Sie sind hier : Startseite →  Film-Historie 1→  Artur Brauner - Mein Leben→  Artur Brauner Biografie 1976-06

Artur Brauner's Biografie aus 1976

Artur Brauner's Traum war schon in jungen Jahren, Filmschauspieler zu werden oder einmal selbst Filme zu "machen" - und dieser Traum war so ähnlich wie bei dem Kollegen Will Tremper. Beide waren unter anderem ihre Ideengeber und ihre Produzenten. Beide hatten einen sehr unterschiedlichen Erfolg. Brauner war der taktische Kopf seiner CCC und hatte auch ein Händchen fürs Geld. Will Tremper hatte die fantastischen genialen Ideen und war darum fast immer kurz vor der Pleite. Beide hatten ihre Ideale und Prinzipien, die sie in ihren Filmen vermitteln und darstellen wollten und konnten und beide entdeckten hier bei uns in Deutschland West viele junge Talente. - Die einführende Seite steht hier.

.

Es war vor vielen Jahren im »Cavalieri Hilton« in Rom

Es war vor vielen Jahren im »Cavalieri Hilton« in Rom, als ich Elsa Maxwell traf. Die Maxwell - Gott hab' sie selig! - war eine jener Klatschtanten, wie sie nur Amerikas Filmwelt hervorbringen konnte. Ihre Kolumnen, die sich vornehmlich mit dem Privatleben der Stars befaßten, erschienen in Hunderten von Zeitungen der USA.

Wie eine Königin verteilte sie Lob und Tadel unter ihr Volk. Wer gelobt wurde, fiel die Treppe herauf. Wen sie tadelte, der mußte in sich gehen. Tat er es nicht, schwieg sie ihn tot. So lange, bis er wirklich tot war. Mit Elsa war nicht gut Kirschen essen. Die Stars wußten das und hofierten Miß Maxwell, wo sie nur konnten.

»Gibt's was Neues, Mr. Brauner?« fragte sie mich mißmutig. Sie langweilte sich. Es war Juli, die Stadt heiß wie ein Dampfkessel und Cinecittä, die römische Filmmetropole, lag wie ausgestorben.

»Das einzig Neue, was es am Tiber gibt, bin ich«, sagte ich bescheiden. »Das heißt, ich habe gerade Mario Lanza engagiert. Für einen neuen Film.« In Elsas schwarzen Knopfaugen glomm Interesse auf. »Erzählen Sie, Artur.«
.

Ich habe gerade Mario Lanza engagiert

»Es gibt noch nicht viel zu erzählen«, sagte ich und dachte an die ungeheuerlichen Szenen, die ich gerade in der ehemaligen Villa des Marschalls Badoglio erlebt hatte, wo Lanza wohnte. Das wäre ein gefundenes Fressen für die Maxwell gewesen. Aber kein Wort habe ich ihr davon erzählt.

Miß Maxwell nahm die Olive aus ihrem Martini, spuckte den Kern in den Aschenbecher und meinte: »Ich starte gerade eine Umfrage bei allen großen Produzenten und Regisseuren. >Nennen Sie mir den aufregendsten Film, den Sie je gemacht haben?< lautet meine Frage.

Bei Billy Wilder war es der Film mit der Monroe >Manche mögen's heiß<, weil sie da schon anfing, stundenlang zu spät zu kommen. Und Henry Koster hat sich am meisten über >Mein Mann Gottfried< aufgeregt. Weil euer O.W.Fischer ihm dabei immer wieder erklären wollte, wie man einen Film macht. Was haben Sie mir zu bieten?« »
.

Ich habe Ihnen >Morituri< zu bieten.

Ich habe Ihnen >Morituri< zu bieten. Das ist ein Film, den ich 1948 in Berlin gedreht habe.«

»Morituri«, sagte sie enttäuscht. »Nie davon gehört.« Ich erzählte es ihr trotzdem, und als ich fertig war, ging die Sonne hinter dem Monte Mario auf, und auf Elsa Maxwells Aschenbecher lagen siebenundvierzig Zigarettenstummel und dreizehn Olivenkerne.

In »Morituri« wollte ich das auf die Leinwand bringen, was ich selbst erlebt hatte. Mit diesem Film wollte ich an das Gewissen der Welt appellieren. Aber man ließ mich nicht. Die Alliierten, von denen ich bisher angenommen hatte, daß ihr Krieg auch ein Krieg war für die Unterdrückten, für die Ewig-Geschundenen, für die »Kleinen Leute« aller Nationen und Rassen, die immer alles ausbaden mußten, was ihnen die Großen eingebrockt hatten, die Alliierten schienen andere Sorgen zu haben.

Sie waren so stark mit ihren Berliner vier Sektoren beschäftigt, mit all den Querelen, Zuständigkeiten, Oberhoheiten, Einflußbereichen, daß ihnen mein Film völlig wurscht war. Ich drehte ihn trotzdem. Weil ich spürte, daß ich ihn einfach drehen mußte.
.

Es war 1948 in Berlin

Es gibt im Leben Situationen, in denen man weiß: das mußt du tun, obwohl es absolut wider jede Vernunft ist, aber wenn du es nicht tust, wirst du es dein Leben lang bereuen.

Unvernünftig, absolut idiotisch war mein Plan schon deshalb, weil ich dunkel ahnte, daß ich mit diesem Film kaum Geld verdienen würde.

Zuerst war die Frage zu klären: Wo drehe ich den Film? Wo fand ich einen Wald, der so aussah wie die polnischen Wälder meiner Erinnerung? Ich zwängte mich in meinen Topolino und fuhr los.

Mit von der Partie war meine Belegschaft. Ich hatte inzwischen eine eigene Filmfirma, »Central Cinema Company« hieß sie, und ich war sehr stolz auf die Abkürzung CCC.
.

Mein kleiner Fiat - das »rollende Kommißbrot«

Meine Belegschaft hatte gerade eben Platz in einem Wagen, den man wegen seiner Kompaktheit das »rollende Kommißbrot« nannte. Sie bestand aus Dr. Herlitz, dem ehemaligen Syndikus der Ufa, aus der
Buchhalterin Wernicke und der Sekretärin Inge Laeppche. Alle drei sind heute noch bei mir. Was sehr für ihre Betriebstreue spricht, aber vielleicht auch ein ganz klein wenig für ihren Chef.

Mit 45 Stundenkilometern brausten wir los. Nach tagelangem Suchen entdeckten wir einen Wald in der Nähe des Ortes Schildow. Als Motiv ideal, leider lag er in der sowjetischen Zone. Also rasselte ich mit meinem Kommißbrot nach Karlshorst, dem Hauptquartier der sowjetischen Besatzungsmacht in Deutschland, und bat um die Erlaubnis, in meinem Wald, das heißt in ihrem Wald, filmen zu dürfen. Na, die Russen waren sehr freundlich. So freundlich, daß sie »ja« sagten.

