Wie damals in Deutschland die Filme "gemacht" wurden und was nicht in den Filmheftchen und auf den Filmplakaten geschrieben stand. Auch vom Weg von der Ideenfindung über das Drehbuch bis zum ersten Drehtag wird viel aus der Schule geplaudert. Und sebstverständlich kommen bei Will Tremper auch die Filmsternchen - auch die männlichen - nicht zu kurz. Die erste Seite beginnt hier .....

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Ach, gebt doch nicht so an mit eurer Mauer!

Darum war die Renzi in der kurzen Szene so gut, die sie als Mannequin vor der Mauer in der Friedrichstraße spielen mußte. Zwei schwäbisch sprechende Berlin-Besucher - echte, keine Statisten! - mokieren sich da über den italienischen Modefotografen, der die Mauer als Hintergrund für schicke Modefotos mißbraucht. Die Renzi, im Film ja auch nur eine Berlin-Besucherin, fährt ihnen laut über den Mund: »Ach, gebt doch nicht so an mit eurer Mauer!«
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Wie sie das herausplatzte, klang es wie »Scheißmauer!« und erregte bei jeder Vorführung einen lauten kollektiven Stöhner im Publikum. Jeder meiner Mitarbeiter nannte denn auch zuerst jene Mauer-Szene als entbehrlich, als sich am Ende der Dreharbeiten herausstellte, daß ich viel zu lang geworden war und mindestens 30 Minuten schneiden mußte. Felix Hock glaubte sogar zu wissen: »Wegen dieser Szene wirst du, wie schon bei deinem ersten Film, wieder keinen Bundesfilmpreis bekommen!«
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Mein Film war zu lang, was soll, was kann man kürzen ?

Ich wußte, daß er recht behalten würde, aber ich fand die kaum eine Minute lange Mauer-Szene so eindrucksvoll, daß ich sie im Film drinließ. Ich wußte instinktiv, daß ich die Größe haben müßte, mich von diversen anderen Lieblingsszenen zu trennen, die wundervoll anzuschauen waren, die Handlung aber nicht voranbrachten.

So schnitt ich, zum Beispiel, Nicholas Ray und Kristina Söderbaum und das ganze Sechs-Tage-Rennen in der Deutschlandhalle wieder raus, volle zwölf Minuten. Ich trennte mich schweren Herzens von gut einem Dutzend weiterer kurzer Szenen, über die mein Herz gelacht hatte.

Weinen tat es über die Szene auf der Neuköllner Seite des Tempelhof er Flughafens. Hundertmal schon hatte ich beim Landeanflug auf Tempelhof, der bei Westwind sinnigerweise über den großen Friedhof an der Hermannstraße führt, das letzte Haus rechts vor der Landebahn betrachtet und den Pilot bewundert, wenn er, kurz vor dem Aufsetzen, direkt unter dem oberen Balkon entlangflog, auf den Meter genau berechnet. Ich schickte Felix zu dem Haus aus den dreißiger Jahren, Ecke Oder-/Leine-straße, und für 500 Mark bekamen wir die Erlaubnis, eine Stunde in der obersten Wohnung zu filmen.
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Wenn die Panam unter meinem Balkon landet

Der Vorwand war schnell gefunden : Alexandra Borowski, auf der Suche nach ihrem Vater, begibt sich zu der Adresse seiner letzten Frau, klingelt - und niemand öffnet. Erst beim fünften Mal kommt jemand an die Tür und läßt sie herein. Die Frau in der Wohnung entschuldigt sich: »Wenn hier 'ne Panam unter meinem Balkon landet, höre ich die Klingel nicht!« Und dann erfährt Alexandra Borowski, daß ihr Vater Kommunist war und zu der Handvoll West-Berlinern gehört, die beim Mauerbau nach Ost-Berlin hinübergewechselt sind. Mitten im Gespräch fängt es an zu dröhnen, als ob ein Eisenbahnzug durch die Wohnung fährt.
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Und wirklich - eine Landung unterm Balkon

Alexandra springt auf, rennt auf den Balkon hinaus - und sieht direkt unter sich, zum Greifen nahe, eine DC 4 landen. Eine Szene, die dem Zuschauer den Atem verschlägt, die es auf der ganzen Welt sonst nicht mehr zu sehen gibt, weil kein anderer Flughafen so direkt von einem Häusermeer umgeben ist. Ich habe sie aus meinem Film herausgeschnitten, aber Rolf Gillhausen hat drei Seiten davon im Stern gemacht.
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Der Schluß im Traumhaus von Jürgen Bud-Monheim

