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Günter Bartosch (1928 - 2013†) schrieb viel (sehr sehr viel) über und aus seine(r) Zeit beim ZDF in Eschborn und Mainz .....

Der ZDF Mitarbeiter Günter Bartosch war 30 Jahre beim ZDF - also von Anfang an dabei -, ebenso wie sein deutlich jüngerer Kollege Knapitsch. Angefangen hatte sie beide bereits vor 1963 in Eschborn, H. Knapitsch in der Technik, Günter Bartosch im Programmbereich Unterhaltung.

Und Günter Bartosch hatte neben seiner Arbeit und seinen Büchern so einiges aufgeschrieben, was er damals alles so erlebt hatte. In 2013 habe ich die ganzen Fernseh- und Arbeits-Unterlagen erhalten / geerbt und dazu die Erlaubnis, die (die Allgemeinheit interessierenden) Teile zu veröffentlichen.
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25 JAHRE IM BLAUEN STUDIO

von Günter Bartosch über einen WISO Fernsehbericht im Juni 1995
Endlich gibt es etwas Neues für die Fernsehproduktion: Das virtuelle Studio. WISO hatte es ausprobiert und KONTAKT berichtet.

"Ich laufe in einem blauen Aquarium herum und sehe keine Dekoration", schwärmte Michael Opocynski. Blau, so blau ist das Studio, alles andere macht der Computer: Kulissen, Grafiken, Hintergrund, Farbe - eine neue Technik !
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Der Zeitungsbericht schwärmt - eine völlig neue tolle Sache

Das ist eine tolle Sache, und ein Zeitungsbericht vom 24. Mai 1995 vermerkt, daß die ARD für die Entwicklung der neuen Technik rund zwei Millionen Mark zur Verfügung gestellt hat.

Sollte es sich bewähren, meinte der NDR-Fernseh-Programmdirektor Jürgen Kellermeier, sei auch ein Einsatz im Fernsehspiel oder in der Unterhaltung denkbar. Die neue Fernsehzeit kommt aus Hamburg, dank eines "virtuellen Studios".
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25 Jahre ist es her - und daher eigentlich eine uralte Sache

So wollen wir denn des 25jährigen Jubiläums dieser neuen Technik gedenken. Denn etwa vor 25 Jahren - oder waren es 26 ? - wurden in Deutschland die ersten Fernsehspiele und Unterhaltungssendungen im blauen Studio produziert. Zwar noch ohne Einsatz heutiger Computer, doch - unfaßbar - es funktionierte fabelhaft.

Die Anwendung der neuen Technik wurde durch die Einführung des Farbfernsehens möglich. "Blue Screen" nannte sich das Verfahren, und da man sich damals noch um Eindeutschungen bemühte, bekam es hierzulande den Namen "Blauwandverfahren".

Die "Bluebox" hatte das ZDF bereits in 1969

Was heute in 1995 das VAP-Studio in Hamburg als Neuheit offeriert, wurde 1969 bereits im ZDF-Studio Berlin eingebaut: Die Bluebox, "ein Zusatzgerät, das durch Lieferung eines Schablonensignals Tricküberblendungen mehrerer Kameras erlaubt", wie das ZDF-Jahrbuch 1969 vermerkt.

Ferner heißt es dort: "Seit Jahresmitte steht bei der Berliner Union-Film eine Lichtregelanlage mit insgesamt 300 kW zur Verfügung, die diverse Background-Spielereien in Farbe gestattet."

1970 wurde die Blauwandtechnik auch im ZDF-Sendestudio Wiesbaden installiert. Dazu heißt es im ZDF-Jahrbuch 1970: "Im 'heute'-Studio dient ein Rückprojektionsgerät der informativen Hintergrundgestaltung, die indessen vielfach durch Benutzung der sogenannten "Blue-box" abgelöst wird, "Übrigens sind neben den Studios in Bonn und Berlin auch die Ü-Wagen mit dieser Einrichtung ausgestattet, mit deren Hilfe bei den Unterhaltungssendungen die oft an Hexerei grenzenden Überlagerungstricks zustande kommen.

Diese brandneue "Hexerei" ....

Diese "Hexerei", die WISO 25 Jahre später als nagelneu vorstellte, wurde damals schon eifrig genutzt. Eine der Primärfarben Blau, Grün und Rot, aus denen alle anderen Farben gemischt werden, läßt sich gesondert als Rückprojektionssignal schalten.

