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H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens

Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.

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Die irrationalen Kräfte der Völkervermischung

Die Abgründe im spanischen Volkscharakter lassen sich sowenig ausloten wie die von Hitler im deutschen Volk aufgerissenen. In der spanischen Nation trifft das Blut der iberischen Ureinwohner auf das der am weitesten nach Westen gewanderten Germanenstämme und das der Araber, eine Mischung, in der starke irrationale Kräfte wirken.

Der Glücksfall in der spanischen Geschichte war die Entdeckung Amerikas, die die Unruhe im spanischen Volk für lange Zeit band und die Spanier vor sich selbst schützte. Mit dem Aussterben der Habsburger, die in Spanien so viel Glanz hinterließen wie in Österreich, begann der Niedergang. In Andalusien war er weniger spürbar als in Kastilien.

General Queipo de Liano erkannte den Wert des Radios

In Sevilla traf ich den General Queipo de Liano, der als erster der spanischen Militärs die Bedeutung des Rundfunks erfaßt hatte. Als Mitverschworener fiel ihm die Aufgabe zu, sich Andalusiens zu bemächtigen, was ihm mit vier Offizieren und zehn Mann durch Besetzung der Telefonzentrale und des Senders gelang. Über sie hielt Don Gonzalo, wie ihn seine Freunde nannten, die Roten so lange in Schach, bis ihm Franco Verstärkungen schicken konnte.

Während der ersten Wochen des Bürgerkrieges sprach der General mehrmals täglich Nachrichten und Kommentare, in denen er die Propaganda der Regierungsstationen widerlegte und für die Sache Francos warb. Als »charlas« gingen sie in die Geschichte des Bürgerkrieges ein.

Die Falange und die Falange Feminina - Hilfstruppen

Als erster hatte Queipo de Llano in Sevilla die »Falange Espafiola de las I.O.N.S.« bewaffnet und sich in ihr eine schlagfertige Hilfstruppe geschaffen. Diese Bewegung war am 29. Oktober 1933 von Don Jose Primo de Rivera, einem Sohn des Diktators, ins Leben gerufen worden.

Bei Ausbruch des Bürgerkrieges geriet Don Antonio (??) in die Hände der Roten und fand in Alicante einen gewaltsamen Tod. Sein Erbe übernahmen seine Schwester Pilar, die der Falange Feminina vorstand, und der damals fünfunddreißig jährige Manuel Hedilla. Beide traf ich öfters.

Sie hatten keinen leichten Stand. Armee und Kirche konnten einer Volksbewegung, die sich am Faschismus und Nationalsozialismus orientierte, sich im übrigen aber auf spanische Gegebenheiten einstellte, wenig Geschmack abgewinnen.

Sie witterten in der Falange eine Neuauflage des Syndikalismus, den man mit dem Bürgerkrieg loszuwerden hoffte. Hinzu trat der Gegensatz zwischen Falange und Karlisten.

Der Gegensatz zwischen Falange und Karlisten

Sosehr sich die beiden Gruppen in ihrem Willen, Spanien zu erneuern, begegneten, so weit gingen ihre Anschauungen hinsichtlich der anzuwendenden Methode auseinander. Ihres Gründers beraubt, glich die Falange einem Faschismus ohne Duce, einem Nationalsozialismus ohne Führer.

In Pilar Primo de Rivera glühte das Feuer des Bruders verhaltener. Sie war keine Passionara, die den Fanatismus der Massen zu entzünden gewußt hätte. Hedilla war ein Sachwalter ohne Furcht und Tadel, aber eben nicht mehr. Wohl darum spielte er bis in die letzten Jahre eine Rolle.

So fiel es Franco nicht schwer, von der Falange Gebrauch zu machen, wenn er sie benötigte, und sie ins zweite Glied treten zu lassen, wenn die Staatsraison dies gebot.

Januar 1937 - Besuch beim Largo Caballero

Eines Tages fragte ich Hedilla, ob er mich den jungen Largo Caballero sehen lassen könne, von dem es hieß, daß ihn die Falange in Sevilla gefangenhalte. Es bedurfte einiger Überredungskunst, um dem Falange-Führer darzustellen, daß ich durch Augenschein dem Gerücht entgegenwirken könne, die Falange habe am Sohn des »spanischen Lenin« den Tod ihres Gründers gerächt.

Am 27. Januar 1937 um 17.30 Uhr wurde meiner Bitte stattgegeben, und ich bekam den Gewünschten im Hauptquartier der Falange in Sevilla zu Gesicht.

