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H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens

Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.

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Die Lufthanse startet 1956 mit Brasilien-Flügen

Als wir 1956 die Lufthansa in Brasilien einführten, veranstalteten wir für die Honoratioren ein großes Bankett in Rio. Drei Tage vor dem angesetzten Datum waren auf 250 Einladungen nur drei Zusagen eingegangen. Da ein Teil der Gäste wegen ihres Ranges placiert werden mußten, schickte ich Sekretärinnen aus, um mich zu vergewissern, daß die Prominenz unsere Einladung überhaupt erhalten hatte. Sie brachten weitere 20 Antworten mit, die übrigen hüllten sich in Schweigen, was die Disposition außerordentlich erschwerte.

Zu dem Bankett erschienen dann 300 Personen, ohne daß das Management des Gloria-Hotels darüber in Panik geriet. In Hamburg oder München wäre eine gastronomische Katastrophe die Folge gewesen.

Ein Vergleich - New York - wie auf einem anderen Planeten

In Lateinamerika war Europa noch präsent. Nämlich in Valparaiso war es Spanien, in Buenos Aires war es Mailand, in Brasilien war es Portugal. Hier stand ich auf einem anderen Planeten. Nichts in New York erinnerte noch an das Nieuw Amsterdam der Holländer, an das England Karls II. und an seinen Bruder, den Herzog von York. Es gab keine Monumente, keine Wegemarken, an denen ich mich hätte orientieren können. Manhattan erdrückte mich durch seine Geschichtslosigkeit.

Ein Blick nach Brasilien ins Jahr 1956

In seinem Buch »Insidc South America« hat der amerikanische Reiseschriftsteller John Günther treffend bemerkt, nur in Brasilien könne es geschehen, daß Negermädchen aus den Kronen von Königspalmen direkt in den Fonds von Cadillacs purzelten. In den Vereinigten Staaten garantiert die Verfassung dem schwarzen Mann die Gleichberechtigung, die ihm der soziale Boykott durch die Weißen wieder nimmt. In Südafrika bestimmen die Apartheidsgesetze die getrennte Entwicklung der Rassen.

In Brasilien leben Weiße und Farbige miteinander. Jeder schläft mit jeder. Ein Erbe der portugiesischen Kolonisierung, gibt es in Brasilien keine alte Familie, in deren Adern nicht auch schwarzes Blut fließt. Über die physischen Vorzüge der aus dieser Mischung entstandenen neuen Rasse ist viel gesagt worden. Die charakterliche Komponente ist weniger erforscht. Ich habe in Brasilien erfahren, daß Mangel an Zuverläsigkeit durch Genialität, organisatorisches Unvermögen durch außergewöhnliche Improvisationsgabe ausgeglichen werden.

Mein Besuch und Eindruck von "Brasilia"

In Brasilia begriff ich, warum der Petersdom und das Schloß von Versailles gebaut wurden. Nur mit ihnen läßt sich diese vom Präsidenten Jusquelino Kubitschek gewollte, von Oskar Niemeyer erdachte, mitten in die Wildnis gegründete, phantastische Schöpfung moderner Architektur vergleichen.

Brasilia ist so sinnlos, so maßlos, so grandios wie die großen Bauten des Barock, ein steinerner Protest gegen Vernunft, Caritas und Rationalisierung, eine Absage an Gemütlichkeit und Buiigaluw-Mentaliiät, an Humanität und Siesta, die Frucht himmelstürmenden Geistes, ein Gegenstück zur Raumfahrt, der Versuch, den Mond auf die Erde zu zerren.

Jeder Quadratmeter dieser Stadt zeugt von der Kälte eines Zeitalters, in dem der Mensch nichts gilt, der Absolutismus, der Etatismus, der Totalitarismus triumphieren. Hinter der baulichen ist die politische Konzeption unübersehbar. Wie Atatürk dem Goldenen Hörn den Rücken kehrte und auf der Hochebene Ankara errichtete, Ayub Khan Karatschi verließ, um sich in Rawalpindi anzusiedeln, so floh Kubitschek aus Rio in die Einöde der geographischen Mitte Brasiliens, verpflanzte er die administrative Zentrale des riesigen Landes aus dem von Korruption geschwängerten Klima der Küste in die Isolierung der Hochebene.