Das für den Hintergrund vorgesehene Bild wird von einer Kamera aufgenommen, die über das Trickmischpult zugeschaltet ist. Theoretisch ist es gleichgültig, ob dabei der Blau-, der Grün- oder der Rot-Kanal Verwendung findet, doch darf die gewählte Farbe im Vordergrund nicht vorhanden sein - sie wäre sonst "ausgestanzt", d.h. unsichtbar.

Da sich im Kostüm auf die Farbe Blau am leichtesten verzichten läßt, fand das "Blauwandverfahren" Anwendung. Später wurde aber auch oft eine Greenbox benutzt, dann allerdings in einem grünen Studio.

Bluescreen und "Travelling-Matte"

Bluescreen ist das elektronische Pendant zum filmischen "Travelling-Matte". Das Zusammenfügen unterschiedlich produzierter Vordergrund- und Hintergrundstreifen ist fast so alt wie der Film - und bekanntlich begehen wir in diesem Jahr das Jubiläum "100 Jahre Kino".

Abgesehen von der Rückprojektion, die beim Dreh direkt im Filmatelier stattfindet, kann das Kombinieren auch im Kopierwerk vorgenommen werden.

Man kennt beim Film die Verwendung von Schablonen und Masken, man kann Bildteile "ausstanzen" und beim Farbfilm Farbwände und -filter benutzen.

Die Farbfernseh-Elektronik macht die Anwendung unmittelbar und sofort sichtbar bei der Produktion im Studio möglich. Da die Verfahrensweise vom Film her bekannt war, wurde die Bluescreen-Technik fast parallel zur Farbfernseh-Technik entwickelt. Fachveröffentlichungen darüber gab es in den USA schon in der ersten Hälfte der sechziger Jahre.

In Deutschland wurde das Blauwand-Verfahren vom Institut für Rundfunktechnik in München, der Entwicklungs- und Forschungsstelle der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, erforscht.

Professor Dr. Richard Theile, der Direktor des Instituts, schilderte in seinem 1970 veröffentlichten Buch "Hinter dem Bildschirm" schon sehr eingehend "Elektronische Zaubereien".

Dazu gehörten (und gehören noch immer) Trickwandler, elektronische Umrißzeichner, Farbtrickgeneratoren, die Cox-Box für Einfärbungen, Rückkopplungsmethoden zur Erzielung einer Art von optischem Echo-Effekt, die Herstellung von Linienornamenten mit Hilfe von Oszillographen.

Daß gerade die Blauwandtechnik schon bald nach Einführung des PAL-Farbfernsehens in Deutschland (am 25. August 1967) Einzug in die Studiotechnik hielt, dokumentieren die bereits erwähnten ZDF-Jahrbücher.

Neue Ideen mit den Bee Gees und Julie Driscoll

Die neue Technik wurde fleißig genutzt. Das Neue reizte die produzierenden Redaktionen, die Regisseure, die Ingenieure und Techniker. Gerade hatte der französische Filmregisseur Jean Christophe Averty - damals 40 Jahre alt - mit filmischen Tricks, poppigen Schablonen und Versatzstücken, ungewohnten Kamera-Zoombewegungen und -Schwenks, Schnitt-Orgien und verschwenderischem Farbaufwand einen neuen Bildschirmstil geschaffen, der zwar beim Zuschauer Verwirrung stiftete, aber Preise einheimste.

Die von Averty für das ZDF produzierte und am 11. Dezember 1968 gesendete Show "Idea" mit den Bee Gees und Julie Driscoll erhielt den "Adolf-Grimme-Preis" in Silber und den "Fernseh-Bambi".

Populistisch "Verdrehtes Gehirn" genannt

Die neue Blauwandtechnik verführte dazu, diese Show-Zaubereien von Averty, über den der "Spiegel" unter dem Titel "Verdrehtes Gehirn" berichtete, weiterzuführen.

