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Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)

Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.

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Kapitel 98
Von Goldhamstern und Schildkröten

Mein Papa war ein Tierfreund. Ponys, Hunde, Hühner, Tauben - der reinste Zoo. Für mich gab es nur Joschi. Trotzdem: vor Hamburgs großer Tierhandlung in der Mönckebergstraße hielt es mich oft. Dort sah ich eines Tages mollig-goldfarbige Tierchen, die man bei uns noch nicht kannte: Goldhamster.

Sie sehn und gleich an unsere HÖR ZU-Kinder denken war eins. Verhandlungen mit dem Tierhändler... dann das große Preisrätsel für Kinder: Goldhamster zu gewinnen.

Ein Tier ist kein Spielzeug.

Hunderte fanden dann - in hübschen Käfigen - zu ihren Freunden und erregten dort begreifliches Aufsehen. Auf jedem Käfig aber stand: >Hege und pflege Deinen kleinen Freund - aber bedenke immer: Ein Tier ist kein Spielzeug. <

Die Sache mit den Schildkröten

Und dann die vielbelachte Sache mit den Schildkröten. Ich wollte zwei Wochen Urlaub machen. In dieser Zeit sollten meine gute Maria und mein Fahrer Murr (der aber nie murrte) das Haus behüten. »Ach Herrchen, dann komme ich vor Langeweile um!« jammerte Maria. Das brachte mich auf die Idee mit den Schildkröten.

Es waren zwölf (Miet-) Schildkröten

Ich >mietete< mir bei meinem Tierhändler zwölf Schildkröten - von der kleinsten bis zur größten -, brachte erst mal nur eine, die die größte, in einem Karton zu Maria und bat sie, ihr täglich frischen Kopfsalat zu geben. »Aber nur zartgelbe Herz-Blättchen, sonst verkümmert sie und läuft ein wie Wollsocken.«
Maria sah eine Aufgabe und strahlte.

Jeden Abend gabs die die nächstkleinere Schildkröte

Aber dann begann ein geheimnisvolles Spiel: Murr tauschte die Schildkröte vom Dienst allabendlich gegen die nächstkleinere aus ... Als ich zurückkam, saß Maria bekümmert in der Küche und wies auf den Schildkrötenkarton, in dem nun ein Schildkröten-Baby seine ersten Gehversuche wagte.

»Ach, Herrchen, jetzt werden Sie gewiß sehr böse sein. Dabei habe ich das Tierchen doch jeden Tag gefüttert und mit frischem Wasser versorgt.«
»Dann haben Sie wohl was falsch gemacht. Sie wissen doch: Nie die Blätter, sondern immer nur die Rippen geben - wegen der Vitamine.«
»Ach Herrchen, Herrchen, Ihre dumme Maria hat alles falsch gemacht! Ich habe ihr immer nur die gelben Herzchen gegeben.«
»Kein Wunder, daß sie dabei eingelaufen ist - aber deshalb nur keine Tränen, wir werden sie in der Redaktion aufpäppeln. In zwei Wochen ist sie wieder in Hochform.«

»Ach wirklich? Das arme Tier. Mir fällt jetzt ja ein Stein vom Herzen!«

Kapitel 99
Eine neue Serie - Suchkind Nummer ...

Es war die Reinmachefrau, die täglich gegen fünf Uhr morgens in den Redaktionsräumen erschien, die Fenster aufriß und zunächst einmal die übervollen Aschenbecher leerte. Sie hat mich inspiriert. Es war eine alte - nein! - eine vorzeitig gealterte verhärmte Frau von etwa fünfundvierzig Jahren, der man trotz Kopftuch und Arbeitsschürze ansah, daß sie - wie damals so viele - >einmal bessere Zeiten erlebt< hatte.

Keiner meiner Mitarbeiter bekam sie je zu sehen, denn wenn der Hausmeister um acht die Haustür aufschloß, war sie verschwunden. Nur ich sah sie zuweilen, wenn ich gegen sieben - noch unrasiert und verstrubbelt - mit einer Tasse Kaffee an meinem Schreibtisch erschien, um irgendeine Arbeit zu erledigen, die spätestens um acht in der Setzerei sein mußte.

