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Filmgeschichte(n) und Filmchronik(en) - Von 0 bis 1957

überarbeitet, korrigiert und kommentiert von Gert Redlich im Juli 2016 - Hier findenSie die bislang umfangreichste und detailierteste Historie der weltweiten Entwicklung des Films, der Filmwirtschaft (und des Kinos). Der Deutsch-Engländer Heinrich Fraenkel (geb. 1897) war hautnah dabei gewesen und beschreibt 1956/57 zwei weltweite Epochen des Films : Es beginnt mit -- Teil I -- "Von der Laterna Magica bis zum Tonfilm" und geht weiter mit -- Teil II -- "Vom Tonfilm bis zum Farbfilm"

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Teil I - KAPITEL 11
"HOLLYWOOD"

Von Versuchskaninchen und vom Dienst am Kunden / Von schlechten Optionsverträgen und guten Trinkgeldern / Von Hundehütten und Barabfindungen / Von der Moralitätsklausel und dem Anstandswauwau / Von mehr oder minder geschmacklosen Scherzen / Von Chaplin, Lloyd und Keaton / Von den Wurzeln bildhafter Komik

Hollywood - Massenproduktion im großen Sti

Gab es auch in Hollywood in den letzten Jahren vor dem Tonfilm einen Gipfelpunkt der Filmkunst? Ja und nein. Es gab eine Menge sehr beachtlicher Filme, aber das Gesamtniveau war gleichförmiger als in Europa: eine Folge der bei einer Massenproduktion so großen Stils unvermeidlichen Schematisierung.

„Preview" - die Publikumswirkung vorher bestimmen

In Hollywood war man von jeher darum bemüht, die Publikumswirkung eines Films so genau und so frühzeitig wie möglich zu bestimmen, jedenfalls früh genug, um noch vor der offiziellen Premiere Nachaufnahmen oder Schnitte machen zu können.

Man versuchte also, die Wirksamkeit des Films praktisch und experimentell festzustellen. Das tut man heute noch, genauso wie vor dreißig Jahren, und der Fachausdruck dafür heißt „Preview", also Vorschau.

Man bedient sich dazu meistens eines nicht zu kleinen und nicht zu großen Kinotheaters in einer ebenso durchschnittlichen Stadt, also gewiß nicht in Los Angeles oder einer seiner Vorstädte, sondern irgendwo im Umkreis von fünfzig bis hundert Kilometern.

Das Publikum, das dort für den jeweilig laufenden Film seine Eintrittskarte gelöst hat, ist stets angenehm überrascht, wenn plötzlich der Titel „Preview" auf der Leinwand erscheint. Man ist nicht nur überrascht, sondern geschmeichelt, nunmehr als Versuchskaninchen für einen nagelneuen Film benutzt zu werden, einen Film, an dem, je nach der Aufnahme, die man ihm bereitet, noch herumgedoktert werden wird, bis er offiziell auf die Menschheit losgelassen werden kann.

Sogar eine Befragung mit einer frankierten Postkarte

Der erfahrene Kinobesucher weiß, daß er nach einer „Preview" am Ausgang des Theaters eine frankierte Karte in die Hand gedrückt bekommt mit vorgedruckten Rubriken, in denen er aussagen "darf", was ihm an dem neuen Film gefallen und was ihm nicht gefallen hat.

Er weiß auch, daß unter den Herrschaften auf den reservierten Plätzen mitten im Publikum der berühmte Produzent sitzt, der noch berühmtere Regisseur, vielleicht sogar der noch viel berühmtere Star des Films und einige der anderen Schauspieler.

Ganz bestimmt sind auch die Drehbuchautoren, der Kameramann, der Regieassistent und andere Mitglieder des technischen Stabes da und vor allem der Pressechef und andere Mitglieder der Werbeabteilung.

Dann werden die "Befragungen" (Postkarten) ausgewertet

Die obengenannten "Gäste" werden in den nächsten Tagen gewissenhaft Hunderte von Postkarten studieren, die das „Preview"-Publikum eingeschickt hat; aber noch wichtiger wird ihnen der unmittelbare Eindruck sein, den sie von der spontanen Wirkung des Films auf ein Durchschnittspublikum empfangen.

Es wird genau aufgepaßt, ob diese oder jene Szene, von der man sich eine besondere Wirkung versprach, etwa versagt hat; es wird, wenn es sich um ein Lustspiel handelt, genau über die „Lacher" Buch geführt: ihre Anzahl sowohl wie ihre Intensität, und eine der Sekretärinnen wird mit der Stoppuhr die „Lachsekunden" zählen, damit man ganz genau weiß, ob diese oder jene Szene die Erwartungen erfüllt oder enttäuscht hat.

Aber wichtiger als die mit der Stoppuhr meßbare Wirkung ist dem versammelten Schöpferkollektiv des Films die nur erfühlbare „atmosphärische" Wirkung, die sich aus dem Kontakt mit dem Publikum ergibt.

Daraus kann man am besten und sichersten erkennen, was man falsch gemacht hat, und oft genug wird in der anschließenden Nachtsitzung beschlossen, wesentliche Teile des Films noch einmal zu drehen oder gar neu zu besetzen.

„Dienst am Kunden" - Vom Publikum zu lernen . . . .

. . . das gehört von jeher zur unwandelbaren Tradition von Hollywood. Das ist „Dienst am Kunden" - kein schlechter Grundsatz für jeden Kaufmann und jeder Art Industrieprodukt.

Kein schlechter Grundsatz, wenn man die scheinbar so selbstverständliche und doch so oft vergessene Tatsache bedenkt, daß die kostspielige Produktion und die umfangreiche Vertriebsorganisation eines Films einzig und allein von den Groschen und Silbermünzen finanziert werden muß, die der Filmfreund zur Kinokasse trägt.

Kein Wunder also, daß eine nach modernen Geschäfts- und Werbemethoden durchorganisierte Industrie jede unmittelbare Äußerung der Kundschaft gebührend respektiert, kein Wunder, daß man in Hollywood von jeher die „fan-mail" sehr ernst genommen hat, also die Autogrammgesuche und mehr oder minder überschwenglichen Liebesbriefe, die jeder Star von seinen Verehrern bekommt.

Das Barometer der Volksgunst - seinem Lieblingsstar einen Brief schreiben

Man sagt sich (mit Recht), daß ein Filmfreund, der sich die Mühe nimmt, seinem Lieblingsstar einen Brief zu schreiben, vermutlich an der Kinokasse stehen wird, wenn der nächste Film dieses Stars erscheint.

Er ist also ein Kunde (also der Kunde), den man nicht verärgern darf. Seine Autogrammbitte wird prompt erfüllt, sein Brief beantwortet und natürlich auch registriert. Denn über die Verehrerpost der bei der Firma im festen Vertragsverhältnis stehenden Stars und Schauspieler wird sorgfältig Buch geführt. Das ist ja gewissermaßen das Barometer der Volksgunst.

Allmonatlich die Statistik für den Chef

Da ein Star wöchentlich Tausende von Briefen erhält, muß ein erheblicher Büroapparat beschäftigt werden, um die Korrespondenz und die Registratur zu führen und vor allem die Statistik, die allmonatlich dem allerhöchsten Chef des Konzerns vorgelegt wird.

Dieser kann an Hand der Ergebniskurven der letzten vier Wochen mit einem Blick feststellen, wer von seinen hochbezahlten Stars in der Volksgunst gestiegen und wer gefallen ist: ein für den Star selbst ungemein wichtiger „Kurszettel"; denn eben jene Fieberkurve einer gesteigert oder gemindert leidenschaftlichen Anteilnahme wird wesentlich zu der Entscheidung beitragen, ob beim nächsten Stichtag die Option ausgeübt wird.

