(I) Erster Hauptteil: Die Farbenlehre (Teil 2)
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B. Auge, Farbsehen, Farbempfinden
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Das Weltall und somit auch unsere engere Umwelt ist unablässig erfüllt von elektromagnetischen Schwingungen der verschiedenen Wellenlängen. Der Empfangsapparat für einen winzigen Bereich dieser Schwingungen, nämlich die Wellenlängen von 380 bis 780 mü, ist unser Auge.
Die organischen Veränderungen, die im Auge durch die Lichtschwingungen (Lichtreize) verursacht werden, werden über Nerven dem Gehirn zugeleitet und dort in Farbempfindungen umgesetzt. Dieser aus Augen, Nerven und Gehirn bestehende Sehapparat übertrifft zwar in den Leistungen alle denkbaren physikalischen Einrichtungen, ist ihnen aber in der Unbeirrbarkeit unterlegen.
Durch den Sehapparat können erhebliche subjektive Verfälschungen der objektiven physikalischen Tatsachen hervorgerufen werden; dabei sei gleich bemerkt, daß die meisten dieser Verfälschungen sich als äußerst zweckmäßig für uns und die Stetigkeit unseres optischen Weltbildes erweisen.
Wenn wir im folgenden eine kurze Darlegung über Bau und Wirkungsweise des Sehapparates bringen, so geschieht das einmal, weil es sachlich notwendig ist, zum andern aber aus Ehrfurcht und Bewunderung vor dem unvergleichlich kunstvollen Bau dieser Organe, ohne deren charakteristische Eigentümlichkeiten - zu denen gerade auch gewisse Mängel gehören - es keine Filmkunst gäbe.
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B 1. Bau und Funktion des Sehapparates
Das Auge, ein kugeliger, in die von Knochen geschützte Augenhöhle eingebetteter Körper, besitzt im Innern Einrichtungen, die es als optisches Instrument ansprechen lassen. Wie eine photographische Kamera besitzt es eine Linse (Abb. 23), durch die im Zusammenwirken mit der linsenförmig gewölbten Hornhaut nach den bekannten optischen Gesetzen Bilder der Umweltobjekte auf der Hinterwand des Auges entworfen werden.
Scharf eingestellt wird das Bild, indem sich die Linse vermittels eines Muskelringes verdickt oder abflacht, je nachdem, ob das Objekt nahe oder fern ist. Die Einstellungsmöglichkeit reicht beim normalen Auge von etwa 12cm Objektweite bis zu Unendlich.
Vor der Linse befindet sich eine Blende, deren Öffnung sich selbsttätig auf den der Augenempfindlichkeit und der Lichtintensität gemäßen Wert einstellt. Sie wechselt zwischen etwa 10mm und 1,8mm Durchmesser; die durchgelassenen Lichtmengen, die sich bekanntlich wie die Quadrate der Durchmesserzahlen verhalten, werden durch die Pupille des Auges also etwa im Verhältnis 25: 1 gesteuert.
Das Auge "innen"
Genau wie ein optisches Instrument, das im Innern überall matt geschwärzt ist, wo störende Reflexe auftreten können, ist auch das Auge innen an allen dafür geeigneten Stellen mit einer tiefschwarzen Haut versehen, damit Lichthöfe und Reflexe vermieden werden.
Die Rückwand des Augapfels ist innen, dort wo die Linse die Bilder entwirft, mit der Netzhaut oder Retina ausgekleidet. Man darf sie sich nun nicht als eine gleichmäßige lichtempfindliche Schicht, etwa wie die Bromsilberschicht einer photographischen Platte oder den Cäsiumoxydbelag einer Photozelle vorstellen; sie ist vielmehr trotz ihrer geringen Dicke, die sich zwischen 0,4 und 0,9mm bewegt, von einer ungeheuren Kompliziertheit im Aufbau.
Eine Vorstellung davon gibt die halb-schematische Abb. 24. Dem einfallenden Licht zunächst liegt eine einfache Schicht von Zellen, die ein Pigment, winzige gefärbte Körnchen, enthalten; diese wandern aus ungeklärter Ursache beim AuftrefTen von Licht in die Tiefe der Schicht und kehren bei Verdunklung an die Oberfläche zurück.
Als nächste Schicht folgt das Sehepithel, in dem die eigentlich lichtaufnehmenden Elemente enthalten sind. Es sind dies die Zapfen und Stäbchen, die - wie wir noch erfahren werden - verschiedene Sehfunktionen haben. Sie sind dicht gepackt, aber in ungleichmäßigem Mischungsverhältnis über die ganze Netzhaut verteilt.