Zum Schluß habe ich dann auch noch in dem Traumhaus von Jürgen Bud-Monheim auf der Insel Schwanenwerder an der Klaren Lanke gedreht, dort hatte Joseph Goebbels einst seinen Wohnsitz, dann Axel Springer sich ein Haus baute und heute, glaube ich, das Aspen-Institut der Amerikaner seinen Sitz hat.

Eine typische Berliner Sommerparty wollte ich auf Monheims Terrasse drehen, bei der sich Leipnitz und Renzi zufällig wiedersehen, nachdem sie ihn mit Hubschmid betrogen hat.

Meine Frau Karin mit ihren Freundinnen war dabei, Heinz Zellermaier mit Ira Hagen, die Griechen Dimitri und Helen Cosmadopolous, Renate und Alexander Gonda, Monika Scholl-Latour, Marianne Bennett, Elizabeth Wertenbaker und Christina Pieroczek, wie Marga Palmer und Christine Viertel natürlich, die ebenfalls in kleinen Rollen mitspielten.

Nur der Hausherr drückte sich hinter statt vor der Kamera herum; vielleicht befürchtete Jürgen Bud-Monheim, daß ich doch noch Szenen zu dem geplanten »Ärgernis« drehen würde, das auf der nächtlichen Party bei ihm begonnen hatte.

Wegen einer Pyjama-Party von Pfarrer Hess fristlos entlassen

Die Fernsehansagerin Elga Stass vom Hessischen Rundfunk war damals mächtig im Gerede, weil sie auf einer Pyjama-Party in Kronberg fotografiert und dafür von ihrem strengen Intendanten, dem Pfarrer Hess, fristlos entlassen worden war.

Bei mir spielte sie die vernachlässigte Freundin von Harald Leipnitz, sah entzückend aus, hatte auch genau den argwöhnischen Blick drauf, den die Rolle verlangte, und erwies sich leider als Quelle endloser Querelen, deren Grund ich bis heute nicht begriffen habe; vielleicht hatte es mit dem Quotensystem zu tun, nach dem Felix Hock die Dauer der Mitwirkung aller Schauspieler berechnete.

Ich hatte nämlich schlau sein und nichts mit der Honorierung der Künstler zu tun haben wollen, hatte Felix, wie auch meinen Bruder Dieter, mit je fünf Prozent an meiner GmbH beteiligt und sie darauf eingeschworen, mir alle Gelddinge vom Leib zu halten - mit dem Ergebnis, daß die Mimen, die ihre Gagen zurückstellen ließen, trotzdem laufend zu mir gerannt kamen.
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Ein besonderes Erlebnis fällt mir noch ein ......

Ein besonderes Erlebnis fällt mir noch ein, das ich nicht unerwähnt lassen möchte, weil es in gewisser Weise meine Berlin-Leidenschaft erklärt: Mich hatte der amerikanische Pianist und "Star Dust"-Komponist Hoagy Carmichael in einer Einsamkeit strahlenden nächtlichen Szene so beeindruckt, daß ich sie unbedingt in meinem Film »zitieren« wollte, wie Cineasten einen geistigen Diebstahl umschreiben.
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Ein "Berliner" Klavierspieler Namens Paul Kuhn

Ich dachte an einen »echten Berliner«, einen wie Paul Kuhn mit seinen abstehenden Ohren, seiner Zahnlücke vorne Mitte und seinem herzzerreißenden Lächeln. Felix ließ ihn nach Berlin kommen, ich traf mich mit ihm in der Hilton-Bar und fühlte, als ehemaliger Klavierspieler, gleich die unheimlichste Sympathie für den Kerl.