Die Option! Wichtiger Begriff aus einer Traumwelt

Die Option! Das ist in jener seltsamen Traumwelt, die sich Hollywood nennt, ein ungemein wichtiger Begriff - viel wichtiger als der jeweilige Stand der Weltpolitik, wichtiger als der sensationellste Raubmord, wichtiger sogar als der neueste Eheskandal, in den ein Hollywoodstar und ein indischer Nabob verwickelt sind.

„Option" war immer die wichtigste Vokabel Hollywoods, und sie wird es bleiben, obschon neuerdings einige der allergrößten Stars und Regisseure nur von Film zu Film abzuschließen pflegen.

In der Stummzeit aber waren sie fast alle unter langfristigem Vertrag oder vielmehr unter „Optionsvertrag"; und das gleiche galt auch für die manchmal sehr hochbezahlten Drehbuchautoren, Kameramänner und das übrige technische Personal sowie für viele Schauspieler, die ebenfalls einen vierstelligen Wochenscheck bekamen, obschon sie keine „Stars" waren, also nicht das vertragliche Recht hatten, daß ihr Name vor dem Titel des Films und in entsprechend großer Schrift angezeigt wurde.

Blick in einen Optionsvertrag

Wie sieht nun so ein Optionsvertrag aus? Er ist viele, viele Seiten lang, aber dem Angestellten gibt er nur das eine und einzige Recht, pünktlich an jedem Mittwoch seinen Scheck zu bekommen.

Alle anderen Rechte stehen der Firma zu, vor allem das entscheidende Vorrecht, alle sechs Monate die Option auszuüben oder verfallen zu lassen. Der Angestellte ist sieben Jahre gebunden, die Firma nur jeweils sechs Monate.

Das ist nicht so ungerecht, wie es scheint. Das Kreieren eines Stars ist ein gewagtes Geschäft, zwar mit der Chance, gleich wie in der Lotterie einen Haupttreffer zu ziehen, aber mit viel Kleingeld für sehr viele Nieten erkauft.

Es sind schon Tausende hoffnungsvoller junger Künstler unter jenen berühmten Optionsvertrag genommen worden, aber nur sehr wenige konnten die sieben Jahre durchstehen, um von den ursprünglichen paar hundert Dollar nach der Ausübung der dreizehnten Option bis zur etwa zehnfachen Wochengage zu gelangen.

Geben und Nehmen - Top oder Flop - wie die Firmen denken

Diese Schauspieler sind natürlich auch mit ihrem vierstelligen Wochenscheck beträchtlich unterbezahlt; aber dafür muß die Firma die jeweils anderen 26 x 200 Dollar als Verlust buchen, die sie vielen anderen bezahlte, die sich dann doch als Nieten erwiesen.

Glückt also wirklich einmal eine „Starentdeckung", dann ist es nur recht und billig - gewiß im wahrsten Sinne des Wortes sehr „billig" -, daß die Firma nach der vierten oder fünften Optionsausübung für, sagen wir, 600 oder 750 Dollar einen Star unter einem noch sehr langfristigen Vertrag hat - einen Star, der jetzt schon fünf- oder sechsmal soviel „wert" ist und dessen „Marktwert", auch in der nächsten Zukunft, erheblich schneller wachsen wird als die bescheidenen Zulagen, die ihm bei jeder neuen Optionsausübung zukommen.

An ihm verdient dann die Firma, was sie an den vielen Nieten zusetzen muß. Wenn sie etwa für den neuentdeckten Star gerade keine geeignete Rolle hat, dann „vermietet" sie ihn für das Vielfache der bescheidenen Wochengage, die sie ihm selber unter dem Optionsvertrag zahlt.

Ist das alles "recht und billig"

„Wie ungerecht", mag jetzt ein sozial empfindender Leser einwenden, „wie unbillig"! Aber wenn man sich die Sache genauer überlegt, wird man zugeben müssen, daß es wirklich nur recht und billig ist, zumal die Firma strikt den traditionellen amerikanischen Geschäftsgrundsatz befolgt, daß man einen Gehaltsempfänger, von dem man die bestmögliche Leistung erwartet, stets bei guter Laune halten soll.

Als „Trinkgeld" - eine kleine Villa zu Weihnachten

Die Firma wird also dem durch seinen Optionsvertrag unterbezahlten Star alle paar Monate ein gutes „Trinkgeld" geben: etwa ein großes goldenes Zigarettenetui, wenn es sich um einen Mann handelt, oder etwas Schmuck, wenn es ein Mädchen ist; das nächste Mal vielleicht eine hübsche Limousine oder gar eine kleine Villa und zu Weihnachten natürlich einen Scheck.

Die Größenordnung dieser Trinkgelder ist keineswegs willkürlich, und sie wird ziemlich genau der halben Differenz zwischen der vertraglichen Gage des Stars und demjenigen Betrag gleichkommen, den er in dem entsprechenden Zeitraum wirklich „wert" ist.

Wehe dem Star, der auf diese freiwilligen Zuwendungen pocht

Wohlgemerkt, das sind freiwillige Zuwendungen. Wehe dem Star, der sie etwa fordert oder, auf seine neugebackene Starwürde pochend, eine Erhöhung der ihm vertraglich zukommenden Beträge verlangt!

Das Schulbeispiel für eine solche Situation - aber gewiß nicht das einzige in der amerikanischen Filmgeschichte - bot Rudolf Valentino; er war bei Paramount im frühen Stadium eines noch sehr langfristigen Optionsvertrages, als er schon zum Abgott der Kinobesucherinnen hochgezüchtet wurde.

Er bekam also noch eine dreistellige Gage, als er schon mindestens 5.000 Dollar pro Woche „wert" war.

Rudolf Valentino - zu hoch gepokert

Im Vertrauen auf seine beispiellose Popularität, sein schon weltberühmtes Profil und seine nach Tausenden zählende Verehrerpost sagte sich Valentino, daß er es nicht nötig habe, sich mit den gelegentlichen Trinkgeldern eines Cadillac oder einer kleinen Villa abspeisen zu lassen.

Er erklärte seiner Firma, daß er die sofortige Verzehnfachung seiner Gage, also den Betrag, den er tatsächlich „wert" sei, verlange, andernfalls würde er den laufenden Film abbrechen und zu einem der großen Konkurrenzkonzerne gehen.

Nun hätte ihn sicher die Konkurrenz mit dem größten Vergnügen engagiert und ihm gern sogar erheblich mehr als die verlangte Gage bezahlt.

Aber hier, wie in vielen anderen Fällen, siegte der Korpsgeist über das kurzfristige Geschäftsinteresse. Wann immer es sich darum handelt, einen etwas übermütig gewordenen Star zur Räson zu bringen, halten die Konzerne eisern zusammen und verzichten blutenden Herzens auf die Chance, der Konkurrenz einen fetten Bissen wegzuschnappen.

Rudolf Valentino war ein Jahr arbeitslos

So kam es, daß Rudolf Valentino auf der Höhe seines Ruhmes fast ein Jahr lang arbeitslos war. Fast eine Million Briefe kamen in dieser Zeit von den Verehrerinnen des Stars.

