Sie sind hier : Startseite →  Die TV-Sender→  Das ZDF (Das "Zweite")→  G.Bartosch - 30 Jahre beim ZDF→  1995 - 60 Jahre Fernsehen (lang)

Günter Bartosch (1928 - 2013†) schrieb viel (sehr sehr viel) über und aus seine(r) Zeit beim ZDF in Eschborn und Mainz .....

Der ZDF Mitarbeiter Günter Bartosch war 30 Jahre beim ZDF - also von Anfang an dabei -, ebenso wie sein deutlich jüngerer Kollege Knapitsch. Angefangen hatte sie beide bereits vor 1963 in Eschborn, H. Knapitsch in der Technik, Günter Bartosch im Programmbereich Unterhaltung.

Und Günter Bartosch hatte neben seiner Arbeit und seinen Büchern so einiges aufgeschrieben, was er damals alles so erlebt hatte. In 2013 habe ich die ganzen Fernseh- und Arbeits-Unterlagen erhalten / geerbt und dazu die Erlaubnis, die (die Allgemeinheit interessierenden) Teile zu veröffentlichen.
Die Einstiegsseite zu den vielen Seiten beginnt hier.

.

VOR 60 JAHREN BEGANN DAS DEUTSCHE FERNSEHEN

Historischer Bericht von Günter Bartosch vom 8. Jan. 1995

"Der 22. März dieses Jahres v/ird ein für die Entwicklung des deutschen Rundfunks und für das gesamte Fernsehen bedeutungsvoller, geschichtlicher Erinnerungstag bleiben", schrieb die Fachzeitschrift "Funk" in ihrer Ausgabe vom 1. April 1935.

Der damals utopisch anmutende Satz hat längst Richtigkeit erlangt, doch ist es mit der Erinnerung an den bedeutungsvollen Tag nicht weit her. In Zeiten einer sich rasant entwickelnden Technik starrt man eher gebannt und vielleicht auch besorgt in die Zukunft, auf die nunmehr bald möglichen hunderte von Fernsehprogrammen, doch kaum ein Gedanke wird den Anfängen des Fernsehens gewidmet. Nicht einmal das heute allgegenwärtige Medium selbst gedenkt im Programm der eigenen Geschichte.

Während "100 Jahre Kino" sich einprägen, weil die Gebrüder Skladanowsky 1895 im renommierten Berliner Varietee "Wintergarten" ihr "Bioskop" öffentlich vorführten, bleibt der Anfang des Fernsehen im Dunkeln, nicht zuletzt, weil der Start des "ersten regelmäßigen Fernsehprogrammdienstes der Welt" vor 60 Jahren in Berlin wenig spektakulär war, denn er fand in kleinstem Kreise und unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt.

Anzumerken ist, daß es regelmäßige Fernsehprogramme schon anfangs der 1930er Jahre in den USA gegeben hatte, doch da sie nicht genügend Zuschauer fanden, überlebten sie nicht lange, denn damals wie heute wurden sie aus Werbeeinnahmen finanziert. 1935 jedenfalls hielt das Fernsehen in den USA einen Dornröschenschlaf.

Europa

Nicht so in Europa. In England und in Deutschland war das Fernsehen bereits seit dem Ende der 1920er Jahre von den Postverwaltungen erforscht und intensiv weiterentwickelt worden.

Frankreich hatte sich als drittes Land dem neuen Medium zugewendet; in Italien und in der Tschechoslowakei wuchs das Interesse. Auch Japan begann mit Fernsehversuchen. Gerade hatte im Februar 1935 ein in England eingesetzter Fernsehausschuß den Start des englischen Pernsehprogrammdienstes für den Herbst des Jahres 1935 empfohlen, und die Franzosen planten die Einrichtung eines Fernsehsenders auf dem Eiffelturm.

Daß in dieser Situation das deutsche Fernsehprogramm als "erstes der Welt" auf der Bildfläche erschien, hatte ebenso politische wie kuriose Gründe. 1935 jedenfalls war für das Fernsehen ein ereignisreiches Jahr.

Ein Rückblick um 60 Jahre endet in Deutschland zwangsläufig in der Zeit des Nationalsozialismus. Und in der Nazizeit gab es nichts im öffentlichen Leben, das nicht politisch gewollt und im Sinne der herrschenden Weltanschauung als nützlich betrachtet wurde.