Daß diese brutale Stadt Brasilien verändern, seine Gegenwart wandeln und seine Zukunft ordnen wird, erscheint mir gewiß. Schon jetzt erzwingt sie einen Lebensstil, der dem von Rio entgegengesetzt ist. Die Übersichtlichkeit der Stadtanlage begünstigt weder Demonstrationen noch Staatsstreiche. Hier können die Gechütze der Flotte die Regierung nicht unter Druck setzen. Sie gewährt der illegalen Liebe keine Chance. Die Mätresse, die in Rio zum täglichen Leben gehört, findet in Brasilia kaum Lebensraum.

Langeweile und Sterilität hat auch Vorteile

Dem Beamten und Offizier, dem Diplomaten und Lobbyisten, dem Parlamentarier bleibt hier nichts übrig, als sich der Familie zu widmen, die in Rio so sträflich vernachlässigt wird.

Die Langeweile verführt den Ministerialen, Akten aufzuarbeiten, die an der Küste nie eingesehen werden. Der Kontakt mit Ausländern, die der brasilianische Hierarche in Rio zu ignorieren pflegt, wird hier zum Bedürfnis, weil er Abwechslung bringt.

Es geht wieder weiter mit dem September 1929 - New York

An einem Septembermorgen 1929 erreichte die »Albert Ballin« die schwarzen Wasser der Manhattan-Bay. Ich trat an Deck und blickte auf das Panorama der größten Stadt der Erde.

Wie die Spitzen eines gewaltigen Gebirges ragten die Türme der New Yorker Wolkenkratzer aus den sie einhüllenden Nebeln. Das stählerne Geflecht der Hudson und Eastriver überspannenden Brücken hob sich aus dem Dunst. Es war neun Uhr morgens.

Eben stimmte die riesige Stadt die ihren Werktag begleitenden Instrumente. In die Dampfpfeifen der Fährboote, in die Sirenen der Schlepper mischte sich das Donnern der Hochbahnen, die Kakophonie der Hörner Hunderttausender von Automobilen.

Es war der Aufgang jener neuen Welt, deren lange Schatten auf Südamerika fielen, wo ich vier Jahre zugebracht hatte. Ich vernahm die Herztöne der modernen Zeit, der zu begegnen ich ausgezogen war und um derentwillen ich die Idylle von Potsdam, die Geborgenheit an der Elbe hinter mir gelassen hatte.

Reisegrund war meine Ausbildung zum Reederei-Kaufmann

Acht Tage zuvor war ich in Cuxhaven an Bord gegangen, um im Dienst der Hamburg-Amerika-Linie meine Ausbildung als Reederei-Kaufmann fortzusetzen. Mein Gehalt betrug 120 Dollar monatlich, zuwenig zum Leben, ausreichend zum Überleben. Auf der Eastside zwischen Park und Lexington Avenue mietete ich mich mit anderen jungen Leuten in einem Brownstone-Haus ein.

Unsere Wirtin, eine bejahrte holländisdie Witwe, kümmerte sich weder um das Aufräumen der Zimmer noch um die Säuberung des Stiegenhauses. Dafür las sie unsere Post und kassierte pünktlich den Zins. Als ich sie bat, mir einen Hosenknopf anzunähen, wollte sie wegen dieses in ihren Augen obszönen Begehrens die Polizei rufen.

Jetzt bei der Hamburg-Amerika-Linie

Das Büro der Hamburg-Amerika-Linie war am unteren Broadway in einem nach dem Eisenbahnkönig Harriman benannten Gebäude untergebracht. Die Erben Harrimans hatten bei der Wiedererrichtung der Hapag nach dem Kriege wertvolle Hilfe geleistet und den Rückkauf von Passagierdampfern wie der »Resolute« und »Reliance« ermöglicht.