Sie alle wollten wissen, wann denn endlich wieder das berühmte Profil ihres Lieblings in einem neuen Film zu sehen wäre, aber die Firma blieb hart. Erst als der Vertragsbrüchige seinen Trotz aufgab und reumütig um Entschuldigung bat, wurde er wieder in Gnaden aufgenommen, mußte aber erst eine Zeitlang mit der lächerlich bescheidenen Gage des Optionsvertrages seinen Arbeitswillen beweisen, bis man ihm großmütig anbot, den alten Vertrag zu zerreißen und einen neuen zu machen, der zwar seinem gesteigerten Marktwert entsprach, aber eine erheblich längere Laufzeit hatte.
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In Hollywood „den Vertrag zu zerreißen"

Man tut immer gut daran, ja zu sagen, wenn in Hollywood das Angebot gemacht wird, „den Vertrag zu zerreißen". Dieses Anerbieten kann den erfreulichen Grund haben, einen alten Optionsvertrag dem inzwischen erheblich gesteigerten Wert des Künstlers anzupassen und diesen dadurch um einige Jahre länger zu binden.

Es kann aber auch den Grund haben, daß die Firma unzufrieden ist und den Vertrag durch eine Barabfindung zu lösen wünscht. In einem solchen Fall „stolz" zu sein, ist unklug.

Ein Schulbeispiel - Alexander Korda

Ein Schulbeispiel dafür hat vor einigen Jahrzehnten Alexander Korda geliefert, derselbe Korda, der sich später zu einem der berühmtesten Produzenten unserer Zeit entwickelte.

Daß man damals in Hollywood mit ihm „unzufrieden" war, beruhte auf Gegenseitigkeit. Er fühlte sich künstlerisch unbefriedigt, denn man ließ ihn nicht machen, was er wollte, man gab ihm Stoffe, die ihm nicht paßten, und man redete ihm in seine Regieführung hinein.

25.000 Dollar Abfindung war zu wenig

Eines Tages ließ man ihn dann ins „Head Office" kommen und sagte ihm - ich kann mich zwar für die Ziffern nicht verbürgen, aber sie entsprachen ziemlich genau meiner Erinnerung an diesen Vorfall - also man sagte ihm etwa:
„Mr. Korda, Ihr Vertrag läuft noch 30 Wochen zu 1.500 Dollar, das sind 45.000 Dollar. Hier ist ein Scheck über 25.000 Dollar. Wollen Sie den annehmen und den Vertrag zerreißen?"

Korda war verärgert und lehnte ab; worauf man ihm höflich bedeutete, daß er selbstverständlich das Recht habe, seinen Vertrag abzusitzen, er müsse dann freilich ins „Dog House" - in die Hundhütte umziehen.

Das „Dog House" - die Hundhütte

Man war zwar höflich genug, dieses in Hollywood wohlbekannte Wort zu vermeiden. Aber die sofortige praktische Folge war, daß er seinen schönen „Bungalow" - ein luftiges Büro mit Vorzimmer, eigenem Gärtchen und Badezimmer - gegen das schäbigste und kleinste Bürozimmer eintauschen mußte.

Natürlich durfte er sich den Raum auf eigene Kosten etwas wohnlich machen; er durfte einen Teppich hineinlegen und sich Bücher und Patiencekarten kommen lassen und sogar ein Radio: alles sehr nötige Anschaffungen, denn er hatte ja in jener schäbigen „Hundehütte" nichts zu tun, als neun Stunden täglich (mit einer Stunde Mittagspause) seinen Vertrag abzusitzen.

Sehr sinnvoll, den Vertrag vorher zu lesen - aber zu spät

Seine erste und sehr dringliche Lektüre war das genaue Studium jenes ellenlangen Vertrages, der für das eine Recht des Wochenschecks (den er sich nunmehr abholen mußte im Gegensatz zu früher, da er ihm ins Haus gebracht wurde) zahllose Pflichten enthielt, um die man sich normalerweise nicht zu kümmern brauchte: vor allem also die Pflicht, auf die Minute pünktlich die Bürostunden einzuhalten oder etwa in gewissen Korridoren des Verwaltungsgebäudes und der Atelieranlagen nicht zu rauchen.

Eine solche „Pflichtverletzung" hätte für Korda damals Vertragsbruch bedeutet und die fristlose Entlassung, also den Verlust von Zehntausenden von Dollars zur Folge gehabt.

Das Trotzkopf-spielen kostete Korda 10.000 Dollar

Er hielt die Nervenprobe ein paar Wochen durch, dann ließ er sich im Head Office melden und erklärte sich bereit, den Vertrag zu lösen. Er bekam prompt seinen Abfindungsscheck, aber jetzt waren es nur noch 15.000 Dollar. Die paar Wochen Trotzkopf-spielen hatte ihn viel Geld gekostet.

Die strengen dehnbaren Sitten von Hollywood - die „Moralitätsklausel"

Der gefährlichste Passus in jenem ellenlangen Vertrag, den man normalerweise nicht zu lesen braucht, ist die „Moralitätsklausel": also die Vorschrift, daß man sich anständig zu benehmen hat.

Der Begriff der Moral ist bekanntlich sehr dehnbar, und solange der Firma daran liegt, einen Star zu halten, wird sie ihn mit Hilfe ihrer besten Juristen zu schützen suchen, auch wenn er einmal sehr heftig über die Stränge schlägt.

Im umgekehrten Fall genügt eine winzige Verfehlung - etwa allzu lautes Benehmen in einem öffentlichen Lokal -, um den Vertragsbruch eines Stars zu konstruieren, dessen kostspieligen Vertrag man gern los sein will.

Ein weiteres Schulbeispiel - „Fatiy" Arbuckle

Das Schulbeispiel für einen Star, den man gern behalten wollte und trotzdem fallenlassen mußte, war „Fatiy" Arbuckle, Anfang der zwanziger Jahre einer der berühmtesten Komiker Hollywoods, ein Star von Weltruf mit einem fünfstelligen Wochenscheck.

Er wurde eines Tages (oder vielmehr nachts) in eine recht üble Skandalaffäre verwickelt, eine Orgie, bei der eine der beteiligten jungen Damen in der Badewanne ertrank.

Da konnten auch die besten Anwälte nicht mehr viel ausrichten, als einige mildernde Umstände zu erwirken, zumal auch das Antialkoholgesetz sehr heftig verletzt war; und als Fatty einige Jahre später wieder in Freiheit war, mußte er immer noch viele Jahre warten, bis ihm ein sehr bescheidenes „Come-back" (nicht als Schauspieler, sondern als Regisseur und Gagman) ermöglicht wurde.

Die Moral der amerikanischen Frauenklubs

Inzwischen hatte sein Fall eine gewissermaßen filmgeschichtliche Wirkung gehabt, weil er die in den Vereinigten Staaten überaus mächtigen Frauenklubs in Harnisch gebracht hatte: eine Macht, mit der, getreu dem mephistophelischen Gebot, die Filmindustrie nie sich unterstehen durfte zu scherzen.

Denn die Frauen stellten von jeher in Amerika das Hauptkontingent der regelmäßigen Kinobesucher; und da jene Frauenklubs es auch von jeher mächtig mit der Moral gehabt haben, mußte schleunigst etwas geschehen, um die durch allerlei Skandale (nicht nur durch den Fall Fatty Arbuckle) leichtbeschmutzte Weste von Hollywood wieder blütenweiß zu putzen.

Die „Hays-Organisation"

So erfolgte die Gründung der „Hays-Organisation" (die es unter anderem Namen und in etwas veränderter Form noch heute gibt).

William Hays war anfangs der zwanziger Jahre Postminister der Vereinigten Staaten, im Privatleben ein Puritaner von makellosem Ruf, und so sah er auch aus.

Diesen Mann engagierte sich Hollywood für eine veritable Stargage, und mit den großzügigsten Vollmachten versehen zog er ein Büro auf, dessen Vorschriften sich die Filmindustrie freiwillig unterwarf. Nun waren die Frauenklubs beruhigt.

