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Will Tremper - "Große Klappe" - Meine Filmjahre (aus 1997/98)

Wie damals in Deutschland die Filme "gemacht" wurden und was nicht in den Filmheftchen und auf den Filmplakaten geschrieben stand. Auch vom Weg von der Ideenfindung über das Drehbuch bis zum ersten Drehtag wird viel aus der Schule geplaudert. Und sebstverständlich kommen bei Will Tremper auch die Filmsternchen - auch dei männlichen - nicht zu kurz. Die erste Seite beginnt hier .....

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Karins »Freund aus New York« kommt zu uns ...

Entscheidende Ereignisse kündigen sich selten an. Wer weiß, ob ich vorher nicht zum Friseur gelaufen wäre, die Pediküre oder gleich einen neuen Anzug bestellt hätte. Entscheidende Ereignisse treten ein, während du völlig versunken in Hamburg an einer neuen »Sternchen«-Folge für den Stern schreibst und dir jede Störung verbeten hast. Und da traut sich meine Frau Karin, einfach hereinzukommen um mir mitzuteilen: »Ein alter Freund aus New York hat sich zu Kaffee und Kuchen angesagt. Glaubst du, daß du rechtzeitig fertig wirst?«

Ich verfluche und beschimpfe sie, denn sie weiß, daß es jede Minute klingeln kann, und der Redaktionsbote steht schon zum zweiten Mal vor der Tür, aber ich war im Frühsommer 1960 mit meinen 31 Jahren längst ein alter Eheknochen.

Karin war ja bereits meine dritte Frau, und ich wußte, was Zusammenleben bedeutete: Nicht nur das Geld, wie die Ehegegner höhnen, war »nur noch die Hälfte wert«, auch die Zeit halbierte sich. Aber ich schaffte es wieder einmal, den Stern nicht mit leeren Seiten erscheinen zu lassen und konnte die Bekanntschaft mit Karins »Freund aus New York« machen.

Michael Schwabacher - der Schweizer Jude mit traurigen dunklen Augen

Michael Schwabacher war ein großgewachsener, gutaussehender Schweizer Jude mit traurigen dunklen Augen, der jetzt in Zürich amerikanische Firmen repräsentierte. Keine fünf Minuten nach seiner Ankunft stellte sich heraus, daß ich es war, der ihn interessierte, nicht seine New Yorker »Bekanntschaft«.

Der Mensch war ein Filmfan, genauer gesagt: ein Fan von Filmsternchen. Er konnte gar nicht aufhören, über die tollen Geschichten zu reden, die er dauernd im Stern las, wollte wissen, was nächste Woche in meiner Serie »Deutschland, deine Sternchen« stehen würde, und wurde direkt feierlich, als ich ihm sogar schon das Manuskript von übernächster Woche in die Hand drücken konnte.

»Haben Sie denn keine Angst«, fragte er erschauernd, »daß Sie mal verklagt werden könnten?« Aber ja, und wie! Wir wurden ja auch dauernd verklagt, doch der Verlag hatte gute Rechtsanwälte.

So gab ein Wort das andere, und ich fing schon an, mich zu langweilen, da fielen die schicksalhaften Sätze:

»Sie schreiben immer so, als ob Sie besser wüßten, wie man einen Film dreht!«
»Klar weiß ich das .«
»Warum tun Sie es dann nicht?«
»Weil ich das Geld nicht habe! Ist doch ganz einfach .«
»Wieviel würde so ein Film denn kosten?«
»Na, mit einer halben Million müßten Sie schon rechnen!«

Eine halbe Million, das waren damals hunderttausend Dollar. 100.000 $ gleich 417.000 DM.
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Ein unschlagbares Angebot :

»Und wenn ich Ihnen das Geld gebe?« sagte Michael Schwabacher. Ach ja? Ich habe gelacht. Ich habe ihn nicht ernst genommen, den Schwabacher, aber das Geld kam, und zwar von einer Unexcelled Chemical Corporation in New York, was mich später dem Verdacht aussetzte, der amerikanische Geheimdienst CIA stecke dahinter.