Und »nein« sagten sie auch. Was bekanntlich ein »jein« ergibt. Oder eine jener bereits sprichwörtlich gewordenen Antworten vom Typus »Radio Eriwan«: »Im Prinzip können Sie in unserem Wäldchen drehen. Aber wer traut sich das schon.«
.

Ein Geschenk - eine Kiste allerbesten Wodkas »Stolnitschnaja«

Ich traute mich. Wenn ich in Karlshorst auch keine direkte Zusage erhalten hatte, eines hatte ich bekommen: eine Kiste allerbesten Wodkas von der Marke »Stolnitschnaja«. Nebbich?

O nein, das »Wässerchen«, wie Wodka auf deutsch heißt, sollte sich noch als ausgesprochen filmfördernd erweisen. So uneinig sich nämlich die vier Besatzer waren, in einem Punkt waren sie einer Meinung: Stolnitschnaja schmeckte ihnen, schmeckte besonders ihren Posten an den jeweiligen Übergängen.

Es gab ja so viel zu schmuggeln für uns. Verpflegung zum Beispiel. 150 Mitglieder stark war meine Crew. Sie kamen aus allen vier Sektoren, und ihre Lebensmittelkarten galten nur dort. Das hieß beispielsweise, im britischen Sektor einzukaufen, und die Butter, das Brot, den Käse, die Wurst ins sowjetische Schildow zu schmuggeln. Was am besten ging, wenn den Posten die Augen trüb wurden. Vor lauter »Wässerchen«.

Bald brauchten auch meine Schauspieler das Wässerchen. Über all den Verzögerungen, Vorbereitungen, Pannen, war der Winter hereingebrochen. Ein Teil unseres Filmes aber spielte im Sommer. Wir mußten Sommerszenen im Winter drehen.
.

Das Thermometer zeigte auf minus 17 Grad

Da gab es eine Sequenz zwischen Winnie Markus und Carl-Heinz Schroth. Winnie trug ein dünnes Fähnchen aus Kattun, Schroth ein Hemd und eine Hose, das Thermometer zeigte auf minus 17 Grad. Himmel, wie oft haben wir diese Szene wiederholen müssen! Kein Publikum der Welt würde es uns abkaufen, daß zwei Menschen im Hochsommer derartig vor sich hin zitterten.

»W . . ., w . . ., wie w . . ., war es?« fragte die Winnie zitternd unseren Regisseur Eugen York.
»Nicht übel«, meinte York, »nur, weißt du, ihr dürft nicht so stark atmen. Das gibt weiße Wölkchen. Also noch mal und weniger atmen.«

Schroth sagte schlicht: »Seh . . ., Seh . . ., Schei . . ., Schei-ße.« Und vor seinem Mund bildete sich ein weißes Wölkchen. Es kam der Moment, da auch ich Wodka brauchte, obwohl ich ja sonst keinen Alkohol trinke.
.

Dann kam die Währungsreform

Nach dem strengen Winter 1947/48 überraschte uns die Währungsreform. Die meisten Deutschen erinnern sich an diesen Tag mit Freude. War es doch der Beginn unseres Wohlstandes. Für mich war der »Tag X« eine Katastrophe.

Das für die Finanzierung von »Morituri« bereitgestellte Kapital schmolz auf ein Zehntel seines Wertes zusammen. Meine Mark war nur noch einen Groschen wert. Die Kosten aber verringerten sich nicht auf ein Zehntel. Sie blieben ungefähr gleich.

Ich fuhr nach Hause in die Fürst-Pückler-Straße Numero 18, amerikanischer Sektor, und spielte mit dem Gedanken, mich zu erschießen. Als ich meine Wohnung betrat, kam mir Maria, die beste Ehefrau der Welt, mit einem Glas Wodka entgegen. »Trink«, sagte sie, »du kannst es brauchen.« - Ich brauchte es.
.

Die Amerikaner - eine MP-Streife - waren in meinem Büro

Mein Arbeitszimmer sah aus, als hätten die Vandalen darin gehaust. Es waren aber nicht die Vandalen, sondern die Amerikaner. Eine MP-Streife hatte im Auftrag der Film-Sektion mein Telefon beschlagnahmt, die Leitung aus der Wand gerissen und die Tapete von der Wand.

Kalkbrocken lagen herum, Mörtel, der Teppich war verschmutzt. »Warum?« fragte ich völlig fassungslos. - »Weil du keine Lizenz hast. Haben sie gesagt. Und wenn du keine Lizenz hast, darfst du auch kein Büro haben. Und wenn du kein Büro hast, darfst du auch nicht telefonieren. Zumindest nicht in ihrem Sektor.«

Eine halbe Stunde später stand ich in einem anderen Hauptquartier. Diesmal war es das amerikanische. Ich ließ mir den zuständigen US-Filmoffizier geben und sagte ihm die Meinung. Das heißt, ich versuchte es. Mein Deutsch war noch nicht so gut. Dafür sprach ich kaum Englisch.

Verstanden hat er mich trotzdem. Monate später, als die Filmleute des Headquarters sich »Morituri« hatten vorführen lassen, bekam ich einen Anruf von Mr. Eric Pommer, dem US-Filmbeauftragten für die amerikanisch besetzte Zone.

Eric Pommer war einst ein großer Mann gewesen bei der alten deutschen Ufa. Er hatte den weltberühmten Stummfilm »Das Kabinett des Dr. Caligari« produziert, den »Dr. Mabuse«, die »Nibelungen«, »Metropolis«, den legendären »Blauen Engel«, und das Traumpaar Lilian Harvey/Willy Fritsch verdankte ihm seine Existenz.

Pommer sagte: »Herr Brauner, ich habe eben Ihren Film gesehen. Respekt! Ich fürchte, wir waren Ihnen gegenüber nicht ganz fair. Aber das läßt sich ja wiedergutmachen. Wenn Sie es wünschen, erteilen wir Ihnen noch heute eine Lizenz.«

Ich holte tief Luft und sagte fest: »Ich wünsche es nicht!« Das war bestimmt ein Fehler, aber es gibt Fehler im Leben, an die entsinnt man sich noch Jahre später mit stiller Wonne.
.

Ohne Strom geht gar nichts - und es gab keinen Strom

Am anderen Morgen war ich wieder draußen auf dem Gelände. »Alles in Ordnung?« fragte ich meinen Produktionsleiter Hans Lehmann.
»Wenn man von dem kleinen Umstand absieht, daß wir keinen Saft mehr haben, dann ist alles in Ordnung«, sagte Lehmann trocken. »Saft« bedeutete »Strom«.