»Paulchen«, sagte ich, »du bist für mich das große alte Zwanziger Jahre-Berlin, das wir leider nicht mehr kennengelernt haben - auf ihrem nächtlichen Zug durch die Gemeinde geraten Leipnitz und Renzi in eine kleine Bar, die längst geschlossen hat, nur ein einsamer Klavierspieler mit einem letzten Bierchen und einem vollen Aschenbecher auf dem Flügel klimpert noch leise vor sich hin und singt halblaut eine eigene Melodie . Es muß eine atmosphärisch starke Szene werden, die unser Pärchen - und damit die Zuschauer - zu Tränen rührt, verstehst du?«

Mein Waterloo. »Paul Kuhn ist gar kein Berliner!«

Natürlich verstand mein Paule. Aber als ich zwischendurch mal ans Telefon gerufen wurde, gestand er meinem Freund Marino Lazzeroni, der mich gerade in Berlin besuchte und für mich der ausgeschlafenste Italiener ist: »Was will der Tremper immer mit Berlin, Berlin! Ich stamme nicht aus Berlin, ich war auch noch nie hier, komme aus dem Weserbergland, und alles, was er so an mir liebt, habe ich in amerikanischen Clubs gelernt.«

Ich kam zurück und erlebte aus dem Mund Marinos mein Waterloo. »Der Herr Kuhn ist gar kein Berliner!« Ich wollte es nicht glauben.

Konnte ich mich so geirrt haben? Auf diese Weise lernte ich, daß »Berliner sein« ein Geisteszustand ist und mit dem realen Berlin überhaupt nicht zu tun haben muß. Schnell und unsentimental, frech und doch voll Gefühl, immer vorne weg und zupackend, das ist auch ein New Yorker »Berliner«, das gibt's hier und da vielleicht sogar im Weserbergland. Ich wurde ganz klein und engagierte meinen Paradeberliner trotzdem, und die Szene mit Pauls eigener Komposition wurde ein Riesenerfolg, obwohl auch sie wieder nur Schauspielerei war:
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Paul kam dann als Big Band Leader zum SFB

Ich ließ Paul Kuhn mit all seiner nächtlichen Erschöpfung an einem nüchternen Vormittag in einem Studio spielen und wohlwollend meiner linken Hand zulächeln, die Leipnitz und Renzi darstellte - während das Paar Tage später im Hinterzimmer einer Berliner Kneipe hinter einem Vorhang hervorkam und, wiederum, selig meiner linken Hand zuwinkte. Zusammengeschnitten kam reiner Kintop heraus.

Paul ist dann durch den Film, hoffe ich, als Big Band Leader zum Sender Freies Berlin gekommen und, wiederum Jahre später, mit Barlog und mir in einer Fernsehsendung aufgetreten, die uns als »beispielhaft typische Berliner« vorstellte.
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Der schlechte Schluss

Also, meine Freunde spielten bravourös ihre Szene in Monheims Haus auf Schwanenwerder, und nun fehlte nur noch ein Schluß. Meine Leidenschaft für die Renzi aber war inzwischen auf Null gesunken.

Ich saß mit meiner Cutterin Ursula Wöhrle bei Geyer im Schneideraum und mußte mich täglich fragen lassen: Wie endet das Ganze? Um hilflos immer wieder zu antworten: Ach, irgendwie, ist doch scheißegal. Wahrscheinlich heiratet der Leipnitz sie, und sie kriegen Kinder. So what?
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Meine Frau Karin wollte sich schon wieder scheiden lassen

Hubschmid drehte inzwischen irgendwo in Europa schon längst wieder an einem anderen Film, ich schmetterte die nächste Scheidungsklage meiner Frau mit einem Hohnlachen ab und interessierte mich wieder für andere Dinge, wie den Besuch der James-Bond-Produzenten, die mit einem Riesenaufgebot an Menschen und Material aus England herübergekommen waren und an den üblichen Ost-West-Schnittpunkten den Thriller Funeral in Berlin mit Michael Caine drehten.

Auch Paul Hubschmid spielte mit, und ich ergriff die Gelegenheit seines Berlin-Aufenthaltes, um nun doch zu einem Ende zu kommen.