Eine Art puritanischer "freiwilliger" Selbstzensur in Hollywood

Es war nichts anderes als eine Art freiwilliger Selbstzensur, nicht unähnlich derjenigen, die es heute in der Bundesrepublik gibt; übrigens ist das System so straff wie das der alten deutschen Oberprüfstelle und der Prüfstellen, die ihre festen Richtlinien hatten.

In punkto Grausamkeit und in punkto Fleischbeschau (und später im Tonfilm auch in bezug auf gewisse vulgäre Ausdrücke) wußte man ziemlich genau, wie weit man gehen durfte und was verboten war.

In Deutschland war es die "Oberprüfstelle"

Ich entsinne mich einer Zensurkarte der Oberprüfstelle, in der die Forderung nach einem Schnitt folgendermaßen formuliert war:

„Zu schneiden ist aus der Szene zu Beginn des dritten Aktes die Stelle, an der Helga die Bluse aufgerissen wird und die linke Brust zum Vorschein kommt - Länge 60cm."

Da die betroffene junge Schauspielerin sehr schön gewachsen war, wäre es eine unziemliche Beleidigung, die Angabe des Längenmaßes anatomisch zu verstehen.

Eine solche Szene wäre der Hays-Organisation nur im Zweifelsfalle vorgeführt worden; die Organisation wurde aber auch schon im Manuskriptstadium und bei der Stoffwahl in jedem problematischen Fall zu Rate gezogen.
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Eine sozusagen halbamtliche Dienststelle

Ihren wesentlichen Zweck jedoch erfüllte diese sozusagen halbamtliche Dienststelle einfach dadurch, daß sie vorhanden war.

Man hatte einen sehr würdevollen und elastischen Prellbock gegen die Gefahren der öffentlichen Meinung, man hatte einen hochherrschaftlichen Regenschirm, der gegen jedes moralinsaure Gewitter der Frauenklubs gefeit war.

Hollywood hatte sich gewissermaßen einen Anstandswauwau angeschafft, mit dessen Hilfe die Gefahr, die allmächtigen Frauenklubs zu verstimmen, weitgehend ausgeschaltet wurde.

Gefahren gab es trotzdem oft; denn es war (und ist) unvermeidlich, daß eine so konzentrierte Ansammlung ungewöhnlich begabter, temperamentvoller, ehrgeiziger und verwöhnter Menschen gelegentlich zu Exzessen führt, zumal viele von ihnen über ein nach normalen Begriffen märchenhaftes Einkommen verfügen und alle eine höchst absonderliche Art geistiger, seelischer und gesellschaftlicher Inzucht treiben.

Um 7.oo morgens gings los - ausgeschlafen natürlich

Freilich wird auch viel und konzentriert gearbeitet, und wenn man schon um sieben Uhr morgens gut ausgeschlafen am Schminktisch sitzen muß, ist man weitgehend gegen die Exzesse gefeit, zu denen ein Tageseinkommen von tausend Dollar zu verführen vermag.
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Segen oder Fluch jener märchenhaften Gagen

Im übrigen genießen keineswegs alle Einwohner und Anrainer der Traumstadt Hollywood den Segen oder Fluch jener märchenhaften Gagen.

Nur wer in Arbeit (oder doch unter Vertrag) steht, erfreut sich einer Gage, die auch auf den niederen Ebenen - es werden etwa drei- bis achttausend Mark im Monat!!! für kleine und kleinste Schauspieler und Techniker gezahlt - nach europäischen Begriffen ans Märchenhafte grenzt.
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Reichtum und Armut in märchenhaftem Ausmaß

Aber die meisten Menschen dort haben gar keine Gage und sehr viel geringere Chancen, als sie sich erträumen. Von den Zehntausenden regulärer Komparsen können nur die allerwenigsten das tägliche Brot verdienen.

Hollywood (oder vielmehr Los Angeles) wimmelt von Kellnerinnen und Ladenmädchen, von Parkplatzwächtern und Hausdienern, die verhinderte Filmstars sind.

Nirgends gibt es Reichtum wie Armut in so märchenhaftem Ausmaß und so hart nebeneinander. Aber die Härte der Armut ist nicht ganz so schlimm, wie man glauben mag, denn sie wird von jeher durch zwei Segnungen gemildert, die es auch für die Ärmsten gibt: die liebe Sonne und die ewige Hoffnung.
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Hollywood - die liebe Sonne und die ewige Hoffnung

Der blaue Himmel gibt dem Armen Trost, und solange er eine weiße Flanellhose und ein anständiges Hemd hat, bleibt oder ist er gesellschaftsfähig. Das Brot ist billig, die Orange sogar spottbillig.

Aber der wichtigste Nivellierer der gewaltigen Kluft zwischen Erfolg und Versagen ist die Hoffnung und der Glaube: diese beiden währen in Hollywood wahrhaft ewiglich (und gewiß länger als die Liebe).

Sie müssen es, denn von der Hoffnung auf die plötzliche Wendung, vom Glauben an das große Glück leben die meisten Einwohner jener seltsamen Traumstadt; auch diejenigen, die zwar vor Not geschützt sind, aber nicht minder bittere Enttäuschungen erleiden, weil es ihnen durchaus nicht gelingen will, den dreistelligen Wochenscheck in einen vierstelligen zu verwandeln.

Die irreale Welt der Traumstadt Hollywood

Ausgeübte und verfallene Optionen, plötzliche Glückschancen, bittere Enttäuschungen und neue Hoffnungen - all das unter einem ewig blauen Himmel und in einer durchaus irrealen Welt der Umwertung fast aller anderswo gültigen Werte -, das schafft jene nicht minder irreale Atmosphäre der Traumstadt Hollywood.

Kein Wunder, daß die Leute nach einiger Zeit in einen Zustand verfallen, wofür es dort schon in der Stummfilmzeit den Fachausdruck gab „he has gone Hollywood", zu deutsch: er ist ein bißchen durchgedreht.

Wohlgemerkt, das darf man nicht zu ernst nehmen, denn es ist gewiß kein Zustand, bei dem ein Psychiater zu Rate zu ziehen wäre (obschon ihrer sehr viele in Hollywood praktizieren und die prominentesten des Fachs auch ihrerseits Stargagen "liquidieren").

Es ist einfach die natürliche Wirkung Hollywoods auf seine Einwohner, die sich in einem etwas verschrobenen Humor und einer weitverbreiteten Vorliebe für „practical jokes" äußert.

Im Deutschen gibt es nicht einmal ein Wort dafür. Aber in Hollywood gibt es sogar professionelle „practical Jokers", die man engagiert, um eine „Party" etwas aufzulockern, also etwa um die Gäste durch einen fingierten Krach erst zu erschrecken und dann zu erheitern oder um vielleicht den einen oder anderen Gast - wie der Berliner sagen würde - „durch den Kakao zu ziehen".

Die professionellen „practical Jokers" von Hollywood

In Filmkreisen ist man ja von jeher - und durchaus nicht nur in Hollywood - zu solchen „praktischen Scherzen" aufgelegt. Sogar im nüchternen London habe ich mich einmal mit Peter Loire und anderen an dem Unternehmen beteiligt, sämtliche schnell verfügbaren Kanarienvögel aufzukaufen und sie einzeln - es waren immerhin ein paar Dutzend - nacheinander und innerhalb einer Stunde dem Regisseur Alfred Hitchcock anonym ins Haus schicken zu lassen.