In der optischen Achse der Augenlinse befinden sich in der Netzhaut ausschließlich Zapfen; diese Stelle von 1mm Durchmesser heißt gelber Fleck. Weiter nach außen treten dann zunehmend Stäbchen auf. Die Zahl der Zäpfchen in der Retina wird auf 7.000.000 geschätzt, davon entfallen 13.000 auf den gelben Fleck.
Die Zahl der Stäbchen in der Netzhaut wird mit 170.000.000 angegeben. In den Stäbchen ist in verhältnismäßig großer Konzentration der Sehpurpur enthalten. Das ist ein lichtempfindlicher Farbstoff, der unter Lichteinwirkung ausbleicht und im Dunkeln wieder gebildet wird.
Sehr viel schwieriger war der in den Zäpfchen enthaltene lichtempfindliche Farbstoff zu finden, der als Zapfensubstanz bezeichnet wird. Diese Farbstoffe sind als die Vermittler anzusehen, die den Umschlag des physikalischen Vorganges „Licht" in den physiologischen Vorgang „Reizimpuls" vornehmen. Es ist dabei nicht daran zu zweifeln, daß diese physikalisch-chemischen Prozesse sich streng nach den photochemischen Gesetzen richten, auch wenn sie in diesem Fall statt im Reagenzglas in der lebendigen Netzhaut ablaufen.
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Die Nervenzellen
Unter dem Sehepithel mit den Stäbchen und Zäpfchen schließt sich eine kompliziert aufgebaute Schicht an, die vor allem Nervenzellen enthält. Feinste Verästelungen der Nervenzellen erstrecken sich bis zu den Fußpunkten der Stäbchen und Zäpfchen; andere Nervenzellen richten ihre Fortsätze nach auswärts, sie münden so in den Strom von Nervenfasern ein, der schließlich als massiver Strang die Verbindung des Auges mit dem Gehirn herstellt.
An der Stelle, an der der Sehnerv den Augapfel verläßt, ist die Netzhaut - auf einem „blinden Fleck" von etwa i,6 mm Durchmesser - ohne lichtempfindliche Elemente. Die Gewöhnung und die gleichzeitige Überdeckung des Sehraumes mit den beiden Augen läßt uns diese blinde Stelle im allgemeinen nicht empfinden.
Die nach den Fußpunkten der Zäpfchen und Stäbchen gerichteten Nervenenden werden offenbar durch die photochemische Veränderung der lichtempfindlichen Farbstoffe in diesen in irgendeiner Weise beeinflußt, so daß sie einen Reizimpuls an die Empfindungszentren im Gehirn weitergeben.
Wie die Augäpfel mit dem Hirn über die Sehnerven zusammenhängen, zeigt Abb. 25. Tatsächlich müssen die Netzhaut und der Sehnerv als Bestandteile des Gehirns angesehen werden, wie auch aus der embryonalen Entwicklung des Auges hervorgeht. Vor der Einmündung der Sehnerven in das Gehirn erfolgt noch - wie das Bild zeigt - eine Kreuzung der Sehnerven, die wegen der ungemein komplizierten wechselseitigen Durchdringung und Verschlingung der Sehnerven den Anatomen und Psychologen viel zu schaffen machte.
Das Gehirn
Im Gehirn sind bestimmte Teile als Sehzentren erkannt worden, bei deren Zerstörung Sehfunktionen ganz oder teilweise ausfallen. So kann z. B. ein Mensch, bei dem durch einen Schuß eine bestimmte eng umgrenzte Hirnpartie verletzt wurde, auf dem gelben Fleck erblinden, während die übrigen Teile des Auges noch sehen.
Diesen Sehzentren im Gehirn werden die im Auge auf der Netzhaut entstandenen Bilder unter Erhaltung ihrer örtlichen Zuordnung zugeleitet. Von dort aus erfolgt dann die Beteiligung der übrigen Gehirnsphären an der Verarbeitung der Seheindrücke.
Man muß sich dabei einmal klar machen, daß der Sehvorgang in der Wirkung eher einer Projektion als einem Aufnehmen von Bildern gleicht. Die winzigen, im Augapfel entworfenen Bildchen kommen uns nicht als in uns entstehende Abbilder realer Objekte zu Bewußtsein, sondern sie sind für uns auf dem Weg über die Gehirnfunktionen die realen Objekte selbst.
Über den Ablauf der beteiligten seelischen Vorgänge, zu denen auch das optische Erinnerungsvermögen gehört, wissen wir noch wenig (Anmerkung : wir sind hier im Jahr 1943); mit Spekulationen hierüber würden wir den Boden naturwissenschaftlicher Erkenntnisse verlassen.