An einem Nachmittag versammelte sich im Schloßpark Klein-Glienicke an der berüchtigten Glienicker Brücke nach Potsdam, auf der die Spione ausgetauscht zu werden pflegten, ein Ministab von acht Leuten um eine Arriflex-Handkamera und drehte einen Ruck-Zuck-Schluß unseres Films: Renzi und Hubschmid haben eine letzte Aussprache, die von Leipnitz beobachtet wird. Er sieht die Renzi wütend davonstürmen, läuft ihr nach und zwingt sie in seine Arme - aus, Schlußmusik.
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Im Unternehmen Eva Renzi war mir alles »scheißegal«

Das Ergebnis wirkte, in der Tat, wie ein Eimer Wasser ins Gesicht der Zuschauer, die sich anderthalb Stunden lang an einem relativ originellen Film erfreut hatten. Die Kritiker, die durch die Bank Gefallen an Playgirl gefunden hatten, wurden ohne Ausnahme wütend über diesen Schluß. Aber mir war das zu diesem Zeitpunkt wirklich »scheißegal«.

Die Luft war raus aus dem Unternehmen Eva Renzi. Ich war ja nicht angewiesen darauf, daß ich Filme machte. Ich hatte einen zweiten - oder ersten - Beruf, der mir ungebrochen Spaß machte und bis heute macht.

Wie ich später über meine Filme der 1960er Jahre mal schrieb: »Ich brauche ein ganzes Jahr, um mich von einem Film zu erholen, wenn er abgedreht ist, und ein weiteres Jahr, um mich für einen neuen Film zu begeistern.«

Doch der nächste Film, für den ich mich überhaupt nicht begeistern konnte, wartete bereits in München.
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Ein paar Worte zur Politik der 1960er Jahre

Mitte der 1960er Jahre passierten die tollsten Dinge, wenn ich so zurückdenke. Wir, die wir zu klug und zu erfahren bereits waren, um den Leichnam von Karl Marx nochmal auszugraben, sahen voller Hohn zu, wie die CDU sich selbst entleibte, als sie mit der SPD eine große Koalition einging.

Für mich, den SPD-Wähler seit Kriegsende, war die Sache endgültig gelaufen, als ich Willy Brandt im Bundestag den distanzierenden Satz aussprechen hörte: »Die da draußen im Lande .«
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Lieber von der CDU regiert als von roten Phantasten

Ich beschloß, mich nicht mehr für einzelne Politiker zu erwärmen und in Zukunft CDU zu wählen. Ich wollte lieber von Geschäftsleuten regiert werden als von roten Phantasten.

Ich sah, wohin der Hase lief, lange bevor Willy an die Macht kam und prompt in die ausgelatschten Schuhe von August Bebel stieg, der im vergangenen Jahrhundert seine Partei beschwören mußte, nochmal zur Schule zu gehen. »Wir werden ewig Proletarier bleiben«, so ungefähr hatte er sich ausgedrückt, »wenn wir uns nicht bilden!«

Willi Brandt würde eine Generation von Taxifahrern züchten

Bevor die große Schuldenmacherei begann, die ersten hundert Milliarden für »Bildung« ausgegeben wurden, wußte ich, daß Willi Brandt eine Generation von Taxifahrern züchten würde.

Ich hatte nämlich meine alte Schulklasse vom Gymnasium in Oberlahnstein wiedergesehen und staunend erlebt, daß die Klasse der nächsten Generation auch nur wieder 42 Sitzplätze hatte - mit dem Unterschied, daß nicht mehr vier zukünftige Studenten darunter waren, wie zu meiner Zeit, Anfang des Krieges, sondern nunmehr 35 studieren wollten, »weil wir sonst keine Chance im Leben haben!« August Bebel, ick hör dir trapsen.
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Ich sah mir die neuen Gesichter an und .........

Ich sah mir die neuen Gesichter an und wußte, daß auch nur wieder zehn Prozent höchstens zu einem Studium fähig sein würden. Mich hat überhaupt nicht überrascht, daß sie 1968 dann die Hörsäle anzündeten und die Professoren auf breiter Front die Ansprüche und Voraussetzungen an Studierende zurücknahmen, bis die Qualität des Studiums und das gesamte Niveau den letzten armen Tröpfen angeglichen war.

Ich war nicht unbedingt ein Seher oder soviel schlauer als die anderen, ich hatte nur Freunde mit Erfahrung und verstand es, ihnen zuzuhören.
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Ein einziger Vormittag im British Museum in London ....

Über den Marxismus beispielsweise wußte ich nach einem einzigen Vormittag im British Museum in London alles, als Richard Friedenthal, der dort zu Hause war und von den Angestellten nur »Governor« genannt wurde, mir die Lesekarten von Karl Marx zeigte und anschließend die Bücher kommen ließ, die er für "Das Kapital" gebraucht hatte.