Ich gelangte dorthin mit der »sub«, der ehrwürdigen New Yorker Untergrundbalin, deren Züge nur noch Schrottwert hatten. Wie so viele öffentliche Einrichtungen in der modernsten Stadt der Epoche, waren »sub« und »elevated« ein Gerumpel, das in Deutschland keine Gemeinde ihren Bürgern zugemutet hätte.

Wer in die Schlünde der »sub« hinabstieg, gelangte in eine Hölle. Während der »rush hour« herrschte auf den Bahnhöfen ein entsetzliches Gedränge. Tausende von Menschen warteten auf die einfahrenden Züge, in die sie von Schaffnern unter Anwendung von Gummiknüppeln gestoßen wurden.

Im Innern der Waggons brütete eine stickige Luft. Die Ausdünstungen der Fahrgäste sammelten sich wie in einem Tiegel. Der knoblauchgeschwängerte Atem von Italienern und Balkanesen mischte sich mit Gerüchen, die aus den Achselhöhlen der Engländer und von den Schweißfüßen der Slawen aufstiegen.

Jüdinnen dufteten nach Moschus, Franzosen nach kranken Lebern, Spanier nach sauren Mägen, Neger nach den Aussonderungen ihrer öligen Haut. Über allem hingen verschlagene Winde, die den Kohl, Kartoffeln, Bier und Schweinebraten verdauenden Deutschen entwichen.

Chlorophyll und Desodorans, mit denen Amerikanerinnen ihre KörperöfTnungen abschirmten, kamen gegen die Schwaden übler Gerüche nicht auf. Weder in Indien noch in Afrika ist mir ein solcher Gestank begegnet.

Die "sub" mit bis zu 120 Kilometer in der Stunde

Nach Sauerstoff ringend, Zeitung lesend und Verwünschungen ausstoßend, legten die »Commuter« in diesem mit 120 Stundenkilometer durch das Erdinnere rasenden Inferno lange Entfernungen in die Wohnquartiere und Vororte der Riesenstadt zurück.

Am Ende der Fahrt sausten ihnen die Ohren. Die Augen brannten ihnen von der staubigen Zugluft. Hais und Rachen hatten eine Unzahl von Bakterien geschluckt.

Dann bestiegen sie ihre am Bahnhof abgestellten Automobile, die damals noch ohne Zündschlüssel gestartet, selten gestohlen, aber häufig miteinander verwechselt wurden.

Der U-Bahnbetrieb wurde mit solcher Schnelligkeit abgewickelt, daß man acht geben mußte, nicht den falschen Zug zu erwischen. Man konnte in einen Expreß geraten, der nur an jeder zehnten Station hielt. Oder in einen »Interstate«, der, Hudson und East River unterquerend, in New Jersey oder Eong Island wieder auftauchte, wo man sich in einer unbekannten Gegend ausgesetzt sah und zum Nachlösen verdonnert wurde.

Schnee in New York - das Winter-Chaos brach aus

Sobald im Winter der erste Schnee fiel, brach der Verkehr in der Millionenstadt zusammen. Auf den Perrons der »subway« türmte sich der durch Luftschächte hereingewehte Schnee meterhoch.

Busse stellten ihren Dienst ein, Taxis waren wie vom Erdboden verschwunden, Flüge wurden gestrichen. An den Straßenrändern parkende Kraftwagen deckten Schneeräumungs-Maschinen so zu, daß sie erst nach Einsetzen von Tauwetter befreit und wieder in Gang gebracht werden konnten.

Auf den Bahnkörpern der großen Kontinentallinien vereisten die durch Ölfunzeln ungenügend erwärmten Weichen. Unter der Last des Schnees knickten die Oberleitungen. Schnellzüge, in denen die Heizung ausging und die Speisewagen gesperrt wurden, warteten viele Stunden auf offener Strecke. Das war Ende der zwanziger Jahre so und ist heute nicht anders. Wie ich denn nach dem Kriege entdeckte, daß sich New York von allen Metropolen am wenigsten verändert hatte. Es ist in vieler Hinsicht die konservativste Großstadt geblieben.