Sie stammte aus "Astpreußen"

Meine Reinmachefrau stammte aus >Astpreußen<, man hörte es schon beim ersten Wort. »Und von wo?« - »Aus Könisberrsch!« Ich horchte interessiert auf - doch damit war ihre Antwort schon abgeschlossen.

Mir gab es einen Stich. >Du und Dein Körper<, das nach Königsberg verlagerte Buchmanuskript, fiel mir ein. Sie merkte etwas von meiner Reaktion und sah mich fragend an, und da brach es aus mir heraus. Unbeherrscht, leidenschaftlich anklagend, denn dieser Manuskriptverlust war und bleibt der größte Verlust, den mir Hitlers Krieg persönlich zugefügt hat.

Sie hörte mir schweigend zu.

Dann sagte sie: »Mein Mann ist schon beim Überfall Polens gefallen. Das war bitter genug. Aber daß ich dann auf der überstürzten Massenflucht vor der russischen Armee meinen dreijährigen Jungen verloren habe ... Was ist der Verlust einer Arbeit dagegen? Sie werden neue Bücher schreiben, aber mein einziges Kind ... Dieser Verlust ist unersetzlich ...«

Sie ging hinaus.
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In diesem Augenblick wußte ich . . . . .

In diesem Augenblick wußte ich, was ich zu tun hatte. In weniger als einer halben Stunde schrieb ich, aufgerüttelt, beschämt und erschüttert zugleich meinen Aufsatz für HÖR ZU:

Verlorene Kinder

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Dann bestellte ich mir ein Taxi und brachte ihn, unrasiert, wie ich war, sofort in die Setzerei. Noch am selben Tag setzte ich mich mit dem Suchdienst des in Hamburg sitzenden Roten Kreuzes zusammen und stimmte mit ihm einige nötige Formalitäten ab. Man würde uns jede Woche das Foto und die Textunterlagen für ein elternloses Kind liefern.

Die Aktion erregte enormes Aufsehen

Schon im darauffolgenden Heft erschien unser >Suchkind< mit der Nummer 1. Die Aktion erregte in der ganzen Bundesrepublik enormes Aufsehen. Tausende und Abertausende von Familien, die ihr Kind schon für immer verloren glaubten, schöpften nun plötzlich wieder Hoffnung. Eine Flut von Briefen und Kinderbildern war die Folge. Wir gaben sie alle an das Rote Kreuz weiter, wo sie sorgfältig studiert und registriert wurden. Schon bei dieser Gelegenheit konnten eine ganze Anzahl von Kindern ihren Eltern zugeführt werden.

In jedem Heft erschien nun das >Suchkind der Woche<

Kein Wunder, daß viele Mütter und Verwandte sofort den Begleittext studierten. Viele gefundene, irgendwo untergebrachte Kinder wußten nicht einmal ihren richtigen Rufnamen, geschweige denn ihren Familiennamen. Andere konnten nur angeben, wie der Papa die Mutter genannt hatte, einige wußten nur, wie ihr Hund hieß und wie er ausgesehen hatte.

Wir taten alles Menschenmögliche und erzielten dabei zuweilen überraschende Erfolge. Wenn ein Suchkind gefunden war und den Eltern zugeführt werden konnte, gab es in der Redaktion jedesmal großen Jubel.

Aber es gab auch Tränen und große Probleme

Aber es gab auch Tränen, wenn ein Kind seinen Pflegeeltern entrissen wurde und wenn ein Ehepaar ein liebgewonnenes Kind den richtigen Eltern ausliefern mußte, obwohl es damit zuweilen offensichtlich in wesentlich ungünstigere Lebensverhältnisse kam. Frauen - sogar unverheiratete Frauen - kämpften um Kinder, die ihnen gar nicht gehörten.