Aber das war Blödsinn, denn als Schwabacher ging, wußte er noch nicht, was ich drehen würde - auch ich hatte noch keine Ahnung, nahm das Angebot doch nicht ernst. Entscheidende Ereignisse kündigen sich eben nicht an. Oder werden nicht ernst genommen.

Erst vierzehn Tage später, in Berlin, als die erste Rate eingetroffen war, beschloß ich, meinen eigenen Roman "Flucht nach Berlin" zu verfilmen, der immer noch im Stern, neben all dem anderen, lief.

Das Geld schien tatsächlich zu kommen, und ich war wild entschlossen, einen Kassenschlager zu drehen. Aber was? Doch nicht noch einmal eine Halbstarkengeschichte! Doch kein Lustspielchen, wie mein Freund Geza von Cziffra sie am laufenden Band fertigte!

Doch kein Kriminalfilm oder eine der üblichen Spionagegeschichten, wie die Amerikaner sie mit Vorliebe in Berlin herunterkurbelten!
An dem Abend, an dem ich mich entschied, saß ich an der Bar des Park-Hotels Zellermayer in Berlin, und der Mann hinter dem Tresen erzählte, daß er schon 1951 aus der DDR entkommen sei und kürzlich mal wieder »in der alten Heimat« war - die halbe Straße wäre nach Westen »gemacht«, sagte er, er habe kaum noch jemand »Altes« getroffen. Schließlich sangen wir aus voller Kehle zusammen »Das sind die Sänger von Finsterwalde, die leben und sterben für den Gesang!«, denn aus Finsterwalde kam der Barkeeper.
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Ich mache einen Film aus meinem Roman!

Und während ich, halb besoffen, mit ihm grölte, spürte ich auf einmal: Das ist es! Ich mache einen Film aus meinem Roman! Ich habe Millionen potentieller Zuschauer, all die Flüchtlinge aus der DDR, die heute bei uns leben!

Fluchtartig verließ ich die Bar, sprang in den Fahrstuhl und rief aus meinem Zimmer Christian Doermer in München an: »Ich habe eine tolle Rolle für dich! Wann kannst du hier sein?«

Für die Rolle des fanatischen jungen FDJ-Sekretärs Claus Baade kam nur ein Typ wie Christian in Frage; eigensinnig bis störrisch, ein Grübler und doch einer mit Temperament.

Auch die anderen Helden meiner Geschichte hatte ich im Handumdrehen beisammen. Für den Widersacher Doermers, den Bauern Güden, lachte ich mir einen noch immer nicht akzentfrei deutsch sprechenden Bulgaren namens Narciss Sokatscheff an, der wie ein Bussard auf dem Hühnerhof in der Hamburger Damenwelt wütete. Soka, wie ich ihn rief, oder Sofa-Schreck, wie ihn andere nannten, war ein gelernter Schauspieler und Poet, einst ein hübscher Junge, den Gründgens sich, während des Krieges, von einem Gastspiel des Preußischen Staatstheaters in Sofia mitgebracht hatte, ein Charakterkopf jetzt.

Er lebte bei einer Dame in Hamburg - Soka lebte immer bei irgendwelchen Damen -, was ihn nicht hinderte, nachmittags in seinem besten Outfit auf dem Jungfernstieg zu flanieren, auf ihn zukommende Schönheiten mit Schlafzimmerblick zu taxieren, ihnen in den Weg zu treten und sie, wie Klaus Kinski, mit seiner heiseren Stimme zu fragen: »Wollen wir ficken?«

Die Ohrfeigen, die er sich einhandelte, möchte ich nicht zählen, aber genau wie Kinski behauptete der Sofaschreck, jede Dritte lasse sich zumindest auf ein Gespräch ein, na ja. Als »Bauer Güden« machte Soka - mit der Synchronstimme von Horst Niendorf - jedenfalls eine fabelhafte Figur.
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Die weibliche Hauptrolle - Susanne Kraetzsch aus Leipzig

Die weibliche Hauptrolle lief mir am ersten Tag schon, an der Seite meines Freundes Alexander Kerst in der Halle des Parkhotels über den Weg:

Das war die unglaublich weibliche Sächsin Susanne Kraetzsch aus Leipzig, gerade geflohen und frisch mit Alex verheiratet. Sie übernahm den Part der Schweizer Journalistin, die den Bauer Güden auf einem Autobahn-Rastplatz trifft, in ihrem kleinen weißen Alfa Romeo mitnimmt und sich ebenfalls plötzlich von der Vopo gejagt sieht.