So gesehen hatte das Fernsehen allerdings keine Chance. Hitler und sein Propagandaminister Goebbels setzten voll auf den Rundfunk als Massenbeeinflussungsinstrument. Die Machthaber hatten die Firmen der Funkindustrie zur Gemeinschaftsproduktion eines preiswerten "Volksempfängers" gezwungen.

2 1/4 Million "Volksgenossen" hören Radio

Seit der Machtergreifung 1933 hatte sich die Rundfunkteilnehmerzahl um 50% auf 2 1/4 Million "Volksgenossen" erhöht. Hitlers martialische Reden und Goebbels penetrante Propagandatiraden erreichten eine immer größer werdende Zuhörerschaft.

Fernsehen ? Wann hätte dieses noch in den Kinderschuhen steckende Mischwesen aus Rundfunk und Film jemals wenigstens 1 Million Menschen erreichen können ? Dies war so unrealistisch, daß ihm die nationalsozialistische Führung kein Interesse entgegenbrachte.

Die Fernsehversuche wurden schon seit acht Jahren von der Deutschen Reichspost in enger Zusammenarbeit mit Firmen der Funkindustrie betrieben, und da hätten sie auch bleiben können.

Eugen Hadamovsky

Wenn es nicht einen Mann gegeben hätte, der in Bezug auf das Fernsehen buchstäblich visionär begabt war. Ein Erz-Nazi, ein treuer Gefolgsmann des Führers, ein nationalsozialistischer Emporkömmling: Eugen Hadamovsky, der sogenannte "Reichssendeleiter". Er war es, der gleichsam in einem Handstreich das deutsche Fernsehen in die Welt brachte.

Dieser Hadamovsky, ursprünglich Mitglied der illegalen Schwarzen Reichswehr und zeitweise als Schlosser und Automechaniker tätig, war 1930 der NSDAP beigetreten und von Goebbels zum Berliner Gau-Funkwart ernannt worden.

1933 bei der nationalsozialistischen Machtergreifung war er 29 Jahre alt, wurde zunächst Sendeleiter des Deutschlandfunks und im Juli 1933 "Reichssendeleiter und Direktor der Reichsrundfunkgesellschaft".

Er war maßgeblich an der Verhaftung führender Mitglieder des Rundfunks der Weimarer Republik sowie an der Ausschaltung demokratischer Kräfte und jüdischer Mitarbeiter beteiligt. Für den Rundfunk und für das ihm noch nicht unterstellte Fernsehen, das in seinem Versuchsstadium der Deutschen Reichspost zugeordnet war, entwickelte er allerdings Neigung, Gespür und Einfühlungsvermögen.

Wenn heutige Biografien Hadamovsky als unfähig bezeichnen, so folgen sie damit wohl eher Goebbelsscher Argumentation, denn der zunächst geförderte Hadamovsky fiel 1942 in Ungnade.

Vielleicht fehlte es dem "Reichssendeleiter" an Führungsqualitäten, vielleicht machte er sich durch Frauenaffären lächerlich, das Fernsehen jedenfalls hat ihm einen kräftigen Impuls zu verdanken und eine Basis, auf der es bis weit in den Krieg hinein arbeiten und sich fortentwickeln konnte.

Die Beurteilung Hadamovskys - sehr schwierig

Der Historiker möchte anmerken, daß er sich im Falle der Beurteilung Hadamovskys in einer schwierigen Lage befindet. Dieser Mann war, wie ein Berliner Kollege sich ausdrückte, ein "strammer Nazi, dem man den rechten Arm hochgebunden hatte", das heißt, einer, der unentwegt "Heil Hitler" rief und die Hand zum "Deutschen Gruß" erhoben hielt.

Rigoros hatte er den gesamten deutschen Rundfunk im Sinne des Nationalsozialismus ausgerichtet, Juden und Andersdenkende verfolgt. Ehrung hat er nicht verdient. Legt man allerdings vergleichende Maßstäbe an, so ergibt sich ein etwas anderes Bild. Die heutige Weltraumfahrt, der Weg zum Mond und zu den Sternen, basiert auf der schrecklichen Kriegswaffe V2, einer deutschen Entwicklung. Die Konstrukteure - ob Zivilisten oder Militärs - fanden nach dem Kriege Beachtung und konnten sich einer Würdigung ihrer Leistungen erfreuen.