Seitenlange Ausrufezeichen, oft drei hintereinander, verunzieren die wissenschaftlichen und historischen Werke bis heute - am interessantesten aber sind die Seiten, die Herrn Marx nicht ins Konzept paßten; die hat er wütend durchgestrichen, sie aufgeschlitzt und mit den phantasievollsten Verbalinjurien beschmiert. Dieser Marx!

Ein Jammer, daß der »Governor« nach seinen berühmten Goethe- und Luther-Bios die Marx-Biographie nicht mehr geschafft hat. Was bei Piper noch erschienen ist, ist nur ein Rudiment des geplanten Buches.
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daß die Linken sich ihr Weltbild nach Belieben zurechtzimmern

Ich wußte früh schon, daß die Linken sich ihr Weltbild nach Belieben zurechtzimmern, daß Politik eine einzige Knetmasse ist, die von den Involvierten, je nach Bedarf, zurechtgebogen wird.

Seit der Großen Koalition bevorzugte ich Gesprächspartner, von denen ich den Eindruck selbständigen Denkens hatte, und kreierte für mich persönlich einen eigenen politischen Begriff: Ich war nicht links, ich war nicht rechts, ich war senkrechts, was »darüberstehend« bedeutete.

Ich vermied es, mich mit Eiferern einzulassen, nichts ernstzunehmen und mir, vor allem, die Lebensfreude zu erhalten. Wozu es lebensnotwendig erschien, Kontakt zum weiblichen Element zu pflegen.
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Ein verregneter Sonntagmorgen in Hamburg ....

Ich erinnere mich aus dieser Zeit an einen verregneten Sonntagmorgen in Hamburg. Der Blick aus dem Atlantik-Fenster auf eine tief graue Außenalster ließ mich zum Telefon greifen und meinen lieben Freund Rolf Hädrich in Frankfurt anrufen. »Komm doch her!« sagte er. »In Frankfurt scheint die Sonne!«

Und schon saß ich in der nächsten Lufthansa nach Frankfurt. Rolf holte mich ab und schwärmte mir etwas von einer Walldorf-Siedlung vor, die der remigrierte Architekt Richard Neutra gerade für Individualisten bei Walldorf, auf der anderen Seite des Frankfurter Flughafens, baute.

Inzwischen schien auch in Frankfurt die Sonne nicht mehr, und Rolf schleppte mich so lange durch den Schlamm seiner Baustelle in Walldorf, bis wir aussahen wie die Schweine.
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Er wollte uns die Schuhe nicht putzen

Also fuhren wir in die Stadt, zum Hauptbahnhof, wo wir einen Schuhputzer zu finden hofften. Den gab es auch, nur winkte er schon von weitem ab, als er uns kommen sah, weigerte sich einfach, den Dreck von unseren Schuhen zu wischen.

Da erinnerte ich mich an Marga Palmer, die gerade drei kleine Rollen im Playgirl gespielt hatte und nie vergaß, mich einzuladen, wenn ich nach Frankfurt kommen würde. Wir fuhren ins Westend und klingelten so lange, bis sie im Morgenrock und einigermaßen zerzaust öffnete.
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Marga Palmer hatte leider "Besuch"

Anscheinend hatte sie an diesem Sonntagnachmittag eine angenehmere Beschäftigung vor, als uns die Schuhe zu putzen. Hinter der Sofalehne versteckte sich ein Männerkopf. Immerhin bekamen wir Kaffee und Kuchen, durften uns notdürftig säubern und verließen Marga und ihren Liebhaber wieder.

Rolf hatte, von Marga aus, auch mit dem Dritten in unserem Bunde, dem getreuen Maxe Strassberg, telefoniert, der in München gerade etwas drehte und natürlich sofort rief: »Kommt doch her, in München scheint die Sonne!« So landeten wir wieder am Flughafen und kauften Tickets nach München. Die Lufthansa, wie der ganze Flughafen, befand sich noch im Aufbau.