Natürlich sprach Susanne ein lupenreines Hochdeutsch, aber der Name Kraetzsch! Ihren neuen Namen Kerst wollte sie nicht als Künstlernamen mißbrauchen, also nannte ich sie Korda, und als Susanne Korda ist sie später, nach der Scheidung, relativ bekannt geworden.

Ihre gefühlvolle Altstimme, dazu das ungemein ausdrucksstarke, höchst filmogene Gesicht prädestinierten sie zum Star, doch da waren die Männer.

Bei ihrer Ehe mit Alex verhedderte sie sich noch in dem schwierigen Beruf, der ja ständig Trennungen verlangt, aber schon im nächsten Mann, Hannes Messemer, fand sie ihren Meister. Der rigorose Hannes verbot ihr einfach die Schauspielerei und benutzte sie, nach Vorvätersitte, schlicht als Weib für alle Lebenslagen, was am Ende auf Krankenschwester hinauslief. Ach, meine gute Susanne!
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Schauspielern konnte sie - bis auf wenige Ausnahmen

Sie war perfekt in der Rolle, es gab mit ihr nicht die geringsten Probleme - bis auf diese eine Szene auf der Autobahn, als sie ihren Wagen stehenlassen und hinter Güden/Soka her einen Abhang hinunter rennen mußte. Da trieb sie mich zur Verzweiflung, als sie geziert - ach, affektiert muß ich schon sagen - wie ein dummes Mannequin im Laufen die Arme und Beine kokett nach allen Seiten schmiß.

»Stop!« rief ich. »Was treibst denn du da, Susanne? So läuft doch kein Mensch! Bitte noch einmal zurück!« Ich dürfte sie an diesem sonnigen Tag auf der stillen Autobahn zwischen Hersfeld und Eisenach schier zum Wahnsinn getrieben haben, denn der Hang war steil, und jedesmal, wenn ich die Aufnahme abbrach, mußte sie auf Händen und Füßen zurückkraxeln und von neuem loslaufen. Bis ich merkte, daß sie ihren Körper nicht in der Gewalt hatte, daß ihre ganze feminine Psyche da mitlief, eine Eigenheit, die bestimmte Frauen sich offenbar im frühesten Kindesalter schon angewöhnen, die ihnen kaum noch auszutreiben ist.

Das hat mir damals zu denken gegeben und lange danach noch, denn in den folgenden Monaten im Schneideraum fing mein Blut jedesmal wieder an zu kochen, wenn ich Susanne diesen Hang hinabrennen sah, ein halbes Dutzend mal mindestens.

Ich habe mich durch Schnitte einigermaßen gerettet, aber ihr Lauf sieht immer noch gräßlich affektiert aus. Seitdem beobachte ich zwangsläufig, wie Frauen rennen und weiß, was ich von ihnen zu halten habe. Es gibt nämlich auch Frauen, die ungeniert laufen können, wie ein Mann. Doch als solcher weiß ich die »Gezierten« zu schätzen.
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Zu Anfang gleich zwei Fehlgriffe

Als ob ich mich jahrelang darauf vorbereitet hätte, stellte ich in wenigen Stunden die ganze Produktion zusammen, holte mir Heinz Karchow, den Aufnahmeleiter der Halbstarken, als Produktionsleiter (und wußte schon am zweiten Drehtag, warum er, mit über fünfzig Jahren, immer noch Aufnahmeleiter war) und Günter Haase, den Wisbar-Kameramann aus Haie und Kleine Fische, den ich 1946 schon als Schwenker von Robert Baberske bei Herzkönig kennengelernt hatte (auch dies erwies sich bald als Fehlgriff).