Den hatten wir bisher von einem benzinbetriebenen Generator bezogen. Der Generator hatte sein Leben ausgehaucht. Ohne Strom läuft keine Kamera, flammt kein Scheinwerfer auf, kann man keinen Film drehen. Ich ließ mir eine Karte geben und sagte: »Hier liegt Prenzlau, da liegt Eberswalde, zwei große Städte. Die haben doch Strom. Lassen wir uns eben ein Kabel ziehen.«

»Eine glänzende Idee«, sagte Lehmann. »Wenn man von dem kleinen Umstand absieht, daß die selber noch nicht mal so viel haben, um ihre Rathäuser zu beleuchten.« Dieselbe Auskunft bekam ich in Prenzlaus und Eberswaldes unbeleuchteten Rathäusern. Ich bat die beiden Bürgermeister händeringend, mir doch wenigstens ein klein bißchen abzugeben von ihrem Strom.

Ich bekam zur Antwort, daß sie momentan andere Sorgen hätten, als irgendwelchen verrückten Filmfritzen bei ihrer sinnlosen Tätigkeit zu helfen. Womit sie, denkt man an die Not der Jahre 1947/48, sogar recht hatten.
»Geben Sie's auf«, riet mir einer der Bürgermeister, »warten Sie bessere Zeiten ab.«
.

Bessere Zeiten. Wann würden die kommen?

Sollte ich bis dahin die Hände in den Schoß legen wie Großväterchen im Lehnstuhl? Das konnte ich nicht. Ich hatte eine Mission. Ich wollte doch nicht irgendein belangloses Filmchen drehen. Es sollte etwas werden, was die Menschheit aufrüttelte.

Ich fuhr also wieder nach Karlshorst und nach Ost-Berlin, und das Ergebnis war, daß man mir eine kilometerlange Hochspannungsleitung ä 100.000 Volt zog. In Prenzlau allerdings und in Eberswalde gingen die Lichter aus. Zumindest nachts.

Das war für die Prenzlauer und die Eberswalder kein Vergnügen, und ich habe noch heute ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke. Aber damals brannte etwas in mir, was die Italiener "il sacro egoismo" nennen, den heiligen Egoismus.

Meinen Mitarbeitern ging es ähnlich. Sie nahmen die härtesten Strapazen auf sich, und letztlich war es ihrem bergeversetzenden Idealismus zu verdanken, wenn »Morituri« jemals fertig wurde.
.

Und jetzt gings los, die Szene des Ausbruchversuchs

Es kam der Tag, an dem die Wachen des Konzentrationslagers auf die Häftlinge schossen, die einen verzweifelten Ausbruchversuch unternahmen. So jedenfalls wollte es unser Drehbuch. Wir aber hatten nichts zum Schießen. Von der Schreckschußpistole über das Luftgewehr bis zur ältesten Donnerbüchse hatten die Alliierten in Deutschland alles beschlagnahmt.

Hier aber genügte ein kurzes Gespräch mit Ost-Berlin, und schon hatte ich zwei Dutzend Rotarmisten als Komparsen. Daß sie sich zu diesem Zweck SS-Uniformen anziehen mußten, störte sie nicht sonderlich.

Wir drehen also die Szene. Eugen York gibt seine Anweisungen. Die Häftlinge reißen Planken aus dem Barackenfußboden, legen sie über den elektrisch geladenen Zaun, hangeln sich hinüber. Alarmglocken
klingeln. Drehbuchgemäß besetzen die SS-Russen die Wachtürme und beginnen zu feuern. Der mörderische Klang der Schnellfeuergewehre zerreißt die Luft. Unglaublich echt klingt es. Großartig, diese Komparsen, muß ich denken.

Im nächsten Moment ertönt ein grelles Schreien. »Aufhören, aufhören! Nicht schießen!« Ich sehe, wie sich unser Kameramann Werner Krien auf den Boden wirft, sehe die angstverzerrten Gesichter von Hilde Körber, Josef Sieber, Klaus Kinski.

Was ist los mit diesem vermaledeiten Film? "Sie schiessen"

Was ist los, Gott der Gerechte, was ist nun schon wieder los mit diesem verfluchten, vermaledeiten Film? Ich renne hinüber zu der Kamera, die längst nicht mehr läuft. Krien zerrt mich zu Boden. Sie schießen immer noch.

Plötzlich höre ich das nervenzerfetzende Winseln, das ein Geschoß verursacht, wenn es den Luftwiderstand bricht, und ich höre das Jaulen der Querschläger.

»Die schießen scharf«, brüllt mir Eugen York ins Ohr. Sein Finger weist auf die Kamera. Oberhalb des Drehkranzes klaffen zwei Einschüsse. Das Feuer wird schwächer, hört schließlich ganz auf.

Wir gehen mit weichen Knien zu unseren Russen hinüber. Aus den Mündungen ihrer Gewehre wölkt Rauch. »Carascho?« fragt mich der Major, der sie befehligt. »War guttt?«
.

Und ? »War guttt ?«

»Sehr gut«, antworte ich mit letzter Kraft, und der Regisseur fragt: »Keine Platzpatronen, warum du keine?«

»Nix Platzpatronen«, sagt der Major und ist direkt beleidigt: »Schießen scharf, sind Scharfschützen, sibirische. Bumm, bumm.« Er hebt seine Automatik und schießt eine Salve in die Luft, daß uns die Strümpfe zittern.

»Herr Major«, sage ich, »wir müssen die Szene noch einmal drehen. Unsere Schauspieler haben sich zu sehr erschreckt.« Erschreckt, was für ein lächerlicher Ausdruck für eine Ungeheuerlichkeit. »Und bitte, Herr Major«, fleht Kameramann Krien, »schießen Sie etwas mehr daneben.«

»Wie sehr daneben?« fragt der Major, »halbes Meter, ganzes Meter, wie du wünschen?«

Wir wünschen uns zwei Meter, und der Major sagt wieder: »Carascho!« Also das Ganze noch einmal. »Ruhe, bitte! Achtung, Aufnahme! Klappe. Ton ab, Kamera läuft. Morituri 3 zum zweitenmal.«

Und wieder gibts Ärger, die Russen kommen mit Panzern

Aber auch die dritte Sequenz ist dazu bestimmt, UB (unbrauchbar) zu werden. Ein sowjetischer Schützenpanzer biegt mit rasselnden Ketten auf die Waldlichtung. Ein zweiter, ein dritter folgt. Überall wimmelt es von den erdbraunen Uniformen der Rotarmisten. Wir sind buchstäblich umzingelt.