Zuerst war ich nur eine überflüssige Nummer

Im Hapagbüro wurde ich als Nummer behandelt. Meine Tätigkeit erschöpfte sich darin, anderen im Wege zu stehen oder ihnen über die Schulter zu blicken. Verantwortlichkeiten wurden mir nicht zugeteilt.

Am meisten genoß ich die frühen Morgenstunden, wenn ich auf dem Zollboot den während der Nacht auf der Reede eingetroffenen Schiffen entgegenfahren und an ihrer Inspektion durch die amerikanischen Behörden teilnehmen konnte.

Noch abwechslungsreicher waren die Stunden vor dem Auslaufen der großen Passagierschiffe, die kurz nach Mitternacht in See stachen. Mit ihren erleuchteten Bullaugen und den von Scheinwerfern angestrahlten Promenadendecks glichen sie schwimmenden Palästen.

Die sogenannten »seeing off parties«

In Kabinen und Gesellschaftsräumen wurden »seeing off parties« abgehalten, die einen festen Bestandteil des New Yorker Gesellschaftslebens bildeten. Übersee-Reisende luden ihre Freunde in ein Broadway-Theater ein, soupierten mit ihnen und ließen sich dann von der festlich gekleideten Gesellschaft an Bord geleiten, wo bei zahllosen »drinks« das Zusammensein so lange ausgedehnt wurde, bis das Dampfhorn das Losmachen vom Pier ankündigte und die letzten Besucher von Bord rief.

Die »Gangways« wurden eingezogen, und bugsiert von Schleppern, glitten die Kolosse in die ozeanische Nacht.

Ein Traumschiff war die »Ile de France«

Das eleganteste Schiff auf dem Nordatlantik war damals die »Ile de France« der French-Line. Ihre Interieurs erinnerten an Pariser Nachtklubs. Befrackte Oberkellner ersetzten die Stewards, eine in rote Meßjacketts gewandete Band die herkömmliche Blaskapelle.
Zusammen mit der »Normandie«, die an Tonnage alle Liner übertraf, übte die »Ile de France« als Träger moderner französischer Kultur eine starke Anziehungskraft auf das amerikanische Publikum aus.

Sie ließ auch nicht nach, als die neuen Lloyd-Dampfer »Bremen« und »Europa« Franzosen und Briten das »Blaue Band« abjagten, eine imaginäre Trophäe für die kürzeste Reisedauer zwischen Landsend am Ausgang des Ärmelkanals und Ambrose Fireship vor der amerikanischen Küste.

Die "Cunard Line" und "White Star" bewarben den Snob-Appeal

Cunard und White Star, die »Berengaria«, »Aquitania«, »Mauretania«, »Majestic« und »Olympic« bereederten, arbeiteten mit dem Snob-Appeal. Der Stil an Bord dieser Schiffe war ganz auf die Bedürfnisse der britischen Aristokratie zugeschnitten, die in den Vereinigten Staaten in noch höherem Ansehen stand als daheim.

Hochsommer in New York

Während des Hochsommers schnappten wir an der Küste, auf Coney Island und in Atlantic-City, nach Seeluft. Sie roch weniger nach Salz und Tang als nach »hot dogs«, gebratenem Fisch und gerösteten Maronen.

Auf den mit Abfällen besäten Stränden schmorten in enger Umarmung Tausende von krebsrot verbrannten Leibern.

Das Massenzeitalter, das Europa erst nach 1945 erreichte, prägte das New Yorker Leben. An Arbeitstagen entließen die Wolkenkratzer am Broadway Myriaden von Angestellten, die in Selbstbedienungsläden und Frühstückskellern für einen »snack« strömten oder auf der Battery im Schatten des Aquariums einen Platz zum Ausruhen suchten.

