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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Im Befehlsbunker in Minsk

Von all dem ahnte der kleine Tremper natürlich nichts, als er frohgemut mit Hunderten anderen jungen Angehörigen der PZG »Feldherrnhalle« und ihren funkelnagelneuen Tiger-Panzern direkt ins Zentrum der Katastrophe rollte.

Ich erinnere mich, daß wir in dieser Nacht zum 28. Juni 1944 unaufhörlich »Wildgänse rauschen durch die Nacht« und »O du schöner Westerwald« und »Es zittern die morschen Knochen« sangen, nur unterbrochen, wenn links oder rechts vom Bahnkörper plötzlich geschossen wurde.

Minen unter den Schwellen gab es zu dieser Zeit nicht mehr; entlang der Strecke zog sich eine einzige Postenkette, lagerten Tausende und Abertausende von erschöpften Soldaten. Als der Zug bei der Njemen-Brücke längere Zeit anhalten mußte und Partisanen wieder mit Granatwerfern schossen, besetzten »meine« Jungs sogar die Tiger und drehten die Panzertürme in Richtung Wald. Aber es wurde ihnen nicht erlaubt zu schießen.
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Meine Beschützer waren in der Dunkelheit verschwunden

Wieder, wie bei meiner ersten Ankunft auf dem weitläufigen Bahngelände von Minsk vor vier Tagen, fielen Bomben, und russische Tiefflieger griffen mit Bordwaffen die Züge an.

Dreißig Kilometer vor der Stadt waren meine Beschützer von der »Feldherrnhalle« an einer behelfsmäßigen Rampe, die aus umgestürzten Güterwagen bestand, ausgeladen worden und brummend und stinkend in der Dunkelheit verschwunden, ohne mich mitzunehmen.

Ihre Plätze auf den Flachwagen hatte eine bunt zusammengewürfelte »Kampfgruppe« verlotterter, desperater Soldaten eingenommen. Entsprechend deprimiert hüpfte ich in Minsk am hellichten Tag mit meiner Aktentasche unterm Arm von Gleis zu Gleis, um lebend aus dem Bahngelände herauszukommen.
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Meine zweite Aktentasche war leer - geklaut

Im Soldatenheim II stand noch meine zweite Aktentasche - aber der Inhalt samt der zweiten Contax war verschwunden, und niemand wollte sich meine Proteste anhören. Dafür gab es jede Menge freier Betten, und ich fiel ins nächstbeste und schlief erst mal eine Runde.

Ich muß mit meinen fünfzehn Jahren ein Gemüt gehabt haben wie der bekannte Fleischerhund. Ich weiß noch, daß ich scherzte: »Weckt mich, wenn die Russen kommen!« Wer mich ständig weckte, war Geheime Feldpolizei, und die nahm mich und meinen schon ziemlich abgegriffenen Brief vom Propagandaministerium mit zur Frontleitstelle im Lenin-Hochhaus.

Die Frontleitstelle war inzwischen im Bunker

Die befand sich unterdessen in einem Bunker unter der Erde, und es herrschte ein Betrieb wie in den Nachkriegsfilmen über die letzten Tage im Führerbunker.

Selbst in diesen letzten Stunden von Minsk, beinahe schon eingeschlossen von den Russen, erregte mein Schrieb jedoch Aufsehen bei den Stabsoffizieren der Heeresgruppe Mitte. Ich wurde ständig befragt, erzählte immer wieder, wie ich in Sluzk hinter die feindlichen Linien geraten und in Barranowitschi wieder auf den »Feldherrnhalle«-Transport nach Minsk gesprungen war, und hörte mir Kommentare wie »Armer Irrer!« und »Ausgerechnet einer vom Promi!«

Auf der Toilette an die Wand pinkelnd, sagte jemand mit roten Streifen an der Hose neben mir: »Geben Sie Ihren Wisch aus Berlin nie aus der Hand! Das kann ihre Lebensversicherung werden! Aber fressen Sie ihn auf, wenn die Russen kommen sollten!«
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Am Mittwoch - ein warmes Essen - General Model kommt

Ich bekam an diesem Mittwoch zum erstenmal seit Sonntagmittag wieder ein warmes Essen - die Frontleitstelle hatte eine blitzsaubere Küche - und durfte in dem Bunker sogar schlafen.

Am Donnerstagmorgen wollte ich frische Luft schnappen, aber die Wachen ließen mich nicht nach oben - »Artilleriebeschuß!« Dann stand ich mit in Reih und Glied, als der berühmte General Model per Fieseler Storch eintraf und das Kommando über die »Festung Minsk« übernahm.

Er eilte durch den Gang, und als einer »Ach-tung!« schrie und alle wie angewurzelt stehenblieben, nahm auch ich Haltung an und legte die Fingerspitzen an die Hosennaht. Model! Der tolle Haudegen! Der würde das Blatt wenden!
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Wenn Model kam, flohen die Russen!

Der hatte »das Schlachtenglück gepachtet«! Mit Model würden wir den Ring um Minsk sprengen! Und ich würde bei seinem Ausbruch dabei sein! Ich bildete mir sogar ein, daß er mich im Vorbeigehen kurz gemustert hätte. Kunststück, so wie ich aussah, mit diesen gelben Schuhen aus Rohleder, dem Schlips, der Windjacke - und immer die schimmernde Contax offen auf der Brust!

Es dürfte tatsächlich der spätere Feldmarschall gewesen sein, der kurz darauf die Entscheidung traf: »Weg mit dem Kerl aus dem Propagandaministerium!«

Denn ich wurde bis in das Vorzimmer gerufen, in dem Ordonnanzen sich um irgendwelches Gepäck des Model-Vorgängers Busch stritten, und hörte, daß ich im Fieseier Storch des Generals ausfliegen würde - zusammen mit drei Generalstabskurieren.

