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Artur Brauner's Biografie aus 1976

Artur Brauner's Traum war schon in jungen Jahren, Filmschauspieler zu werden oder einmal selbst Filme zu "machen" - und dieser Traum war so ähnlich wie bei dem Kollegen Will Tremper. Beide waren unter anderem ihre Ideengeber und ihre Produzenten. Beide hatten einen sehr unterschiedlichen Erfolg. Brauner war der taktische Kopf seiner CCC und hatte auch ein Händchen fürs Geld. Will Tremper hatte die fantastischen genialen Ideen und war darum fast immer kurz vor der Pleite. Beide hatten ihre Ideale und Prinzipien, die sie in ihren Filmen vermitteln und darstellen wollten und konnten und beide entdeckten hier bei uns in Deutschland West viele junge Talente. - Die einführende Seite steht hier.

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Maria heißt sie, Maria Schell

Wenn ich daran denke, was ich manchmal alles tun mußte, um einen ganz bestimmten Schauspieler oder eine Schauspielerin für eine ganz bestimmte Rolle zu bekommen ... Eigentlich dürfte ich gar nicht daran denken. Es ist einfach zu aufregend. Selbst in der Erinnerung.

Da ist zum Beispiel jenes Mädchen, das immer so herrlich und so echt weinen konnte. Maria heißt sie, Maria Schell, und ich ertappe mich gelegentlich dabei, daß ich an sie denke. Wenn wir auch schon eine Ewigkeit nicht mehr zusammen gearbeitet haben.

Jedenfalls haben wir eine ganze Reihe von Filmen gemacht, an die ich mich mit Vergnügen erinnere. Darunter »Das Riesenrad«. Ein Film, bei dem es mir gelungen war, sie nach langen Jahren wieder zusammen mit O. W. Fischer vor die Kamera zu spannen.

Maria Schell - wie es zu dem Film »Die Ratten« kam

Es war eine gute Arbeit, aber der Film war nichts gegen »Die Ratten«. In den »Ratten« hatte Maria ihren größten Erfolg überhaupt. Der Film bekam beim Berliner Film-Festival 1955 die höchste Auszeichnung, die dort zu vergeben ist: den »Goldenen Bären«.

Das Publikum strömte in Scharen. Die Presse lobte und lobte und lobte. Er wurde ins Ausland verkauft. Man zeigte ihn in Paris, in New York, Hollywood, London, Rom. Die dortigen Kritiker rieben sich erstaunt die Augen und stellten halb widerwillig, halb respektvoll fest: »Die Deutschen sind wieder da!«

Also rundum nur Lorbeeren. Und ausgerechnet diesen Film hatte Maria Schell um alles in der Welt nicht machen wollen! Kann man das glauben? Man muß. Weil es wahr ist.

Ich bin damals fast zwanzigmal in ihrer Münchener Wohnung in der Pienzenauer Straße gewesen. Meist kam ich mit dem Auto gegen Abend bei ihr an. Wenn sie mir die Tür öffnete, pflegte sie bereits still vor sich hin zu seufzen. Wir haben dann meist bis ein, zwei Uhr nachts diskutiert, gestritten, uns Wortgefechte geliefert. Ich beschwor sie, flehte sie an, einmal habe ich sogar vor ihr auf dem Teppich gekniet.
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Maria, du mußt diesen Film machen

»Maria, du mußt diesen Film machen. Es ist eine große Rolle! Eine klassische Rolle! Eine wichtige Rolle! Du versündigst dich, wenn du sie ablehnst. Du trittst deine Karriere mit Füßen. Noch im Grabe wirst du es bereuen.«

Ich kam mir manchmal vor wie ein Liebhaber von Anno dazumal, der um das Jawort seiner Angebeteten ringt. Und irgendwie war es ja auch so.

Meine Angebetete aber blieb hart wie Granit und verschlossen wie eine Auster. Sie war damals groß im Geschäft und konnte es sich leisten, einen armen Produzenten zappeln zu lassen. »Du willst, daß ich Selbstmord verübe«, pflegte sie zu sagen.