Zwölf Stunden nach der nächtlichen Idee stellten sich Susanne Korda und Narciss Sokatscheff auf der Terrasse des Parkhotels nebeneinander und fragten, was sie in der ersten Szene anzuziehen hätten, dann traf Christian Doermer ein und bekam ein blaues FDJ-Hemd verpaßt (mein weißhaariger Produktionsleiter hätte gleich zwei kaufen sollen, dann hätten wir, als es naß wurde, nicht warten müssen, bis es gewaschen und wieder getrocknet war, um weiterdrehen zu können). Sechsunddreißig Stunden nach der Idee rief ich zum ersten Mal »Mir nach!« und fuhr einer kleinen Wagenkolonne voraus nach Wannsee.

Noch kein Drehbuch, aber meinen Roman im Kopf

Ich hatte noch kein Drehbuch, aber meinen Roman im Kopf, und beschlossen, mit dem Ende der Geschichte anzufangen, der Flucht des FDJ-Funktionärs Baade durch einen dichten Schilfgürtel ans Wasser der Havel; ich fand ihn auf der Westseite der Pfaueninsel, in der Bucht des sogenannten Parschen-Kessels, der dem Schauplatz meines Romans, der Sacrower Lanke, genau gegenüberliegt.

Was der Atmosphäre guttat: Während wir im Schilf der Pfaueninsel die Verfolgung eines Flüchtlings durch die Vopos mit ihren zähnefletschenden Schäferhunden drehten, hörten wir Schüsse und sahen durchs Fernrohr, wie auf der einen Kilometer entfernten Sacrower Seite Vopos mit ihren zähnefletschenden Schäferhunden jemanden durch das Schilf jagten.

Aber unser Film-Schäferhund war kohlrabenschwarz und sah gefährlicher aus als der echte »drü'm«.
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Die ersten Probemeter im Marmorhaus - Überwältigend

Doch vorerst drehten wir mal mit der 35mm-Arriflex und einer kurzen Brennweite aus der Hand, stunden- und tagelang Christian Doermer, durchs Schilf hastend. Das wurden auf Anhieb so tolle Bilder, daß ich mir die ersten Muster, anstatt sie in der Kopieranstalt Geyer in Neukölln zu besichtigen, an den Kurfürstendamm bringen ließ. Ich mietete das Marmorhaus, das damals noch keine Sechserschachtelei, (Anmerkung : ein Mulitplex-Kino) sondern ein einziges großes Kino war, lud tausend Freunde und Bekannte ein und sah mir nachts auf der richtigen großen Leinwand das Ergebnis an. Überwältigend! .

Seitdem weiß ich, warum alle möglichen jungen Leute Filme drehen wollen - ein Erfolgserlebnis jagt das andere. Es ist wie mit der Fotografie: Du drückst auf den Knopf und hältst ein wunderbares Bild in der Hand. Das hast du gemacht??? Wer es gemacht hat, ist in Wirklichkeit natürlich die Firma Kodak oder Agfa mit ihrem hochempfindlichen Film, ist die Leica, die Nikon oder Arriflex, allesamt Wunderwerke der Technik.

Hinterher haben wir noch lange beisammengesessen und uns die Köpfe heißgeredet. Alles sah so herrlich einfach aus - und war es auch, wie mir schien. Mein erfahrener alter Produktionsleiter hatte die unterschiedlichsten Regisseure bei der Arbeit gesehen, aber noch keinen wie mich.

»Du hast doch nur Drehbücher geschrieben!« wunderte er sich. »Woher willst du wissen, wie man Filme inszeniert?« Ich gab ihm die Antwort, an die ich auch heute noch glaube: »Ich war im Kino. Wenn du dir Filme anguckst, siehst du doch, wie es gemacht wird! Und wenn du selber die Story intus hast und den Schauspielern sagen kannst, wie du es haben willst - also, was brauchst du noch dazu?«

Er blieb mißtrauisch, mein guter alter Heinz Karchow. Regisseure waren für ihn Halbgötter, die Szenen erstellen, Schauspieler zu Höchstleistungen treiben und aus dem Nichts heraus neue Welten zaubern konnten. Glaubte er wirklich, daß die Großen der Branche, wie Käutner, Liebeneiner, Staudte ihre Begabung auf einer Filmhochschule gefunden hätten?
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Filme inszenieren erfordert nichts weiter als ein Gefühl für Bilder

»Filme inszenieren«, tönte ich, »erfordert nichts weiter als ein Gefühl für Bilder, die Umsetzung einer Geschichte, den Rhythmus der Handlung im Griff behalten!« Er verstand nur, daß er zum ersten Mal eine Produktion leitete, die aus zehn Männern und einer Frau bestand, und das gefiel ihm nicht.