Speziell war es der Holländer Bob Rooyens, der 1971 in WDR-Shows wild darauf los "blueboxte", u.a. mit einer Senta Berger-Show. Der "Spiegel" meinte damals, daß seine Landsleute den Holländer am liebsten in die Irrenanstalt stecken wollten und fügte hinzu: "Wenn er die Chanteusen Dusty Springfield und Lisbeth List porträtiert und für die Frauen-Emanzipation kämpft ("Männer, wir kommen"), wirkt der Bildschirm so psychedelisch wie ein LSD-Trip. Dann freilich werden auch die Grenzen der Farbelektronik deutlich sichtbar. Die bunten Tele-Visionen vernebeln jeden Sinn."

Michael Leckebusch und sein "Beat Club"

Wesentlich publikumsfreundlicher wendeten der Münchner Regisseur George Moorse für avantgardistische Fernsehspiele und in Bremen Michael Leckebusch für seine Popmusik-Sendung "Beat Club" die neue Blauwandtechnik an.

Im Bereich Fernsehspiel blieb auch das von Peter Zadek für den WDR inszenierte Sean O'Casey-Stück "Der Pott" (Sendung/ARD: 12. Januar 1971) in Erinnerung.

Und natürlich bedienten sich alle großen deutschen Show-Regisseure der Bluebox- bzw. der Greenbox-Technik, und unvergessen ist, wie Skkehard Böhmer seinen Star Peter Alexander fünf oder gar sechsmal in Mehrfachrollen mit sich selber auftreten ließ.

1969 - Installation der Bluebox-Technik im ZDF-Studio Berlin

Durch die 1969 erfolgte Installation der Bluebox-Technik im ZDF-Studio Berlin ergab sich schon früh in den angeschlossenen Ateliers der Berliner Union-Film die Möglichkeit zu Produktionen mit dem neuen elektronischen Verfahren.

In der HR Unterhaltung entstand 1971 der Gedanke, die neue Technik für eine spezielle Produktion zu nutzen. Mit Hans Redlbach von der Bertelsmann-Fernsehproduktion als Auftragsproduzent entwickelte ich die Idee, dafür ein echtes Berliner Thema aufzugreifen: Heinrich Zille und sein Milieu.

Das Vorhaben war kühn: Zilles Zeichnungen und Aussprüche sollten dramaturgisch zu einem Volksstück mit Musik zusammengefaßt werden, und die Schauspieler sollten in Zilles Zeichnungen agieren; anders ausgedrückt: Zilles Zeichnungen sollten die Dekoration sein.

Für das Projekt konnten wir den besten Autor gewinnen, der sich denken ließ, den "Vater" der "Insulaner", Günter Neumann. Er meisterte die Umsetzung des Zille-Milieus in ein dramatisches Werk hervorragend und schuf mit Text und Musik ein richtiges Musical: "Hofball bei Zille" (Sendung: 13. August 1972).

Das Stück war sehr gut besetzt mit vielen bekannten Berliner Künstlern; Regie führte der bewährte Thomas Engel. Doch die Produktionsmethode mußten wir uns erst erarbeiten, wir betraten ja Neuland im Atelier. Als jungen Fachmann für Bluebox-Tricks holte ich Horst Eppinger ins Team und zusammen mit Chefkameramann Klaus-Jürgen Hintz und Jens Jüttner "erbastelten" alle gemeinsam mit Hans Redlbach und Frank Hein, die die Zilleschen Vorlagen und Dekorationen beisteuerten, die Szenerie.

Es kostete Zeit und Mühe, die Dinge ins Zille-Bild zu plazieren, z.B. daß man eine reale Kaffeekanne auf einen gezeichneten Tisch stellen konnte.

Wie das mit der Bluebox gemacht wurde ?

Nun, ein völlig mit blauem Tuch umhüllter Tisch wurde solange im Atelier hin und her geschoben, bis er ins gezeichnete Bild, das die Bluebox-Kamera aufnahm, millimetergenau hineinpaßte.

Wenn im Spiel dann die Kanne auf den blauen Tisch gestellt wurde, stand sie im Fernsehbild auf dem Zille-Tisch. Unerhört viele solcher Tricks mußten erdacht und ausgeführt werden.

Große Kunst erforderte die Ausleuchtung, denn das Bluebox-Verfahren hatte seine Schwächen. Am schlimmsten war das "Ausfransen" der Ränder, und wenn Licht und Kamera nicht genau abgezirkelt waren, passierte es immer wieder, daß die Akteure einen bläulichen Heiligenschein bekamen, was eher verflucht wurde, denn das korrekte einregulieren benötigte Zeit und ließ die Produktion stillstehen.