Auch viele andere deutsche Errungenschaften entstanden in der Nazizeit. Zum Beispiel wurde damals die magnetische Tonaufzeichnung erfunden; sie ist Grundlage der heutigen magnetischen Bild- und Tonaufzeichnung, ohne die das Fernsehen in aller Welt nicht mehr auskommen könnte.

Fernsehen - eine Abart des Kinos ?

Das Fernsehen - entwickelt aus einer deutschen Erfindung und sehr wesentlich von Deutschland aus in die Welt gebracht - führte damals noch ein Schattendasein, beschäftigte viele Mitarbeiter, denen das Prädikat "politisch unzuverlässig" anhaftete, und war nicht ins nationalsozialistische Propagandakonzept eingebunden.

Für die wenigen Menschen, die es in Berlin, Potsdam und Hamburg sehen konnten, war es eine Abart des Kinos. Auch für die Zwecke des Krieges fand es keine Verwendung, es sei denn in einer humanitären Aufgabe zur Unterhaltung von Verwundeten und in Paris in einer gewissen Form von Völkerverständigung.

Wenn das Fernsehen in der Nazizeit von einem damals hohen Funktionär gefördert wurde - noch dazu in einem erstaunlichen Alleingang -, dann kann der Historiker diese persönliche Leistung nicht deshalb unbeachtet lassen, weil der Betreffende ein Vertreter und gläubiger Anhänger der herrschenden Macht war. - Hadamovsky endete, wie er gelebt hatte, im Dienste des von ihm verehrten Führers. Er meldete sich Ende 1943 freiwillig zur Wehrmacht und starb - ganz im Gegensatz zu seinen Förderern Hitler und Goebbels - als Panzeroffizier 1944 an der Ostfront den Heldentod - wie man das damals nannte.

Der NS-Machtapparat und das Fernsehen

1935 war er im ganzen nationalsozialistischen Machtapparat der einzige, der die Bedeutung, die das Fernsehen erlangen v/erde, deutlich voraussah. Noch am 22. März 1935 schrieb das angesehene "Berliner Tageblatt" über die Situation des Fernsehens und dessen Versuchsstadium: "Man hält es für ausgeschlossen, das Fernsehen in derselben primitiven Form starten zu lassen wie seinerzeit den Rundfunk". Am selben Abend startete es !

Kurzfristig und überraschend hatte Hadamovsky für den Abend des 22. März 1935 Vertreter der Deutschen Reichspost, der Funkindustrie, der Wirtschaft und der Presse in einen kleinen Saal des Punkhauses in der Masurenallee geladen und das deutsche Fernsehen offiziell eröffnet.

Neben Ansprachen von Dr. Friedrich Wilhelm Banneitz, dem Zuständigen der Reichspost für das Fernsehen, und dem Chefingenieur der Reichsrundfunkgesellschaft Dr. Hubmann, dessen Ansprache vorher gefilmt und nun auf dem Bildschirm wiedergegeben wurde, hielt natürlich Eugen Hadamovsky die Eröffnungsrede.

In einer Mischung von visionären Erkenntnissen und nationalsozialistischer Geisteshaltung sagte er u.a. : Das Fernsehen muß uns wirklich zusätzliche Kulturmöglichkeiten schaffen, es muß neuen künstlerischen Formen und Äußerungen bahnfrei geben, es wird uns eine unerhörte Vertiefung des politischen G-emeinschaf tserlebnisses bringen durch das Mitwirken des Auges.

Daß wir nun aber fast alle Sinne am Erleben teilnehmen lassen können, darf und soll nicht zu einer Proletarisierung der Kulturproduktion führen; wenn wir alle am Erlebnis teilnehmen lassen, so heißt unsere Aufgabe damit nicht Proletarisierung, sondern umgekehrt Aristokratisierung der Kulturproduktion, das heißt Ausschaltung des Schlechten, Vernichten des Minderwertigen, Durchsetzung des Führerprinzips auch in der Kulturproduktion!

In Ergänzung des Hinweises, daß für das Fernsehen auch die aktuelle Berichterstattung als "Spiegel des Tages" vorgesehen sei, fügte Hadamovsky hinzu: "Nach dem 30. Januar 1933 hat der Rundfunk das Wort des Führers allen Ohren gepredigt. In dieser Stunde wird der Rundfunk berufen, die größte und heiligste Mission zu erfüllen: Nun das Bild des Führers unverlöschlich in alle deutschen Herzen zu pflanzen.