Dagegen soll uns zum Abschluß dieses Kapitels die Frage beschäftigen, welche organischen Veränderungen im Sehapparat vor sich gehen, sobald Lichtschwingungen einwirken. Lassen sich eindeutig Zusammenhänge zwischen objektiv feststellbaren Veränderungen und subjektiven Sehempfindungen nachweisen, so gewinnt man daraus das Verständnis für bestimmte Eigentümlichkeiten des Farbsehens, die uns wegen ihrer Bedeutung für die Farbfilmtechnik im nächsten Abschnitt beschäftigen werden.
Sobald Licht in das Auge fällt
Sobald Licht in das Auge fällt, spielen sich folgende Prozesse in der Netzhaut ab:
- 1. Der Sehpurpur oder - bei größerer Helligkeit - die Zapfensubstanz, also die lichtempfindlichen Farbstoffe in Stäbchen und Zäpfchen, beginnen auszubleichen;
- 2. Zäpfchen und Stäbchen ziehen sich etwas zusammen;
- 3. es tritt ein chemischer Vorgang ein, der der Netzhaut saure Reaktion erteilt, während sie in der Dunkelheit alkalisch ist;
- 4. es tritt zwischen Vorderwand und Hinterwand des Augapfels eine elektrische Spannungsdifferenz von einigen Millivolt auf.
Es hat sich gezeigt, daß diese unter 4. genannten photoelektrischen Eigenschaften des Auges mit einer Reihe von Sehphänomenen parallel gehen, so dem Weber-Fechnerschen Gesetz, dem Purkinjephänomen, dem Intermittenzeffekt und der Rotblindheit; es handelt sich hier also mit großer Wahrscheinlichkeit um Phänomene, die ihren Sitz in den Netzhauteigenschaften des Auges haben.
Ein Beispiel für den Stromverlauf bei kurzzeitiger Belichtung zeigt Abb. 26. Man hat bestimmte Anhaltspunkte, wenn auch noch keine Gewißheit dafür, daß für jede Lichtfarbe jeweils eine spezifische Kurvenform, insbesondere für den Einsatz des elektrischen Stromes charakteristisch zu sein scheint.
Bei gemischtem Licht addieren sich die Stromformen der beteiligten Lichtfarben. Die in der Netzhaut erzeugten Stromstöße werden möglicherweise in ihren unteren Schichten in oszillierende elektrische Ströme von einigen Hundert Hertz umgeformt und so über den Sehnerv dem Gehirn zugeleitet.
Wenn die verschiedenen Wellenlängen des Lichtes verschiedene Frequenzen und Amplituden der Sehnerv-Wechselströme auslösen, ist es erklärlich, daß ein und dieselbe Nervenfaser verschiedenfarbige Lichtreize dem Gehirn zuzuführen vermag.
Desgleichen ist es nach dieser Theorie nicht notwendig, für die drei Grundfarben Rot, Grün und Blau verschiedenartige lichtempfindliche Elemente in der Netzhaut anzunehmen, vielmehr reagiert jedes Zäpfchen auf verschiedene Licht Wellenlängen mit einem jeweils spezifischen elektrischen Verhalten, wodurch - primitiv ausgedrückt - dem Gehirn jeweils telegraphiert wird, welche Färb- und Helligkeitsempfindung es für den der betreffenden Netzhautstelle zugeordneten Umweltbezirk haben soll.
Selbst wenn von diesen Vorstellungen manches noch unbewiesen ist und der weiteren Klärung bedarf, so schien es uns dennoch richtig, einen kurzen Ausblick auf eine experimentelle Theorie des Sehens und der Farbempfindungen zu geben, ohne uns auf das Für und Wider im Vergleich zu andern Theorien einzulassen *1).
*1) Für diejenigen unserer Leser, die an den Theorien des Sehens interessiert sind, sei bemerkt, daß die ältere Dreifarben-Theorie von Helmholtz durch die Arbeiten von v. Studnitz wieder in Vordergrund gekommen ist. Es wird auf den Vortrag von v. Studnitz anläßlich des Kongresses „Film und Farbe" Dresden 1942 verwiesen (Schriftenreihe der Reichsfilmkammer, Band 9).
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B 2. Tages- und Dämmerungssehen
Durch umfangreiche Forschungsarbeiten ist es sehr wahrscheinlich gemacht worden, daß Zäpfchen und Stäbchen verschiedene Sehaufgaben erfüllen: Den Zäpfchen wird das Farbensehen und das Sehen im Hellen zugeschrieben, während die Stäbchen keine Farbempfindungen vermitteln, sondern vorwiegend die Sehleistung bei schwacher Beleuchtung übernehmen.