Don Ignacio Jiminez, Jefe de las Milicias, für den Gefangenen verantwortlich, führte mich vor eine graugestrichene Holztür, die von innen versperrt war. Auf unser Klopfen trat ein blutjunger Mann heraus, in dessen schmalem Gesicht ein Paar große braune Augen und ein kleiner Schnurrbart standen.

Es war der zweiundzwanzigjährige Francisco Largo Caballero. Die Revolution hatte ihn in El Pardo überrascht, in dem er in einem Pionier-Regiment sein Dienstjahr ableistete. Das Regiment wurde nach Segovia verlegt, wobei es zu den Nationalen überging und der Sohn des späteren Regierungschefs in die Hände der Aufständischen geriet.

Er wurde aus der Küche der Falange-Offiziere verpflegt und wie diese mit Zeitungen und Literatur versorgt. In Begleitung des Falange-Führers Antonio Ojeda durfte er sich täglich auf dem Paseo de las Delicias ergehen.

Dort traf ich ihn am anderen Tage nochmals und fotografierte ihn. In Hendaye unterrichtete ich den französischen Botschafter Herbette, der Largo Caballero in Kenntnis setzte, daß sich sein Sohn am Leben befand.

Februar 1937 - der Kardinalprimas von Spanien

In Pamplona suchte ich den Kardinalprimas von Spanien und Erzbischof von Toledo, Don Isidro Goma Tomas, auf. Er verdankte sein Leben einer Dienstreise, die ihn am 18. Juli 1936, dem Tage des »Pronunciamento«, nach außerhalb geführt hatte. So entging er der Ermordung durch die seinen Amtssitz stürmenden Massen. Der in einem Kloster untergekommene Kirchenfürst empfing mich in einem winzigen Raum, in dem eine Rollwand sein Bett verbarg. Er bezifferte die Zahl der getöteten Geistlichen auf 6.000 oder 40 Prozent der Kleriker, die beim Ausbruch der Revolution in dem von der Regierung beherrschten Gebiet wirkten.

Meine Frage nach den Aussichten eines Konkordats zwischen Kirche und der Franco-Regierung beantwortete der Kardinal dahin, daß es von dem Gedanken gegenseitiger Hilfe getragen sein müsse. Das war im Februar 1937.

Nur 36 Jahre später, noch zu Lebzeiten Francos, dem die Kirche ihr Überleben verdankte, bekundeten spanische Bischöfe ihre Sympathien mit Bestrebungen, die auf den Sturz des Franco-Regimes hinarbeiteten.

Zurück zum Herbst 1936

Dem blutigen Sommer des Jahres 1936 folgte ein schillernder Herbst. Wir kampieren in Las Cubas, einem Dorf vor Madrid, das einmal vierundfünfzig Häuser zählte, von denen drei stehengeblieben sind. Diese Häuser teilen sich die letzten 12 von 334 verschwundenen Einwohnern mit dem Stab eines Tabors von Marokkanern.

Front und Etappe ziehen sich in weitem Bogen um Madrid. Maqueda, Navalcarnero, Las Navas del Rey, Mostoles, Valmojado, Alcorcön, Santa Cruz de Retamar, Quismondo, Torrejön de Velasco, Illescas, Getafe, Paria, El Alamo, Cuatro Vientos, Brunete, Villaviciosa, Arroyo Molinos. Jeder Winkel ist uns vertraut, fast jeder Name mit einem Gefecht verbunden, dem wir folgten. Wir kennen sie alle, den Obersten Yague, den Kavallerieführer Monasterios, den Major Telia, die Generäle Milan Astray und Varela, Kampfkommandanten, die den Lack des Garnisonslebens, die geschniegelte Eleganz spanischer Offiziere abgelegt haben.

November 1935 vor Madrid

Am 15. November 1935 nehmen Legionäre und Marokkaner die Ciudad Universitaria. Von der Terrasse des Landhauses, das einmal der General Cabanellas als Alterssitz gewählt hatte, beobachten wir den Angriff. Madrid liegt zum Greifen nahe. Das königliche Schloß, das Carcel Modelo, die Telefönica, die Artilleriekaserne sind deutlich erkennbar. Längst gehören die Casa de Campo und das Flußbett des Manzanares zum Niemandsland, in das beide Seiten Vorstöße unternehmen.

In Gräben und Schützenlöchern teilen wir die kleinen Freuden und die großen Enttäuschungen der Truppe. Unsere Hilfsmittel sind den ihren oft überlegen. Wir verfügen über die schärferen Gläser, die solideren Schuhe, die wärmere Kleidung, die bessere Verpflegung. Von unserem Überfluß geben wir ab, soviel wir können.