Hier setzte für das Rote Kreuz eine harte, nicht immer beglückende Arbeit ein. Nicht selten mußte sogar die Polizei zu Hilfe gerufen werden ... Mit jedem Kind war ein Schicksal besonderer Art verknüpft, und es gab Fälle, in denen mit allen Mitteln um ein Kind gekämpft wurde. Rechtsanwälte und Sozialämter wurden eingeschaltet, und manchmal kam es zu beiderseitig befriedigenden Adoptionen.
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Großes Lob vom Suchdienst des Roten Kreuzes

Schon achtundzwanzig Wochen nach Beginn unserer Suchaktion schrieb mir der Suchdienst des Roten Kreuzes: »Keine andere Stelle bringt uns so viele Leserzuschriften und Hinweise wie HÖR ZU.«

Als das achtundzwanzigste Sorgenkind seinen Hilferuf an die Öffentlichkeit gerichtet hatte, waren schon zwölf dieser Fälle erfolgreich erledigt.
Manchmal hatten Mutter und Kind zueinandergefunden -aber es fehlte immer noch der Vater, und nicht selten konnte auch er durch unsere Suchkindaktion mit seiner Familie zusammengeführt werden.

Und wieder wurde in mir ein neuer Roman geboren

Was da schon in den ersten Monaten an dramatischen Menschenschicksalen sichtbar wurde, drängte nach Gestaltung. Ohne daß ich mir selber darüber klar war, standen plötzlich die Gestalten eines Romans vor mir, der unseren Lesern ein Bild von der seelischen und körperlichen Not vom Krieg auseinandergerissener Familien einfühlsam vor Augen führen sollte.

Als der laufende Roman zu Ende ging, war die Zeit reif. Die Suchaktion war in vollem Gange. Jetzt konnte ich durch einen spannenden, lebensnahen Roman auch jene Leser an das Problem heranführen, die davon gehört hatten, aber nicht davon berührt waren.

Suchkind 312 Die Geschichte einer unerfüllten Liebe

Und schon sah ich - wie in einem Traum - die handelnden Personen vor mir und auch den Titel des Romans: >Suchkind 312 Die Geschichte einer unerfüllten Liebe<

Was wir sonst noch nie getan hatten: Mit diesem Roman und der meisterhaften Zeichnung von Kurt Ard gingen wir ganz groß an die Litfaßsäulen. Hatte schon mein Roman >Ein Herz spielt falsch< HÖR ZU einen bis dahin noch nicht erlebten Beifall gebracht, dieser zeitnahe Roman - davon war ich fest überzeugt - würde alle Rekorde schlagen ...

Mehr als 1000 Kinder konnten . . . . . .

Mit unserer jahrelang laufenden Suchkindaktion konnten dann mehr als tausend verlorene Kinder wieder ihren Eltern zugeführt werden. Als Dank erhielt ich dafür eines Tages die höchste Auszeichnung des Roten Kreuzes: das Ehrenkreuz am Halsband.
Der schönste Dank aber sind die Karten und Briefe, die gelegentlich immer noch zu Weihnachten oder Neujahr kommen: »Von Ihrem dankbaren Suchkind Nummer ...«
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Kapitel 100
Hunderttausend HÖR ZU-Drachen am Himmel

Die Idee dazu kam mir 1957 während einer Fahrt nach Lübeck. Während mich der Wagen auf der Autobahn zwischen den abgeernteten Stoppelfeldern nach Lübeck trug, sah ich sie wieder: Drachen unter dem weitgewölbten Himmel!

Daß es noch Papier-Drachen gibt . . .

Daß es sie noch gibt! Hatte ich vergessen, daß ich sie als Junge selber gebastelt und im Herbstwind auf der Wahner Heide zwischen Bonn und Siegburg unter den strahlendblauen Himmel gehängt hatte? Hatte ich damals denken können, daß sie die Vorläufer unserer Flugzeuge sind? Daß beide da oben nichts anderes trägt als ein Kissen aus verdichteter Luft?

Ein Jungensport, von dem ich nicht geahnt hatte, daß er noch lebte ... Jetzt müßten hunderttausend unserer Jungen solche Drachen haben! Ein Gedanke, der mich fasziniert und nicht mehr losläßt.