»Es kommt nämlich einem Selbstmord gleich, wenn ich - ausgerechnet ich! - eine häßliche, ungeschlachte Person spiele. Eine, die kaum Deutsch kann, die einen Bauch vor sich herträgt. Nein, lieber Artur, so was spiele ich nicht. Nie, nie werde ich so was meinem Publikum zumuten.«

»Deine häßliche, ungeschlachte Person ist eine Figur der Weltliteratur. Ich muß dir nicht sagen, daß Gerhart Hauptmann sie geschaffen hat und auch nicht, daß sie für jede Bühnenschauspielerin ein Fressen war, die Traumrolle überhaupt. Oder was meinst du, warum die Höflich sie gespielt hat, die Dorsch, die Wessely, die Gold?«

»Zugegeben, Artur, aber ...« So ging das endlos weiter. Das Schlimme an der Geschichte war, daß Maria so unrecht nicht hatte. Ihr Publikum kannte sie als die strahlende, seelenvolle, innigliche Maria Schell.

In Filmen wie »Es kommt ein Tag« (mit Dieter Borsche), »Dr. Holl« (wieder mit Borsche), »Der träumende Mund«, »Bis wir uns wiedersehen«, »Tagebuch einer Verliebten« (alle mit O.W.Fischer).
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Das Risiko mit dem konservativen Kinopublikum um 1950

Jetzt sollte sie auf einmal das Gegenteil dessen spielen, was sie bisher verkörpert hatte. Das war schon ein Risiko! Das Kinopublikum ist sehr konservativ. Es will seine Lieblinge nur in den Rollen sehen, die sie immer gespielt haben.

Hans Albers mußte stets der sieghafte Draufgänger sein, einer, der das Leben unter dem Motto »Hoppla, jetzt komm ich!« meisterte. Wenn er mal was anderes spielte, einen Gescheiterten zum Beispiel, wie in dem Zirkusfilm »Fahrendes Volk«, dann hagelte es waschkorbweise Proteste. Aus demselben Grund durfte Grethe Weiser nur komisch sein und Ferdinand Marian nur mies, und wehe, wenn es Hans Moser gewagt hätte, einmal nicht zu nuscheln ...
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Vom Efolg eine Schablone aufgezwungen bekommen

Viele Schauspieler haben unter dieser Schablone, die ihnen der Erfolg aufgezwungen hatte, sehr gelitten. Von Eddie Constantine weiß ich, daß er seinen Superdetektiv Lemmy Caution haßte, als sei er die leibhaftige Pest, und ihn mehrmals in einem Film sterben lassen wollte. Aber das Publikum war dagegen und die Produzenten auch.

Maria Schell also sollte auf meinen Wunsch hin das tun, was andere Schauspieler nicht tun durften. Und doch war ich hundertprozentig überzeugt, daß ihr Publikum sie auch in dieser Rolle feiern würde.
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Die Story von »Die Ratten«

Was geschieht eigentlich in den »Ratten«? Da ist das Mädchen Pauline, das ein uneheliches Kind unter dem Herzen trägt, das dieses Kind der Schande loswerden will und es schließlich einer Frau John überläßt, die keine Kinder kriegen kann.

Dieser Frau John gelingt es, das Kind durch einen Trick als ihr eigenes auszugeben, aber Paulines Muttertrieb erwacht: sie kommt und fordert das Baby zurück. Frau John weigert sich, stiftet schließlich ihren Bruder Bruno, ein verkommenes Subjekt, zum Mord an Pauline an. Doch die Wahrheit kommt an den Tag, und als man der Frau John das Kind wieder wegnehmen will, stürzt sie sich aus dem Fenster.

Das ist nun wirklich keine schöne Geschichte, und als ich »Die Ratten« auf der Bühne des Berliner Schloßparktheaters zum erstenmal sah, da fröstelte ich vor der Erbarmungslosigkeit des Schicksals, das hier ablief.

Ein großer Erfolg war es beim Publikum, aber die Leute, die ins Theater gehen, sind andere Leute als die Kinogänger. Dachte ich. Damit schien der Fall für mich erledigt.
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Meine Frau öffnte mir die Augen

In der Pause sah ich, daß meine Maria, die beste Ehefrau der Welt, Tränen in den Augen hatte. »Was heulst du ?«

Ich guckte sie verwundert an. »Frag nicht so blöd«, antwortete sie verlegen und schniefte. Ich schaute mich um. Auch andere Zuschauerinnen hatten ihre Taschentücher in der Hand. Ich wunderte mich noch mehr.