Ich weiß nicht mehr, warum uns das damals so besonders witzig vorkam, aber ich will hoffen, daß es irgendeinen triftigen Grund hatte.

In Hollywood dagegen sind die „practical jokes" meistens etwas bissiger, und es versteht sich von selbst, daß jeder Neuankömmling entsprechend verarztet wird, besonders wenn er zu einer der vielen Cliquen und „Kolonien" gehört.

Aus eigener Erfahrung :

Als ich selbst in den 1920er Jahren zum erstenmal nach Hollywood kam, stand die halbe „Deutsche Kolonie" am Bahnhof: nicht etwa eine besondere Ehrenbezeigung, sondern eine damals schon zur Tradition gewordene Selbstverständlichkeit.

Vor allem wollte man von dem Neuankömmling brühwarm hören, was es „drüben" Neues gab, und im übrigen benützte man den (keineswegs sehr häufigen) Vorwand, „down town" zu fahren, um in der Stadt Los Angeles ein wenig durch die Kaufläden, durch China-Town oder das Negerviertel zu bummeln. Das bedeutete immerhin eine Abwechslung.

Meine „Verarztung" erfolgte . . .

Meine „Verarztung" erfolgte schon wenige Tage nach meiner Ankunft, nach einer Party im Hause Lubitsch, in dem natürlich die ganze „Kolonie" versammelt war. (Man ging umschichtig zu Parties, bei denen man immer wieder dieselben Leute sah und manchmal am liebsten zur Abwechslung Maske gemacht hätte.)

Ich war ziemlich müde und fuhr schon kurz nach Mitternacht heim. Aber ich war kaum eingeschlafen, als ich telefonisch geweckt wurde. „Western Union" meldete sich (die große amerikanische Telegraphenagentur).

Ein dringendes Kabel (Telegramm) für mich aus Berlin

Es sei soeben ein dringendes Kabel für mich aus Berlin angekommen, ob ich die telefonische Durchsage wünsche? Ich bejahte verschlafen, worauf die Telefonistin bemerkte, es sei in einer fremden Sprache und sie müsse es buchstabieren.

„Go ahead", seufzte ich und griff zu Papier und Bleistift, während die Amerikanerin ihren monotonen Singsang begann: F for Freddy, R for Richard, A for apple, E for Earny usw. Als sie endlich fertig war, stand etwa folgender Wortlaut auf meinem Zettel:

„Fraenkel Roosevelt-Hotel Hollywood - Cal. Hören soeben daß Emelka in sensationellen Abschlußverhandlungen mit Lubitsch stop er soll zwischen jetzigem und nächstem Paramount-Film längeren Deutschlandurlaub planen um mindestens einen Geiselgasteig-Film zu drehen stop eventuell auch Gemeinschaftsproduktion mit amerikanischen Außenaufnahmen stop hören daß Lubitsch außergewöhnliche künstlerische und finanzielle Vollmachten zugebilligt werden und eine für Deutschland unerhörte Gage stop dringkabelt ausführliche Interviews mit Lubitsch und Paramount Gruß Mühsam B.Z. am Mittag."

In Berlin war es neun Stunden später

Ich war jetzt ganz wach geworden, blickte auf die Uhr und fing an zu rechnen: es war schon nach halb zwei. In Berlin war es neun Stunden später, also 10.30.

Der gute Kurt Mühsam in der B.Z. war also schon mit dem Umbruch fertig. Es war technisch unmöglich, die Sache noch rechtzeitig hinzukriegen. Sie mußte also bis zum Morgen warten, und ich brauchte Lubitsch nicht mitten in der Nacht aus dem Schlaf zu klingeln. Bei der Paramount konnte ich ja ohnehin erst am Vormittag etwas erfahren.

Ich beschloß also, beruhigt weiterzuschlafen, freilich nicht, ohne vorher Auftrag zu geben, mich Punkt 8 Uhr zu wecken.

Es war natürlich solch ein "joke"

Als ich bei Lubitsch anrief, bestätigte er das Angebot der Emelka. Er sei mitten in der Nacht geweckt worden, und man habe ihm das Kabel durchgesagt. Es sei in der Tat ein für deutsche Verhältnisse geradezu sensationelles Angebot, aber er wisse noch nicht, ob er sich von Paramount so lange frei machen könne.

Im übrigen habe man ihn auch gefragt, ob er einverstanden sei, Paul Kohner als Produktionsassistent zu bekommen, falls es möglich wäre, ihn von Universal freizubekommen.

Eine Rückfrage ergab, daß Kohner auch ein Kabelangebot von der Emelka durchgesagt bekam, und ein paar Stunden später stellte sich heraus, daß die ganze Sache von Emil Jannings, Heinz Blanke, dem dicken Kameramann Karl Freund und ein paar anderen Gästen der Lubitsch-Party inszeniert worden war.

Sie waren noch zu einer anderen Party gegangen, dort hatten sie die Kabeltexte aufgesetzt und von einer Schauspielerin durchsagen lassen, deren Stimme wir nicht kannten. Sie hatten natürlich gehofft, daß ich Lubitsch noch in der Nacht anrufen und sofort ein Kabel an die B. Z. aufgeben würde.

Als Fußgänger in "Beverly Hills" unterwegs

Dieser „practical-joke" war also nicht so gut gelungen wie ein anderer, bei dem Lubitsch diesmal nicht eines der Opfer, sondern der Urheber war.

Wir machten eines Sonntags von seinem Haus aus - etwa fünf oder sechs aus der „Deutschen Kolonie" - den obligaten Vormittagsspaziergang. Das war in Beverly Hills gar nicht so einfach; denn es gibt dort nicht nur kaum einen Bürgersteig (und sehr wenig steigbereite Bürger), sondern ein Spaziergänger ist in dieser motorisierten Welt auch ein so erstaunliches Phänomen, daß immer wieder einer der auf der breiten Fahrbahn vorbeisausenden Autofahrer anhält, um sich vorsorglich zu erkundigen, ob man einen Unfall mit dem Wagen gehabt habe und ob man zur nächsten Reparaturwerkstätte mitgenommen werden wolle.

Der getürkte "Einbruch" in Alexander Kordas Haus

Nachdem wir mindestens zwei so menschenfreundliche Angebote abgelehnt hatten, kamen wir an Alexander Kordas Haus vorbei, fanden das Tor unverschlossen und traten ein. Das Haus war völlig menschenleer - vielleicht waren die Kordas ebenfalls auf einem Spaziergang -, und plötzlich hatte Lubitsch den Einfall, einen Einbruch zu markieren.

Schnell nahmen wir ein paar Aschenbecher, Bücher, Gläser und was immer sonst noch herumstand, schoben alles unter die Couch, rollten den Teppich zusammen und machten soviel Unordnung, wie man sie eben in großer Eile zustande bringen kann. Denn wir wollten ja nicht von dem sicher bald heimkehrenden Hausherrn überrascht werden und liefen schnell zum Hause Lubitsch zurück.

Und dann die künstlichen Befragungen

Von dort ließen wir eine amerikanische Schauspielerin, deren Stimme Korda nicht kannte, anrufen. Hier sei die Lokalredaktion der „Los Angeles Times". Ein Einbruch sei soeben gemeldet worden, ob es sich um Mr. Korda, den bekannten Filmregisseur handele?

Korda bestätigte das und mußte dann auf Befragen der „Reporterin" einen ausführlichen Abriß seiner Karriere geben.

„Was halten Sie von Amerika", war die erste von Lubitsch soufflierte Frage - und „wie gefällt es Ihnen in Hollywood?"

