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Teil einer Lebens-Biografie von Curt Riess

Der Journalist, Reporter, Auslandskorrespondent und Schriftsteller Curt Riess (1902-1993) hat in dieser in 1956/57 verfassten biografischen Zusammenstellung der Ereignisse in Berlin von 1945 bis 1953 eine Art von Roman-Form gewählt und sehr viele Daten, Personen und Einzelheiten aus der Film- und Kino-Welt untergebracht. Eigentlich ist es eine erweiterte Biografie aus seinem Leben. Sonst ist es ist es leider (im gedruckten Original) eine reine - nicht besonders lesefreundliche - Buchstabenwüste.

Zur Geschichte der Berliner Kinos gehört natürlich auch das Ende des 2. Weltkrieges in Berlin und die politische Entwicklung danach. Die einführende Seite beginnt hier.

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Erster Teil

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Berlin April 1945 - DER (letzte) VORHANG FÄLLT

ICH war noch nicht in Berlin, als der Vorhang fiel, zum letztenmal, wie es schien. Wir alle, die wir später die Rolle von Beobachtern in dieser Stadt spielen sollten, waren noch nicht da, und was auf diesen ersten Seiten erzählt wird, ist im wesentlichen das, was uns später selbst erzählt wurde - in immer neuen Variationen.
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Die Stadt Berlin lag im Sterben.

Der Tod war ganz nahe, wenn es überhaupt so etwas gibt wie den Tod einer Stadt. Da war Hitler, der Mann, der vier Jahre vorher den ganzen europäischen Kontinent in der Hand gehabt hatte und noch ein gutes Stück mehr, jetzt gebot er nur noch über einige Kellerräume unter der Reichskanzlei. In seiner hysterischen Wut erklärte er immer wieder, das deutsche Volk habe sich seiner nicht wert erwiesen und verdiene daher, zugrunde zu gehen.
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Die Verdammten von Berlin

Das deutsche Volk, soweit es in der Nähe war - die Bevölkerung der Stadt Berlin also - fühlte sich auch von der anderen Seite verdammt. Zwischen dem September 1942 und dem 20. April 1945, jenem Tage, an dem die Russen die eigentliche Eroberung Berlins begannen, hatte die RAF 42 825 Tonnen, die Eight und die amerikanische Fifteenth Air Force 28 268 Tonnen Bomben über der Stadt abgeworfen.

Offenbar fand auch der Westen, Berlin solle zugrunde gehen. Um diese Zeit lebten von den rund viereinhalb Millionen Einwohnern von Berlin nur noch 2,8 Millionen in Berlin. Die anderen waren zum Heere eingezogen worden oder für irgendeine andere Funktion des Totalen Krieges, Kinder, Alte und Kranke waren evakuiert worden.

Aber nur wenige waren geflüchtet. Später konnten die Berliner selbst nicht genau sagen, warum sie in Berlin geblieben waren. »Vielleicht, weil wir Berliner sind«, erzählte mir später einer, der inzwischen Taxichauffeur geworden war.

Die Durchhalteparolen : Tapferkeit und Treue

Sicher geschah es nicht aus einem Übermaß an Tapferkeit. Zwar lasen sie in diesen letzten Tagen ihrer Stadt, in den letzten Zeitungen, die noch in der allgemeinen Verwüstung erschienen, und deren Texte Goebbels, einst Herr über viele tausend Zeitungen und Zeitschriften, persönlich schrieb, daß nun alles von ihrer Tapferkeit und Treue abhinge.

Es sei besser zu sterben, als sich zu ergeben. Da hieß eine Überschrift:

  • »Das Leben eines Negersklaven ist für uns kein Ziel.«


Eine andere sagte:

  • »Der Führer ist Deutschlands tapferstes Herz.«


Eine dritte:

  • »Es geht um das Reich - Berlin wird sich selbst und seiner Vergangenheit treu sein.«


Eine vierte:

  • »Berlin ist zur Entscheidung angetreten!«


Und die letzte Zeitung, die überhaupt erschien, war mit dem Titel versehen:

  • »Berlin wird den Sowjets nicht übergeben - der Führer ist bei uns!«

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Zum Teufel mit dem "Führer" .....