Auf der Heimfahrt sagte Maria zu mir: »Das ist ungeheuerlich, daß ihr so was nicht begreift, ihr Männer. Da ist eine Frau, die ein Kind kriegt und es nicht haben darf, und da ist die andere, die keine Kinder kriegt und welche haben will. Und nun dieser Konflikt zwischen den beiden: die geprellte Mutterliebe und die gepumpte Mutterliebe. Das ist etwas so Erschütterndes ..., aber wie soll ich dir das klarmachen, dir als Mann.«
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60.000 DM für die Verfilmungsrechte von »Die Ratten«

Am nächsten Tag kaufte ich die Verfilmungsrechte der Berliner Tragikomödie in 5 Akten »Die Ratten« von Gerhart Hauptmann. Preis: 60.000 DM. Was damals, als die D-Mark noch Goldes wert war, eine Menge Geld bedeutete.

Ich ließ mir von Jochen Huth ein Drehbuch schreiben. Als Regisseur holte ich mir Robert Siodmak, einen bei der einstigen Ufa hochgelobten Mann, der dann nach Amerika ausgewandert war. Mit dem fertigen Buch ging ich zu Heidemarie Hatheyer (Anmerkung : Die Ehefrau von Curt Riess), die die Frau John spielen sollte. Sie griff sofort zu, die Heide.

Gustav Knuth war ebenfalls bereit. Curd Jürgens rief mich noch in derselben Nacht an und sagte: »Das ist zwar eine obermiese Type, die ich da spielen soll, lieber Artur, aber sei's drum, ist mal was anderes als die ewigen Supermänner. Ich mach's, für jede Gage mach' ich's.«
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Meine lieben, guten Schauspieler - alle vom »Stamme Nimm«

Das nahm ich ihm natürlich nicht ab, denn sie sind ja alle vom »Stamme Nimm«, meine lieben, guten Schauspieler, und halten es für eine Ehrensache, den Produzenten zu schröpfen, wo und wie sie nur können und ..., aber das ist ein weites Feld, jedenfalls hatte ich Jürgens.

Nur die Schell Maria, die wollte immer noch nicht, und der Herr Hächler, den sie später heiraten sollte, wollte auch nicht. Eines Tages hatte ich sie aber dann doch soweit. Ich war ihr irgendwohin nachgereist, sie arbeitete ja damals viel im Ausland, in Frankreich, England, Amerika, ich glaube, es war in der Halle des Pariser Ritz, in der ich sie traf.
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Endlich - in Paris habe ich Maria Schell getroffen

Sie sagte: »Artur, du weißt gar nicht, wie gern ich dich sehe. Und trotzdem: wie werde ich dich wieder los?«

»Du wirst mich auf der Stelle los, wenn du mir dein Ja-Wort gibst«, sagte ich. Ich fügte halblaut hinzu: »Was hältst du von 33 1/3 Prozent?«

Sie schaute mich sekundenlang an, sagte seufzend: »Also gut: ich spiele die Pauline.« Einer so hohen Beteiligung am Einspielergebnis war sie nicht gewachsen. Ich fiel ihr um den Hals.

Im Grunde wußte ich natürlich, wie sehr sie meine »Nachstellungen« genossen hatte. Niemand ist so trunken vor Glück wie eine Filmschauspielerin, die sich von einem Produzenten umworben sieht.
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Voller Triumph fuhr ich zurück nach Deutschland

Das ist das gleiche wie bei einem jungen Mädchen, das ein junger Mann verführen will. Irgendwann erliegt sie seinem Werben doch. Kann sie gar nichts dagegen machen. Beharrliche Liebe erzeugt irgendwann immer Gegenliebe.

Voller Triumph fuhr ich nach Deutschland zurück und überlegte mir, welchem Verleiher ich die Ehre geben sollte, sich bei meinem Film finanziell zu beteiligen. Schließlich hatte ich etwas aufzuweisen: ein Drama der Weltliteratur, einen erstklassigen Drehbuchautor, einen international bekannten Regisseur, zwei Topstars vom Range eines Jürgens und einer Schell.

Der Film würde inklusive einer englischen Fassung rund zwei Millionen kosten. Eine Garantie von einer Million wäre das Mindeste, was ich anzunehmen bereit war.