Ein Oberst kommt über die Lichtung gestiefelt und fängt an zu brüllen. Wer wagt es, hier Krieg zu führen ohne seine Erlaubnis? Und in seinem Befehlsbereich? Er ist der Standortkommandant von Prenzlau, und wenn jemand schießen darf, dann sind es seine Truppen und sonst keine.

Dieser Film im Film wäre der eigentliche Film gewesen

Unser Major von den sibirischen Scharfschützen baut sich vor ihm auf und beginnt: »Genosse Oberst, ich ...«

Dem Oberst fällt der massige Unterkiefer auf die Brust. Vor ihm steht ein SS-Offizier und spricht Russisch. Der Major hat vergessen, daß er eine SS-Uniform trägt. Er versucht zu erklären. Der Oberst brüllt ihn nieder. Dann brüllt auch der Major.

Die Szene wird zum Tribunal, zur Komödie, zur Klamotte. Und wenn ich heute daran zurückdenke, dann sage ich mir: Dieser Film im Film wäre der eigentliche Film gewesen und bestimmt ein großer Erfolg.
.

»Morituri« war kein Erfolg - leider - man wollte ihn nicht sehen

»Morituri« nämlich war keiner. Das Publikum wollte ihn nicht sehen. Die Zeit war, wie man in solchen Fällen zu sagen pflegt, noch nicht reif dafür.

Das heißt: niemand hatte Lust, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die einen nicht, weil sie kein blütenreines Gewissen hatten. Die anderen nicht, weil sie froh waren, diese Vergangenheit endlich hinter sich zu haben.

Und nun kam einer und fraß das Gras, das gerade anfing darüber zu wachsen, wieder runter. Nee, also wissen Se, nee, meinten nicht nur die Berliner.

Ich hatte sogar Schwierigkeiten, ein Uraufführungskino zu finden. In der Ostzone durften die Kinobesitzer nicht, weil die Defa meinen Film nicht mochte. In West-Berlin wollten die Kinobesitzer nicht, weil sie um ihre Kasse fürchteten. Ich mußte nach Hamburg ausweichen, wo »Morituri« schließlich am 24. September 1948 herauskam. Er brachte mir ausgezeichnete Kritiken, ein paar Dutzend Drohbriefe wegen »Nestbeschmutzung« und einen Haufen Schulden.

Es wurde mein Lehrgeld - fünf lange Jahre lang

Was die Kasse betraf, so hat es selten einen dickeren Flop, einen größeren Versager gegeben. - Gekostet hat »Morituri« anderthalb Millionen Reichsmark und, da uns die Währungsreform überrollt hatte, noch einmal 250.000 DM. Eingespielt hat er (Anmerkung : damals 1948) knapp 60.000 DM.

An meinen Schulden zahlte ich fünf lange, bittere Jahre. Ich habe es trotzdem nie bereut, diesen Film gemacht zu haben. Gelernt allerdings habe ich - leider, leider -, daß ein Kino in erster Linie eine Stätte der Unterhaltung sein sollte und keine Stätte der Vergangenheitsbewältigung.

Kommen wir zu Mario Lanza

Aber als Filmproduzent hört man nie auf zu lernen. Eine meiner Lektionen erteilte mir Mario Lanza.

Mario Lanza, über den die amerikanische Filmjournalistin Hedda Hopper schrieb: »Seine Stimme war sein Glück und sein Untergang, eine Gnade und ein Fluch zugleich. Er stieg zu Erfolg und Ruhm empor wie eine Rakete, um als ausgebrannte Hülse auf die Erde zurückzufallen und sich in Dunkelheit zu verlieren. Für die kurze Zeit, in der er als leuchtender Stern am Himmel stand, erweckte er die alten Tage des Wahnsinns, des traumhaften Glanzes, der Verworfenheit, der Herrlichkeit wieder zu einem unvorstellbaren Leben ...«

Was den Wahnsinn und die Verworfenheit betrifft, so habe ich tatsächlich einiges erlebt mit Mario Lanza. Doch darüber später!
.

Es ist schwül und feucht - und ich kann nicht schreiben

Schwül ist es heute, schwül und feucht - ein Wetter, das aufs Gemüt drückt. Ich öffne die Fenster noch weiter. Es zieht. Ich schließe sie wieder. Ich ersticke. Ich schmeiße das Jackett beiseite, lockere die Krawatte, ziehe sie wieder fest. Ich merke, daß ich das alles nur tue, um mich vor dem Schreiben zu drücken.

Ein Kalauer geht mir durch den Sinn, hakt sich fest in meinem Gehirn: »Sie hätten Architekt werden sollen.« - »Warum?« - »Weil Ihnen nichts einfällt.«

Maria, die beste Ehefrau der Welt, kommt herein, schaut mich an, schaut die Schreibmaschine an, wirft einen prüfenden Blick auf das noch jungfräuliche Papier, meint: »Schiller, habe ich mir sagen lassen, soll immer an faulen Äpfeln geschnuppert haben, damit ihm was einfiel.«

»Bin ich Schiller?« frage ich mißgelaunt.

»Weiß Gott nicht«, sagt sie und überläßt mich meinem Schicksal.
.

Auf dieser Fensterbank liegen 4.650.324 DM

Ich starre ein Loch in die Luft. Und noch eins. Und ein drittes. Dann starre ich auf die Fensterbank, und schon rege ich mich auf! Auf dieser Fensterbank liegen 4.650.324 DM. In Worten: viermillionen-sechshundertfünfzigtausenddreihundertvierundzwanzig Mark!!!

Nicht in bar. Nein, aber so gut wie in bar. Das heißt: in Form von Drehbüchern. Nach einem Drehbuch wird, wie Sie wissen, ein Film gedreht. Es enthält die Personen, die Schauplätze, den Handlungsablauf. Jedes einzelne der dort liegenden Bücher habe ich bar bezahlt - und aus keinem einzigen ist je ein Film geworden.

Vierkommasechsfünnefnulldreizwovier Milliönchen in den Schornstein geschrieben, so was kann nicht nur einen Filmproduzenten aufregen. Ich stehe auf, fahre mit den Händen über den Stapel der Manuskripte, greife dieses und jenes heraus, blättere darin herum. Beim Blättern habe ich das Gefühl, als sei jede Seite ein verfallener Hundertmarkschein.
.

