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Tagesaktuelle Gedanken - Aufzeichnungen von 1943 bis 1945

Dieses Kriegs-Tagebuch gibt uns einen sehr nachdenklichen Eindruck von dem, das in den oberen Sphären der Politik und der Diplomatie gedacht wurde und bekannt war. In ganz vielen eupho- rischen Fernseh-Büchern, die bei uns vorliegen, wird das Fernsehen ab 1936 in den Mittelpunkt des Weltinteresses gestellt - und hier kommt es überhaupt nicht vor. Auch das Magnetophon kommt hier nicht vor. Alleine vom Radio wird öfter gesprochen. In den damaligen diplomatischen und höchsten politischen Kreisen hatten ganz andere Tagesthemen Vorrang. Und das kann man hier sehr authentisch nachlesen. Im übrigen ist es sehr ähnlich zu den wöchentlichen Berichten des Dr. Wagenführ in seinen Fernseh Informationen.

Diese Aufzeichnungen hier sind aber 1963 - also 20 Jahre danach - getextet worden und wir wissen nicht, ob einzelne Absätze nicht doch etwas aufgehübscht wurden. Auch wurde das Buch 1963 für die alte (Kriegs-) Generation geschrieben, die das alles noch erlebt hatte.

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Freitag, den 21. Juli 1944 - Hochzeit in Weimar - Attentat auf Hitler im Radio

Gestern nachmittag, als wir in der Halle des Hotels »Elefant« in Weimar nach der Hochzeit Peter Pücklers mit einem Fräulein Brand zusammensaßen, hörten wir, wie der Rundfunk eine Sondermeldung über ein Attentat gegen den Führer durchgab. Wir hatten uns am 19. Juli abends in Weimar zu einem Vorhochzeitsessen versammelt.

Peter Yorck, der mit mir als Trauzeuge auftreten sollte, wurde im Laufe des Abends mehrmals ans Telefon gerufen und erklärte schließlich, noch in der gleichen Nacht wegen unvorhergesehener dienstlicher Abhaltung nach Berlin zurückzumüssen.

Die Hochzeitsgesellschaft schrumpfte damit auf dreizehn Personen zusammen. Im Pücklerschen Gärtner, der aus Branitz einen Rehrücken und Blumen gebracht hatte, wurde ein Ersatzmann für die Hochzeitstafel am 20. Juli gefunden.

Montag, den 7. August 1944 - wieder nur ungeschickt

Die publizistische Behandlung des 20. Juli durch die leitenden Stellen war denkbar ungeschickt. Legatus in den »Basler Nachrichten« hat recht, wenn er schreibt :

  • »Nicht das Attentat, sondern die Proklamationen, die aus diesem Anlaß an das Volk und die Wehrmachtsteile gerichtet wurden, haben dem Prestige des Dritten Reiches schweren Schaden zugefügt. Den innenpolitischen Beobachter konnte dies freilich nicht überraschen. Er mußte die gleichen Symptome notieren, die sich am 30. Juni 1934 sowie nach dem Attentat im Bürgerbräukeller, nach Kriegsausbruch sowie endlich nach dem Verschwinden von Rudolf Heß zeigten. In all diesen kritischen Augenblicken verlor das sonst so machtbewußte Regime die Haltung und enthüllte einen gerade von seinen Gegner nicht erwarteten Zustand innerer Unsicherheit, aus dem dann bemerkenswerte und für das Dritte Reich sehr nachteilige Schlüsse gezogen wurden.«

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Dienstag, den 8. August 1944 - Hintergründe zum Attentat

Es kann keinen Zweifel mehr geben, daß der gescheiterte Attentats- und Putschversuch vom 20. Juli das Ergebnis einer tiefgehenden Unzufriedenheit der Armee mit der politischen und militärischen Führung war. Die amtliche Darstellung, es habe sich um eine kleine Clique reaktionärer Offiziere gehandelt, wird durch die Tatsachen widerlegt.

Die Verschwörer sind vorwiegend Offiziere, die mit dem Nationalsozialismus Karriere gemacht haben. Das gilt auch für Stauffenberg, der mit 37 Jahren Oberst wurde. Die Nachwirkung des Attentats im Volke ist geringer, als man hätte erwarten können.