Siebzehn (17 !) Verleiher schüttelten den Kopf .....

»Eine Million?« Beim Herzog-Filmverleih, damals dem größten Verleih in Deutschland, sah man mich an, als rede ich irre. »Eine Million für einen Film, der aus jedem Meter nach Sauerkohl riecht? Der in einem miesen, schäbigen Kleine-Leute-Milieu spielt?

Krüppel, Säufer, Halbverrückte, Hinterhof Ackerstraße, kein Happy-End, und dafür wollen Sie 'ne Million? Aber, lieber, guter Herr Brauner, wir kennen Sie als einen cleveren Geschäftsmann, der seinen Kram versteht, was ist denn bloß in Sie gefahren?«

Mein Verhandlungspartner stand auf. Er gab mir die Hand. Im Spiegel sah ich, wie er mir kopfschüttelnd nachblickte. Auch bei den anderen siebzehn (!) Verleihen schüttelte man mit dem Kopf. Teils bedauernd, teils mitleidig, teils verärgert.

»Allein schon dieser Titel«, sagte mir einer der Herren. »>Der Kampf der Mütter< oder >Das verkaufte Baby<, so was ließe ich mir noch gefallen, aber >Die Ratten<, du lieber Himmel, was glauben Sie, wer da reingeht? Die Vereinigung deutscher Kammerjäger vielleicht.« Er lachte über etwas, was er für einen guten Witz hielt.
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  • Anmerkung : Hier ein gedanklicher Abstecher zu dem lesenswerten Buch von Will Tremper und seinen mehr oder weniger bösartigen Fortsetzungs-Serien über diese Machenschaften von neunmalklugen Produzenten und arroganten Verleihern und die Gespräche aus den Hiniterzimmern, die er inkognito für ein Boulevard Blatt schrieb, was aber irgenwie raus kam. Tremper beschrieb in seinen Geschichten die Personen so genau und treffsicher, sodaß jederman aus der Branche sofort wußte, wer da gemeint war und daß sie darum alle zusammen den Verlag verklagten. Ob sie damit Erfolg hatten, suche ich noch

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Ich lachte nicht.

Völlig deprimiert kehrte ich nach Berlin zurück und legte mich ins Bett. Vergeblich alle Mühen. Ohne eine Verleihgarantie konnte ich diesen Film nicht machen.

Dann bekam ich einen Brief von Margarete Marschalk, der Witwe des Dichters Gerhart Hauptmann. Sie schrieb mir, daß sie das Drehbuch zu den »Ratten« gelesen habe. »Nach der Lektüre darf ich Ihnen sagen, daß mein Mann damit gewiß einverstanden gewesen wäre. Deshalb möchte ich Ihnen von Herzen alles Gute wünschen für Ihre Arbeit ...«

Und Maria Schell rief an und fragte, wann denn nun der Film ins Atelier gehe. Und Jürgens drängte mich. Und Knuth meldete sich. Hatte ich das Recht, sie alle zu enttäuschen, nachdem ich ihnen mein Projekt angepriesen hatte wie Sauerbier?

Also - dann auf eigene Rechnung ohne einen Verleih

Ich entschloß mich, den Film zu machen. Auf eigene Rechnung und Gefahr. Der Herzog-Filmverleih war über so viel Kühnheit derart erschrocken, daß er mir rasch doch noch ein paar Mark bewilligte (die zurückzuzahlen waren, falls der Film das Geld nicht einspielte!).
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Ein voller Erfolg und volle Häuser

Als die »Ratten« dann überall im Land volle Häuser brachten, saß ich nach einer Städtepremiere mit einem jener Verleihchefs zusammen, die mich zum Teufel gewünscht hatten.

»Na ja, Glück gehabt«, sagte er verdrossen, »wir hätten es ja gern gemacht, wenn nicht ..., aber lassen wir das. Daß das ein Wahnsinn war, was Sie da gewagt haben, das wissen Sie hoffentlich.« »Das weiß ich.« - »Wenn Sie auf die Nase gefallen wären, hätte es doch den Herrn Brauner nicht mehr gegeben. Eine Zwei-Millionen-Pleite hätten Sie nicht verkraftet. Stimmt's?«

»Stimmt«, sagte ich. Ich setzte hinzu: »Und ehrlich gesagt: recht wäre mir geschehen. Ein Filmproduzent, der sich so wenig auf seine Nase verlassen kann, hat seinen Beruf verfehlt.«
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Was sagte die Schell?