Die Denkweise der Amerikaner - dort die der Chefs

Keine der großen Firmen unterhielt eine Personalkantine. Dafür stand vielerorts leitenden Angestellten ein Kasino zur Verfügung, in dem man ausgezeichnet speisen konnte. Den kleinen Leuten, so wurde mir bedeutet, sollte man wenigstens mittags ihre Freiheit gönnen. Die Chefs dagegen seien so beschäftigt, daß man ihnen die Gelegenheit bieten müsse, mittags mit ihresgleichen im eigenen Hause zusammenzukommen.

Diese Denkweise hat mir mehr eingeleuchtet als die deutsche Praxis, Untergebene zum Besuch der Werkskantine anzuhalten, während ihre Vorgesetzten zum Lunch das Weite suchten.

Während deutsche Konzerne erst in allerletzter Zeit für ihre Direktoren Mitgliedschaften in Golfclubs erwerben, sahen viele amerikanische Unternehmen schon damals darauf, daß ihre oberen Ränge den Ball über den Rasen trieben. Es gab sogar Fälle, wo sich Präsidenten und Vizepräsidenten amerikanischer Korporationen vertraglich verpflichten mußten, zweimal in der Woche den Golfplatz aufzusuchen.

Von diesem Konzentrationsspiel versprach man sich nicht nur eine Schulung der Managergehirne und eine erzieherische Wirkung auf das Temperament der Bosse. Man schätzte das Golfspiel auch als Mittler geschäftlicher Kontakte, die sonst nur mühsam herzustellen waren.

Die Clubs der Reichen von New York

Das dem Englischen nachgebildete Clubleben hatte seine eigene Note. In der Stadt waren der Metropolistan-Club, der exklusivste, der Athletic-Club, der gesuchteste. Geschäftsleuten standen Lunch-Clubs zur Verfügung. Auf strenge Auslese achteten die Country-Clubs. Um hier eingeführt zu werden, bedurfte es der Fürsprache durch ein prominentes Mitglied.

In diesen Clubs bin ich vielen Originalen begegnet. Es gab Geschäftsleute, die ihren täglichen Weg von Long Island nach Manhattan in einem Salonwagen zurücklegten, der dem Vorortszug angehängt und mit Getränken und Kartentischen ausgestattet war.

Andere veranstalteten Hahnenkämpfe, die, polizeilich verboten, nächtlich auf versteckten, von Jupiterlampen erhellten Plätzen abgehalten wurden.

In einem Club hatten sich reiche Leute zur Entenjagd zusammengetan. Von einem Hügel wurden aus Nistkästen Enten abgelassen, die nach einem in der Nähe gelegenen Gewässer flogen, an welchem sie die Schützen erwarteten. Auf dem Rücken ihres Jagdanzugs trugen die Waidmänner in Leuchtfarben aufgenähte Nummern, eine in den USA übliche Vorsichtsmaßnahme, die es trunkenen, schlecht sehenden oder unerfahrenen Jägern erleichtern sollte, zwischen Jagdfreunden und Wild zu unterscheiden.

Die ersten Pferde im Flugzeug

Einer meiner Bekannten züchtete Rennpferde, die er auch auf europäischen Plätzen starten ließ. An Bord eines Stratocruisers begleitete er den Lufttransport seiner Vollblüter. Er bahrte sich auf einem Bett mit einer Flasche Gin auf und ließ sich erst nach der Landung wecken.

Aus Versehen auf einer Party bei Rockefellers gelandet

Mit meinem bescheidenen Salär hätte ich wenig Kontakte pflegen können, wenn mir nicht von der ersten Stunde meines Aufenthalts in Manhattan das Glück zu Hilfe gekommen wäre. Auf dem Bootsdeck der »Albert Ballin« lernte ich am Morgen meiner Ankunft ein junges Ehepaar kennen, das darauf bestand, mich in seinen Freundeskreis einzuführen.

Ich hatte mich kaum in New York etabliert, als ich eine Einladung zu einem »dinner-dance« in einem Haus in der Park Avenue erhielt. Ich warf mich in Schale und ließ mich von einem Mietwagen vor einem Portal absetzen, dem Herren im Frack und Damen in großen Abendkleidern zustrebten.