Es gibt Tage, an denen die Identität der Berichterstatter aufzugehen droht in der Front, die zu beobachten unsere Aufgabe ist. Abend für Abend verlassen wir die Kampfzone und vertauschen sie mit dem Quartier, das wir in der eiskalten Wohnung eines Priesters in Toledo gefunden haben. Das Abendessen nehmen wir im Hotel Castilia ein, das sich durch penetranten Geruch ranzigen Öls auszeichnet, in dem selbst die Gemüse gedünstet werden.

Tage in Toledo und Cadiz und Besuch der Flotte

In der ausgeraubten Stadt gibt es außer Devotionalien nichts zu kaufen, nicht einmal Reproduktionen von El Grecos, die hier zahlreicher hängen als an irgendeinem Ort. Nachts weckt uns immer wieder MG-Feuer. Man weiß nie, ob es von jenseits des Tajo kommt oder ob die Roten den Fluß überschritten haben und in Toledo eingedrungen sind. Was bedeutet das schon! Man dreht sich auf die andere Seite und schläft weiter, bis die Frühmesse den Tag einläutet.

Cadiz. Eine entzückende Stadt, Treffpunkt der Flotten während der Kontinentalsperre, napoleonische Architektur ins Spanische übertragen, rosa und resedafarben getünchte Empirebauten mit schmiedeeisernen Altanen, Ansidaten, wie sie auf den Deckeln von Zigarrenkisten abgebildet sind, voller Anmut und Phantasie.

Wir besuchen die »Escuadra Nacional«, den Teil der Flotte, den die Admiralsbrüder Moreno auf die Seite Francos gebracht haben. Das Gros hielt zur Regierung, siebenhundert Marineoffiziere wurden von ihren Leuten abgeschlachtet. Morenos Mannschaften setzen sich aus Freiwilligen zusammen, die auf dem Kreuzer »Canarias« in die Anfangsgründe der komplizierten Schiffs- und Navigationstechnik eingeführt werden.

Weiter geht es nach Gibraltar.

Britische Kronkolonie, Insel der Ordnung im spanischen Chaos, Junktim zwischen Europa und Afrika, Pforte zum Mittelmeer. Ein paarmal habe ich den Felsen auf dem Weg nach Süden überflogen, ein paarmal mich zu seinen Füßen aufgehalten und ausgeruht.

Zweimal überraschte mich in Gibraltar eine Nachricht, die die Welt erschütterte und den Gang ihrer Politik veränderte. Am 11. Dezember 1936 erfuhr ich hier die Abdankung Eduards VIII., am 23. November 1963 die Ermordung von John Fitzgerald Kennedy.

Eine Schrecksekunde lang duckte sich die Kolonie, als habe sie eine schwere Granate aus einem Schiffsgeschütz draußen in der Meerenge getroffen. Man bangte um eine Idylle, die mit den angelsächsischen Seemächten unlöslich verbunden schien.

1936 war sie noch unangetastet. Man trank englischen Tee aus Indien, bestrich den Toast mit goldgelber englischer Butter, die, von spanischen Kühen gewonnen, in spanischen Zentrifugen geschlagen, in Spanien nicht erhältlich war.
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Kaum 3 Kilometer vom Schauplatz des blutigen Bürgerkrieges

Hier konnte man, kaum drei Kilometer vom Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges, Ladies und Gentlemen beobachten, die auf irischen Huntern mit untadelig geschorenen Mähnen, modisch gestutzten Schweifen und blankgeputzten Kandaren, gefolgt von Grooms in blaugrün-karierten schottischen Hosen, ihren Morgenritt unternahmen.

Hier lagen Rennplatz und Kricketfeld an einer Straße, deren unterer Teil englisch war, während der obere mit indischen Läden, marokkanischen Bazaren, »shops« aus Manchester und Birmingham von allem etwas bot, weder zu Spanien noch zu Britannien gehörte, sondern einfach zum Mittelmeer, dessen Seeleute und Touristen hier einkauften.

Das »Rockhotel«, von dem der Blick über den Hafen und die Bucht von Algeciras bis zur afrikanischen Küste geht, erinnerte mehr an ein Sanatorium als an eine Herberge. Patienten waren die Offiziere und Kadetten der Royal Navy, die Medizin, von der sie kosteten, »sweethearts«.

Ein großes Aufgebot heiratsfähiger englischer Backfische

Mit dem Frühling, der in Gibraltar Europa zuerst erreicht, warf die Schlachtflotte Anker. In ihrem Kielwasser schwamm die »fishing fleet«, unter der man ein großes Aufgebot heiratsfähiger englischer Backfische verstand, die, von ihren Mamas eskortiert und angeleitet, ihre Angeln auswarfen.