Da der Pilot auch noch dazugehörte, wären wir fünf Mann in einem Flugzeug, das nur für drei ausgelegt war, doch es sei Krieg, hörte ich, und da müsse man manches auf eine Karte setzen. Sowieso sei ich nur eine »halbe Portion«, eine Weigerung komme nicht in Frage, das Oberkommando wolle mich nicht eine Stunde länger in Minsk haben, basta und Heil Hitler!
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Er hat mich vor einem furchtbaren Schicksal gerettet

Heute weiß ich, daß mich Models Fieseler Storch vor einem furchtbaren Schicksal gerettet hat: Von den Verteidigern Minsks kamen weniger als zehn Prozent davon, und die in der Gefangenschaft überlebten, kehrten erst elf Jahre später zurück.

Ich schwankte zwischen Euphorie und Entsetzen: Ich im Flugzeug! Ich war noch nie geflogen, aber Flugzeuge faszinierten mich, wie jeden Jungen.

Andererseits: Ich hätte so gern die große Schlacht unter dem berühmten Model miterlebt - Mann! Was ich zu Hause alles hätte erzählen können! Im Fieseler Storch hingegen das Weite zu suchen, und auch noch gefährlich überladen, erschien mir einfach zu blöde.

Ich weiß nicht, woher meine Ahnung kam, aber auf einmal fürchtete ich ernstlich, daß das schiefgehen würde. Innerhalb von Minuten wußte ich, daß wir abstürzen würden, daß ich sterben müßte, an diesem Donnerstag noch, in einer Stunde schon! Mir wurde hundeelend.

Auf einmal begann ich an der Sicherheit zu zweifeln, die dieser Bunker mit all seinen Offizieren bot; mein eben noch »unerschütterlicher Glaube«, daß der Führer alles mögliche aufgeben könnte - aus »taktischen Gründen«, selbstverständlich -, aber doch nicht ein Zentrum wie Minsk, doch nicht die Hauptstadt von Weißrußland, geriet ins Wanken.

Kein Pardon, ich wurde "heimgeschickt"

Den ganzen Vormittag lang habe ich jeden Stabsoffizier angefleht, mich in Minsk zu lassen. Auf dem schmalen Feldbett, das mir zugewiesen worden war, begann ich schweren Herzens, meine belichteten Filme zu sortieren und in meiner Windjacke zu verstecken - »Kein Gepäck!« hatte man mir befohlen.

22 Leicafilme brachte ich unter. Dann ergriff mich ein Stabsfeldwebel am Arm und zerrte mich im Laufschritt die Treppe hinauf, auf den Hof. Über Minsk lag eine dichte Rauchwolke, die das Sonnenlicht schluckte.

Nach Wilna - mit dem Fieseler Storch

Direkt vor dem Bunkereingang stand der kleine, hochbeinige Eindecker und sah riesig aus. Vorne saß bereits der Pilot, daneben ein Oberstleutnant, hinten quetschten sich zwei Offiziere auf einem Sitz zusammen, und ich wurde von zwei Soldaten wie ein Koffer auf sie draufgeworfen.

Der Pilot zerrte meinen Oberkörper zwischen sich und den Oberstleutnant, die Herren hinten stießen meine Beine von sich; ich lag auf dem Bauch und konnte meinen Kopf nur mühsam heben, wenn ich nach vorne gucken wollte. Und da heulte auch schon wieder eine Granate heran, und alle schmissen sich hin.

Nur wir in der gläsernen Kabine waren schutzlos dem nahen Einschlag preisgegeben. Schon zogen mehrere Soldaten den Storch im Laufschritt über den langen Hof zum Platz vor dem Lenin-Hochhaus. Es roch fürchterlich nach Benzin, der Propeller drehte sich schon, und gerade als ich den Platz erkennen konnte und mich fragte, wie der Pilot unter all den vorbeirollenden LKWs, Panzerspähwagen und Pferdefuhrwerken starten wollte, drehten die Soldaten das Ding um, indem sie einfach den Schwanz hochhoben.

Der Motor kam auf Touren, das ganze zerbrechliche Flugzeug wackelte und vibrierte, mindestens zehn Mann mußten es am Fahrwerk festhalten, der Pilot schrie und gestikulierte, irgendwas schien schiefgegangen zu sein - aber wie auf Kommando spritzten alle plötzlich auseinander, und der Fieseler Storch fing an zu rollen, zurück in den langen Hof hinen.
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Mir fiel das Herz in die Hose

Ich dachte noch, sie haben es aufgegeben, wir können nicht fliegen, da rollte die Maschine immer schneller, immer schneller, ich hörte die Herren Offiziere etwas schreien, ahnte mehr, als daß ich glauben wollte, was ich sah - ist der verrückt, mit Vollgas in den Hof hineinzubrausen? Der will doch nicht starten?

Und da sah ich schon, mit dem Kopf zwischen den Schultern des Piloten und des Oberstleutnants, wie die riesigen russischen Mülltonnen auf uns zukamen, die am Ende vor einer drei Meter hohen Betonwand in Reih und Glied standen - und schon machte der Fieseier Storch einen Hopser, dann noch einen und hob sich, kurz vor den Mülltonnen, mit einem so gewaltigen Schwung in die Luft, daß es mir den Magen in die Kniekehlen preßte.
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Der Pilot und die Offiziere jubelten

Der Pilot brach in einen triumphierenden Schrei aus, die Offiziere jubelten und schlugen ihm auf die Schultern, und wir sausten, höchstens fünf Meter hoch, wackelnd durch eine kleine Straße, stießen an einer Kreuzung fast mit einem Straßenbahnwagen zusammen, kurvten in eine andere Straße und waren auf dem Bahnhofsvorplatz, von wo der Pilot Kurs auf die Eisenbahnschienen nahm.