Einer der geplanten Filme »So ist mein Mann«

Da ist das Drehbuch zu dem einstmals geplanten Film »So ist mein Mann«. Eine herrliche Komödie, bestimmt für zwei herrliche Schauspieler: für Caterina Valente und Peter Alexander. Autoren sind zwei hochbezahlte amerikanische Fachleute: Ladislas Fodor und Ben Hecht. Sie kassierten für ihre Arbeit 300.000 DM.

Mischa Spoliansky, der die Musik komponierte, schlug mit 50.000 DM zu Buch. Die Kalkulation ergab, daß der Film 3 Millionen DM kosten würde. Allein die Valente und der Alexander verlangten zusammen fast eine halbe Million als Gage! Der Verleih bot mir eine Garantie von 500.000 DM. Damit war das Projekt gestorben.

Für den »Rest« von zweieinhalb Millionen konnte ich meinen Buckel nicht hinhalten.

Und gleich nochmal 250.000 DM Verlust.

Ein zweites Beispiel von der Fensterbank: Lee Thompson, der Regisseur des Welterfolgs »Die Kanonen von Navarone«, hatte für mich »Das Gold von Troja« geschrieben.

Das ist die abenteuerliche Geschichte des einstigen Kaufmannslehrlings Heinrich Schliemann, der die Schätze eines versunkenen Königreichs fand. Die Ufa hatte den Verleih übernommen. Die (sehr teuren) Dekorationen waren draußen auf dem Spandauer CCC-Gelände bereits zur Hälfte fertig.

Als Darsteller waren O. W. Fischer und Lilli Palmer durch einen Vorvertrag engagiert. Plötzlich bekam die Ufa kalte Füße und trat vom Vertrag zurück. Ich strengte einen Prozeß an. Es kam zu einem Vergleich. Die Ufa wurde verdonnert, mir 200.000 DM für die geleistete Arbeit zu zahlen. 450.000 DM aber hatte ich bereits investiert. Verlust: 250000 DM.
.

Das Projekt »Dr. Wohlgemut«

Es ist grausam, wenn man in den Manuskripten auf meiner Fensterbank herumkramt. 96.000 DM für Projekt »Dr. Wohlgemut«. (Das ist der Berliner Frauenarzt, der in der John-Affäre eine Rolle gespielt hat.) Überweisung an Curd Jürgens für »Peer Gynt«: 30.000 DM. »Der Zauberberg«, Drehbuchfassung des berühmten Romans von Thomas Mann: 225.000 DM. Und so schrecklich weiter.

Überschrift: Filme, die nie gedreht wurden.

Ich weiß, es gilt in manchen Kreisen als unfein, andauernd über Geld zu sprechen. Aber ein Filmproduzent hat eben sehr viel mit Geld zu tun. Außerdem ist er auch nur ein Mensch und hat das Recht, einmal sein Herz auszuschütten. Noch dazu, wenn der durchschnittliche Kinogänger überhaupt nichts von dem weiß, was er wirklich tut.

Dieser Durchschnittsbesucher wird mich jetzt vielleicht fragen: »Warum schmeißen Sie denn auch mit dem Geld so rum, wenn noch gar nichts unter Dach und Fach ist?«

Darauf kann ich nur antworten: »Ich muß schmeißen. Denn wenn ich nicht schmeiße, beißt erst gar keiner an.« Ich muß mir ein Drehbuch schreiben lassen, manchmal sogar noch die Musik, muß klären, welcher Star welche Rolle spielt, wer Regie führt, wer hinter der Kamera sitzt, wer die Bauten und die Kostüme macht.

Ich muß mir einfach solch ein »Paket« zusammenstellen. Mit diesem Paket gehe ich dann zu einem Verleiher. Das ist derjenige, der die Filme später in die Kinos bringt, der sie verleiht.

In meinem Falle war es oft eine Verleiherin: Ilse Kubaschewski von der »Gloria«. Die Ilse ist eine alte Freundin von mir. Aber nur privat. Wenn es ums Geschäft ging, haben wir unsere Freundschaft immer zurückgestellt, sozusagen eingefroren. Anschließend wurde sie dann wieder aufgetaut (die Freundschaft). Das ging immer gut, obwohl wir nicht selten völlig verschiedener Meinung waren.

Frau Kubaschewski pflegte mein Projekt zu prüfen und ließ anschließend von ihren Herren darüber nachdenken.

»Ja, das machen wir«, sagte sie dann. Oder sie sagte: »Das machen wir nicht, Artur. Da müssen wir zubuttern, und vom Zubuttern kann man nicht existieren.«
.

Es geht immer um eine finanzielle Garantie des Verleihers

Ein solches »Nein« bedeutet in der Praxis: der Produzent bekommt kein Geld. Will sagen, der Verleiher weigert sich, ihm eine finanzielle Garantie zu geben (die im allgemeinen zwischen 60 und 80 Prozent der Herstellungskosten liegt, beziehungsweise lag).

Jetzt kann sich der Produzent natürlich sagen: »Na, dann nicht, finanziere ich meinen Film eben allein.« Auf diese Weise kann er eine ganze Menge Geld gewinnen. Oder eine ganze Menge verlieren. Das letztere ist das übliche.
.

Der Bierdeckelvertrag - Ilse Kubaschewski und ich ....

Apropos die Ilse. Angefangen hatte unsere Zusammenarbeit im Jahre 1953 mit einem Bierdeckel. Wir hatten vier Stunden in der Bar des Kempinski miteinander gerungen. Als wir uns einig waren und das Projekt schriftlich fixieren wollten, fehlte uns Papier.

»Nehmen wir das da«, sagte ich und schnappte mir einen Bierfilz vom Nebentisch. Auf der einen Seite stand »Trink Berliner Kindl«. Auf die andere Seite schrieben wir: »CCC-Film Artur Brauner produziert für den Gloria-Verleih >Die Privatsekretärin<. Hauptdarsteller: Sonja Ziemann, Rudolf Prack, Paul Hörbiger. Geschätzte Kosten: 1,4 Millionen DM. Verleihgarantie: 70 Prozent.« Folgten beide Unterschriften.

Es war der teuerste Bierfilz aller Zeiten, und ich glaube, daß ein solches Vertragspapier in der Geschichte des Films ein Unikum darstellt. Ich habe den Millionendeckel später eigenhändig in einen Rahmen gefaßt und ihn an die Wand meines Arbeitszimmers gehängt. Als Beispiel dafür, daß es völlig egal ist, worauf ein Vertrag festgehalten wird. Ob auf Bütten oder auf Klopapier. Hauptsache, er wird gehalten.
.

Eine bittere Lehre - man kann nicht immer gewinnen

Wir beide jedenfalls haben ihn gehalten, Ilse Kubaschewski und ich. Und die nächsten fünfundvierzig Verträge auch. So viele Filme haben wir im Laufe der Jahre zusammen produziert. Mit fünfunddreißig davon erzielten wir einen Gewinn.