Aus diesem Grund geht mit abnehmender Beleuchtungsstärke die Farbigkeit der Objekte zurück, im Dämmerlicht wird alles grau und auch bei Mondschein sieht man die Welt vorwiegend schwarz-weiß.
Tabelle V gibt einen Anhaltspunkt, bei welcher Helligkeit der Objekte Tages- bzw. Dämmerungssehen eintritt. Die Werte sind in Apostilb (asb) angegeben; es sei dabei daran erinnert, daß die Helligkeit 100 asb in Deutschland als Norm für die Bildwandhelligkeit gewählt wurde.
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Tabelle V. Objekthelligkeiten (nach Richter)
1oo.ooo asb | beginnende Blendung des helladaptierten Auges |
1oo.ooo_bis_1oo_asb | Tagessehen; Helligkeitskonstanz der Farben |
1oo bis 0,01 asb | Übergang vom Tages- zum Dämmerungssehen; für den |
stäbchenfreien Bezirk der Netzhaut (Fovea centralis oder gelber Fleck) besteht Farbsehen bis zu 0,01 asb) | |
unter o,o1 asb | reines Dämmerungssehen; keine Farben |
0,000 001 asb | unterste Grenze der Orientierungsmöglichkeit |
Helligkeitsunterschiede im Verhältnis von 1 : 100 Milliarden
Das Auge vermag also, wenn auch mit sehr bedeutenden Unterschieden in der Sehleistung, Helligkeitsunterschiede im Verhältnis von 1 Millionstel : 100.000 oder wie 1 : 100 Milliarden wahrzunehmen. Die Adaption oder Helligkeitsanpassung des Auges bewegt sich dagegen in den Grenzen von 1 : 10 Millionen.
Um diesen enormen Helligkeitsumfang bewältigen zu können, verfügt das Auge über bestimmte Einrichtungen und Verfahren. Eine mechanische Regelung der Lichtmenge bewirkt zunächst die Iris, die die Lichtmenge aber nur im Verhältnis rund 1:25 regeln kann.
In der Hauptsache wird die Anpassung an verschiedene Helligkeiten dadurch bewirkt, daß sich die Lichtempfindlichkeit der Sehfarbstoffe selbsttätig auf die zu verarbeitenden Lichtmengen einstellt.
Während bei steigender Helligkeit die Anpassung des Auges sehr schnell vor sich geht, wohl infolge der rasch erfolgenden Zerstörung der Sehfarbstoffe, benötigt die mit der Neubildung der Sehsubstanzen verbundene Adaption an abnehmende Helligkeitswerte längere Zeit; sie ist nach einer Stunde noch immer im langsamen Zunehmen.
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Das Tagessehen
Beim Tagessehen wird als hellste Lichtfarbe Gelbgrün (555 mü) empfunden (Abb. 27), während im Dämmerungssehen die Wellenlänge 510 mü (Grün) als hellste angegeben wird. Allerdings sieht man, wegen der Farbenblindheit der Stäbchen, diese Wellenlänge nicht als Grün, sondern als Weißgrau.
Diese verschiedene Spektralempfindlichkeit von Stäbchen und Zäpfchen ist die Ursache des sogenannten Purkinjephänomens: Von den beiden Feldern in Abb. 28 erscheint bei Tageslicht Rot heller als Blau; bei genügend schwacher Dämmerungsbeleuchtung tritt dagegen eine Umkehrung der Helligkeitsempfindungen ein, das linke (blaue) Feld erscheint jetzt heller als das rechte Feld. Die Erklärung veranschaulicht Abb. 27.
Unser Auge und der Farbfilm
Diese Eigentümlichkeiten des Auges sind für die Wiedergabe von Farbfilmen sehr bedeutungsvoll. Die durchschnittliche Helligkeit des Projektionsbildes im Filmtheater liegt nämlich nur wenig oberhalb der Grenze, an der das Auge zum farblosen Dämmerungssehen überzugehen bereit ist.
Die Bildwandhelligkeit ist für die deutschen Filmtheater auf 100 asb genormt; tatsächlich erreichen viele Theater aber nicht mehr als 40 asb. Diese Bildwandhelligkeiten werden bei laufender Maschine, aber ohne Film gemessen. Mit Film gemessen geht die Helligkeit in lichtschwachen Theatern auf 0,2 asb bei dunklen und 20 asb bei hellen Bildstellen zurück.
Dies gilt für Farbfilmvorführungen nach dem subtraktiven Verfahren, während - unter sonst gleichen Voraussetzungen - für die additive Wiedergabe die Zahlen noch einmal auf den zehnten Teil, nämlich 0,02 bis 2 asb, absinken und damit undiskutable Verhältnisse offenbaren.