Aus den Gesprächen der Herren bekam ich später mit, daß der Pilot das waghalsige Kunststück kühl auskalkuliert hatte. Er war schon morgens auf dem Hof mit General Model gelandet und hatte gleich eine Hausruine sprengen lassen, die hinter der Betonmauer mit den Müllkästen seine haarsträubende Startrampe blockierte. Doch nun ging es darum, den Weg aus Minsk herauszufinden.

Der Generalstabsoffizier neben dem Piloten schrie »Rechts! Rechts!« oder »Links! Die zweite Schiene!«, und der Pilot stritt sich mit ihm, welches Schienenpaar zur Strecke nach Wilna gehörte.

Wir flogen die ganze Zeit in dieser Höhe von nur drei, vier Metern, und der Motor hörte nie auf, mit Vollgas zu laufen. Wir zitterten alle, daß er stehenbleiben würde, die Maschine war eben zu schwer beladen.
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Es war ein völlig irres verrücktes Erlebnis

Ich sah Granateinschläge dicht vor uns, die unser Maschinchen kurz mal hochwarfen. Ich hörte die Offiziere dauernd »Eine direkt über uns!« oder »Drei im Tiefflug links!« schreien, konnte selbst aber nichts von den russischen Flugzeugen sehen, da mich die Seitenverkleidungen an den Türen daran hinderten.

Was ich sehen konnte, war ein Baum, dem der Pilot im letzten Augenblick auswich; seine Zweige streiften die Tragfläche. Was ich sah, war ein Bahndamm, neben dem wir herflogen, waren russische Soldaten auf demselben, die überrascht das Gewehr hoben und auf uns schossen, war einer, der sich einfach bückte und einen Stein ergriff, aber da waren wir mit unseren hundert Stundenkilometern wohl doch zu schnell.
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Der Teufelskerl von Pilot

Die Eindrücke vermischen und verwischen sich in der Erinnerung: eine Brücke, von der wir beschossen wurden, und Löcher in der Tragfläche, während das Loch in der Wade des Offiziers rechts hinter mir erst entdeckt wurde, als er zufällig in eine Blutlache griff - keiner hatte ein Verbandspäckchen bei sich.

Endlose Eisenbahnzüge, ständig russische Flugzeuge um uns herum, die uns entweder nicht sahen oder nicht angreifen konnten, weil wir zu tief flogen.

Ständig Bäume, um die der Teufelskerl von Pilot herumfliegen mußte, ganze Wälder, die in untergehender Sonne friedlich vor sich hinglänzten, sogar ein Rudel Rehe, das vor uns herumsprang.

Einmal wollte der Pilot sogar landen, aber da schrie einer der Offiziere »Panzer hinter uns!«, und der Motor jaulte wieder auf, und wir flogen weiter, stundenlang.
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Sie mußten mich aus dem Fieseler Storch herausheben

Als wir, direkt neben den Schienen, holpernd am Bahnhof von Wilna herunterkamen, war es fast dunkel, ich war vor Erschöpfung eingenickt. So kaputt war ich nach dem ganzen Fußmarsch von Sluzk nicht gewesen; was war körperliche Anstrengung gegen die ständige Nervenanspannung! Sie mußten mich herausheben, und ich bekam einen scharfen französischen Cognac zu trinken.

Überhaupt schienen die Tausende von Soldaten auf dem Bahnhof von Wilna alle besoffen zu sein, opferten sich auf in der Vernichtung von Vorräten, die nicht in Feindeshand fallen sollten.
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Ganz wirre Erinnerungen an Wilna

Ganz wirre Erinnerungen habe ich an dieses Wilna, wo es wiederum die Tube Schmelzkäse, das halbe Kommißbrot, die Packung R-6-Zigaretten und einen Riegel harter Schokolade gab - gegen einen weiteren Stempel der Bahnhofskommandantur auf meinem Brief vom Promi.

Ich schlief in einer Ecke des Wartesaals und wurde in der Nacht von einem »Kettenhund« geweckt und in einen von Verwundeten vollgepfropften Güterwagen gehoben.

Die armen Kerle lagen auf Stroh, vierzig Mann mit einer Krankenschwester und einem HiWi, wie die »Hilfswilligen« fremder Nationalität genannt wurden.

Es stank so infernalisch, daß mir auf der Stelle schlecht wurde. Beim nächsten Halt sprang ich hinaus und kletterte in ein Bremserhäuschen, in dem zwei bis an die Zähne bewaffnete Landser schliefea Die konnten es wiederum nicht fassen, daß da ein Zivilist aus Berlin herumturnte, mit einem Brief des Goebbels-Ministeriums in der Tasche.
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Die Story meiner Verhaftung in Warschau

Es ging, dem Stand der Sonne nach, nicht nach Westen, ins vor uns liegende Ostpreußen, sondern nach Südwesten, Richtung Grodno und Bialystok Ständig warteten wir auf Abstellgleisen, bis Züge zur Front an uns vorbei waren, und sowie wir anhielten, eilten aus dem Nirgendwo russische Bauersfrauen herbei, die in ihren Schürzen frische Eier anboten.