Ach, viele Berliner hätten gewünscht, daß der Führer wäre, wo der Pfeffer wächst. Sie waren es müde, vom Kampf und Widerstand zu lesen, wie sie müde waren, den Kanonendonner und das Pfeifen der fallenden Bomben zu hören.

Sie waren überhaupt vor allem müde, schließlich hatten sie in den letzten Monaten nur noch wenige Stunden hintereinander geschlafen und das meist in überfüllten Kellern. Sie wünschten nichts sehnlicher, als daß alles vorbei sei, Hitler, der ganze Nazispuk, vor allem aber der Krieg. Sie wollten noch am Leben sein, wenn das Ende kam, wollten an ihren Fenstern stehen können, wenn die fremden Truppen einzogen.

Auch die Truppen in und um Berlin herum wollten vor allem überleben. Und die vielen Berliner unter ihnen versuchten bei jeder Gelegenheit, sich von der Front schnell nach Hause abzusetzen, was manchmal nur eine Reise von einigen hundert Metern war, sich zu Hause als Zivilisten zu verkleiden und damit den Krieg für sich selbst zu beenden.

Die Nazijustiz war gnadenlos

Infolgedessen wurde überall nach Deserteuren gefahndet: in den Häusern, in den Restaurants, den Bunkern, den Wartesälen der Bahnhöfe, überall dort, wo Flüchtlinge sich hinwenden und in der Menge verschwinden konnten.

Aber für jeden, den man fand und als drohenden Beweis für die Existenz einer gnadenlosen Nazijustiz aufknüpfte, gab es tausend neue Deserteure.

Es gab kaum noch einen Keller in Berlin, in dem nicht Uniformen - vor allem SS-Uniformen - herumlagen, die hastig weggeworfen waren, oder SA-Dolche mit der heroischen Aufschrift: »Alles für Deutschland!«

Nein, die Berliner hatten nicht die geringste Absicht, den Heldentod zu sterben, wenn sich das irgendwie vermeiden ließ. Sie wollten keine Helden sein, sie ließen sich das auch von Hitler und Goebbels nicht einreden.
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Die kuriosesten Geschichte aus den höheren Kreisen

Diese Einstellung führte zu Situationen, wie sie unwahrscheinlicher und lustiger in Groteskfilmen nicht hätten vorkommen können. Da waren Dienststellen des deutschen Heeres, die ihre Büros in verschiedenen Berliner Vororten hatten. Die Offiziere dieser Dienststellen, die jahrelang heldenhaft gekämpft hatten, beschäftigten sich nur noch mit der Frage, wie sie sich am zwanglosesten ins Privatleben zurückziehen könnten.

Die einzige Schwierigkeit bestand in den ständigen Kontrollen durch SS und Gestapo: also begannen die Offiziere, für sich selbst und für ihre Soldaten Schriftstücke auszufertigen und mit imponierenden Dienstsiegeln zu versehen, die einer solchen Kontrolle standhalten würden.

Die vorhandenen Lebensmittelvorräte wurden brüderlich aufgeteilt, auch die Schnapsvorräte verschwanden während eines letzten großen Gelages; niemals hat es in Berlin soviel Betrunkene gegeben, wie in jenen Tagen, da alles zu Ende ging.

Den Führer verteidigen - aber bitte nicht hier vor der Tür

Die Frau eines Generals, eine gute Katholikin, erzählte mir später, daß sie sich zwei Stunden lang mit dem Offizier einer SS-Einheit herumgestritten hatte, der gerade vor ihrem Hause eine Panzerabwehrkanone aufstellen wollte.

Sie und die anderen Hausbewohner vermochten es schließlich, den Mann davon zu überzeugen, daß dies keine strategisch günstige Position sei, und der Mann zog ab. Aber wo immer er seine Kanone aufstellen wollte, kamen die Leute aus den Häusern und den Trümmern hervor und flehten ihn an, Berlin an anderer Stelle zu verteidigen.