Sie sehen, ein Filmproduzent verliert nicht nur immer Geld, gelegentlich verdient er auch was. Wobei mir ein herrlicher Witz einfällt.

»Sie sehen mies aus«, sagt der alte Goldstein zu seinem Geschäftsfreund Pratschkauer, der in Textilien macht.
»Isses e Wunder«, antwortet Pratschkauer düster, »kleine Umsätze, große Kosten. Kein Tag vergeht, an dem ich nicht Tausende einbüße.«

»Wenn Se jeden Tag einbüßen, dann machen Se doch Ihren Laden zu.« Pratschkauer empört: »Und von was soll ich leben?«
.

Und jetzt zurück zu Mario Lanza

Doch noch einmal zurück zu meiner »Millionenbank«. Unter den einhundertvierzehn nie verwirklichten Drehbüchern ist eines, das den Titel »Granada« trägt. Granada war damals ein bekannter Schlager, der die Hit-Listen der Plattenjockeys monatelang anführte und bis heute ein Evergreen geblieben ist. Mit »Granada« sollte Mario Lanza sein großes Comeback feiern.

Lanza war ein Tenor von unglaublicher Stimmkraft. Experten stellen ihn neben Enrico Caruso und Benjamino Gigli. Caruso war es, an dessen Genie er sich entzündete.

Alfred Arnold Cocozza, wie Lanza eigentlich hieß, war im Italienerviertel von Philadelphia, USA, aufgewachsen. Jeden Cent, den er grapschen konnte, legte er in Caruso-Platten an. Carusos Arie »Wie sich die Bilder gleichen« aus »Tosca« spielte er siebenundzwanzigmal nacheinander, um seine Stimme dem großen Vorbild anzupassen. Gesangsunterricht in Form einer richtigen Ausbildung hat er eigentlich nie gehabt.
.

Mario Lanza spielt bei MGM den Caruso - sehr erfolgreich

Caruso war es dann, wenn auch nur mittelbar, der Mario Lanza zu Weltruhm verhalf. Er spielte die Titelrolle in dem Film »Der große Caruso«. Nach einem Jahr hatte Metro-Goldwyn-Mayer daran 19 Millionen verdient.

Lanza selber hatte zwar nur die vergleichsweise lächerliche Gage von 100.000 Dollar erhalten, kam aber durch seine Schallplatten auf eine runde Million pro Jahr. Die Produzenten flehten ihn an, Schallplattenbosse umschwärmten ihn wie die Motten, sein Publikum geriet bei jedem Auftreten in einen nie gekannten Taumel, Frauen verließen ihre Männer und reisten ihm nach von Stadt zu Stadt.

Die Welt lag ihm zu Füßen, er aber zerstörte seine Stimme, seine Persönlichkeit und schließlich sich selbst.
.

Aber dann : Er trank und fraß sich buchstäblich zu Tode.

Welche gigantischen Anstrengungen er immer wieder unternahm, um seinen Dämon zu bekämpfen, das hat etwas Tragisches und spricht ihn frei von den Gesetzen bürgerlicher Moral. Als ich ihn in Rom aufsuchte, um mit ihm »Granada« zu besprechen, war sein Kurs an der Börse des Showgeschäfts auf den Nullpunkt gesunken.

Seine Schulden gingen ins Aschgraue. Die MGM hatte ihn auf 1.3500.000 Dollar Schadenersatz verklagt, weil er aus dem Film »Alt Heidelberg« (The Student prince) ohne ein Wort der Begründung ausgestiegen war. Seine Versuche, bei RCA Schallplattenaufnahmen zu machen, schlugen fehl, weil ihm die Stimme versagte.

Ein Engagement am »New Frontier Hotel« in Las Vegas für 50.000 Dollar die Woche endete, bevor es begonnen, mit einem Skandal: Lanza war zu betrunken, um auftreten zu können.

Nun saß er in Rom. Verfolgt von seinen Feinden, verlassen von seinen wenigen Freunden, verfemt, verstoßen. - »Und Sie, warum sind Sie hier?« fragte er mich voll tiefen Mißtrauens bei unserer ersten Besprechung im »Cavalieri Hilton«.
.

»Ich bin hier, weil ich an Sie glaube.«

»Trotz allem, was man sich über mich erzählt?« »Trotz allem.«
»Dazu kann ich Ihnen nur gratulieren, Signor Brauner«, sagte er und tat es so nachdrücklich, daß mir die Hand noch zwei Tage lang weh tat.

Er hatte die Kraft eines Stieres. »Ich bin bald wieder der Größte!« Er sprang auf und schmetterte »Graaaa-haaaa-naa-daa« in die Luft, daß die Touristen in der Hotelhalle aufgeregt zusammenliefen.

»So«, sagte er befriedigt, »und jetzt werden wir einen kleinen Happen zu uns nehmen.« Er bestellte eine Flasche Taittinger brut und eine Portion Kaviar. Der Ober kam mit einer Hundert-Gramm-Dose, und Lanza fragte ihn, ob er ihn für ein Vögelchen halte. Er habe von einer Portion gesprochen, und darunter verstehe er ein Kilo.

Die Kilodose kam, er nahm einen großen Silberlöffel und schaufelte die kleinen schwarzen Eier des Stör in sich hinein, als handle es sich um Griesbrei.
.

200.000 Dollar Gage

Er spülte mit einer zweiten Flasche Champagner nach und sagte beiläufig: »200.000 Dollar Gage hatten wir am Telefon vereinbart, Signor Brauner.«

»100.000 Dollar Gage plus Gewinnbeteiligung bis zu einer maximalen Höhe von 100.000«, korrigierte ich und beglückwünschte mich, daß ich bei dem Telefongespräch ein Tonband eingeschaltet hatte.

»Das ist ein Unterschied. Hier ist übrigens die Anzahlung.« Er schob den 50.000-Dollar-Scheck in seine Rocktasche wie einen alten Fahrschein und orderte noch ein Kilo Malossol mit einer weiteren Flasche Schampus.

Wir sprachen über die für ihn als Partnerin vorgesehene Caterina Valente, über die Lieder, die er mit ihr singen sollte, und über die Kostüme. Plötzlich stand er abrupt auf. »So, und jetzt kommen Sie mit zu mir. Meine Frau wartet mit dem Abendessen auf uns.«

»A-bend-es-sen?« fragte ich fassungslos nach einem Blick auf zwei leere Kilodosen Malossolkaviars.
»Ja«, sagte er, »von dem Zeug da kann kein Christenmensch satt werden.«
.