So viele rohe Eier habe ich nie wieder ausgetrunken, aber sie waren das einzige, was wir bis zum Bahnhof von Grodno zu essen bekamen. Später wunderte ich mich, daß die Russinnen meine Reichsmark-Ost überhaupt noch in Zahlung nahmen.

Landser klärten mich auf, daß die deutschen Geldscheine begehrt waren und sogar noch gehortet wurden, als schon längst kein deutscher Soldat mehr auf sowjetischen Boden stand: »Jeder ausländische Schein ist ihnen wertvoller als ihre Rubelchen.«

In Sichtweite von Grodno stiegen wir aus und liefen zu Fuß zum völlig überfüllten und von Zügen blockierten Bahnhof.
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Sonntag, der 2. Juli

Das war am Sonntag, dem 2. Juli, und wir waren auf den knapp 200 Kilometern von Wilna hierher volle drei Tage und Nächte unterwegs gewesen. Aber die Hoffnung, einen schnelleren Zug zu erwischen, trog; ich landete erneut im Bremserhäuschen eines Güterwagens, der freilich keine Verwundeten mehr geladen hatte, sondern blökende Kühe.

Weiter ging es über Bialystok und den Bug nach Praga, der östlich der Weichsel gelegenen Vorstadt von Warschau, wo ich am 6. Juli eintraf. Die Situation war hier, schon vier Wochen vor dem zweiten Aufstand in Warschau, nicht ganz koscher, denn auf der Bahnhofskommandantur wurde ich zum ersten Mal auf der ganzen Reise schroff belehrt, daß ich nicht nach Warschau hineindürfte, der ganze zivile Verkehr mit Berlin spiele sich von Blonie aus ab, einer Eisenbahnstation westlich von Warschau.
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Vielleicht war ich zu großkotzig - alo wurde ich verhaftet

Ich muß mich, so kurz vor der rettenden Heimat, für meine fünfzehn Jahre ziemlich großkotzig aufgeführt haben, denn ich wurde auf der Stelle festgenommen und in einem gepanzerten Mannschafts-Kettenfahrzeug der Polizei nach Warschau gebracht.

Dort wurde ich zweimal verhört, das heißt, zweimal begann ein grimmiger deutscher Polizeibeamter ein Protokoll zu schreiben, dann wurde er abgerufen, kam nicht wieder, und der zweite Beamte, der einen DIN-A4-Bogen mit Durchschlägen in die Schreibmaschine spannte, verlor die Geduld, riß das Papier heraus, zerknüllte es und fauchte mich an: »Verschwinden Sie schon!«

Wieder brachte mich ein gepanzertes Kettenfahrzeug der Polizei quer durch Warschau, dann ein LKW weiter zu einem kleinen Bahnhof, wo der D-Zug nach Berlin-Zoologischer Garten auf freiem Feld wartete.

Meine schönen Eier - im Eimer

Hier passierte mir dann das Mißgeschick mit den Eiern, die ich in der Windjacke und in beiden Hosentaschen trug: Von Erregung ergriffen, stürzte ich mich auf den Erster-Klasse-Wagen des D-Zuges, faßte nach der Haltestange, hob das rechte Bein, um auf das, ohne Bahnsteig, hoch über dem Boden beginnende Trittbrett zu steigen - und Krach! Sechs Eier zerbrachen in meiner rechten Hosentasche, der Dotter lief mir nur so runter.

Was mich nicht hinderte, auch das linke Bein zu heben - Krach! Eine alte Dame vom Typ Generalswitwe rümpfte die Nase, als ich mich in ihrem Abteil niederließ, und schüttelte nur noch den Kopf über meine Erlebnisse.

Sie hatte eine schon einen Tag alte Zeitung bei sich, mit dem Wehrmachtsbericht vom 4. Juli 1944: »Bolschewistische Panzerkräfte«, hieß es da, »drangen in Minsk ein und stießen weiter nach Westen vor. Südöstlich der Stadt leisten unsere Verbände den von allen Seiten anstürmenden Sowjets erbitterten Widerstand und kämpfen sich nach Westen zurück...«
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Meine Erleichterung - Glück gehabt

Da war ich nun endlich doch ganz froh, nicht in Minsk geblieben zu sein. Bis Posen mußte die alte Dame auf mich einreden, dann trennte ich mich von meinen Hosen, und sie verschwand damit auf der Toilette, um sie auszuwaschen. Schade. Ich wäre so gern wie ein richtiges Frontschwein in Berlin angekommen, verdreckt und verlaust. Ich Phantast!

Am 7. Juli 1944 in Berlin - schon wieder verhaftet

Als ich im Morgengrauen des 7. Juli auf dem Schlesischen Bahnhof in Berlin eintraf, wurde ich erneut festgenommen und auf der Polizeiwache abgeliefert, wo man sich wiederum an das Studium meines Arbeitsbuches und meines Briefes vom Propagandaministerium machte; offenbar sah ich doch ganz schön verwegen aus, und die fabelhafte Contax auf meiner Brust paßte überhaupt nicht dazu.

Mein Chef Hanns Spudich mußte kommen und mich herausholen. Er sah ganz verstört aus, als er mich identifizierte, umarmte mich dann aber so heftig, daß mir die Rippen weh taten. Meiner Mutter hatte er gerade einen Brief geschrieben, ich wäre in Rußland vermißt.
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Das letzte Kriegsjahr in Berlin

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Goebbels und Angelika

Gemessen an dem, was ich in Rußland erlebt hatte, konnte Berlin mit seinen immer heftiger werdenden Bombenangriffen mich kaum noch das Fürchten lehren.

Der hitzige Rauschzustand der ersten Berliner Wochen war in Minsk schon abgekühlt, die banalen, elementaren Dinge des täglichen Lebens gewannen wieder Oberhand, vor allem der Hunger.