Die eine Frau, das Scriptgirl natürlich, gefiel auch mir nicht. Sie war, wie alle von Karchow engagierten Stabmitglieder, »alter Filmhase« und vermißte das Drehbuch. Sie meckerte ständig, weil sie nur einen weißen Karton sah, auf dem ich mir skurrile Notizen machte, »richtige Drehbuchseiten« aber erst frühmorgens, auf dem Weg an die Havel, zu lesen bekam. Mich störte am meisten an ihr, daß sie nach Schweiß roch.

Und eines Morgens, so am fünften oder sechsten Tag, rief ich Hede Zentner in München an, die Frau meines alten Mentors Dr. Kurt Zentner vom Tagesspiegel, der zwischenzeitlich Chefredakteur der Münchner Illustrierten gewesen war, vor mir auch eine Zeitlang beim Stern und dann für den alten Burda in Offenburg drei Bildbände produziert hatte: Die ersten 50 Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts.

Celia, ein ausgewachsenes, süßes Mädchen von 18 Jahren

Den Zentners hielt ich die Treue, wir hatten uns nie aus den Augen verloren, sie waren meine Ersatzfamilie. »Was macht mein Liebling, die kleine Celia?« fragte ich ihre Mutter. »Kann sie morgen früh in Berlin sein und mein Scriptgirl spielen?«

Schon am Nachmittag traf ein ausgewachsenes, süßes Mädchen von 18 Jahren ein, das nicht nach Schweiß roch. Nun war ich nicht mehr der einzige Laie in meiner Filmtruppe.

Michael Schwabacher besuchte uns im Schilf der Pfaueninsel und sah noch ängstlicher aus. Er hatte für die Produktion des Films eine eigene Firma gegründet und ihr den Namen STUN-Film gegeben. Was sollte das heißen?

»Na«, sagte er unbehaglich, »eigentlich wollte ich sie NUTS-Company nennen, aber dann habe ich den Namen einfach umgedreht .« NUTS ist englisch und heißt nichts weiter als »verrückt«, auf jiddisch auch »meschugge«, STUN aber hieß gar nichts.

Eine sehr durchwachsene Mannschaft alter Filmhasen

Karchow hatte einen jungen Aufnahmeleiter gefunden, Joe Seil, der flink und unbekümmert war. Der hatte wenig Zeit, herumzustehen und zu debattieren.

Auch mein Regieassistent Bob Ausböck, ein kräftiger Bayer, scherte sich wenig um die Tatsache, daß er für einen Regisseur tätig war, der noch nie einen Film gedreht hatte. Er stapfte geduldig hinter mir her durch den Morast des Schilfwaldes und bemühte sich, die Balance zu halten, ein Trinker.

In München war er gewohnt, zwei Flaschen Augustinerbräu vor dem Frühstück zu trinken, doch das Berliner Bier ist viel alkoholhaltiger und setzte ihm solange zu, bis er hinter den Unterschied kam - und dann hatte er sich an sein Schultheiß gewöhnt, ein Totalausfall.

Marian Babiuch, der Maskenbildner, hatte wenig zu tun bei all den Laiendarstellern, die ich ihm anschleppte, ein Profi, der sich zurückhielt und, wenn es sein mußte, auch den beiden Beleuchtern und Bühnenarbeitern, die Karchow bei Brauners CCC-Film ausgeliehen hatte, unter die Arme griff.

Dann gab es da noch den Standfotografen Hermann Molkenbuhr, ebenfalls ein Stiller, mit dem ich mich über seinen Großvater, einen berühmten alten Sozialdemokraten, unterhalten konnte. »Molke« verschwand im Laufe der langen Drehzeit ein bißchen in der Versenkung, denn im Parkhotel hatte ich den Life-Fotografen Sandford H. Roth kennengelernt, einer der Großen seiner Zunft, der seinen Auftrag Berlin unter dem Chruschtschow-Ultimatum schießen ließ und sich dafür dem Mikrokosmos einer kleinen Filmproduktion zum Thema Berlin anschloß und die fabelhaftesten Bilder von uns machte.