Das »Rockhotel« eignete sich hierfür bestens. Spielautomaten, Billards und Bars lockten Hagestolze herauf. Waren sie einmal oben, so gerieten sie auch in den Speisesaal, in welchem bei Kerzenschimmer und gedämpfter Musik Netze ausgelegt waren, aus denen selbst routinierte Junggesellen sich nur schwer befreien konnten.

Um die Mannschaften kümmerten sich die Kneipen in der Stadt. An langen Tischen servierten sie den Söhnen Albions, die ihre weißen Tellermützen auf dem Kopf behielten, dunkles Bier und ebensolche Mädchen.

Um zehn Uhr war Zapfenstreich. Das Grammophon spielte »God save the King«, alles erhob sich und schlich, vorbei an der mit weißen Gummiknüppeln ausgerüsteten Schiffspolizei, zur Kasse.

Wer sich nicht aufraffte und die letzte Barkasse zu verpassen riskierte, wurde wortlos darüber belehrt, daß die Disziplin auf den Schiffen Seiner Britannischen Majestät sich seit den Tagen Nelsons nicht geändert hatte.

Das Nachtleben von Gibraltar

Zurück blieben die leichten Damen mit den wenigen Zivilisten, die das Nachtleben von Gibraltar frequentierten. Unter ihnen gab es viele Deutsche, Wienerinnen und Polinnen. Für sie bedeutete Gibraltar die letzte Station auf dem Weg in die düstere Welt nord- und westafrikanischer Freudenhäuser.

Als Taxigirls, Stripteaser und Chanseusen wiegten sie sich noch einmal in der Illusion eines frei gewählten Berufes, durften sie sich zum letztenmal selbst die Männer aussuchen, mit denen sie die Nacht verbrachten, und konnten sich einreden, Liebe sei im Spiel gewesen.

Liefen ihre kurzfristigen Verpflichtungen aus, so lauerten draußen schon die Agenten, die in Gibraltar den Nachwuchs für Tanger und Dakar suchten, wobei dort die Afrikaner nach den weißen Frauen griffen, Syphilis und Alkohol sie zerstörten.

Februar 1937 - Die Armee des Herzogs von Sevilla rückt vor

Am l. Februar 1937 stießen wir zu der auf Malaga marschierenden Armee des Herzogs von Sevilla, der seine Posten bis Estepona und Marbella vorgeschoben hatte. Die Costa del Sol war damals noch nicht entdeckt.

Es gab weder Hotels noch Schwimmbäder, weder Golfplätze noch Jachthäfen. Bitterste Armut war das Kennzeichen der ganzen Küste. Der Gegner blieb unsichtbar. Er verbarg sich hinter Findlingen und in Pinienwäldern und zog sich in aller Hast zurück.

Am 8. Februar räumte er Malaga. Um die gleiche Zeit kam die Front vor Madrid wieder in Bewegung. Am 12. Februar, einem kalten, strahlenden Vorfrühlingstag, forcierten die Nationalen den Übergang auf das Ostufer des Jarama.

Krieg nach dem Muster eines Kriegsspiels im Hörsaal

Auf einer Hügelkuppe nehmen wir Position und erleben, wie sich die Schlacht nach dem Muster eines Kriegsspiels im Hörsaal einer Militärakademie vor unseren Augen entfaltet.

Um 7.30 Uhr gehen Sturmtruppen über den Jarama und ziehen Pontonbrücken nach, auf denen Tanks übersetzen. Eine gleißende Sonne wirft ihre Strahlen auf Tausende von Stahlhelmen, Fahrzeugen und Geschützen, die eine gewaltige Kanonade eröffnen. Über ein kahles Plateau attackiert Kavallerie. Dreißig Pferde brechen im Feuer nieder, bis die Schwadronen ihr Ziel erreichen.

Grün-rot-gestrichene sowjetische Sturzbomber greifen ein. Bei San Martin de la Vega liefern sich in der heraufziehenden Dämmerung sechs von ihrem Gros abgeschnittene russische Panzer ein Duell mit marokkanischen Scharfschützen. Leuchtkugeln steigen auf und belichten die Luken bewegungsunfähig gewordener Kampfwagen.

Die Mannschaften springen heraus, entledigen sich ihrer Overalls, springen in den Jarama und versuchen das andere Ufer zu erreichen. Im Laufe der Nacht gelingt der Kolonne des Obersten Alensio Cabanillas die Bildung eines weiteren Brückenkopfes. Es wird nun buchstäblich unter den Mauern von Madrid gekämpft, aber die Stadt ergibt sich nicht.