Sie strahlte mich an mit ihrem Sternenlächeln und meinte in völligem Ernst: »Hab' ich dir nicht immer gesagt, daß es genau die richtige Rolle für mich ist, lieber Artur?«

Da die »Ratten« so gut gelungen waren, schlug ich Frau Schell vor, die Hauptrolle in »Vor Rehen wird gewarnt« zu übernehmen. Als Vorlage diente der gleichnamige Roman von Vicki Baum, der das Leben einer Frau von siebzehn bis siebzig schildert. Für jede Schauspielerin ein Zuckerlecken, diese Rolle, sie bot alle Möglichkeiten, sich zu verwandeln, sich zu entwickeln, immer wieder neue Ausdrucksmittel anzuwenden.

Sie war auch sofort einverstanden, stellte allerdings eine Bedingung: »Der Horst muß die Regie kriegen.« Ich bekam einen Schreck, Horst Hächler, ihr Mann, hatte noch keine eigene Regieerfahrung. Er war bisher lediglich Regieassistent gewesen. Unter anderem bei Helmut Käutners »Epilog«. Nun muß natürlich jeder einmal anfangen, aber doch nicht gleich bei einem so teuren Film: 2,5 Millionen sollte er kosten. So viel Geld vertraut man einem Anfänger nicht gern an. Ich gab das zu bedenken.

Das bisher unentdeckt gebliebene Genie

»Der Horst macht das schon«, sagte Frau Hächler. »Er ist riesig begabt, ein phantastisches Talent, sagenhaft, was er kann und ...« Sie schilderte noch eine Weile die Vorzüge des bisher unentdeckt gebliebenen Genies. Ich dachte, na, ist das möglich, gibt es das, dann fielen mir die Schuppen von den Augen. Das Mariele befand sich in einem Zustand, den der berühmte Psychiater C. G. Jung einmal als »einen Zustand partieller Umnachtung unter Ausschluß des Werturteils« bezeichnet hat.

Mit anderen Worten: sie war verliebt, verknallt bis über beide Ohren. Da half nichts. Ich mußte in den sauren Hächler beißen. Falls Sie mir den kühnen Vergleich einmal gestatten.

Der Ärger begann noch vor dem ersten Drehtag.

Herr Hächler beschied nach Lektüre des Drehbuchs, daß seine Gattin zwar eine Siebzehnjährige, aber keine Siebzigjährige spielen könne. Bei etwa Vierzig müsse der Spaß aufhören. Oder allenfalls bei Fünfundvierzig. Er sei ja nicht kleinlich.

Damit aber war der Sinn der ganzen Story zerstört, der ja darin lag, daß sie eine Entwicklung aufzeigte, den Weg einer Frau durch alle Stationen des Lebens. Zermürbende Diskussionen waren die Folge. Endlose Besprechungen. Der Drehbeginn verschob sich immer mehr, und da die Bauten standen, die Termine fixiert waren, der Stab engagiert, kostete jede Gesprächsminute mit dem Ehepaar Hächler bares Geld.

Ich gab deshalb nach und schluckte die Kröte.

Das war ein Fehler, den ich bereuen sollte. Zwar hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits eine knappe halbe Million investiert, und die hätte ich in den Kamin schreiben können, aber die Verluste, die der Film einspielte, waren genauso groß. Außerdem hatte ich mit meinem »Jawort« gegen mein besseres Wissen verstoßen, ja eigentlich gegen mein Gewissen.

Und das sollte man nie tun. Von dem Ärger abgesehen, den ich mir einhandelte und der während der gesamten Drehzeit nicht abbrach. Hächler war nicht unbegabt. Es gab Szenen, die wirklich gut waren. Aber sie blieben Ausnahmen.

Ihm fehlte vor allem der Blick für das Ganze. Er verrannte sich in Details, ließ völlig unwichtige Einstellungen sechs-, siebenmal kopieren. Wagte ich einen Einwand, so drohte er mir, alles seiner Maria zu petzen. Womit er Erfolg hatte. Denn Frau Hächler fand alles göttlich, was Herr Hächler machte.