Wenn ihm am 20. Juli auch der Ernst der Führungskrise ins Bewußtsein gerufen wurde, so ist doch die Bereitschaft der Massen, der Führung zu folgen, nicht gebrochen worden.

Da keiner die Lage überblickt oder aus ihr einen Ausweg weiß, da jeder fürchtet, durch unloyales Verhalten die Entwicklung noch zu verschlimmern, kann das Regime weiter mit der Unterstützung des Volkes rechnen. In vieler Hinsicht ist.

die Lage heute anders als 1918. Die Moral der Heimat ist, ungeachtet der Belastungen durch die Luftangriffe, intakt geblieben.

Bern - Mittwoch, den 30. August 1944

Seit dem 21. August bin ich in der Schweiz. Die Presse hier steht ganz im Bann der immer schneller zu Tal gehenden Lawine der Kriegsereignisse. In Genf hinterläßt die Vertreibung unserer Truppen aus Südostfrankreich nachhaltige Eindrücke.

Polizeibataillone und Zöllner aus Hochsavoyen, die in kleinen Gruppen, meist waffenlos, zum Teil auch verwundet, über die Schweizer Grenze getreten sind, warten dort auf ihre Internierung.

Das deutsche Konsulat erlebt schwere Stunden. Die Verhandlungen mit den Schweizer Aufnahmebehörden gestalten sich keineswegs einfach. In vielen Lokalen wird die »liberation« von Paris lärmend gefeiert. Autos, mit der Trikolore und französischen Maquisards besetzt, durchfahren die Straßen. Doch werde ich als Deutscher nirgendwo belästigt. Noch in Genf erfahre ich den Abfall Rumäniens.

Keine Schweizer Zweifel mehr, wer den Krieg gewinnt

Die Diskussion über die Frage, wer den Krieg gewinnt und wer ihn verliert, gilt in der Schweiz als abgeschlossen. Um so mehr befaßt man sich mit Aspekten der Nachkriegsordnung.

Der für unabwendbar gehaltene Zusammenbruch Deutschlands erfüllt die Schweizer mit Unbehagen. Sie fürchten, daß der Krieg sich ihren Grenzen noch nähern könnte. Die Einberufungen dauern an, und die Züge sind mit mobilisierten Soldaten gefüllt.

Man hält es für möglich, daß sich die Reichsregierung im Fall eines Verlustes von West-, Nord- und Ostdeutschland unter dem Schutz einiger SS-Divisionen in die der Schweiz benachbarten Alpenländer zurückziehen und dort ein Reduit verteidigen wird.

Auf die deutsche Kolonie in der Schweiz üben die Ereignisse die gleiche demoralisierende Wirkung aus, die wir auch anderenorts unter den Auslandsdeutschen beobachten können. Abberufene Beamte unserer diplomatischen und konsularischen Vertretungen weigern sich, nach Deutschland zurückzukehren.

Einer von ihnen hat sich zum Epileptiker erklärt und in eine Schweizer Heilanstalt einliefern lassen. So wird es neben den Emigranten von 1933 bald eine Emigration von 1944 geben.

Von den nach dem Sturz Mussolinis in die Schweiz geflohenen Italienern merkt man wenig. Alfieri, Marcellino und Cyprienne del Drago sind in der Schweiz untergetaucht. Die Kronprinzessin von Italien versorgt von dort italienische Kriegsgefangene mit Liebesgabenpaketen, die mit dem kornblumenblauen Band der Savoyens geschmückt sind.

In Genf ist die italienische Kolonie nach dem Sturz des Faschismus auf Tauchstation gegangen und wagt sich erst jetzt wieder vorsichtig an die Oberfläche. Politisch ist sie in Neofaschisten, Badoglio-Bonomi-Anhänger, Monarchisten und Kommunisten gespalten.

Weder das alte noch das neue Italien haben in der Schweiz eine schlechte Presse. Die Schweizer Zeitungen heben immer wieder hervor, daß Mussolini es verhindert habe, daß die Schweiz von uns überrannt wurde.

Im Zuge von Bern nach Zürich reisen mit mir zwanzig kanadische, neuseeländische und australische Flieger. Auf dem Rückweg begegne ich im gleichen Zug einer betrunkenen polnischen Fußballmannschaft, die in Zürich einen Pokal gewonnen hatte.