Die Italiener wollen kämpfen

Wochenlang hatten wir uns bemüht, von den spanischen Militärbehörden die Erlaubnis zum Besuch des von den Italienern gehaltenen Frontabschnittes zu bekommen. Vergeblich.

Die Spanier stellen sich taub und tun so, als hätten sie nie von der Anwesenheit italienischer Freiwilliger gehört. So brechen wir auf eigene Faust in die Gegend auf, in der wir die Italiener vermuten. Nach einer durch den Frontverlauf bedingten langwierigen Umfahrung des Perimeters von Madrid treffen wir in Arcos auf das Oberkommando und in Brihuega auf den Stab der Ersten Freiwilligen Division.

Die Italiener zeigen sich hocherfreut, deutsche Journalisten zu sehen. Sie machen keinen Hehl aus ihrem Ärger, durch die Spanier von jeder Publizität abgeschnitten zu sein. Sie gestatten uns freie Bewegung im Befehlsbereich der Division und haben nichts dagegen einzuwenden, wenn wir fotografieren.

Der Generalstabschef Oberstleutnant Roberto Nasi versieht uns mit einem Geleitbrief, in dem es heißt: »I Comandi di truppe sono pregati di facilitarne il compito dandogli, all occasione protezione e ajuto4.«

Wohin wir kommen, werden wir in Offiziersmessen großzügig bewirtet. Wenn etwas bei den Divisionen des Generals Roatta klappt, so ist es die Versorgung mit heimischen Lebensmitteln und Weinen. Die Stimmung ist voller Zuversicht, man spricht von der bevorstehenden Einnahme Madrids wie von einem Spaziergang zu Ehren Mussolinis.

Man gibt uns zu verstehen, daß die »volontari« innerhalb einer Woche schaffen würden, was Francos Spanier in einem dreiviertel Jahr nicht vollbracht haben. Das Briefpapier der Division ziert der Leitspruch »Dio lo vuole.«

Guadalajara und der erste Rückschlag

Gott wollte es anders und ließ die Italiener im Stich. Nach der Einnahme von Terracena, Trijueque und Torija stehen die Italiener am 8. März 1937 an der Straße von Madrid nach Saragossa vor dem Städtchen Guadalajara.

Bei Trijueque liegt ihnen das aus deutschen und tschechischen Kommunisten gebildete Bataillon »Spartakus« gegenüber, das erbitterten Widerstand leistet. Zum erstenmal erlebe ich eine große Kampfhandlung, bei der auf Seiten der Nationalen ausschließlich motorisierte Einheiten zum Zuge kommen. Gerade das soll den Italienern zum Verhängnis werden.

Der wochenlange Regen hat den ockerroten, von Schiefer durchsetzten Boden des kastilisch-aragonesischen Hochlandes aufgeweicht und in eine Schlammflut verwandelt. Sobald die schweren Fahrzeuge auf der unter ständigem Feuer liegenden großen Straße ins Gelände ausweichen, versinken sie im Morast. Der Nachschub bleibt stecken.

Die Artillerie kann ihre Stellungen nicht schnell genug wechseln. Die Infanteriespitzen sehen sich ihres Rückhaltes beraubt. Fünf Tage lang bleiben die Divisionen auf einem nur wenige Kilometer langen Straßenstück massiert. Eisige Temperaturen, Wind, Schnee und Wolkenbrüche setzen den an ein gemäßigtes Klima gewöhnten Freiwilligen zu. Fünf Tage lang wird kein warmes Essen ausgegeben.

Panik bei den Italienern

Die meisten jungen Soldaten haben noch nie im Feuer gelegen. Sie wissen nicht, wie man sich bei Luftangriffen verhält. Jeden Einschlag nehmen sie persönlich übel, als sei er auf sie gezielt gewesen. Sie erleben, wie ihre Fahrzeuge in Flammen aufgehen, ihre Munition explodiert. Die Motoren von Wagen, auf denen sie sich absetzen wollen, springen nicht an, weil das Kühlwasser gefroren ist.

So fällt es der an die Nordfront verlegten Internationalen Brigade nicht schwer, einen in Unterschätzung des Gegners ungenügend vorbereiteten, zu schnell vorgetragenen Angriff zum Stillstand zu bringen.

Daß der Rückzug ordnungsmäßig verläuft, wagen nicht einmal die Italiener zu behaupten. Wir werden Zeuge, wie Schützenlinien eingedrückt werden, ganze Kompanien sich zur Flucht wenden. Weder die Offiziere noch die Regimentsgeistlichen vermögen die Fliehenden aufzuhalten. Kaum begonnen, ist die Schlacht von Guadalajara bereits verloren.