Aber es wurden nicht nur Erfahrungen gesammelt, sondern es entstand auch eine Produktion, die sich heute noch sehen lassen kann. Hergestellt im blauen Studio.

Die Sendung "Electronic-Melody"

Mit der Bluebox experimentierten wir auch in der von mir 1973 hergestellten Sendung "Electronic-Melody". Hier knobelte ich mit Unterstützung des Ü-Zugleiters Wilhelm Wilms und eines engagierten Teams neue Trickmöglichkeiten aus.

Wir benutzten auch den Elektronischen Griffel, ein Instrument, das unverständlicherweise aus der Mode gekommen ist, mit dessen Hilfe wir über die Bluebox ein Bild in ein anderes hineinschraffierten.

Neue Effekte erzielten wir, indem ich mir die Kunst des "Schwarzen Theaters" der Wiesbadener Künstlergruppe "Velvets" zunutze machte. Und den Moderator Günther Frank aus Wien, nicht nur Sänger und Schauspieler, sondern auch ein echter Professor der Malerei, ließ ich in Sekundenschnelle ein klassisches Gemälde malen - indem er auf einer leeren Leinwand mit einem dicken Pinsel blaue Farbe auftrug, die Strich für Strich das Gemälde entstehen ließ, das mit einer zweiten Kamera auf die Leinwandfläche eingerichtet war und nun über Bluebox auf der Staffelei erschien. Daß der Pinsel keine Borsten hatte, weil die blaue Farbe diese verschwinden ließ, merkte niemand.

Unser winzig kleines ZDF-Lehrstudio in Mainz

Noch 20 Jahre später - 1992 - staffierten wir das winzig kleine ZDF-Lehrstudio in Mainz mit blauen Stoffbahnen aus und produzierten dort mühevoll, aber mit der Könnerschaft des ganzen Teams nocheinmal wie in den Pioniertagen der Blauwandtechnik, obwohl sich diese in den Ü-Wagen und den großen Studios schon längst perfektioniert hat.

Neben der erzielten Wirkung im Fernsehbild machte es allen Beteiligten großen Spaß - man war mit Schaffensfreude dabei, was leider nicht mehr so oft vorkommt.

Ist das "virtuelle Studio11 etwas neues ?

Eigentlich nicht. Denn das elektronische Bildstanzverfahren - wie immer man es nennen mag - besitzt die verblüffende Eigenschaft, in jedem Fall genauso gut zu funktionieren, gleichgültig, ob man für die Rückprojektion eine Zeichnung, eine Postkarte, ein Modell, eine bewegte Bildquelle oder ein Computerbild verwendet.

Natürlich gab und gibt es immer wieder das Problem, daß bei einer Bewegung im Vordergrund das Hintergrundbild auch bewegt werden muß.

Bislang machten das die Kameraleute in Absprache und engem Zusammenwirken. Will man die Hintergrundbewegung eines Gomputerbildes vorher programmieren, um sie bei der Aufnahme ablaufen zu lassen, so bedeutet das zunächst, ein exaktes Drehbuch zu haben.

Dann folgt mühevolle Vorarbeit von Computerspezialisten. Es entsteht eine Vorgabe für die Produktion im Atelier, die eine nicht immer mögliche Präzision erfordert, erheblich einengt und Zeit benötigt. Das Zusammenspiel zweier erfahrener Kameraleute ist da wesentlich einfacher.

Und ein plastisch wirkendes Computerbild als Hintergrund - ist das neu ? Mitnichten. Schon in den Pionierzeiten der Bluebox-Technik schufen wir uns den plastischen Eindruck durch Versatzstücke oder verwendeten das uralte Papiertheater als "Dekoration".

Und ist das bewegte, plastische Computerbild neu ? Durchaus nicht. Bereits vor rund zehn Jahren hatte die ZDF-Lehrtechnik in einem Forum mit der "virtuellen Animation" bekanntgemacht.

Sollten künftig private Unternehmen wieder einmal etwas völlig Neues anbieten, so empfiehlt sich wohl, zunächst im eigenen Hause nachzufragen, ob das wirklich neu ist. Man muß nicht nach Hamburg tendieren - sieh, das Gute liegt so nah.

von Günter Bartosch im Juni 1995

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