Hochburg des Polentums ist die Stadt Freiburg, in der es 17.000 Polen geben soll, von denen viele studieren. Die letzten in der Schweiz eingetroffenen Emigranten sind die Rumänen. Der Carol-Emigration folgt jetzt die Antonescu-Emigration.

Herr von Jänner im Eidgenössischen Politischen Department erzählt mir, daß der Marschall seit dem Frühjahr versuche, die rumänische Intelligenz vor den Russen zu retten und seine Freunde in die Schweiz zu bringen.

Die Berner rumänische Gesandtschaft hat sich für König Michael erklärt, der Berliner Gesandte für Deutschland! In Genf treffe ich Sveto Radeff, der früher der Berliner bulgarischen Gesandtschaft zugeteilt war. Er sagte, die Leute in Genf könnten nicht fassen, wie Deutschland, das so viele Trümpfe in seiner Hand vereinigte, in die heutige Lage gekommen sei.

Eine weise britische Voraussage bezüglich der Russen

In Basel besuche ich Juan Barcenas, einen mir aus Wien befreundeten spanischen Diplomaten. Ein britischer Kollege hat ihm kürzlich angedeutet, die Engländer würden spätestens 1965 gegen die Russen kämpfen müssen. Barcenas glaubt, daß seitens der Alliierten eine reine Militärverwaltung für Deutschland geplant sei, und die Errichtung einer demokratischen deutschen Regierung vorläufig nicht ins Auge gefaßt werde. Dies würde die kühle Haltung der Engländer zu den Ereignissen des 20. Juli erklären.

Berlin - Samstag, den 2. September 1944 - »Geheimnis des Endkampfes«

Auf der Rückreise umgibt uns in Karlsruhe auf der verdunkelten Station ein ohrenbetäubender Lärm. Zweitausend Hitlerjungen im Alter von zehn bis sechzehn Jahren warten mit Spaten in der Hand auf ihren Abtransport ins Elsaß, wo sie Schanzarbeiten ausführen sollen.

Die für die Presse ausgegebenen Tagesparolen sind kaum noch zu interpretieren. Aufsehen erregt der Artikel eines SS-Kriegsberichtlers in der »Börsenzeitung«, in dem es am Dienstag, dem 29. August 1944 unter der Überschrift »Geheimnis des Endkampfes« heißt:

  • 1. Churchill hat von den kommenden Waffen frühzeitig gewußt.
  • 2. Er hat den Bau nicht verhindern können.
  • 3. Er hat sie nicht vor uns konstruieren können.
  • 4. Er hat keine Abwehr gefunden.
  • 5. Er wußte damit, daß es einen Termin geben würde, an dem eine dritte Kriegsphase beginnt und an dem nun Deutschland, genau wie er im Jahre 1942, den Krieg noch einmal von vorne anfangen würde. Und in dieser Phase würde dann Deutschland ganz oben sein.

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weiter im Text

So wie er von V1 wußte, wird er auch von anderen >schrecklichen Dingen< wissen. Und er weiß noch etwas, für ihn viel Grauenhafteres:

Er kennt den Termin. Deshalb schrieb er >1918 = 1943<, deshalb hätte das Ende - unser errechnetes Ende aus Erschöpfung - unbedingt 1943 kommen müssen. Das Jahr ging vorüber. Wir selbst ahnten nicht, was das für Churchill und Roosevelt bedeutete.

Jetzt gab es nur noch einen Versuch für sie: In den letzten Minuten >ihrer< Kriegsphase einen verzweifelten Gesamteinsatz zu wagen, und den erleben wir jetzt.

Wenn es für diese Gedankengänge noch eines letzten Beweises bedurfte, dann hat ihn Churchill selbst in einem Interview vor einigen Tagen erbracht. Er sagte: >Wir müssen den Krieg bis zum Herbst beenden, sonst-----< und dann schwieg der alte Herr, der Brandstifter.