Hadamovsky hatte kurzerhand Tatsachen geschaffen, an denen niemand mehr vorbei konnte. Er hatte echte nationalsozialistische Gründe für sein Vorpreschen: Deutschland war das erste Land, hatte Engländern und Franzosen den Rang abgelaufen ! Deutsche Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker hatten das Fernsehen geschaffen ! Um das Bild des Führers allen Volksgenossen "in die Herzen pflanzen" zu können, werde ein großes Sende- und Übertragungsnetz geschaffen und ein preiswerter Volks-Fernsehempfänger auf den Markt kommen !

Der Alleingang eines Untergebenen

Mit zwei Telegrammen meldete Hadamovsky dem Führer sowie dem "Chef des deutschen Rundfunks" Reichsminister Dr. Goebbels den "Beginn des ersten regelmäßigen Pernsehprogrammbetriebes der Welt", nicht ohne beflissen hinzuzufügen: "Mögen auch ... noch tausend Hindernisse zu überwinden und Jahre voll härtester Arbeit zu leisten sein, wir werden dieses Ziel erreichen, im Dienste unseres unvergleichlichen Führers, im Dienste an unserer stolzen deutschen Volksgemeinschaft. Heil Hitler !"

(Es kann sicherlich nicht schaden, in heutiger Zeit mal an das schwülstige Gehabe und die Phrasendrescherei der Nationalsozialisten zu erinnern.)

Hitler und Goebbels dankten Hadamovsky in kurzen Antworttelegrammen, Goebbels wohl eher mit Zähneknirschen über den eigenmächtigen Alleingang eines Untergebenen.

Auch sonst hatte der "Reichssendeleiter" nicht unbedingt Sympathien hervorgerufen. Er zwang die Industrie, die bislang mit Bedacht vor sich hinforschte, zur Aktivität und zu realistischen Produktionsplänen, und er ergriff Besitz von einem Bereich, den die Deutsche Reichspost bisher für sich besetzt hielt.

Dennoch, Hadamovsky war klug genug, mit der Reichspost eine Abstimmung zu vereinbaren, die deren Kompetenzen nicht beschnitt, sondern das künftige Programm erweiterte, indem nur einige Programmtage von der Reichsrundfunkgesellschaft gestaltet wurden, während das übrige "Versuchsprogramm" und die gesamte technische Abwicklung - wie bisher - von der Deutschen Reichspost weitergeführt wurden.

Letztlich erreichte seine Initiative, daß das Fernsehen aus dem Versuchsstadium herausgehoben wurde und einen gewaltigen Schritt vorwärts machte. Alle Beteiligten waren in die Pflicht genommen, ob sie wollten oder nicht.

Das erste offizielle Fernsehprogramm

Das erste offizielle Fernsehprogramm am Abend des 22. März 1935 wurde von der Presse begeistert aufgenommen, die Genauigkeit und Vollkommenheit der Bilder gelobt. Gezeigt wurden ausschließlich Filmstreifen, wiedergegeben auf sieben Empfängern mit Braunschen Röhren, geliefert von verschiedenen Gerätefirmen. Im Programm gab es einen Zusammenschnitt von Großkundgebungen der letzten Jahre, eine Bilderfolge der Berliner Heldengedenkfeier, einen Ufa-Tonfilm "Mit dem Kreuzer Königsberg in See" und einen Trickfilm der Ufa.

Abgestrahlt wurde das Programm vom Sender Witzleben, dem Berliner Punkturm, der schon 1934 für Bild und Ton zwei Ultrakurzwellensender am Boden und zwei Antennen auf der Spitze des Turms erhalten hatte. Bei einer Leistung von etwa vier Kilowatt hatte der Sender eine Reichweite von rund 50 Kilometer im Umkreis.

Die Übertragung erfolgte in der damals erreichten Norm von 180 Zeilen und 40 000 Bildpunkten. Für den Sendebetrieb stand am historischen Eröffnungstag lediglich ein Filmabtaster im Fernsehhaus der Reichspost in der Rognitzstraße zur Verfügung.

Durch die Initialzündung des erzwungenen offiziellen Programmdienstes ergab sich in wenigen Wochen eine rasante Entwicklung. Doch wer konnte das Programm sehen ?