Die Farbtüchtigkeit des Auges bleibt bei abnehmender Helligkeit am weitestgehenden für den Bezirk der Netzhautgrube erhalten, der indessen nur ein Gesichtsfeld von kaum 2° hat. Um eine Projektionswand yon 6m Breite unter einem Winkel von 2° zu sehen, müßte man sie aus 173m Entfernung betrachten, während dies tatsächlich unter 150° bis 60° geschieht.
Das bedeutet, daß während einer lichtschwachen Farbfilmvorführung das Auge des Zuschauers ruhelos die ganze Fläche der Leinwand abtasten muß, damit der farbtüchtige Bezirk der Netzhautgrube den Farbeindruck vermitteln kann, während die übrigen weniger farbtüchtigen _ Netzhautbereiche schon zur verringerten Farbwahrnehmung übergehen.
Dieser Widerstreit der Sehqualitäten in den verschiedenen Netzhautbereichen dürfte einer der Gründe sein, derentwegen manche Besucher über Augenermüdung und Kopfschmerzen bei Farbfilmvorführungen klagen.
Die als Purkinjephänomen bezeichnete Umkehrung der Helligkeitswerte von Blau und Rot bei abnehmender Lichtstärke führt bei lichtschwachen Filmvorführungen ferner dazu, daß alle roten Farbtöne scheinbar verschwärzlicht werden, also an Leuchtkraft einbüßen.
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B 3. Die farbige Umstimmung des Auges und das Erkennen von Farbtönen
Das Auge ist zwar primär ein physikalisch-chemischer Apparat; im Zusammenwirken mit den Gehirnfunktionen besitzt dieser Apparat jedoch Eigenschaften, die ihn weit über die Funktion eines technischen Geräts hinausheben. Dabei erweisen sich die scheinbaren Mängel in den Leistungen des Gesichtssinnes zum großen Teil als lebensnotwendige Einrichtungen.
Wäre das Auge ein objektiv registrierendes Gerät, etwa nach Art einer lichtelektrischen Photozelle, so würden wir bei jedem Beleuchtungswechsel, sei es in der Lichtfarbe oder in der Helligkeit, ein völlig verändertes Bild unserer Umwelt erhalten. Über die selbsttätige Anpassung des Sehapparates an Helligkeitsänderungen wurden wir schon im vorhergehenden Abschnitt unterrichtet.
Eine ähnliche Fähigkeit des Auges, sich auf die Farbe der Beleuchtung einzustimmen, soll uns nun beschäftigen. Dieser Eigenschaft des Auges kommt im Hinblick auf den Farbfilm besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl im günstigen als auch im ungünstigen Sinn; wir müssen uns daher etwas eingehender damit befassen.
Ein weißes Blatt Papier erscheint uns immer weiß, ob wir es bei Tageslicht oder abends bei Lampenlicht betrachten. Vergleichen wir aber in einer Anordnung gemäß Abb. 29 gleichzeitig die beiden von Tages- und Lampenlicht beleuchteten gleichen Papiere, so erkennen wir einen ganz bedeutenden Unterschied in den Farbtönen.
Warum stellen wir diese Farbtonunterschiede jedoch nur in der Gegenüberstellung fest, während wir das gleiche Stück Papier, sobald es abends im Schein der Schreibtischlampe liegt, für genau so weiß halten wie am Tag im Sonnenlicht betrachtet?
Der Grund ist in einer sich unbewußt vollziehenden Anpassung des Sehapparates an die jeweiligen Beleuchtungs Verhältnisse zu suchen. Sofern wir nur irgendwelche erinnerungs- oder vorstellungsmäßigen Anhaltspunkte für die Farben der Objekte haben, wird ohne unser willkürliches Zutun eine Kompensation für die Empfindung der überwiegenden Beleuchtungsfarbe herbeigeführt; bei der stark gelben abendlichen Beleuchtung von Innenräumen z. B. wird der Bezugspunkt „Weiß" nach Gelb verlagert und gewissermaßen zum „Weiß" erklärt.
Hierbei spielt auch das Farbgedächtnis eine bedeutende Rolle. Immer ist es jedoch notwendig, daß die zu prüfende Farbfläche im Zusammenhang und Vergleich mit anderen Farbflächen steht, die mit dem gleichen Licht beleuchtet werden.
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Das Auge - stabile Farbempfindungsverhältnisse schaffen
Allein die Fähigkeit des Sehapparates, durch die farbige Umstimmung des Auges stabile Farbempfindungsverhältnisse zu schaffen, gewährleistet uns ein gleichartig bleibendes Bild unserer Umwelt.