Im Jugendwohnheim Wehlauer Straße gab es ein Frühstück, bestehend aus Muckefuck und einer Scheibe Brot »mit Aufstrich«, Marmelade oder Honig. Bei Frau Spudich gab es um die Mittagszeit irgendein dünnes, aber wohlschmeckendes Süppchen, dazu harten Zwieback, den ich haßte.

Am Nachmittag versuchte ich immer mal wegzurennen und in irgendeiner Bäckerei eine Schrippe und in einer Fleischerei einen Zipfel Wurst zu ergattern.

Abends hatte das Jugendwohnheim eine dicke Erbsen- oder Linsensuppe für seine Lehrlinge bereit, die Heinz Krüger mir in einem Topf aufhob, wenn ich nicht pünktlich kommen konnte.

Ich bevorzugte die Nürnberger Straße, wo Bille immer eine Köstlichkeit parat hatte, ein halbes Hühnchen, eine riesige Salami, von der ich mir dicke Scheiben abschneiden durfte, oder eine fette Gänseleber aus dem Elsaß, dazu Delikateßgurken und richtigen Weißbrottoast (überall sonst wurde Graubrot einfach auf die Herdplatte gelegt).
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Bille war auch ein Schatz wie Frau Spudich

Bille war auch die einzige, die nie nach meinen Lebensmittelkarten fragte. Alle anderen bestanden auf ihren 25 Gramm Nährmitteln oder gar 50 Gramm Fleisch, und ich lachte überhaupt nicht, als ich später von einem »Filmschaffenden« hörte, er sei bei Goebbels zum Abendessen eingeladen gewesen, und das Ministersekretariat habe ihn gebeten, seine Lebensmittelmarken mitzubringen, die Magda Goebbels nach dem spartanischen Essen höchstpersönlich mit der Schere abschnippelte.

Oder als Angelika Hauff, diese rassige Zigeunerin aus Rabenalts »Zirkus Renz«, zum Rendezvous mit dem Propagandaminister nicht mehr, wie bei den vorangegangenen, von Goebbels' Adjutanten mit dem großen Mercedes abgeholt wurde, sondern an seinem Arm in die S-Bahn steigen mußte: »Der Herr Minister verbietet sich jeden privaten Benzinverbrauch!«
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Oh, diese Angelika Hauff!

Ich habe sie beim »Jour Fixe« in der Wohnung von Victor Hohenfels am Kurfürstendamm 225 kennengelernt, zu dem ich mit meiner Bille eingeladen worden war, und wäre bestimmt noch verrückter nach ihr geworden, wenn ich gewußt hätte, was sie mir dreißig Jahre später in Wien anvertraute: ihre drei Rendezvous mit Goebbels.

Die schwarzhaarige Schönheit mit der milchweißen Haut und den dunklen Tollkirschenaugen war im Frühsommer 1944 noch immer das Tagesgespräch von Berlin, seit im September 1943 ihr erster Film »Zirkus Renz« mit sensationellem Erfolg angelaufen war.

Sie war dort die Partnerin von Rene Deltgen und Paul Klinger gewesen, hatte inzwischen mit Olga Tschechowa und Siegfried Breuer unter der Regie von Hans Steinhoff den zweiten Film abgedreht, »Melusine«, nach dem Schauspiel von Richard Billinger, und galt als die Favoritin von Arthur Maria Rabenalt, der in dem Ruf stand, mit jeder seiner Hauptdarstellerinnen ein Verhältnis zu haben.

Wie sie da, viel Bein in seidenen Strümpfen zeigend, neben Hohenfels auf dem Ehrenplatz saß, umlagert von einer Runde vorwiegend österreichischer Berliner, und mit einer klaren, hellen Stimme von den Dreharbeiten bei der TERRA in Babelsberg zwitscherte, das machte mich für den Rest meines Lebens allen Wienerinnen hörig.
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Bille war auf einmal eifersüchtig

Bille bemerkte das, blickte auf die Uhr, trat mir gegen das Schienbein und drängte: »Wir wollen vor dem Alarm zu Hause sein - los, wir empfehlen uns auf französisch!«

Dreißig Jahre später, wie gesagt, speiste ich mit Angelika Hauff in den »Drei Husaren« in Wien und berichtete ihr von dem Eindruck, den sie in Berlin auf mich gemacht hatte, doch sie konnte sich an den Fünfzehnjährigen bei Victor Hohenfels nicht mehr erinnern.

Aber beide schwärmten wir - sie war damals einundzwanzig Jahre alt gewesen - vom Berlin des letzten Kriegsjahres, das für Ältere Tod und Verwüstung, für uns Junge aber Aufbruch in ungeahnte Karrieremöglichkeiten geboten hatte.

Als ich ihr erzählte, daß ich gerade aus Salzburg käme, wo ich mit Lida Baarova genachtmahlt hätte, wie die Wiener sagen, verwarf sie ihren Entschluß, nichts mehr zu trinken, und beteiligte sich an der Leerung einer weiteren Flasche Veuve Clicquot.
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Lida Baarova - Göbbels »große Liebe« - aus dem Nähkästchen

Ihre Wangen röteten sich, ihre dunklen Augen funkelten im Kerzenlicht, als ich von meinen hoffnungslosen Bemühungen berichtete, eine der noch lebenden Goebbels-Gespielinnen zum Sprechen zu bewegen.

Die Baarova, das war ja bekannt, war die »große Liebe« des Propagandaministers gewesen. In Rom hatte ich mich mit Käthe Dyckhoff, der zweitbekanntesten, unterhalten, die sich nach dem Krieg vorsichtshalber Katharina Williams nannte.