Bislang konnten nur 3 Menschen das Fernsehen empfangen

Hadamovsky hatte von zunächst einigen hundert Volksgenossen im Raum Berlin gesprochen, was wahrscheinlich viel zu hoch gegriffen war. Sein Stellvertreter Carl-Heinz Boese, den er zum Chef des Fernsehens gemacht hatte, antwortete auf die Fragen der Presse: Selbstverständlich besitzt der Führer einen Fernsehempfänger. Auch der Chef des deutschen Rundfunks und damit auch der Chef des deutschen Fernsehsendewesens, Reichsminister Dr. Goebbels, kann sich mit einem Fernsehempfänger jederzeit über die Entwicklung des Fernsehsendebetriebes informieren.

Ferner dürften heute bereits über Fernsehempfänger alle Kreise des Funkschaffens verfügen, die an den technischen und künstlerischen Fortschritten des Fernsehens unmittelbar interessiert sind."

Das also waren die "Volksgenossen". In der Tat, der Start des Fernsehens am 22. Harz 1935 fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt !

Hadamovskys Vorpreschen bewirkte eine Gegenreaktion. Die bisherigen Verbündeten Industrie und Reichspost wollten sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Wahrscheinlich war dieses stärkere Engagement von Hadamovsky durchaus beabsichtigt, ihm ging es darum, das Fernsehen schnellstmöglich an die Seite des Rundfunks zu stellen und ihm eine ähnliche Bedeutung zu verschaffen.

Plötzlich ging alles sehr rasch.

Nun beeilte sich die Deutsche Reichspost. Am 9. April 1935 eröffnete sie im Reichspost-Museum Berlin, Ecke Mauer- und Leipziger Straße, die erste öffentliche Fernsehstelle. Hier waren einige Fernsehempfänger aufgestellt und Sitzplätze für etwa 20 Personen eingerichtet.

Der Eintritt war frei, und nun konnten tatsächlich auch "Volksgenossen" am Fernsehen teilhaben. Gleichzeitig setzte die Reichspost ihren "bislang nur für Versuchszwecke benutzten "Personenabtaster" für das Programm ein, so daß zum ersten Mal "zur Überraschung der Anwesenden", wie die Presse schrieb, über den Bildschirm direkte Ansagen erfolgten.

Ursula Patschke und Annemarie Beck

Die offiziell erste Fernsehansagerin (vorher, in den Versuchssendungen, gab es bereits andere) war Ursula Patschke, die damals noch als "Postfacharbeiterin" geführt wurde. Sie war allerdings nicht allein, denn des optischen Effekts wegen waren zwei Ansagerinnen eingesetzt - Ursula Patschke mit schwarzem Haar und Annemarie Beck mit blondem.

Beide saßen im Studio Rognitzstraße in einem dunklen Raum im Ausmaß einer größeren Telefonzelle, der lediglich von einem Lichtstrahl durcheilt wurde.

Der "Lichtstrahlabtaster" erzeugte den Strahl durch eine Nipkow-Scheibe aus besonders dünnem Aluminiumblech, das in vier Spiralumläufen präzis gearbeitete 180 Löcher besaß, woraus sich die Zeilenzahl ergab. Die Scheibe bewirkte durch viermaligen Umlauf jeweils die Erzeugung eines Bildes des abgetasteten Raumes und lief mit einer Tourenzahl von 6000 Umdrehungen in der Minute.

Zur Verminderung der bei solchen Geschwindigkeiten sehr hohen Luftreibung war die Scheibe in ein Vakuumgehäuse eingeschlossen. Das Gerät war fest installiert, so daß es nur dazu ausreichte, höchstens zwei Personen im Brustbild zu zeigen - eine ähnliche Situation wie heute noch in den Photomaton-Kabinen auf den Bahnhöfen oder in Kaufhäusern.

5 Tage in der Woche Fernsehen

Während das offizielle Programm der Reichsrundfunkgesellschaft auf nur drei Abende der Woche beschränkt v/ar, erweiterte die Reichspost nun das Angebot. So konnten in der Fernsehstelle außer freitags und sonntags Programme gesehen werden von 9-11 Uhr und 20.30-22 Uhr, dazu montags und mittwochs auch noch von 15-16.30 Uhr. Die Post versprach, weitere Fernsehstuben im Großraum Berlin einzusetzen und ließ dem Versprechen auch Taten folgen. Schon am 13. Mai 1935 wurde eine Fernsehstelle in Potsdam errichtet.