Nicht nach München, ein Wochenende in Wien

Die Maschine nach München, eine zweimotorige Propeller-Convair, sollte um 19.50 Uhr fliegen und um 21.10 Uhr in Riem ankommen. Während wir in der Abflughalle warteten, sah ich, wie direkt neben uns eine Caravelle der Austrian Airlines fertiggemacht wurde, Abflug nach Wien: 20 Uhr, Ankunft in Wien: 21 Uhr. »Mensch«, sagte ich zu Rolf, »der fliegt zehn Minuten nach uns ab und ist zehn Minuten vor uns in Wien!« Wir rannten und tauschten unsere Flugkarte um und flogen nach Wien.

Wir kicherten uns, wie die Schuljungen, einen ab, hatten vielleicht auch schon das eine oder andere Schnäpschen getrunken, sprangen in Wien ins Taxi und ließen uns ins Sacher fahren, wuschen uns die Hände, banden die Schlipse neu und stürmten los.

Poldi Waraschitz hatte einen Tip für uns ...

Mein alter Freund und »Butler« Poldi Waraschitz hatte im Kärntner-Durchgang die historische Loos-Bar übernommen und vermittelte uns gleich in einen höchst intimen Strip-Club im Keller, in welchem mich eine Überraschung erwartete:

Der Geschäftsführer einer Revue-Bar, der vor sechs Jahren um mein Wohlbefinden besorgt gewesen war - er hatte mir im Laufe einer Wiener Woche alle seine Tänzerinnen, das gesamte Programm, mit Ausnahme eines verheirateten Tanzpaares, ins Separee geschickt, ....... und ich hatte die gesamte 25.000-Mark Gage bei ihm gelassen, die mir von der Schönbrunn-Film für die Verfilmungsrechte an meiner Stern-Serie »Deutschland, deine Sternchen« bar bezahlt worden war (in Osterreich hieß sie, nicht weniger erfolgreich, »Heimat, deine Sternchen«).
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Ich sah die Dollar (natürlich DM) in seinen Augen glänzen

Als er mich jetzt sah, schrie er freudig erregt: »Der Herr Doktor ist da! Jessas, der Abend ist gerettet!« und wieselte wie Hans Moser in "Herr Ober!" um uns herum, schmiß ein paar lahme Gäste hinaus und verriegelte sofort die Eingangstür, ein Schild heraushängend: »Heute geschlossen - private Gesellschaft!«

Und konnte sich nicht gut genug tun über unsere »schöne alte Zeit! - Wissens' noch, Herr Doktor, wie ich im Morgengrauen jeden Tag mit Ihnen ins Imperial gepilgert bin, weil Sie Ihr Bargeld im Hotelsafe gelassen hatten?«

Er weinte fast bei der süßen Erinnerung an das Jahr 1959, hatte sich nach meiner Abreise selbständig machen können, in einem Innsbrucker Möbelhaus eingekauft, dort fast alles verloren, war nach Wien zurückgekehrt und hatte dieses neue Nachtlokal aufgemacht - und siehe da, schon tauchte sein »Herr Doktor« auf, wie jeder Piefke mit Brille in Wien tituliert wird, sein »Glücksbringer«, und ein Dutzend mehr oder weniger attraktiver Mädchen mußte sich pudelnackt ausziehen und sich um Rolf und mich kümmern, und die Champagnerkorken knallten ohne Pause.
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Langsam begann ich, mir Sorgen um meine Brieftasche zu machen

Der Rolf war beeindruckt über meine Beliebtheit in Wien, ich begann mir Sorgen um meine Brieftasche zu machen. Aber in Wien habe ich wirklich Freunde.

Als mein guter Poldi durch die rausgeschmissenen Keller-Gäste merkte, daß Rolf und ich abgekocht werden sollten, rief er trotz mitternächtlicher Stunde Freunde von mir an und behauptete, ich sei in Lebensgefahr.
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Dann ging alles ganz schnell, wir wurden nicht abgekocht

Gerhard Bronner befand sich nicht in seiner Marietta-Bar, aber schon der zweite Freund, den Poldi anrief, spannte seinen Mercedes an, steckte sich seine Pistole ein und kam angebraust.