Die Halenseebrücke sollte gesprengt werden

Oder da war die Geschichte mit der Halenseebrücke, die über die tiefgelegte Eisenbahn führt und den Kurfürstendamm mit dem Villenviertel Grunewald verband. Ende April war sie die letzte dieser Verbindungen, andere Brücken im Umkreis von zwei oder drei Kilometern waren den Bomben und dem Artilleriebeschuß bereits zum Opfer gefallen.

Als ein Oberfeldwebel eines Morgens erschien, um auch diese letzte Brücke mit seinen Leuten in die Luft zu sprengen, mengte sich ein Major ein, der gerade mit seinen Leuten vorbeikam. »Du willst doch nicht ernsthaft diese Brücke sprengen, mein Junge?« fuhr er den Mann an.

»Wenn du das tust, dann muß ich später wenn ich zum Kurfürstendamm will, eine Stunde Umweg machen!« Der Oberfeldwebel sah den Offizier an und sagte: »Herr Major wollen mich also daran hindern, diese Brücke zu zerstören?«

Und als der Offizier erklärte, ja, das wolle er in der Tat, meinte der Oberfeldwebel: »Dann eben nicht! Mir ist es auch lieber so, ich wohne nämlich ebenfalls hier in der Gegend!«

Und immer noch der berühmte Berliner Witz

Selbst in diesen entsetzlichen Stunden versagte der berühmte Berliner Witz nicht ganz. Da war jene Geschichte von den entschlossenen begeisterten Nazis, die fieberhaft Barrikaden errichteten, um die Russen am Passieren irgendeiner Straße zu hindern. Die ganze Bevölkerung der Nachbarschaft sah ihnen grinsend zu. Und schließlich erklärte einer aus der Menge :

»Die Russen werden es in genau zwei Stunden und fünf Minuten schaffen, um über diese Barrikaden hinwegzukommen!«

Und als die schuftenden Nazis wissen wollten, wieso gerade zwei Stunden und fünf Minuten, wurde ihnen folgende Erläuterung zuteil:

»Zwei Stunden lang werden sie überhaupt nichts schaffen, so sehr werden sie lachen müssen. Und wenn sie zu Ende gelacht haben, werden sie in fünf Minuten die Barrikaden beiseite geräumt haben!«

Bis zuletzt behauptete die Goebbels-Propaganda, Deutschland werde den Krieg durch eine Wunderwaffe gewinnen. Die Berliner sagten:

»Die Wunderwaffe - das ist die Aushebung der Sechzigjährigen für den Frontdienst!« Und als die Russen immer näher kamen, gab es nur noch eine Devise, die zeigte, wie sehr die bittere Ironie das Leitmotiv der verurteilten Stadt geworden war: »Mit der Straßenbahn an die Front!«
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Die Gechichten von den Berliner Telefonämtern

VON den vielen Geschichten, die ich über die letzten Tage Berlins hörte, schien mir immer die erstaunlichste und unheimlichste die Geschichte von den Telefonen, die noch funktionierten, als nichts mehr funktionierte, vielleicht auch, weil es gespenstisch anmutet, daß Menschen, die sich nicht mehr auf die Straße trauen durften, die zwar in der gleichen Stadt lebten, aber bereits durch eine Front getrennt waren, sich noch miteinander verständigen konnten. Noch sechs Wochen vor Kriegsende gab es neunundsiebzig Telefonämter in Berlin.

Durch Bomben, Granaten und Artillerie fielen dann immer mehr aus, aber noch Anfang April 1945, also eigentlich nur einen Monat, bevor alles, aber auch alles zu Ende ging, waren noch achtzehn Ämter in Betrieb.

Die Beamten und Beamtinnen versahen ihren Dienst, als herrsche tiefster Frieden. Nur, daß die Leuchtsignale öfter schrillten, daß die roten, blauen, grünen und gelben Lampen öfter aufleuchteten, um das Durchschlagen der Sicherungen anzuzeigen; und daß das Personal seinen Dienst immer häufiger flach auf dem Boden liegend ausüben mußte, während die Granaten über die Häuser hinwegfegten und irgendwo in der Nachbarschaft einschlugen.