Bis zum Herbst. Damit wissen wir, wofür wir die letzte große Kraftanstrengung machen müssen. Sie geht auch nicht über unsere Kräfte. Wir haben in diesem Kriege noch nie in einer kritischen Lage aufgegeben. Wir werden den letzten Preis, den wir noch zu bezahlen haben, eben bezahlen. Mit allen Mitteln und mit allen Kräften. Der Sieg ist wirklich ganz nahe.«

Die Verhaftungswelle bezüglich des 20.Juli hält an

Die Aufregung über den 20. Juli hat sich etwas gelegt. Aber die Prozesse vor dem Volksgerichtshof gehen weiter, und die Verhaftungswelle hält an.

Über das Schicksal vieler Verhafteter hört man die widersprechendsten Gerüchte. Niemand weiß, wer gehängt worden ist und wer noch lebt. Manche Leute sind nur festgenommen wTorden, weil sie, oft ohne ihr Wissen, von irgend jemand auf eine Regierungsliste gesetzt worden sind.

Über den Tod des Generalfeldmarschalls von Kluge ist kein Wort veröffentlicht worden. Man spricht von Selbstmord. Als Motiv werden Verstrickungen in den 20. Juli und die Niederlage in Frankreich genannt.

Das Diplomatische Korps "schmilzt"

Im hiesigen Diplomatischen Korps sind wieder zwei Abgänge zu verzeichnen. Federico Diez geht diese Woche nach Madrid zurück. Als Freund des neuen Außenministers Lecqueria ist er ins Ministerium berufen worden.

Von den Schweizern verläßt uns Tino Soldati, dessen Ablösung vom SD verlangt worden ist. Soldati wurde seit Jahren überwacht, ohne daß man ihm das geringste nachweisen konnte. Ursprung des Mißtrauens gegen ihn ist eine Bemerkung, die er während eines Urlaubs in Bern einem ungarischen Diplomaten gegenüber gemacht haben soll und die dieser an deutsche Stellen weitergab. Sein Unglück war, daß er viele Leute kannte, die verdächtigt oder verhaftet wurden. Unser Glück ist seine überragende Intelligenz, die ihm helfen wird, über den Verfolgungswahnsinn der deutschen Sicherheitsbehörden hinwegzusehen und seine Objektivität gegenüber den hiesigen Vorgängen zu bewahren.

Der »totale Krieg« tritt in sein letztes Stadium.

Alle Kulturinstitute sollen aufgelöst, die Charlottenburger Oper geschlossen, ihr Personal bei Siemens »eingesetzt« werden. Auf den U-Bahnen sind die Schaffner verschwunden, die benutzte Fahrscheine einsammelten. Es brauchte fünf Kriegsjahre, um diese Einrichtung endlich zu beseitigen, die es in New York schon seit zwanzig Jahren nicht mehr gibt. Der umständliche Verkauf und das Abknipsen der Billetts wird beibehalten.

Mittwoch, den 6. September 1944 - immer mehr Chaos

Brauchitsch hat einen Artikel im »Völkischen Beobachter« gegen die Verschwörer vom 20. Juli veröffentlicht.

Herr von Killinger, unser Gesandter in Bukarest, hat sich mit seiner Sekretärin erschossen. Offensichtlich, weil er den Russen ausgeliefert werden sollte.

Mit der Gesandtschaft Bukarest besteht noch immer keine Verbindung. Man weiß nichts über das Schicksal der übrigen Gesandtschaftsmitglieder. Von Clodius, Rantzau, Adelmann keine Spur. Nur Langenhan, der nicht zur Gesandtschaft gehörte, ist entkommen.

Frühstück beim spanischen Botschafter. Für den Fall, daß die Russen Berlin besetzen, plant Vidal, nach Sigmaringen zu gehen. Die schwedische Gesandtschaft will dagegen in Berlin ausharren.

Rußland hat Bulgarien den Krieg erklärt. Hoffentlich begehen wir nicht die Dummheit, der neuen bulgarischen Regierung gegen Rußland beizustehen. Nachdem der Balkan ohnehin für uns verloren ist, sollte man die Russen nicht hindern, an der türkischen Grenze aufzumarschieren.

Je eher die Russen ans Mittelmeer gelangen und damit die englische Machtsphäre berühren, desto besser. Wir sollen darum auch Griechenland räumen. In der Lage, in der wir uns befinden, können uns nur noch Zwistigkeiten unter unseren Gegnern helfen.

Bulgarien fällt auch ab - wegen meines Artikels ??