Am 16. März 1937 im Berliner Lokalanzeiger

Der »Berliner Lokalanzeiger« vom 16. März 1937 druckte meinen Frontbericht auf der ersten Seite und gab ihm die Überschrift »Kälte, Schnee und tiefer Schlamm«. Die Unterzeile lautete: »Nach fünf Tagen im schwersten Feuer Ablösung - Der General gefallen - Harte Strapazen.« Es war nur die halbe Wahrheit.

Daß es sich um eine militärische Katastrophe größten Ausmaßes handelte, ließ diese Verbrämung nicht ahnen. Was sich wirklich zugetragen hatte, konnte ich erst nach meiner Rückkehr in Berlin darlegen.

Gleichwohl nahm das Reichskriegsministerium von meinen Beobachtungen keine Notiz. Man wollte keine Komplikationen mit der politischen Führung. Anders der Bruder meines Vaters, der als Militärattache bei der Deutschen Botschaft in Warschau Dienst tat. Er lud mich ein, vor der polnischen Generalität über die militärischen Aspekte des spanischen Bürgerkrieges einen Vortrag zu halten. Etwa 30 hohe Offiziere erschienen in seinem Hause. Meine Schlußfolgerung, daß die Zukunft auf dem Schlachtfeld, dem Panzer gehöre, bekerzigten die Polen freilich nicht.

Meine Liebe zu Spanien - ein Vergleich

Spanien sollte mich nie wieder loslassen. Anders als Italien entzieht sich Spanien der Liebe auf den ersten Blick. Entsteht eine Bindung, so hält sie für immer. Ich habe das nie stärker empfunden, als ich zwischen Spanien und Portugal hin-und herreiste.

Portugal bietet alles, das Spanien fehlt. Eine farbenfrohe architektonische Kulisse, frisch geweißte Häuser, Weinberge in sattem Grün, helle Wolken, ein Meer, das seinen Gischt auf gelbe Strände wirft. - In Spanien wirkt vieles abgenutzt, ausgedörrt, verschlissen, düster.

Aber seine Menschen sind federnd, leidenschaftlich, voll von Humor. Die Portugiesen neigen zur Melancholie, die Spanier zu guter Laune. Hier ein Hauch negroider Teilnahmslosigkeit, die Müdigkeit einer alten Rasse, schwarzgekleidete Frauen, von Traurigkeit erfüllte Folklore. Dort arabische Irrationalität, phantastische Frisuren, Nackenlinien von einmaliger Eleganz.

Die Portugiesen wissen zuviel von ihrer Geschichte, die Spanier nicht genug, obschon die Vergangenheit hier wie dort die Gegenwart in ihren Schatten stellt.

Ein Erlebnis - Jahre später - 1964 - gibts noch zu berichten

In Lissabon wurde ich im Frühjahr 1964 vor eine der schwierigsten Entscheidungen meiner journalistischen Laufbahn gestellt:

Ich hatte mich Monate hindurch um Interviews sowohl mit dem spanischen Staatschef Franco wie mit dem portugiesischen Regierungschef Salazar bemüht. Ich hatte die deutschen Botschaften eingeschaltet und in Spanien den mir befreundeten Bürgermeister von Madrid, den Grafen Mayalde, als Vermittler gewonnen. Der Graf Casa de Loja, Chef von Francos Zivilkabinett, unterstützte mein Anliegen. Der portugiesische Außenminister Franco Nogueira bemühte sich bei Salazar. Ich reiste nach Afrika. Als ich wieder in Lissabon landete, stand die Antwort aus beiden Kanzleien noch immer aus.

Kurz vor dem Rückflug nach Deutschland

Die Zeit verrann, und ich beschloß, nach Deutschland zurückzukehren. Am Tage vor meinem Abflug trat das Unglaubliche ein.

Franco und Salazar bestellten mich für ein und denselben Tag, den 29. April 1964, nach Madrid und Lissabon. Ich sollte mich um dreizehn Uhr im Pardo, der Residenz Francos, melden und um zwanzig Uhr in der Privatwohnung von Salazar einfinden.

1964 - mit dem Flugzeug nach Madrid

Ein Hindernislauf begann. Alle Flüge in die spanische Hauptstadt waren ausverkauft. Mit Hilfe des spanischen Konsuls in Lissabon, meines alten Freundes Juan de las Barcenas, wurde in einer »Iberia«-Maschine ein Platz für mich frei gemacht. Obwohl das Flugzeug aus New-York kam, hatte es keine Verspätung.

Wir landeten mittags in Madrid, dort empfing mich der Presseattache Köster und lieferte mich im Pardo-Schlößchen ab. Dort saß ich wie auf Kohlen.