Seit dem 15. April 1945 waren immer weniger Beamte und Beamtinnen zum Dienst gekommen, nicht so sehr, weil sie Angst hatten, als weil die Verkehrsschwierigkeiten Überhand nahmen.

Seit dem 22. April 1945 hatte sich die Zahl der Gespräche sehr vermindert, denn viele Berliner waren ganz in den Keller gezogen.

Am 23. April 1945 besetzte die Rote Armee die östlichen Vororte Köpenick, Friedrichshagen und Mariendorf, und am 24. April wurden Neukölln und Oberschöneweide im Südosten beschossen. Bald lag ganz Berlin unter Trommelfeuer.
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Und die Berliner telefonierten.

Es waren aufgeregte und ein wenig sinnlose Gespräche.

Eine Männerstimme: »Meine Frau läßt dir sagen, du hättest ihr doch die Übergardinen aus dem Herrenzimmer versprochen, wenn du sie jetzt abnimmst! Sie will sie sich dann gleich einfärben lassen ...« Die Stimme eines Nazis: »Habe aus ganz zuverlässiger Quelle, daß noch nicht alles verloren ist! Kann natürlich Näheres nicht übers Telefon sagen.«
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Als sich m 28. April 1945 der Ring um Berlin schloß

Am 28. April 1945 schloß sich der Ring um Berlin. Die Rotarmisten nahmen Tempelhof im Südwesten, drangen auch nach Steglitz im Westen vor, überall erschienen russische Panzer.

Am 29. April gab es noch Kämpfe von Mann zu Mann in Häusern und auf Dächern. Und am 30. April gab es in allen Stadtteilen Russen. Nur im Westen kämpften noch vereinzelte deutsche Einheiten.

In diesem letzten Augenblick kam der Befehl, alle technischen Einrichtungen der Ämter zu zerstören. Die Telefonbeamten weigerten sich. Wenn Hitler und Goebbels keine Telefone mehr brauchten, sollten darum die Berliner auf Jahre hinaus keine Telefone mehr haben?

Freilich, in vielen Ämtern zerstörten die eindringenden Russen die Anlagen selbst, zerschmetterten die Apparate durch Kolbenhiebe, rissen die Leitungen aus der Wand. Und so hielten viele Berliner plötzlich ein totes Telefon in der Hand, in das sie vergebens ihr »Hallo ... Hallo ...« hineinschrien.

Denn die Berliner telefonierten noch immer, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.

Eine Frau: »In Kaisers Kaffeegeschäft gibt es noch einen Vorrat an Margarine. Kommst du mit?«

Ein Nazi: »Habt ihr gehört? Die Westalliierten haben mit Deutschland einen Waffenstillstand geschlossen. Amerikanische Flugzeuge mit deutschen Piloten werfen über Rußland Bomben ab ...«

Ein anderer Nazi: »Herr Rechtsanwalt, bitte, vernichten Sie sofort meine Akten, Sie wissen schon welche ...«

Eine Frau: »Ich bin schon erobert! Die Russen sind seit einer Stunde hier! Jetzt kann ich endlich meine Meinung sagen, die verdammte Gestapo kommt ja nicht mehr! Jetzt kann ich dir sagen: Hitler ist ein Lump!«

In den Ämtern aber, die noch standen, gab es niemand mehr. Die weiten Hallen waren menschenleer. Die Batterien sanken schnell unter 60 Volt (Anmerkung : Das war die damalige Versorgunsspannung der gesamten Telefoneinrichtungen).

Das bedeutete, daß nur noch wenige Selbstwähler reagierten, daß sie sich immer langsamer und unsicherer bewegten, bis schließlich irgendein Beamter aus dem Luftschutzkeller heraufkam und alles abschaltete. Dann konnte niemand mehr in Berlin telefonieren.
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