Wir nehmen dadurch überhaupt nicht wahr, welche bedeutenden Farbveränderungen etwa das gleiche Landschaftsbild im Lauf eines Tages vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang erfährt. Diese Farbveränderungen werden uns jedoch sofort auffallen, wenn wir folgenden Versuch machen:
Wir filmen in Abständen von einer halben Stunde die Landschaft vom gleichen Standpunkt aus während einer halben Minute und führen diesen Farbfilm dann nach Art einer Zeitraffer-Aufnahme vor.
Jetzt erkennen wir, wie stark sich von Morgen über Mittag bis zum Abend die Färbung aller Objekte gewandelt hat. Hier liegt tatsächlich ein sehr großes Problem für den künstlerischen Farbfilm: insbesondere bei Außenaufnahmen treten durch die unvermeidlichen Schwankungen der Farbe des Aufnahmelichtes Farbsprünge im fertig geschnittenen Film auf, die die Wirkung stark beeinträchtigen können. Die praktischen Methoden, dies zu korrigieren, werden uns später beschäftigen.
Noch ein weiterer Versuch
Instruktiv für die Anpassungsfähigkeit des Auges ist auch folgender Versuch: Läßt man das Licht einer Kinobogenlampe niedriger Stromstärke (ohne eingelegten Film) auf die Leinwand fallen, so hält das Auge nach kurzer Eingewöhnungszeit die Leinwand für weiß; bei kritischem Abwägen wird man sie vielleicht für etwas gelbstichig erklären, ohne daß dem aber wesentliche Beachtung geschenkt werden müßte.
Nun decken wir das halbe Bildfenster mit einer undurchsichtigen Blende ab, so daß also auch nur die halbe Fläche der Leinwand beleuchtet wird, und lassen auf die nunmehr verdunkelte Hälfte das Licht des zweiten Projektors mit der maximalen Strombelastung, also der maximalen Helligkeit, fallen. Im gleichen Augenblick sieht die von Projektor 1 beleuchtete Leinwandhälfte schmutzig-graugelb aus, während die andere Hälfte strahlend weiß erscheint.
Dieser einfache Versuch zeigt zweierlei:
1. die Gewöhnung des Auges an die bestehenden Verhältnisse; solange keine hellere, erfahrungsgemäß weiße Fläche dargeboten wird, empfindet man auch eine merklich gelbe Fläche als weiß. Das Auge wird also farbig umgestimmt, und zwar in der Richtung einer angestrebten neutralen Farbstimmung.
2. Ein Farbton allein kann in einem im übrigen dunklen Raum nicht mit Sicherheit beurteilt werden; es fehlt der Bezugspunkt; erst wenn eine zweite oder mehr Farben gleichzeitig dem Auge dargeboten werden, vermag es die Farbwerte untereinander abzuschätzen und einzuordnen. Diese Erkenntnis ist für die künstlerische Gestaltung von Farbfilmen von größter Tragweite, insbesondere bei der Wahl der Farben für Dekorationen und Kostüme, aber auch für den Schnitt der Filme.
Die farbige Umstimmung des Auges geht zwar schnell vor sich, beansprucht aber immerhin eine merkbare Zeit. Sie beginnt etwa 1 1/2 Sekunden nach der Darbietung der neuen Farbverhältnisse und ist längstens nach zwei Minuten beendet. Diese Eigenschaft des Auges verdient beim Filmschnitt besonders sorgfältig beachtet zu werden. Eine Folge kurzer Einstellungen im Film empfindet das Auge als einen Mißbrauch seines Umstimmungsvermögens, der um so schmerzhafter wird, je gesättigter und unterschiedlicher die Farben sind.
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B 4. Farbkontrast
Wir haben schon im vorigen Abschnitt vorweggenommen, daß erst die gleichzeitige Darbietung von mehreren Farben die Möglichkeit der Einordnung und damit des Beurteilens von Farbtönen gibt.
Je mehr verschiedene Farbtöne in einem wohlausgewogenen Flächenverhältnis und möglichst als bekannte Objekte dem Auge gezeigt werden, desto sicherer wird im allgemeinen die Beurteilung.
Indessen entstehen bei der Zusammenstellung verschiedener Farben auch wiederum leicht Täuschungen des Auges, die allgemein unter dem Begriff Kontrasterscheinungen zusammengefaßt werden. Sie gelten gleichermaßen für unbunte wie für bunte Farben. Einige Beispiele bringen die Abb. 30 bis 33.