Ich war gerade sehr beschäftigt, als es mächtig an die Tür des Keller-Strips bummerte. Der Chef mußte öffnen, wurde mit vorgehaltener Pistole zur Seite gestoßen, und mein guter Miho Salus kam in den Keller geschossen, zerrte die Mädchen von uns runter und schrie: »Wo ist die Hose vom Herrn Tremper?«

Im Nu waren wir an der frischen Luft, so schnell konnte der gierige Unternehmer für seinen »Herrn Doktor« nicht mal die Rechnung erstellen, sprangen in den Mercedes, dessen Tür uns der Poldi offen hielt, und rasten Richtung Ottakring.
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Die Story vom Wochenende geht weiter

»Was sollen wir in Ottakring?« fragte ich Miho Salus.
»Den griechischen "Heizer" holen«, antwortete der. »Ihr müßt erstmal nüchtern werden, deshalb öffnen wir die Sauna im Grünen nochmal, du kennst dich doch aus in der Rustenschacher Allee!«

Und ob. In dieser Prater-Sauna hatte ich so manches vergnügliche Wochenende verbracht. Wir hupten im dritten oder vierten Hinterhof einer Ottakringer Mietskaserne, der Heizer ließ sich erweichen und sprang in Unterhosen zu uns in den Wagen, und eine Stunde später schliefen wir tief und fest im Ruheraum der Sauna, die am beginnenden Montag ohnehin ihren Ruhetag hatte.

Nur der Rolf, soviel bekam ich im Einschlafen noch mit, wollte sich gar nicht beruhigen und lachte und lachte und lachte.
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Ein zärtliches Aufwachen und ein endloses Frühstück

Am Montagmorgen erschienen lauter nette, liebe, hilfsbereite Wienerinnen, von Miho Salus zusammengetrommelt, und sorgten für ein zärtliches Aufwachen und endloses Frühstück, und da wir uns ja in einer Sauna befanden, trugen sie keinen Fetzen auf dem Leib und wir verzichteten auch darauf.

Es wurde wieder einmal ein einmaliges, unvergeßliches Fest, und am Abend fragte ich die, die mir besonders gut gefiel, eine kleine, zierliche, wohlgeformte Blondine, ob sie mit mir ins Altreich kommen würde.

Da sie keine Hure, sondern Studentin an der Hetzendorfer Mode-Akademie war, zögerte sie ein bißchen und erzählte mir dann, daß ihr der Herr Baron Soundso am Samstag gerade ein teures Gewand gekauft hätte und eigentlich erwarte, daß sie in Wien verfügbar bleibe.

Ich fragte nach der Telefonnummer des Barons, der tatsächlich einer war und in bestimmten Wiener Kreisen kein Unbekannter, rief ihn an, stellte mich vor und fragte, wohin ich ihm den Preis für das schöne Gewand überweisen könnte, denn ich müßte die reizende junge Dame, die uns beiden so gut gefiel, leider mit nach München nehmen - »Wann? Heute noch, Herr Baron!«

Worauf ihm gar nichts anderes übrig blieb, als sich großzügig zu zeigen, auf die Erstattung seiner Kosten zu verzichten und »Viel Glück!« zu wünschen.
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Im Gepäck die süße Christine Schubert

Eine Stunde später tauchten wir zu dritt noch einmal im Sacher auf, wuschen uns die Hände, banden die Schlipse neu, bezahlten das Doppelzimmer und rasten mit Miho Salus nach Schwechat hinaus, im Gepäck die süße Christine Schubert.

In München quartierte ich sie bei mir im Regina-Palast-Hotel ein, während Rolf noch auf einen »letzten Schluck« ins Opern-Espresso ging. Am nächsten Morgen erzählte er mir, daß er nachts in einem stockdunklen Zimmer, in einem wildfremden Bett noch dazu, aufgewacht sei, eine Nachttischlampe und ein amtliches Schriftstück des Berliner Finanzamtes an Herrn Max Strassberg gefunden habe und beruhigt wieder eingeschlafen wäre. Unser großer Kümmerer, unser geliebter Max, hatte Rolf nachts an einem Tisch des Opern-Espressos schlafend gefunden und zu sich nach Hause in Sicherheit gebracht. Typisch Max!

Indessen ich mich schwer tat, meine süße Christine in meinem nächsten Film unterzubringen. Ich konnte sie, als ich wieder nach Berlin mußte, nur meinem Freund Franz Spelman ans Herz legen, und der hat sie dann allen notwendigen Herren vorgestellt, und so ist sie schließlich als »Josefine Mutzenbacher« doch noch zum Film gekommen und einigermaßen populär geworden.

Das waren schon tolle Zeiten, damals, in den 1960er Jahren.
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