Auch darüber gab Korda eine erschöpfende (wenn auch vielleicht nicht ganz wahrheitsgetreue) Auskunft. Dann wurde er gefragt, was denn bei dem Einbruch gestohlen worden sei.

„Einige besonders wertvolle Bücher", meinte er, jetzt ziemlich erregt, „auch eine Perserbrücke und wohl auch etwas Schmuck meiner Frau, sie ist gerade dabei, die Stücke zu zählen. Wir haben noch nicht genau feststellen können, was fehlt."

Und noch ein Anruf und noch einer . . .

Fünf Minuten später ließ Lubitsch von einer anderen Amerikanerin bei Korda anrufen und gleich darauf von noch einer; jede angeblich eine Reporterin einer der beiden anderen großen Tageszeitungen von Los Angeles.

Jedesmal mußte Korda seine ganze Lebensgeschichte und Karriere berichten - er tat es natürlich nicht ungern -, und jedesmal wurde er gefragt, wie es ihm in Hollywood gefalle und was er von Hollywood halte und ob er die amerikanischen Frauen hübscher finde als die europäischen - alles typische amerikanische Reporterfragen; und jedesmal mußte er sich ausführlich über die gestohlenen Wertgegenstände äußern.

Das tat er denn auch mit viel Eifer und Phantasie, denn beim dritten Telefonat befand sich unter dem geraubten Gut schon das Perlenkollier seiner Frau.

Ob es sich dabei um ein Erbstück von besonderem Wert handele, wollte die Reporterin jetzt wissen. Aber bevor sich Korda eine geeignete Antwort überlegen konnte, kam Lubitsch zur längst geplanten Pointe, nahm der Amerikanerin den Hörer aus der Hand und rief auf gut berlinerisch: „Mensch, kiek doch mal unterm Sofa nach"; dann hängte er ein.

Ein Streich als Hollywood

Weniger harmlos war ein anderer „Scherz", der hier berichtet sei, eben weil er in mancher Hinsicht für die Atmosphäre von Hollywood ebenso bezeichnend ist wie für ihren Einfluß auf die Bewohner jener irrealen Welt.

Es war kurz nach der Galapremiere von Ernst Lubitschs »A Student prince«, dem größten aller Alt-Heidelberg-Filme. Es war wirklich einer der bedeutendsten Filme der Stummzeit, und in jenen Jahren (1927/28) nicht nur der teuerste und prunkvollste, sondern auch der künstlerisch wertvollste der „Prestigefilme", auf die nicht nur die Herstellungsfirma (M.G.M.), sondern ganz Hollywood stolz war.

Daß man damals dort allen Ernstes an das weitverbreitete Gerücht glaubte, Lubitsch würde nunmehr das Ehrendoktorat von Heidelberg bekommen, ist an sich schon bezeichnend für die Umschichtung aller Werte, die in der märchenhaft egozentrischen Atmosphäre der Filmstadt unvermeidlich ist. Als kurz nach der Premiere das obligate Festessen für die deutsche Kolonie im Hause Lubitsch fällig war, spielten die Gäste ihrem Gastgeber einen Streich, der nicht nur in dieser Art, sondern auch mit den dafür erforderlichen Mitteln eben nur in Hollywood möglich war.

Fast jedes „Studio" hatte sein eigenes Postamt

Dort hat jedes der größeren „Studios" sein eigenes Postamt; wenn man also etwas Einfluß hat und wenn ein paar größere Trinkgelder keine Rolle spielen, dann kann man dort Kabel und Telegramme fälschen, wie es anderswo allenfalls der Herr Postminister persönlich oder sein Ministerpräsident tun könnten.

Solche Telegramme (mit denen in Hollywood mancher Scherz getrieben wird) sehen nämlich genauso „echt" aus wie der wirklich echte Postbote, der sie überbringt.

Ein schlechter Scherz im Hause Lubitsch

Bei jenem Essen im Hause Lubitsch wurde dem Hausherrn schon zwischen Vorspeise und Suppe das erste der vielen Kabel überreicht, die dann im Abstand von wenigen Minuten eintrafen. Er öffnete es, las es, wurde blaß vor Erregung.

Kein Wunder, denn der Wortlaut war etwa so:
Höre soeben von großer aber wohlverdienter Ehrung stop allerherzlichsten Glückwunsch auch im Namen meiner Familie Ihr freundlich ergebener Max Reinhardt.

Lubitsch war klug oder mißtrauisch - Weitere Telegramme

Lubitsch knüllte das Telegramm in die Tasche, verriet aber den ihn gespannt beobachtenden Gästen kein Wort des Inhalts; auch nicht, als wenige Minuten später gleichzeitig zwei Kabel eintrafen; ein ziemlich formeller Glückwunsch, „Präsidium der Deutschen Bühnengenossenschaft" unterzeichnet, und ein erheblich weniger formeller und recht schwungvoll formulierter Glückwunsch, offenbar in feuchtfröhlicher Stimmung verfaßt und von mehreren mit Lubitsch befreundeten Mitgliedern des Bühnenklubs unterzeichnet.

Dann kamen in kurzen Abständen mehr als ein Dutzend Kabel von anderen Freunden und von Familienangehörigen des Regisseurs, jedes haargenau so formuliert, wie es von dem jeweiligen Absender zu erwarten gewesen wäre, dazwischen auch ein paar formellere Glückwünsche vom Vorstand und Aufsichtsrat der UFA, vom Klub der Filmindustrie, von der Spitzenorganisation der deutschen Filmindustrie und von anderen Institutionen - lauter Kabel, die auf eine soeben erfolgte Ehrung Bezug nahmen, ohne sich auf Einzelheiten oder Erklärungen einzulassen.

Der grausame „Scherz" versandete

Dieser etwas grausame „Scherz" versandete; denn er war und blieb ohne Pointe. Jedenfalls war Lubitsch, nachdem er schon das erste Kabel wortlos eingesteckt hatte, klug (oder mißtrauisch) genug, auch den Inhalt der folgenden Telegramme für sich zu behalten. Als in den nächsten Tagen nichts erfolgte und die erhoffte offizielle Benachrichtigung aus Heidelberg ausblieb, wußte er, daß sein Mißtrauen gegen seine Tischgäste berechtigt war. Der „Scherz" war versickert. Es ist nie - auch nicht viele Jahre später - zwischen den Beteiligten und ihrem „Opfer" ein Wort darüber gesprochen worden.

Hollywood und seine „Parties"

Es ist in diesem Kapitel viel von „Parties" die Rede, und die gibt es in Hollywood zu jeder Zeit und in jeder Form: vom offiziellen Bankett bis zu sehr privaten Budenzaubern, die nur insofern „öffentlich" sind, als die oft zu vorgerückter Stunde kommenden Gäste gar nicht eingeladen, sondern von anderen „Parties" mitgebracht werden.

Die meisten Leute haben allerdings keine Zeit, oft zu Parties zu gehen, aber es gibt auch solche, die kaum etwas anderes tun.

Ein „Partie"-Erlebnis

Ich erinnere mich einer Party, auf der mir ein besonders betrunkener Schauspieler auffiel, der unentwegt, obgleich ihm niemand zuhörte, Gedichte aufsagte.

Sein Gesicht kam mir bekannt vor, und es war in der Tat ein Mann, der noch wenige Jahre vorher ein Weltstar mit einem Wocheneinkommen von vielen Tausenden von Dollars gewesen war.

Jetzt, so sagte man mir, sei er schon lange völlig down, er habe nicht einmal mehr einen Wagen, was in Hollywood so ziemlich den äußersten materiellen Tiefstand bedeutet.