Mit ihnen gelangte ich in den ersten Stock, in welchem ich meine Garderobe abgab und mich nach meiner Tischkarte umsah, die ich zu meinem Erstaunen nicht vorfand. Ich bat den Butler, sich darum zu kümmern, und ließ mich von dem Zeremonienmeister in einen Salon komplimentieren, in dem die mir unbekannten Gastgeber die Gäste - an der Seite ihrer jungen Tochter - empfingen.

Die perfekte Verwechselung mit Folgen

Mein Name wurde aufgerufen, worauf man mich auf das liebenswürdigste begrüßte. Ich mischte mich unter die Geladenen und beteiligte mich leutselig an dem bei solchen Anlässen sprudelnden »small talk«. Dabei warf ich ein, daß mir auf der Tischordnung immer wieder der Name Rockefeiler aufgefallen sei, dem nach nur achtundvierzig Stunden Aufenthalt in New York in solcher Anzahl zu begegnen mich überrasche.

Einer der von mir Angeredeten fand das nicht weiter verwunderlich, da ich mich ja - wie er trocken bemerkte - auf einer »Coming out party« für Miss Rockefeiler befinde, die natürlich auch ihre Verwandten geladen habe.

Ich wollte eben meine Einladung kontrollieren, als sich der Butler nahte, um mir das Bedauern von Mrs. Rockefeller für die fehlende Tischkarte auszusprechen, die er mir mit einer tiefen Verneigung überreichte. Um sich für das Versehen zu entschuldigen, habe mich Mrs. Rockefeller an ihrer rechten Seite plaziert.

Im nächsten Augenblick kündigten Fanfaren den Beginn des Diners an, und alles begab sich zu Tisch.

Ein Haus weiter zur richtigen Party gefunden

Inzwischen hatte ich entdeckt, daß ich von ganz anderen Leuten aufgefordert worden war und mich um eine Hausnummer versehen hatte. Um meine Freunde vom Schiff nicht zu kränken, verließ ich eilends die Rockefeller-Party und kam gerade noch zurecht, als man im Nachbarhaus zur Tafel schritt.

Anderentags schrieb ich Mrs. Rockefeller einen wohl stilisierten Entschuldigungsbrief, den ich mit einem Bukett Rosen in die Wohnung der Milliardärin befördern ließ.

Die Botschaft wurde freundlich aufgenommen. Auf feinstem blauem Briefpapier bedankte sich Mrs. Rockefeller und schloß mit dem Satz: »Your friends gain was our loss.« (»Ihre Freunde gewannen, was wir verloren.«)
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1930 - Nelson Rockefeller war nur ein Jahr jünger als ich

Unter den jungen Leuten auf diesem Familienfest befand sich auch Nelson Rockefeller. Er war nur ein Jahr jünger als ich, und vor ihm schien das unbeschwerte Leben eines Mannes zu liegen, dem mit seinen Brüdern John D. III, David, Winthrop und Lawrence ein Erbe von mehreren Milliarden Dollar in Aussicht stand.
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Mein zweites Treffen mit Rockefeller

38 Jahre später - 1968 - sollte ich Nelson Rockefeller ein zweites Mal begegnen. Er war nun Gouverneur des Staates New York, neben Nixon ein möglicher republikanischer Präsidentschaftskandidat und ein von den Stürmen der Zeit gezeichneter Mann.

Der Tod seines Sohnes Michael Clark, eines Anthropologen, der vor Niederländisch-Neuguinea mit seinem Katamaran Schiffbruch erlitt, hatte ihn schwer getroffen, seine Scheidung und Wiedervermählung, seine Intimsphäre in den Mittelpunkt einer Publizität gerückt, die keine Details ausließ.