Alle fünfzehn Minuten durfte ich in einen anderen goldenen Salon vorrücken. Im Wartezimmer vor mir harrten fünf Nonnen auf eine Audienz. Bei der Ausführlidikeit, mit der Klosterfrauen ihr Anliegen vortragen, mußte ich mit einem weiteren Zeitverlust rechnen.

Zwei der scheuesten Staatsmänner am gleichen Tag besucht

Endlich um 15.15 Uhr kam ich an die Reihe. Die Unterredung währte eine halbe Stunde. Dann raste ich zum Flugplatz und erwischte die letzte Maschine nach Lissabon. In der Luft entdeckte ich, daß ich in ein altes Propeller-Flugzeug geraten war, das die doppelte Flugzeit benötigte wie ein Jet.

Um 19.30 Uhr setzten wir in Lissabon auf. Ich bestieg den Cadillac Salazars und traf auf die Minute pünktlich vor seinem Hause ein. Ein einzigartiges Unternehmen war geglückt. Ich konnte zwei der am schwersten zugänglichen Staatsmänner Europas an ein und dem gleichen Tag sprechen.

Franco war 1964 nur noch ein fragiler Greis

Ich hatte Franco 28 Jahre lang nicht gesehen. Statt des robusten Troupiers, den ich auf seinem Gang durch den befreiten Alkazar begleitete, trat mir ein fragiler Greis gegenüber, der mit einem Kardinal mehr Ähnlichkeit hatte als mit einem General.

Eine große Würde ging von ihm aus. Schon die Mitteilung, daß mir die Audienz bewilligt worden war, heischte Respekt. Sie schloß mit dem Satz: »Gott schenke Ihnen noch viele Jahre.« Als ich in Begleitung des Marques de Lema das Arbeitszimmer des Caudillo betrat, erhob sich Franco hinter einem Schreibtisch, der mit Stapeln von Dokumenten bedeckt war.

Der damals einundsiebzig jährige Staatschef redete mich mit gesenkter Stimme an und übergab mir mit einer Feierlichkeit, als handele es sich um einen Ehrenbürgerbrief, ein Papier mit den von seinen Ministern ausgearbeiteten Antworten auf das Questionnaire, das ich Monate zuvor eingereicht hatte.

Franco - immer noch für eine Überaschung gut

Auf den Gegenstand des Interviews mit keinem Wort eingehend, kam Franco sogleich auf Erinnerungen an den Bürgerkrieg, insbesondere an den Alkazar zu sprechen. Daran schloß sich ein Dialog über aktuelle politische Fragen. Ein Kopfnicken, und die Audienz war beendet.

Den Regeln des burgundischen Zeremoniells entsprechend, zogen wir uns rückwärtsschreitend zurück. Als ich das Interview studierte, wurde ich angenehm überrascht. Franco hatte die Gelegenheit benutzt, um einige hochpolitische Äußerungen der Öffentlichkeit zu übergeben.

Er bekannte sich zu de Gaulies Konzeption eines »Europas der Vaterländer« und bezeichnete das Projekt einer eigenen französischen Atommacht als durchaus angemessen. Er lehnte die Rückkehr Spaniens zur parlamentarischen Demokratie ab und nannte die Auslieferung des während des Bürgerkrieges nach Moskau verschleppten spanischen Goldschatzes eine unerläßliche Bedingung für die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Madrid und Moskau.

Über die Begegnung mit Salazar

Die Begegnung mit Salazar in Lissabon führte in eine andere Welt. Statt marokkanischer Garden zu Pferde sicherten vier Schutzleute den Eingang zu einem Wohnsitz, der kein Palast, sondern ein einfaches Haus war.

Anstelle eines Hofstaates, in dem Granden den Dienst versahen, empfing mich ein Mädchen in schwarzem Kleid, Häubchen und Zwirnhandschuhen. Es gab keine Flucht von Salons mit Gemälden von Goya, flämischen Gobelins und vergoldeten Louis-Quinze-Fauteuils.

Ein großer verdunkelter Wohnraum, der mit der zurückhaltenden Eleganz des 18. Jahrhunderts ausgestattet war, umfing mich. Ich nahm gegenüber einer Konsole Platz, auf der das Schlagwerk einer Cartelluhr soeben die achte Stunde ankündigte. Als der letzte Ton verklang, nahte sich eine zarte, kleine Gestalt.

Beinahe einer Verwechselung erlegen

Ich hielt sie für den Sekretär Salazars, der mir mitteilen würde, der Ministerpräsident bedaure, mich noch warten lassen zu müssen. Ich irrte mich. Es war der Professor Antonio Oliveira Salazar in Person.