Das kleine Farbfeld, das von einer flächenmäßig überwiegenden andern Farbe umschlossen ist, wird - wie die Abbildungen zeigen - in seiner Wirkung erheblich verändert; aber auch das Umfeld erfährt durch das Innenfeld eine Beeinflussung. Die Leistungen des Farbkontrastes gehen jedoch noch viel weiter: Bei genügender Farbsättigung des Umfeldes sieht man in dem weißen Innenfeld die stark verweißlichte Komplementärfarbe des Umfeldes.
Es wird also im Auge selbst eine scheinbare Färbung eines Objekts induziert, die mit objektiven Mitteln gar nicht festzustellen ist. Die gleiche Ursache liegt der bekannten Erscheinung zugrunde, daß in der Dämmerstunde die Welt vor dem Fenster tiefblau erscheint, sobald im Zimmer die übliche gelbfarbige Beleuchtung eingeschaltet wird.
Bei der Farbfilmvorführung spielt die Erscheinung des Farbkontrastes häufig eine gewisse Rolle. So genügt z. B. eine rote, seitlich von der Bildwand angebrachte Notausgangsbeleuchtung, um das Rot der projizierten Bilder verbleichen zu lassen. Häufig wurde auch schon vorgeschlagen, die Bildwand im Filmtheater mit einem ganz schwach erhellten Rahmen zu versehen, damit durch den Kontrast die Farben natürlicher wirken.
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B 5. Nachbilder
Die Erscheinung der Nachbilder, die das ganz besondere Interesse Goethes bei seinen Studien über die Farbenlehre gefunden haben, kann man sich leicht vergegenwärtigen, wenn man z. B. einen grünen Karton, etwa in Form eines Dreiecks, auf einen roten Untergrund auflegt.
Nach einigen Sekunden zieht man den grünen Karton schnell weg und erblickt jetzt für Bruchteile von Sekunden an dem gleichen Ort ein rotes Dreieck, dessen Farbsättigung wesentlich über die des sonstigen roten Untergrundes hinausgeht.
Bei richtiger Versuchsanordnung gelingt es, mittels Nachbildern subjektiv einen Eindruck von Farbsättigung zu erzielen, wie er auf andere Weise überhaupt nicht herzustellen ist. Diese Nachbilder übertreffen selbst die hellsten Spektrallichter an Sättigung; für die physiologischen Theorien über das Farbensehen ist dies von großer Bedeutung.
Man kann die Nachbilder gleichfalls als eine Erscheinungsform des Farbkontrastes ansehen. Man nennt die Nachbilder „Sukzessivkontrast", d. h. Kontrast von Farben, die zeitlich nacheinander dem Auge dargeboten werden im Gegensatz zum „Simultankontrast", den wir unter 4. behandelten.
Die praktische Bedeutung der Nachbilder ist im Film deswegen gering, weil dem Auge kaum jemals genügend lang einheitliche Farbflächen dargeboten werden, die gleichzeitig ausreichende Sättigung aufweisen. Der ständig wechselnde Bildinhalt wirkt der Ausbildung des Sukzessivkontrastes entgegen.
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B 6. Verschmelzung
Werden dem Auge kurzzeitig nacheinander verschiedenartige Farbreize dargeboten, so werden diese nicht einzeln wahrgenommen, sondern es erfolgt Verschmelzung der Einzelfarben nach den Regeln der additiven Farblichtmischung.
Ein Kreisel, der mit roten und grünen Feldern beklebt ist, wird beim schnellen Drehen gelb (Abb. 34). Man hat auf diese Erscheinung schon Farbfilmverfahren aufzubauen versucht, indem abwechselnd rote, grüne und blaue Bilder projiziert werden sollten. Bei stillstehenden Objekten geht das auch, bei bewegten entstehen dagegen Farbsäume.
Man kann die Verschmelzung auch herbeiführen, indem man die Flächengröße der dem Auge gleichzeitig gebotenen Farbreize sehr stark herabsetzt. Abb. 35 zeigt ein aus roten und grünen Linien aufgebautes Strichraster. Aus einem solchen Abstand betrachtet, daß die Linien nicht mehr einzeln erkennbar sind, erscheint die Fläche gelb.
Der Grund dafür liegt darin, daß von mehreren nebeneinanderliegenden Zäpfchen, die von verschiedenen Farbreizen getroffen werden, die Meldung über ein und dieselbe Nervenfaser, an die sie gemeinsam angeschlossen sind, zum Gehirn weitergeleitet wird, wobei dann die Farbempfindung gemäß den additiven Farblichtmischungsregeln ausgelöst wird. Auch auf dieser Grundlage hat man versucht, Farbfilmverfahren aufzubauen, z. B. das Dufaycolorverfahren (S. 64).