Im übrigen hat Bulgarien hinter unserem Rücken verhandelt und sich aller vertraglichen Bindungen an die Achse entledigt. Die Rumänen bemühen sich eifrig, ihren Abfall zu rechtfertigen.

Vorgestern erzählte mir Popescu, mein Artikel in »Berlin-Rom-Tokio« über das Thema »Der dritte Weltkrieg« habe den Entschluß Rumäniens erleichtert. In diesem Artikel sei angedeutet worden, daß wir mit den Russen verhandeln. Der Aufsatz enthält kein Wort darüber.

Er wurde in England sehr beachtet und von Lindley Frazer im Rundfunk scharf angegriffen. Sein Echo ist ein Beweis dafür, daß wir selbst jetzt noch publizistische Wirkungsmöglichkeiten haben, wenn wir die Dinge beim Namen nennen.

Ich schrieb in diesem hypothetischen Artikel :(alles 1944 geschrieben)

»Die feindliche Publizistik beschäftigt sich seit längerer Zeit mit der Frage eines dritten Weltkrieges. Es ist merkwürdig, daß das Interesse an diesem Thema mit der Dauer des gegenwärtigen Krieges eher zunimmt als schwächer wird. Die Behandlung dieses Stoffes wird von verschiedenen Seiten angefaßt. Der Ausgang der Untersuchung wird zumeist durch die Prüfung der Friedensmöglichkeiten nach diesem Kriege gebildet. Ein totaler Sieg der alliierten Mächte Großbritannien, Vereinigte Staaten, Sowjetunion und Tschungking-China und eine totale, in bedingungslose Kapitulation mündende Niederlage Deutschlands und Japans werden vorausgesetzt.

Dann aber trennen sich die Wege der Betrachtenden. Die einen vertreten die Auffassung, ein totaler Friede könne nur dann gesichert, ein neuer dritter Weltkrieg nur dann vermieden werden, wenn die in diesem Kriege Besiegten, also Deutschland und Japan, für immer am Boden gehalten werden. Zu diesem negativen Zweck wird die dauernde Zusammenarbeit der gegenwärtig gegen Deutschland und Japan verbündeten Mächte für die Zeit nach dem Kriege gefordert.

Die andere, stark in der Minderzahl befindliche Schule huldigt der entgegengesetzten Meinung. Sie sieht die Möglichkeit eines neuerlichen Krieges gerade dann, wenn der Frieden zu hart für die Besiegten wird. Sie wünscht einen Zustand nach dem Kriege, in dem es »auch Deutschland und Japan« gestattet ist, zu leben, und zwar auf der Grundlage annähernder Gleichberechtigung mit den Siegern.«
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weiter (alles 1944 geschrieben)

»Wenn der künftige Frieden nicht imstande ist, den Ausgleich der Interessen aller am Krieg teilnehmenden Mächte zu schaffen, der Sieger wie der Besiegten, wird er nicht von Dauer sein. Der zweite Weltkrieg ist dann so umsonst geführt worden wie der erste. Der Keim zu einem dritten Weltkrieg wird gelegt sein und sich entfalten, sobald die Kriegsmüdigkeit überwunden und eine neue vom Kriege unberührte Generation die Generation der Träger des letzten Kampfes abgelöst hat.«

»Die Sowjetunion würde die größte Landmacht, die Vereinigten Staaten die größte Seemacht der Welt bilden, Großbritannien mit Einschluß des Empire wäre weder zu Lande noch zur See der einen oder der anderen dieser Mächte und schon gar nicht beiden gewachsen. Für China gilt das gleiche. Es würde dann nur zwei Weltmächte im echten Sinne geben: Rußland und Amerika.