In London erzählte mir Ingeborg von Kusserow, daß sie sich nur einen Scherz erlauben wollte, als sie das Büchlein »I Was Goebbels' Mickey Mouse« herausbrachte.

In Berlin hatte mich Olga Tschechowa schon kurz nach dem Krieg korrigiert: »Nicht Goebbels - Kapitänleutnant Prien war mein Liebhaber!«

Der Minister hatte sie nur gebeten, sich des Helden von Scapa Flow anzunehmen. Und in München drohte mir die herzige Österreicherin, die den gefürchteten Joseph Goebbels als einzige »Peperl« nennen durfte, sich umzubringen, wenn ich ihren Namen ins Spiel bringen würde; sie hatte gerade das Bundesverdienstkreuz erhalten.
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Angelika Hauff plaudert auch aus dem Näkästchen

Angelika Hauff kicherte, trank das Glas aus, hielt es zum Nachfüllen hin und sagte: »Dann werde ich Ihnen mal erzählen, wie das mit Goebbels war - ich hatte drei Rendezvous mit ihm!«

Als Ballett-Elevin der Wiener Staatsoper hatte sie in Kinderjahren bereits auf der Bühne gestanden und zu Beginn des Krieges, als Sechzehnjährige, dem Ensemble des Landestheaters Salzburg angehört, wo sie die Geliebte des jungen Intendanten wurde.

Der ließ unermüdlich Hochglanzfotos von seiner kleinen Süßen herstellen und schickte sie an alle großen Filmgesellschaften in Berlin. Von der TERRA bekam sie 1942 die Chance, in einer Szene des Herbert-Maisch-Films »Musik in Salzburg« auf der Bühne des Festspielhauses die Susanne in Mozarts »Figaro« darzustellen.

Angelika Hauff wurde zur UFA nach Berlin geholt

Aber bevor der Film, sehr verspätet, im September 1944 herauskam, holte Arthur Maria Rabenalt sie zu Probeaufnahmen nach Berlin und gab ihr die Hauptrolle der Zigeunerin in »Zirkus Renz«.

»Da saß ich nun, am Ziel meiner Träume, im UFA-Gästehaus in Babelsberg - und war unglücklich!« gestand Angelika. »Denn >Rabi< war wie der Teufel hinter mir her, seine russische Frau riet mir sogar noch: Augen zu und durch! und mein eigentlicher Liebhaber war fern in Salzburg ...
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Der Herr Minister wolle den neuen Stern kennenlernen

In dieser verwirrenden Situation teilte mir der Produktionsleiter eines Tages mit, das Büro des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda habe angerufen, der Herr Minister wolle den neuen Stern der TERRA kennenlernen, von dem er so viel Gutes gehört habe...«

Angelikas Mutter war gerade aus Wien zu Besuch gekommen, die kluge Frau Suchanek, und obwohl es sich bei der Einladung von Goebbels nur um »Kaffee und Kuchen«, nachmittags im Propagandaministerium am Wilhelmplatz, und nicht um ein intimes Abendessen in seinem Jagdhaus an der Lanke handelte, riet die Frau Mama: »Zieh mal frische Unterwäsche an, Kind. Das kann nie schaden!«

Als auf einmal das Telefon klingelte

Wie recht sie behalten sollte! Fünf Minuten nach ihrem Eintreffen - »der Minister hatte den großen Mercedes geschickt!« - ging der »Bock von Babelsberg«, ein eigenes Gedicht aus seiner Jugend rezitierend, dem glutäugigen Nachwuchsstar der TERRA schon an die frische Wäsche.

»Ich wäre verloren gewesen«, sagte sie, »wenn nicht auf einmal das Telefon geklingelt hätte!« Während der Minister das Gespräch wütend in Empfang nahm, ordnete Fräulein Hauff hastig ihre Kleidung und flüchtete. Der chauffierende Adjutant sagte: »Das ging aber schnell!«

Befehl von Goebbels : Keine Telefonate, bitte!

Vier Wochen später, am Film wurde immer noch gedreht, die gleiche Prozedur. Nur daß Goebbels, als er Angelika zu Kuchen und Tee empfing, seinen Vorzimmerdamen drohte: »Keine Telefonate, bitte! Und wenn's das Führerhauptquartier wäre!« Immerhin befand sich das Dritte Reich bereits im Stalingradjahr 1943, und es brannte an allen Ecken und Enden - Angelika mußte einen starken Eindruck auf den Minister gemacht haben.

»Mal ehrlich«, sagte ich zu ihr, »beim zweiten Mal wußten Sie doch, was Ihnen bevorstand - und Sie sind trotzdem hingegangen?«

Sie verdrehte seufzend die großen Augen: »Was sollte ich junges Ding denn machen? Er war doch unser aller oberster Chef beim Film! - Außerdem, meine erste Einladung zum Minister hatte eine grandiose Wirkung in Babelsberg gezeitigt! Der Regisseur ließ abrupt die Finger von mir, die barschen Aufnahmeleiter wurden geradezu devot, und der Produktionsleiter beeilte sich, mir jeden Extrawunsch von den Augen abzulesen, anstatt ihn, wie bisher, zu verweigern - mir, dem Küken!« Na, und erst der Minister selbst! »

Er hatte mich gerade liebevoll auf der großen Couch plaziert, mir eine Schale mit Petits fours angeboten, ein Kissen in den Rücken geschoben und den Deckel des großen Konzertflügels in der Ecke hochgeklappt, um mir etwas vorzuspielen - da klingelte das Telefon!«

Goebbels, sagte Angelika, habe geschrien »wie am Spieß und lauter Unflätigkeiten von sich gegeben«, doch was half's, es war Adolf Hitler persönlich.