Otto Gebühr als Friedrich der Große

Weil das Programm auf dieses Ereignis abgestimmt war, erschien der erste deutsche Fernsehschauspieler auf dem Bildschirm: Otto Gebühr als Friedrich der Große. Er rezitierte die Ansprache des Königs vor der Schlacht bei Leuthen. Zwei Tage später eröffnete die Post vier weitere Pernsehstuben in verschiedenen Bezirken Berlins.

Parallel dazu verlief schon seit längerem die Planung des Sendernetzes für ganz Deutschland. Man erachtete etwa 25 Sender für notwendig und sah eine Verbindung durch im Boden verlegte neue Kupferkabel vor, die alle 30 Kilometer durch Verstärkerstationen ergänzt v/erden sollten.

Messungen hatten bereits ergeben, daß der Berliner Sender sogar noch in einer Entfernung bis zu 120 Kilometer empfangen werden konnte. Die Reichspost entwickelte eine fahrbare Sendeanlage, um vom Brocken im Harz und vom Peldberg im Taunus Meßversuche zu unternehmen, zwei Standorte, an denen Fernsehtürme vorgesehen waren.

Ein Fernseh-Meß-Zug von 1 Kilometer Länge

Die Anlage bestand aus 14 schweren Lastkraftwagen für Sender, Zubehör und Bedienung sowie sechs Begleitfahrzeugen. Insgesamt hatte der Troß eine Länge von rund einem Kilometer. Vorgestellt wurde dieser erste fahrbare Fernsehsender am 17. Juni 1935 anläßlich der Jahrestagung des Verbandes Deutscher Elektrotechniker in Hamburg auf dem Heiligengeistfeld, dort, wo das Fernsehen nach dem Kriege seinen Wiederbeginn antrat. Ab 17. Juli war die Sendeanlage für drei Monate auf dem Brocken stationiert und strahlte Versuchsprogramme für Meßzwecke ab. Das Fernsehen ging daran, sich von Berlin aus über ganz Deutschland auszudehnen.

Warum diese Eile ?

Hadamovskys eilige Startaktion für den offiziellen Fernsehdienst im März 1935 hatte auch einen handfesten persönlichen Grund. Er war zu seinem Posten als "Reichssendeleiter" gekommen, weil er direkt nach der Machtergreifung die Rundfunkübertragungen von Hitlers Großkundgebungen zur großen Zufriedenheit des Führers organisiert hatte.

Folgerichtig, und weil Hadamovsky klar die Möglichkeiten des Fernsehens erkannte, lief sein Bestreben darauf hinaus, die traditionelle Großkundgebung der Nationalsozialisten am 1. Mai 1935 direkt im neuen Fernsehprogramm zu übertragen.

Der Zwischenfilmwagen

Die technischen Voraussetzungen dazu waren gegeben, denn schon 1934 hatte die Reichspost einen Reportagewagen in Betrieb genommen, der nach dem sogenannten Zwischenfilmverfahren arbeitete. Auf dem Dach des Fahrzeugs war eine Plattform angebracht mit einer festinstallierten Filmkamera.

Hier wurden die Ereignisse von einem Kameramann gefilmt, der Spezialfilmstreifen lief belichtet in den Wagen, in dem ein perfektes kleines, automatisch arbeitendes Labor eingerichtet war, und wurde entwickelt und getrocknet. Der Vorgang dauerte etwa 90 Sekunden, dann konnte der Film, von einem Filmgebergerät im Wagen abgetastet, sofort gesendet werden.

Für die Verbindung zum Funkturm war allerdings eine Kabelstrecke oder ein kleiner UKW-Sender nötig. Das Zwischenfilmverfahren machte also (mit rund 90 Sekunden Verzögerung) eine Direktübertragung möglich.

Hitler und Goebbels wollten das nicht

Intensiv betrieb Hadamovsky seinen Plan für den 1. Mai. Doch diesmal ließen ihn die mächtigen Vorgesetzten ins Leere laufen. Weder Hitler noch Goebbels konnten sich für das Fernsehen erwärmen.

Hitler, dessen Bild in der Öffentlichkeit makellos zu erscheinen hatte, wird das damals noch recht flaue Fernsehbild nicht zugesagt haben, und Goebbels mißtraute instinktiv einem Medium, das direkt und unmittelbar Ereignisse wiedergab, ohne daß die Sendung vorher kontrolliert und zensiert werden konnte.