Da er nicht weit von mir wohnte, bat man mich, ihn mitzunehmen; kaum hatte ich ihn im Wagen, als der eben noch so lustige Herr plötzlich einen Weinkrampf bekam und erklärte, er müsse nunmehr und zwar sofort seinem verpfuschten Leben ein Ende machen. Es war nicht einfach, mit der einen Hand zu steuern und mit der anderen den Betrunkenen daran zu hindern, aus dem Wagen zu springen.

Als ich ihn schließlich an seinem Appartement-Haus absetzte, nahm ihn der Portier mit einer auf lange Gewohnheit zu schließenden Routine in Empfang und bugsierte ihn in sein Zimmer. Später erfuhr ich, daß der Selbstmordversuch bei der Heimfahrt zu den allmorgendlichen Gewohnheiten des Unglücklichen gehöre, aber nicht weiter ernst zu nehmen sei.

Der Mann sei, so sagte man mir, auch nicht besonders bemitleidenswert. Ein paar Freunde zahlten seine Miete. Tagsüber schliefe er und abends ginge er eben von einer Party zur anderen.
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Die meisten Menschen in Hollywood waren fleißig

Kein vereinzelter, aber gewiß auch kein typischer Fall, denn die meisten Menschen in Hollywood arbeiten sehr fleißig.

Manche Bankette, wie z. B. die des berühmten „Breakfast Club", beginnen schon um 8 Uhr morgens. Ich entsinne mich eines dieser für Hollywood sehr charakteristischen Bankette, das für die vielen „foreign colonies" veranstaltet wurde.

Der ZUFAll fügte es, daß ich neben Georges Carpentier saß, dem damals erst wenige Jahre vorher von Jack Dempsey entthronten Boxweltmeister.

Ein Publicity Versuch mit Georges Carpentier

Carpentier, der gerade in Hollywood filmte, sah übrigens gar nicht wie ein Schwergewichtler aus und war ein recht umgänglicher und netter Mensch. Ich fragte ihn, ob er Wert darauf lege, am nächsten Morgen in großen Schlagzeilen auf der ersten Seite der gesamten Weltpresse zu stehen.

Er meinte, das wäre nicht übel, worauf ich ihm vorschlug, einen Krach mit mir zu fingieren, dann sich von mir einen sanften Kinnhaken versetzen zu lassen und darauf prompt unter den Tisch zu fallen. Das würde bestimmt Schlagzeilen geben wie etwa:
Sensationeller Kinnhaken am Frühstückstisch. Schwächlicher Brillenträger schlägt Exweltmeister k.o.

Der Boxer lächelte und meinte, das sei eine ganz gute Idee, aber er könne leider nicht dafür garantieren, daß ihm nicht bei dieser Gelegenheit die eigene Faust etwas ausrutsche. Darauf entschloß ich mich, auch meinerseits auf die gute publicity zu verzichten.

Eine Einladung zu Carl Laemmle, Chef der Universal

Einladungen einer ausländischen „Kolonie" gehörten in Hollywood von jeher zur Tagesordnung, und so war es selbstverständlich, daß auch Carl Laemmle, der deutschgebürtige Chef der Universal mehr als einmal die deutsche Kolonie zu Gast bat.

Da man uns vor dem ersten Besuch gesagt hatte, daß es nicht einfach sei, die riesenhafte, aber etwas versteckt gelegene Besitzung des Magnaten im Benedict Canyon zu finden, beschlossen Wilhelm und Charlotte Dieterle, Dita Parlo, Gustav Fröhlich und ich, zusammen hinzufahren.

Endlich fanden wir in dem sehr schönen, exklusiven Vorort von Los Angeles eine riesenhafte Besitzung, vor der schon mindestens fünfzig Wagen parkten.

Also gingen wir hinein und wandelten durch das schöne Haus und den herrlichen Garten, wo uns allenthalben von galonierten Dienern Kaviarbrötchen, Champagner und ähnliche Erfrischungen gereicht wurden.

Als wir an dem besonders schönen Schwimmbassin vorbeikamen, fragte ein Diener, ob wir zu schwimmen wünschten, es stünden uns nagelneue Badeanzüge in jeder Größe zur Verfügung.

Überraschung im "Benedict Canyon"

Inzwischen war uns aber aufgefallen, daß wir bisher weder unseren Gastgeber noch ein anderes, in Filmkreisen bekanntes Gesicht gesehen hatten. Ich fragte einen der Diener, wo Mr. Laemmle sei.

„O no, Sir", sagte er hochmütig, das sei nicht Mr. Laemmles Haus, und zeigte in die Richtung, in der, etwa einen Kilometer entfernt, Laemmles nicht minder fürstliche Besitzung lag. Wer aber an diesem Abend unser erster Gastgeber gewesen ist, weiß ich bis heute nicht. Vermutlich, da wir überhaupt keinen Filmmenschen zu sehen bekamen, war es irgendein Ölindustrieller.

Harold Lloyd - einer der reichsten Hollywoodstars

In dem gleichen schönen Benedict-Canyon, nicht weit von Laemmle, gab es eine noch größere Besitzung, die einem der reichsten Hollywoodstars gehörte, einem, der nicht nur jahrzehntelang riesenhafte Gagen verdiente, sondern auch vernünftig lebte und sein Geld in Grundbesitz anlegte, der damals - im Vergleich zu den späteren Preisen - noch spottbillig war.

Dieser Grundeigentümer war Harold Lloyd. Als er mir das Grundstück einmal ohne jede Protzerei, aber mit einem sympathischen und beinahe kindlich anmutenden Besitzerstolz zeigte, dauerte die Führung gut und gern eine Stunde; denn in diesem weitläufigen Park - von dem riesigen Haus ganz zu schweigen - gab es nicht nur das unvermeidliche Schwimmbassin und die üblichen Tennisplätze, sondern einen regulären Golfplatz (mit allerdings nur neun Löchern), eine komplette Kegelbahn und vor allem - des Hausherrn größter Stolz - eine Kanurennbahn; denn Kanufahren war damals eine von Lloyds Leidenschaften.

Er hatte Kanus und Kajaks in allen möglichen Größen und Formen und ließ sich deshalb jene Rennbahn bauen: ein künstliches Flüßchen, dessen zahlreiche, sorglich ausgedachten Windungen rings um die Parkanlage kurvten.

Lustspiel-Gags erfinden lassen und dann verkaufen

Bei dieser Gelegenheit kam das Gespräch auf Lustspiel-Gags, den in Hollywood gebräuchlichen Fachausdruck für einen brauchbaren Einfall zur Situationskomik, meist von einem „gagman", einem hochbezahlten Spezialisten, erfunden.

Ich erzählte ihm von einem Gag, den ich in einem Buster-Keaton-Film gesehen hatte und der mir als ein geradezu klassisches Beispiel für die Situationskomik im Stummfilm erschien.

Da lachte der große Komiker und verriet mir, daß gerade dieser Gag von seinem eigenen besten Gagman erfunden worden sei; er hätte ihn aber an Keaton verkauft, weil der Gag ihm für diesen großen Konkurrenten geeigneter zu sein schien als für ihn selbst.

Der Gag für Buster Keaton - die Rasur

Und dies ist die Situation: Buster sitzt in einem überfüllten Restaurant als einziger Mann an einem Tisch mit fünf oder sechs jungen Damen. Sie kümmern sich überhaupt nicht um ihn, sondern tratschen und kichern miteinander, während er in steinerner Ruhe und mit seinem üblichen tiefernsten Gesicht dabeisitzt.

Dann greift erst eine und gleich darauf jede der jungen Damen zu Puderdose und Lippenstift, und Buster sieht schweigend und ernsthaft zu, wie sie sich aufs gründlichste anmalen und pudern.