Franco eröffnete die Konversation in seiner Muttersprache spanisch. Salazar entschuldigte sich, Deutsch, das er als Kind erlernte, nicht mehr zu beherrschen. So reden wir französisch.

Anderthalb Stunden hindurch. Salazar sah wenige Besucher, und die gründlich. Botschafter mußten sich mit zwanzig Minuten bei ihm begnügen. Der Ministerpräsident, von dem es hieß, er führe das Leben eines Eremiten, zeigte sich über alles unterrichtet.

Salazar, ein sehr informierter Philosoph

Kein Problem der Weltpolitik, über das er nicht exaktes Wissen verriet. Seine Grundhaltung war die eines Philosophen. Wenn er von den jungen Völkern sprach, wußte man nicht, ob er die Bantus im Sinn hatte oder die Amerikaner. Ein gläubiger Christ, urteilte er streng über die politisierte Kirche.

Die Einmischung methodistischer Missionare in die Wirren von Angola verzeichnete er mit schneidender Schärfe.

er deutschen Wiedervereinigung gab er keine Chance. »Vous etes une nation guerriere«, die die Russen fürchten und darum niederhalten.

Als ich dem deutschen Botschafter auf seinen Wunsch eine Aufzeichnung über den Inhalt meines Gespräches gab, bat er mich, diesen für Bonn unzumutbaren Satz zu streichen! Am Ende fragte ich Salazar, was ich von unserem Gedankenaustausch veröffentlichen dürfe. Während er mich hinausbegleitete und mir in den Mantel half, sagte er lächelnd: »Kein einziges Wort.

Ich habe Sie nicht als Zeitungsmann, sondern als Freund Portugals empfangen. Ihr Interview wird das Ministerium beantworten und Ihnen den Text zustellen.« Ich erhielt ihn - ein halbes lahr später. Er wurde am 4. August 1964 in »Christ und Welt« abgedruckt und fiel so aus, wie ich befürchtete, unverbindlich und ohne Neuigkeitswert.

Salazar war weder Demokrat noch Diktator.

Er glaubte nicht, daß die Völker sich selbst regieren können, weil in seinen Augen Regieren ein Minimum an Intelligenz und Bildung voraussetzt.

Er verfügte über das Maximum von beidem. Er haßte es, sich zur Schau zu stellen, und trat fast niemals öffentlich auf. Askese bestimmte sein Leben, Einfachheit seinen persönlichen Stil.

In vielem ähnelte er de Gaulle, in manchem Adenauer. Was immer die Nachwelt über Salazar denken mag, ich würde ihn einen der bedeutendsten Staatsmänner des 20. lahrhunderts nennen.

De Gaulle, eine Galavorstellung mit einem Staatsoberhaupt

Ein paar Jahre später, am 28. Oktober 1966, nahm ich an einer der Pressekonferenzen teil, die de Gaulle von Zeit zu Zeit im Elyseepalast abzuhalten pflegte.

Einer Galavorstellung mit einem Staatsoberhaupt in der Titelrolle hatte ich noch nicht beigewohnt. Schon die livrierten Diener ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die Journalisten auf geweihtem Boden standen; Kaskaden von Lüstern schwebten drohend zu unseren Häuptern.

Roter Samt und Damast rahmten ein Parkett ein, auf dem wir dichtgedrängt uns niederließen. Die Regierung erschien und nahm in der Anordnung eines Orchesters Platz. Zuerst trafen die Staatssekretäre ein, dann die Minister und schließlich die Mitglieder des Kabinetts, als vorletzter Couve de Murville, als letzter Pompidou, die erste Geige und der Baß. Sie sprachen leise miteinander, als wollten sie Instrumente stimmen.

Der inzenierte Auftritt von Charles de Gaulle - Okt. 1966

Endlich öffnete sich der schwere Vorhang über der Bühne und gab den Blick auf einen Tisch frei. Noch einmal Minuten der Erwartung, dann war es soweit. Charles de Gaulles Auftritt begann.

Kein Dirigent dürfte seinem Publikum so viel Verachtung entgegenbringen, wie sie de Gaulle der Presse bezeigte.

Fragesteller hatten ihre Texte mit dem Außenministerium abgestimmt und strahlten vor Glück, wenn de Gaulle sich ihrer annahm. Ad hoc vorgebrachte Fragen überging der General, als habe er sie gar nicht gehört. Um so genüßlicher bezog er sich auf Fragen, die nicht gestellt worden waren. Es war wie ein Ballspiel, bei dem eine Wand den Partner ersetzt. Die Historiker werden einmal zu untersuchen haben, welcher de Gaulle der größte war: der Militärtheoretiker, der Organisator der Resistance, der Politiker oder der Schauspieler.

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