Seine Mitwirkung hob die Stimmung des kleinen Stabes mehr als die Doppelseite, die gleich nach Beginn unserer Dreharbeiten in der BZ erschienen war.
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Knartsch mit dem Kameramann Günter Haase

Nach wenigen Tagen schon kam es - was mir in der Erinnerung jetzt unausbleiblich erscheint - zu den ersten Spannungen mit Günter Haase, dem Kameramann. Ich wußte genau, was ich wollte, und dirigierte ihn nach jeder Einstellung so schnell zum Ort der nächsten, ohne das übliche Nachdenken und Konsultieren des Kameramannes, daß sich Frust bei ihm einstellte.

»So, und jetzt zu der Biegung hier am Waldrand, die Fahrradszene - mir nach!« Und schon ergriffen alle ihren Kram und stürmten dem Regisseur hinterher, bis auf Haase und seinen Assistenten Gerhard Bonin. »Hör zu!« rief Günter. »Ich habe achtzehn Jahre UFA hinter mir, ich versteh' was von dem Geschäft - die nächste Einstellung drehen wir von da drüben!« Ich mußte ihm lautstark klarmachen, wer bei diesem Film das Sagen hätte und daß er sich seine UFA irgendwohin stecken könnte.

Ich gebe zu, daß ich in meinem Enthusiasmus die Psychologie gröblich vernachlässigte, ich hätte ihm mindestens erklären sollen, warum ich die nächste Szene so und nicht anders drehen wollte. Die täglichen Spannungen eskalierten um den dreißigsten Drehtag herum schließlich in Handgreiflichkeiten.
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Dann kam die Revolution des Teams

»Nein!« rief Haase. »Die Kamera wird da drüben eingegraben! Ich gehe sonst über den Goldenen Schnitt! Ich habe immer noch einen Ruf zu verlieren!«

Die Sache mit dem Goldenen Schnitt, die verlangt, daß jede Einstellung nur von einer Seite der Bildachse gedreht werden darf, war mir nicht nur geläufig, ich kannte auch die Ausnahmen von der Regel. Was mein Kameramann jedoch schon gar nicht zulassen zu können glaubte.

Als ich ihn einfach ignorierte, sogar seinen Assistenten in die Aufforderung »Alles hört auf mein Kommando« einschloß, rief Günter Haase zur Rebellion auf: »Wir sind schließlich alle Profis - wollt ihr euch von dem Verrückten blamieren lassen?«

Ich hatte ihm für diesen Fall Prügel angedroht, obwohl der Kerl zwei Köpfe größer und einen Meter breiter war als ich, und er hatte für diesen Fall - »unter Zeugen!« - wissen lassen, daß er sich »sofort hinlegen und auf einer Bahre ins Krankenhaus tragen lassen« wollte, und wegen Körperverletzung anzeigen würde er mich außerdem: »Da kannst du Gift drauf nehmen!«

Als es dann soweit war, ich meine Brille abnahm und mich auf die Zehenspitzen stellte, um sein Kinn zu treffen, vergaß er vor Überraschung, sich hinzulegen.
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Sein Assistent Gerhard Bonin blieb bei uns

Auf diese Weise verließ uns Günter Haase also, und das tat dem Film natürlich nicht gut, denn weitere vierzig Drehtage standen uns noch bevor. Zum Glück war ihm sein Assistent Gerhard Bonin nicht gefolgt, so daß wenigstens einer da war, der den Rohfilm in die Kassetten einlegen und die Schärfe ziehen konnte.

Mit der richtigen Belichtung hatte Bonin so seine Probleme, und ich übrigens auch, denn die Belichtung eines Fotos ist etwas anderes als die eines Bildes, das sich bewegt.