Plötzlich holt er sein Rasierzeug aus der Tasche, schiebt die Teetasse beiseite, stellt seinen Rasierspiegel auf, stippt den Pinsel in das silberne Wasserkännchen und beginnt, sich ernsthaft und methodisch einzuseifen.
Die Mädchen gucken ihn erstaunt an und kichern, er läßt sich aber keineswegs stören und setzt bedächtig die Rasur fort.

Harold Lloyd sagte mir, wenn er den Gag selbst benutzt hätte, so würde er ihn natürlich auf seine Art, also nicht auf sturen Ernst, sondern auf scheue Verlegenheit, abgestimmt haben; aber jedenfalls sei er für Buster Keaton viel geeigneter gewesen.

Charles Chaplin, der größte Meister der visuellen Komik

Der größte Meister der visuellen Komik ist und bleibt gewiß Charles Chaplin, der freilich in fast jeder Hinsicht - und auch in seinen Finanz- und Arbeitsmethoden - einen Sonderfall darstellt und für andere Filmschaffende kein Maßstab ist.

Unübersehbar war, vor allem in der Stummzeit, sein Einfluß auf die gesamte Entwicklung der Filmkunst und die Erkenntnis filmischer Gestaltungsmöglichkeiten.

Auch in Deutschland, besonders im Deutschland der zwanziger Jahre, haben die Filmschaffenden viel von Chaplin gelernt.

Eine Form des Humors - der „Slapstick"

Hier ließe sich gewiß einwenden, daß man in Deutschland für gewisse, in der anglo-amerikanischen Welt besonders beliebte Formen des Humors, den „Slapstick", wenig Verständnis habe.

Diese Form des Bühnenhumors stammt aus uralter englischer „Music Hall"- und Clown-Tradition, und ist in ihrer derbsten und primitivsten Art - etwa in der „Komik", sich gegenseitig Schlagrahmtorte ins Gesicht zu werfen - in Deutschland nie heimisch geworden; eher schon in der subtileren Form, in der Shakespeare seine Rüpel und Narren derbe Spaße treiben läßt.

Eine wahrhaft universell wirksame Komik

Aus der gleichen Sphäre, aus der gleichen uralten Tradition stammt die Kunst der vorhin erwähnten großen Komiker, und Chaplins berühmte Filmfigur stammt natürlich auch aus der englischen „Music Hall", ist aber weit darüber hinausgewachsen.

Chaplin hat damit jenseits jeder nationalen Tradition eine wahrhaft universell wirksame Komik geschaffen.

Mein Besuch bei Chaplin in Beverly Hills

Daß er viel darüber nachgedacht hat, ersah ich aus einem kleinen Erlebnis anläßlich eines Besuches in seinem schönen Haus, das er damals noch in Beverly Hills besaß:

Chaplin hatte gerade auf einem seiner Tennisplätze einen Vierersatz gespielt, an dem auch Tilden und ein anderer berühmter Meister dieses Fachs beteiligt waren - Chaplin war in jüngeren Jahren für einen so zierlich gebauten Mann ein erstaunlich guter Tennisspieler - und setzte er sich etwas erschöpft neben mich an den Rand seines Schwimmbassins, das genau in der Form seiner weltberühmten „Melone" gebaut war.

Wir sprachen über das deutsche Wort „Schadenfreude", und Chaplin bedauerte, daß es dafür in der englischen Sprache kein Äquivalent gäbe.

Er fand das um so bemerkenswerter, da, wie er mir zustimmte, in diesem Begriff eine der Wurzeln jeder Komik zu finden sei.

Die Komik und die „Schadenfreude"

Auf die primitivste Formel gebracht, sei eine unfehlbar wirksame Situationskomik etwa diese: wir, das Publikum - nach alter dramaturgischer Regel immer etwas klüger als die Akteure -, sehen den Komiker auf eine Bananenschale zustolzieren. Im nächsten Moment, so wissen wir, wird er darauf ausgleiten und in die darunterliegende Pfütze fallen.

Die Situation gewinnt ihr Maximum an Komik dadurch, daß der Mann eitel ist und sich soeben erst seines blütenweißen Frackhemdes gebrüstet hat.

Diese primitive Grundformel ist natürlich von Chaplin und den anderen amerikanischen Komikern sehr oft und in erheblich subtileren Formen angewandt worden; und gerade in Deutschland fand dieser Stil einer wahrhaft „filmischen" Komik ein besonders begeistertes und lachbereites Publikum.

Das ist wohl dadurch erklärlich, daß der für den deutschen Geschmack allzu primitive „slapstick" hier in einer durchaus universellen und unwiderstehlichen Art sublimiert war.

Das war eben wirklich „filmisch", wofür schon die Tatsache sprach, daß kaum Zwischentitel benötigt wurden, um diese Filme überall verständlich zu machen.

Der Stummfilm »City Lights« auf Deutsch

Ich war gerade in Hollywood, als Chaplin seinen letzten Stummfilm, »City Lights«, endlich fertigstellte.

Er hatte, wie üblich, sehr lange - und mit so langen Pausen, wie nur er sie sich leisten konnte - daran gearbeitet, und es lag ihm offenbar daran, auch die deutsche Musterkopie fix und fertig, also mit schon eingesetzten Titeln, herüberzuschicken.

Er ließ mich kommen und fragte mich, ob ich bereit sei, für tausend Dollar die Titel zu übersetzen. Ich war bereit und habe kaum je mein Geld so leicht verdient.

Es waren, alles in allem, knapp zwei Dutzend Titel, fast ausschließlich mit Texten wie:
Am nächsten Morgen . . . Drei Stunden später . . . Inzwischen . . .

Eine literarische Aufgabe war es gewiß nicht. Ein Schulkind hätte die Übersetzung in fünf Minuten erledigen können.

Der Stummfilm war eine gute Schule für Regisseure

Diese überaus sparsame Benutzung der Titelkrücke ist ein unfehlbares Symptom der Kunst, eine Geschichte fast ausschließlich in Bildern zu erzählen, und da diese Art gerade für ein auf straffe Handlung und Situationskomik eingestelltes Lustspiel am einfachsten ist, war das eine sehr gute Schule für die Drehbuchautoren und Regisseure der Stummfilmzeit.

Und alle haben von Chaplin gelernt

Sie haben alle viel davon gelernt. Gerade in dieser Periode haben die besten Regisseure entweder vom Schreibtisch des Drehbuchautors den Weg zum Regiesessel gefunden oder zumindest (wie etwa Lubitsch, Pick, Pabst, Lang, Murnau) schon im Drehbuchstadium ihrer Filme sehr intensiv mitgearbeitet.

Sie haben alle von Chaplin gelernt; denn der war in jeder Hinsicht eine Ausnahme, eine „einmalige" Erscheinung.
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Aber Chaplin ist nicht Hollywood.

Ob unsere Filmschaffenden auch von Hollywood gelernt haben, ob sie dort mindestens so viel abgucken konnten, wie Hollywood selbst von den bedeutendsten Regisseuren, Autoren und Technikern Europas gelernt hat - das ist eine nicht so leicht zu beantwortende Frage.

Denn auch Hollywood ist eine Ausnahme, auch Hollywood ist eine durchaus „einmalige" Erscheinung, eben weil die Voraussetzungen, unter denen ein solcher Begriff und ein solches Produktionszentrum wachsen konnte, nirgendwo in gleicher Weise gegeben sind oder jemals gegeben sein könnten.

Bei uns war das immer ganz anders. Es mußte anders sein, und das ist der Betrachtung wert.

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