Für die beiden übrigen, Großbritannien und China, würde es nur die Möglichkeit geben, in Anlehnung an Amerika oder an Rußland Politik zu treiben, um einen Rang als zweitklassige Macht zu behaupten. Von Deutschland und Japan abgesehen, die ja nach dem Willen der Sieger von morgen technisch jeder Möglichkeit dazu beraubt sind, wäre es naiv anzunehmen, daß die übrige Welt sich eine Vorherrschaft dieser vier Mächte auf die Dauer gefallen lassen würde. Der Gedanke an eine Weltpolizei hat sich noch immer als Utopie erwiesen, und er wird immer eine Utopie bleiben. Kein Bündnis, das zu diesem Zweck geschlossen wurde, war von Dauer.«

weiter (alles 1944 geschrieben)

»Eine amerikanisch-russische Weltpolizei, in der es auch einige Engländer und Chinesen gibt, wird nicht nur am Widerstand der zu Beaufsichtigenden scheitern, sondern auch an der Unmöglichkeit ihrer Organisation. Der russische Weltpolizist und sein chinesischer Gehilfe werden andere private Freundschaften und Feindschaften pflegen als der amerikanische Weltpolizist und sein britischer Assistent.

Ebensowenig werden sich Interessenzonen verwirklichen lassen, die von diesen Mächten hegemonial beherrscht werden.

Interessenzonen sind hier gleich Machtzonen. Es ist absurd zu glauben, daß ein Europa, das die Herrschaft Napoleons nicht ertragen konnte, das den Führungsanspruch Deutschlands ablehnt, auf die Dauer seine Knie vor Moskau beugen wird.

Der russische Versuch, Europa zu beherrschen, würde gerade vielmehr diejenigen europäischen Nationen an die Seite des besiegten Deutschlands bringen, die einst das siegreiche Deutschland ablehnten. Welche Lebensfunktionen soll andererseits eine anglo-west-europäische Interessenzone haben in einem Europa, in dem das deutsche Mittelstück politisch sterilisiert worden ist.

In dem Augenblick in dem Deutschland zum politischen Niemandsland erklärt wird, entsteht zwischen der anglo-west-europäischen Interessenzone und der russischen eine gemeinsame europäische Grenze. Es ist falsch zu glauben, daß der klassische Gegensatz zwischen Großbritannien und Rußland, der sich im Nahen Osten, an den indischen Grenzen und selbst in China, also in sehr weiten Räumen, immer wieder entzündet und belebt hat, auf einem so engen Raum wie Mittel- oder Westeuropa nicht in Erscheinung treten würde. Es ist vielmehr sicher, daß das englisch-russische Verhältnis, beladen mit gemeinsamen europäischen Problemen, für den Weltfrieden eine weitaus größere Gefahr darstellt, als das nur mit osteuropäischen Problemen behaftete deutsch-russische Verhältnis jemals dargestellt hat.«

Schlußabsatz (alles 1944 geschrieben)

»Und da die Vereinigten Staaten voraussichtlich eine sehr starke Macht sein werden, würde die Intensität, mit der die amerikanischen und russischen Machtstrahlungen aufeinanderprallen, noch viel heftiger sein als die, die durch die Überschneidung der britisch-westeuropäischen und russischen Machtausstrahlungen in Europa erzeugt werden würde.

Das wäre die Welt, in der die Gegner Deutschlands und Japans unter sich sind. Die Verlockungen dieser Welt sind schwer zu entdecken. Die Kriegsgefahren, die sie birgt, sind um so leichter erkennbar. Es wäre die Welt, die den dritten Weltkrieg mit tödlicher Sicherheit heraufbeschwört, selbst wenn man annimmt, daß ein besiegtes Deutschland und ein besiegtes Japan sich nicht wieder erheben könnten.«

Die Alliierten haben die Deutschen Grenzen überschritten

In der Wilhelmstraße und im »Adlon« trifft man seit einigen Tagen Mitglieder der französischen Regierung Laval, darunter die drei großen »D«, Doriot, Deat und Darnand. Sie machen einen niedergeschlagenen Eindruck.

Gestern brachte die »Morgenpost« einen Aufsatz, der den Volkskrieg innerhalb der deutschen Grenzen proklamiert.

Die Amerikaner stehen bei Saarbrücken, die Engländer haben unweit Aachen die deutsche Grenze überschritten. Daß wir einen Partisanenkrieg aufziehen können, bezweifle ich, weil uns Improvisation nicht liegt und eine Partisanenbewegung, die nicht versorgt werden kann, keine Chancen hat.

Alle Schweizer sollen Deutschland verlassen

Die Schweizer Gesandtschaft hat ihren Landsleuten geraten, Deutschland bis zum 15. September zu verlassen. Nach diesem Datum könne keine Gewähr für den Abtransport übernommen werden.

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