Zuguterletzt gelang es ihnen auch noch, den herrlichen Titel »Vor Rehen wird gewarnt« in den nichtssagenden Titel »Liebe« zu verwandeln.

Doch noch einmal zurück zu Gustav Fröhlich.

Wo da der Zusammenhang ist? Einfach darin, daß es auch mit ihm Ärger gab. Als wir damals vor unserer Haustür am Dahlemer Ilsensteinweg hielten, waren wir so erschöpft, daß wir eine Viertelstunde, ohne ein Wort zu sprechen, im Auto sitzen blieben.

Schließlich erschien meine Frau, pochte gegen die Scheibe und rief: »Lebt ihr noch?« Wir wußten es selbst nicht so genau. Fröhlich hievte sich brettsteif aus dem Wagen, wankte auf Maria zu und sagte mit erloschener Stimme: »Ein B . . ., B . . ., Bad. Bitte, bitte, ein Bad.«

Er bekam sein Bad. Wir tranken von dem Wodka, den mir der russische Kommandant zum Abschied in die Manteltasche geschoben hatte. Wir tauten, in des Wortes wahrer Bedeutung, auf. Noch am selben Tag machten wir einen vorläufigen Vertrag. Gustav war mit allem einverstanden. Auch mit der Gage.

Nachdenklich wurde er nur, als er den Passus las: »Wegen der am Tage herrschenden Stromsperren wird fast ausschließlich nachts gearbeitet.« Fröhlich meinte, er sei kein Nachtmensch und pflegte beim Dunkelwerden dorthin zu gehen, wohin der Mensch gehöre, nämlich ins Bett, ich sollte mich also nicht wundern, wenn er vor der Kamera dauernd gähnen müsse. Schließlich seufzte er aber doch: »Na schön.«

»In vier Wochen denn also«, sagte ich zum Abschied. »Ich werde Sie dann von München wieder abholen, Gustav.«
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Die Erinnerung an alle Einzelheiten unserer Höllenreise

Er wurde leichenblaß, starrte mich an. Im selben Moment wurde mir klar, was für einen Fehler ich gemacht hatte. Logisch, daß in diesem Moment alle Einzelheiten unserer Höllenreise noch einmal vor seinem inneren Auge abliefen: die grausige Kälte, die sowjetischen Grenzer, das endlose Warten, der Kommandant, die Reifenpanne, das Schleudern- Rutschen- Schliddern auf der verwehten Straße.

Fröhlich ging. Und kam nie wieder. Wenigstens nicht zu mir. Auch später hat sich keine Zusammenarbeit mehr ergeben. Vielleicht war ich für ihn so etwas wie ein Trauma. Eine schmerzliche Erinnerung an Hunger, Not, Kälte, Todesgefahr.
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Hans Nielsen bekam die Rolle von Gustav Fröhlich

Den Part in »Herzkönig« hat dann Hans Nielsen übernommen. Es war eine Doppelrolle. Doppelrollen sind sehr dankbar. Weil sie meist völlig entgegengesetzte Charaktere beinhalten: kreuzbraves Mädchen und leichtsinniges Flittchen zum Beispiel, oder strahlender Held und finsterer Schuft. Da gibt es also was zu spielen, und außerdem erscheint der Schauspieler doppelt so oft auf der Leinwand, was ihn ohnehin schon befriedigt.

Bei »Herzkönig« war es ein schrecklicher Diktator und ein charmanter Schriftsteller, die sich beide zum Verwechseln ähnlich sahen. Nielsen führte den Film zusammen mit Sonja Ziemann, Aribert Wäscher, Lisa Lesco und Georg Thomalla zum (Kassen-) Erfolg.
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Mein Lieblingsprojekt »Morituri« und der große Bluff von 1947

Will sagen: »Herzkönig« brachte mir genau die Summe ein, die ich noch brauchte, um mein Lieblingsprojekt »Morituri« endlich beginnen zu können. Und damit hatte der Streifen seine Schuldigkeit getan.