Aber Angelika brauchte das riesige Arbeitszimmer des Ministers nicht zu verlassen - »mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich ihn Mein Führer! sagen hörte« -, der hinkende kleine Teufel zog sich mit dem Telefon in ein privates Kabinett hinter dem Schreibtisch zurück.

Nach dem Telefonat freilich war er nicht mehr bei Laune. Er drängte die junge Schauspielerin zu gehen, hatte auf einmal andere Dinge im Kopf und zum Abschied nur noch die Fingerspitzen für sie übrig.
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März 1945 - Keiner wollte jetzt noch in Prag drehen

Danach vergingen anderthalb Jahre, in denen Angelika Hauff noch die beiden anderen Filme in Berlin drehte und von Goebbels nichts mehr hörte. Kurz vor Kriegsende, im März 1945, wurde ihr von der TERRA mitgeteilt, daß sie noch in einem Film in Prag spielen müßte. »Ein sinnloses Lustspielchen, während die Russen bereits auf die Moldau zumarschierten!«

Auch Kollegen, die bei diesem Film mitmachen sollten, wie Rene Deltgen, hatten keine Lust, in den Barrandow-Ateliers noch an einer verirrten Kugel zu sterben. Sie bestürmten Angelika Hauff, ihre »guten Beziehungen« zu Goebbels spielen zu lassen und sich notfalls »zu opfern«, um ihr aller Leben zu retten.
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Für die Kollegen ofpern ?

»Ich kam mir vor wie Jeanne d'Are, als ich am Wilhelmplatz anrief,« sagte Angelika, »aber ich rechnete nicht mehr damit, daß Goebbels noch Zeit für einen Flirt haben würde - bei dem Ernst der Lage!« Doch das Wunder geschah, sie wurde gleich zum Minister durchgestellt, und der war »absolut entzückt«, ihre Stimme zu hören, und hatte noch am selben Nachmittag »ein Stündchen« für sie frei.

»Ich wohnte damals in Nikolassee und zog gleich die seidenen Höschen an, die mir jemand aus Paris mitgebracht hatte. Ich fand, daß ich besonders gut aussah, und war wild entschlossen, mich für die Kollegen zu opfern.«

Als der Mercedes nicht kam .....

Frauen brauchen offenbar nur eine glaubhafte Entschuldigung, um Dummheiten zu machea »Aber dann kam der Mercedes nicht! Ich wartete und wartete, und auf einmal rief der Adjutant vom S-Bahnhof an und entschuldigte sich für seine Verspätung damit, daß der Herr Minister jeden privaten Benzinverbrauch verboten habe und wir mit der S-Bahn zur Wilhelmstraße fahren müßten; er sei sowieso schon zu spät dran, ob ich ihm entgegengehen könnte. Stellen Sie sich das vor!«

Es kam noch grotesker. »Am Arm des Adjutanten bin ich dann in die Innenstadt gerauscht. Wir waren viel zu spät, und ich weinte fast bei dem Gedanken, daß der Minister nun keine Zeit mehr für mich haben könnte und wir in Prag alle sterben müßten...«

Doch Goebbels war auf Verspätungen in diesen Tagen gefaßt und hatte seine Termine geschickt umarrangiert; Angelika wurde sofort vorgelassen und hörte den bekannten Satz: »Keine Telefonate! Und wenn's der Führer persönlich wäre!«
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und wieder klingelte das Telefon

An dieser Stelle sah ich kommen, daß auch beim dritten Rendezvous wieder etwas schiefgegangen war, und neigte dazu, Angelika Hauffs Beichte für geschönt zu halten. Andererseits hatte sie längst zugegeben, daß sie bereit gewesen war, sich mit dem »allerobersten Chef« einzulassen, und als sie dann erzählte, was in den nächsten Minuten geschah, verflogen meine Bedenken vollständig: So etwas kann man einfach nicht erfinden!

Der Mann, den Hitler fünf Wochen später noch zu seinem Nachfolger als Reichskanzler ernennen sollte, sah um Jahre gealtert aus, erzählte Angelika, aber er benahm sich »ausgelassen wie ein kleiner Junge«. Sie würde nie die Worte vergessen, die er zu ihr sprach, als er sie küßte: »Mein Lieb', du ahnst ja nicht, was dein Besuch für mich bedeutet! In dieser schweren Zeit ist es nur die schrankenlose Hingabe einer schönen Frau, die einen Mann wie mich, an dem das Schicksal des deutschen Volkes hängt, für einen Augenblick entspannen kann...«

Tja, und dabei half er ihr schon aus dem Kleid und bewunderte ihre seidenen Höschen. Angelika aber überwand ihre drohende Schwäche, raffte sich zusammen und säuselte, wie schade, wie jammerschade es sei, daß sie nun noch einmal nach Prag müsse, um einen »dummen Film« zu drehen, anstatt bei ihm in Berlin zu bleiben und ihn gelegentlich zu entspannen - »zu sehen«, sagte sie, sich heuchlerisch an ihn schmiegend; wozu war sie Schauspielerin.