So leicht ich als junger Fant in Rockefellers Elternhaus Eingang gefunden hatte, so schwer war es jetzt, den Staatsmann für ein politisches Gespräch zu bekommen.
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Zwingend erforderlich, das Vorgespäch

Nachdem ich tagelang Absagen erhielt, gelang es dem deutschen Generalkonsul Curtius schließlich, ein »Screening« für mich durchzusetzen, eine Vorkonferenz mit »Rockys« Vertrauten.

Ich wurde in das 59. Stockwerk eines der zur Rockefeller-City gehörenden Hochhäuser bestellt, in dem die aus sechsundzwanzig Personen bestehende Vermögensverwaltung der Familie ihren Sitz hatte. Ein Nonstop-Lift beförderte mich auf diesen höchsten Gipfel des amerikanischen Privatkapitalismus. Oben empfing mich die Atmosphäre eines Filmateliers.

Nichts deutete darauf hin, daß hier enorme Werte betreut wurden. Geschweifte, mit Edelhölzern getäfelte Korridore. An den Wänden moderne Graphik, auf die jedes Museum stolz gewesen wäre. Eine Bibliothek als Wartezimmer.

Am Empfangsdesk eine in rote Thailandseide gewandete Chinesin. Sie meldete mich einem Gentleman, der wie der Protokollchef im Londoner "Foreign Office" aussah und mich zu einem anderen führte, der einem Herzog glich und die Allüren eines Staatsministers hatte.

Die beiden Herren widmeten mir eine gute halbe Stunde. Wir sprachen über Gott und die Welt, und ich merkte bald, daß es der einzige Zweck dieser Unterhaltung war zu ergründen, ob es sich für den Gouverneur überhaupt lohnen würde, mich zu empfangen.

Namen fielen, mit denen sich Weltbegriffe verbanden. Als ich erwähnte, daß ich in Stuttgart tätig sei, horchten die Herren auf. »Ach ja, dort haben wir eine kleine Fabrik.«

Bei näherer Umschreibung stellte sie sich als ein Unternehmen heraus, das 15.000 Menschen beschäftigte. Ich wurde nicht ungnädig verabschiedet und fühlte mich wie ein Prüfling, der sich nicht sicher war, ob er das Examen bestanden hatte.

Endlich ein Termin in der 55.Straße

Zwei Tage später erhielt ich einen Termin, der in der Folge noch dreimal geändert wurde. Der Gouverneur entbot mich in die 55. Straße West in ein altes unscheinbares Haus, das ihm als politisches Hauptquartier diente.

Noch einmal mußte ich zehn Minuten warten, weil Henry Kissinger, Nelson Rockefellers außenpolitischer Berater, noch nicht eingetroffen war. Er lehrte damals in Harvard, und der Gouverneur hatte ihn ausschließlich mit der Bestimmung herüberkommen lassen, bei dem einstündigen Gespräch mit mir als stummer Zeuge zugegen zu sein.

Ich konnte Kissinger gerade noch ein Kompliment über seine Metternichstudie machen, dann wurden wir hereingerufen und haben kein Wort mehr miteinander gesprochen.

Ein Gespräch mit der Bitte um Diskretion

Um so lebhafter gab sich Rockefeller. So schwer die Audienz zu bewerkstelligen war, so viel Zeit nahm sich der mächtige Mann jetzt. An seine Bitte um Diskretion fühle ich mich noch heute gebunden.

Nur einen Satz möchte ich zitieren,
der die deutsche Teilung betraf. Als ich den Gouverneur fragte, welche Chancen er der deutschen Wiedervereinigung beimesse, erwiderte er, gelassen Wort für Wort setzend:

  • »Wenn man ein Ziel im Auge behält und sich durch keinerlei Rückschläge von ihm abbringen läßt, so erreicht man es eines Tages. Nur Zähigkeit verbürgt den Erfolg.«

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  • Anmerkung : Dieses Gespäch von 1968 wurde in 1974/75 in dieses Buch aufgenommen, also zu einer Zeit, als bei uns hier in Westdeutschland die Trennung als unabänderlich angesehen wurde. Von den Ereignissen von 1989 konnten wir nicht mal träumen.

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