Die Filmhistoriker jedenfalls werden ihn sich nicht merken müssen. Es sei denn, sie interessierten sich für den größten Bluff, der jemals in deutschen Ateliers veranstaltet wurde:

Rohfilm war im Jahre 1947 extrem knapp. Man bekam ihn nur, wie alles andere auch, »auf Beziehungen«. Unser Drehplan richtete sich ausschließlich danach, ob wir was zu verkurbeln hatten oder nicht.

Eines Abends meldete mir mein Aufnahmeleiter glückstrahlend: »Herr Brauner, wir haben ein paar Rollen organisiert. Das reicht erst mal 'ne Weile.«

»Großartig«, sagte ich, »dann drehen wir die große Massenszene heute nacht.« In aller Eile wurden die Komparsen zusammengetrommelt, die dem falschen (Herz-)König zuzujubeln hatten. Als ich gegen Mitternacht die Halle III des Tempelhofer Ateliergeländes betrat, herrschte das übliche wohlgeordnete Chaos, aus dem wunderbarerweise immer wieder ein Film geboren wird. Die Scheinwerfer verbreiteten eine sengende Hitze.

»Den Tausender mehr nach rechts! Halt, stopp, zuviel. Die Komparsen zurück auf die Ausgangsposition. Probe. Prooobe! Achtung, Aufnahme! Achtung, Klappe! Ruhe, bitte. Ruuu-he! Ton ab, Kamera läuft, Herzkönig 286, zum drittenmal! Gestorben. Danke!«
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Gestorben. Danke! - aber alles war richtig komisch

Der Aufnahmeleiter grüßte zu mir herüber, kam aber nicht, wie sonst immer, auf mich zu. Der Regisseur schien verlegen. Der Regieassistent druckste herum. Der Tonmeister schaute Löcher in die Luft. Für den Kameramann schien ich Luft zu sein, so angestrengt glotzte er an mir vorbei.

»Was haben die gegen mich«, mußte ich denken. Ich schaute eine halbe Stunde, eine Stunde kritisch zu, plötzlich fiel mein Blick auf die Kamera. Ich spürte einen heftigen Schmerz in der Magengegend, während es mir gleichzeitig eiskalt den Rücken herunterrann. »Die ..., die drehen ja ohne«, kam es über meine Lippen, »ohne Film.«

Etwas ganz und gar Ungeheuerliches ging dort vor: Die Kamera lief leer, war gar nicht geladen! Der Kameramann kurbelte für die Blindenanstalt. Anscheinend hatte er total den Verstand verloren. Und die anderen auch.

Mein Gott, ja, die ewige Kälte, der Hunger, Sonderzuteilung 125 Gramm Rhabarbermarmelade hatte es gestern gegeben, war ja kein Wunder, wenn da plötzlich jemand ...

Langsam ging ich auf den Kameramann zu. Jemand zupfte mich am Ärmel. Es war der Produktionsleiter. »Sie haben es gemerkt, Herr Brauner«, flüsterte er, »ich sehe es Ihnen an. Aber bitte, bitte, sagen Sie es ihnen nicht. Die wissen es nämlich auch.«

Ich kniff mir in den Oberschenkel. Träumte ich? Oder war auch der Produktionsleiter bereits meschugge? »Die wissen, daß sie nichts drinhaben, und drehen trotzdem?« fragte ich heiser. »Ja, also, mit dem Rohfilm, das hat doch nicht geklappt, im letzten Moment, leider, aber die Komparserie, die war ja nun schon da, geschlossen da, 110 Mann stark. Da haben wir gedacht, wenn er das erfährt, der Herr Brauner, dann bricht er zusammen, oder er tut sich was an. Und das wollten wir nicht, und deshalb . . .«

»Und deshalb?« fragte ich tonlos.
»... und deshalb haben wir gedacht: Drehen wir einfach blind. Er muß es ja nicht merken. Und wenn er sich morgen die Muster ansehen will, sagen wir einfach, es war ein Materialfehler.« »Rührend«, sagte ich und ärgerte mich, daß ich tatsächlich so etwas wie Rührung fühlte.
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Jedenfalls habe ich die Komödie mitgespielt.

Schließlich war es auch besser, wenn die Komparsen bei guter Laune blieben. Und meine Darsteller (die ebenfalls nichts ahnten). Gute Laune war wichtig. Spiellaune. Außerdem würden sie es morgen alle gut können. Bei so vielen »Proben«.

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