Hauptsache aber, der Unruhestifter war weg, und ich konnte mich endlich selbst hinter die Arriflex klemmen, während der Assistent die Schärfe zog. Als ehemaliger Fotograf hielt ich mich natürlich auch für den geborenen Filmkameramann und war glücklich, meine Inszenierung nun durch den Kamerasucher verfolgen zu können - selbst übelwollende Kritiker lobten nach der Premiere die »ausgezeichnete Fotografie« des Films.
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Mein Erstlingswerk hatte mehrere Schwächen

Freilich blieb das Problem mit der richtigen Belichtung, das ich leichtsinnig auf die einfachste Art und Weise löste, nämlich mit drei verschiedenen Blenden pro Einstellung - in den fertigen Film kam dadurch nicht das beste Spiel meiner Akteure, sondern die beste Belichtung. Jedem Filmregisseur muß schlecht werden, wenn er das hört, aber so ist das nun mal mit den Erstlingswerken.

Der beste Mann im Team wurde, meine geliebte kleine Celia

Der beste Mann im Team wurde, innerhalb von Stunden, meine geliebte kleine Celia, die einfach ein talentiertes Mädchen war, das die Tätigkeit eines Scriptgirls im Handumdrehen lernte.

Ein Scriptgirl führt Buch - Drehbuch -, indem es die einzelnen Einstellungen (in unserem Fall mehr als 700) überwacht, abhakt und über jede Änderung des Textes Protokoll führt, was für die Arbeit später im Schneideraum unerläßlich ist.

Wie sonst soll die Cutterin aus 700 Einzelteilchen den Ablauf der Handlung chronologisch zusammenkleben? Wie soll sie aus einem Drehbuch klug werden, das während der Aufnahmen ständig geändert wird?

Das Scriptgirl kontrolliert z.B. auch den Filmverbrauch, notiert die Meterlänge jeder Einstellung und kann so erkennen, ob ein und dieselbe Szene einmal langsamer, einmal schneller gespielt und gesprochen wurde.

Und sie hält fest, welche Wiederholung der Regisseur schließlich »kopiert« haben will, denn die 30.000 Meter Rohfilm, die eine Produktion durchschnittlich verschlingt, werden nach der Belichtung zwar alle entwickelt, aber natürlich nicht alle zur Vorführung und Bearbeitung im Schneideraum vom Negativ auf Positiv kopiert.

Der fertig geschnittene durchschnittliche Film von anderthalb Stunden Länge besteht am Ende also nur noch aus zehn Prozent des tatsächlich aufgenommenen Materials.

Am Schluß jeden Drehtages - der Tätigkeitsbericht

Am Schluß jeden Drehtages, wenn alle nach Hause gegangen sind, sitzt das Scriptgirl noch immer im Produktionsbüro und bringt anhand ihrer Notizen den Tätigkeitsbericht des Tages zu Papier, den der Produzent gierig liest, denn er enthält unter »besondere Vorkommnisse« auch die Gründe für kostspielige Verspätungen, etwa: »Regisseur schlägt um 14.35 Uhr den Kameramann nieder, Verzögerung: eine Stunde«.

Da ich mein eigener Herr war, konnte ich mir diese Lektüre ersparen.

Celia erledigte das alles, manchmal bis zum Bauch im Havelwasser stehend, mit Geschick und Präzision, übernahm stillschweigend auch noch Aufgaben des Regieassistenten und sorgte privat dafür, daß ich etwas zu essen bekam, genügend Schlaf fand und morgens rechtzeitig geweckt wurde.

Sie war es auch, die mich ständig an Dieter Bochow erinnern mußte, den ich aus München hatte einfliegen lassen, auf der gleichen Etage im Parkhotel einquartierte, und der nun Tag für Tag darauf wartete, mit mir über die nächste »Deutschland deine Stimmchen«-Folge für den Stern zu reden. Celia wurde mir unentbehrlich, die Süße, das ganze Team war in sie verliebt.
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Unser Team wuchs weiter an - dank unserem Scriptgirl

Und das war wohl auch Peter W. Schünemann, ein Sohn der Bremer Verlegerfamilie, der im Gefolge Celias auf der Pfaueninsel erschien und seinerseits wieder einen Freund, den Filmjournalisten Joe Hembus aus München, mitbrachte, dem dann auch noch der Hamburger Fotograf Werner Bockelberg folgte.