Doch da hatte sie bei Dr. Joseph Goebbels den falschen Knopf gedrückt: »Ach so!« rief der Propagandaminister und Gauleiter von Berlin, dem nicht umsonst eine überaus schnelle Auffassungsgabe nachgesagt wurde. »Darum also bist du gekommen!? Du willst dich drücken, während jeder Volksgenosse aufgerufen ist, dreifach seine Pflicht zu erfüllen! Das hätte ich mir eigentlich denken können!«

Und fing an, sagte Angelika, »wie ein Rohrspatz« mit ihr zu schimpfen. Gerade die Künstler seien nur allzu schnell bereit, die Flinte ins Korn zu werfen und zu vergessen, wem in erster Linie sie ihre Erfolge zu verdanken hätten. Mit denen müsse er um so härter umspringen und keine Sonderwünsche durchgehen lassen. Der Film in Prag werde gemacht, und damit basta!

Angelika Hauff: »Ich habe mich kein Wort mehr zu sagen getraut, nur laut geschluchzt und, mich von ihm abwendend, in die Sofaecke geworfen, indessen er auf und ab humpelte und sich immer mehr in Rage redete. Aber meine zuckenden Schultern - wie oft habe ich das in der Schauspielschule geübt! - vielleicht auch mein rundes Hinterteil in dem seidenen Höschen, müssen ihn dann doch erweicht haben, denn auf einmal kam er wieder, beugte sich über mich, küßte mich in den Nacken - und da klingelte das Telefon!«

Hanke, halten Sie durch!

Sie habe, sagte sie, noch nie einen Mann vor Wut so blaß werden sehen wie den Goebbels. Er sei mit einem »tierischen Gebrüll« durch das ganze Arbeitszimmer auf seinen Schreibtisch zugehumpelt, habe die Telefonleitung fast aus der Wand gerissen und »Wer wagt es - ?« geschrien.

Und dann sei er auf einmal ganz klein geworden und habe »Hanke! Mein lieber guter Hanke!« gerufen und habe, das Telefon mit sich ziehend, die Tapetentür hinter seinem Schreibtisch geöffnet und sei ins private Kabinett getreten, ohne aber die Tür hinter sich ganz zu schließen, weshalb es Angelika unmöglich gemacht wurde, nicht mitzuhören, was er dem Hanke sagte.

Und das war nun ein Gespräch, oder ein Monolog von enormer historischer Bedeutung, wie der kleinen Wienerin erst später klar wurde.

Am anderen Ende der Leitung war der ehemalige Staatssekretär des Goebbels-Ministeriums und jetzige Gauleiter von Schlesien, Karl Hanke, der nicht über die Telefonzentrale des Ministeriums zu Goebbels vorgedrungen war, sondern über eine Direktleitung, deren Nummer angeblich »nur der Führer selbst« kannte.

Hanke, von dem wir wissen, daß er vor dem Krieg mit Frau Magda Goebbels Händchen zu halten pflegte, war zu dieser Zeit, im März 1945, von den vordringenden Sowjets in Breslau bereits eingeschlossen und sah keine Chance mehr, die hungerleidende Bevölkerung noch länger zur Verteidigung anzuspornen. Die Telefonverbindung nach Berlin funktionierte indes noch vorzüglich.
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Die typischen Goebbels-Sprüche Richtung Breslau

»Was ich hörte«, berichtete Angelika Hauff, »waren mit höchster Intensität hervorgeschleuderte Satzbrocken von Goebbels, zusammengehalten von lauten Aufschreien: »Hanke! Hanke! - Das können Sie mir nicht antun! - Hanke! - Ich habe dem Führer feierlich versichert, daß Breslau niemals kapitulieren wird! - Hanke! - Ich habe dem Führer geschworen: Wo ein Mann des Promi steht, setzt kein Russe einen Fuß hin! - Hanke! - Mensch, Hanke! - Der Entsatz rollt! Unser Gegenangriff steht kurz bevor! Ich schicke Ihnen Skorzeny! Halten Sie durch! Geben Sie nicht auf! Breslau ist ein Fanal des Widerstandes! Unsere neuen Superwaffen stehen kurz vor dem Einsatz! - Hanke! Hanke! Hanke!«

Der jungen Filmkünstlerin wurde unheimlich zumute. Sie raffte ihre Textilien zusammen und schlich sich davon. Im Vorzimmer wartete der Adjutant und Chauffeur ohne Mercedes und fragte wieder: »Schon fertig?«

Die Mission war gescheitert - dafür den Arm gebrochen

»Meine Mission war gescheitert«, sagte Angelika Hauff, »mein Opfergang überflüssig geworden, da der Doktor schon vorher erklärt hatte, es gebe kein Pardon, wir müßten in Prag drehen. Als ich mit dem Adjutanten vor dem Hauptportal des Ministeriums ins Freie treten wollte, sahen wir uns einem Schuttberg gegenüber, den ein Bulldozer vom letzten Luftangriff hier zusammengeschoben hatte. Der Adjutant reichte mir den Arm, und wir kletterten über den Trümmerhaufen, dabei rutschte ich aus, wollte mich noch aufstützen - und brach mir den rechten Arm!«

Und damit war das Problem gelöst: Angelika Hauff konnte den Film in Prag nicht mehr machen. Ihr drittes Rendezvous mit Goebbels war, wider Erwarten, doch noch von Erfolg gekrönt worden. Sie mußte zwar noch einmal nach Prag fahren, um der Produktion ihren Gipsarm vorzuführen, durfte dann aber nach Hause gehen, nach Wien, wohin sie buchstäblich zu Fuß, mit einem Köfferchen in der Hand, von ihrem Ausflug in die Welt des Films zurückkehrte.

Breslau, daran sollte bei dieser Gelegenheit erinnert werden, hat übrigens als allerletzte deutsche Stadt vor den Russen kapituliert - fünf Tage nach Berlin und nach dem Tod von Hitler und Goebbels. Was aus Karl Hanke geworden ist, wissen die Götter.
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