Das war eine Aufgabe für Mecki!

Er ließ die wenigen Bauteile für hunderttausend meterhohe Drachen herstellen; veranlaßte, daß man statt Papier dünne, mit seinem Bild bedruckte Cellophanfolie nahm, und verfaßte eine Bau- und Gebrauchsanweisung dazu (mit Warnungen vor Hochspannungsleitungen usw.), ließ das Ganze liebevoll verpacken und über den Vertrieb an alle Zeitungshändler zum Verschenken ausliefern. Die Kosten übernahm die Werbeabteilung. Sie war dankbar für die Idee - den Himmel als Reklamefläche zu mißbrauchen.

Nie zuvor und nie nachher haben so viele Drachen an unserem Himmel geschwebt wie in jenem Herbst ...
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1957 - die Traumauflage von 3 Millionen

Was wir im selben Heft des Jahrgangs 1957 zu melden haben, ist wieder ein Stück Zeitgeschichte: HÖR ZU erreicht die Traumauflage von 3 Millionen!
Ein Freudentaumel. Rauschende Feste. Der ganze Verlag steht Kopf. Die Redaktion erstickt fast unter Blumen. Alle Mitarbeiter der Redaktion erhalten ein Jubiläumsgehalt extra.

"Springer und Voß überreichen mir einen Scheck in Höhe der Auflage ... »Denkste!« - würde der Berliner sagen. Nichts - nichts von alledem."

Zum erstenmal hat auf unserem Kontinent eine Zeitung oder Zeitschrift diese Traumauflage nicht nur erreicht, sondern gleich erheblich überschritten.

Doch Springer und Voß rühren sich nicht.
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Ist dieser Erfolg so selbstverständlich?

Seltsam. Doch die Rundfunk- und Fernsehintendanten, große Verleger anderer Zeitungen und Zeitschriften, selbst Chefredakteure der Konkurrenz schicken mir Glückwunschtelegramme und Briefe der Anerkennung und Bewunderung.

Wie mir an diesem Weihnachtsabend zumute gewesen ist ... Sprechen wir nicht darüber.

1958 - eine Doppelseite zu Jürgen Rolands >Stahlnetz<

HÖR ZU geht siegessicher ins neue Jahr. Die Auflage steigt weiter. In Heft 16/1958 bringe ich eine Doppelseite zu Jürgen Rolands >Stahlnetz<. Diese Kriminalserie hat sich zu einem wahren Straßenfeger entwickelt. Ob Jürgen wohl noch manchmal an die Stunde denkt, in der ich ihn mit dem Filmregisseur Fritz Kirchhoff zusammengebracht habe und in der er zu meinem Entsetzen um seine - Pensionsberechtigung gebangt hat?

Es war eine Zeit ohne Schatten.

HÖR ZU war eingebettet in die Herzen der Rundfunk- und Fernsehteilnehmer. Und ich hatte mir eine Redaktion geschaffen, auf die ich mich in jeder Hinsicht verlassen konnte, denn jeder wußte: bei HÖR ZU saß man sicher. Und zu dieser Redaktion zu gehören war ein Gütesiegel.
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Bald auch die vierte Million . . . eine erste Vorahnung

Die Auflage stieg und stieg. Bald würden wir auch die vierte Million erreichen. Und dann? Ich konnte mir an den Fingern einer Hand abzählen, daß diese Entwicklung nicht ins Uferlose weitergehen würde, und begann, mir langsam darüber Gedanken zu machen.

Springer und Voß ließen mich gewähren und ertrugen meine >Selbstherrlichkeit<, die keine Kritik duldete und für Vorschläge taub war, mit Anstand und Besonnenheit. HÖR ZU lief doch - wie es schien - ganz von selbst.

Aber wenn die Auflage eines Tages an ihre natürliche Grenze stoßen oder zeitweise sogar etwas sinken würde, was dann?

»Dann gnade mir Gott; dann möchte ich nicht mehr Ihr Chefredakteur sein«, hatte ich Springer einmal gesagt. Und ich glaube, er hatte verstanden.
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