Ein Cadillac so groß wie ein Rundfahrtbus

Er durchquert die Hotelhalle, und seine handgenähten Kothurn-Stiefel, die er aus New York bezieht, knarren. Sie haben extra hohe Sohlen, um ihn etwas größer erscheinen zu lassen als seine 1,70 Meter.

Draußen steht ein Cadillac so groß wie ein Rundfahrtbus. Er ist
mit Tigerfell gepolstert, und das Armaturenbrett besteht aus 14karätigem Gold. Ich bewundere alles gebührend.

Er kramt im Handschuhfach herum, drückt mir etwas in die Hand. Es ist eine goldene Armbanduhr mit der Inschrift »In Liebe. Von Mario.« In seiner großen Zeit pflegte er sie unter seine Fans zu werfen wie ein Faschingsprinz die Karamelbonbons.
.

Wir sitzen im Boudoir seiner Villa.

Aus einem halben Dutzend Stereolautsprechern tönt Mario Lanza. Puccini, Verdi, Mascagni, Leon-cavallo, Rossini, ein Perlenkranz italienischer Meisterarien, phantastisch, hinreißend, dargeboten von dieser phänomenalen Stimme, das kann einem die Seele zerschmelzen.

Aber ich bin nicht hier wegen meiner Seele. Ich brülle: »Man kann nicht verhandeln, es ist zu laut!«

»Gefällt Ihnen meine Stimme nicht?« brüllt er zurück. Ich zucke hilflos mit den Achseln. Was für eine Frage. Wäre ich sonst hier? Er drückt auf einen Knopf. Die Lautsprecher schweigen.

Mario Lanza zersingt ein Weinglas

Er holt drei große Weingläser, sogenannte Prunkrömer, stellt sie auf den Kaminsims. »Jetzt will ich Ihnen mal zeigen, was diese Stimme alles kann.« Er konzentriert sich, atmet tief ein, er singt, singt mit Urgewalt, das hohe C steht strahlend im Raum, endlos, endlos, plötzlich geschieht etwas Geisterhaftes:

Die Weingläser beginnen zu knistern, zu knak-ken, sie zerspringen, die Scherben fallen auf den Boden. Ich starre ihn an wie hypnotisiert. »Das ist nichts«, sagt er wegwerfend, »überhaupt gar nichts. Fragen Sie mal Frank Sinatra. Dem habe ich einen ganzen Spiegel zersungen.«

Signora Betty Lanza bittet zu Tisch

Marmor ringsum, Kristallspiegel, Deckenfresken, Ölgemälde, Gobelins. Dieses Haus ist keine Villa, es ist ein Schloß. Zwei livrierte Diener tragen auf. Es gibt Anti-pasti auf Riesenschüsseln: gemischte Salate, Oliven, Pfefferschoten, gefüllte Paprika, Mortadella, Parmaschinken, eingelegte Aale, Schnecken, Froschschenkel, Scampi.

Die Livrierten stellen eine Waschschüssel mit Spaghetti auf den Tisch. Lanza schaufelt Fleischsauce drüber und Parmesankäse. Er schnappt sich ein paar von den Ravioli, trinkt einen schweren Brolio dazu. Lasagne, richtig, von der Lasagne hat er noch nicht gekostet. Ein vorwurfsvoller Blick zu Betty hinüber. »Momentino, bambino, caro mio, hier nimm noch von den Canneloni.«

Er nimmt von den Canneloni. Ein Steinbutt folgt, triefend von Öl. Da braucht man Weißbrot. Krachend zerbricht er eine der armlangen Stangen, taucht das Brot in die ölige Sauce.

»Essen Sie, Signor Brauner, essen Sie, Sie sind zu mager. Ein Produzent darf nicht mager sein. Wie will er Kredit kriegen, wenn er keinen Bauch hat.« Er lacht dröhnend, wischt sich den fetttriefenden Mund, Schweiß steht auf seiner Stirn, das Gesicht ist gerötet.

Mein Gott, kann dieser Mensch essen!

Er darf doch gar nicht. Ich hab's im Vertrag. »Signor Mario Lanza verpflichtet sich durch Unterschrift, bis zum Drehbeginn am 10. Oktober 1959 sein Körpergewicht von 120 Kilogramm auf maximal 100 Kilogramm zu senken«, steht im Vertrag.

Ich sage es ihm zwischen Vitello alla Milanese (in Butter gebackenem Kalbfleisch) und Saltimbocca alla Romana (mit Salbei gewürzten Scheiben von Schweine- und Kalbfleisch).

Er nimmt die Serviette ab, die er sich in zwei Zipfeln hinter dem Ohr zusammengebunden hat. »Wissen Sie, wieviel ich abnehmen mußte, als wir >Because you're mine< (Mein Herz singt nur für dich) machten? Einen halben Zentner.

Da bin ich zu Ginger Rogers raus nach Oregon, die hatte da ein Landgut, und ich habe von Tomaten gelebt und harten Eiern und jeden Morgen meine achthundert Meter Dauerlauf, und schwuppdiwupp war ich ihn los, den halben Zentner.«

Ich kannte all diese Geschichten. Und ich wußte auch, daß einer von MGM mit der Kleinkaliberbüchse auf dem Gartenzaun gesessen und dem Mario immer dann einen Warnschuß vor den Bug geknallt hatte, wenn er langsamer zu werden drohte. Bei seinem ersten Film »That midnight kiss« (Ein Kuß um Mitternacht) hatte man ihn jeden Morgen vor Drehbeginn gewogen wie einen Preisbullen. Sein Gewicht wurde von den MGM-Leuten notiert wie ein Börsenkurs. Sie waren in Hochstimmung, wenn es gefallen war, und völlig down, wenn es zu steigen begann.
.

Auf diesem Stuhl hat Mussolini gesessen

»Signor Brauner«, sagt er und wirft einen schmachtenden Blick auf seinen Panettone, einen Windbeutel mit Rosinen und eingemachten Früchten, »Signor Brauner, wissen Sie überhaupt, worauf Sie sitzen?«

»Auf einem Stuhl vermutlich«, sage ich und überzeuge mich, daß es tatsächlich ein ganz normaler Stuhl ist.

»Auf diesem Stuhl hat Mussolini gesessen, Benito Mussolini!« Er brüllt vor Lachen, schlägt sich auf die Schenkel und mir auf die Schulter. »Dieses Haus hier gehörte dem Marschall Badoglio, und der war ein enger Freund vom Duce.«

Ich rücke unbehaglich hin und her. Gegen Diktatoren habe ich nun mal was. Es hätte schlimmer kommen können, tröste ich mich, Hitler zum Beispiel, wenn der hier gesessen . . .
.