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B 7. Störungen des Farbensinnes
Es gibt eine immerhin beträchtliche Anzahl von Menschen, die Störungen des Farbensinnes aufweisen; bei 1.000 Männern trifft dies etwa für 77 zu, dagegen bei 1.000 Frauen nur für knapp 4.
Menschen, die zwar alle Farbbereiche wahrnehmen, aber nicht im normalen Verhältnis zueinander, nennt man farbschwach oder, medizinisch, anomale Trichromaten. Die Schwächung kann sich auf das Rot- und Grüngebiet erstrecken, in sehr seltenen Fällen auch auf das Blaugebiet.
Die im Grüngebiet Farbschwachen oder Deuteranomalen sind mit über 4% aller Männer verhältnismäßig am stärksten vertreten. Sie empfinden Grün wie Gelb oder Grüngelb; sie verwechseln leicht Grün mit Gelb, Braun und Grau. Die im Rotgebiet Farbschwachen oder Protanomalen empfinden Rot verschwärzlicht, während ihnen Grün und Blau heller als den Normalen erscheint.
Ernster sind Störungen bei Vorliegen einer partiellen Farbenblindheit oder Dichromasie, bei der im mittleren Spektralgebiet (um 500 mü) statt Grün wie von Normalen ein neutrales Grau empfunden wird. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen Rotblinden oder Protanopen, Grünblinden oder Deuteranopen und den — sehr seltenen — Blaublinden oder Tritanopen. In Abb. 36 ist dargestellt, wie die verschiedenen Farbfehlsichtigen das Spektrum empfinden. Wie der Rotgrünblinde rote und grüne Objekte sieht, veranschaulicht Abb. 37.
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Die eigene Farbtüchtigkeit objektiv prüfen lassen
Bei dem erheblichen Anteil von fast 8%, den die Farbfehlsichtigen an der männlichen Bevölkerung ausmachen, und bei der geringen Kenntnis, die der Einzelne im allgemeinen davon hat, ob sein Farbempfinden normal oder gestört ist, sollte es für jeden aktiv am Farbfilm Schaffenden eine unbedingte Pflicht zu sein, seine Farbtüchtigkeit objektiv prüfen zu lassen.
Dazu stehen verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung, von denen die bekanntesten die Stilling'schen Farbtafeln und das genaueste das Anomaloskop sind. Ein Beispiel aus einer Farbtafel zeigt Abb. 38.
Nur der Farbtüchtige erkennt die Zahl 34, während der Grünblinde die Zahl nicht zu lesen vermag. Eine exakte zahlenmäßige Bestimmung des Grades der Farbfehlsichtigkeit liefert das Anomaloskop, bei dem man aus spektralen Rot- und Grünlichtern subjektiv den gleichen Farbreiz ermischen muß, den ein spektrales Gelblicht liefert.
Farbtüchtige Personen benötigen hierzu ein ganz bestimmtes Mischungsverhältnis von Rotlicht zu Grünlicht. Rotschwache Personen empfinden diese Mischung als zu grün, sie müssen mehr Rot zumischen, während Grünschwache mehr Grün verlangen, um Gelbgleichheit herzustellen. Jeder, der gestaltend am Farbfilm mitwirkt, aber auch jeder, der kritisch zur Farbe im Film Stellung nimmt, sollte sich vorher der Prüfung mit dem Anomaloskop unterziehen.
Auffällig ist, daß etwa zwanzigmal mehr Männer farbuntüchtig sind als Frauen. Der Grund dafür besteht in einem komplizierten geschlechtsgebundenen Erbgang der Farbenfehlsichtigkeit. Ererbt ein Mann von einem Elternteil die Anlage zur Farbenfehlsichtigkeit, so tritt sie bei ihm auch auf jeden Fall in Erscheinung, sie wird manifest; dagegen wird im gleichen Fall die Frau nicht farbenfehlsichtig, die Störung bleibt verdeckt oder rezessiv; trotzdem vererbt sie die Anlage an die Hälfte der Söhne und Töchter, wobei die Söhne wiederum manifest, die Töchter rezessiv fehlsichtig werden.
Damit eine Frau manifest fehlsichtig wird, muß sie von beiden Elternteilen die gleiche Farbenfehlsichtigkeit ererben; die geringere Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammentreffens erklärt den niedrigen Prozentsatz von farbuntüchtigen Frauen. Die Durchforschung der Vererbungsgänge in farbgestörten Familien hat wesentliche Beiträge zur Vererbungswissenschaft geliefert.