Fernsehen war beiden suspekt, und so sollte es auch bis zum Ende des Dritten Reiches bleiben. Jedenfalls erhielt Hadamovsky keine Genehmigung, die Kundgebung des 1. Mai im Fernsehen zu übertragen.

So enttäuscht er gewesen sein mag, wieder reagierte er geschickt. Im engen Schulterschluß mit der Reichspost machte er die Generalprobe der Kundgebung zu einer Generalprobe für das Fernsehen. So erfolgte am 30. April 1935 vom Tempelhofer Feld die "erste Fernsehreportage der Welt" - damals von der Presse so herausgestellt.

Nur wurde sie nicht im Fernsehen übertragen, sondern einem ausgewählten Kreis von Parteifunktionären, Technikern und Presseberichterstattern in einem Raum unweit des Tempelhofer Feldes vorgeführt. Immerhin, das Ad-hoc-Unternehmen lief perfekt ab und zeigte nicht nur die Leistungsfähigkeit des Fernsehens, sondern setzte auch schon Zeichen für die Zukunft.

Paul Nipkow kam mit ins Boot

Hadamovsky ließ nicht nach, "sein" Fernsehen auch den politischen Größen schmackhaft zu machen. Er startete eine neue Aktion. In Berlin lebte - weitgehend unbeachtet - der Erfinder des Fernsehens, Paul Nipkow.

Er war 74 Jahre alt. Nipkow hatte am 6. Januar 1884 sein Patent für ein "Elektrisches Teleskop", die von ihm erdachte rotierende lochscheibe, zum Patent angemeldet, das ihm am 15. Januar 1885 (also vor 110 Jahren) zuerkannt worden war.

Die Erfindung wurde seinerzeit nie in die Praxis umgesetzt; der in bescheidenen Verhältnissen lebende Paul Nipkow mußte sein Anrecht verfallen lassen. In der Pionierzeit des Fernsehens, den 1920er Jahren, wurde die Nipkow-Scheibe zur Basis der Entwicklung. Auch heute noch erfolgt die Fernsehübertragung nach dem Prinzip von Paul Nipkow, nur nicht mehr auf mechanischem Wege mit seiner Lochscheibe, sondern elektronisch unter Einsatz der Braunschen Röhre.

Hadamovsky holte Paul Nipkow in die öffentlichkeit ! Der "Reichssendeleiter" gründete am 1. Mai 1955 im Rahmen der "Reichsrundfunkkammer" eine "Fernsehgemeinschaft" und ernannte Paul Nipkow zum Ehrenpräsidenten. In der Festrede gab er seiner Freude darüber Ausdruck, daß er "am Feiertag des deutschen Volkes Nipkow als einen der genialsten Arbeiter auszeichnen kann, dessen Erfindungen das deutsche Fernsehen seinen Siegeslauf verdankt".

Wenige Wochen später, am 29. Mai, wurde anläßlich des "1. Fernseh-Kongresses" im Berliner Punkhaus Paul Nipkow persönlich geehrt und dort auch eine Gedenktafel eingeweiht (die heute nicht mehr vorhanden ist). Bei einem Festakt am Abend in der Krolloper wurde ihm die Schenkungsurkunde für einen Fernsehempfänger überreicht. Nicht genug damit, ein neues Abtastgerät der Reichsrundfunkgesellschaft für Filmübertragungen im Haus des Rundfunks wurde auf den Namen "Paul-Nipkow-Sender" getauft. Noch im Verlauf des Jahres 1935 erhielt der gesamte Sendebetrieb die Bezeichnung "Fernsehsender Paul Nipkow", und so blieb es bis Kriegsende. Zum 75. Geburtstag Nipkows am 22. August 1955 verlieh ihm die Naturwissenschaftliche Fakultät der Johann-Goethe-Universität Prankfurt/Main die Ehrendoktorwürde.

- da Nipkow kein Jude war -

Paul Nipkow, der erst ins Greisenalter kommen mußte, damit ihm die längst fällige Ehrung zuteil wurde, paßte natürlich gut in nationalsozialistische Schablonen. So wurde hervorgehoben, daß das Fernsehen eine deutsche Erfindung sei, und - da Nipkow kein Jude war - konnte man einen schlichten deutschen Arbeiter und Ingenieur präsentieren, wie man ihn brauchte.

Wenn heute manchmal kolportiert wird, der unpolitische greise Nipkow habe sich vor den Karren des Nationalsozialismus spannen lassen, so ist das unsinnig.