Die ersten Zweifel kommen auf

Mario Lanza ist schon wieder mal verschwunden. Er verschwindet immer häufiger. Wer so viel in sich hineingießt, denke ich, muß schließlich ..., nun ja, das eben muß er. Als ich mir ebenfalls »die Hände waschen« gehe, sehe ich ihn im Nebenzimmer vor einem Schrank stehen.

Er trinkt aus einer Riesenflasche Whisky. Ich kann sogar das Etikett lesen. »Old Granddad«, ein Bourbon, seine Lieblingsmarke.

Gegen Mitternacht ist Mario Lanza stockbetrunken. Er fängt an zu weinen, nennt mich »Arturo« und beginnt mir sein Herz auszuschütten.

Er beklagt sich bitter über Gott und die Welt. Auf dem Eßtisch liegen die Reste einer gigantischen Mahlzeit. Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich einen Menschen erlebt, der so viel vertilgen kann. Einen ganzen Delikatessenladen hat er verschlungen. Auf seinem Platz liegen unter anderem die abgenagten Knochen von sechsunddreißig Hühnerkeulen!

Ich erinnere ihn immer wieder daran, daß er mir gegenüber vertraglich verpflichtet ist, 20 Kilogramm abzunehmen. »Am 10. Oktober wollen wir ins Atelier. Bis dahin sind es noch acht Wochen. Wie wollen Sie das schaffen, Signor Lanza, wie, wie?« frage ich langsam verzweifelnd. Von dem Umfang seines Bauches hängt das Schicksal meines Films ab.
.

4 Filme hatten der MGM 40 Millionen Dollar eingebracht

Es ist zum Lachen, aber mir ist nicht danach. Er stammelt etwas wie »bagatello« und fährt fort, sich selbst zu bemitleiden. »Man hat mich immer nur ausgenutzt. Mein ganzes Leben lang. Besonders die Gangster von Metro-Goldwyn-Mayer. Produzenten. Leute wie du, Arturo, genau solche! Man sollte sie umbringen. Allesamt umbringen.« Er nimmt eine von den großen Silbergabeln und verbiegt sie mit seiner Urkraft zu einer Heftklammer.

Mario Lanza war tatsächlich für die MGM eine Goldgrube gewesen. Seine vier Filme hatten 40 Millionen Dollar gebracht. Und das war Kassenrekord! Als die großen Bosse ihn feuerten, weil er zu viel trank und zu wenig arbeitete, verklagten sie ihn.

Mario zeigt mir die Klageschrift und amüsiert sich dabei köstlich. Er sagt: »Außer den Dreizehneinhalb wollen sie noch zusätzlich 763.423,24 Dollar. Und nun überlege ich die ganze Zeit, wofür die 24 Cent sind.«

Er erzählt mir mit diebischem Vergnügen, wie er nach seiner Entlassung nachts durch Hollywood gebraust war, um seinen Feinden die Fenster einzuschmeißen, ihre Briefkästen zu demolieren, ihre Gartentore auszuhängen.
.

Mario Lanza - der Mensch

Irgendwann um ein Uhr früh klingelt das Telefon. Er nimmt den Hörer, lauscht hinein, hält die Sprechmuschel zu und sagt: »Das Spital. Da liegt ein Kind. Blutkrebs, hat nicht mehr lange zu leben. Die Kleine hat sich von mir ein Lied gewünscht. Marcellina heißt sie.«

Er erhebt sich und singt das Wiegenlied von Brahms in das Telefon. Er singt es auf deutsch. »Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt, schlupf unter die Deck. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. Guten Abend, gute Nacht, von Englein bewacht . . .«

Er singt es trotz seiner Trunkenheit mit unendlicher Zärtlichkeit. Das ist der andere Lanza. Der Mensch, der Kinder über alles liebt, der den Armen hilft, der ein treusorgender Vater ist.

Ich glaube, es ist gegen halb drei Uhr früh, als ich bemerke, daß ich allein bin. Ich bin einen Moment in meinem Sessel eingenickt. Ich durchquere die obere Halle. Die Tür zu einem der Räume steht sperrangelweit auf.

Ich sehe Mario Lanza lang ausgestreckt auf dem Boden liegen. Seine Frau liegt quer über dem Bett. Eine Schallplatte dreht sich auf dem Teller. Der Saphir ist an einer Stelle festgehakt. »Holde A-iii . . ., A-iii . . ., A-iii«, macht die Platte mit Marios Stimme.
.

Und es fing richtig positiv an

Mitte Oktober waren wir bereit, mit »Granada« ins Atelier zu gehen. Das Drehbuch von Ben Hecht war fix und fertig. Der Vertrag mit Caterina Valente war perfekt. Außer dem Titelsong hatte ich eine Reihe erstklassiger anderer Lieder gekauft.

Darunter »Malagueria«, »Andalusia«, zwei ausgesprochene Hits. Der gesamte Stab war engagiert. Von Mario hatte ich gute Nachrichten. »Ich schmeiße mit Pfund, lieber Arturo«, hatte er mir auf deutsch aus seiner Friß-die-Hälfte-Klinik geschrieben, in die er sich begeben hatte.

»Ich schmeißen und fresse nur Gräsern wie Kuh. Ich werden kommen wie eine Tanne zu dir. Schaffe ich es wie immer.«

Der KO-Schlag kam am 7. Oktober 1959

Am Abend des 7. Oktober 1959 wurde mir in meinem Spandauer CCC-Büro ein Telegramm ausgehändigt. Es stammte aus der in der Nähe von Rom gelegenen Klinik und enthielt nur einen Satz: »Mario Lanza verstorben.«

Als Todesursache wurde später »Venenentzündung« und »Blutgerinnsel in einem Herzkranzgefäß« angegeben. Der »Löwe«, wie er sich selbst genannt hatte, war nicht mehr. Diesmal hatte er es nicht geschafft.

Fünf Monate später folgte ihm seine Frau. Man nahm Selbstmord an. Betty Lanza, geborene Hicks aus Chikago, hatte ebenfalls in ihren letzten Jahren getrunken. So hatte sie ihrem Mann nicht mehr die Frau sein können, die er gebraucht hätte.
.

- Werbung Dezent -
Zur Startseite - © 2006 / 2025 - Deutsches Fernsehmuseum Filzbaden - Copyright by Dipl.-Ing. Gert Redlich - DSGVO - Privatsphäre - Redaktions-Telefon - zum Flohmarkt
Bitte einfach nur lächeln: Diese Seiten sind garantiert RDE / IPW zertifiziert und für Leser von 5 bis 108 Jahren freigegeben - Tag und Nacht, und kostenlos natürlich.