Alle wurden von mir sofort als Statisten eingesetzt, »Bockel« mimte einen schießwütigen Vopo, auch »Schüne« stand die erdbraune Uniform gut, und Joe spielte sogar einen spitzbärtigen West-Berliner Badegast im Strandbad Wannsee, der einen über die Havel geschwommenen, gefährlich aussehenden schwarzen Schäferhund als »Kommunistenhund!« identifiziert.

Nach ein paar Tagen verschwanden sie alle wieder und neue Freunde und Freunde von Freunden tauchten auf - nur Schünemann blieb und bekundete sein starkes Interesse am Film mit mehreren Darlehen,
wenn das Geld mal knapp wurde.

Erst am Ende der Dreharbeiten, als er immer noch bei uns herumhing, fiel mir auf, daß sein eigentliches Interesse meinem Scriptgirl galt. Die 80.000 Mark, die er der Produktion so nach und nach geliehen hatte, habe ich noch jahrelang abbezahlt.
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Erich ist für mich der Prototyp des guten Filmarbeiters

Der beste Mann unter den Männern war Erich Hanczick, Requisiteur und Kulissenschieber, eine kleine, kompakte, um nicht zu sagen vierschrötige Gestalt mit Stiernacken und kugelrunder Spiegelglatze (»das ist eine«, sagte er, »in der du dich rasieren kannst«).

Dieser Erich ist für mich der Prototyp des guten Filmarbeiters geworden, ein Mann voll Engagement, flinkem Verstand und granitener Zuverlässigkeit, der einzige, der während eines Bombenangriffs auf den Dachboden rennt und Brandbomben löscht, wenn alle anderen zitternd im Keller sitzenbleiben.

Auf die Filmerei übertragen hieß das: Erich roch kommende Schwierigkeiten und beseitigte sie, ohne auf Anweisungen zu warten. Erich rammte falsche Autobahnschilder, wie wir sie vor Eisenach brauchten, eigenhändig in die Erde, als die Bundesautobahnverwaltung sich zuviel Zeit ließ.

Erich terrorisierte hinter meinem Rücken den armen Christian Doermer, als er merkte, daß der nicht gehorchen, sondern vor jeder Einstellung mit mir diskutieren wollte. Erich war der letzte, der abends ging, und der erste, der morgens kam.

Als mein Opel Kapitän vor dem Parkhotel geklaut wurde - ein Dienstwagen des Stern, soweit hatte ich es inzwischen gebracht -, war Erich der einzige, der nicht die Nerven verlor.
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Erich Hanczick zur Polizei : die kommen nicht weit

»Der ist in irgendeiner Straße abgestellt, den haben sich dumme Jungens für eine Spritztour geholt!« erzählte er der Polizei. »Was macht Sie so sicher?« wollte die Polizei wissen.

»Weil ich unsere Requisiten - lauter Vopo-Uniformen und russische Maschinenpistolen - in den Kofferraum des Chefs gepackt habe«, meinte Erich. »Mit dem Auto kommt kein Dieb über die Sektorengrenze!«

Und genau so war's, eine Stunde später fand die Polizei den Opel Kapitän am Kaiserdamm vorschriftsmäßig geparkt, aus dem Kofferraum fehlte nichts. Das Phänomen Erich Hanczick habe ich, in wechselnder Gestalt, übrigens bei jedem meiner fünf Spielfilme erlebt, zuletzt in Hollywood. Ohne solche begeisterungsfähigen Kerle würde nie ein Film zu Ende gedreht werden.
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Ralf Gregan ein unscheinbarer Bursche mit beginnender Glatze

Auch Ralf Gregan war so einer, ein unscheinbarer Bursche mit beginnender Glatze, verheiratet mit einer Freundin meiner Frau, die ihn mir aufgeschwatzt hatte. Ralf machte sich ganz selbstlos nützlich, packte überall mit an und spielte sogar einen Streckenwärter der ostzonalen Reichsbahn, ein Glanzlicht des Films.

Als ich ihn mir später für Playgirl und Sperrbezirk als Regieassistent holte - und wiederum kleine Rollen spielen ließ -, hatte er seine darstellerische Ursprünglichkeit freilich verloren. Er machte beim Fernsehen Karriere und wurde Dieter Hallervordens Lieblingsregisseur.
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