Da gab es ganz andere, wie Professor Sauerbruch, Gründgens, Purtwängler, Karajan. Auch hatten nicht die Nazis Paul Nipkow "für sich vereinnahmt", es fand auch nicht die sonst übliche große propagandistische Zurschaustellung statt, sondern einzig Hadamovsky hatte ihm gebührende Ehre zuteil werden lassen, zweifellos aus echter Verehrung und Überzeugung.

Denn wenn Hadamovsky damals sagte: "In einem Paul Nipkow ehren wir einen deutschen Erfinder, dessen grundlegende geistige Tat einmal der Schöpfung Gutenbergs an die Seite gestellt werden wird", so wissen wir heute, daß er schon vor 60 Jahren recht hatte, als eine solche Äußerung noch absolut phantastisch war.

Hadamovsky - und kein anderer - sorgte auch mit sanftem Nachdruck dafür, daß die Industrie dem nicht gerade begüterten Rentner, dessen Erfindung sie verwendete, einen monatlichen Ehrensold von 400 Reichsmark zahlte, damals eine ausreichende Summe, um ein Rentnerdasein führen zu können. Und als Nipkow 1940 starb, nachdem ihm wenige Tage zuvor noch Ehrungen zu seinem 80. Geburtstag zuteil geworden v/aren, sorgte Hadamovsky für ein Staatsbegräbnis des Pernseherfinders, das einzige, das jemals für einen Zivilisten und Ingenieur ausgerichtet wurde. Vergessen ist's.

August 1935 - die Messehalle brennt ab

Das deutsche Fernsehen, das im Frühjahr 1935 einen so enormen Auftrieb bekommen hatte, mußte im selben Jahr noch einen erheblichen Rückschlag hinnehmen.

Während der 12. Großen Deutschen Rundfunk-AusStellung vernichtete am Abend des 19. August 1935 ein Großbrand in der Funkhalle IV beide UKW-Sender des Fernsehens (Bild und Ton), die das tägliche Programm ausgestrahlt hatten.

Die von Professor Heinrich Straumer 1924 erbaute, ganz aus Holz bestehende Funkhalle brannte nieder, der Funkturm, besonders das Restaurant, wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Pur die Fortführung der Ausstellung und die weitere Fernsehausstrahlung errichteten die Reichspost und die Firma Telefunken innerhalb von 30 Stunden einen Notsender. Schon vier Monate später konnten am 23. Dezember 1935 zwei neue, nun sogar verbesserte UKW-Sender für Bild und Ton in Betrieb genommen werden.

Neue elektronische Kameras

Noch in zwei weiteren Punkten war das Jahr 1935 für das Fernsehen bedeutsam. Industrie und Reichspost begannen mit der Entwicklung von elektronisch arbeitenden Kameras, und beim Bau des Olympiastadions für die Spiele 1936 wurden Einrichtungen und Kabelanschlüsse für Fernsehübertragungen vorgesehen.

Damit bereitete sich der Start des elektronischen Fernsehens im Sommer 1936 vor.

Als das deutsche Fernsehen "als erstes der Welt" vor 60 Jahren offiziell begann, geschah das mit einer Initialzündung, die Programm, Technik und Verbreitung einen kräftigen Anschub gab. Hätten die nationalsozialistischen Machthaber nicht den verhängnisvollen Krieg begonnen, wäre das Fernsehen 1940 Allgemeingut geworden. Dennoch entwickelte es sich im Kriege weiter und bestand mit seiner Filmabteilung noch bis zum Mai 1945 in Berlin.

Danach trat eine Zwangspause ein, bis 1950 im Bereich des NWDR Hamburg wieder die ersten Versuchssendungen beginnen konnten. Trotz des Jubiläums mit der runden 60 ist das offizielle deutsche Fernsehen also erst 55 Jahre alt.

von Günter Bartosch vom 8. Jan. 1995

- Werbung Dezent -
Zur Startseite - © 2006 / 2024 - Deutsches Fernsehmuseum Filzbaden - Copyright by Dipl. Ing. Gert Redlich - DSGVO - Privatsphäre - Redaktions-Telefon - zum Flohmarkt
Bitte einfach nur lächeln: Diese Seiten sind garantiert RDE / IPW zertifiziert und für Leser von 5 bis 108 Jahren freigegeben - kostenlos natürlich.